Der Einsatz von Wahlcomputern bei der Bundestagswahl

Wird die Demokratie zur digitalen Urne getragen?


Seminararbeit, 2017

23 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

A) Wahlakt und Demokratiekonzeption
I. Annäherung an das Thema
II. Begriffsbestimmung
III. Historische Vorläufer

B) Entwicklung des Verfahrens der Stimmabgabe
I. Die direkte Methode der Antike
II. Der Stimmzettel der Neuzeit
III. Die Wahlgeräte der 1960er Jahre

C) Allgemeine Wahlrechtsgrundsätze
I. Bestimmungen des GG
II. Öffentlichkeit der Wahl

D) Einsatz elektronischer Wahlgeräte in Deutschland
I. Schleichende Revolution
II. Digitale Demokratie als Erfolgsmodell
III. Rationalisierung im politischen Betrieb

E) Wahlgeräte bei der Bundestagswahl 2005 und das
„Wahlcomputerurteil“ des Bundesverfassungsgerichts
I. Einsatz und Unterschiede nach Wahlkreisen
II. Marktanalyse: Hersteller der Wahlgeräte
III. Zulassungsverfahren
IV. Anfälligkeit für Manipulation?
V. Richterliche Konkretisierung des Öffentlichkeitsgrundsatzes
VI. Ausblick

Anhang

Literaturverzeichnis

Abbildungen

Abkürzungsverzeichnis

A – Wahlakt und Demokratiekonzeption

I. Annäherung an das Thema

Bei der Betrachtung der Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland und der Herausbildung der modernen Demokratie in Europa und der westlichen Welt sind es in den seltensten Fällen Fragen technischer Entwicklung, die prioritäre Stellung einnehmen. Gemeinhin werden lediglich diejenigen geschichtlichen, kulturellen und sozialen Ereignisse für die Beschaffenheit der politischen Verfasstheit als Gründe herangezogen, die positiv normative Wirkung entfalten konnten. Diese Haltung entbehrt auf den ersten Blick einer gewissen Legitimität nicht, doch ist sie in ihrer Ignoranz hintergründiger Aspekte gegenüber höchst unvollständig. Diese müssen zunächst in ihrem historischen Kontext beleuchtet werden. Trotz aller Schwierigkeiten, die sich unweigerlich mit dem Anspruch auf universelle Darstellbarkeit verknüpfen, erscheint es notwendig, über die üblichen Untersuchungsgegenstände hinauszugehen, um die Genese heutiger Gesellschaftsmuster auch politisch und juristisch angemessen beschreiben zu können. Es ist Bestreben der vorliegenden Arbeit, daran durch die Verbindung der juristischen, politischen und technischen Erfordernisse der Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes von Wahlgeräten zu partizipieren.

II. Begriffsbestimmung

Die vorliegende Arbeit ist Bestandteil des XV. Dresdner Schloss-Seminars zum Staatsrecht, mit der Thematik: „Der Einsatz von Wahlcomputern“. Folgend wird die Bezeichnung Wahlgerät verwendet, da sie dem überwiegenden Gebrauch des BVerfG entspricht.1 Das schließt nach Ductus des Gerichts die Termini Wahlgerät (rechnergesteuert oder elektronisch) und Wahlcomputer ein.2

III. Historische Vorläufer

Die Evolution menschlicher Entwicklung ist nicht denkbar ohne die Zuhilfenahme wie auch immer gearteter technischer Hilfsmittel. Gleiches gilt im übertragenen Sinne auch für die Konstituierung von Staatlichkeit; für deren zeitliche Anpassung eine conditio sine qua non. Die komplexen Organisationsanforderungen einer Demokratie stellen dabei seit je her eine besondere Herausforderung dar: In der Polis-Demokratie des antiken Griechenlands wurden bis auf wenige Ausnahmen Ämter nicht per Wahlvorgang, sondern per Los vergeben. Dafür kam ein Kleroterion (κλῆρος, Altgriechisch = Los) genanntes Gerät zum Einsatz. Auch wenn diesen Vorläufern somit per se eine grundsätzlich andere Aufgabe zukam als heutigen Wahlgeräten, lässt sich ihr technisch-mechanischer Charakter zur Gewährleistung der Wahl nicht leugnen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Kleroterion3

In die Schlitze wurden Plättchen mit den Namen der zur Wahl stehenden Personen gesteckt. In einen Röhrenmechanismus auf der Rückseite führte man schwarze und weiße Murmeln ein, die durch ihre zufällige Verteilung auf die Kandidaten die erfolgreichen Bewerber auslosten.4

Die Abbildung wurde aus urheberrechtlichen Gründen von der Redaktion entfernt.

