Der Komponist und Dramatiker Richard Wagner ist ein „Mittler des Mittelalters“ – für seine und für unsere Zeit. Seine Opern haben das Interesse am Mittelalter und an den alten Mythen wenn nicht geweckt, so doch deutlich belebt.
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Ohne Wagner wären wahrscheinlich viele der bedeutendsten Sagen und ihre schriftlichen Überlieferungen heute nur noch einem kleinen Kreis von Mediävisten und Mittelalterfreunden bekannt. „Wer allerdings meint, aus Wagners Werken etwas Zuverlässiges über das sog. Mittelalter, die mittelalterlichen Dichtungen und Sagen zu erfahren, der irrt gründlich.“ Seine Opern sind durchzogen von historischen Ungenauigkeiten und Fehlern, die in den folgenden Kapiteln dieser Arbeit noch angesprochen werden sollen, und selbst die mythische Welt des Mittelalters hat der Dichterkomponist nicht getreu ihren Quellen wiedergegeben.
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Herfried MÜNKLER schreibt in seinem Essay 'Richard Wagner' im Sammelband 'Deutsche Erinnerungsorte' von Etienne FRANÇOIS und Hagen SCHULZE über den Dichterkomponisten: „Mit der Person und dem Werk Richard Wagners lassen sich zahlreiche materielle wie immaterielle, reelle wie symbolische Erinnerungsorte assoziieren.“ Wagner hat durch seine Musikdramen Städte und Landschaften wie Nürnberg, Brabant oder die Wartburg „mit mythischem Sinn aufgeladen“ und „ihrer tagtäglichen Profanität überhoben“. Durch seinen Ring wurde die Rheinromantik des 19. Jh. verstärkt, die Tetralogie aber auch der Parsifal machten den ‚Deutschen Wald’ zum romantischen Erinnerungsort. Wagners Einfluss auf König Ludwig II. hat ganz entscheidend die Gestaltung Neuschwansteins beeinflusst und durch das eigens für den Komponisten gebaute Bayreuther Festspielhaus ist aus einer fränkischen Kleinstadt ein weltberühmter Kulturtreffpunkt geworden. So wurden diese Orte – teilweise schon zu Lebzeiten Wagners – zu „sakralen Orten“ im kollektiven Gedächtnis der Deutschen, wie auch der internationalen Wagner-Gemeinde.
Doch in der Gedächtnislandschaft der Menschen sind ‚Erinnerungsorte’ nicht nur geografische Orte. Keine Gesellschaft ist denkbar ohne eine Identifizierung mit großen Persönlichkeiten, und so sind viele Erinnerungsorte denn auch personaler Natur. FÜHRER bezeichnet Wagner als den „Musiker-Erinnerungsort schlechthin.“
Inhaltsverzeichnis
I. Zur Einleitung:
Richard Wagner erinnert sich an die Welt des Mittelalters
I.1 Richard Wagner und das Mittelalter
I.2 Richard Wagner und die Erinnerung
II. Erinnerungsorte bei Wagner
II.1 Tannhäuser und die Wartburg
II.2 Die Meistersinger und Nürnberg
II.3 Lohengrin und seine Burgen
II.3.1 Lohengrin in Belgien
II.3.2 Lohengrin in Kleve
III. Erinnerungsorte durch Wagner
III.1 Neuschwanstein
III.2 Mythos Bayreuth
IV. Als Schlusswort:
Die Welt erinnert sich an Richard Wagner
IV.1 Der ideologisierte Wagner
IV.2 Der kommerzialisierte Wagner
Literaturverzeichnis
A: Quellen
B: Darstellungen
C: Internet
Abbildungsverzeichnis
I. Zur Einleitung:
Richard Wagner erinnert sich an die Welt des Mittelalters
I.1 Richard Wagner und das Mittelalter
Der Komponist und Dramatiker Richard Wagner ist ein „Mittler des Mittelalters“[1] – für seine und für unsere Zeit. Seine Opern haben das Interesse am Mittelalter und an den alten Mythen wenn nicht geweckt, so doch deutlich belebt.
