Die Nutzenbewertung von Arzneimitteln und Medizinprodukten. Wie sich innovative Medizinprodukte auf dem Medizinmarkt etablieren


Fachbuch, 2021

101 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung

Abstract

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Bedeutungsgewinn von Bewertungsmethoden bei Gesundheitstechnologien
1.1 Problemstellung und Zielsetzung
1.2 Aufbau der Arbeit

2 Rechtliche Rahmenbedingungen für Gesundheitstechnologien
2.1 Definition Health Technology Assessment
2.2 Abgrenzung der Medizinprodukte von Arzneimitteln
2.3 Klassifizierung von Medizinprodukten

3 Bewertungsverfahren für Gesundheitstechnologien in Deutschland
3.1 Medizinprodukte
3.2 Arzneimittel

4 Methodisches Vorgehen
4.1 Herleitung der Forschungsfragen
4.2 Gegenüberstellung der Bewertungsverfahren
4.3 Vergleich der Ergebnisse der Nutzenbewertungsverfahren

5 Ergebnisse
5.1 Gegenüberstellung der Bewertungsverfahren
5.2 Evaluation der Nutzenbewertung von Medizinprodukten nach § 137h SGB V
5.3 Evaluation der Nutzenbewertung von Arzneimittel nach § 35a SGB V
5.4 Zusammenfassung der Ergebnisse

6 Diskussion

7 Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Ablauf der Methodenbeiwertung von Medizinprodukten

Abbildung 2: Ablauf der Nutzenbewertung von Arzneimitteln

Abbildung 3: Verteilung nach Jahr der § 137h SGB V-Verfahren

Abbildung 4: Verteilung nach Art der § 137h SGB V-Verfahren

Abbildung 5: Ergebnisse der Beratungsverfahren nach § 137h SGB V

Abbildung 6: Ergebnisse der Bewertungsverfahren nach § 137h SGB V

Abbildung 7: Evidenz der eingereichten Studien der Bewertungsverfahren nach §137hSGB V

Abbildung 8: Verteilung nach Art der § 35a SGB V-Verfahren

Abbildung 9: Verteilung nach Jahr der § 35 a SGB V-Verfahren

Abbildung 10: Maximales Ausmaß des Zusatznutzens aller abgeschlossenen Verfahren

Abbildung 11: Ausmaß des Zusatznutzens nach Teilpopulation

Abbildung 12: Begründungen des G-BA für einen nicht belegten Zusatznutzen

Abbildung 13: Ergebnisse der Preisfindung

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Risikoklassifizierung von Medizinprodukten

Tabelle 2: Gegenüberstellung der Methodenbewertung von Medizinprodukten und der frühen Nutzenbewertung von Arzneimitteln

