Die dritte Sinfonie mit dem programmatischen Beinamen „Eroica“ nimmt in vielerlei Hinsicht eine Sonderstellung in Beethovens Werk ein. Um kaum eine andere Sinfonie zuvor ranken sich so viele Legenden - dadurch ist sie bis heute ein Werk geblieben, dessen Interpretation den Musikwissenschaftlern Rätsel aufgibt.
Im Zusammenhang mit der „Sinfonia eroica“ stehen daher mittlerweile eine Anzahl diverser Vermutungen, die allerdings erst einer genaueren Erörterung bedürfen, um als Tatsachen gewertet werden zu können.
Einer der Hauptaspekte ist selbstverständlich der Bezug zu Napoleon, dem die Sinfonie ursprünglich gewidmet gewesen sein soll, bis Beethoven von dessen Krönung zum Kaiser erfuhr. Was aber hat es auf sich mit den genauen Angaben auf dem Titelblatt wie z.B. „intitulata Buonaparte“? War die Sinfonie Napoleon gewidmet oder nach ihm benannt? Und wer ist der „große Mann“, dessen Andenken mit dieser Sinfonie gefeiert werden sollte, zu deren Zeitpunkt Napoleon ja noch lebte?
Dies sind nur einige Fragen, die sich zwangsläufig ergeben, wenn man sich einmal etwas genauer mit dem Gegenstand der Analyse auseinandersetzt. Im Laufe der vergangenen 200 Jahre, die seit der Entstehung der Sinfonie verstrichen sind, haben sich demzufolge zahlreiche Musikwissenschaftler und Komponisten darum bemüht, das Werk nach ihren Ansichten in semantischer Hinsicht zu interpretieren.
(Dass die Sinfonie in rein musikalischer Beziehung eine ebenso große Bedeutung hat, steht außer Frage und wird von niemandem angezweifelt, soll darum hier nicht näher erörtert werden.)
Inhaltsverzeichnis
Einführung
Interpretation der „Sinfonia eroica“
Kapitel I: Der Bezug zu Napoleon
a) Historischer Kontext
b) Musikalischer Bezug
c) Überprüfung
Kapitel II: Der Bezug zu Prometheus
a) Historischer Kontext
b) Das Ballett von Salvatore Viganò
c) Musikalischer Bezug
d) Überprüfung
Kapitel III: Der Bezug zur Französischen Revolution
a) Historischer Kontext – Beethovens politische Einstellung
b) Musikalischer Bezug
c) Überprüfung
Kapitel IV: Autobiografische Hintergründe
a) Beethovens Persönlichkeit
b) Überprüfung
Kapitel V: Beethovens „heroischer Stil“
Kapitel VI: Die Frage nach der Widmung
Zusammenfassung - Deutung der „Sinfonia eroica“
Literaturverzeichnis
Einführung
Die dritte Sinfonie mit dem programmatischen Beinamen „Eroica“ nimmt in vielerlei Hinsicht eine Sonderstellung in Beethovens Werk ein. Um kaum eine andere Sinfonie zuvor ranken sich so viele Legenden - dadurch ist sie bis heute ein Werk geblieben, dessen Interpretation den Musikwissenschaftlern Rätsel aufgibt.
Im Zusammenhang mit der „Sinfonia eroica“ stehen daher mittlerweile eine Anzahl diverser Vermutungen, die allerdings erst einer genaueren Erörterung bedürfen, um als Tatsachen gewertet werden zu können.
Einer der Hauptaspekte ist selbstverständlich der Bezug zu Napoleon, dem die Sinfonie ursprünglich gewidmet gewesen sein soll, bis Beethoven von dessen Krönung zum Kaiser erfuhr. Was aber hat es auf sich mit den genauen Angaben auf dem Titelblatt wie z.B. „intitulata Buonaparte“? War die Sinfonie Napoleon gewidmet oder nach ihm benannt? Und wer ist der „große Mann“, dessen Andenken mit dieser Sinfonie gefeiert werden sollte, zu deren Zeitpunkt Napoleon ja noch lebte?
