Warum treiben junge Erwachsene kaum Sport? Gründe für die Aufnahme und den Abbruch sportlicher Aktivität


Fachbuch, 2021

112 Seiten

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Stand der Forschung
2.1 Sportliche Aktivität
2.2 Life-Span-Orientierung in der Entwicklungspsychologie
2.3 Sportliche Aktivität über die Lebensspanne
2.4 Forschungsdefizit und Forschungsfragen

3 Theoretische Überlegungen
3.1 Theorien und Konzepte
3.2 Determinanten der Aufnahme und des Abbruchs sportlicher Aktivität

4 Methodik
4.1 Studiendesign
4.2 Stichprobenbeschreibung
4.3 Datenerhebung
4.4 Datenanalyse

5 Ergebnisse und Ergebnisdiskussion
5.1 Aufnahme sportlicher Aktivität
5.2 Abbruch sportlicher Aktivität
5.3 Barrieren sportlicher Aktivität
5.4 Typen nach sportlichem Aktivitätsverhalten

6 Diskussion und Limitation

7 Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Theorien und Modelle zur Erklärung von sportlicher Aktivität

Tabelle 2: Determinantenmodell auf Basis lerntheoretischer Modelle

Tabelle 3: Liste der thematischen Hauptkategorien, Subkategorien und jeweiligen Ausprägungen/Merkmale

Tabelle 4: Auftreten der Subkategorien und Ausprägungen bei den verschiedenen Aktivitätstypen

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Darstellung der Einflusssysteme auf die lebenslange Entwicklung

Abbildung 2: Kategorisierung des Sportengagements

Abbildung 3: Entwicklungsverläufe von körperlicher Aktivität über den Lebensverlauf nach Alterskohorte

Abbildung 4: Adapted social-ecological model of determinants of physical activity

Abbildung 5: Beispielgrafik zur Methode des biografischen Mappings

Abbildung 6: Ablaufschema einer inhaltlich-strukturierenden Inhaltsanalyse nach Kuckartz

Abbildung 7: Häufigkeit der Ausprägungen der Hauptkategorie „Aufnahme sportlicher Aktivität“

Abbildung 8: Häufigkeit der Ausprägungen der Hauptkategorie „Abbruch sportlicher Aktivität“

Abbildung 9: Häufigkeit der Ausprägungen der Hauptkategorie „Barrieren sportlicher Aktivität“

Abbildung 10: Dimension „Umfang sportlicher Aktivität“ des Probanden B5

Abbildung 11: Dimension „Umfang sportlicher Aktivität“ des Probanden B8

Abbildung 12: Dimension „Umfang sportlicher Aktivität“ der Probandin B7

Abbildung 13: Dimension „Umfang sportlicher Aktivität“ der Probandin B3

Abbildung 14: Dimension „Umfang sportlicher Aktivität“ des Probanden B2

Abbildung 15: Dimension „Umfang sportlicher Aktivität“ der Probandin B4

Abbildung 16: Dimension „Umfang sportlicher Aktivität“ des Probanden B6

Abbildung 17: Dimension „Umfang sportlicher Aktivität“ der Probandin B1

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit und zur Verkürzung des Textes wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht.

1 Einleitung

Der wirtschaftliche und gesundheitliche Nutzen sportlicher Aktivität ist sehr hoch und dies wird immer wieder neu bestätigt (vgl. Finger, Mensink, Lange & Manz, 2017; Senatsverwaltung für Inneres und Sport, 2016). Es ist medizinisch erwiesen, dass sich regelmäßige sportliche Aktivität positiv auf die Prävention von Adipositas und eine Vielzahl anderer chronischen Krankheiten, wie beispielsweise Herz-Kreislauferkrankungen, Depression, Diabetes, Krebs und Hypertonie auswirkt (Finger et al., 2017). Trotz dieser Erkenntnisse, erfüllen nur ein Fünftel der Frauen (20,5%) und ein Viertel der Männer (24,7%) die Bewegungsempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei Erwachsenen, so die Ergebnisse der Studie Gesundheit in Deutschland aktuell (GEDA 2014/2015-EHIS) (Finger et al., 2017). Während körperliche Aktivität viele positive Folgen hervorruft, sind bei zu wenig Bewegung negative Konsequenzen zu erwarten: Nach der Global Burden of Disease Study 2015 trägt körperliche Inaktivität in Deutschland zu einer enormen Reduzierung der Lebensqualität und Lebenserhaltung bei.

Die Gesundheitspsychologie verfolgt das Ziel eines bewegungsreichen Lebenswandels der Bevölkerung und erforscht die Gründe, die zu einem Zustand des Nichtstuns führen. Es gibt einige Modelle und Erklärungsansätze, wieso manche Menschen viel und regelmäßig Sport treiben und andere nicht. Eine Fülle an Studien untersucht die Motivation für das Beginnen einer sportlichen Aktivität. Doch mit dem Beginn ist es nicht getan: Vielen fällt es schwer, diese Aktivität regelmäßig fortzuführen. Die Aussteigerraten (Drop-outs) sind außergewöhnlich hoch. Studien zufolge sind bei Sport- und Fitnessprogrammen nach einem halben Jahr nur noch die Hälfte der Teilnehmer dabei (Pahmeier, 2008a; Wagner, 2007).

Meist kennt man jemanden aus dem eigenen sozialen Umfeld, der eine Sportaktivität anfängt und nach gewisser Zeit wieder aufgibt. Manche beginnen eine Sportart aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen, aus Neugier oder als Entspannungsmöglichkeit. Aufgrund von Zeitmangel, Verletzungen, Wohnsitzwechsel, mangelnder Lust und Motivation oder anderen Gründen wird diese beendet. Die positiven Effekte körperlicher Aktivität bleiben somit vielen Menschen vorenthalten.

Der Problematik der Aufrechterhaltung wird deshalb in der Gesundheitspsychologie immer mehr Beachtung geschenkt. Dabei sind einerseits die komplexen Faktoren zu berücksichtigen, die zur Aufnahme und zum Abbruch der Sportaktivität führen, aber auch persönliche Veränderungen, die der Einzelne im Laufe seines Lebens erfährt. Demographische Prozesse und auch umgebungsbedingte Umwelteinflüsse spielen eine wichtige Rolle.

Die vorliegende Arbeit setzt sich mit der Frage auseinander, welche Faktoren zur Aufnahme und zum Abbruch sportlicher Aktivität führen. Zunächst ist auf die Bewegungsempfehlungen und Inaktivitäts- bzw. Aktivitätsquote einzugehen. Anschließend sind Forschungsbereiche und Arbeiten zu identifizieren, die hinsichtlich der Problematik der Aufrechterhaltung die Determinanten sportlicher Aktivität mit einem möglichst ganzheitlichen Blick bestimmen. Auf Basis einer kritischen Reflexion des Forschungsstands soll anschließend anhand qualitativer Methoden wie narrativen Interviews und biografischen System-Mappings untersucht werden, welche Faktoren über die Lebensspanne zu einer Aufnahme und zum Abbruch sportlicher Aktivität führen.

2 Stand der Forschung

2.1 Sportliche Aktivität

Ein zentraler Begriff für die vorliegende Untersuchung ist die Bezeichnung der sportlichen Aktivität. Um eine theoretische Grundlage zu schaffen, wird im Folgenden auf wichtige Begrifflichkeiten, nationale Bewegungsempfehlungen und die Aktivitäts- bzw. Inaktivitätsquote eingegangen. Es folgt ein Einblick in die life-span-Perspektive der Entwicklungspsychologie. Darauf aufbauend werden theoretische Überlegungen dargelegt, die für das weitere methodische Vorgehen grundlegend sind.