Tabelle 3: Übersicht der Bewertungsverfahren nach § 137h SGB V

Abkürzungsverzeichnis

AdvaMed Advanced Medical Technology Association

AIM Assessment in Medicine

AMG Arzneimittelgesetz

AMNOG Arzneimittel-Neuordnungsgesetz

AM-NutzenV Arzneimittel Nutzenverordnung

BfArM Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte

BMG Bundesministerium für Gesundheit

BPI Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie

BVMed Bundesverband Medizintechnologie

CE Conformité Européenne

CHMP Committee for Medicinal Products for Human Use

DEGUM Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin

DKG Deutsche Krankenhaus Gesellschaft

DRG Diagnosis Related Groups

DRKS Deutschen Register Klinischer Studien

EMA European Medical Agency

EU Europäische Union

EUDAMED European Databank on Medical Devices

EUnetHTA European Network for Health Technology Assessment

FDA Food and Drug Administration

G-BA Gemeinsamer Bundesausschuss

GKV Gesetzliche Krankenversicherung

GKV-SV Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen

GKV-VSG GKV-Versorgungsstärkungsgesetz

HTA Health Technology Assessment

InEK Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus

IQWiG Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen

KBV Kassenärztliche Bundesvereinigung

KHEntgG Krankenhausentgeltgesetz

LSG Landessozialgericht

MDCG Medical Device Coordination Group

MDR Medical Device Regulation

MeMBV Medizinproduktemethodenbewertungsverordnung

MPG Medizinproduktegesetz

NICE National Institute for Health and Care Excellence

NUB Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode

PEI Paul-Ehrlich-Institut

PIP Poly Implant Prothèse

PRO Patient reported outcome

pU Pharmazeutischer Unternehmer

RCT Randomized Controlled Trial

SGB Sozialgesetzbuch

SVR Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen

TSVG Terminservice- und Versorgungsgesetz

TÜV Technischer Überwachungsverein

USg-HIFU Ultraschallgesteuerte hoch-intensive fokussierte Ultraschalltherapie

VerfO Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesauschusses

Vfa Verband Forschender Arzneimittelhersteller

ZLG Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten

ZN Zusatznutzen

ZNS Zentrales Nervensystem

ZKS Zentrales Kreislaufsystem

zVT Zweckmäßige Vergleichstherapie

Zusammenfassung

Innovative Medizinprodukte bieten die Chance die Gesundheitsversorgung zu verbessern, bergen jedoch auch das Risiko den Patienten zu schaden. In den letzten Jahren machten die Medien vermehrt auf die Risiken aufmerksam und forderten mit Verweis auf den Arzneimittelmarkt strengere Regulierungen. Seitdem wird europaweit über eine Verschärfung der Anforderungen an Medizinprodukte diskutiert. Mit der Einführung der Medizinprodukteverordnung (MDR), der Nutzenbewertung nach §137h SGB V sowie einer europäische Nutzenbewertung soll die Patientensicherheit zukünftig erhöht werden. Der Medizinproduktemarkt befindet sich im Umbruch und die Politik steht vor der Herausforderung den zeitnahen Zugang zu Innovationen zu gewährleisten, ohne die Patientensicherheit zu vernachlässigen. Ziel dieser Arbeit ist die Analyse von Problemen bei der Bewertung von Medizinprodukten insbesondere im Vergleich zu den Arzneimitteln unter Betrachtung der zukünftigen gesetzlichen Änderungen.

Die vorliegende Arbeit basiert auf einer Literaturrecherche. Der Vergleich der beiden Nutzenbewertungsverfahren erfolgt anhand ausgewählter Kriterien, die sich an einer Studie zum Vergleich verschiedener HTA-Verfahren orientiert. Zudem werden die Ergebnisse aller bis zum 01.05.2019 abgeschlossenen Verfahren untersucht.

Im Gegensatz zu der Nutzenbewertung von Arzneimitteln konnte die Bewertung von Medizinprodukten nicht etabliert werden. Neben Problemen der Akzeptanz unterscheiden sich die beiden Verfahren insbesondere hinsichtlich der Zulassungsbedingungen, bevorzugten Evidenz, zu bewertenden Produkte, Verantwortung des Herstellers sowie des Aufgreifkriteriums für die Nutzenbewertung. Die unterschiedlichen Autoren bemängeln Probleme hinsichtlich der Transparenz, Evidenz und Struktur der Verfahren. Die Einführung der MDR wird voraussichtlich viele Probleme beseitigen, dennoch ist eine Nutzenbewertung von Medizinprodukten unabdingbar, um die Patientensicherheit zu erhöhen.

Anzahl der Zeichen: 119.818

Abstract

Innovative medical devices offer the opportunity to improve health care, but also carry the risk of harming patients. In recent years, the media have increasingly drawn attention to the risks and demanded stricter regulations with reference to the pharmaceutical market. Since then, there has been discussion throughout Europe about tightening the requirements for medical devices. With the introduction of the Medical Devices Regulation (MDR), the benefit assessment according to § 137h SGB V and a European benefit assessment, patient safety is to be increased in the future. The medical device market is in a state of upheaval and politicians are faced with the challenge of ensuring timely access to innovations without neglecting patient safety. The aim of this work is to analyse problems in the evaluation of medical devices, especially in comparison to drugs, taking into account future changes in legislation.

The present work is based on a literature search. The comparison of the two benefit assessment procedures is based on selected criteria, which are based on a study comparing different HTA procedures. In addition, the results of all procedures completed by 01.05.2019 will be examined.

In contrast to the benefit assessment of drugs, the assessment of medical devices could not be established. In addition to problems of acceptance, the two procedures differ in particular with regard to the approval conditions, preferred evidence, products to be evaluated, manufacturer responsibility, and the criterion used for the benefit assessment. The different authors criticize problems with regard to transparency, evidence and structure of the procedures. The introduction of the MDR is expected to eliminate many problems, but a benefit assessment of medical devices is indispensable to increase patient safety.

Number of characters: 119.818

1 Bedeutungsgewinn von Bewertungsmethoden bei Gesundheitstechnologien

1.1 Problemstellung und Zielsetzung

Neben Arzneimitteln sind Medizinprodukte ein wesentlicher Bestandteil der Gesundheitsversorgung. Obwohl insbesondere innovative Gesundheitstechnologien die Chance bieten die Patientenversorgung nachhaltig zu verbessern, haben die Medien in den letzten Jahren auf den potenziellen Schaden dieser Produkte aufmerksam gemacht (vgl. Zens et al., 2015, S. 240). Die internationale Recherche investigativer Journalisten „The Implant Files“ zeigte, dass weltweit jährlich hunderttausende Menschen an den Folgen mangelhafter Medizinprodukte leiden. Die Zahl der nachgewiesenen Probleme in Deutschland war im Jahr 2017 so hoch wie nie zuvor. Etwa 14.000 Vorkommnisse, bei denen in mehr als 50 Prozent der Fälle ein Medizinprodukt den Schaden verursacht hatte, wurden dokumentiert (vgl. BR24, 2018, o.S.). Die Relevanz dieses Problems verdeutlichen Zahlen des Statistischen Bundesamts (2017, o.S.). Jährlich werden in Deutschland 130.000 Herzschrittmacher, 240.000 Hüft- und 190.000 Kniegelenke implantiert. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und des dadurch steigenden Bedarfs wird die Zahl in den kommenden Jahren voraussichtlich weiter steigen.

