Integrative Arbeit im Förderschwerpunkt Sprache

Eine Praxisstudie


Examensarbeit, 2007

135 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Abkürzungsverzeichnis

Teil A Allgemeine Grundlagen integrativer Arbeit
1. Sprachbehinderung und Integration
1.1 Begriffsverständnis von Integration
1.2 Sprach- und Kommunikationsstörung
1.3 Verständnis einer integrativen Sprach- und Kommunikationsförderung
1.4 Kriterien zur Überprüfung der Qualität von Sprachförderung
2. Rahmenbedingungen schulischer Integration
2.1 Bildungspolitische Grundlagen der Integration
2.2 Rechtliche Rahmenbedingungen in Bremen
2.3 Strukturelle Anforderungen
2.3.1 Aspekte des integrativen Unterrichts
2.3.2 Klassenfrequenz
2.3.3 Organisationsformen
2.3.4 Leistungsbewertung
2.3.5 Räumliche und materielle Anforderungen
2.4 Personelle Anforderung
2.4.1 Kommunikative Kompetenzen
2.4.2 Kooperationsbereitschaft und –fähigkeit
2.4.3 Die veränderte Rolle des Regel- und Sonderpädagogen

Teil B Praktische Erkundung - Darstellung der aktuellen Situation integrativer Arbeit im Förderschwerpunkt Sprache in Bremen / eine Analyse, inwieweit theoretische Ausarbeitungen in die reale pädagogische Arbeit einfließen
3. Entwicklung der Untersuchungsinstrumente Experteninterview durch Leitfaden gestützt - und standardisierter Fragebogen
3.1 Verfahren und Erkenntnisgewinn „standardisierter Fragebogen“
3.1.1 Auswahl der Informanten „standardisierter Fragebogen“
3.1.2 Durchführung der Befragung mittels standardisiertem Fragebogen
3.1.3 Auswertung der Daten aus der E-Mail-Befragung
3.2 Verfahren und Erkenntnisgewinn „Experteninterview – leitfadengestützt“
3.2.1 Auswahl der Informanten „Experteninterview – leitfadengestützt
3.2.2 Durchführung der Experteninterviews
3.2.3 Auswertung der Daten aus den Experteninterviews
3.2.3.1 Inhaltliche Zusammenfassung der Experteninterviews nach Lütje-Klose
1. Sonderpädagogin
2. Sonderpädagogin
3. Sonderpädagogin
3.2.3.2 Vergleich der Aussagen der Experten aus den Interviews
4. Ergebnisse der empirischen Untersuchung - eine Zusammenfassung
4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse der Befragung mittels standardisiertem Fragebogen und entsprechende Schlussfolgerungen für die integrative Arbeit an den Grundschulen Bremens
4.2 Zusammenfassung der Ergebnisse der Datenanalyse der Experteninterviews
5. Allgemeine Probleme während der Untersuchung
6. Konsequenzen für die integrative Arbeit im Förderschwerpunkt Sprache in den Grundschulen Bremens entsprechend den empirisch belegten Defiziten
7. Ausblick – Im Hinblick auf integrative Arbeit im Förderschwerpunkt Sprache an den Grundschulen Bremens und im Bezug auf zukünftige Untersuchungen

8. Literaturverzeichnis

9. Anhang
Anhang 1
Anhang 2
Anhang 3
Anhang 4
Anhang 5
Anhang 6
Anhang 7
Anhang 8
Anhang 9
1. Sonderpädagogin
2. Sonderpädagogin
3. Sonderpädagogin

Einleitung

„Sag mal, was ist oder heißt denn nun Integration eigentlich?“

Eine Studentin zu ihrem Kommilitonen.

„Du musst Dich mal mit Herrn Schmidt unterhalten. Der sagt, an dessen Schule wird integrativ gearbeitet. Aber wie, sag ich Dir! Ganz anders als bei uns!“

Eine Lehrerin zu ihrem Kollegen.

„Unter integrativer Arbeit mit meinem Kind stelle ich mir aber etwas anderes vor!“

Eine Mutter zu der Lehrerin ihres Kindes.

„Ich hatte gestern ein Gespräch mit Frau Müller von der Schule in Nebenstadt. Du, die wusste gar nicht, was integrative Arbeit an Schulen heißt!“

Ein Lehrer zu seiner Kollegin.

Solche oder ähnliche Situationen zeigen die Besonderheit des Themas der integrativen pädagogischen Arbeit auf. Einigkeit darüber, was Integration ausmacht und wie sich die Umsetzung gestaltet, herrscht weder unter den Theoretikern noch unter den Praktikern im Bereich Sonderpädagogik (vgl. dazu u.a. Werning, 2005; Lütje-Klose, 1997).

Als ich anfing, mich im Zusammenhang mit meiner Staatsexamensarbeit mit integrativer Arbeit auseinander zu setzen, erinnerte ich mich an meine Praktikumszeit an einer integrativ arbeitenden Schule. Auch in diesem Rahmen begegnete mir fortlaufend das Schlagwort „Integration“ und im Studium hat mich die Diskussion um entsprechende Grundlagen, deren praktische Umsetzung u.a. für das Thema sensibilisiert. Während meiner Literaturrecherche zu diesem Gegenstand hat sich dann auf Grund meiner praktischen Erfahrung der Eindruck erhärtet, dass theoretische Ausarbeitungen zu integrativer Arbeit zu einem relativ geringen Teil in die Praxis einfließen.

In der vorliegenden Arbeit setze ich den Fokus speziell auf die Umsetzung theoretischer Grundlagen in der integrativen Arbeit der Grundschulen Bremens im Förderschwerpunkt Sprache. Um relevante Aussagen machen zu können, habe ich mich für ein qualitatives Erhebungsinstrument entschieden und drei Experteninterviews, gestützt durch einen Leitfaden, mit Lehrkräften von integrativ arbeitenden Bremer Grundschulen zu ihrem Arbeitsalltag geführt. Bei der Gestaltung des Leitfadens sowie bei der Auswertung der entsprechenden Daten habe ich mich auf die von Lütje-Klose entworfenen Kategorien (siehe Anhang 7) gestützt. Ebenso habe ich allen Grundschulen Bremens einen standardisierten Fragebogen zukommen lassen. Dieses quantitative Erhebungsinstrument sollte erfassen, wie viele dieser Einrichtungen integrativ arbeiten und welche Organisationsform (z. B. Unterricht im Klassenverband) sie nutzen, um integrative Arbeit umzusetzen.

Als erstes erläutere ich die Begrifflichkeiten Integration sowie Sprach- und Kommunikationsstörung, um danach den theoretischen Bezugsrahmen der sich daran anschließenden Untersuchung zu schaffen. Im Hinblick auf fachspezifisches Wissen und entsprechende Grundlagen integrativer Arbeit im Förderschwerpunkt Sprache stelle ich Lütje-Kloses Ausarbeitungen zu integrativer Sprach- und Kommunikationsförderung sowie Bahrs Qualitätsmerkmale für einen sprachtherapeutischen Unterricht vor. Weiterhin gehe ich auf die unterschiedlichsten Theoretiker der Integrationspädagogik und deren theoretische Aussagen zu Rahmenbedingungen integrativer Arbeit ein (u.a. Füssel, Kretschmann, Werning). Sowohl Lütje-Kloses als auch Bahrs Ausarbeitungen sowie die Theorien der verschiedenen Integrationspädagogen und zusätzlich das Bremer Schulgesetz stellen die Grundlage für eine Überprüfung meiner These, dass Theorie und Praxis im Hinblick auf integrative Arbeit im Förderschwerpunkt Sprache an den Grundschulen Bremens auseinanderklaffen, dar. Des Weiteren gehe ich auf die aktuell vorhandene sprachheilpädagogische Förderung an den Schuleinrichtungen ein, um im Anschluss meine Untersuchung und die daraus entstehenden Schlussfolgerungen für Theorie und Praxis vorzustellen.

Aus Gründen der Schreibökonomie benutze ich das Suffix „-Innen“ (z. B. LehrerInnen) für die Nennung weiblicher und männlicher Bezeichnungen. Es kommt jedoch vereinzelt auch zur Nennung nur der weiblichen oder männlichen Form, mit der beide Geschlechter benannt sind.

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Teil A Allgemeine Grundlagen integrativer Arbeit

1. Sprachbehinderung und Integration

Unter Punkt 1 soll mein Verständnis von Begriffen näher gebracht werden, die ich bezüglich meines Themas für wesentlich halte. Zunächst wird eine Klärung des Begriffs der Integration und danach der Sprach- und Kommunikationsstörung vorgenommen. Allen Termini ist gemein, dass sie in der Literatur unterschiedlich verstanden und definiert werden und dass es verschiedene wissenschaftliche Zugänge und Sichtweisen gibt. Orientiert an Birgit Lütje-Klose wird eine Vorstellung von integrativer Sprach- und Kommunikationsförderung näher gebracht, die sie aufgrund ausführlicher Literaturrecherche entwickeln konnte. Reiner Bahr stellt Qualitätsmerkmale für den sprachtherapeutischen Unterricht auf, die in Verbindung mit aktuellen Erkenntnissen über die Qualität eines erfolgreichen Unterrichts in der allgemeinen Schule zu einem ortsunabhängig anwendbaren didaktischen Konzept wird.