2.1.1 Abgrenzung sportliche vs. körperliche Aktivität

Auf die Schwierigkeit verwandte Begriffe wie körperliche Aktivität, Training oder Sport voneinander zu trennen, weisen viele Autoren hin (vgl. Rosner, 2017, Pahmeier, 2008b). Zum einen gibt es viele verschiedene Definitionen der Begriffe, zum anderen sind diese nicht klar voneinander abzugrenzen. Kopczynski (2008) versteht unter körperlicher Aktivität alle durch Muskelaktivität erzeugten Körperbewegungen, die zu einem Anstieg des Energieumsatzes führen und die bei allen Aktivitäten mit körperlichem Einsatz vorzufinden sind. Das schließt alle körperlichen Bewegungen einer Person unabhängig von Zweck beziehungsweise Motivation und Lebenskontext ein. Damit wird jegliche Art von Bewegung als körperliche Aktivität angesehen. Biddle und Mutrie (2008) erweitern den Begriff der körperlichen Aktivität (physical activity) um die Begriffe Training (exercise) und Sport (sport). Körperliche Aktivität umfasst auch hier jede körperliche Bewegung, bei der sich der Energieaufwand erhöht. Training (exercise) stellt davon eine Komponente dar und findet geplant, strukturiert und wiederholt statt. Sport bildet eine andere Komponente und ist regelgeleitet, strukturiert und durch intensive körperliche Aktivität charakterisiert. Zwar ist bisher keine allgemeingültige Definition von Sport vorhanden (Woll, 2006), aber folgende Definition von Woll enthält die beschriebenen Überlegungen und ist für die vorliegende Arbeit grundlegend.

„Sportliche Aktivität ist ein aktiver, zielmotivierter, spezifisch organisierter Umgang mit dem Körper innerhalb eines sportlichen Rahmens. Sportliche Aktivität ist immer körperliche Bewegung unter Ausnutzung bestimmter motorischer Fähigkeiten und Fertigkeiten, verbunden mit Befinden und Erleben und eine Form der sozialenInteraktion und Kommunikation“ (Woll, 2006, S.20).

Sportliche Aktivität wird also in dieser Arbeit getrennt von anderen körperlichen Aktivitäten wie Gartenarbeit oder Alltagsaktivitäten wie Fahrradfahren als Fortbewegung betrachtet. Die Studie der vorliegenden Arbeit befasst sich ausschließlich mit der sportlichen Aktivität nach dem Verständnis von Wolls Definition.

2.1.2 Nationale Bewegungsempfehlungen

Die WHO veröffentlicht mit den Global recommendations of physical activity for health (World Health Organization, 2010) Bewegungsempfehlungen für unterschiedliche Altersgruppen. Diese dienen als Richtlinien für das Ausmaß und die Intensität körperlicher Aktivität, um Gesundheit und Fitness zu erhalten beziehungsweise zu fördern. Kinder und Jugendliche im Alter von fünf bis 17 Jahren sollen mindestens 60 Minuten pro Tag mäßig bis intensiv körperlich aktiv sein. Ist dies mehr als 60 Minuten der Fall, bringe dies zusätzlichen gesundheitlichen Nutzen. Zudem sollte intensive körperliche Aktivität an mindestens drei Tagen pro Woche durchgeführt werden, um Knochen und Muskeln zu stärken. Erwachsenen im Alter von 18 bis 64 Jahren wird empfohlen mindestens 150 Minuten pro Woche mäßig körperlich aktiv oder 75 Minuten pro Woche intensiv körperlich aktiv zu sein. Dabei ist eine Kombination aus mäßiger und intensiver Aktivität möglich. Jede Bewegungseinheit soll mindestens zehn Minuten dauern. Für einen zusätzlichen gesundheitlichen Nutzen sind bis zu 300 Minuten pro Woche mäßige oder bis zu 150 Minuten pro Woche intensive körperliche Aktivität anzupeilen. Auch hier kann mäßige und intensive Aktivität kombiniert werden. Dazu sind an zwei oder mehr Tagen pro Woche muskelkräftigende Bewegungen durchzuführen (World Health Organization, 2010).

2.1.3 Aktivitäts-Inaktivitätsquote

Die im vorherigen Kapitel beschriebenen Bewegungsempfehlungen werden in Deutschland nur teilweise erfüllt. Im Rahmen der Studie Gesundheit in Deutschland aktuell (GEDA 2014/2015-EHIS) des Robert-Koch-Instituts wurden 22.959 Personen ab 18 Jahren mit einer deutschen validierten Version des European Health Interview Survey – Physical Activity Questionnaires (EHIS-PAQ) zu ihrer körperlichen Aktivität befragt. Die empfohlene Ausdaueraktivität erfüllen 42,6% der Frauen und 48% der Männer. Die WHO-Empfehlungen zur Muskelkräftigung erreichen 27,6% der Frauen und 31,2% der Männer. Beide Empfehlungen gemeinsam werden von einem Fünftel der Frauen (20,5%) und einem Viertel der Männer (24,7%) eingehalten (Robert Koch-Institut, 2017). Betrachtet man verschiedene Altersgruppen, kommen Querschnittsuntersuchungen zu dem Ergebnis, dass der Anteil der sportlich Aktiven mit Zunahme des Lebensalters abnimmt. Geschlechtsspezifische Unterschiede zeigen sich darin, dass im Jugendalter Jungen deutlich aktiver sind als Mädchen, im Erwachsenenalter ein Gleichgewicht besteht und im späten Erwachsenenalter Frauen mehr Sport treiben als Männer (Allmer, 2002). Durch körperliche Inaktivität entstehen Kosten durch Erkrankungen, Arbeitsausfälle und frühzeitige Sterblichkeit. Finger et al. (2017) sehen daher vermehrte Investitionen in bewegungsfördernde Maßnahmen als sinnvoll und notwendig an.

2.2 Life-Span-Orientierung in der Entwicklungspsychologie

Die Betrachtung des Sportengagements sollte nicht auf einzelne Lebensabschnitte reduziert werden, da es alle Lebensphasen umfasst (Allmer, 2002). Lange betrachtete die Entwicklungspsychologie nur einzelne Abschnitte des Kindes- und Jugendalters, da sportliche Aktivität als deren Privileg galt (Pahmeier, 2008b). Anfang der 80er Jahre wurde der Fokus auf alle Zielgruppen und Altersstufen erweitert. Mit dieser Öffnung der Forschungsperspektive wurde zugleich die Sicht auf die Entwicklung verändert. Die life-span-psychology (Baltes, 1990), also die Entwicklungspsychologie der Lebensspanne, stellt den Anspruch, die Neuformulierung grundsätzlicher Konzepte voranzutreiben. Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass Entwicklung als lebenslanger Prozess aufzufassen ist. Dabei finden in allen Lebensabschnitten intraindividuelle Entwicklungen statt (Plastizität), weshalb Entwicklung niemals als abgeschlossen anzusehen ist. Das Individuum produziert die eigene Entwicklung und schafft gleichzeitig durch das eigene Handeln Veränderungen der internen Bausteine der Situation und der objektiven Situationsbedingungen (Pahmeier, 2008b). Diese Forschungsperspektive ermöglicht, intraindividuelle Veränderungen zu betrachten und festzustellen (Allmer, 2002).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Darstellung der Einflusssysteme auf die lebenslange Entwicklung (nach Baltes, 1990)

Unter dem Aspekt, dass die Entwicklung über die Lebensspanne ein dynamischer Prozess ist und verschiedene Einflüsse zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf das Individuum einwirken, hat Baltes (1990) Ende der siebziger Jahre das Dreifaktorenmodell entworfen (vgl. Abbildung 1).