Es manifestiert sich ein Konflikt zwischen dem zeitnahen Zugang zu Innovationen und der Gewährleistung der Patientensicherheit. Die verschiedenen Akteure (Hersteller, Sozialversicherungen, Politik, Patienten) haben dabei eigene Partikularinteressen und gewichten Konfliktpunkte unterschiedlich. Die Hersteller von Medizinprodukten wünschen sich einen schnellen, unkomplizierten Zugang in die Erstattung, während Sozialversicherungen nur für wirksame Methoden aufkommen wollen und dafür mehr Evidenznachweise fordern. Patienten möchten schnell und sicher von Innovationen profitieren. Die Politik muss alle Interessen vereinen und als regulierendes Organ die Patienten schützen sowie den Markt für Hersteller attraktiv gestalten (vgl. Mühlbacher und Juhnke, 2018, S. 81 f.). Hierfür bedient sie sich dem Instrument des Health Technology Assessments (HTA), welches Ineffizienzen des Gesundheitswesens wie alte, überteuerte, zu wenig wirksame oder gar schädliche Technologien identifiziert mit der Folge ihren Erstattungspreis zu senken oder sie aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu entfernen (vgl. Widrig, 2015, S. 65). Die Ausgestaltung kann dabei unterschiedlich strikt sein. Cassel und Ulrich (2017, S. 138) weisen darauf hin, dass durch zu strikte Bewertungen Versorgungslücken entstehen könnten und durch zu milde Bewertungen nutzlose Technologien Einzug in die Erstattungsfähigkeit erhalten.

Obwohl das Schadenspotenzial von Medizinprodukten hoher Risikoklassen vergleichbar mit dem von Arzneimitteln ist, unterliegen die beiden Produktgruppen unterschiedlich strengen Vorgaben hinsichtlich Marktzugang und Nutzenbewertung (vgl. Sauerland, 2017, S. 30). Während es im Arzneimittelsektor seit 1976 ein bundeseinheitliches Genehmigungsverfahren gibt, in dessen Rahmen die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nachzuweisen ist (vgl. Taxacher, 2006, o.S.) und seit 2011 auf Basis des HTA-Verfahrens der frühen Nutzenbewertung ein Erstattungsbetrag für Arzneimittel vereinbart wird, unterlag der Medizinproduktemarkt lange weniger strengen Regulierungen. Erst der Skandal um minderwertige Brustimplantate des Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) im Jahr 2010 verdeutlichte die Unerlässlichkeit einer kontrollierten und qualitativ hochwertigen Bewertung von Wirksamkeit, Sicherheit und Nutzen auch in diesem Bereich (vgl. Seidel et al., 2014, S. 408 f.). Es folgten mehrfach Anpassungen der Richtlinien zur Zulassung von Medizinprodukten, welche jedoch von Kritikern mit Verweis auf den Arzneimittelmarkt als unzureichend empfunden wurden (vgl. Zens et al., 2015, S. 244 f.). Nach jahrelangen Debatten trat 2017 die Medizinprodukteverordnung (MDR), welche für mehr Transparenz, Evidenz und Sicherheit sorgen soll, mit einer Übergangszeit von drei Jahren in Kraft (vgl. Bohnet-Joschko et al., 2018, S. 148). Ein Jahr zuvor wurde dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), mit in Kraft treten des § 137h SGB V, die gesetzliche Aufgabe übertragen, neben der Nutzenbewertung von Arzneimitteln nun auch die Bewertung von Methoden, die maßgeblich auf dem Einsatz eines Hochrisiko-Medizinproduktes basieren, durchzuführen (vgl. Mühlbacher und Juhnke, 2018, S. 81). Drei Jahre sind seit Einführung der Nutzenbewertung von Medizinprodukten vergangen und die ersten Ergebnisse zeigen Uneinigkeit und Enttäuschung. Die Erwartungen des Gesetzgebers von ca. 20 Verfahren pro Jahr (vgl. Deutscher Bundestag, 2015, S. 65), wurden mit 24 Verfahren in drei Jahren weit unterschritten. Experten des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sind der Meinung, dass die vergangenen Gesetzesänderungen nicht ausreichen und es dringenden Nachbesserungsbedarf gebe (vgl. Ärzteblatt, 2018a, o.S.). Mit dem im Mai 2019 verabschiedeten Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) wurden bereits erste Anpassungen am § 137h SGB V vorgenommen, die mit in Kraft treten der MDR verbindlich werden.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen wird in der vorliegenden Arbeit das deutsche Verfahren zur Zulassung, Nutzenbewertung und Erstattung von Medizinprodukten betrachtet und mit dem Arzneimittelverfahren verglichen. Das Ziel besteht darin, Schwachstellen des Systems aufzuzeigen und Verbesserungspotenziale abzuleiten. Auf diesem Weg wird geprüft, ob Lerneffekte aus dem Arzneimittelmarkt auf den Bewertungsprozess von Medizinprodukte übertragbar sind.

