Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1.Einleitung
2.Die Aufgaben der Schule
3. Begriffsklärung
3.1 Behinderung
3.2 Inklusion und Integration
4. Die Verwirklichung der inklusiven Bildung
5. Das Stigma behinderter Menschen
5.1 Stigmatisierung
5.2 Einstellung zu Kinder und Jugendlichen mit Behinderung
6. Ausblick
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Durch die Ratifizierung der UN- Behindertenrechtskonvention in Deutschland vom 26.03.2009 sollen allen Menschen mit Behinderungen die gleichen Rechte und Chancen zuge-sprochen werden wie Nichtbehinderten. Das Übereinkommen sichert die gleichberechtige Teil-habe behinderter Menschen und fordert die Einbindung Behinderter in alle Lebensbereiche un-serer Gesellschaft. Im Hinblick auf das Bildungssystem soll es demnach Kindern und Jugend-lichen mit Behinderung bestmögliche Bildungschancen bieten und Exklusion ausschließen. Anders ausgedrückt: anstelle einer homogenen Gesellschaft soll Heterogenität als Selbstverständ-lichkeit angesehen werden und an den Begriff „Pädagogik der Vielfalt“ von Prengel (Prengel, 2006) anknüpfen, in der Annahme, dass Gleichberechtigung auf Verschiedenheit abzielen solle. Demzufolge sind also alle Menschen gleich und verschieden zugleich. In der vorliegenden Arbeit setze ich mich mit der gegenwärtigen Situation behinderter Kinder und Jugendlicher in unserer Gesellschaft auseinander. Meine eigene Motivation bezüglich dieser Arbeit war die Frage, wie man behinderten Kinder und Jugendlichen die gleichen Bildungs- und Entfaltungs-möglichkeiten bieten kann und mit welchen Herausforderungen bzw. Hindernissen sie konfron-tiert sind. Dabei werde ich zunächst die Aufgaben der Schule darlegen und mich anschließend den für diese Arbeit relevanten Begrifflichkeiten wie Behinderung, Inklusion und Integration widmen. Anschließend stelle ich die aktuelle Verwirklichung der inklusiven Bildung vor, the-matisiere den Stigmatisierungsbegriff und zeige auf welche Vorurteile seitens der Gesellschaft behinderte Kinder und Jugendlichen stoßen.
2. Die Aufgaben der Schule
Schule nimmt einen sehr großen Raum in der Kindheit und Adoleszenz ein und hat maßgebliche Auswirkung auf die späteren zukünftigen Sozialchancen in unserer Gesellschaft. Nach Thoma (2009) sei sie eines der nachhaltigsten und umfassendsten Systeme, das enorme Spuren im Verlauf der individuellen Biografie hinterlässt. Durch die bestehende Schulpflicht und die damit einhergehenden Aufgaben stellen sie in der Kindheit und Adoleszenz einen Le-bensraum dar und nehmen somit einen direkten Einfluss auf die Lebensgestaltung (vgl. Thoma 2009: 19). Das in Deutschland bestehende dreigliedrige Schulsystem trägt schon sehr früh in seiner Struktur zu den Phänomenen der Separierung und Kategorisierung der Schüler hinsicht-lich ihrer Leistung und Fähigkeiten bei. Bereits im Alter von 10 Jahren unterliegen die Kinder dem extremen Selektionsprozess. Im Vergleich zu meinem Heimatland Polen erfolgt die so genannte Selektierung der Schüler nach ihren Leistungen und Prädispositionen erst nach der achten Klasse. Die frühzeitige Aufteilung der Schüler verweigert meines Erachtens die Chan-cengleichheit und bildet eine große Gefahr für die Fehlinterpretierung der möglichen kindlichen Potenziale. Dem Kind wird also sehr früh ein Etikett auferlegt und durch die Empfehlung bzw. Entscheidung des Lehrers wird es in eine bestimmte Schublade gesteckt, was meines Erachtens sich aus sozialer Sicht sehr ungerecht darstellt. Nach dem sozialpädagogischen Wörterbuch sei Schule die Institution der Gesellschaft und wird dann folglich durch ihre Interessen bestimmt (vgl. Hinz 1993: 118). Sie unterliegt also bestimmten Zwecken, die durch Staat und Gesell-schaft konzipiert wurden. Demzufolge kann man der Institution Schule folgende Funktionen zuschreiben (vgl. ebd.):
- eine Qualifikationsfunktion fordert von den Kindern bestimmte Fähigkeiten, Kenntnisse und Kompetenzen, die für das spätere „Funktionieren“ in unserer Gesellschaft vonnöten sind. Die Kriterien darüber, welche Fertigkeiten benötigt werden, unterliegen dem kulturellen und tech-nologischen Wandel und sind durch diese Trends bedingt. Darüber hinaus werde aktuell von der Schule erwartet, dass sie die sogenannten Softskills wie bspw. bestimmte Verhaltensdispo-sitionen vermitteln soll (vgl. ebd.);
- eine Selektions- und Allokationsfunktion zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Schüler auf verschiedene Schullaufbahnen und damit auch in Bezug auf ihre späteren sozialen Chancen hin sortiert. Diese Selektion erfolgt durch Zensuren, Schulempfehlungen, Abschlüsse und hat weit-reichende Auswirkungen hinsichtlich der späteren Berufsposition und der damit eingehenden sozialen und gesellschaftlichen Position. Die Funktion der frühzeitigen Zuweisung bestimmter Lebenschancen bezeichnet man als die Allokationsfunktion (vgl. ebd.: 119);
- eine Integrationsfunktion beinhaltet die Fügung der Schüler zu den von der Gesellschaft ge-wünschten und akzeptierenden Haltungen, Einstellungen und Verhaltensweisen. Die Vermitt-lung dieser Normen soll demnach möglichst reibungslos erfolgen (vgl. ebd.)