Dabei stehen die Dynamik der Entwicklungsphasen, aber auch die interindividuellen Unterschiede in der Entwicklung jedes Einzelnen, im Vordergrund. Einflussfaktoren wie Heirat, Wohnortwechsel, Familiengründung etc. zählen laut Baltes zu normativen Alterseinflüssen und finden in bestimmten Altersphasen statt. Diese biologischen und sozialen Einwirkungen sind als Wendepunkte im Lebenslauf zu sehen und korrelieren mit dem chronologischen Alter. Damit sind diese Einflüsse in einer zeitlichen Abfolge gut vorhersehbar. Normative historische Einflussfaktoren beeinflussen zu gleicher Zeit alle Menschen, die in einer kulturellen, geographischen oder politischen Umwelt leben. Sie sind vom Lebensalter unabhängig und können auch indirekt einwirken. Solche Ereignisse können Kriege, Naturkatastrophen, Wirtschaftskrisen etc. sein. In Bezug auf das Bewegungsverhalten ist hier das Angebot von körper- und geistbezogenen Trendsportarten wie Pilates oder Yoga zu nennen, das als Folge eines schnelllebigen und überwiegend körperlich inaktiven Alltags immer mehr zunimmt. Nicht-normative Ereignisse agieren unabhängig von den alters- und kulturwandelbezogenen Geschehnissen. Sie treten bei Einzelpersonen oder Kleingruppen als positive Vorkommnisse (z.B. Lotteriegewinn) oder als negative Ereignisse (z.B. Autounfall) auf. Diese drei Einflussfaktoren bedingen einander und konfrontieren das Individuum über den Lebensverlauf (Baltes, 1990).

Für die Entwicklungsforschung sind zudem die Erkenntnisse der ökologischen Sozialisationsforschung bedeutsam, als deren Wegbereiter der Psychologe Urie Bronfenbrenner gilt. Besonders seine ökologische Systemtheorie aus den siebziger Jahren ist von Bedeutung. Bronfenbrenner analysiert komplexe Systeme zwischenmenschlicher Beziehungen, in denen sich das Kind entfaltet, und hinterfragt differenziert umweltbedingte Einflussfaktoren auf die menschliche Entwicklung (Bronfenbrenner, Lüscher & Cranach, 1981). Wie Baltes vertritt auch Bronfenbrenner die Ansicht, dass das Individuum sowohl die eigene Umgebung beeinflusst als auch von dieser geprägt wird. Dabei bezieht sich die Umwelt nicht nur auf einen direkten Lebensbereich, sondern setzt sich aus mehreren und deren Verbindungen zusammen. „Man muß sich die Umwelt aus ökologischer Perspektive topologisch als eine ineinandergeschachtelte Anordnung konzentrischer, jeweils von der nächsten umschlossener Strukturen vorstellen. Diese Strukturen werden als Mikro-, Meso-, Exo-, und Makrosysteme bezeichnet“ (Bronfenbrenner et al., 1981, S.38). Peppler (2017) vergleicht die Darstellung mit einem Set russischer Puppen, den Matrjoschkas.

Das Mikrosystem definiert Bronfenbrenner als „ein Muster von Tätigkeiten und Aktivitäten, Rollen und zwischenmenschlichen Beziehungen, das die in Entwicklung begriffene Person in einem gegebenen Lebensbereich mit seinen eigentümlichen physischen und materiellen Merkmalen erlebt“ (Bronfenbrenner et al., 1981, S.38). Der Lebensbereich ist als Ort zu verstehen, an dem das Individuum mit anderen Menschen interagieren kann. Im Sportkontext kann dies der organisierte Sport sein.

Auf der zweiten Ebene, dem sog. Mesosystem, findet eine Wechselbeziehung zwischen den verschiedenen Lebensbereichen statt. Das Mesosystem besteht aus mehreren Mikrosystemen, die sich neu bilden oder erweitern können. Bei Erwachsenen wären hier interaktive Beziehungen zwischen Familie, Freunden und Arbeitskollegen zu nennen. Bezogen auf das Sportengagement spielen hier Trainer, Eltern, Freunde etc. eine wichtige Rolle.

Die dritte Ebene, das Exosystem, sind ein oder mehrere Lebensbereiche, an denen das Individuum nicht direkt beteiligt ist, aber die auf den eigenen Lebensbereich einwirken. Beispielsweise nehmen Peppler (2017) zufolge Kinder, deren beide Elternteile berufstätig sind, an weniger Freizeitaktivitäten teil als Kinder, bei denen mindestens ein Elternteil zuhause ist und das Kind entsprechend zur Aktivität bringen und von dort abholen kann.

Die vierte und somit äußerste Ebene ist das Makrosystem. Sie bezieht sich auf Werte- und Normsysteme, Traditionen, Kultur und Subkultur einer Gesellschaft und wirkt auf alle drei zuvor genannten Einheiten (Bronfenbrenner et al., 1981).

Zusammenfassend konzentriert sich die Ökologische Systemtheorie über die direkte Umwelt des Kindes bzw. des Individuums hinaus auf verschiedene Beziehungen und Lebensbereiche. Dabei werden Einrichtungen, wie Ausbildungsstätte oder Arbeitsplatz des Individuums und des sozialen Umfelds, Bildungssystem oder Einfluss von Massenmedien berücksichtigt. Kulturelle Werte oder wirtschaftliche Bedingungen können ebenfalls einflussreiche Umweltfaktoren sein, die auf die menschliche Entwicklung einwirken. Die moderne Entwicklungsforschung basiert auf Bronfenbrenners Modell und betont damit dessen Bedeutung für die heutige Zeit (Steinberg, Vandell & Bornstein, 2011).

2.3 Sportliche Aktivität über die Lebensspanne

Überträgt man die life-span-Perspektive der Entwicklungspsychologie auf das Sportengagement, ist demnach Sport und Bewegung über den gesamten Lebensverlauf und nicht nur im Rahmen einzelner Lebensphasen zu betrachten. Aus dieser Perspektive ist die intraindividuelle Entwicklung des Sportengagements in der Sportwissenschaft bislang wenig erforscht. Fest steht, dass sich über die letzten Jahre ein struktureller Wandel in Bezug auf Sportformen, Struktur des Angebots und Zielgruppen vollzogen hat (Pahmeier, 2008b). Bei der Betrachtung der Lebensspanne ist das Alter zwar ein ausschlaggebender Einflussfaktor, besitzt aber an sich keine Erklärungskraft. Die Einflussgröße ist in folgende Subgruppen aufzuteilen: Physische, psychische, soziale und ökonomische Ebene. All diese verändern sich über die Lebensspanne und wirken sich zugleich auf das Sport-engagement aus. Die physische Ebene umfasst die Gesundheit und Leistungsfähigkeit, die mit dem Alter stetig abnimmt. Die psychische Einflussgröße steht für alters- und aktivitätsabhängige Motivation und Einstellungen. Als soziale Faktoren beeinflussen Altersnormen die Wertevorstellungen vom aktiven und inaktiven Erscheinungsbild. Ökonomische Faktoren haben als individuelles Zeit- und Finanzbudget je nach Lebenslage Einfluss auf das Sporttreiben (Breuer & Wicker, 2007). Bei der Betrachtung sportlicher Aktivität über die Lebensspanne sind Veränderungen auf diesen vier Ebenen zu beobachten.

Des Weiteren nehmen sogenannte Perioden- und Kohorteneffekte über die Lebensspanne verstärkt Einfluss auf die sportliche Aktivität. „Periodeneffekte sind alters- und kohortenübergreifend wirkende Einflüsse historischer Ereignisse und sozialen Wandels auf die Entwicklung körperliche Aktivität und deren Rahmenbedingungen“ (Breuer & Wicker, 2007, S.89). Durch diese ist die Entwicklung körperlicher Aktivität über die Lebensspanne hinweg instabil. Die sozialen und die ökonomischen Faktoren zählen zu den Periodeneffekten. Änderungen von Normen und Werten in der Gesellschaft oder Wissen oder Glaubenssätze, die sich kollektiv erweitern, beeinflussen zu einer bestimmten Zeit in allen Altersstufen bewegungsrelevante Präferenzen und gelten daher als soziale Periodeneffekte. Beispielsweise entstehen neue Körper- oder Schlankheitsideale, die die Vorlieben für sportliche Aktivität verändern. Ökonomische Periodeneffekte sind historische Veränderungen, die sich auf finanzielle, infrastrukturelle oder zeitliche Kapazitäten des Sportengagements auswirken. Beispiele hierfür sind makroökonomische Entwicklungen durch Arbeitslosigkeit oder Wohlstand, Zeitgewinne oder -verluste durch Entwicklungsaufgaben wie Familiengründung oder Berufseinstieg, aber auch veränderte Bewegungsangebote wie organisierte Sportprogramme (Breuer & Wicker, 2007).