Das Mittelalter ist in den frühen Opern Wagners eher zufällig und beiläufig Handlungszeit: „es sind Geschichten, die im Mittelalter spielen, keine mittelalterlichen Geschichten.“[2] Die Wende kam erst 1845 mit dem Tannhäuser. Aber schon 1841 hatte der Dichterkomponist mit Dem fliegenden Holländer erstmals eine ‚deutsche’ Volkserzählung aufgegriffen, was für die damalige Oper noch sehr ungewöhnlich war. Wagner hatte in Paris, dem Mittelpunkt der kulturellen Welt des 19. Jahrhunderts, keine Anerkennung gefunden. Er gab die Schuld hierfür „der Herrschaft des französischen und italienischen ‚Geschmack’ über die Oper“[3] und besann sich fortan auf sein ‚Deutschtum’.
Ohne Wagner wären wahrscheinlich viele der bedeutendsten Sagen und ihre schriftlichen Überlieferungen heute nur noch einem kleinen Kreis von Mediävisten und Mittelalterfreunden bekannt.[4] „Wer allerdings meint, aus Wagners Werken etwas Zuverlässiges über das sog. Mittelalter, die mittelalterlichen Dichtungen und Sagen zu erfahren, der irrt gründlich.“[5] Seine Opern sind durchzogen von historischen Ungenauigkeiten und Fehlern, die in den folgenden Kapiteln dieser Arbeit noch angesprochen werden sollen, und selbst die mythische Welt des Mittelalters hat der Dichterkomponist nicht getreu ihren Quellen wiedergegeben.
Wagners Rezeption des Mittelalters entsprach ganz der seiner Zeit. Das deutsche 19. Jahrhundert war zwar das „Jahrhundert der Geschichte“[6], doch war das Geschichtsbild geprägt von Nationalbewegung und Romantik. „Bei der Suche nach der deutschen Nation in der Geschichte entdeckten die hiesigen Historiker des 19. Jahrhunderts das Mittelalter als besonders dankbaren Gegenstand ihrer Betrachtung. [...] Denn man glaubte, in jener fernen Zeit den geeinten deutschen Nationalstaat schon einmal verwirklicht zu sehen, den man sich für die eigene Zukunft wünschte – und das in einer besonders mächtigen und glanzvollen Ausprägung.“[7] Eine allumfassende Mittelaltersehnsucht wurde zum „kulturelle[n] Allgemeingut des Bürgertums.“[8] Das romantische Mittelalterbild hatte märchenhaften Charakter, nicht historische Persönlichkeiten und Ereignisse waren entscheidend, sondern Mythen. So schrieb Wagner: „Der Menschen und Geschlechter rastloses Streben und Drängen nach nie erreichten Zielen erhält aus ihren Ur- und Stammsagen meist eine deutlichere Erklärung, als sie aus ihrem Auftreten in der nackten Geschichte [...] zu erlangen ist.“[9] Zwar fesselten mittelalterliche Persönlichkeiten und ihre tatsächlichen Schicksale den Dichterkomponisten und er versuchte immer wieder, sie in seinen Werken zu ‚verlebendigen’, doch behinderte die historische Fixierung seine künstlerische Freiheit. Eine Opernkonzeption über Martin Luther gelangte nie zur Bühnenreife. Aus Wagners Versuch, das Schicksal des verehrten Friedrich II. auf der Bühne darzustellen, wurde schließlich das unvertonte Musikdrama Die Sarazenin über des Königs unbekannteren Sohn Manfred, dessen Leben dem Künstler mehr Spielraum ließ. Und auch die Idee zu einer Oper über Friedrich Barbarossa, scheiterte an Wagners Einsicht, dass er die historischen Verhältnisse nicht darstellen konnte. Der Dichterkomponist sah aber Parallelen zwischen dem historischen Kaiser Barbarossa und dem mythischen Held Siegfried, ja die Staufer sogar als Nachfahren der Nibelungen. So entstand schließlich Wagners Ring.[10]
Wagner kam also immer wieder zum ‚Ungeschichtlichen’, zum Mythos zurück. Doch waren viele Dichter und Dramatiker des 19. Jahrhunderts der Auffassung, dass die Handschriften ihrer mittelalterlichen Kollegen den Sagenschatz der mündlich tradierten Volkspoesie verfälschen würden.[11] Wagner, der zweifelsohne bei den Konzeptionen seiner Bühnenwerke systematische Quellenstudien betrieb, war auf der Suche nach archaischeren, unbekannteren und daher volksnäheren Überlieferungen. Bei Lohengrin, Parsifal und Tristan wurde er von „den ächten Zügen der Sage“ angezogen, jedoch „von der Unfähigkeit des Dichters schroff abgestoßen.“[12]
Anfangs hat Wagner die aus dem Mittelalter übernommenen Stoffe stark erweitert, beim Tannhäuser und beim Lohengrin ermöglichten erst die Erweiterungen einen dramatisch wirksamen 2. Akt (Sängerkrieg, Münstergang der Königinnen) und damit eine dramatisch tragfähige Bühnenhandlung. Bei den späteren Opern Tristan und Parsifal kommt es zu einer immer stärkeren Reduktion der Stoffvorlage auf bestimmte Teile der Handlung. In der Tetralogie des Ring findet sich beides (Die ersten beiden Teile der Tetralogie sind ja genau zwischen den beiden Typen entstanden, die letzten Teile zumindest vor Parsifal). Wagner hat den gesamten zweiten Teil des Nibelungenlieds, die Rache Kriemhilds, nicht verarbeitet. Dafür hat er aber eine Einbettung der Handlung in die Göttergeschichte vorgenommen. Wie beim Tannhäuser hat der Dichterkomponist verschiedene Vorlagen kompiliert und so eine neue Legende geschaffen, Müller nennt dies „Mythosproduktion“ durch „Mythossynthese“[13].