Der grundlegende Unterschied zwischen einer antiken Losmaschine und einem modernen Wahlgerät liegt daher in der Intention des Einsatzes. Während ein Wahlgerät heutigen Typs – wie zu zeigen sein wird – lediglich dabei helfen soll, die Wahlentscheidung der Wähler zu sammeln und in der Gesamtheit des jeweiligen Wahlkreises abzubilden, so führt die antike Losmaschine selbst das Wahlergebnis herbei. Hierbei tritt eine deutliche Diskrepanz dessen zu Tage, was als Wahl im eigentlichen Sinne zu verstehen ist. Für das griechische Verständnis der Herrschaft des Volkes war dem Wahlakt mit einer Auslosung genüge getan. Nach heutigem Verständnis mag das fatalistisch anmuten, manifestiert sich doch unser parlamentarisches Bedürfnis nach Wahl in der Abstimmung untereinander durch die politische Willensbekundung jedes einzelnen Wählers, somit in der Stimmakkumulation der zur Auswahl bereitstehenden Kandidaten und Parteien. Diese Verantwortung ist en gros nicht zu delegieren.

Bereits diese kurze Untersuchung vermag zu zeigen, von welch fundamentaler Bedeutung der Einsatz technischer Hilfsmittel bei Wahlen sein kann. Von seinem Rahmen ist abhängig, wie wir unsere Gesellschaft begreifen, organisieren und auch in Zukunft sicherstellen wollen, dass sie weiterhin funktioniert.

B – Entwicklung des Verfahrens der Stimmabgabe

I. Die direkte Methode der Antike

Das Verfahren der Stimmabgabe ist das Kernproblem demokratischer Beschlussfassung. Als „Urform“ einer nach heutigem Verständnis demokratischen Wahl kann die Stimmabgabe per Handzeichen oder Aufstehen bezeichnet werden.5 Ihrer räumlichen Eingeschränktheit bewusst wurde diese Methode dem Zweck entsprechend angepasst. Beim Ostrakismos auf der athenischen Agora wurden noch Tonscherben mit Namen beschriftet, bei Abstimmungen im römischen Senat verwendete man bereits wiederverwertbare Wachstäfelchen.6 Viele Senatoren richteten sich jedoch schlicht nach der Entscheidung der erfahrensten Konsularen.7 Eine weitere Form der Mehrheitsfeststellung war das „Auseinandergehen“ (discessio) unterschiedlicher Meinungsführer und ihrer Anhänger, ähnlich dem noch heute im BT angewandten Hammelsprung -Verfahren (gemäß § 51 Abs. 2 GOBT). Jedoch kam es ebenso vor, dass ein Meinungsbild in der curia durch bloßes Aufstampfen oder Murren erzeugt wurde.8 Ein Relikt dessen ist der im angelsächsischen Raum (insb. US-Kongress) weiterhin praktizierte Zuruf „aye“ oder „nay“ zur Zustimmung bzw. Ablehnung eines Vorgangs. Bereits im Römischen Reich mussten jedoch Ausgang und Zustandekommen der Abstimmung öffentlich nachvollzogen werden können.9

II. Der Stimmzettel der Neuzeit

Die Reformströme des 19. Jahrhunderts zogen fast überall die Entstehung parlamentarischer Demokratien nach sich. Anders als in vormaligen identitären Demokratien verlangten die äußeren Umstände nach einem Verfahren, welches die Bündelung des Wählerwillens ermöglichte. Zwar waren seit jeher verschiedenste Wahlverfahren und Abstimmungsmethoden bekannt gewesen und diskutiert worden,10 doch gewann die Problematik durch die sich langsam demokratisierenden Flächenstaaten an Brisanz. Die Lösung für diese logistische Schwierigkeit bot die Urnen-Wahl.