Im Folgenden werde ich einen Überblick über die wissenschaftliche Diskussion geben sowie ein Verständnis, auf das sich meine Arbeit stützt, darlegen.

1.1 Begriffsverständnis von Integration

Grundlegend habe ich festgestellt, dass der Begriff Integration in der Literatur und im alltäglichen Sprachgebrauch ein vielseitig angewandter Begriff ist, der in den verschiedensten Zusammenhängen und mit den unterschiedlichsten Bedeutungen benutzt wird. Jeder der sich mit dem Begriff auseinandergesetzt hat, sieht in den verschiedenen Aspekten des Begriffs seinen eigenen Schwerpunkt.

„Das Verb „integrieren“ findet vom 18. Jahrhundert, zunehmend dann im 20. Jahrhundert Eingang in den Sprachschatz: zunächst in der Philosophie, dann in verschiedenen Bedeutungsschattierungen, in zahlreichen Wissenschaftsbereichen“ (Kobi 1999, S.71). In seinem Aufsatz „Was ist Integration? Analyse eines Begriffs“ gibt Kobi hierzu einen Überblick zum Bedeutungswandel.

Des Weiteren beschreibt er Integration in Form von Gegensatzpaaren:

- Prozess versus Zustand
- Methode versus Ziel
- Individuale versus soziale Angelegenheit
- Vorgabe versus Aufgabe
- Parzellierbare versus ganzheitliche Daseinsform
- Struktur versus Wert
- Intentionale versus koexistenzielle Lebens- und Daseinsgestaltung

(vgl. Kobi 1999, S.75-78).

Das bedeutet, Integration als Bildung eines Ganzen beinhaltet in sich Ambivalenzen.

Kobi definiert Integration daher als „eine Lebens- und Daseinsform“ (im speziellen Fall zwischen Behinderten und Nichtbehinderten). Die Gesellschaft und deren Untersysteme können sich entweder dafür oder dagegen entscheiden, wie u. a. die Institution Schule (Regelschule - Sonderschule). Insbesondere betont er den Anspruch der Freiwilligkeit innerhalb der Integration (vgl. Kobi 1999, S.79).

Da ich in meiner Arbeit die praktische Umsetzung schulischer Integration untersuche, steht für mich die Begriffsbestimmung im pädagogischen Kontext im Mittelpunkt.

„Das Problem besteht genau darin, daß es keine Festlegung auf eine wissenschaftstheoretisch begründete Ausgangsposition gibt und ein umschriebenes integrationspädagogisches Begriffsverständnis fehlt“ (Braun 1999, S. 217). Das heißt, eine allgemeingültige Erklärung ist nicht gegeben, auf deren Grundlage weiterführende Konzepte für die praktische Gestaltung entwickelt werden können.

Zur pädagogischen Begriffsbestimmung von Integration unternimmt Otto Braun den Versuch einer Definition, ausgehend von den verschiedensten integrationstheoretischen und integrationspraktischen Ansätzen der aktuellen Integrationsdebatte auf der Grundlage einer Zusammenstellung der Integrationsdefinitionen folgender Autoren (vgl. Braun 1999, S. 218-219):

- Nichtaussonderung – Normalisierung (Schöler,1988,1993,1997)
- Aufhebung der Sonderpädagogik (Eberwein,1988)
- Gemeinsam Leben und Lernen (Speck, 1991)
- Ökosystemischer Behinderungsbegriff (Sander, 1998)
- Gemeinsame Unterrichtung (Bleidick, 1988)
- Gemeinsames Lernen am gemeinsamen Gegenstand (Feuser, 1989)

(siehe Tabelle 1.1.-1: Braun 1999, S. 218).

Die in Tabelle 1.1.-1 (siehe Anhang 1) dargestellten Integrationsdefinitionen stellen einige bedeutende Einflüsse auf die Integrationsentwicklung dar. Integration ist als ein dynamischer Entwicklungsprozess zu verstehen, was einer konkreten Festlegung auf eine dauerhafte allgemeingültige Definition widersprechen würde.

Bei der Auseinandersetzung mit verschiedensten Autoren und Modellen konnte ich grundsätzlich die Schlussfolgerung ziehen, dass soziale Integration keine Anpassung Behinderter in die Lebenszusammenhänge Nichtbehinderter bedeutet, sondern - wie Speck es beschreibt - ein Wechselwirkungsprozess darstellt, in dem sich beide Seiten aufeinander zu bewegen. Dabei sei es Grundvoraussetzung, dass jede Seite die andere so akzeptiert, wie sie ist, und dennoch eine schrittweise Annäherung zulässt (vgl. Speck 2003, S. 391). „Einigung bedeutet den Verzicht auf die Verfolgung des Andersartigen und stattdessen die Entdeckung des gemeinsam Möglichen bei Akzeptanz des Unterschiedlichen“ (Reiser 1986, S. 120). Diesem Anspruch gerecht zu werden, heißt, sich immer wieder mit etwas Neuem auseinander zu setzen und dazuzulernen. Auch aus dieser Sicht ist Integration grundsätzlich als ein Entwicklungsprozess zu verstehen, der sich ein Leben lang vollzieht.

Speck hingegen ist der Meinung, dass der Grad der Integriertheit subjektiv verschieden je nach gesellschaftlicher und persönlicher Einstellung ist (vgl. Speck 2003, S. 386). Seiner Ansicht nach kann man den Begriff nicht standardisieren (vgl. ebd., S. 386).

Aus systemischer Sicht betrachtet wirken in diesem Prozess verschieden miteinander verbundene und sich wechselseitig bedingende Faktoren. Der Mensch als Ganzes ist selbst ein System und Teil eines Systems. Jeder Teil eines Systems steht mit anderen Teilen in Wechselwirkung. Veränderungen in einem Teil führen somit zu Veränderungen im Ganzen. (vgl. Lütje-Klose 1997, S. 77). Letztendlich ist es für die Verwirklichung der Integration sinnvoll, sie unter dem Blickwinkel des systemischen Ansatzes als einen sich Schritt für Schritt entwickelnden Wechselwirkungsprozess zu betrachten.

1.2 Sprach- und Kommunikationsstörung

Braun spricht von einer Sprachstörung, „[...] wenn die Fähigkeit zum regelhaften Gebrauch der Muttersprache fehlt oder abweichend eingeschränkt ist. Sie erscheint als Funktionsmangel, als Funktionseinschränkung oder Desintegration der sprachlichen Prozesse aufgrund einer Schädigung und betrifft die phonetische, psycholinguistische und pragmatische Ebene der Sprache“ (Braun 2002, S.38). Diese Begriffserklärung beschränkt sich zu sehr auf den Menschen als Ursache der Störung. Bei der Betrachtung einer Sprachstörung ist auch immer zu beachten, dass das sprachbehinderte Kind in einen sozialen Kontext eingebunden ist, aus dem heraus die Störung sich entwickelt. Das heißt, die Sprachstörung steht selten für sich allein.

Baumgartner sieht die Sprachstörung als ein eigens erlebtes Ereignis an, was für ihn zur Konsequenz hat, dass es auch subjektiv verarbeitet und nach eigener Maxime positiv verändert werden kann (vgl. Baumgartner/Dannenbauer/Homburg 2004, S. 99). Somit ist eine Sprachstörung an das subjektive Erleben ihrer Umwelt und deren Reaktion gekoppelt und wirkt sich individuell bei jedem Kind aus. Das wiederum hat zur Konsequenz, dass die Herangehensweise an eine Sprachförderung immer ganzheitlich (motorisch, sensorisch, emotional und kognitiv) und individuell gestaltet sein sollte. Es sollte individuell an die Lebenswelt der sprachgestörten Person angeknüpft werden, um ein so natürliches und motivierendes Lernen wie möglich zu gestalten.