1.2 Aufbau der Arbeit

Im ersten Teil dieser Arbeit wird der HTA-Prozess definiert und dadurch der Begriff Gesundheitstechnologien hergeleitet, unter dem im weiteren Verlauf der Arbeit Medizinprodukte und Arzneimittel zu verstehen sind. Da beide Produktgruppen unterschiedliche Merkmale aufweisen und verschiedenen Regulierungen unterliegen, werden sie voneinander abgegrenzt. Aufgrund des großen Produktspektrums werden Medizinprodukte in Risikogruppen klassifiziert. Diese Klassifizierung ist von Bedeutung, da der Fokus dieser Arbeit auf den sog. Hochrisiko-Medizinprodukten liegt.

Um die Grundlage für die Betrachtung und Diskussion bisheriger Ergebnisse der beiden HTA-Verfahren zu schaffen, werden in Kapitel 3 beide Bewertungsverfahren vom Inverkehrbringen bis zur Erstattung der Produkte beschrieben. Hierbei werden besonders die zeitlichen Abläufe der Verfahren sowie Zuständigkeiten der beteiligten Akteure betrachtet. In Kapitel 4 wird die Forschungsfrage hergeleitet und das weitere Vorgehen beschrieben. Mit Hilfe einer Gegenüberstellung der Verfahrensmerkmale, sowie einer Evaluation bisheriger Bewertungsergebnisse werden Unterschiede, Probleme und Schwächen identifiziert. Diese Ergebnisse sind Grundlage für die Diskussion der Schwierigkeiten im deutschen Medizinproduktemarkt und der Übertragbarkeit von Lerneffekten aus dem Arzneimittelbereich. Auch der Einfluss zukünftiger politischer Entwicklungen wird untersucht. Die Arbeit schließt mit einem Fazit, in dem die Ergebnisse der Diskussion zusammengefasst und ein Ausblick auf die weitere Entwicklung des Medizinproduktemarkts gegeben wird.

Die vorliegende Arbeit basiert auf einer reinen Literaturrecherche. Aufgrund der Aktualität des Themas und des Umbruchs, die der Markt zurzeit erfährt, werden primär Internetquellen verwendet.

2 Rechtliche Rahmenbedingungen für Gesundheitstechnologien

2.1 Definition Health Technology Assessment

Der Begriff Gesundheitstechnologie wird im deutschen Sprachgebrauch selten verwendet und taucht meist im Zusammenhang mit Health Technology Assessments auf, was im Deutschen mit „Bewertung von Gesundheitstechnologien“ übersetzt wird. Gesundheitstechnologien umfassen dabei Interventionen zur Prävention, Diagnose und Behandlung von Krankheit, Förderung von Gesundheit sowie Rehabilitation. Damit verbunden ist die Anwendung von Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie der Einsatz von gesundheitsbezogenen Verfahren und Organisationssystemen (vgl. INAHTA, 2019, o.S.). Für HTA existieren verschiedene Definitionen.

Das European Network for Health Technology Assessment (EUnetHTA) (2019, o.S.) definiert HTA bspw. als einen interdisziplinären Prozess, welcher Informationen zu medizinischen, ökonomischen, sozialen und ethischen Aspekten im Zusammenhang mit dem Einsatz einer Gesundheitstechnologie systematisch, transparent und unverzerrt zusammenfasst, um einen Entscheidungsprozess zu unterstützen.

Henshall et al. (1997 zitiert nach Perleth und Busse, 2004, S. 173) hingegen bezeichnen HTA als eine Form der Politikfeldanalyse, die systematisch kurz- und langfristige Konsequenzen bei der Anwendung einer medizinischen Technologie, einer Gruppe verwandter Technologien oder eines technologiebezogenen Sachverhalts, mit dem Ziel Entscheidungen in Politik und Praxis zu unterstützen, untersucht.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass HTA-Berichten auf einer systematischen Recherche vorhandener Studien zur Effektivität und Effizienz einzelner Gesundheitstechnologien basieren (vgl. Greiner, 2012, S. 459). Sie verfolgen das Ziel, Informationen bestmöglich, nach aktuellstem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sowie weitestgehend neutral und aus verschiedenen Blickwinkeln aufzuarbeiten, um damit die Basis einer gerechten und verantwortungsvollen Entscheidung zu schaffen. HTA ist nicht nur ein Instrument, um Kosten zu senken, sondern auch um die Qualität der Versorgung zu verbessern (vgl. Widrig, 2015, S. 64 f.). Durchgeführte Bewertungen werden in der Politik und Praxis genutzt, um Entscheidungen zu neuen innovativen Technologien zu treffen. Beispiele hierfür sind die Aufnahme einer Methode in den Leistungskatalog sowie das Festlegen eines maximal zu erstattenden Preises. In Deutschland trifft der G-BA, ein paritätisch besetztes Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung, diese Entscheidungen. Unterstützt wird er durch das IQWiG, welches die den Entscheidungen zugrundeliegenden Bewertungen erstellt (vgl. Greiner, 2012, S. 457). Da in Deutschland für Medizinprodukte und Arzneimittel Gesundheitstechnologie-Bewertungen durchgeführt werden, ist es möglich, die Verfahren zu vergleichen. Daher stehen diese beiden Produktgruppen im Fokus der vorliegenden Arbeit und werden im nächsten Schritt voneinander abgegrenzt.