Das vatikanische Konklave des Jahres 1198 kann als Erfinder des Stimmzettels gelten. Bei der Wahl Innozenz III. zum römisch-katholischen Papst wurde entgegen der im Mittelalter sonst üblichen Ballotage mit Murmeln11 nun Papier zur Kandidatenkür genutzt. Dies brachte viele praktische Erleichterungen mit sich, sodass man ab 1848 auf diese Errungenschaft zurückgriff und direkte Abstimmungen per Handzeichen in den meisten Ländern fast gänzlich verdrängt wurden.12

Einem bürgerlich-republikanischen Motto folgend, hatte jeder stimmwillige Bürger selbst für seinen Stimmzettel zu sorgen. Somit unterschieden sich die Stimmzettel in Form und Beschriftung stark, da sie in Bezug auf Formvorschriften lediglich von einem staatlichen Wahlaufseher anerkannt werden mussten, der die Rolle heutiger Wahlhelfer einnahm.13 Dies änderte sich erst am 31.12.1923 mit einer Novellierung des Reichswahlgesetzes. § 24 Sz. 1 RWahlG lautete nun: „Die Stimmzettel werden durch die Landesregierungen […] amtlich hergestellt […].“14 Damit vollzog sich gleichermaßen ein Wandel vom „republikanischen“ zum „gewährleistungsstaatlichen Modell des Wahlhelfers“, nach dem „die Sicherstellung der Durchführung von Wahlen zu den Kernaufgaben eines demokratischen Staates gehört“.15

III. Die Wahlgeräte der 1960er Jahre

§ 35 Abs. 3 des BWahlG in der Fassung vom 7. Mai 195616 ermöglichte den Einsatz von Wahlgeräten anstelle von Stimmzetteln aus Papier. Derartige „(elektro-) mechanisch betriebenen Zählwerke“17 kamen bei der BTWahl 1961 erstmals zum Einsatz. Allerdings unterschieden sich die Wahlgeräte der frühen 60er Jahre von denen der späten 90er Jahre dadurch, dass sie eher mechanische „Stimmenzählmaschinen“ denn elektronische „Wahlcomputer“ waren. So wurde 1975 vom BMI die Bundeswahlgeräteverordnung18 erlassen, nach der „mechanisch oder elektrisch betriebene Wahlgeräte bei Wahlen zum Deutschen Bundestag eingesetzt werden durften, wenn ihre Bauart zugelassen und ihre Verwendung genehmigt war“.19

C – Allgemeine Wahlrechtsgrundsätze

I. Bestimmungen des GG

In der Bundesrepublik Deutschland sind die Wahlrechtsgrundsätze für BT-Wahlen im GG verfassungsrechtlich normiert. Art. 38 Abs. 1 Sz. 1 GG nennt zu diesem Zweck fünf Prinzipien explizit: „Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt.“ Grundsätzlich müssen Wahlen mit Wahlgeräten diesen Anforderungen mindestens genügen, damit ihr Einsatz verfassungskonform ablaufen kann. Es handelt sich hierbei um eine notwendige, jedoch nicht um eine hinreichende Bedingung.20

a) Allgemeinheit

Grundsätzlich steht jedem Bürger sowohl das aktive als auch das passive Wahlrecht zu. Gemäß dem Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 GG sind Ausnahmen davon nur unter strengen Voraussetzungen denkbar.

Die Bedienung eines Wahlgeräts schließt per se keine Wählergruppe von der Teilnehme an der Wahl aus. Zudem hat sich neben diesen theoretischen Überlegungen in der Praxis gezeigt, dass entgegen vorab formulierter Bedenken auch von älteren und technischer weniger versierten Menschen nur vereinzelt Kritik am Verfahren geäußert wurde. Zumindest suggerieren dies einschlägige Presseberichte.21 Die Wahl mittels Wahlgeräten stellt für den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl mithin keine Beeinträchtigung dar.

Dennoch stellt sich die Frage, inwiefern noch von einer allgemeinen Wahl gesprochen werden kann, wenn ihr Gelingen schon verfahrenstechnisch von einem privatwirtschaftlichen Hersteller der Wahlgeräte abhängig ist. Der republikanische Ansatz, der bestärkt durch ständige Rechtsprechung des BVerfG die Wahl zu einer Angelegenheit der Bürger als deren staatsbürgerlicher Verpflichtung verklärt, erscheint schwer vereinbar mit dem Gewinninteresse (ausländischer) Unternehmen.22 An einem weit ausgelegten Allgemeinheitsbegriff könnten Wahlgeräte an die Grenzen der Verfassungskonformität stoßen.

b) Unmittelbarkeit

Die Unmittelbarkeit der Wahl verlangt generell danach, dass zwischen Wählerwille und Wahlergebnis keine dritte Partei – wie etwa Wahlmänner – involviert sein darf. Der Wählerwille soll durch nichts verfälscht werden können.23

