Trauma und Journalismus

Die Bedeutung psychischer Traumata für die mediale Berichterstattung


Seminararbeit, 2008

27 Seiten, Note: 5.5 (CH-Notenskala)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Psychotraumatologie

3. Psychische Traumatisierung: Verlaufsmodell
3.1. Die traumatische Situation
3.2. Die postexpositorische Reaktion
3.2.1. Intrusion
3.2.2. Verleugnung
3.3. Der traumatische Prozess
3.4. Therapieansätze

4. Bedeutung psychischer Traumata für mediale Berichterstattung
4.1. Forschung
4.2. Exposition
4.3. Relevanz
4.4. Fallbeispiele psychischer Traumata
4.5. Handlungsmöglichkeiten

5. Schlussbetrachtung

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Psychotherapie allgemein, und die Psychotraumatologie, also die Lehre von psychischen Belastungsstörungen insbesondere, sind in der Geschichte der Humanmedizin sehr junge Forschungsgebiete. Das Problem belastender Ereignisse und daraus resultierender psychischer Folgeschäden wurde in den vergangenen Jahrzehnten mitunter auch zunehmend in Bezug auf ganz bestimmte Bevölkerungs- und Berufsgruppen untersucht. Für Journalisten, Fotografen und andere Medienschaffende begann die Forschung die Thematik erst im Verlauf der 1990er Jahre in vollem Umfang zu erfassen. Im Zuge dieser Entwicklungen hat sich in den letzten Jahren auch in Europa ein wachsendes Bewusstsein über diese ganz spezifische Problematik entwickelt.

Um die Problematik psychischer Belastungen im journalistischen Handwerk in einem angemessenen Umfang erfassen zu können, ist ein gewisses Verständnis der psychischen und psychologischen Prinzipien und Funktionsweisen der in den Prozess der Traumatisierung involvierten Faktoren unabdingbar. Die vorliegende Arbeit versucht in einem ersten Teil grundsätzlich, den kausalen Zusammenhang zwischen belastendem Ereignis und psychischen Belastungsstörungen aufzuzeigen. Dazu werden elementare Begrifflichkeiten wie die des Traumas und der posttraumatischen Belastungsstörung und deren Funktionsweisen erläutert.

Das auf der theoretischen Ebene angeeignete Verständnis über psychische Belastungsstörungen wird im zweiten Teil dieser Arbeit auf die Gruppe der medialen Berichterstatter, insbesondere Journalisten und Fotografen in Krisen- und Kriegsgebieten bezogen. Dabei soll auch die Relevanz der Auswirkungen psychisch belastender Ereignisse auf Journalisten und Fotografen nachgewiesen werden. Dieser hier vorgezeichnete Verlauf dieser Arbeit soll schlussendlich den Nachweis erbringen, dass Journalisten und Fotografen, aber auch andere Medienschaffende in Krisen- und Kriegsgebieten einem wesentlich grösseren Risiko einer möglichen psychischen Traumatisierung ausgesetzt sind, als ihre Berufskollegen in anderen Regionen. Diese These wird die Perspektive dieser Arbeit bestimmen. Zusätzlich sollen allerdings auch konkrete Fallbeispiele mögliche Auswirkungen psychischer Belastungen illustrieren, und zudem Möglichkeiten aufgezeigt werden, die den emotionalen und professionellen und Umgang mit diesen Phänomenen unterstützen können.

2. Psychotraumatologie

Der Begriff des Traumas entstammt dem Griechischen und bedeutet „Wunde“. Meist wird der Begriff im psychomedizinischen Jargon gebraucht, die Begriffe Trauma und Traumatologie – als Lehre der Traumata – behalten jedoch auch in der somatischen, auf den physischen Körper bezogenen Medizin ihre Bedeutung. Die somatische Traumatologie kann mittlerweile auf eine Jahrtausende alte Geschichte zurückblicken und einen grossen und breiten Erfahrungsschatz aufweisen. Die zumeist relativ offensichtliche Charakter körperlicher Wunden kann wohl auch mit als Grund angesehen werden, weshalb psychische Verletzungen eines Menschen erst relativ spät Gegenstand medizinischer Forschung wurden. Das Interesse und – zumindest ansatzweise – Verständnis um die Funktionsweisen der menschlichen Psyche, des menschlichen Geistes entwickelte sich erst ab dem 19. Jahrhundert zu einer medizinischen Forschungsrichtung. Damit einher ging unter anderem auch die wachsende Erkenntnis um die Einheit von Körper und Geist, die zwei gleichwertige Komponenten desselben Wesens darstellen. Diese stehen natürlich auch in Verbindung zueinander, sind interdependent. Mit der Entdeckung der menschlichen Psyche als Forschungsfeld eröffnete sich auch das Verständnis der wechselseitigen Auswirkungen von Körper und Geist, der Psychosomatik.