Dies sind nur einige Fragen, die sich zwangsläufig ergeben, wenn man sich einmal etwas genauer mit dem Gegenstand der Analyse auseinandersetzt. Im Laufe der vergangenen 200 Jahre, die seit der Entstehung der Sinfonie verstrichen sind, haben sich demzufolge zahlreiche Musikwissenschaftler und Komponisten darum bemüht, das Werk nach ihren Ansichten in semantischer Hinsicht zu interpretieren.
(Dass die Sinfonie in rein musikalischer Beziehung eine ebenso große Bedeutung hat, steht außer Frage und wird von niemandem angezweifelt, soll darum hier nicht näher erörtert werden.)
Die Ergebnisse lassen sich in sechs Thesen zusammenfassen:
1. Die Sinfonie wird gedeutet als Symbol für den Feldherrn Napoleon Bonaparte, den Beethoven als Held verehrte aufgrund seines Strebens nach Freiheit und Gerechtigkeit. (George Grove, Alfred Heuß)
2. Biografische Hintergründe treten in engen Zusammenhang mit der Sinfonie, so z.B. das Heiligenstädter Testament, in dem Beethoven gedanklich Zeugnis ablegt über sein inneres Seelenleben und seine fortschreitende Ertaubung sowie über seine Zukunftspläne. (Peter Schleuning)
3. Die zentrale Figur der Sinfonie ist Prometheus, ein weiterer Held für Beethoven, diesmal aus der Antike. Grund für diese Vermutung ist das kurz zuvor komponierte Ballett von Salvatore Viganò, dessen Musik ebenfalls von Beethoven stammt und dessen Melodien teilweise in der Sinfonie wieder verwendet wurden. (Peter Schleuning, Constantin Floros, Keisuke Maruyama)
4. Die Sinfonie verkörpert die Idee des Heldenhaften, Heroischen, ohne auf eine Person direkt Bezug zu nehmen. (Richard Wagner)
5. Am Beispiel von Napoleon beschreibt Beethoven in der „Eroica“ das Idealbild dessen, wie ein Held beschaffen sein muss, mit sämtlichen Charaktereigenschaften inklusive Trauer und Schmerz. (Alexander Ulibischeff, Adolph Bernhard Marx)
6. Die Sinfonie behandelt antike Stoffe aus Homers „Ilias“, in denen kriegerisch-kämpferische Elemente das Heldenhafte darstellen. (Arnold Schering)
7. Die Sinfonie ist entstanden aus der Französischen Revolution, mit dem Ziel, deren Ideale und Ideen darzustellen. (Jost Hermand, Martin Geck)
Die Konsequenz des so genannten „Eroica-Problems“[1] angesichts solcher Fülle von verschiedenen Interpretationen besteht darin, dass sich Wissenschaftler wieder auf rein strukturelle und stilistische Aspekte beschränkten, die inhaltliche Ebene außer Acht ließen und das Werk als ein Beispiel „absoluter Musik“ bezeichneten!
Fest steht jedoch zweifellos – bei aller Gewagtheit mancher Vermutungen -, dass der Inhalt dieser Sinfonie zwar vernachlässigt, aber keinesfalls ignoriert werden kann.
Ziel der folgenden Ausführungen soll es daher sein, sich durch gezielte Analyse einen Überblick über diese Fülle von Interpretationsmöglichkeiten zu verschaffen. Dazu möchte ich die vier meiner Meinung nach wichtigsten Thesen herausgreifen und auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüfen, um im Anschluss daran noch auf die verbreiteten Vermutungen bezüglich der Widmung einzugehen.
Als wichtigste und häufigste Ansätze gelten meines Erachtens folgende:
1. Der Bezug zu Napoleon
2. Die Bedeutung des Prometheus-Mythos
3. Der Bezug zur Französischen Revolution
4. Der autobiografische Hintergrund
Nach eingehender Analyse dieser zentralen Aspekte möchte ich mich abschließend der Frage zuwenden, wie die Sinfonie zu ihrem Namen „Eroica“ kam, was das Heroische bei Beethoven ausmacht – und ob man das Werk letztendlich als Absolute oder als Programmmusik werten sollte.