Das ganzheitliche Prinzip gilt ebenso für die Sprachentwicklung. Um die Vielfalt an unterschiedlichen und wechselwirkenden Einflüssen zu demonstrieren, verwende ich den „Sprachbaum“ von Wendtland zur Darstellung der Sprachentwicklung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1.2.-1.: Der Sprachbaum (Wendlandt 2000, S. 9)

Bevor das Kind beginnen kann, Sprache zu erwerben, muss es sich innerhalb der Gesellschaft, in die das Kind geboren wird, sensorisch, emotional und geistig entwickeln. Grundvoraussetzungen für die aktive Sprache mit den wesentlichen Bereichen Artikulation, Wortschatz und Grammatik sind Sprachverständnis und Freude an der Sprache. Des Weiteren sind äußere Reize, wie zum Beispiel das Sprachvorbild anderer Menschen unverzichtbar, weil es dem Kind den Anlass bietet, das Gesprochene zu imitieren. Durch das Sprechen kann das Kind sich seiner Umwelt mitteilen und daraus resultiert eine Rückkopplung auf das Gesprochene des Kommunikationspartners. Einerseits haben Zuwendung und Verständnis einen entscheidenden Einfluss auf die Sprachentwicklung, andererseits präsentieren diese Faktoren die Annerkennung der Umwelt. Das Kind bekommt eine positive Rückmeldung auf seine eigens erbrachte Leistung. Eine adäquate Sprache gewährleistet somit die soziale Teilhabe in der Gesellschaft. Als vermutlich entscheidendsten Punkt sollte man die Sprechmotivation sehen (vgl. Wendtland 2000, S.10 ff.). Fehlt der Grund (richtig) zu reden, gibt es auch keinen Anlass, es zu lernen. Dieser Zusammenhang ist meiner Erkenntnis nach grundlegend und spiegelt die ganzheitliche Sichtweise in Bezug auf die Sprachförderung wider. Auf existierende Störungsbilder[1] gehe ich in dieser Arbeit nicht näher ein, da sie für den Inhalt keine direkte Relevanz haben.

Wie anfangs dargestellt bedingen sich Sprache und Kommunikation gegenseitig. Kommunikation wird als Bedingung und gleichzeitig als Ziel des Spracherwerbs beschrieben (vgl. Lütje-Klose 1997, S. 87). Kommunikation umfasst nicht nur die Sprache als Lautsprache, sondern alle Möglichkeiten, mit denen man sich ausdrücken kann (vgl. Lütje-Klose 1997, S. 87). Dazu zählen u.a. Mimik, Gestik, Symbole, Gebärden und einige mehr.

Grundsätzlich wird der Begriff der Kommunikation unter dem Grundaspekt des „Sich - ausdrücken-Wollens“ betrachtet. Daraus erwachsen vielfältigste Möglichkeiten zu interagieren und sich zu integrieren. Dies bedeutet, dass die Grenzen und Möglichkeiten zu kommunizieren nicht von außen, sondern durch das Individuum in sich selbst gesetzt werden. Pädagogen und Therapeuten nehmen somit eine unterstützende Rolle wahr (vgl. dazu u.a. Neumann 2001, S. 10 ff.; Datler/Bamberger/Studener 2000, S. 13 ff.).

Grundlegend ist bekannt, dass es in der Kommunikation einen Sender und einen Empfänger gibt. Otto Braun sieht eine Kommunikationsstörung darin, „[...] wenn der betroffene Mensch und seine Kommunikationspartner in der Erfüllung der Funktionen menschlicher Kommunikation (Informationsaustausch, Bedürfnisbefriedigung, Ausdruck der Persönlichkeit, Regulation der Beziehung u.a.) beeinträchtigt sind“ (Braun 1995, S. 317). Ergänzend zu seiner Definition meint er, dass beide Kommunikationspartner behindernd sein können (vgl. Braun 1995, S. 317). Das heißt, eine Kommunikationsstörung basiert nicht nur primär auf der Störung der Sprache, sondern auch auf der Fähigkeit, Sprache als Handlungsmittel, wie Berücksichtigung des kommunikativen Kontextes, die Perspektive des Zuhörers einnehmen zu können, ein Gespräch zu organisieren oder das Klarmachen kommunikativer Absichten, einsetzen zu können (vgl. Baumgartner 2004, S. 105 ff).

Letztlich fordert eine Sprach- und Kommunikationsstörung eine ganzheitliche Sichtweise, wovon der defizitäre Blickwinkel nur einen Teil erfasst. Das Prinzip der Ganzheitlichkeit betrachtet den Menschen in seiner Gesamtheit, indem er anhand seiner Einzelteile analysiert wird. Das Wesentliche bei dieser Betrachtungsweise ist, dass der Mensch als aktives und verantwortungsvolles Wesen Einfluss auf Störung und Entwicklung nehmen kann (vgl. Grohnfeldt/Ritterfeld 2000, S.34).

Gleichzeitig kann man die Sprach- und Kommunikationsstörung aus der systemischen Perspektive heraus verstehen. Dabei ist der Mensch in ein System eingebunden, dessen Struktur und Wechselwirkung er unterliegt. „In Bezug auf Störung bedeutet die systemische Perspektive, dass nicht das Individuum gestört ist, sondern das Gesamtsystem. Das Individuum ist nur derjenige Systemaspekt, an dem sich die Systemstörung manifestiert“ (Grohnfeldt/Ritterfeldt 2000, S. 35).

Beide Sichtweisen nehmen Einfluss auf das Verständnis von einer Sprach- und Kommunikationsstörung und bilden gleichzeitig die Grundlage für ein Verständnis einer Sprach- und Kommunikationsförderung.

1.3 Verständnis einer integrativen Sprach- und Kommunikationsförderung

„Die Schule ist Lebensraum ihrer Schülerinnen und Schüler, sie soll ihren Alltag einbeziehen und eine an den Lebensbedingungen der Schülerinnen und Schüler und ihrer Familien orientierte Betreuung, Erziehung und Bildung gewährleisten. Schülerinnen und Schüler sollen altersangemessen den Unterricht und das weitere Schulleben selbst- oder mitgestalten und durch Erfahrung lernen“ (BremSchulG 28.Juni 2005, §4 Absatz 2). Dieser Teil der allgemeinen Gestaltung des Schullebens legt den Grundstein jedes pädagogischen Arbeitens. Auch in Bezug auf die integrative Sprach- und Kommunikationsförderung in den Grundschulen ist dies ein sinnvolles Ziel. Inwiefern dieses Ziel in der Praxis erreicht wird, ist zu überprüfen.

Wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zu einer konkreten Vorstellung über integrative Sprach- und Kommunikationsförderung gibt es nur wenige. In einem Buch von Birgit Lütje-Klose mit dem Titel „Wege integrativer Sprach- und Kommunikationsförderung in der Schule“ von 1997 findet man einen umfassenden erkenntnistheoretischen Zugang. Ihr Verständnis beruht auf einer konstruktivistischen Grundannahme, die nach ihrer Ansicht im Laufe der eigenen Entwicklung von jedem selbst gefunden werden kann (vgl. Lütje-Klose 1997, S. 109). Zu dem Verständnis von Integration als Erkenntnisprozess wirkt diese Sichtweise ergänzend. Birgit Lütje-Klose hat sich Gedanken gemacht, wie eine Sprach- und Kommunikationsförderung nach ihren Erkenntnissen aussehen könnte. Diese Gedanken sollen im Weiteren dargelegt werden.

Als eine Komponente der integrativen Sprach- und Kommunikationsförderung beschreibt sie die Berücksichtigung der „systemisch-ganzheitlichen Sichtweise des Individuums im Kontext seiner Lebensgeschichte“ (Lütje-Klose 1997, S. 109) im Bereich der Diagnose sowie der Förderung. Das heißt, die Lernumgebung bietet die Möglichkeit, dass jedes Kind Anschluss an seine Lebensumwelt erhält und somit auf natürliche Art und Weise zur Kommunikation angeregt werden kann. Dabei spielen auch das häusliche Umfeld, die Freunde und Klassenkameraden eine entscheidende Rolle. Unter diesem Aspekt, ist die wohnortnahe und integrative Beschulung wiederum ein wesentlicher Faktor für die systemische Arbeit in der Förderung. So lernt das Kind in jeder Lebenslage seine Sprach- und Kommunikationsbeeinträchtigung zu überwinden. Wichtig ist dabei auch, die Ausgestaltung der Lernumgebung und den ganzheitlich sprachgeleiteten Unterricht für alle Kinder nutzbar zu machen, um den nicht sprachbehinderten Kindern ein Verständnis für die Situation sprachbehinderter Kinder zu geben. Jedes Kind kann so von der sprachanregenden Umgebung profitieren, was nur zum Vorteil sein kann (vgl. Lütje-Klose 1997, S.109).

„Die Förderung erfolgt im natürlichen Kontext der (wohnortnahen) Regelschule, in der die Verschiedenheit individueller Entwicklungen akzeptiert und die Gemeinsamkeit aller Kinder in gemeinsamen Handlungssituationen bewusst hergestellt wird“ (Lütje-Klose 1997, S.109). Das bedeutet auch, dass eine differenzierte Arbeitsweise Voraussetzung für eine integrative Sprachförderung ist - zum einen, weil jedes Kind, egal, ob es eine Behinderung hat oder nicht, als eine besondere individuelle Persönlichkeit angesehen wird und so keine Besonderung von Nöten ist. Und zum anderen würde eine offene Form des Unterrichts das Einbringen integrativer Sprachfördermaßnahmen seitens des Sonderschullehrers erleichtern (vgl. Lütje-Klose 1997, S.109).