Kohorteneffekte wirken ebenfalls als soziale oder ökonomische Einflüsse auf das Bewegungsverhalten ein. Allerdings geschieht dies kohortenspezifisch und nicht kohortenübergreifend. So sind nur eine oder wenige Kohorten von Veränderungen betroffen. Das ist beispielsweise der Fall, wenn sich für bestimmte Jahrgangsstufen die Schuljahre aufgrund gesetzlicher Bestimmungen verkürzen, für Berufstätige das Rentenalter angehoben wird oder für bestimmte Jahrgangsgruppen Sportangebote periodisch limitiert werden (Breuer & Wicker, 2007). Zusammenfassend wird die sportliche Aktivität über die Lebensspanne durch die drei Effektgrößen Alter, Periode und Kohorte durch die physischen, psychischen, sozialen und ökonomischen Altersfaktoren beeinflusst.

Allmer (2002) setzt sich mit einer Kategorisierung des Sportengagements auseinander. Darin umfasst das individuelle Sporttreiben je nach individueller Lebensgeschichte unterschiedliche Arten und Formen des Sportengagements (vgl. Abb. 2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Kategorisierung des Sportengagements (Allmer, 2002)

Dem liegen die Überlegungen Frogners zugrunde, die sich als eine der ersten im deutschsprachigen Raum mit der Thematik Sport über die Lebensspanne auseinandersetzte. Sie differenziert zwischen drei Partizipationsarten: Die kontinuierliche lebenslange Teilnahme am Sport, die lebenslange Sportpassivität und die diskontinuierliche Sportteilnahme (Frogner, 1991). In Allmers Konstrukt werden weitere Merkmale des Sportengagements berücksichtigt, wie zum Beispiel die Wettkampf- und Freizeitsportorientierung oder der Ein- und Ausstieg aus der Sportaktivität. Die Sportaktiven unterteilen sich in lifetime-Aktive, die im bisherigen Leben kontinuierlich Sport getrieben haben und in Sporteinsteiger, die aus einer Phase der Sportinaktivität Sport beginnen. Die Sportinaktiven haben entweder als lifetime-Inaktive keinen Zugang zu Sport gefunden oder ihre sportliche Betätigung beendet. Diese Kategorisierung verdeutlicht, dass sich sowohl Sportaktive als auch -inaktive bedingt durch ihre individuelle Lebensgeschichte zu ganz unterschiedlichen Mustern des Sportengagements zusammensetzen (Allmer, 2002). Hierbei spielen die Faktoren Alter bzw. Zeit oder Geschlecht keine Rolle. Zwar sind nach wie vor geschlechts- und altersspezifische Unterschiede beim Sporttreiben festzustellen (vgl. Kapitel 2.1.3), aber in diesem Fall sind diese nicht als Handlungsbarrieren, sondern als Ergebnis kultureller (z.B. sportiver Lebensstil) und gesellschaftlicher (z.B. Geschlechterrollen) Werteorientierung anzusehen (Pahmeier, 2008b). In der vorliegenden Arbeit werden die Variablen Geschlecht und Alter deshalb weitestgehend in den Hintergrund gestellt.

Die Entwicklung des Sportengagements lässt sich nur über Längsschnittstudien erforschen. Allerdings sind diese laut Pahmeier defizitär: „Forschungsmethodisch bleibt auch in diesem Fall der Mangel an längsschnittlichen Studien eklatant“ (Pahmeier, 2008b, S.174). Auch Breuer (2003) kritisiert die aktuelle Forschungslage: So begnügen sich die meisten Studien mit Querschnittsdesigns oder reduzieren sich auf das Kindes- und Jugendalter. Der Großteil der Studien beschäftigt sich mit der Frage, wie sich sportliche Aktivität in Kindheit und Jugend zur Sportaktivität im Erwachsenenalter verhält und untersuchen unter diesem Aspekt die Verbreitung sportlicher Aktivität (Engel & Nagel, 2011). Querschnittsstudien bestätigen den vor einigen Jahren geprägten Forschungsstand und die These, dass körperliche Aktivität mit zunehmendem Lebensalter rückläufig ist (Breuer, 2003). Dabei bedarf es Längsschnittstudien, um intraindividuelle Veränderungen über die Lebensspanne festzustellen. Tatsächlich revidieren diese die bisherige Annahme und belegen, dass das Lebensalter nicht eindeutig mit der sportlichen Aktivität zusammenhängt. Breuer (2003) untersuchte die Entwicklungsverläufe und stellte fest, dass körperliche Aktivität über die Lebensspanne nicht kontinuierlich abnimmt. Im Gegenteil war bei Frauen in bestimmten Lebensdekaden im Vergleich zu Männern sogar ein teilweise signifikanter Anstieg der Aktivitätskurve zu verzeichnen. Grund dafür sind wiederum Kohorteneffekte, die hier die wichtigste Rolle für die Entwicklung des Sportengagements über die Lebensspanne einnehmen. So können Perioden- und Kohorteneffekte einen mindestens so großen Einfluss auf das Sportengagement wie Alterseffekte ausüben (Breuer, 2003). Abbildung 3 stellt die moderate Abnahme der körperlichen Aktivität über den Lebensverlauf nach Alterskohorte dar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Entwicklungsverläufe von körperlicher Aktivität über den Lebensverlauf nach Alterskohorte (modifiziert nach Breuer, 2003)

Klein (2009) erforschte die Einflüsse verschiedener Faktoren auf die Sportaktivität. Eine Differenzierung zwischen den Sportarten soll unterschiedliche Motivationen und Barrieren beleuchten. Dazu dient eine retrospektive Repräsentativbefragung von 2002 Personen im Alter von 50 bis 70 Jahren aus Baden-Württemberg. Die Daten wurden im Rahmen der Studie Ein aktives Leben leben – Alter und Altern in Baden-Württemberg im Jahr 2006 erhoben. In dieser ist die retrospektive Erfragung der Sportaktivität über den gesamten Lebenslauf mitsamt einer präzisen Erfassung von Beginn und Ende der bisher ausgeübten Sportarten ein Kernelement.

Dabei zeigt sich, dass höhere Bildung einen positiven Einfluss auf die Sportaktivität hat, wohingegen körperlich anstrengende Arbeit und bei Müttern die Erziehung der Kinder einen negativen Einfluss ausübt. Faktoren wie Partnerschaft, Alter, Kohortenzugehörigkeit, Wohnortwechsel oder Erwerbstätigkeit haben komplexere Auswirkungen auf die sportliche Betätigung. So reduziert Erwerbstätigkeit zwar die Einstiegsrate in eine Sportaktivität, genauso aber auch die Ausstiegsrate. Der Faktor Partnerschaft scheint sich ebenfalls uneinheitlich auszuwirken: Zum einen sind Personen mit Partner sportlich aktiver als Partnerlose, zum anderen erhöht sich die Ausstiegsrate aus einer Sportaktivität um 70 Prozent bei Beginn einer Partnerschaft. Auch der Wohnortwechsel ist nicht klar einzuordnen. Dieser Faktor kann sowohl zum Beginnen als auch zum Beenden einer sportlichen Aktivität führen. Der Wohnortwechsel kann also die Sportaktivität völlig verändern, auch wenn Sport zuvor ein wichtiger Teil des Lebensstils war (Klein, 2009). Die Analyse gibt somit ein differenziertes Bild über die Hintergründe des Sporttreibens durch die Betrachtung des Ein- und Ausstiegsverhaltens ab.