Interpretation der „Sinfonia eroica“
Die Interpretation eines musikalischen Werkes lässt sich grob in zwei übergeordnete Vorgehensweisen einteilen. Zum einen kann der Gehalt eines Stückes Musik auf äußere Einflüsse, Lebensumstände und Personen zurückzuführen sein, zum anderen führt der Weg zur inhaltlichen Entschlüsselung direkt zur Persönlichkeit des Komponisten.
Die folgenden Ausführungen möchte ich daher im Sinne dieser Kategorisierung in äußere und innere Beweggründe gliedern, um schließlich – sofern dies überhaupt möglich ist – sämtliche Fakten zu einem inhaltlichen Mosaik zusammenzufügen und das zu analysierende Werk weitestgehend zu erfassen.
1. Äußere Beweggründe
Kapitel I: Der Bezug zu Napoleon
a) Historischer Kontext
Napoleon Bonaparte – Erster Konsul der Französischen Republik und ab 1804 Kaiser der Franzosen – ist die Person, die als erste mit der „Sinfonia eroica“ in Verbindung gebracht wird. Im Zentrum der Vermutungen steht die Widmung[2], die ursprünglich ihm gegolten haben soll und später gelöscht wurde aus Wut des Komponisten über die eigenmächtige Ernennung des Konsuls zum Kaiser.
Wo aber erscheint Napoleon als Person in der Sinfonie? Was hat es zu bedeuten, dass Beethoven zwar die Widmung zuerst zerriss, dann aber schließlich doch mit Bleistift auf das Titelblatt schrieb „Geschrieben auf Bonaparte“? Wer ist der „grand uomo“, dessen Andenken gefeiert werden soll – auf Napoleon bezogen wäre es ungewöhnlich, das Andenken eines Mannes zu feiern, der noch lebt! Diesen Fragen möchte ich im Folgenden genauer nachgehen.
Um einen Einblick in die Thematik zu erhalten, muss man sich zunächst vergegenwärtigen, wer Napoleon für Beethoven war und welche Funktion er für ihn einnahm.
Napoleons Verdienst für die Bevölkerung schien unermesslich – in seinem „Code civil“ äußerte sich, was er für die Menschen erreicht hatte, u.a. persönliche Freiheit, Gleichheit vor dem Gesetz, Gewissens- und Arbeitsfreiheit. Mit diesem neuen Gesetzesentwurf hatte er die wesentlichen Regeln der modernen Gesellschaft durchgesetzt und konnte sich der Unterstützung der Bevölkerung sicher sein. Er galt als jugendlicher Held, als Symbol für Freiheit und Sieg, als regelrechter „Glücksfall für die Menschheit“[3] – für das Volk im Allgemeinen, und auch für Beethoven.
Dessen Neigung zu freien Staatsverfassungen – ausgelöst durch sein Interesse für Schriftsteller wie Plutarch und Platon[4] – äußerte sich in dem Wunsch nach uneingeschränkter Freiheit und Unabhängigkeit. Diesen Wunsch muss Beethoven in Napoleons Vorhaben wieder erkannt und ihn deshalb bewundert haben. Ausschlaggebender Faktor für diese Hochachtung waren einerseits die zahlreichen Siege, die Napoleon errungen hatte, um das Chaos der Revolution wieder in staatliche Ordnung zu bringen[5] – andererseits die Fähigkeit, sich von niedriger Position aus in kurzer Zeit so extrem hochgearbeitet zu haben und sich damit in den Dienst des Volkes zu stellen. Insofern sah Beethoven in diesem Ersten Konsul der Französischen Republik nicht nur den Kämpfer für die Freiheit und gegen Leid und Unterdrückung, sondern auch den Befreier und Erretter der Menschheit – als Vorbild und als Held in einer Person.