Die drei oben dargelegten Funktionen der Schule zeigen deutlich, dass durch diese „Funktionalisierung“ des Schulwesens sehr wenig oder gar kein Spielraum geboten wird, damit sich Kinder zu selbstbestimmten, durch ihre individuellen Einzigartigkeiten gekennzeichneten, stolzen und verantwortungsvollen Subjekten entfalten können. Dies gilt insbesondere für Kinder mit Behinderung, die schon aufgrund ihrer sozialen Positionierung und ihres erhöhten Un-terstützungsbedarfs bereits unter erschwerten Bedingungen die Schulzeit durchlaufen müssen und somit geringe Chancen im Vergleich zu den nichtbehinderten Kindern haben, um die formale Bildung zu erlangen. Sehr kritisch ist die Selektions- und Allokationsfunktion der Schule anzumerken. Statt der damit einhergehenden Homogenität soll meiner Meinung nach an dieser Stelle Heterogenität treten, bei der Kinder mit und ohne Beeinträchtigungen voneinander lernen, sich gleichzeitig unterstützen und eine tolerante Haltung und Akzeptanz internalisieren können. Homogenität im Diskurs um die schulische Chancengleichheit behinderter Kinder raubt jeglichen Entfaltungsraum, in dem Verschiedenheit als Bereicherung und eine Form der sozialen Kompetenz angesehen werden kann. Aus diesem Grund soll dringend an diesem Punkt ein Umdenken in unserer Gesellschaft und folglich dem Schulwesen stattfinden. Ebenso kann man den Integrationsprozess der Schule hinsichtlich behinderter Kinder kritisch betrachten. Während Integration von der Anpassung der Schüler an die bestehende Gesellschaft und der Behebung der Defizite ausgeht, sollte an dieser Stelle auf Inklusion gesetzt werden, in der die Verschiedenheit und Individualität der Schüler optimal gefördert wird (vgl. Powell, Wagner 2014:181). Integration impliziert, dass Kinder, die von der Gesellschaft ausgeschlossen sind, sich dieser Gesellschaft anzupassen haben. Sie werden dabei durch soziale Kontrollmechanis-men auf erwünschtes Verhalten getrimmt.
3. Begriffsklärung.
3.1 Behinderung
Der Begriff Behinderung ist in unserer Gesellschaft negativ behaftet und mit etwas De-fizitärem oder als etwas, was von der Norm abweicht, konnotiert. Duden (2018) nennt unter Behinderung folgende Lexeme: Beeinträchtigung, Erschwerung, Hemmung, Hinderung, Kom-plizierung, Störung, Unterdrückung, Verkomplizierung, Verzögerung. Die UN BRK1 gibt keine genaue Definition von Behinderung an, in der Präambel im Absatz e) wird erwähnt, dass “das Verständnis von Behinderung sich ständig weiterentwickelt und dass Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und Einstellungs- und Umwelt-bedingten Barrieren entsteht” (UN-Behindertenrechtskonvention 2017: 5). Der Ansatz der Disability Studies sieht Behinderung aus der sozial-kulturellen Perspektive, nach der Behinde-rung als ein Konstrukt des gesellschaftlichen Prozesses angesehen wird (vgl. Waldschmidt 2005). Demnach untersuchten Disability Studies die Kategorien und Kriterien, die zu dem Phä-nomen führen. Nach deutschem Recht sind Menschen behindert, "[...] wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher die Teil-habe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist". (SGB IX § 2 Absatz 1; Satz 1; 2001). Behinderung in diesem Sinne beschränkt sich nicht nur auf den körperlich, geistigen Zustand der Person, sondern auf die eingeschränkte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, die sich durch externe Einflüsse in Folge dieses Zustands herausbilden (vgl. Felkendorff 2014: 122). Kast und Felkendorff kritisieren, dass sich die meisten Definitionen lediglich auf den juristisch-medizinischen Aspekt beschränken und schlagen eine Aufteilung in Schädigung (impairment), Behinderung (disability) und Benachteiligung (handicap) vor (vgl. ebd. 2014: 122). Das Handicap sehen sie dabei als eventuelle soziale Folge von Behinderung (vgl. ebd.). Zusammenfas-send lässt sich sagen, dass es keine objektiven Maßstäbe gibt, die genaue Kriterien einer Be-hinderung angeben. Behinderung ist demzufolge an die gesellschaftlichen Normen und Krite-rien gekoppelt und wird durch diese bestimmt.