2.4 Forschungsdefizit und Forschungsfragen

Die aufgeführten Überlegungen zeigen, dass die Frage, warum manche Personen eine sportliche Aktivität aufnehmen bzw. beenden, aus der Lebenslaufperspektive zu betrachten ist. Die aktuelle Forschung in diesem Feld ist sehr komplex. Das ist laut Pahmeier (2008a) unter anderem auf das Problem der allgemeinen Erfassung sportlicher Aktivität und dessen exakte Definition zurückzuführen (vgl. Kapitel 2.1.1). Zudem gibt es eine Vielzahl an zu untersuchenden Forschungsgebieten innerhalb dieser Thematik. Eine Fülle an Studien untersucht deskriptiv die Entwicklung und Stabilität der Sportaktivität (vgl. Breuer, 2003; Breuer & Wicker, 2007; Engel & Nagel, 2011; Jekauc, Woll, Tittlbach & Bös, 2008). Die Sport-, Sozial- und Gesundheitspsychologie richtet den Blick auf die Untersuchung der theoriegeleiteten Konzepte, die in den letzten Jahren entwickelt wurden (Pahmeier, 2008a). Diese Theorien legen den Schwerpunkt auf kognitive Variablen. Ein anderer großer Fokus liegt auf der Betrachtung der prozessorientierten Sportpartizipation. Eine Vielzahl an Phasenmodellen beschäftigt sich mit der Verhaltensänderung (vgl. Kapitel 3.1). Um die Phänomene Bindung und Drop-out von sportlicher Aktivität zu untersuchen, sind aber neben den kognitiven Variablen noch andere Faktoren bedeutsam. Pahmeier (2008a) kritisiert, dass die Komplexität des Sporttreibens nicht gebührend berücksichtigt werde und beispielsweise physische Komponenten, emotionale Reaktionen oder Umgebungsfaktoren vernachlässigt würden. Zudem sei eine klare Unterscheidung zwischen Determinanten für die Aufnahme und für den Abbruch einer sportlichen Aktivität selten. So mag der Einfluss mancher Faktoren eindeutig sein, teilweise könne eine Determinante aber sowohl eine Aufnahme als auch einen Abbruch sportlicher Aktivität herbeiführen.

In der vorliegenden Arbeit liegt der Fokus auf einer umfassenderen Ebene. Daher sollen aus der Perspektive der Public Health Forschung Merkmale und Faktoren betrachtet werden, die über kognitive Faktoren hinaus gehen. Diese sollen in biologische, strukturelle, soziale und behaviorale Variablen gebündelt werden. Der Blick auf verschiedene Determinanten schafft in den folgenden Kapiteln eine theoretische Grundlage. Die Absicht der vorliegenden Untersuchung vom Sportengagement über die Lebensspanne ist es, mit Hilfe eines qualitativen Ansatzes einen Überblick über die Faktoren zu gewinnen, die zur Aufnahme und zum Abbruch sportlicher Aktivität führen, und so einen Beitrag zur Schließung der identifizierten Forschungslücke zu leisten. Dabei soll klar ersichtlich sein, welche Faktoren eine Aufnahme begünstigen und welche zu einem Abbruch führen. So kann die Präventionsforschung gezielt Faktoren fördern bzw. schwächen. Außerdem soll ermittelt werden, ob eine Kategorisierung des Sportengagements möglich ist und ob sich die verschiedenen Typen hinsichtlich der Determinanten unterscheiden.

Die konkreten Forschungsfragen der Studie lauten: 1) Welche Faktoren führen zur Aufnahme und zum Abbruch sportlicher Aktivität?

2) Welche Typen hinsichtlich des sportlichen Aktivitätsverhalten sind nach Kategorisierung des Sportengagements festzustellen und inwiefern unterscheiden sie sich bezüglich der Determinanten?

3 Theoretische Überlegungen

3.1 Theorien und Konzepte

Der Großteil an Theorien und Modellen zur Erklärung sportlicher Aktivität orientiert sich an einer psychologisch-theoretischen Forschungslinie. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die bekanntesten Ansätze. Zu diesen zählen das Health-Belief-Model (Rosenstock, 1974), die Theory of Reasoned Action (Fishbein & Ajzen, 1975), die Social Cognitive Theory (Bandura, 1978), die Theory of Planned Behavior (Ajzen, 1988) oder das Transtheoretische Modell (Prochaska & DiClemente, 1992). Die Übersichtstabelle zeigt, welche Variablenbereiche, also ob intrapersonale, soziale und/oder physische Umweltfaktoren, in den jeweiligen Modellen einbezogen wurden.

Dem Großteil dieser Theorien unterliegt eine rein psychologische Betrachtungsweise, die sich auf ausschließlich personeninterne psychische Vorgänge beschränkt. Woll (2006) kritisiert, dass aus gesundheitswissenschaftlicher Perspektive nicht nur Veränderungen des Individuums, sondern auch die anderer Strukturen relevant sind, welche in vielen Modellen vernachlässigt werden. In neueren Modellen wie beispielsweise dem ecological model von Sallis und Owen (1999) werden aus der Public-Health-Perspektive psychologische Betrachtungsweisen mit sozialwissenschaftlichen Ansätzen verknüpft (Woll, 2006). Neben dem intraindividuellen Einflussbereich wird auch die extraindividuelle Umgebung beleuchtet. Dabei schließen intraindividuelle Einflüsse persönliche Einstellungen, Überzeugungen und Verhaltensweisen ein, während auf extraindividueller Basis die Topographie der Umwelt, der soziale und kulturelle Kontext sowie die Politik berücksichtigt werden. So können beispielsweise im intraindividuellen Einflussbereich Einstellungen gegenüber körperlicher Aktivität positiv beeinflusst werden und in der extraindividuellen Umwelt eine sichere, attraktive Umgebung zu vermehrtem Sporttreiben einladen (Spence & Lee, 2003). Vor dem Hintergrund der Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit wird der Fokus auf derartige Forschungsansätze gelegt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Sallis und Hovell (1990) gehören zu den Ersten, die theoriegeleitet vorgehen. In einem Determinantenmodell auf Basis lerntheoretischer Modelle (vgl. Tabelle 2) differenzieren die Autoren Variablen auf fünf Ebenen: Umweltfaktoren, soziale, kognitive, physiologische und andere personale Faktoren. Diese werden wiederum in Voraussetzungen und Konsequenzen unterteilt und noch konkreter jeweils in distal und proximal unterschieden (Pahmeier, 2008a).

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Tabelle 2: Determinantenmodell auf Basis lerntheoretischer Modelle (Sallis & Hovell, 1990, S. 322)

Dieses Determinantenmodell von Sallis und Hovell (1990) (vgl. Tabelle 2) ist ein gutes Beispiel für die Betrachtung unterschiedlicher Einflussebenen und zeigt, wie viele Faktoren das Sportverhalten determinieren können. Wie in Kapitel 2.4 bereits kritisiert, wird hierbei nicht unterschieden, ob sich die Determinanten positiv oder negativ auf das Sportverhalten ausüben. Bauman et al. (2012) bedienen sich ebenfalls des Multi-level-Ansatzes und konstruieren ein ökologisches Modell. Die Einflussebenen werden in folgende Bereiche unterteilt: individuelle, interpersonelle, umgebungsbedingte Ebene, regionale oder nationale Politik und globale Faktoren. Im Gegensatz zu Sallis und Hovell (1990) berücksichtigen Bauman und Kollegen (2012) den zeitlichen Aspekt, indem sie in ihrem Modell einen Zeitstrahl integrieren. Dadurch wird auf die Veränderungen über den Lebensverlauf aufmerksam gemacht, die sowohl auf unterschiedliche Faktoren einwirken als auch durch solche beeinflusst werden.