Grundsätzlich soll es in der integrativen Sprachförderung auch darum gehen, Umfeld und Förderung der sprachlichen Fähigkeiten so zu unterstützen, dass Besonderungen im Allgemeinen vermieden werden. Des Weiteren bedeutet integrativ auch immer kooperativ, da sich die Spannweite an Aufgaben und Kompetenzwissen der pädagogischen Fachkräfte erweitert haben. Aus diesem Grund ist die Hinzunahme des Kindes, deren Eltern und anderer pädagogischer Fachkräfte ein Muss in der integrativen Sprach- und Kommunikationsförderung (vgl. Lütje-Klose 1997, S.110).

Verfolgt man die konstruktivistische Denkweise, so soll bei der Sprach- und Kommunikationsförderung das Kind aktiv seine Welt erkunden können. Dementsprechend müssen die Rahmbedingungen gestaltet werden. Das Kind ist gefordert, „seine Hypothese über die sprachlichen und kommunikativen Strukturen seiner Lebenswelt zu überprüfen und seine eigenen Strukturen an die seiner Sprachgemeinschaft anzunähern“ (Lütje-Klose 1997, S.110). Der Lehrer agiert in diesem Fall als Begleiter, der das Kind auf seinem Weg unterstützt (vgl. Lütje-Klose 1997, S.110).

Ein letzter wichtiger Punkt ist die Gestaltung einer bedeutungsvollen gemeinsamen Handlungssituation, in der die Lehrerperson das Kind bewusst in seinem Lernprozess anregt und unterstützt. Das Kind kann so, durch sprachlich-kommunikatives Handeln der fördernden Person, in seiner eigenen sprachlichen Aktivität vorangetrieben werden. Den Kernpunkt bildet dabei eine kooperative Beziehung. Ausgehend von Bronfenbrenner[2] und Rotthaus[3] beschreibt Birgit Lütje-Klose den Begriff prägnant und anschaulich: „In kooperativen Beziehungen, die durch dauerhafte Gefühle füreinander, gemeinsame Tätigkeiten mit komplementären Inhalten und aufmerksame gemeinsame Beobachtung gekennzeichnet sind, wird soziale Teilhabe möglich, wenn die individuellen Wirklichkeitskonstruktionen mit der kulturgebundenen sozialen Realität in Einklang gebracht werden“ (Lütje-Klose 1997, S.102).

Diese Sichtweise ist am Kind orientiert. Dieses Grundverständnis entspricht meiner Vorstellung von der integrativen Arbeit im Förderschwerpunkt Sprache. Diese Art der Sprach- und Kommunikationsförderung präsentiert Kriterien, die an den individuellen Fähigkeiten des Kindes und seine Lebenswelt angepasst sind.

1.4 Kriterien zur Überprüfung der Qualität von Sprachförderung

In der Sprachheilpädagogik wurden seit jeher drei Säulen zur Qualitätssicherung sprachheilpädagogischer Förderung genutzt. Zum einen die Arbeit des traditionellen Spracheillehrers mit seinen spezifischen Kompetenzen, zum anderen die Sprachheilschule mit ihrer spezifischen organisatorischen und pädagogischen Aufgabe und als drittes die subjektorientierte sprachliche Förderung mit allgemeinbildenden Erziehungs- und Bildungsprozessen (vgl. Lüdtke/Bahr 2000, S. 148). Diese Garanten für eine qualitativ hochwertige Sprachförderung können unter heutigen Bedingungen nicht mehr in dieser Form bestehen (vgl. Lüdtke/Bahr 2000, S. 148). Um sich die sonderpädagogische Qualität zu erhalten bzw. weiterentwickeln zu können, sollte versucht werden „[...] ihr klassisches Outfit den modernen Bedingungen und Anforderungen anzupassen.“ (Lüdtke/Bahr 2000, S. 149). Dazu ist das Anforderungsprofil des Sprachheilpädagogen an die aktuellen Bedingungen ein erster Schritt. Möglichkeiten zur Professionalisierung des Lehrenden werden darin gesehen, dass er eigenverantwortlich den Lerngegenstand mit einer Bandbreite an Methoden, an die neuen flexiblen Bedingungen anpasst (vgl. Lüdtke/Bahr 2000, S. 150). Es ist die Aufgabe eines Lehrers, sein Betätigungsfeld neu zu definieren, um damit dem Anforderungsprofil eines integrativ arbeitenden Sonderpädagogen zu entsprechen. Dazu wurden die Sparten Sprache-Sprechen-Kommunikation, Bilden und Erziehen, Lehren und Lernen sowie Beraten und Kooperieren unter den Gesichtspunkten der Fähigkeit und Fertigkeit definiert (vgl. Lüdtke/Bahr 2000, S. 150). Zur näheren Beschreibung der Bereiche verweise ich auf die Übersicht von Lüdtke und Bahr 2000 (siehe Anhang 2).

Bahr versucht aufbauend auf einer theoretisch fundierten Grundlage, Qualitäten eines guten Unterrichts allgemein und Qualitäten des sprachtherapeutischen Unterrichts so aufeinander zu beziehen, dass Qualitätsmerkmale für einen Unterricht für sprachbehinderte Kinder entstehen, die in allgemeinbildenden Schulen ihre Anwendung finden können (vgl. Bahr 2003, S. 28 ff). Aus den empirischen Ergebnissen über die Merkmale „guten Unterrichts“ von Haenisch[4] ist das „Vier-Felder-Modell“(Anhang 3) entstanden. Um das „Vier-Felder-Modell“ sprachheilpädagogisch zu akzentuieren, orientiert sich Bahr an dem von Otto Braun entworfenen Kriterien sprachtherapeutischen Unterrichts[5]. Resultierend ergeben sich Qualitätsmerkmale guten Unterrichts unter dem Deckmantel des besonderen Sprachheilpädagogischen (vgl. Bahr 2003, S. 28 ff).

Ausgangspunkt ist die Analyse sprachspezifischer Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler. Die Bildungsinhalte sollten so gestaltet sein, dass sie sprachspezifisches Lernen ermöglichen. Die Methoden- und Medienwahl ist sprachtherapeutisch ausgerichtet und baut auf die vorausgehenden Punkte auf. Besondere Bedeutung kommt auch hier der Qualifikation der Lehrerinnen und Lehrer zu (vgl. Bahr 2003, S. 19). Es soll gewährleistet werden, dass die Lehrerinnen und Lehrer „[...] unter Beachtung der allgemeinen Qualitätsmerkmale und in Verbindung mit einer pädagogischen professionellen Haltung, ein Wissens- und Könnensrepertoire besitzen, das genau diese spezifische Ausrichtung ermöglicht“ (Bahr 2003, S. 19).

Zusammenfassend kann man sagen, dass eine aktuelle Notwendigkeit darin besteht, die Ausbildung der Lehrkräfte an die neuen Erfordernisse anzupassen. Es wird ein konkreter Entwurf eines didaktischen Konzeptes für die gemeinsame Unterrichtung nicht behinderter Kinder und Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf Sprache gebraucht, um überschaubare und realisierbare Ansätze für adäquate Veränderungsprozesse gewährleisten zu können.

2. Rahmenbedingungen schulischer Integration

„Wer Spitzenleistungen von Kindern und Lehrkräften verlangt - und wem tatsächlich an einer effizienten Förderung von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf gelegen ist – muss auch spitzenmäßig in Bildung investieren“ (Kretschmann 2007).

Diesbezüglich gehe ich hier schwerpunktmäßig auf allgemeine Rahmenbedingungen ein, um in meinen Erhebungen zur integrativen Arbeit im Förderscherpunkt Sprache in Bremen Bezug nehmen zu können.

„Auf dem Prüfstand steht nicht die Integrationsfähigkeit der Kinder und Jugendlichen, sondern die Integrationsfähigkeit der Schulen“ (Deppe-Wolfinger 2002, S.46).

2.1 Bildungspolitische Grundlagen der Integration

In unserem föderativen Staat liegen die Bildungsangelegenheiten im Wesentlichen in der Kulturhoheit der Länder.

Deswegen hat jedes der 16 Bundesländer eigene rechtliche Regelungen zum Bildungswesen und damit u. a. zu Art und Umfang schulischer Integration. Grundlegend sind die verfassungsrechtlichen Regelungen für die Gesetzgebung der Länder. So ist seit 1994 gemäß Artikel 3, Abs.3 Grundgesetz geregelt, dass es keine Benachteiligungen auf Grund einer Behinderung geben darf. So verpflichtet der Gleichheitsgrundsatz jedes Bundesland, Maßnahmen zur integrativen Förderung zu entwickeln (vgl. Heimlich 2003, S. 55). „Für die gesamte Bundesrepublik wurde mit höchstrichterlichen Urteilen darauf verwiesen, daß behinderte Kinder keinen einklagbaren Anspruch auf gemeinsamen Unterricht mit Nichtbehinderten haben“ (Braun 1999, S.12). Das Bundesverfassungsgericht hat sich zwar deutlich für eine integrative Bildung und Erziehung von Schülern mit sonderpädagogischen Förderbedarf ausgesprochen, die Umsetzung jedoch an die finanziellen, personellen, sächlichen und organisatorischen Möglichkeiten des jeweiligen Landesgesetzgebers orientiert (vgl. Rosenberger 2002, S. 122).