Die Verwendung von Wahlgeräten dient der quantitativen Zählung der Stimmen, nicht deren quantitativer Gewichtung oder Bündelung. Das Wahlgerät ist deshalb bei ordnungsmäßiger Funktion keine zwischengeschaltete Instanz.24 Ob der Wähler nun einen Wahlzettel in eine Urne wirft oder eine Taste betätigt, ist für den Anspruch der Unmittelbarkeit belanglos, da diese Verfahrensänderung den materiellen Grundsatz unbeschadet lässt. Eine Verfälschung des Wählerwillens durch technische Hilfsmittel wäre hingegen mit der Unmittelbarkeit unvereinbar und strafbar, doch besteht hierin kein Unterschied zu herkömmlichen Wahlen und herkömmlichen Wahlfälschungsmethoden.

c) Freiheit

Sowohl das aktive als auch das passive Wahlrecht sind frei. Die Wahlentscheidung (auch die ungültige Stimmabgabe) soll frei von physischem und psychischem Zwang erfolgen. Nach dem Verständnis des GG kann niemand zur Wahl gezwungen werden, weshalb auch die Nichtwahl zulässig ist.

Wahlgeräte wirken sich ebenso wenig wie haptische Stimmzettel auf die Entscheidungsfindung des Wählers aus. Ihre Verwendung ist somit unter dem Gesichtspunkt der Freiheit der Wahl unbedenklich. Dies setzt (ähnlich dem Allgemeinheitsgebot, s. a) lediglich voraus, dass die Entscheidung, überhaupt an der Wahl teilzunehmen, nicht durch den Einsatz der Wahlgeräte bedingt ist. Das darf bezweifelt werden.25 Jedoch ist die einfachgesetzliche Konkretisierung von Art. 38 GG in § 35 BWahlG so zu interpretieren, dass dieses Phänomen ausgeschlossen wird. § 35 Abs. 1 erlaubt es den Kommunen, zugunsten von Wahlgeräten komplett auf Stimmzettel zu verzichten.26 Das BVerfG korrigierte diese Praxis in einem entsprechenden Urteil27 nicht, sodass sie als gefestigt gelten kann.28

d) Gleichheit

Das Demokratieprinzip des GG findet Verkörperung in Art. 20 Abs. 2, wonach das Volk der Souverän der Staatsgewalt ist. In diesem Verständnis besitzt jede gültig abgegebene Stimme den gleichen Zählwert und den gleichen Erfolgswert.29

Theoretisch wäre auch an dieser Stelle ein Wahlgerät denkbar, dass in einwandfreier Funktion jede Stimme gleich gewichten und ihr die gleiche Erfolgschance einräumen würde. Bei einer Manipulation, die nunmehr im Vorfeld der eigentlichen Wahl stattfindet, können jedoch Zählwertgleichheit und Erfolgswertgleichheit nicht garantiert werden, da der Manipulator schlechterdings darauf abzielt, das Ergebnis entgegen der Stimmabgabe zu beeinflussen. Zudem ist ein solcher Eingriff nach Abschluss der Wahl mangels Gegenbeweis in aller Regel unmöglich. In solch einem Fall, der die Gefahr der Fälschung aufgrund der technischen Beschaffenheit des Wahlgeräts als sehr wahrscheinlich darstellt, wäre die Verfassungskonformität des Einsatzes solcher Wahlgeräte demnach klar zu verneinen.

Grundsätzlich bewertet wird die Frage durch die umfassende Bedeutung des Gleichheitsgrundsatzes der Stimme angesichts seiner Verankerung im Demokratieprinzip. So rechtfertigt die schlichte Möglichkeit einer Nicht-Manipulation den Einsatz von Wahlgeräten nicht, da es oberstes Ziel des Staates sein muss, ein Wahlverfahren zu gewährleisten, dass die Nachvollziehbarkeit des Wahlergebnisses garantiert und ggf. eine Korrektur desselben ermöglicht.30 Abschließend erscheint es daher „nicht nur praktisch sinnvoll, sondern verfassungsrechtlich geboten […], für das Verfahren der Wahlprüfung eine Verkörperung der abgegebenen Stimme in einer vom Endergebnis unabhängigen Form zu verlangen.“31

e) Geheime Wahl

Der Prozess der Wahl muss so ablaufen, dass die Wahlentscheidung jedes Wählers anderen Wählern nicht ersichtlich ist. Dafür sind die nötigen organisatorischen und verfahrenstechnischen Schritte zu treffen.