Ähnlich aufgebaut ist das nach Nelson und Kollegen (2010) modifizierte Modell von Lynch (2000), welches für die vorliegende Arbeit als Grundlage dient (vgl. Abb. 4). Die Unterteilung in die verschiedenen Ebenen ist ähnlich wie bei Bauman et al. (2012), nur dass hier Pfeile zwischen den verschiedenen Ebenen auf deren Verknüpfung untereinander hinweisen. Die ursprüngliche Version von Lynch (2000) ist in die Sozialepidemiologie einzuordnen und bezieht sich auf das Gesundheitsverhalten allgemein. Der Anspruch dieser interdisziplinären Forschung ist die Untersuchung (sozialer) Einflussfaktoren als Krankheitsursache. Laut Nelson et al. (2010) wurde Lynchs Modell bereits häufig genutzt, um zu erklären welche Faktoren auf das Gesundheitsverhalten von Kindern und Ureinwohnern einwirken. Nelson und Kollegen übertragen das Modell auf den Kontext körperlicher Aktivität und untersuchen, welche Faktoren das Bewegungsverhalten von Australiens Ureinwohner beeinflussen. Dem ursprünglichen Modell hinzugefügte Doppelpfeile zwischen den Ebenen sollen im Sinne ökologischer Modelle widerspiegeln, dass das individuelle Verhalten zum einen die Umwelt beeinflusst als auch von dieser beeinflusst wird. Außerdem ergänzen die Autoren Lynchs Modell mit strukturellen umweltbedingten Faktoren um eine weitere Ebene (vgl. Nelson et al., 2010).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Adapted social-ecological model of determinants of physical activity ( Nelson et al. (2010) modifiziert nach Lynch (2000))

Wie im Modell von Bauman et al. (2012) ist auch hier ein Zeitstrahl integriert, der Veränderungen über die Zeit berücksichtigt. Die erste Basis bilden strukturelle und makrosoziale Faktoren. Dazu gehören beispielsweise Diskriminierung, Geschichte, Kultur, Institutionen und die politische Wirtschaft. Lynch integriert diese Ebene der Vollständigkeit halber in seinem Modell und merkt zugleich an, dass es fast unmöglich ist, den Einfluss dieser Faktoren explizit zu messen. „We just cannot do good science in studying these exposures. There are too many links in the causal chain, too many unmeasured confounders, too much residual confounding, and no real possibility of isolating causal effects“ (Lynch, 2000, S.9). In der vorliegenden Untersuchung wird diese Ebene deshalb außer Acht gelassen. Die zweite Ebene bilden die von Nelson et al. (2010) ergänzten strukturellen umgebungsbedingten Faktoren. Dazu gehören klimatische Bedingungen, die physische Umgebung, der Zugang und die Erreichbarkeit von Ressourcen wie beispielsweise Sportstätten (Nelson et al., 2010). Die nächste Ebene – das distale und proximale soziale Umfeld – beinhaltet soziale Determinanten. Hinter dem distalen sozialen Umfeld verbergen sich die Nachbarschaft, Gemeinde und Kollegen. Proximale soziale Kontakte sind Freunde und Familie. In Kapitel 3.2.2 wird dieser Blickwinkel um den Trainer/Übungsleiter und die Sportgruppe erweitert, deren Bedeutung in der vorliegenden Studie überprüft werden soll. Die vorletzte Ebene bilden in dem Modell individuelle Charakteristika wie sozioökonomische, psychosoziale und verhaltensbezogene Faktoren. Zuletzt werden genetische Faktoren benannt, deren Einfluss aber wie bei der ersten Ebene schwer zu untersuchen ist und deshalb in der vorliegenden Untersuchung nicht explizit berücksichtigt wird. Sowohl Lynch (2000) als auch Nelson et al. (2010) thematisieren, dass Modelle mit solch einer konzeptionellen Rahmenstruktur aufgrund der Komplexität Limitationen verbergen.

3.2 Determinanten der Aufnahme und des Abbruchs sportlicher Aktivität

„Sporttreiben ist das Produkt eines komplexen Zusammenspiels biologischer Ausstattungen, selbstregulatorischer Fähigkeiten und soziostruktureller Einflüsse“ (Fuchs, 2003, S.120). Um dieses Zusammenspiel aufzuschlüsseln, sind nach Fuchs interne Determinanten, also körperliche, emotionale und kognitive Faktoren, sowie externe Determinanten (soziale und strukturelle Faktoren) zu berücksichtigen. Der Gebrauch des Begriffs „Determinante“ ist genau genommen nicht korrekt, da die dahinter verborgene Kausalität meist nicht gegeben ist. Vielmehr geht es um Variablen, die in Quer- oder Längsschnittstudien einen signifikanten Zusammenhang mit der Sportaktivität aufweisen – also um eine „hypothetische Einflussgröße“ (Fuchs, 2003, S.122). Eine von wenigen Ausnahmen sind Bauman und Kollegen (2012), die zwischen Korrelaten und Determinanten differenzieren: „Longitudinal observational studies and experimental data could identify factors that have strong causal associations with physical activity. When such factors are identified in studies of aetiological design, they are described as determinants“ (Bauman et al., 2012, S.258). Da sich dieses Verständnis von Determinante in der einschlägigen Literatur durchgesetzt hat, soll es auch hier zu Grunde gelegt werden. Dabei kann eine Determinante das sportliche Aktivitätsverhalten insofern beeinflussen, dass entweder eine Aktivität begonnen oder beendet wird.

Viele Autoren weisen darauf hin, dass das Zusammenwirken der unterschiedlichen Determinanten zu betrachten sei (Fuchs, 2003; Pahmeier, 2008a; Sherwood & Jeffery, 2000; Woll, 2006). Dies soll in der Studie, die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführt wurde, beachtet werden. Hierzu werden zunächst verschiedene Determinanten isoliert betrachtet.

Die Struktur von Lynchs Modell dient bei der Beschreibung der Determinanten zur Orientierung. Im Folgenden wird auf individuelle (siehe Kapitel 3.2.1), soziale (vgl. Kapitel 3.2.2) und umgebungsbedingte Faktoren (siehe Kapitel 3.2.3) eingegangen. Es gibt eine Fülle an Studien zu möglichen Determinanten körperlicher Aktivität: in einer Metaanalyse schlossen Sallis und Owen (1999) circa 300 Studien ein. Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf eine Auswahl an Determinanten aus verschiedenen Übersichtsarbeiten (vgl. Sallis & Owen, 1999; Sherwood & Jeffery, 2000). Hinsichtlich der Auswahl der vorgestellten Determinanten dient die Übersichtsarbeit von Nelson et al. (2010) zur Orientierung, welchem wiederum das Modell von Lynch (2000) die Struktur vorgab. Deren Überprüfbarkeit in der vorliegenden Studie wird bei der Auswahl berücksichtigt. Da beispielsweise genetische Charakteristika und strukturelle makro-soziale Faktoren (z.B. politische Ebene) in dem angewendeten Untersuchungsdesign nicht explizit zu extrahieren sind, werden diese zurückgestellt. Bauman und Kollegen (2012) zufolge sind interne Variablen wie psychologische oder biologische Faktoren besser erforscht als externe Variablen. Umweltbedingte, politische und globale Einflussfaktoren sind weniger untersucht, aber es wird ihnen ein umfassender Effekt zugesprochen (Bauman et al., 2012).