3.2 Inklusion und Integration
Die Begriffe der Integration und Inklusion werden unterschiedlich ausgelegt und abhän-gig vom Kontext verwendet man dabei oft eine andere Interpretation, die ein Missverständnis erzeugen kann. Nicht selten werden sie sogar in pädagogischen Lexika und Nachschlagwerken als Synonyme verwendet. Bereits die erste offizielle Übersetzung der UN Behindertenkonven-tion sorgte für eine Verwirrung, weil man irrtümlicherweise im Artikel 24 das englische Wort “inclusion” als “Integration” übersetzte.2 Im deutschsprachigen Raum wird oft unter Inklusion die erweiterte Form der Integration verstanden. Grundsätzlich kann man sagen, dass das Integ-rieren im schulischen Kontext sich auf das Anerkennen von bestimmten Merkmalen und Be-dürfnissen eines Schülers bezieht, der dann im weiteren Schritt in die Gesellschaft eingebettet bzw. „integriert“ werden soll (vgl. Powell, Wagner 2014: 181). Es geht also darum, den Schüler in die Gesellschaft einzubeziehen und ihn dabei möglichst gesellschaftsfähig zu machen. Anders ausgedrückt: man lenkt den Fokus auf die Defizite des Schülers, die anschließend behoben werden sollen. Das übergeordnete System stellt demnach die Gesellschaft dar, in die sich die Kinder einfügen sollen. Der inklusive Gedanke lenkt wiederum den Fokus auf das System, das in Frage gestellt werden und sich auf das jeweilige Individuum und seine Förderung richten soll (vgl. ebd). So gesehen löst Inklusion den Integrationsbegriff ab, führt ihn weiter und baut ihn aus. Während Integration die Unterscheidung nach „Mängeln“ voraussetzt und die Differenzierung in zwei dichotome Gruppen nach behindert und nicht behindert einschließt, bezieht sich die dabei die Inklusion auf die Heterogenität des Systems und erkennt die Ver-schiedenheit als Normalität an. Nicht die Individuen, sondern das System muss dabei optimiert werden. Hinz und Boban weisen darauf hin, dass die integrativen Strukturen nicht die Vereini-gung von Widersprüchen gewährleisten können, ohne dabei auszusortieren und anzupassen (vgl. Boban/Hinz 2003: 38). Das heißt also, dass sich Integration nach der Dimension der An-dersartigkeit richtet. bei dem inklusiven Ansatz hingegen wird die Heterogenität der Lern-gruppe unter verschiedenen Dimensionen wie kulturelle Hintergründe, soziale Lagen sowie Fä-higkeiten oder Einschränkungen mitberücksichtigt (vgl. ebd.: 39). Es wird also gefordert, alle Kinder als vollwertige Mitglieder der Gemeinschaft zu betrachten und ihnen somit die gleichen sozialen Chancen zu garantieren. Integrationsprozesse bieten meines Erachtens Platz für Dis-kriminierung, in dem Kinder nach behindert und nichtbehindert etikettiert und kategorisiert werden, wodurch die Beeinträchtigungen hervorgehoben werden.
4. Die Verwirklichung der inklusiven Bildung
Durch das Inkrafttreten der UN Behindertenrechtskonvention sind Anstrengungen im deutschen Schulsystem unternommen worden, um die Rechte der behinderten Kinder und Ju-gendlichen zu sichern. Wie die inklusive Bildung in der Praxis in den jeweiligen Bundesländern umgesetzt wird, werde ich im folgenden Abschnitt schildern. Dabei greife ich auf die Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte „Inklusive Bildung: Schulgesetze auf dem Prüf-stand“ zurück.
Demnach gilt Bremen als Vorreiter in Hinblick auf die Umsetzung der inklusiven Bil-dung, denn nur dort hat man die Förderschule aufgelöst, während sie in allen anderen Bundes-ländern immer noch ein Teil des Schulsystems ist (vgl. Mißling, Ückert 2014: 26). Durch die Erhaltung der Sonderschulen, werden Kinder mit Behinderungen also weiterhin auf diese Schulart verwiesen und vom Besuch auf der Regelschule ausgeschlossen. Dadurch werden mei-nes Erachtens die behinderten Kinder Aussonderungs- und Ausgrenzungsprozessen unterwor-fen. Damit diese gesonderte Beschulung unterbunden wird, besteht also weiterhin in den rest-lichen Bundesländern großer Veränderungsbedarf hinsichtlich des rechtlichen Schulsystems. So kann man die Vorschriften, die den Schulbehörden die Zuweisung eines Kindes an eine Sonderschule einräumen, nach dem Artikel 5 Absatz 2 UN BRK als diskriminierende Maß-nahme auslegen (vgl. ebd.: 27). Ausschließlich in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt besteht
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1 UN BRK – UN Behindertenrechtskonvention
2 https://www.behindertenrechtskonvention.info/schattenuebersetzung-3678/ [Zugriff am 20.02.2018]