2.2 Abgrenzung der Medizinprodukte von Arzneimitteln

Die Abgrenzung von Medizinprodukten zu Arzneimitteln ist wichtig, da beide Produktgruppen unterschiedlichen Regulierungen bezüglich des Marktzugangs und der Verkehrsfähigkeit unterliegen. Besonders die klinische Forschung unterscheidet sich bei Medizinprodukten und Arzneimitteln (vgl. BVMed, 2016, o.S.).

Arzneimittel werden in Deutschland durch das Arzneimittelgesetz (AMG) reguliert. Dieses definiert Arzneimittel als „Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind oder die im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen“ (§ 2 Abs. 1 AMG).

Die Regulierung von Medizinprodukten ist deutlich komplexer. Auf europäischer Ebene gibt es drei Richtlinien, die unterschiedliche Arten von Medizinprodukten definieren: In-vitro -Diagnostika (98/79/EWG), aktive implantierbare (90/385/EWG) und sonstige Medizinprodukte (93/42/EWG). Zusätzlich werden die sonstigen Medizinprodukte in die Risikogruppen I, IIa, IIb und III unterteilt (siehe dazu Kapitel 2.3). Da eine Nutzenbewertung ausschließlich für Medizinprodukten hoher Risikoklassen durchgeführt wird und zu diesen aktive implantierbare sowie sonstige Medizinprodukte der Klassen IIb und III (§ 2 Abs. 1 MeMBV) zählen, werden im Folgenden die In-vitro -Diagnostika nicht näher betrachtet. Die Umsetzung der europäischen Richtlinien erfolgt in Deutschland durch das Medizinproduktegesetz (MPG).

Derzeit ist der Begriff Medizinprodukt in § 3 MPG festgelegt und umfasst „alle einzeln oder miteinander verbunden verwendeten Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Software, Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen oder andere Gegenstände einschließlich der vom Hersteller speziell zur Anwendung für diagnostische oder therapeutische Zwecke bestimmten und für ein einwandfreies Funktionieren des Medizinproduktes eingesetzten Software, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen mittels ihrer Funktionen zum Zwecke

a) der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten,
b) der Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen,
c) der Untersuchung, der Ersetzung oder der Veränderung des anatomischen Aufbaues oder eines physiologischen Vorgangs oder
d) der Empfängnisregelung

zu dienen bestimmt sind und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel noch durch Metabolismus erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann.“ (MPG § 3 Absatz 1 a-d).

Die Definitionen zeigen einige Gemeinsamkeiten, wodurch die Begriffsabgrenzung erschwert wird. Beide Produktgruppen verfolgen mit der Erkennung, Verhütung, Heilung und Linderung von Krankheiten ein gemeinsames Anwendungsziel. Außerdem beeinflussen sowohl Medizinprodukte als auch Arzneimittel die Beschaffenheit oder ersetzen Teile des menschlichen Körpers. Folglich ist die Zweckbestimmung der Produkte identisch und kann nicht als Unterscheidungsmerkmal dienen. Die Abgrenzung muss daher auf Grundlage der bestimmenden Hauptwirkung erfolgen. Wie herausfordernd dies ist, zeigen folgende Beispiele: Während Röntgenkontrastmittel in die Gruppe der Arzneimittel eingeordnet wird, zählt Gel für Sonographie-Geräte zu den Medizinprodukten (vgl. Zippel, 2016, S. 13).

Im Unterschied zu Arzneimitteln wird die bestimmungsgemäße Hauptwirkung bei Medizinprodukten nicht pharmakologisch, metabolisch oder immunologisch, sondern primär physikalisch erreicht (vgl. BVMed, 2016, o.S.). Folglich wirken Medizinprodukte auf den Körper ein, während Arzneimittel auf molekularer Ebene in Wechselwirkung mit den menschlichen Strukturen treten. Diese Unterscheidung ist wichtig, da sich hieraus die Abhängigkeit eines Arzneimittels von der biologischen Variabilität, z.B. in Form von Verstoffwechslung, des Patienten ergibt. Dadurch ergeben sich bei Arzneimitteln häufig unerwünschte Ereignisse (Nebenwirkungen). Ihr Eintritt, die Schwere und Reversibilität sind dabei nicht abschätzbar. Bei Medizinprodukten sind solche Effekte eher vorhersehbar und für gewöhnlich reversibel (vgl. BVMed, 2014a, o.S.). Ärzte nehmen bei der Anwendung von Arzneimitteln nur einen geringen Einfluss auf die Wirkung dieser. Medizinprodukte hingegen werden im Rahmen von Prozeduren angewendet und zeigen in ihrer Wirkung dadurch eine hohe Abhängigkeit von den Fähigkeiten des Anwenders auf (vgl. Fuchs et al., 2017, S. 222). Außerdem betont der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) (2019, S. 6), dass sich Innovationsprozesse zwischen Medizintechnik- und Pharmabranche deutlich unterscheiden. Ein Großteil der Medizinprodukte sind Weiterentwicklungen bestehender Produkte, sog. Schrittinnovationen.