Die Empfehlungen des deutschen Bildungsrates von 1973 sind zu einem bedeutsamen Integrationsdokument geworden. Sie stellen der bisher vorherrschenden schulischen Isolation Behinderter ihre schulische Integration entgegen (Braun 1999, S. 8).

Einen weiteren Rahmen mit orientierenden Charakter liefern die „Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in der Bundesrepublik Deutschland“, die im Jahr 1994 beschlossen wurden, sowie in Bezug auf die Integration sprachbehinderter Kinder und Jugendlicher die „Empfehlung zum Förderschwerpunkt Sprache“, vom 26.06.1998 (vgl. Walter 2004, S.107).

Grundsätzlich besteht das Ziel darin, Kinder mit sonderpädagogischen Förderbedarf in die Grundschule einzuschulen, wenn laut KMK-Empfehlung von 1994 die räumlich, sächlich und materiellen Voraussetzungen stimmen.

2.2 Rechtliche Rahmenbedingungen in Bremen

Basierend auf o.g. gesetzlichen Grundlagen und Empfehlungen ist seit dem 30.12.1994 im Bremer Schulgesetz vom 28. Juni 2005 § 4, Absatz 2 verankert: „Gemeinsamer Unterricht und gemeinsame Erziehung von Schülerinnen und Schülern mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf ist eine Aufgabe für alle Schulen.“ Ergänzend zum Schulgesetz regelt die „Verordnung über die sonderpädagogische Förderung“ vom 24. April 1998 an öffentlichen Schulen das Verfahren zur Einrichtung integrativer Maßnahme, sowie die Möglichkeit der gemeinsamen Unterrichtgestaltung.

In der Integrationsentwicklung haben sich unterschiedliche Zielstellungen und Organisationsformen auf unterschiedlichsten Ebenen entwickelt. Auch in Bremen hat sich nach entsprechender gesetzlicher Festschreibung Einiges bewegt, um eine gemeinsame Beschulung zu erreichen.

Das Auslaufen der Sprachheilschule 2001 in Bremen ist Folge der beschlossenen Förderzentren-Konzeption, was dazu führte, dass alle sprachauffälligen Kinder in Regelschulen beschult werden (vgl. Homburg 2000, S.167). In Bremen wurden die Sonderschulen in Förderzentren für Lernen, Sprache und Emotion umgewandelt. Laut Bremer Schulgesetz § 22 Absatz 1 haben die Förderzentren die Aufgabe, die Grundschule in sonderpädagogischen Fragen zu beraten und mit sonderpädagogischen Maßnahmen zu unterstützen, dabei soll sich das Förderzentrum so weit wie möglich organisatorisch und inhaltlich an die Grundschule angliedern. Außerdem soll die sonderpädagogische Förderung in der allgemeinen Schule möglichst wohnortnah stattfinden (vgl. Der Senator für Bildung und Wissenschaft 2002, S. 37).

Die bisherige Form der Integrationspraxis in Bremen hat gezeigt, dass ein einheitliches Integrationsmodell den individuellen Bedürfnissen aller Kinder nicht gerecht werden konnte. Insbesondere bezüglich der Förderung von sprachbehinderten Kindern weist die Landesgruppe Bremen darauf hin, dass ein sprachtherapeutischer Unterricht unter den bestehenden Bedingungen und der zufällig gestreuten Kompetenz unmöglich sei. Es wird davon ausgegangen, dass besonders unter finanziellem und personellem Aspekt eine sonderpädagogische Förderung für alle förderbedürftigen Kinder nicht zu gewährleisten ist (vgl. Homburg 2000, S. 167).

Nach Auflösung der Sprachheilschule im Jahre 2001 wurde im Rahmen einer 2002 durchgeführten Untersuchung in Bremen vom Sprachheilarbeitszentrum unter Mitwirkung von Frau Prof. Dr. Ursula Pixa-Kettner festgestellt, dass

- es unterschiedliche Organisationsformen in der sonderpädagogischen Förderarbeit an den Grundschulen gibt und diese wiederum das neue Arbeitsfeld der SonderpädagogInnen prägen
- die Erfassung und Betreuung sprachauffälliger SchülerInnen nicht durchgängig oder nicht immer durch eine Fachkraft erfolgt
- für eine gelungene Kooperation zwischen Grund- und Sonderschulkräften ausreichende organisatorische Bedingungen und Rahmenkonzepte wie auch qualifizierende Fortbildungen fehlen
- die sprachheilpädagogische Förderung der Schülerinnen mit sprachheilpädagogischen Förderbedarf seit Auflösung der Sprachheilschule an Qualität verloren hat
- der Transfer sprachheilpädagogischer Kompetenzen in den Regelunterricht der Grundschule nur unzureichend stattfindet (vgl. Landesinstitut für Schule 2003, S.17).

Als Antwort vom Senator für Bildung auf die derzeit in Bremen nicht ausreichend vorhandene sprachheilpädagogische Förderung an den Grundschulen entstand die „Förderkonzeption jahrgangsübergreifender Reintegrationsklassen Sprache“[6]. Neben den Förderzentren sollen so genannte "Reintegrationsklassen" eingeführt werden, in der Kinder bis zu zwei Jahre getrennt von ihrer Regelklasse beschult werden sollen, da bisher notwendige Voraussetzungen für eine wirksame Förderung der SchülerInnen mit Förderschwerpunkt Sprache alleinig in den Regelschulen nicht gegeben sind.

Feuser sieht das Angehen der Probleme in der Verbesonderung als große Gefahr dahingehend, ein weiteres Feld der Ausgrenzung zu eröffnen (vgl. Feuser 2005, S. 6). Als Ursachen für das Zurückgreifen Bremens auf äußere Differenzierung benennt er „[...]die quantitative personelle Unterversorgung der Förderzentren und nicht hinreichende qualitative Kompetenzen des Personals, insbesondere z.B. auch hinsichtlich der Beratung, des Coaching und Co-Teachings [...]“ (Feuser 2005, S. 6).

Bremen hat sich also auf den Weg gemacht. Daher ist im Zuge der Forderung nach der gemeinsamen Schule für behinderte und nichtbehinderte Kinder und der gesetzlichen Legitimation der schulischen Integration in Bremen die Frage zu beantworten, welche Rahmenbedingungen für einen die wirksamen integrativen Unterricht und Förderung im Förderschwerpunkt Sprache erfüllt sein müssen und ob und wie diese in der Praxis umsetzbar sind.[7]

Neben den Pädagogen, Eltern und Schülern kommen zu den Voraussetzungen der Beteiligten am Kooperationsprozess auch die rechtlichen, strukturellen und personellen hinzu, auf die ich im Folgenden näher eingehen werde. Dabei habe ich mich auf die für meine Arbeit relevanten Bedingungen bezogen.

2.3 Strukturelle Anforderungen

Füssel und Kretschmann sind zu der Erkenntnis gekommen, dass die Organisationsstruktur bestimmten Kriterien genügen solle, um eine gemeinsame Beschulung Behinderter und Nichtbehinderter zu gewährleisten. Diese kennzeichnen sich durch wohnortnahe Beschulung, ohne Etikettierung, binnen- und niveaudifferenziert sowie durch ein hinreichendes Angebot behinderungsspezifischer Förderung (vgl. Füssel/Kretschmann 1993, S.57) aus. Um diese Voraussetzungen gewährleisten zu können, sind entsprechende Rahmbedingungen zu schaffen, auf denen aufgebaut werden kann. Hierbei geht es nach Erkenntnissen von Sabine Knauer um eine Umorientierung des gesamten Schulsystems, da es nicht ausreicht, Kinder in eine frequenzreduzierte Schulklasse aufzunehmen (Knauer 2005)[8].

Im Rahmen wissenschaftlicher Begleitforschungen verschiedener Modellversuche wurde vielfach bewiesen, dass integrativer Unterricht unter den entsprechenden Rahmenbedingungen pädagogisch sinnvoll und machbar ist.

2.3.1 Aspekte des integrativen Unterrichts

Rolf Werning geht grundlegend davon aus „[...] Abschied von der Illusion einer homogenen Lerngruppe, die es nie gegeben hat und nie geben wird“ (Werning 2000, S. 28) zu nehmen. Das gemeinsame Lernen von behinderten und nicht behinderten Kindern in einer Klasse fordert Akzeptanz der Heterogenität in den Klassen. „Ziel integrativen Lernens ist daher die lebendige Konfrontation mit dieser Vielfalt [...]“ (Graumann 2005, S. 92). Das Ziel des gemeinsamen Unterrichts ist, den gemeinsamen Inhalt so aufzubereiten, dass alle Schüler daran teilhaben können (vgl. Heimlich 2004, S. 289). Feuser definiert den integrativen Unterricht als „gemeinsames Lernen und Arbeiten behinderter und nichtbehinderter Kinder in Kooperation miteinander an und mit gemeinsamen Inhalten, Themen und Gegenständen, auf ihrem jeweiligen Entwicklungsniveau“ (Feuser 1987, S. 19).