3.2.1 Individuelle Ebene

Folgendes Kapitel bezieht sich auf die individuellen Charakteristika einer Person. Wie in Kapitel 3.1 erwähnt, schließt Lynch (2000) sozioökonomische, psychosoziale und verhaltensbezogene Faktoren in diese Ebene ein. Lynch (2000) zufolge werden diese Faktoren in der Literatur mit einem veränderten Krankheitsrisiko assoziiert. Nelson et al. (2010) untersuchen, wie sich diese Faktoren auf das Bewegungsverhalten australischer Ureinwohner auswirken und betrachten dafür Stress als psychosozialen Faktor, den sozioökonomischen Status und zuletzt Zeit, Motivation und Schüchternheit/Scheu sowie Wettkampf als verhaltensbezogene Faktoren. Betrachtet man als Pendant dazu in Sallis und Hovells Determinantenmodell (vgl. Tabelle 1) die kognitiven, physiologischen und anderen personalen Faktoren, kommen hier einige Determinanten zusammen. Um den Rahmen nicht zu sprengen, wird eine Auswahl an Determinanten vorgestellt, die wissenschaftlich überprüft wurden. Wie bei Nelson et al. (2010) werden auch hier sozioökonomische bzw. soziodemographische Aspekte berücksichtigt. Ebenso wird als psychosoziale Determinante Stress genauer untersucht. Als verhaltensbezogene Faktoren wird auf die Aktivitätsgeschichte und die Selbstwirksamkeit eingegangen. Nelson et al. (2010) weisen darauf hin, dass bei Jugendlichen unter anderem fehlende Motivation eine Barriere ist, Sport zu treiben. In der Motivationspsychologie wird Motivation als ein aktueller Prozess definiert, der durch die Anregung eines Motivs ausgelöst werden kann (Brunstein, 2018). Aus diesem Grund werden Motive und Barrieren genauer beleuchtet. Lynch zählt biologische Faktoren zu den genetischen Charakteristika (vgl. Lynch, 2000). Da aber der Gesundheitszustand auch von anderen Aspekten wie beispielsweise von der sportlichen Aktivität abhängig und beeinflussbar ist, wird dieser als verhaltensbezogene Determinante mitberücksichtigt.

3.2.1.1 Soziodemographische Faktoren

In Kapitel 2.3 wurde der Einfluss soziodemographischer Faktoren bereits angesprochen: Mit zunehmendem Alter nimmt das Sportengagement ab, während es mit steigendem Einkommen und einem höherem Bildungsniveau steigt. Frauen sind dabei etwas weniger stark vertreten als Männer (Fuchs, 2003; Woll, 2006).

3.2.1.2 Motive

Die zentrale Frage, um Determinanten der Sportaktivität zu begreifen, ist, welche Motive Menschen dazu bewegen Sport zu treiben (Sherwood & Jeffery, 2000). Dabei ist in der aktuellen Motivationspsychologie zwischen impliziten und expliziten Motiven zu unterscheiden. Hier werden letztere fokussiert, da sie im Gegensatz zu den impliziten bewusst repräsentiert sind und Ziele sowie Wertvorstellungen enthalten. Implizite Motive sind schon früh gelernt und werden eher unterbewusst entwickelt (Brunstein, 2018). Wird im sportlichen Kontext das eigene Sportverhalten subjektiv beurteilt, werden in der Regel explizite Motive genannt. Fitness und Spaß, Freude an der Bewegung, Gesundheit, Stressabbau, soziale Kontakte, Aussehen, Leistung und Wettkampf sind die meistgenannten Gründe auf die Frage, warum man Sport treibt (Rosner, 2017). Allein um diese Motive genauer vorzustellen, könnte man ganze Bibliotheken füllen. Da das Ziel dieser Arbeit ist, einen Überblick über relevante Determinanten zu bekommen, werden im Folgenden nur manche Motive wie beispielsweise Stress oder Fitness und Gesundheit unter Gesundheitszustand vorgestellt.

Hinsichtlich der Motive sind sowohl geschlechter- als auch altersbezogene Unterschiede festzustellen. „In allen angeführten Untersuchungen sind die Hauptmotive sportlich aktiv zu sein für Frauen Gesundheit, Figur und Aussehen, für Männer Leistung und Wettkampf“ (Rosner, 2017, S.41). Bei Älteren sind die Motive eher gesundheitsorientiert. Die Gründe für das Sporttreiben beeinflussen die Wahl der Sportart.

3.2.1.3 Barrieren

Unterhält man sich mit jemandem über sportliche Aktivität, wird oft eine Reihe von Gründen für körperliche Inaktivität aufgezählt. Am meisten hört man „Ich habe keine Zeit“ (Dishman, Sallis & Orenstein, 1985), obwohl das vor dem Hintergrund, dass der deutsche Erwachsene täglich im Durchschnitt mehr als drei Stunden fernsieht (November 2019: Täglicher Fernsehkonsum in Deutschland | Statista), kaum vorstellbar ist (Sallis & Owen, 1999). Dabei ist nicht klar, ob das tatsächliche Gründe oder eher Ausflüchte sind. Für bestimmte Bevölkerungsgruppen ist Zeitmangel sicherlich ein größeres Hindernis als für andere. So stellten Parker, Schmitz, Jacobs, Dengel und Schreiner (2007) fest, dass Elternwerden mit einer Reduktion des Bewegungsverhaltens bei Müttern einhergeht. Zeit, die für die Kinder aufgebracht wird, kann wohl die Aufrechterhaltung der körperlichen Aktivität negativ beeinflussen.

Bei einer Umfrage unter Frauen, die eine sportliche Aktivität beginnen wollten, war auch Zeitmangel die meistgenannte Barriere. Dieser unterteilte sich auf Arbeit und Schule (59%), Kinder (26%) und Haushalt (18%). Als weitere Barrieren wurden finanzielle Gründe (36%), Mangel an Einrichtungen (22%) oder Partnern (21%) oder keine Lust (10%) genannt (Johnson, Corrigan, Dubbert & Gramling, 1990). Biddle und Mutrie (2008) identifizierten fünf Typen von Barrieren bzw. Abstinenzgründen als Ergebnis des Allied Dunbar National Fitness Survey von England: physische, emotionale, motivationale, zeitbezogene und möglichkeitsbezogene Barrieren. Auch hier sind zeitliche Barrieren die von Männer und Frauen meistgenannten und als am wichtigsten bezeichneten Gründe. Bei Frauen nehmen emotionale Aspekte, wie beispielsweise sich unsportlich zu fühlen, ebenfalls einen großen Platz ein. Mit zunehmendem Alter werden emotionale und verletzungsbedingte Gründe öfter genannt. Finanzielle Einschränkungen und mangelnde Motivation hindern vor allem an der Teilnahme an Rehabilitationsprogrammen (Biddle & Mutrie, 2008).

Auch wenn nicht klar ist, ob Barrieren der subjektiven oder objektiven Realität entsprechen, ist eine starke negative Korrelation zwischen sportlicher Aktivität und Barrieren festzustellen. Die Ergebnisse der Metaanalyse von Sallis und Owen (1999) bestätigen diese Feststellung mit einer wiederholt nachgewiesenen negativen Beziehung von Barrieren mit Sportaktivität. Da meistens von wahrgenommenen Barrieren die Rede ist, werden diese den internen Determinanten, also der individuellen Ebene zugeordnet. Dabei ist der Mangel an Einrichtungen oder Mangel an Partnern strenggenommen den externen Determinanten bzw. der sozialen und umweltbezogenen Ebene zuzuordnen.

3.2.1.4 Stress

Auch kritische bzw. stressreiche Lebensereignisse können jemanden an der Aufnahme oder Aufrechterhaltung einer sportlichen Aktivität hindern. Stetson, Rahn, Dubbert, Wilner und Mercury (1997) forderten eine Gruppe Frauen auf, stressreiche Lebensereignisse, das Stresslevel und die wöchentlichen Trainingseinheiten über eine Dauer von acht Wochen zu dokumentieren. Die Ergebnisse zeigten, dass sowohl die Anzahl der stressigen Ereignisse als auch das wahrgenommene Stresserleben mit einer Reduktion der Trainingseinheiten einherging. Während einer stressreichen Phase nahm die Selbstwirksamkeit ab, die für das Erreichen vorher getroffener Ziele relevant ist (vgl. Selbstwirksamkeit) (Stetson et al., 1997). Auch Sherwood und Jeffery (2000) berichten von Studienergebnissen, denen zufolge ein hohes Stresslevel mit ungesünderen Verhaltensweisen einschließlich geringerem Sportengagement einhergeht. Andererseits wirkt sich regelmäßiges Sporttreiben positiv auf die Stimmung und das Stresserleben aus. So wurde unter Motive auch der Aspekt Stressabbau aufgelistet. Personen, die kontinuierlich körperlich aktiv sind, berichten über ein geringeres wahrgenommenes Stresslevel.