Unter diesen Voraussetzungen scheint es nur plausibel, die dritte Sinfonie als musikalische Heldenverehrung zu deuten, was Beethoven-Biografen wie George Grove und Alfred Heuß dazu veranlasste, sie direkt auf Napoleon zu beziehen. Ebenfalls aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch die Einstellung, die jener zur Musik hatte. Napoleon war der Ansicht, dass „ein moralisches Musikstück einem Lehrbuch der Moral überlegen“ sei, wenn es „um die Besserung der Menschen“ gehe. Gemäß dieser Äußerung komponierte Beethoven – ganz im Sinne Napoleons – „ein moralisches Musikstück nach dem anderen“[6], z.B. seine „Sinfonia eroica“!
b) Musikalischer Bezug
Wie aber äußert sich dieses Napoleonbild nun in der Musik? Ganz im Sinne der Interpretation werden hierbei alle Sätze nacheinander auf eventuelle Bezüge geprüft, was zu folgenden Ergebnissen führt:
Das Hauptthema des 1. Satzes gilt als Abbild der heldenhaften Persönlichkeit Napoleons und wird demnach als „Napoleonmotiv“[7] bzw. „Heldenthema“ bezeichnet. Dabei steht die charakteristische Dreiklangsbrechung der thematischen Gestalt im Vordergrund. Weitere Merkmale im Kopfsatz sind neben heldenhaften Themen jene nachdenklichen Passagen (wie z.B. das dritte Thema) als Kennzeichen für ein vielschichtiges Heldenleben. Weiterhin ergibt sich kurz nach der Exposition eine „Schlachtszene“, in der durch wuchtige Akkordschläge, Synkopen, Hemiolen bis hin zu scharfen Dissonanzen eine „schmerzverzerrte Kampfszenerie“ dargestellt werden soll.
Der inhaltliche Bezug im dritten Satz äußert sich im Scherzo darin, dass das Volk hier den Helden feiert, während jener im Trio eine Ansprache an die Bevölkerung hält[8]. Charakteristisch ist an dieser Stelle die Bedeutung des Horns und der Blechbläser im Allgemeinen in der Musik seit der Französischen Revolution, insofern als viele Hymnen von Komponisten wie Francois-Joseph Gossec extra dafür komponiert worden sind. In diesem Zusammenhang soll der Klang des Horns die Heldenhaftigkeit Napoleons besonders unterstreichen.
Im Finale „zeigt“ sich der Held schließlich im Poco Andante – wie ein römischer Konsul gibt er hier vor dem Volk seine Bestimmung ab[9], seinen „Code Napoleon“. Erneut ist es das Horn, das hier im Vordergrund steht, weil es der ursprünglichen Tanzmelodie, die dem Satz zugrunde liegt, durch gezielte Augmentation eine erhabene, würdevolle Wirkung gibt.
Insgesamt suggerieren sämtliche Musikbeispiele, die hier zur Personifizierung herangezogen werden, Überlegenheit, Kraft und Macht als charakteristische Symbole von Heldenhaftigkeit.
[...]
[1] Constantin Floros: Beethovens Eroica und Prometheus-Musik, Heinrichshofen’s Verlag, Wilhelmshaven 1978, S. 22
[2] Constantin Floros: Beethovens Eroica und Prometheus-Musik, S. 145
[3] Constantin Floros: Beethovens Eroica und Prometheus-Musik, S. 107
[4] Anton Schindler: Ludwig van Beethoven, Karl Glöckner Verlag 1949, S. 114
[5] Martin Geck/Peter Schleuning: Geschrieben auf Bonaparte, Rowohlt Verlag, Hamburg 1989, S. 113
[6] ebenda, S. 60
[7] Constantin Floros: Beethovens Eroica und Prometheus-Musik, S. 14
[8] ebenda
[9] ebenda
- Arbeit zitieren
- Uta Schmidt (Autor:in), 2006, Beethovens heroischer Ton am Beispiel seiner 3. Sinfonie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89420
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