Er geht von folgenden Bestimmungsmerkmalen des integrativen Unterrichts aus:

- Integrativer Unterricht ist nicht das Ziel der Tätigkeit der Lehrer im Unterricht, sondern das Mittel und eine Bedingung ihrer Tätigkeit, eine integrative Pädagogik zu realisieren.
- Die Schüler sind nicht Gegenstand der Tätigkeit der Lehrer, sondern ihre Partner im gemeinsamen Prozess von Lehren und Lernen.
- Gegenstand der Tätigkeit der Lehrer ist die Strukturierung der Lernprozesse (vgl. ebd., S.20 f.).

Heimlich hingegen stellt acht Prinzipien auf, die zur Orientierung für die Lehrkräfte zur inneren Gestaltung gemeinsamen Unterrichts hilfreich sein können:

- Handlungsorientierung – aktive Auseinandersetzung mit dem gemeinsamen Lerngegenstand auf Basis ihrer individuellen Kompetenzen
- Situationsorientierung – Inhalte, die Bezug zur Lebenswelt der Kinder haben (gesellschaftliche Praxisrelevanz besitzen)
- Bedürfnisorientierung – an allen Schülern, durch individualisiertes und differenziertes Lernangebot
- Lernen mit allen Sinnen – multisensorische und bewegungsorientierte Ausrichtung
- Soziales Lernen – Gelegenheiten zur Kooperation der Peer-Group schaffen
- Fächerverbindung – Vernetzung verschiedener Rahmencurricula
- Selbsttätigkeit – um mehr Selbstbestimmung zu erlangen
- Zielorientierung – könnte zieldifferent oder zielgleich sein (vgl. Heimlich 2004, S. 290).

2.3.2 Klassenfrequenz

Die Organisation in den Klassen ist des Weiteren abhängig von der Klassenstärke und Anzahl der Sonderschullehrkräfte, die in einer Schule mit den Grundschullehrern zusammenarbeiten, und damit auch der Grad der Wirksamkeit des gemeinsamen

Unterrichts.

Gitta Zielke stellt zwei Integrationsmodi vor. Im „18+2 Modell“ ist ein Sonderschullehrer für 3 Klassen mit 5-6 förderbedürftigen Kindern zuständig, die so oft wie möglich im Klassenverband gefördert werden sollen (vgl. Zielke 1999, S. 282). Diese Variante beinhaltet, dass ein Sonderschullehrer mit einer großen Anzahl Kinder, 3 Klassenlehrern und einer Vielzahl von Fachlehrern vertraut sein muss (vgl. ebd., S. 282). Ein weiteres Modell wird als „10+5 Modell“ beschrieben, wo eine Sonderpädagogin in nur einer Regelklasse mitarbeitet und zum Teil Klassenlehrerfunktion mit übernimmt (vgl. ebd., S. 282). Jutta Schöler befürwortet ebenfalls das „18+2“ Modell und nennt ergänzend dazu noch das „20+1“ und „15+3“ Modell (vgl. Schöler 1993, S. 130). Kretschmann ist der Auffassung, dass sich das „10+5 Modell“ bzw. „10+4 Modell“ nicht bewährt hat, da der Anteil der behinderten Kinder bei diesem Modell über den Proportionen in der Bevölkerung liegt und sich oftmals in der Praxis in den Klassen unter den vermeintlich nichtbehinderten Kindern immer wieder SchülerInnen mit Problemen befinden. Daher ergeben sich Konstellationen, die der angestrebten Normalität widersprechen (vgl. Füssel/Kretschmann 1993, S. 42). Grundlegend geht es darum, ob die Konstellationen effektive Förderung ermöglichen. In der Praxis hat sich der Mittelweg bewährt, eine Klassenstärke von 20-25 Kindern, davon 3-5 Kinder mit einer Behinderung (vgl. Füssel/Kretschmann 1993, S.42; Graumann 2005, S. 94). Dabei ist zu beachten, dass für jedes Kind nur zwei Förderstunden pro Woche zur Verfügung stehen. „Mit 8, 10 oder besser 12 Stunden lässt sich eine substantielle Doppelbesetzung realisieren. Substantielle Wirkungen werden erst durch Bündelungen verschiedener Maßnahmen erreicht“ (Kretschmann 2000, S. 9).

Feuser und Meyer verweisen in diesem Zusammenhang noch einmal auf zwei Faktoren, die zum Scheitern führen können: „[...] zum einen an der nicht gelingenden Kooperation von Lehrern und zum anderen an der Überhöhung der Relation von Schülern mit erhöhtem Förderbedarf zum Rest der Klasse durch Überbelastung der durch Lehrereinsatz nicht kompensierbaren Sozialstruktur der Gruppe“ (Feuser/Meyer 1987, S. 224). Feuser spricht gleichzeitig die strukturelle Abhängigkeit dieses Faktors zum Gelingen der Kooperation an. Dazu soll unter Punkt 2.3 näher eingegangen werden.

2.3.3 Organisationsformen

Meine Literaturrecherche hat ergeben, dass es aus fachtheoretischer Sicht keine besonderen Anforderungen an den gemeinsamen Unterricht geben sollte, da die Grundschule, so wie es 1919 bereits die Reichsverfassung rechtlich geregelt hat, eine Schule für alle Kinder sein sollte (vgl. Heyer 2002, S.192 ). Im Laufe der Entwicklung hat sie sich jedoch immer mehr zu einer Leistungsschule profiliert, mit möglichst homogenen Leistungsklassen

Um das Ziel der Akzeptanz der Heterogenität der Klasse im Sinne der verschiedenen Lernniveaus der SchülerInnen zu gewähren, sollte der Unterricht weg vom Frontalunterricht hin zu offenen Unterrichtsformen modifiziert werden.

Heimlich geht vom Projektunterricht als integrative Lernsituation aus, worauf alle anderen Formen, wie Freiarbeit, Wochenplanarbeit, Stationen Lernen, Gesprächskreis, Lehrgang, Selbsttätigkeit und Einzel- und Kleingruppenförderung ausgerichtet sind (vgl. Heimlich 2004, S.290ff). Der Projektunterricht ist besonders geeignet für den gemeinsamen Unterricht, da er aufgrund der Vielfalt an Lernwegen Differenzierung und Individualisierung fordert (vgl. ebd., S. 52). Außerdem ermöglicht er eigenaktives konstruktives Lernen. Projektunterricht initiiert die Kooperation aller auf Basis der jeweiligen Kompetenzen an einem gemeinsamen Lerngegenstand (vgl. Feuser 1987, S. 19). Die eben genannten Vorteile der Projektarbeit, wie Selbsttätigkeit, Binnendifferenzierung, Handlungs- und Projektorientierung sowie Kooperation kennzeichnet Braun wiederum als Prinzipien offener Unterrichtsformen (vgl. Braun 1999, S. 234). Ulf Preuss-Lausitz kommt bei seiner Befragung von Integrationslehrern zu dem Ergebnis, dass sie diese offenen Formen für unverzichtbar für ihren gemeinsamen Unterricht halten (vgl. Preuss-Lausitz 1997, S. 135).

Zusammenfassend ist festzustellen, dass es eine didaktische Theorie des gemeinsamen Unterrichts gegenwärtig nur in Ansätzen vorhanden ist

2.3.4 Leistungsbewertung

Ein weiterer Aspekt stellt die Leistungsbewertung dar. Anlehnend an Weinert (2002) müssen bei Kindern, welche die curricularen Anforderungen nicht erreichen, differenziertere Formen der Leistungsbeurteilung zum Einsatz kommen (vgl. Heimlich 2003, S. 52). Dabei sind besonders verbale Leistungsbeurteilungen zu empfehlen, die individualisierte Rückmeldung über die erzielten Lernschritte geben kann. „Insofern entspricht die Praxis der Leistungsbewertung im gemeinsamen Unterricht den neueren Anforderungen an eine Bezugsnormen-Vielfalt mit einem Schwerpunkt bei den curricularen Anforderungen und unter Einbeziehung der Selbstbeurteilung der Schüler/-innen“ (ebd., S. 53).

2.3.5 Räumliche und materielle Anforderungen

Die räumlichen und materiellen Bedingungen einer Schule können förderlich oder beeinträchtigend sein. Aktives und selbstbestimmtes Lernen der Kinder setzt eine offen gestaltete Lernumgebung voraus, die dementsprechend Entfaltungsmöglichkeiten bietet. „Schulräume und Schulgebäude orientieren sich bisher zu wenig an den notwendigen Voraussetzungen einer kindorientierten integrativen Grundschularbeit und vernachlässigen meist fast völlig die speziellen Erfordernisse von Kindern mit Beeinträchtigungen im gemeinsamen Unterricht“ (Heyer 1998, S. 213).

