Das Geschlechterverhältnis in der Volksrepublik China und das Problem der fehlenden Mädchen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Das Geschlechterverhältnis

3 Das Geschlechterverhältnis in China
3.1 Regionale Unterschiede

4 Die fehlenden Mädchen
4.1 Biologische Abnormalität in der chinesischen Rasse
4.2 Nicht-Registrierung und Freigabe zur Adoption
4.3 Erhöhte Sterberate
4.4 Infantizid
4.5 Geschlechtsspezifische Abtreibung

5 Traditionelles und historisches China

6 Die Sohn-Präferenz
6.1 Messbarkeit der Sohnpräferenz

7 Lösungsansätze

8 Fazit

9 Bibliographie

10 Anhang

1 Einleitung

Als eines der bevölkerungsreichsten Länder der Erde findet Chinas demographische Entwicklung viel Aufmerksamkeit in wissenschaftlichen Untersuchungen. Großes Bevölkerungswachstum führte zur Einführung der Ein-Kind-Politik, was wiederum eine rasante Alterung der Bevölkerung zur Folge hat. Die extremen Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur werden dank besserer technischer Vorrausetzungen und zuverlässigerer statistischen Daten messbar. Die vorliegende Arbeit widmet sich dem Geschlechterverhältnis bei Geburt in der Volksrepublik China (VRCh). Bereits in den 80er Jahren rückte der unnatürlich hohe Anteil männlicher Geburten in den Fokus der Öffentlichkeit. Seit Einführung der Ein-Kind-Politik ist das Geschlechterverhältnis bei Geburt (GV) stetig gestiegen und befindet sich in einem unnatürlich hohen Bereich.

Nach einer kurzen allgemeinen Einführung werden die aktuellen GV Werte in China nach Paritäten aufgeschlüsselt und regionale Unterschiede untersucht. Ziel dieser Arbeit ist es die Gründe für das Fehlen der Mädchen auszumachen und die gesellschaftlich bedingten Ursachen zu identifizieren. Als Quellen wurden hierzu diverse wissenschaftliche Arbeiten der letzten 20 Jahre und die Volkszählungen der VRCh herangezogen. Mangelhaftes Zahlenmaterial und die Illegalität von geschlechtsspezifischen Abtreibungen und Infantizid haben, was den Verbleib der Mädchen angeht, in den bisherigen Untersuchungen des GV zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen geführt. Kapitel 4 liefert einen Überblick über die gängigen Gründe und ihre Erklärungskraft. Ein kurzer Rückblick in Kapitel 5 zeigt die historische Entwicklung des GV und gibt einen Einblick in das traditionelle Gedankengut der chinesischen Gesellschaft. Die Sohn-Präferenz wird als eine der Ursachen für das erhöhte GV identifiziert. Kapitel 6 analysiert die unterschiedliche Rolle von Sohn und Tochter im gegenwärtigen China und die Pflichten der Nachkommen in einer Familie. Nachdem sowohl die Gründe als auch die Ursachen für das hohe GV bei Geburt in China untersucht worden sind, ist es möglich in Kapitel 7 einige Lösungsansätze anzubieten.

2 Das Geschlechterverhältnis

Das biologisch normale Geschlechterverhältnis liegt bei der Geburt bei 106. Die höhere Zahl der männlichen Geburten wird im Laufe des Lebens ausgeglichen durch eine höhere Sterberate bei männlichen Kleinkindern und die biologisch höhere Lebenserwartung der Frauen.[1] Mit zunehmender Modernisierung sinkt auch das GV, da Frauen von der sinkenden Mortalität in der Regel stärker betroffen sind.[2] Ein vom Menschen nicht beeinflusstes GV bei Geburt ist konstant. Später wird es durch unterschiedliche Faktoren, wie z.B. Mortalität und Migration beeinflusst. Der Fokus dieser Arbeit liegt aber auf dem GV bei Geburt. Zahlenangaben werden sich deswegen, wenn nicht anders angegeben, auf das GV bei Geburt beziehen.[3] Ein erhöhtes GV kann diverse Ursachen haben, die in dieser Arbeit untersucht werden, und ist ein Indikator für Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern. Diese Ungleichheiten führen zu einer Präferenz für männliche Nachkommen, welche im Umkehrschluss ein erhöhtes GV zur Folge haben können. So herrschen vor allem in arabischen Ländern, in Ländern mit konfuzianischen Traditionen und in Ländern, in denen Frauen einen niedrigen Status haben, erhöhte Geschlechterverhältnisse.[4] Es wird angenommen, dass die Sohnpräferenz mit zunehmender wirtschaftlicher Entwicklung und höherer Bildung der Bevölkerung nachlässt. Doch ein unnatürlich hohes GV ist auch in vielen entwickelten Ländern Asiens noch vorhanden. Offensichtlich bewirkt die geringere Fruchtbarkeit, dass die in der Kultur verwurzelte Sohnpräferenz deutlicher wird.[5] So liegt das GV bei Geburt in China bei 111, in Taiwan bei 109, in Süd-Korea bei 108, in Indien bei 112. In Deutschland hingegen liegt das GV bei der Geburt bei 106, in Frankreich bei 105 und in den USA ebenfalls 105. Diese Zahlen beziehen sich auf die Angaben des CIA World Factbook aus dem Jahr 2007 und sollen hier einen internationalen Vergleich ermöglichen. Der Wert für China stimmt nicht mit dem GV aus chinesischen Quellen überein.[6]