2.3 Klassifizierung von Medizinprodukten

Aufgrund ihrer Heterogenität werden Medizinprodukte in vier Klassen unterteilt: I, IIa, IIb und III (vgl. § 13 MPG). Die Einordnung erfolgt auf Basis der Klassifizierungsregeln der MDR unter Berücksichtigung der Zweckbestimmung und dem mit dem Produkt verbundenen Risikopotenzial für den menschlichen Körper (vgl. Leitgeb, 2015, S. 20). Die Klassifizierung von Medizinprodukten ist von grundlegender Bedeutung, da an die verschiedenen Risikoklassen unterschiedliche Konformitätsbewertungsverfahren gebunden sind (vgl. Becker und Norgall, 2011, S. 9).

Ausschlaggebend für die Einordnung der Risikoklassen sind vor allem Dauer (vorrübergehend, kurzzeitig, langzeitig) und Ort der Anwendung (invasiv, chirurgisch invasiv, implantierbar). Je länger ein Produkt angewendet wird oder je tiefer es sich im menschlichen Körper befindet, desto höher ist das Risiko und damit verbunden auch die Risikoklasse (vgl. Land, 2018, S. 220 f.). Das wichtigste Kriterium ist jedoch die Produktaktivität (aktiv, nicht aktiv). Ein Produkt ist dann aktiv, wenn es Energie (z.B. Herzschrittmacher) oder pharmakologisch wirksame Substanzen (z.B. Infusionspumpe) an den menschlichen Körper abgibt (vgl. Schulenburg, 2007, S. 4). Zudem merkt der BVMed (2015, o.S.) an, dass Produkte einer höheren Risikoklasse mehr Fremdkontrolle bedürfen. Während der Marktzugang von Medizinprodukte der Klasse I und IIa wenig bis gar nicht von einer externen Stelle überprüft wird, bedarf es bei Produkten der Klassen IIb und III einer umfassenden, externen Zertifizierung durch eine staatlich anerkannte Prüf- und Zertifizierungsstelle (sog. Benannte Stelle). Die Benannten Stellen sind staatlich überwachte Prüfstellen und die wichtigsten Akteure bei der Zulassung von Medizinprodukten, da sie für die Bescheinigung der Richtigkeit des Herstellungsprozesses zuständig ist (vgl. Land, 2018, S. 220).

Zum 01.01.2016 hat der Gesetzgeber die Bewertung von Medizinprodukten hoher Risikoklassen mit besonders invasivem Charakter angeordnet. Unter diesen Begriff fallen nach § 137h Abs. 2 S. 1 SGB V Medizinprodukte der Klasse IIb und III sowie aktiv implantierbare Medizinprodukte (vgl. § 2 Abs. 1 MeMBV). Implantierbar ist jedes medizinische Gerät, welches ganz oder teilweise durch einen chirurgischen oder medizinischen Eingriff in den menschlichen Körper eingeführt wird und nach dem Eingriff dort verbleibt (vgl. Willhöft, 2018, S. 169). Aktive implantierbare Medizinprodukte weisen per Definition stets einen besonders invasiven Charakter auf und sind daher den Hochrisikomedizinprodukten zuzuordnen (vgl. § 2 Abs. 2 S.1 MeMBV). Medizinprodukte der Klasse IIb weisen dann einen besonders invasiven Charakter, wenn sie durch Freigabe von Energie oder radioaktiven Stoffen gezielt wesentliche Organsystemen (Herz, Zentrales Kreislauf System (ZKS), Zentrales Nervensystem (ZNS)) beeinflussen (vgl. § 2 Abs. 4 MeMBV). Die gezielte Einflussnahme wird durch die Zweckbestimmung des jeweiligen Produktes ermittelt. Medizinprodukte der Klasse III müssen einen erheblichen Eingriff in wesentliche Organfunktionen oder -systeme nehmen, damit ihnen ein besonders invasiver Charakter zugeschrieben wird. Erheblich kann hierbei zum einen das langfristige Ersetzen oder Verändern wesentlicher Organfunktionen oder -systeme und zum anderen den direkten Kontakt eines Medizinproduktes mit Herz, ZKS oder ZNS bedeuten (vgl. § 2 Abs. 3 MeMBV).