Die Psychotraumatologie, die Lehre von den geistigen Verletzungen, konstituierte sich erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts zu einer eigenständigen Forschungsrichtung innerhalb der psychischen Medizin. Ausgangspunkt der Psychotraumatologie waren die seelischen Verwundungen von Soldaten während der Weltkriege. Das massenhafte und gewaltsame Sterben löste bei vielen Beteiligten psychische Veränderungen aus, die man als Kriegsneurosen beschrieb. Das Erleben extremer Gewalt, und die Wesensveränderungen, die diese Erfahrung bei einem Menschen auslösen kann, waren schon immer bekannt. So beschrieb schon Homer den sagenhaften Achilles im Kampf um Troja mit einer Symptomatik, die sich mit der modernen Beschreibung eines gewaltbedingten Traumas deckt.[1] Die Sinnfrage, die Leid, Gewalt und Tod unweigerlich stellen, harrt schon seit jeher einer Antwort. Dennoch begann man erst im letzten Jahrhundert, sich auf medizinischer Ebene mit den Auswirkungen dieser Erfahrungen auf den menschlichen Geist zu beschäftigen. Der entscheidende Impuls kam dabei aus den Erfahrungen mit traumatisierten Veteranen des Vietnamkrieges, auch wenn es bereits hier festzuhalten gilt, dass traumatische Erlebnisse überall und jederzeit erfahren werden können, und nicht unweigerlich im Umfeld eines Krieges gemacht werden müssen. Seit 1980 – dem Zeitpunkt der Aufnahme in das Diagnostische und Statistische Manual psychischer Störungen (DSM-IV) durch die American Psychiatric Association – gilt die Diagnose „Posttraumatische Belastungsstörung“ (PTBS) als offiziell medizinisch anerkannt.[2]

Die Natur psychischer Verletzungen ist so individuell wie das Wesen eines menschlichen Geistes oder die Beschaffenheit eines Körpers. Dennoch vermochte die Medizin regelmässig beobachtete Symptome zu kategorisieren. In der modernen Psychotraumatologie wird zwischen allgemeiner und spezieller Psychotraumatologie unterschieden. Die spezielle Traumatologie befasst sich vor allem mit sehr spezifisch definierten, zum Teil auch unvergleichlichen Situationskonstellationen. Beispiele dafür sind Traumata die dem Erlebnis einer Vergewaltigung, des kindlichen Missbrauchs oder auch der Folter erwachsen können. Auch die seelischen Verletzungen, die bei KZ-Überlebenden beobachtet wurden, fallen in diese Kategorie.

Die vorliegende Arbeit bewegt sich im Bereich der allgemeinen Psychotraumatologie. In dieser Kategorie wird versucht, auf einem etwas abstrakterem Niveau Symptome und Syndrome (das gleichzeitige Vorliegen verschiedener Symptome) festzulegen, die mehreren, vielleicht sogar allen beobachteten Traumata eigen sind. Für die Beschäftigung von Traumata bei medialen Berichterstattern ist diese Kategorie daher geeigneter. Als paradigmatisches Syndrom der allgemeinen Psychotraumatologie gilt die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), die in einem nachfolgenden Verlaufsmodell etwas eingehender erläutert werden wird. Diese Arbeit versucht, eben dieses Syndrom in einem Umfang darzustellen, der ein ausreichendes Verständnis der Funktionsweise einer PTBS ermöglichen soll. Die Betrachtung soll also einerseits der Bedeutung dieses Phänomens gerecht werden können, andererseits sich aber auch nicht zu sehr in der psychomedizinischen Forschung verlieren. Die Frage nach der Traumatisierung von Journalisten, Fotografen und anderen Medienschaffenden soll als Zielpunkt gelten, um die richtige Tiefe und den angemessenen Umfang der nachfolgenden Schilderung gewährleisten zu können.