3 Das Geschlechterverhältnis in China

Nach Gründung der VRCh war das GV bei Geburt in einem normalen Bereich. Seit Ende der 70er Jahre steigen die Werte. Die Volkszählungen ergaben folgende Zahlen:

1953 104,9 1964 103,8 1982 107,6

1990 113,9 2000 119,92[7] [8]

Das GV steigt mit der Einführung der Ein-Kind-Politik und der Reduktion der Fruchtbarkeit. Der Zensus aus dem Jahr 2000 zeigt bei der Aufschlüsselung des GV nach Paritäten eindeutig, dass das Problem eines stark erhöhten GV hauptsächlich zweite, dritte und vierte Kinder betrifft.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Tabulation on the 2000 Population Census of the Peoples Republic of China, Seite 1681-1683

Bei dem ersten Kind ist das GV noch in einem fast normalen Bereich. Diese Zahlen können keine biologischen Grund haben sondern sind ein Zeichen, dass von Menschen manipuliert wurde. Setzt man voraus, dass die Zahlen zumindest ansatzweise den Tatsachen entsprechen, kann man folgende Thesen aufstellen: Offensichtlich läuft die Geburt des ersten Kindes unter relativ natürlichen Bedingungen ab. Bei jedem weiteren Kind steigt der Druck von Außen oder der eigene Wunsch, einen Sohn zu gebären. In der Gesellschaft herrscht eine weit verbreitete, stark ausgeprägte Sohnpräferenz. Diese kann durch ungleiche Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern und ungleiche Chancen im späteren Leben hervorgerufen werden. Durch die Beschränkung der Kinder pro Elternpaar gibt es nicht mehr die Möglichkeit, soviel Kinder zu bekommen, bis die gewünschte Zahl und Geschlechterzusammensetzung vorhanden ist. Das GV ist also das Produkt der Sohnpräferenz in Verbindung mit der Ein-Kind-Politik. Es gilt die Ursachen und Indikatoren für die Sohn-Präferenz zu untersuchen, um so ein tieferes Verständnis für das Zustandekommen eines so hohen GV zu bekommen. Ein natürliches GV ist bei allen Geburten konstant. In China steigt es aber mit jedem weiteren Kind. Die Eltern müssen also in der Schwangerschaft manipuliert haben oder die Zahlen entsprechen nicht dem realen Verhältnis. Es soll hier also des weiteren der Frage nachgegangen werden, wo die fehlenden Mädchen geblieben sind und welche Möglichkeiten es für chinesische Eltern gibt, das Geschlecht ihres Kindes zu beeinflussen.

3.1 Regionale Unterschiede

Das GV ist am höchsten im reichen Südosten. Aber auch in Zentral und Nordzentral China sind die Zahlen erhöht. In Minderheiten und Randregionen hingegen ist das Verhältnis weniger aus dem Gleichgewicht (siehe Anhang Seite 19). Auf dem Land ist das Geschlechterverhältnis höher als in den großen Städten. In den Kreisen haben die Städte ein höheres Verhältnis, da hier die Technik für pränatale Geschlechtsbestimmung eher vorhanden ist. Han-Chinesen haben ein erhöhtes GV, während es für die meisten Minderheiten im normalen Bereich ist.[9] Der kulturelle Hintergrund und die Ein-Kind-Politik, die strikter für die Han-Chinesen ist, sind also Faktoren, die das GV erhöhen. Die Ein-Kind-Politik sieht für die meisten Minderheiten Ausnahmeregelungen vor.[10] Doch seit die Geburtenrate der Minderheiten sinkt, steigt bei einigen auch das GV. Es scheint hier einen kausalen Zusammenhang zu geben.[11]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Tabulation on the 2000 Population Census of the Peoples Republic of China, Seite 1681-1692