Wagners Ring hat bis heute die Vorstellung von der germanischen Götterwelt geprägt und die Rezeption des Nibelungenlieds bestimmt.[14] Die alten Sagen und Legenden, durch den ‚Mittler des Mittelalters’ deutlich populärer geworden, wurden fortan „mit Wagners Augen“[15] gelesen. „Sein Mythos ist der seines Jahrhunderts und nicht der Vorzeit.“[16] Denn ebenso wie es Wagner den Minnesängern des Mittelalters vorwirft, hat auch er – vielleicht bewusst, vielleicht unbewusst – in das Mittelalter und in die mittelalterlichen Mythen Politik, Probleme und Ideologie seiner Zeit projiziert und mitunter vielleicht auch private Situationen auf der Bühne verarbeitet.
„So kann uns Wagner doch etwas über das Mittelalter sagen, sein ‚falsches’ Mittelalter sollte unsere – ebenfalls historisch befangenen – Erkenntnismöglichkeiten immer wieder sensibilisieren und damit produktiv machen, uns in unserem historischen Verständnis verunsichern.“[17]
I.2 Richard Wagner und die Erinnerung
Richard Wagner als ‚Mittler des Mittelalters’? Trotz aller historischen Ungereimtheiten und Mythosverfremdungen in seinen Werken? Es wurde klar, dass der Dichter-komponist des 19. Jahrhunderts nicht als ‚objektiver Historiker’ gesehen werden kann. Aber Wagner beeinflusste das Mittelalterbild seiner Zeitgenossen und trug damit bei zu einer „öffentliche[n] Erinnerungskultur, die eigenen Gesetzen unterliegt.“[18] Hier wird nicht nur interpretiert, sondern auch selektiert und vergessen. Diese ‚kollektive Erinnerung’ soll Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein.
Herfried Münkler schreibt in seinem Essay Richard Wagner im Sammelband Deutsche Erinnerungsorte von Etienne François und Hagen Schulze über den Dichterkomponisten: „Mit der Person und dem Werk Richard Wagners lassen sich zahl-reiche materielle wie immaterielle, reelle wie symbolische Erinnerungsorte assoziieren.“[19] Wagner hat durch seine Musikdramen Städte und Landschaften wie Nürnberg, Brabant oder die Wartburg „mit mythischem Sinn aufgeladen“[20] und „ihrer tagtäglichen Profanität überhoben“[21]. Durch seinen Ring wurde die Rheinromantik des 19. Jahrhunderts verstärkt, die Tetralogie aber auch der Parsifal machten den ‚Deutschen Wald’ zum romantischen Erinnerungsort.[22] Wagners Einfluss auf den bayerischen König Ludwig II. hat ganz entscheidend die Gestaltung Neuschwansteins beeinflusst und durch das eigens für den Komponisten gebaute Bayreuther Fest-spielhaus ist aus einer fränkischen Kleinstadt ein weltberühmter Kulturtreffpunkt geworden. So wurden diese Orte – teilweise schon zu Lebzeiten Wagners – zu „sakralen Orten“[23] im kollektiven Gedächtnis der Deutschen, wie auch der internationalen Wagner-Gemeinde.