In dieser Hinsicht scheint dem Einsatz von Wahlgeräten vordergründig lediglich logistische Hürden gesetzt. Es ist vernünftigerweise vorstellbar, dass auch ein Wahlgerät so platziert und bedient werden kann, dass der Wählerwille beim Akt der Stimmabgabe geheim bleibt. Doch darüber hinaus handelt es sich beim Prinzip der geheimen Wahl nicht bloß um einen Verfahrensgrundsatz, sondern um einen materiellen Grundsatz,32 ohne den der Grundsatz der Freiheit in Frage gestellt ist und eine demokratische Wahl beeinträchtigt würde. Jede Möglichkeit, die Wahlentscheidung des sich in der Wahlkabine befindenden Wählers würde zum sofortigen Verfassungsbruch führen. Es kommt erschwerend hinzu, dass „für den Einsatz von Wahlcomputern […] – im Gegensatz zur Briefwahl – keine verfassungsrechtlichen Gründe angeführt werden [können], welche geeignet wären, die Gefährdung einer geheimen Wahl im Rahmen einer Abwägung zu rechtfertigen.“33

Angesichts der Tatsache, dass entsprechende Sicherheitslücken bislang bei nahezu jeder mit Wahlgeräten abgehaltenen Wahl angemeldet wurden,34 wirkt der Einsatz von Wahlgeräten hoch problematisch. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass ein elektronisches System niemals den Sicherheitsstand einer herkömmlichen Auszählung erreichen kann,35 verletzten Wahlgeräte den Grundsatz der geheimen Wahl.

II. Öffentlichkeit der Wahl

Technische Neuerungen stellen das Wahlrecht beständig vor neue Herausforderungen. Dies führt zu neuen Anforderungen, die (vom BVerfG formuliert) an den Hergang einer demokratischen bundesdeutschen Wahl gestellt werden.36

a) Ein ungeschriebener Grundsatz?

Die Legitimation der parlamentarischen Demokratie gründet sich nicht zuletzt auf das Vertrauen der Bürger auf die Korrektheit der Wahlergebnisse. Daher müssen alle Wahlvorgänge öffentlich sein in einer Form, die die Kontrolle der Ergebnisse ermöglicht und ihre Entstehung nachvollziehbar macht. Dieser Grundsatz der Öffentlichkeit wurde vom BVerfG zunächst aus dem Demokratieprinzip abgeleitet.37 Mit dem „Wahlcomputer-Urteil“38 wurde der Öffentlichkeitsgrundsatz spätestens 2009 zum verfassungsrechtlichen Prinzip erhoben.39 Doch auch in dieser Entscheidung argumentiert das BVerfG auf Grundlage von Art. 38 Abs. 1 Sz. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG. In der Rechtswissenschaft divergieren daher die Meinungen darüber, ob der Grundsatz der Öffentlichkeit als neuer, ungeschriebener Wahlrechtsgrundsatz oder lediglich als Konkretisierung bestehender Vorschriften zu sehen ist.40

b) Einfluss auf den Einsatz von Wahlgeräten

Für den Einsatz von Wahlgeräten ergeben sich durch die Entscheidung des BVerfG enge Grenzen. Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl verlangt die Überprüfbarkeit aller „wesentlichen Schritte der Wahl, soweit nicht andere verfassungsrechtliche Belange eine Ausnahme rechtfertigen.“41 Diese „Grundvoraussetzung für eine demokratische Willensbildung“42 gilt umso zwingender für den Umgang mit Wahlgeräten, deren Sinn und Zweck es ist, ein Ergebnis anstelle langwieriger manueller Auszählung schnell zu berechnen. Eine Beeinträchtigung des Öffentlichkeitsgrundsatzes liegt hier allein prozessual bereits nahe. Für diesen Fall formuliert das BVerfG, dass auch „beim Einsatz elektronischer Wahlgeräte […] die wesentlichen Schritte der Wahlhandlung und der Ergebnisermittlung vom Bürger zuverlässig und ohne besondere Sachkenntnis überprüft werden können“ müssen.43

[...]