Eine allgemein gültige Liste über die Zuordnung bestimmter Medizinprodukte in vier Risikoklassen gibt es nicht. Letztlich bestimmt der Hersteller in welche Klasse sein Medizinprodukt einzuordnen ist. Der Grund für die Übertragung der Verantwortung auf den Hersteller liegt darin, dass sich die Einordnung des Produktes nach dessen bestimmungsgemäßer Verwendung richtet. Diese muss der Hersteller verbindlich in der Gebrauchsanweisung definieren. Die Zuordnung ist also nicht von dem potenziellen, sondern von dem tatsächlichen Einsatz des Produktes abhängig (vgl. Leitgeb, 2015, S. 21). Tabelle 1 zeigt eine Übersicht der Risikoklassen mit ihren Eigenschaften, den Marktanteilen und Beispielen. Besonders hervorzuheben ist, dass der Marktanteil der Hochrisiko-Medizinprodukte, für die eine Nutzenbewertung erfolgen soll, nur etwa zehn Prozent beträgt.

Tabelle 1: Risikoklassifizierung von Medizinprodukten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quellen: Leitgeb, 2015, S. 19; Land, 2018, S. 220 f.; BVmed, 2015, o.S. und Sauerland und Windeler, 2018, S. 121.

3 Bewertungsverfahren für Gesundheitstechnologien in Deutschland

3.1 Medizinprodukte

3.1.1 Ablauf des Inverkehrbringens

Die Voraussetzungen für das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Medizinprodukten in Deutschland sind in § 6 MPG geregelt. Danach dürfen ausschließlich Produkte in Betrieb genommen werden, die mit der europäischen Konformitäts-Kennzeichnung, Conformité Européenne (CE), also einer Kennzeichnung für die Konformität mit den geltenden Anforderungen der Europäischen Gemeinschaft, versehen sind. Die CE-Kennzeichnung erhält ein Medizinprodukt, wenn es den vorgegebenen Sicherheits- und Leistungsanforderungen einer jeweiligen Richtlinie bzw. Verordnung entspricht (vgl. Land, 2018, S. 219). Die Kennzeichnung bestätigt nicht die medizinische Unbedenklichkeit des Produktes, sondern lediglich, dass ein Produkt mit den genannten Anforderungen mindestens einer EU-Verordnung/-Richtlinie übereinstimmt. Dies muss der Hersteller in einer Konformitätserklärung darlegen (vgl. Müllner und Guggenbichler, 2018, S. 76).

Teil der Konformitätserklärung ist nach MDR Kapitel II, Artikel 5, Satz 3 eine klinische Bewertung, welche eine Beurteilung unerwünschter Nebenwirkungen sowie die Vertretbarkeit des Nutzen-Risiko-Verhältnisses bei bestimmungsgemäßer Verwendung des Produktes beinhaltet (vgl. Wille, 2014, S. 41). Wichtig dabei ist die Unterscheidung zwischen einer klinischen Bewertung und einer klinischen Prüfung. Während die klinische Bewertung auf bereits vorhandenen klinischen Daten aus z.B. wissenschaftlicher Literatur basiert, müssen bei der klinischen Prüfung Studiendaten zu dem Produkt, das in Verkehr gebracht werden soll, erhoben werden (vgl. Müllner und Guggenbichler, 2018, S.74). Laut MDR hängt zukünftig die Entscheidung ob eine klinische Bewertung ausreicht oder eine klinische Prüfung notwendig ist, von der Risikoklasse ab. Für Produkte der Klasse III und implantierbaren Produkten sollen generell Daten aus klinischen Prüfungen herangezogen werden (vgl. Lippert, 2017, S. 615).

Aus der Zweckbestimmung eines Medizinproduktes leitet sich die Risikoklasse ab, welche wiederum den Umfang der Konformitätsbewertung bestimmt. Während der Hersteller bei Produkten der Risikoklasse I die Konformität in der Regel selbst erklärt, übernimmt ab Klasse II eine Benannte Stelle bestimmte Prüfaufgaben. Der Hersteller hat hierbei einige Wahlfreiheiten. Zum einen kann er die Benannte Stelle frei wählen, solange diese für das durchzuführende Verfahren akkreditiert ist. Zum anderen darf er einige Bestandteile die Konformitätsbewertung mitbestimmen (vgl. Zens et al., 2015, S. 240). In Deutschland werden die Benannten Stellen von der Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG) benannt und überwacht (vgl. Wille, 2015, S. 41). Derzeit gibt es europaweit 58 Benannte Stellen, wovon sich elf, z.B. der TÜV, in Deutschland befinden (vgl. Europäische Kommission, 2019a, o.S.). Da sie privatwirtschaftlich organisiert sind und in Konkurrenz zueinander stehen, sind sie in der Vergangenheit häufig in die Kritik geraten wirtschaftliche Interessen zu verfolgen und dabei nicht neutral und sorgfältig zu arbeiten (vgl. Rebscher, 2014, S. 42).