3. Psychische Traumatisierung: Verlaufsmodell

Der klassisch schematische Verlauf einer psychischen Traumatisierung umfasst drei wesentliche Phasen. Die Phasen müssen in ihrer Erscheinung nicht eindeutig abgegrenzt sein, ihre Reihenfolge ist nicht streng linear, sonder folgt einer systemischen Dynamik. Die drei Phasen einer psychischen Traumatisierung gehen auseinander hervor, ineinander über und stehen in einer wechselwirksamen Beziehung zueinander. Dennoch lohnt sich eine getrennte Beobachtung, um die genaue Bedeutung der einzelnen Elemente der Traumatisierung zu erfassen. Die drei Phasen sind:[3]

1. Die traumatische Situation
2. Die postexpositorische Reaktion
3. Der traumatische Prozess

3.1. Die traumatische Situation

Das Erleben einer traumatischen Situation gilt als grundlegendstes Kriterium zur Ausbildung einer traumatischen Störung. Traumatische Situationen können in vielfältiger Ausprägung vorkommen. Für die mediale Berichterstattung am bedeutsamsten scheinen jedoch die Situationen, die mit einem schweren, belastenden Ereignis in Zusammenhang stehen. Meist wird eine Person dabei unvorbereitet mit extremer Gewalt oder gewaltsamem Tod konfrontiert. Erlebte Todesnähe, also das Miterleben eines gewaltsamen Todes, oder auch die Bedrohung des eigenen Lebens, kann sich traumatisierend auswirken. Auch ein Ereignis, das schwere physische Verletzungen verursacht, kann diesen Effekt nach sich ziehen. Als Direktbetroffener oder als Zeuge in solchen Situationen erlebt eine Person intensive Gefühle der Angst, Hilflosigkeit, Kontrollverlust und Entsetzen.[4] Ob sich eine psychische Traumatisierung ausbildet, hängt nicht zuletzt auch von der individuellen Persönlichkeitsstruktur ab, grundsätzlich gilt jedoch, dass niemand vor einer Traumatisierung gefeit ist. Das Risiko, nach einem traumatischen Erlebnis eine posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln ist schwer einzuschätzen, da eine Vielzahl von Faktoren wie die Beschaffenheit des Ereignisses, die Persönlichkeit, die Rahmenbedingungen, der Grad der Betroffenheit etc. berücksichtigt werden müssen. Zudem kann die Bedeutung der einzelnen Faktoren situativ variieren. Eine Risikoeinschätzung kann also nur vor einem relativ vagen Hintergrund gemacht werden, je nach Quelle geht man davon aus, dass nach dem Erleben von extremer Gewalt und Tod etwa 20-30% der Betroffenen, Überlebenden oder Zeugen eine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln.

Das Erleben einer traumatischen Situation steht somit am Anfang einer Traumatisierung, wird dadurch zu einer ersten elementaren Beobachtungseinheit der Traumaforschung. Die Psychotraumatologie erklärt sich die Bedeutung der traumatischen Situation mit einer plötzlichen Überforderung der persönlichen Bewältigungsmechanismen durch die dramatischen Umstände eines Ereignisses: Das psychische Trauma wird definiert als „vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen der Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt.“[5] Die „bedrohlichen Situationsfaktoren“ beschreiben die bereits erwähnte Konfrontation mit Gewalt und Tod, während die „individuellen Bewältigungsmöglichkeiten“ hier noch genauer zu definieren sind.