1 BVerfG, Urteil vom 03.03.2009 - 2 BvC 3/07, BVerfGE 123, 39-88.

2 Ebda. RN 1, ebenso Abs. 3 Sz. 1 BWahlGV.

3 Kosmolaut, Losmaschine mit Murmelbahn und Namensscheiben, Stoa des Attalos, 11.11.2009.

4 Dow, in: Wissowa, Kroll, Mittelhaus (Hrsg.), Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, Supplementband VII, S. 322-328.

5 Wild, in: Menzel/Müller-Terpitz (Hrsg.), Verfassungsrechtsprechung, S. 868.

6 Mommsen, Abriss des römischen Staatsrechts, 3. Auflage 1974, S. 270.

7 Volkmann, in: Ziegler/Sontheimer/Gärtner (Hrsg.), Der kleine Pauly, Bd. V 1979, S. 107.

8 Nicht zu verwechseln mit dem durch Lenin geprägten Begriff der „Abstimmung mit den Füßen“.

9 Volkmann, in: Ziegler/Sontheimer/Gärtner (Hrsg.), Der kleine Pauly, Bd. V 1979, S. 109.

10 Waley, Die italienischen Stadtstaaten, 1969, S. 63.

11 Buchstein, Öffentliche und geheime Stimmabgabe, 2000, S. 168 ff.

12 Wild, in: Menzel/Müller-Terpitz (Hrsg.), Verfassungsrechtsprechung, S. 868.

13 Buchstein, Forschungsjournal NSB 04/2005, S. 7 ff. (8).

14 RGBl. 1924 I, 20, im bundesdeutschen Recht heute geregelt in § 34 Abs. 1 BWahlG.

15 Buchstein, Forschungsjournal NSB 04/2005, S. 7 ff. (9).

16 BGBl. I, S. 383.

17 Schreiber, BWahlG § 35, RN 2, VI.

18 BWahlGV vom 3.9.1975, BGBl. I, S. 2459.

19 BVerfG, Urteil vom 3.5.2009, 2 BvC 3/07, RN 7.

20 Die einfachgesetzlichen Bestimmungen werden in Kapitel D) und E) gesondert behandelt.

21 Ostler, Ulrike, Knopfdruck statt Kreuzchen. Die Kölner stimmen per Wahlcomputer ab, Computerwoche vom 17.9.1999, Seite 10.

22 Buchstein, Forschungsjournal NSB 04/2005, S. 7 ff. (13).

23 BVerfGE 3, 45, 49 ff.

24 Schiedermair, JZ 4/2007, S. 162 ff. (S. 166).

25 Sietmann, c’t 20/2006, S. 86 ff. (S. 88).

26 Schreiber, BWahlG, § 35 RN 2.

27 BVerfGE 123, 39-88 (39 ff.).

28 Schreiber, BWahlG, § 35 RN 5.

29 Etwa in BVerfGE 95, 335, 353.

30 BVerfGE 85, 148, 157ff.

31 Schiedermair, JZ 4/2007, S. 162 ff. (S. 167).

32 Maurer, Staatsrecht I, 2010, S. 379.

33 Schiedermair, JZ 4/2007, S. 162 ff. (S. 168).

34 Ebda. FN 73 mit Verweis auf „Nedap/Groenendaal ES3B voting computer – a security analysis“.

35 Sietmann, c‘t 20/2006, S. 86 ff. (S. 87 ff.).

36 Wild, in: Menzel/Müller-Terpitz (Hrsg.), Verfassungsrechtsprechung, S. 868.

37 BVerfGE 121, 266 – 317, RN 82.

38 BVerfGE 123, 39 – 88.

39 Albrecht, Küchenhoff, Staatsrecht, 3. Auflage 2015, RN 109a.

40 Pieper, Staatsorganisationsrecht, 14. Auflage 2012, RN 197.

41 BVerfG, Urteil vom 03.03.2009, 2 BvC 3/07, RN 111, BVerfGE 123, 39 – 88.

42 Ebda. RN 106.

43 Ebda. RN 118.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Der Einsatz von Wahlcomputern bei der Bundestagswahl
Untertitel
Wird die Demokratie zur digitalen Urne getragen?
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Juristische Fakultät)
Veranstaltung
Dresdner Schloss-Seminar zum Staatsrecht
Note
1,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
23
Katalognummer
V899567
ISBN (eBook)
9783346219206
ISBN (Buch)
9783346219213
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wahlcomputer, Bundestagswahl, Wahlrecht, Demokratie
Arbeit zitieren
Magnus Obermann (Autor:in), 2017, Der Einsatz von Wahlcomputern bei der Bundestagswahl, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/899567

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