Es ist anzunehmen, dass die Kleinstädte den höchsten Wert haben, da die Bewohner dort noch mehr von traditionellen Vorstellungen geprägt sind und gleichzeitig schon die nötige Technik zur pränatalen Geschlechtsdiagnostik und zu Abtreibungen verbreitet ist. Allgemein wird angenommen, dass das GV auf dem Land mehr aus dem Gleichgewicht ist.[12]

Die Tatsache, dass in den Regierungsunmittelbaren Städten das GV unter dem nationalen Durchschnitt liegt, kann zu der These führen, dass mit einem hohen Grad an Modernisierung das GV wieder sinkt. Diese These lässt sich aber nicht halten, denn im Vergleich zum Zensus von 1990 ist das GV in fast allen Provinzen, autonomen Regionen und Regierungsunmittelbaren Städten gestiegen.[13]

Auf dem Land ist das GV bei gebildeten Familien höher als bei ungebildeten. Auch in der Stadt zeigt sich dieses Phänomen. Paare mit Schulabschluss haben zwar ein niedrigeres GV als Paare ohne Schulbildung, doch steigt der Wert bei Akademikern an. Schulbildung scheint den Zugang zu pränataler Geschlechtsdiagnostik zu erleichtern. Gebildete Paare verfügen über die finanziellen Mittel um moderne medizinische Technik in Anspruch zu nehmen.[14]

4 Die fehlenden Mädchen

Attané berechnet anhand des natürlichen Geschlechterverhältnisses, das sie mit 105,5 angibt, die fehlenden Mädchen nach dem Zensus 2000 und kommt auf eine Zahl von 700.956, 10,8% der Gesamtzahl an weiblichen Geburten. Sie vergleicht die Zahl mit denen von 1989 und stellt fest, dass damals 624.766 Mädchen fehlten, 5,5% der gesamten weiblichen Geburten. Die Situation hat sich demnach drastisch verschlimmert.[15] Solche Berechnungen sollten äußerst kritisch betrachtet werden. Die statistischen Daten sind immer noch zu ungenau und die Variablen, die sie beeinflussen zu groß, um so genaue Berechnungen durchzuführen. Doch können diese Zahlen eine ungefähre Vorstellung über die Ausmaße des Phänomens der fehlenden Mädchen geben. Im Folgenden sollen die Gründe für das Verschwinden der Mädchen näher betrachtet werden. Mit Hilfe prozentualer Angaben, die sich auf die Untersuchungen von Scharping, Attané und Croll beziehen, soll eine ungefähre Vorstellung der Erklärungskraft der jeweiligen Gründe vermittelt werden.

[...]


[1] Vgl. Momsen 2004, Seite 25.

[2] Vgl. Yaukey 1992, Seite454, 453.

[3] Vgl. Johansson 1987, Seite 418

[4] Vgl. Momsen 2004, Seite 21, 22.

[5] Vgl Croll 2000, Seite 3, 9.

[6] Vgl. https://www.cia.gov/cia/publications/factbook/fields/2018.html, 9.5.07.

[7] Vgl. Attané 2005, Seite 174.

[8] Vgl. Statistics on chinese women 1991, Seite 36; 2000 Population Census of the Peoples Republic of China, Seite 1681

[9] Vgl. Croll 2000, Seite 23, 26.

[10] Vgl. Scharping 2003, Seite 100-103.

[11] Vgl. Gao Ling 1996, Seite 75.

[12] Vgl. Li, Peng 2000, Seite 71; Gao Ling 1996, Seite 75.

[13] Vgl. Attané 2005, Seite 175.

[14] Vgl. Scharping 2003, Seite 294.

[15] Vgl. Attané 2005, Seite 174.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Das Geschlechterverhältnis in der Volksrepublik China und das Problem der fehlenden Mädchen
Hochschule
Universität zu Köln  (Ostasiatisches Seminar)
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
21
Katalognummer
V90138
ISBN (eBook)
9783638042390
ISBN (Buch)
9783640970650
Dateigröße
579 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Geschlechterverhältnis, Volksrepublik, China, Problem, Mädchen
Arbeit zitieren
Isabelle Harbrecht (Autor:in), 2007, Das Geschlechterverhältnis in der Volksrepublik China und das Problem der fehlenden Mädchen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90138

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