Grundsätzlich geht man von einer Interaktion zwischen dem Individuum und seiner Umwelt aus, dem so genannten „Situationskreis“[6]. Dieses Prinzip umschreibt das wechselseitige Zusammenspiel zwischen dem Menschen und seiner Umgebung. Die Umgebung wird durch die Bedeutungszuweisung, die sie durch den Menschen erfährt, zu seiner Umwelt, er begreift sie also in einer direkten Beziehung zu sich selbst. Dies ermöglicht dem Menschen ein effektives, also ein zielgerichtetes, zweckrationales Handeln. In diesem Modell begreift der Mensch seine Umwelt als etwas, das auf ihn einwirken kann, er ist idealtypisch bestrebt, sich an seine Umwelt und seine Umwelt an sich anzupassen. Das menschliche Individuum strebt nach einer „Einpassung“ in seine „ökologische Nische“.[7]

Wird der Mensch allerdings mit einer Problemstellung aus seiner Umwelt heraus konfrontiert, werden verschiedene Anpassungsmechanismen aktiviert, die das Problem lösen, und eine Anpassung zwischen Mensch und Umwelt gewährleisten sollen. Diese Anpassungsmechanismen sind eigentliche Handlungsmuster, und werden in der Fachliteratur daher auch als Schemata bezeichnet. Abhängig von den situativ bedingten Anforderungen an das Individuum können dabei sehr unterschiedliche Schemata angewendet werden. Ein möglicher Mechanismus ist die aktive Strategie der Problemlösung. Liegt eine Lösung nicht gerade auf der Hand, das Problem ist aber dennoch biologisch, psychisch und sozial bedeutsam, gerät der Körper in einen Stresszustand. Stress in diesem Sinne ist ein psycho-physischer Zustand der gesteigerten Aktivität, der die Produktion von Problemlösungsstrategien fördern soll.[8]

Die gegenteilige Strategie ist der passive Abwehrmechanismus. Hierbei reagiert der Körper auf eine momentane Informationsüberflutung mit der Ausblendung von äusseren Reizen oder Impulsen. Dadurch wird der Anpassungsdruck der Situation gesenkt, gleichzeitig auch Stress abgebaut, die psycho-physischen Anpassungsmechanismen des Körpers regulieren sich somit selbst. Stellt die Situation, in der sich das Individuum befindet, allerdings eine derart extreme Herausforderung oder Bedrohung dar, dass beide Strategien auch im Zusammenspiel keine Anpassungsleistung mehr vollbringen können, befindet sich das Individuum in einer potentiell traumatischen Situation. Gemäss der Definition ist die Diskrepanz zwischen den situativen Anforderungen und den individuellen Bewältigungsmechanismen zu gross, um eine Anpassung herzustellen. Das Individuum ist überfordert.

[...]


[1] Vgl. Hampe, Roland (Übers., 2004): Homer. Illias. Auswahl. Stuttgart, S. 74-76.

[2] Vgl. IPZ: Institut für Psychotraumatologie Zürich o. J. Homepage. URL: www.psychotraumatologie.ch/ptbs.htm (06.02.08).

[3] Vgl. Fischer, Gottfried / Riedesser, Peter (1998): Lehrbuch der Psychotraumatologie. München, S. 115.

[4] Vgl. Herman, Judith Lewis (1993): Die Narben der Gewalt. Traumatische Erfahrungen verstehen und überwinden. München, S. 54.

[5] Hinckeldey, Sabine von / Fischer, Gottfried (2002): Psychotraumatologie der Gedächtnisleistung. Diagnostik, Begutachtung und Therapie traumatischer Erinnerungen. München, S. 9.

[6] Vgl. Fischer/Riedesser 1998, S. 73-74.

[7] Vgl. Fischer/Riedesser 1998, S. 75.

[8] Vgl. Fischer/Riedesser 1998, S. 78.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Trauma und Journalismus
Untertitel
Die Bedeutung psychischer Traumata für die mediale Berichterstattung
Hochschule
Université de Fribourg - Universität Freiburg (Schweiz)
Note
5.5 (CH-Notenskala)
Autor
Jahr
2008
Seiten
27
Katalognummer
V90155
ISBN (eBook)
9783638047364
ISBN (Buch)
9783638943000
Dateigröße
464 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
17 Einträge im Literaturverzeichnis, davon 9 Internetquellen.
Schlagworte
Trauma, Journalismus
Arbeit zitieren
David Venetz (Autor:in), 2008, Trauma und Journalismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90155

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