Doch in der Gedächtnislandschaft der Menschen sind ‚Erinnerungsorte’ nicht nur geografische Orte. Schon Pierre Nora vollzog in seinem Werk Les lieux de mémoire[24] eine semantische Ausweitung des Begriffs ‚Ort’ – etwa im Sinne der Doppeldeutigkeit des Begriffs ‚Topos’. So sind mit ‚Erinnerungsorte’ auch symbolische oder literarische Kristallisationspunkte gemeint, in denen sich kollektive Erinnerung manifestiert. Die Götterburg Walhall existiert als realgeografischer Ort höchstens in ihrer Nachahmung im Nationaldenkmal Walhalla. Das Nibelungenlied wurde schon kurz nach seiner Wiederentdeckung zum Deutschen Nationalepos erklärt. Diese beiden Erinnerungsorte zeigen, dass durch ihresgleichen oft ein nationales Bewusstsein geweckt wird. Durch das gemeinsame Erinnern (und Vergessen) lässt sich die Identität einer Nation eigentlich erst ausmachen. Keine Gesellschaft ist denkbar ohne eine Identifizierung mit großen Persönlichkeiten, und so sind viele Erinnerungsorte denn auch personaler Natur. Führer bezeichnet Wagner als den „Musiker-Erinnerungsort schlechthin.“[25] Denn dieser wurde als „deutschester“ Komponist gepriesen, übertroffen eigentlich nur von Albrecht Dürer, dem „allerdeutschesten“ Künstler.[26]
Gerade das Deutschland des 19. Jahrhunderts bedurfte dieser nationalen Erinnerungs-orte. François und Schulze sprechen von einer gegenseitigen Abhängigkeit von ‚nation-building’ und ‚memory-building.’[27] Doch soll in dieser Arbeit auch untersucht werden, welche Bedeutung die mit Wagner assoziierten Erinnerungsorte heute noch haben. Die symbolische Aussagekraft von Erinnerungsorten kann sich ändern, umkehren oder auch ganz verschwinden. Außerdem sind sie dem „Zugriff der Sinnstifter und Manipulateure ausgesetzt“.[28] Die germanische Mythenwelt etwa, die selbst als Erinnerungsort gesehen werden kann, wurde durch Wagner populär, von Ludwig II. „verkitscht und von Hitler pervertiert“.[29] „Die besondere Herausforderung, die sich bei der Beschäftigung mit Erinnerungsorten stellt, resultiert aus einem ihrer wesentlichen Merkmale: aus ihrer Vieldimensionalität.“[30] In den folgenden Kapiteln soll versucht werden, die facettenreiche Symbolik der Erinnerungsorte darzustellen, die in Wagners Opern Erwähnung finden oder durch sein Wirken und Werk erst zu Orten der Erinnerung avancierten: Wartburg, Nürnberg, Brabant und Scheldeufer, Klever Schwanenburg, Neuschwanstein, Bayreuth – und schließlich Richard Wagner selbst.
II. Erinnerungsorte bei Wagner
II.1 Tannhäuser und die Wartburg
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Schon um die Gründung der Wartburg rankt sich eine Legende[31]. Ihr zufolge wurde die Burg im Jahre 1067 von Graf Ludwig dem Springer aus der Dynastie der Ludowinger gegründet. Um 1800 war die Wartburg eine völlig unbedeutende Burgruine, um 1900 galt sie dagegen als ‚Idealschloss’ und Nationaldenkmal. Innerhalb eines Zeitraums von etwa einer Generation hatte sich im 19. Jahrhundert eine vollkommene Umwertung der Wartburg vollzogen: „Von einem isolierten Ort ohne historische Kontinuität, der nur vor dem Hintergrund der Landschaft interessant ist, [...] zu Abb. 1: Die Wartburg
einem echten Erinnerungsort mit universeller Bedeutung [...], einem Ort mit einer jahrhundertealten Vergangenheit, der in sich die wichtigsten Elemente der deutschen kulturellen und historischen Tradition vereint.“[32]