3.2.1.5 Selbstwirksamkeit

Die kognitive Psychologie versteht unter Selbstwirksamkeit die Überzeugung einer Person, auch schwierige Situationen bzw. Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können. In der sozial-kognitiven Lerntheorie von Albert Bandura (1978) stellt die Selbstwirksamkeit die stärkste Determinante in Bezug auf das Verhalten dar (vgl. Sallis & Owen, 1999; Sherwood & Jeffery, 2000). Im aktivitätsbezogenen Kontext bezeichnet Selbstwirksamkeit die Überzeugung einer Person, in der Lage zu sein, auch unter widrigen Umständen an sportlicher Aktivität festhalten zu können (Sherwood & Jeffery, 2000). Gerade in der Anfangsphase eines Sportprogrammes ist dies bedeutend, wenn das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die Zuversicht, dass sich die Bemühungen auszahlen, gefragt ist.

Personen mit höherer Selbstwirksamkeit führen wahrscheinlich ein Sportprogramm mit größerer Regelmäßigkeit durch, bis das Verhalten irgendwann Gewohnheit ist (ebd.). Eine Vielzahl an Studien belegt die Wichtigkeit der Selbstwirksamkeit für die Aufrechterhaltung körperlicher Aktivität (vgl. Sallis & Owen, 1999).

3.2.1.6 Aktivitätsgeschichte

Sportengagement in der Vergangenheit soll zukünftiges Bewegungsverhalten durch Erhöhung der Selbstwirksamkeit und Verbesserung der aktivitätsbezogenen Fähigkeiten positiv beeinflussen (Sherwood & Jeffery, 2000). Allerdings variieren die beobachteten Ergebnisse je nach Definition der Aktivitätsgeschichte. In der oben genannten Metaanalyse von Sallis und Owen (1999) wurde dem Schulsport und der Aktivitätsgeschichte während Kindheit und Jugend auf das Sporttreiben wiederholt ein Fehlen des Zusammenhangs nachgewiesen. Die Variablen Aktivitätsgeschichte im Erwachsenenalter und Vergangenes Sport- und Bewegungsprogramm haben der Studie nach allerdings einen positiven Einfluss auf das Sporttreiben (ebd.). In diesem Kontext besteht noch erheblicher empirischer Klärungsbedarf.

3.2.1.7 Gesundheitszustand/-verhalten

Auch bezüglich des Gesundheitszustandes ist die Forschungslage unklar. Dishman und Sallis (1994) stellten fest, dass der wahrgenommene Gesundheits- und Fitnesszustand die Teilnahme bei angeleiteten Sportprogrammen positiv beeinflusst. Bei selbstorganisierter Sportaktivität spielt dieser jedoch keine Rolle. Auch Pahmeier (2008b) bestätigt diese Überlegung und berichtet von einigen Studien, die belegen, dass die Wahrscheinlichkeit einer regelmäßigen Teilnahme an einem Sportprogramm umso geringer ist, je schlechter die biologischen Werte und je geringer die Wahrnehmung einer Verbesserung der Beschwerden sind. Perusse, Tremblay, Leblanc und Bouchard (1989) untersuchten, ob Sportaktivitäten genetisch beeinflusst werden. Dies konnte bislang nur in Bezug auf die alltägliche körperliche Aktivität bestätigt werden. Allerdings schließen die Autoren nicht aus, dass der intrinsische Antrieb, sich zu bewegen, durch Erbfaktoren beeinflusst wird.

Hinsichtlich des Gesundheitsverhaltens ist die Durchführung einer Diät ein wichtiger Faktor, der häufig mit Sporttreiben interagiert. Körperliche Aktivität soll sogar – zumindest kurzfristig – den Appetit verringern, jedenfalls stellten Studien bei schwereren Menschen, die Sport treiben, keine zusätzliche Nahrungsaufnahme fest (vgl. Wirth, 2018).

Andere Studien wiederum belegen, dass bei regelmäßiger moderater körperlicher Aktivität die Energiezufuhr zunahm (Sherwood & Jeffery, 2000). Diesbezüglich ist die Studienlage nicht eindeutig und bedarf weiterer Nachforschung.

Körpergewicht korreliert stark mit körperlicher Aktivität. Die Studienlage besagt, dass schwerere Personen weniger aktiv sind als leichtere (Sherwood & Jeffery, 2000). Das kann damit zusammenhängen, dass schwerere Menschen ein höheres sedentäres Verhalten aufweisen, da sie sich in Sportkleidung in der Öffentlichkeit unwohl fühlen und ihnen Sporttreiben weniger Spaß macht. Dabei resultiert Studien zufolge aus sportlicher Aktivität eine kurz- und langfristige Gewichtsreduktion (ebd.). Ein häufiger Grund für Sporttreiben ist deshalb das Aussehen bzw. Gewichtskontrolle (vgl. Motive). Zusammengefasst kann Körpergewicht also einerseits eine Barriere sein Sport zu treiben, genauso aber auch die Konsequenz davon oder sogar ein motivierender Faktor, um eine Sportaktivität zu beginnen (Sherwood & Jeffery, 2000).

Neben Diät ist Rauchen einer der stärksten Faktoren von gesundheitlichen Verhaltensweisen, die mit körperlicher Aktivität korrelieren (ebd.). Raucher sind nicht nur weniger körperlich aktiv als Nichtraucher, sondern sind auch weniger zu positiven Umstellungen im Bewegungsverhalten und zur Teilnahme an Sportprogrammen zu bewegen. Das kann daran liegen, dass Nichtrauchern körperliche Aktivität leichter fällt als Rauchern. Deshalb beschäftigen sich Forscher mit der Frage, ob Sportengagement Personen dabei unterstützt nicht mit dem Rauchen anzufangen und ob Veränderungen im Rauchverhalten auch das Sportverhalten beeinflussen. In einer randomisierten Studie von Marcus et al. (1999) wurde mit einer Gruppe weiblicher Rauchenden ein kognitiv-behaviorales Raucherentwöhnungsprogramm durchgeführt, welches bei der anderen Gruppe mit einem Trainingsprogramm ergänzt wurde. Das Follow-Up nach drei Monaten zeigt, dass die Raucherinnen, die sportlich aktiv waren, mit einer doppelt so hohen Wahrscheinlichkeit abstinent waren als die ohne Sportprogramm.

3.2.2 Soziale Ebene

Lynch (2000) differenziert zwischen distalen und proximalen sozialen Kontakten. Die Nachbarschaft, Kollegen bzw. Mitschüler oder Kommilitonen oder andere Bekannte aus verschiedenen Strukturen gehören zum distalen Kontext, während Familie und Freunde zu den proximalen Kontakten gezählt werden. Pahmeier (2008a) nennt darüber hinaus mit Trainer bzw. Übungsleiter und Sportgruppe weitere wichtige Bezugspersonen. Dieser Ansatz wird hier integriert, da diese Personen für die sportliche Aktivität eine wichtige Rolle einnehmen können.

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Ende der Leseprobe aus 112 Seiten

Details

Titel
Warum treiben junge Erwachsene kaum Sport? Gründe für die Aufnahme und den Abbruch sportlicher Aktivität
Jahr
2021
Seiten
112
Katalognummer
V900437
ISBN (eBook)
9783960959571
ISBN (Buch)
9783960959588
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Aktivitätsverhaltens, Jugendliche, Sport, Aktivitätsaufnahme, Sportengagement, Public Health, Freizeitsport, Wettkampfsport, Sportaussteiger, Sportverhalten
Arbeit zitieren
Anonym, 2021, Warum treiben junge Erwachsene kaum Sport? Gründe für die Aufnahme und den Abbruch sportlicher Aktivität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/900437

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