Der Klassenraum sollte Werkstattfunktion (vgl. ebd., S. 213) haben, wobei eine gute Ordnung, eine funktionale Einrichtung und brauchbares Lernwerkzeug bereitzustellen ist (vgl. Meyer 2004, S. 121), um eine lernaktivierende Atmosphäre zu bieten. Eine „Pädagogik der Vielfalt“, wie Annedore Prengel (1995) es treffend bezeichnet, verlangt auch eine differenzierte Ausgestaltung der Lernumgebung und eine sich daraus ergebende vielseitige Materialauswahl, orientiert an den individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten der Kinder.

2.4 Personelle Anforderung

Integrative Arbeit findet im gemeinsamen Unterricht mit behinderten und nicht behinderten Kindern sowie des Grundschullehrers gemeinsam mit dem Sonderschullehrer statt. Ausgehend davon müssen sich auch die Anforderungen an die Kompetenzen der LehrerInnen wandeln.

Da die Zusammenarbeit den ausschlaggebenden Punkt bei der integrativen Arbeit darstellt, sind nicht nur die fachlichen Kompetenzen, sondern speziell die persönlichen und insbesondere die interaktionalen Kompetenzen zu überarbeiten. Ursula Mahnke beschäftigt sich mit der Frage: „Wie sieht eigentlich integrationspädagogische Kompetenz aus?“ (Mahnke 2003, S. 169) (siehe Anhang 4) und kommt im Rahmen einer handlungsforschenden Begleitung von Qualifikationsprozessen zu der Erkenntnis, dass ein Zusammenspiel der Kompetenzbereiche anzustreben sei (vgl. ebd., S. 171). Dabei bildet die Einstellung, wie Akzeptanz von Menschen mit Behinderungen, Akzeptanz zieldifferenter Förderung und ein individualisierter Leistungsbegriff die Basis. Darauf aufbauend werden die entwicklungspsychologischen und behinderungsspezifischen Grundkenntnisse geformt. Die wichtigste und entscheidende Komponente ist die Handlungskompetenz (vgl. ebd., S. 335).[9]

Lütje-Klose nimmt in ihrer Untersuchung zur Sprach- und Kommunikationsförderung ebenfalls Bezug auf die Bereiche der persönlichen, interaktionalen und fachlichen Kompetenzen als Grundbausteine der personellen Ebene (vgl. Lütje-Klose 1997, S 387 f.). Ansatzpunkt sei, das vorhandene Kompetenzprofil zu aktivieren und für integrative Anforderung zugänglich zu machen (vgl. Mahnke 2003, S. 171).

„Je mehr sich allgemeine Pädagogik als integrative Pädagogik versteht, desto weniger bleiben spezielle sonderpädagogische Tätigkeiten und Kompetenzen übrig [...]“ (Mahnke 2002, S. 338/339). Hierbei spielt die Akzeptanz der Heterogenität und die Antwort mit einer Pädagogik der Vielfalt eine entscheidende Rolle.

2.4.1 Kommunikative Kompetenzen

Kommunikation ist das schwierigste, aber effektivste Mittel im Zusammenleben der Menschen. Ausgehend von einem selbst kann man sagen, dass „Kommunikative Kompetenz […] demnach die Selbstklärung (begreifen), den Einbezug von Kontext (beziehen) und Offenheit (benennen)“ (Erbring 2003, S. 197) zum Inhalt hat.

Das Ziel von Grund- und Sonderschullehrern, den Unterricht gemeinsam zu führen, verlangt eine bewusste Auseinandersetzung mit der subjektiven Wirklichkeitskonstruktion. Durch die Annerkennung von Gleichheit und Differenz können Unterschiede in der Wahrnehmung als Anlass zum Austausch gesehen werden (vgl. ebd., S. 198). Dabei wird gerade die Differenz als Bereicherung gesehen (vgl. ebd., S. S.199): „Für Lehrpersonen ist kommunikative Kompetenz grundlegend, um pädagogisch handlungsfähig zu sein“ (ebd., S. 198).

In einer empirischen Untersuchung von Bohnsack stellt sich heraus, dass kommunikatives Handeln für die Lehrkräfte eine bedeutende Rolle im kommunikativen und interaktiven Handeln mit den Kindern spielt (vgl. ebd., S.198). Im Bewusstsein der eigenen Wahrnehmung zu handeln wird der kooperative Prozess der Verhandlung und Einigung über unterschiedliche Wirklichkeitskonstruktionen unterstützt.

2.4.2 Kooperationsbereitschaft und –fähigkeit

„Wie die Integrationspraxis der letzten 15 Jahre zeigt, ist die Zusammenarbeit von Pädagogen eine unverzichtbare Notwendigkeit, deren Qualität das Gelingen oder Nichtgelingen von Integration in der Schule entscheidend beeinflusst“ (Kreie 1999, S. 285). Das „Einzelkämpferdasein“ Kreie (1999) muss aufgegeben werden, da sich das Team im integrativen Unterricht aus Experten mit unterschiedlichen Kompetenzen zusammensetzt. Die Bereitschaft gegenüber neuen Strukturen, veränderten Arbeitsweisen, der Zusammenarbeit mit Lehrern unterschiedlicher Profession und einer heterogenen Lerngruppe mit behinderten und nichtbehinderten Kindern stellt an jeden Einzelnen und an das Team hohe Anforderungen. „Wechselseitige Toleranz, Akzeptanz und Empathie füreinander und die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung, Selbstkritik und zur angemessenen Konfliktbewältigung fördern die Zusammenarbeit“ (Schumacher 2007). Konkret bedeutet es, viel Gewohntes aufzugeben und sich der Herausforderung des Unbekannten und Unsicheren zu stellen. „Für die gelingende Kooperation ist die Verbindung professioneller Identität mit der Bereitschaft und Fähigkeit, Übertritte disziplinspezifischer Grenzen und Zuständigkeiten zu akzeptieren“ (Werning 2005).

Kooperation und Teamarbeit sind wichtige Voraussetzungen für den integrativen Unterricht. Die Zusammenarbeit im Unterricht und in der Schule ist für viele Kollegen in der Praxis neu. Kooperationsfähigkeit muss daher entwickelt werden.

Phillip beschreibt Vorteile von Teamarbeit und wie diese genutzt werden können. Diese Kriterien sind auch für das Zwei-Lehrersystem gut anwendbar:

- Die Gruppe braucht eine klare Aufgaben- und Rollenverteilung.
- Die Gruppe gibt sich bzw. braucht ein Ziel.
- Die Gruppe braucht Kommunikation.
- Die Gruppe braucht (wechselnde) Leitung.
- Die Gruppe braucht (relative) Autonomie und Rahmensetzung.
- Die Gruppe braucht Unterstützung.
- Die Gruppe braucht Erfolgserlebnisse (Phillip 1998, S. 33).

Weiterhin bedarf es einigende Absprachen in Bezug auf strukturelle Rahmbedingungen, wie Klassengröße, Raumangebot, Stundenplangestaltung und Fortbildungsangebote.

Eine innovative Form kooperativer Arbeit sind Förderkontrakte. Alternativ zu den Förderplänen werden „wechselseitige Erwartungen geklärt und Arbeitsteilung als Aufgabenteilung festgelegt“ (Kretschmann 2000, S. 7). Dabei wird den Kollegen das Gefühl vermittelt, eine gleichberechtigte Partnerschaft zu haben.

- Zunächst ermittelt die Sonderpädagogin den besonderen Förderbedarf der behinderten und der von Behinderung bedrohten Kinder. Sie skizziert, was wünschbar wäre für die Minimierung von Gefährdungspotenzialen und an Bereitstellung von Unterstützung – kurz-, mittel- und langfristig.
- Grund- und Sonderschullehrerin klären, was machbar ist und wie in etwa eine Aufgabenverteilung erfolgen soll.
- Vor dem Hintergrund dieser Vorabklärungen entwirft die Sonderschullehrerin Entwicklungspläne und sorgt für die Voraussetzungen zu deren Umsetzung – u. a. durch die Ausarbeitung eines Förderplans, Beschaffung geeigneter Materialien und Hilfsmittel, Beratung der Grundschulkollegin und natürlich durch den Förderunterricht selbst.
- Grund- und Sonderschullehrerin legen endgültig fest, wer welche Förderanteile übernimmt.
- Beide Lehrerinnen tauschen sich regelmäßig über den Entwicklungsverlauf des Kindes aus, um ggf. Förderangebote und Verantwortlichkeiten zu modifizieren oder den sich hoffentlich einstellenden Entwicklungsfortschritten anzupassen (vgl. Kretschmann 2000, S. 7-8).