Schon vor Richard Wagners 1845 in Dresden uraufgeführten Oper Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg war die Burgruine zum nationalen Symbol und Erinnerungsort geworden. Ein Grund hierfür war die Erinnerung an Martin Luther und dessen Glorifizierung als ‚Nationalheld’. Unter dem Decknamen Junker Jörg hatte sich Luther ab Mai 1521 etwa ein Jahr lang auf der Burg Kurfürst Friedrichs des Weisen von Sachsen versteckt gehalten und hier die Luther-Bibel verfasst, deren große Bedeutung nicht nur kirchlich-konfessionell begründet ist, sondern auch durch ihren Einfluss auf die deutsche Sprache. Im sogenannten Wartburgfest von 1817 erfuhr der unbeugsame, aufbegehrende, ‚deutsche’ Luther eine politische Aktualisierung. In einem antifeudalen und nationalen revolutionären Akt verbrannten hier Studenten Schriften von antirevolutionären Literaten wie Kotzebue und den Code Napoleon als Symbol der Fremdherrschaft. Sofort wurde die Wartburg zum politischen Symbol, doch dessen Charakter war äußerst ambivalent: Die einen erinnerten sich hier an Emanzipation und das Streben nach nationaler Einheit und Eigenständigkeit, die anderen an Rebellion, Unordnung, Chaos. Der dritte Grund für die neue Sicht auf die Wartburg war „die Wiederentdeckung der mittelalterlichen, mit Legenden verwobenen Vergangenheit der Burg durch die Romantik.“[33] Hierzu hat der große und anhaltende Erfolg der Wagner-Oper ganz entscheidend beigetragen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Dichter-Komponist verknüpfte gleich mehrere Sagen und Mythen zum Libretto seiner romantischen Oper. Neben der Legende der heiligen Elisabeth von Thüringen, die von 1211 bis 1228 auf der Wartburg lebte, und dem Mythos vom Venusberg sind dies in erster Linie die beiden Geschichten, die den Doppeltitel der Oper ausmachen. Da wäre zuerst die Geschichte vom Sünder und Büßer Tannhäuser, welche Wagner unter anderem aus der Volksliedersammlung Des Knaben Wunderhorn (1806) und durch Heines Tannhäuser. Eine Legende (1836/7) kannte. Es ist bis heute nicht bewiesen, ob es wirklich eine mittelalterliche Volksdichtung über Tannhäuser gab oder diese erst durch spätere Dichter erfunden wurde.[34] Auch die Beziehung zwischen dem literarischen und dem realen Sänger Tannhäuser ist noch äußerst unklar. Am Wiener Hof Friedrich des Streitbaren wirkte zwischen 1225 und 1265 ein Minnesänger Tannhäuser, um den sich die Büßerlegende entwickelt haben könnte.[35] Wagner sah in diesem den Sänger Heinrich von Ofter-dingen aus der Legende vom Sängerkrieg auf der Wartburg und hat so zwei ursprünglich unabhängige Stofftraditionen zusammengebracht.[36] 1206/07 soll auf der Wartburg in Gegenwart des Landgrafen Hermann I. ein Dichterwettstreit der be-rühmtesten deutschen Minnesänger wie Abb. 2: Tannhäuser beim Sängerwettstreit
Walther von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach stattgefunden haben. Dies ist jedoch nicht eindeutig belegt, mittelalterliche Quellen, die von dem Sängerwettstreit berichten, stammen alle aus sehr viel späterer Zeit. Wagner wurde vor allem durch E.T.A. Hoffmanns Novelle Der Kampf der Sänger (1819) und das Drama Der Sängerkrieg auf der Wartburg (1828) von Friedrich de la Motte-Fouqué zur Verarbeitung dieses Legendenstoffes angeregt.
François bezeichnet Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg als „Vollendung und Krönung der romantischen Wiederentdeckung der Burg.“[37] Um das äußere Erscheinungsbild der Wartburg ihrer Symbolkraft und Bekanntheit anzupassen, musste eine grundlegende Restaurierung erfolgen. Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach (1818-1901), dessen Mutter, eine russische Großherzogin im übrigen dem verschuldeten Richard Wagner einmal Zuflucht und Hilfe gewährt hatte, machte es sich zum Ziel seiner Regierungszeit, aus der Burgruine eine „Art Museum für die Geschichte unseres Hauses, unseres Landes, ja von ganz Deutschland“[38] zu machen. So war die Restaurierung der Wartburg zwischen 1838 und 1890 ein dynastisches, kulturelles, historisches und patriotisch deutschnationales Großprojekt.
[...]
[1] Mertens, S. 81.
[2] Mertens, S. 10.
[3] Mertens, S. 10.
[4] Vgl. Mertens, S. 79f. und Müller, S. 85.
[5] Müller, S. 85.
[6] Vgl. François/Schulze, S. 19.
[7] Leerhoff, S. 273.