2.4.3 Die veränderte Rolle des Regel- und Sonderpädagogen

Für den Sonder- und Regelschullehrer bedeutet die Arbeit in integrativen Maßnahmen eine Veränderung des Arbeitsfeldes und der Lehrerrolle. Eberwein beschreibt zwei Ausgangspunkte, die eine veränderte Rollenverteilung bedingen: zum einen die Funktionserweiterung von Schule allgemein und zum anderen die daraus resultierende Kompetenzerweiterung von Lehrern (vgl. Eberwein 2001, S. 271). Grundsätzlich sollten Regel- und Sonderschullehrer die gemeinsame Verantwortung für alle Kinder einer Klasse übernehmen.

„Manche Lehrerinnen und Lehrer haben mehr Angst vor dem zweiten Erwachsenen in der Klasse als vor dem behinderten Kind“ (Schöler 1993, S. 79). Die Regelpädagogen sind es zum Teil nicht gewohnt, noch eine Lehrkraft in der Klasse zu haben. Gründe dafür werden darin gesehen „[…] dass sie nicht gelernt haben, in einem Unterrichtsteam zu arbeiten, aber auch in der Tatsache, dass sie auf unterschiedliche Schularten bezogene Ausbildungsgänge absolviert, spezifische Handlungskompetenzen erworben und unterschiedliche Erwartungshaltungen internalisiert haben“ (Eberwein/Knauer 1999, S. 291).

Die Grundschullehrer müssen in der Lage sein, berufsfeldübergreifend mit den Sonderpädagogen zu kooperieren. Dazu sollte sich der Grundschullehrer in Ansätzen sonderpädagogische Kompetenzen durch zum Beispiel Teamteaching, Fort- und Weiterbildung aneignen (vgl. Knauer 2001, S. 121). Der Rahmenplan für sonderpädagogische Förderung verweist auf sechs Aufgabenfelder aller Lehrkräfte, die an dieser Stelle verkürzt benannt werden sollen:

- Bereitschaft zur Kooperation
- Berücksichtigung sonderpädagogischer Belange
- Planung, Durchführung und Reflexion gemeinsamen Unterrichts
- Initiierung und Unterstützung der Kontakte aller Schüler
- Zusammenarbeit mit und Unterstützung von allen Personen der Schule
- Zusammenarbeit mit den Erziehungsberechtigten (vgl. Der Senator für Bildung 2002, S. 37).

Der Sonderpädagoge muss unter dem Blickwinkel seiner fachspezifischen Kompetenzen wie Diagnostik und sonderpädagogische Förderung den gemeinsamen Unterricht in Zusammenarbeit mit der Regelschullehrerin mitgestalten können. Dazu sollte auch der Sonderschullehrer ebenfalls Wissen über Didaktik, Methodik und Lernplanstruktur der Grundschule haben (vgl. Knauer 2001, S. 121). Im Rahmenplanen für sonderpädagogische Förderung ist ebenfalls eine Erweiterung des Aufgabenfeldes um die geteilte Verantwortung für den gemeinsamen Unterricht vorgenommen worden (vgl. Der Senator für Bildung 2002, S. 37).

Grundlegend besteht die Veränderung darin, dass der Sonderschullehrer keine Klassenlehrerfunktion mehr ausübt. Laut Wocken sollte sich der Sonderschullehrer zwischen Fachlehrer, Klassenlehrer, Privatlehrer und Therapeut/Nachhilfelehrer positionieren, was sich nur relativ unbestimmt verorten lässt (vgl. Wocken 1996, S. 254). Ausschlaggebend für die genaue Beschreibung des Arbeitsfeldes scheinen allgemein die Rahmenbedingungen des gemeinsamen Unterrichts zu sein. Je mehr Stunden der Sonderpädagoge in der Klasse ist, desto intensiver und vielfältiger kann die Zusammenarbeit gestaltet werden.

Letztendlich sollten allgemeine Pädagogik und Sonderpädagogik im gemeinsamen Handeln im Unterricht unter dem Einsatz ihrer jeweiligen Stärken voneinander profitieren (vgl. Graumann 2005, S. 94).

Teil B Praktische Erkundung - Darstellung der aktuellen Situation integrativer Arbeit im Förderschwerpunkt Sprache in Bremen / eine Analyse, inwieweit theoretische Ausarbeitungen in die reale pädagogische Arbeit einfließen

Ausgangspunkt meiner Arbeit ist die These, dass die theoretischen Ausarbeitungen zu integrativer pädagogischer Arbeit im Förderschwerpunkt Sprache im realen Arbeitsalltag der LeherInnen Bremens keine grundlegende Relevanz haben. Um diese These belegen bzw. widerlegen zu können sowie dementsprechende Schlussfolgerungen für die Praxis zu erarbeiten, habe ich in dem vorherigen Abschnitt theoretische Grundlagen integrativer Sprach- und Kommunikationsförderung nach Lütje-Klose und integrativem Sprachtherapeutischem Unterricht nach Bahr sowie Rahmenbedingungen aus unterschiedlicher Fachliteratur vorgestellt. Um Aussagen entsprechend dem Erkenntnisinteresse treffen zu können, wurde die folgende, im Rahmen dieser Arbeit zu untersuchende Fragestellung entwickelt: Wie sieht die integrative Arbeit in Bremen im Förderschwerpunkt Sprache aus?

Um eine empirisch belegte Antwort auf meine Frage geben zu können, galt es für mich herauszufinden, welche Komplexität der Arbeitsalltag von integrativ arbeitenden LehrerInnen im Bereich Sprache hat, wie diese die einzelnen Elemente ihrer Arbeit, deren Einstellung zu integrativer Arbeit, deren Organisation, entsprechende Rahmenbedingungen sowie Fähigkeiten und Kenntnisse, als auch Förderkonzeptionen zur integrativen Arbeit (vgl. dazu Lütje-Klose 1997, S. 35) bewerten und welche Vorstellungen, Handlungsperspektiven, Reflexionsmuster, Einstellungen und Begründungszusammen-hänge erkennbar sind. Ebenso war es von Interesse zu erfahren, wie viele Grundschulen Bremens integrativ arbeiten und in welcher Form diese ihre Arbeit organisieren.

Den Kontakt zu den Untersuchungspersonen habe ich zum einen telefonisch zur Terminabsprache für die Durchführung der ExpertInneninterviews und zum anderen via E-Mail zur Befragung der Grundschulen mittels Fragebogen hergestellt. Die Analyse der deskriptiven Daten des Fragebogens erfolgte mit Hilfe des Programms EXEL und die Auswertung der Interviews orientierte sich an den Kategorien Lütje-Kloses und dem sich daran anschließenden Vergleich mit entsprechenden Aussagen führender Theoretiker der Integrationspädagogik. Im Folgenden beschreibe ich die Untersuchung bzw. deren Forschungsdesign näher.

[...]


[1] Näheres in: Grohnfeldt (Hrsg.) 2000: Lehrbuch der Spracheilpädagogik und Logopädie. Band 1. Stuttgart: Kohlhammer S. 17.

[2] Bronfenbrenner (1981): Die Ökologie der menschlichen Entwicklung. Natürliche und geplante Experimente. Stuttgart: Klett-Cotta, S.75

[3] Rotthaus (1990): Die systemische Perspektive. Zum Verhältnis von Erziehung und Therapie aus systemischer Sicht. In: Amtsblatt des Saarlandes, S. 37

[4] Haenisch Hans (2002): Was wir über guten Unterricht wissen. Zusammenfassung von Ergebnissen der empirischen Unterrichtsforschung. Schulverwaltung NRW Nr.5, 139-142.

[5] Braun Otto (1980): Das Verhältnis von Theorie und Praxis in der Sprachbehindertenpädagogik. In: Die Sprachheilarbeit 25, S. 135-142.

[6] Konzeption siehe Anhang 8

[7] Die Rahmenbedingungen gelten für den Förderschwerpunkt Sprache gleichermaßen, wie für die gesamte schulische Integration behinderter Kinder in die Regelschule. Daher werde ich diesen Förderschwerpunkt im weiteren Verlauf nicht explizit erwähnen.

[8] Der Artikel stammt ursprünglich aus: Eberwein Hans/Knauer Sabine (Hrsg.)(2005): Behinderungen und Lernprobleme überwinden. Stuttgart: Kohlhammer

[9] Schema von Ursula Mahnke siehe Anhang

Ende der Leseprobe aus 135 Seiten

Details

Titel
Integrative Arbeit im Förderschwerpunkt Sprache
Untertitel
Eine Praxisstudie
Hochschule
Universität Bremen  (Hochschule)
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
135
Katalognummer
V90083
ISBN (eBook)
9783638042246
Dateigröße
1521 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
"Die äußerst reflektierte und fundierte Arbeit von Frau Krüger ist leicht zu lesen, gut strukturiert, sehr transparent und kommt zu sehr relevanten Ergebnissen. Ich bewerte die Arbeit daher mit 'Sehr Gut'"
Schlagworte
Integrative, Arbeit, Förderschwerpunkt, Sprache
Arbeit zitieren
Anika Krüger (Autor:in), 2007, Integrative Arbeit im Förderschwerpunkt Sprache, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90083

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Titel: Integrative Arbeit im Förderschwerpunkt Sprache



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