[8] Leerhoff, S. 276.
[9] Aus der Einleitung zu einem Nibelungen-Aufsatz, 1862. Zitiert nach Mertens S. 32.
[10] Vgl. Mertens, S. 12f. und 32f.
[11] Vgl. Mertens, S. 9 und S. 33.
[12] So Wagner in einem Brief an Mathilde Wesendonk, 29./30. Mai 1859. Zitiert nach Mertens, S. 9.
[13] Vgl. Müller, S. 86ff.
[14] Vgl. Mertens, S. 80. Prinzipiell würde ich Mertens hier zustimmen. Es verwundert nur, dass Peter Wapnewski in seinem Essay über das Nibelungenlied als Erinnerungsort (in Deutsche Erinnerungsorte, Bd. 1, S. 159-169) diesen Einfluss des Komponisten nicht erwähnt, den Namen Wagners überhaupt nur einmal nennt. Auch im SPIEGEL-Artikel Der echte Siegfried – Forscher suchen nach dem historischen Kern der Nibelungensage von Matthias Schulz findet man keine Auseinandersetzung mit Wagner, geschweige denn mit seiner Theorie über die Verbindung zwischen Nibelungen und Staufern (Vgl. DER SPIEGEL, Nr. 20 vom 14.05.2005, S. 148-159).
[15] Mertens, S. 80. Mertens gibt hier eine ausführliche und interessante Auflistung, wie Wagners Werke die Rezeption der mittelalterlichen Epen bestimmten, einschränkten und verfälschten.
[16] Mertens, S. 81.
[17] Mertens, S. 81. Auch jeder Historiker geht mit bestimmten Interessen und eigener Ideologie an seine Forschung heran. Dadurch ist auch der Objektivitätsanspruch der Geschichtswissenschaft grundsätzlich in Frage gestellt ist.
[18] Münch, S. 11.
[19] Münkler, S. 549.
[20] Münkler, S. 553.
[21] Münkler, S. 554.
[22] Vgl. Münkler, S. 549f. und S. 552. Vgl. hierzu auch den Aufsatz von Albrecht Lehmann: Der deutsche Wald, in: Deutsche Erinnerungsorte, Bd. 3, S. 187-200. Hier wird der Einfluss Wagners auf die romantische Waldsymbolik allerdings nicht erwähnt. Vgl. auch Bruch, S. 190f. Er erwähnt, dass im Freischütz von Carl Maria v. Weber das romantisch gestimmte Publikum den deutschen Wald als ‚Hauptperson’ sah.
[23] Münkler, S. 554.
[24] Pierre Nora (Hg.): Les lieux de mémoire. La République, la Nation, les Frances, 7 Bde., Paris 1984-1993. Noras Sammelband wurde zum Vorbild für ähnliche Publikationen überall in Europa. In Deutschland sammelten erstmals Etienne François und Hagen Schulze die nationalen Erinnerungsorte. Die Essays aus ihrem Sammelband bilden die Hauptgrundlage der vorliegenden Arbeit.
Zur ‚Geschichte der Erinnerung’ und dem vom französischen Soziologen Moritz Halbwachs geprägten Begriff „mémoire collective“ (Kollektive Erinnerung) siehe zusammenfassend: Carcenac-Lecomte, S. 13ff., François/Schulze, S. 13f., S. 16ff. und Münch, S. 7 (Anm. 1), S. 21.
[25] Führer, S. 96.
[26] So Ferdinand Avenarius: Zum Dürerbund. Ein Aufruf, in: Der Kunstwart 14,1 (1901), S. 469f. Vgl. hierzu Bruch, S. 190 und Münch, S. 19.
[27] Vgl. François/Schulze, S. 19.
[28] François/Schulze, S. 16.
[29] Vgl. Clemens, S. 429.
[30] Czarnowski, S. 167.
[31] Als Textgrundlage: Wagner, Richard: Tannhäuser (Pariser Fassung 1861), hrsg. v. Dietrich Mack, Frankfurt a. M. 1979.
[32] François, S. 154f.
[33] François, S. 155.
[34] Vgl. Münkler, S. 449.
[35] Vgl. Mertens, S. 16f.
[36] Vgl. Mertens, S. 26.
[37] François, S. 159.
[38] Zitiert nach François, S. 160.
- Arbeit zitieren
- Magister Artium Kevin Dahlbruch (Autor:in), 2005, Erinnerungsort Wagner, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89995
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