Die Marktüberwachung als Bestandteil des Inverkehrbringens wird als unverzichtbar für die Qualitätssicherung von Medizinprodukten bezeichnet. Nach der CE-Kennzeichnung ist der Hersteller dazu verpflichtet den gesamten Produktlebenszyklus zu überwachen und bei Auffälligkeiten zu handeln. Ein Instrument zu der zentralen Verwaltung von Medizinprodukten ist das elektronische Datenbanksystem, European Databank on Medical Devices (EUDAMED), welches u.a. Informationen zu Medizinprodukten und Herstellern beinhaltet. Erst mit Einführung der MDR wird die Datenbank öffentlich zugänglich, sodass zukünftig auch Hersteller, Betreiber und Patienten dort Daten zu Vorkommnissen sowie Beinahe-Vorkommnisse einpflegen können (vgl. Müllner und Guggenbichler, 2018, S. 77 f.). Eine weitere Neuerung der MDR, die zur verbesserten Marktüberwachung führt, ist die Befugnis der Behörden und Benannten Stellen sowohl angekündigte, als auch unangekündigte Kontrollen in den Einrichtungen der Hersteller, Zulieferer etc. durchzuführen (vgl. Guggenbichler und Harer, 2018, S.396f.).

3.1.2 Darlegung der Nutzenbewertung nach § 137h SGB V

Während das Inverkehrbringen von Medizinprodukten auf europäischer Ebene geregelt ist, sind Erstattung und eine damit verbundene Nutzenbewertung Ländersache (vgl. Sauerland und Windeler, 2018, S. 126). Die Erstattung und Nutzenbewertung von Gesundheitstechnologien sind im deutschen Gesundheitswesen eng miteinander verknüpft. Ob eine Gesundheitsleistung von der GKV übernommen werden kann, ist dabei für den ambulanten und stationären Sektor unterschiedlich geregelt. Im stationären Bereich gilt das Prinzip der Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt (vgl. §137c SGB V). Dies bedeutet, dass neue Methoden solange zu Lasten der GKV erbracht werden dürfen bis der G-BA diese durch einen Richtlinienbeschluss untersagt (vgl. Zens et al., 2015, S. 241 f.). Der ambulante Sektor wird nicht betrachtet, da die Nutzenbewertung ausschließlich im stationären Bereich erfolgt.

Im Jahr 2015 wurde das Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) beschlossen und mit § 137h SGB V ein HTA-Verfahren für innovative Medizinprodukte eingeführt (vgl. Willhöft, 2018, S. 166). Dieses sog. Medizinprodukte-Methodenbewertungsverfahren ist das erste Verfahren, welches den Unsicherheiten bezüglich Wirksamkeit, Nutzen und Risiken von Medizinprodukten entgegenwirken soll (vgl. Rosery und Weißer, 2015, S. 10). Bewertet wird nicht das Medizinprodukt selbst, sondern eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode (NUB), die maßgeblich auf dem Einsatz eines Medizinproduktes beruht. Die Methode bzw. das Medizinprodukt müssen für die Methodenbewertung bestimmte Voraussetzungen erfüllen:

- Die NUB-Anfrage1 wird erstmalig beim Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) nach § 6 Abs. 2 KHEntgG gestellt.
- Bei dem Medizinprodukt, auf dessen Anwendung die Methode beruht, handelt es sich um ein Produkt mit hoher Risikoklasse und besonders invasiven Charakter.
- Die Methode weist ein neues theoretisch-wissenschaftliches Konzept auf.
- Das Medizinprodukt ist keine Schrittinnovation.

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) konkretisiert in der Medizinproduktemethodenbewertungsverordnung (MeMBV) den Anwendungsbereich des Verfahrens sowie die Tatbestandsmerkmale des § 137h SGB V. Neben der Erläuterung im Kapitel 2.2 zum Begriff der Hochrisiko-Medizinprodukte, werden in der MeMBV auch die erstmalige Anfrage und das neue theoretisch-wissenschaftliche Konzept erläutert.

Abbildung 1 veranschaulicht den Ablauf der Nutzenbewertung nach § 137h SGB V. Möchte ein Krankenhaus eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, die auf einem Hochrisiko-Medizinprodukt beruht, stationär erbringen, kann es sich vorweg beim G-BA zum Verfahren und dessen Anforderungen kostenlos beraten lassen. Fällt diese Beratung positiv aus und strebt das Krankenhaus eine Bewertung an, hat es zwei Aufgaben. Zum einen muss es eine NUB-Anfrage nach § 6 Abs. 2 S. 3 KHEntgG an das InEK stellen, welches daraufhin prüft, ob die NUB mit vorhandenen Fallpauschalen und Zusatzentgelten bereits sachgerecht vergütet wird. Gleichzeitig muss das Krankenhaus dem G-BA Informationen über den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu der NUB sowie zur Anwendung des Medizinproduktes übermitteln. Beide Schritte müssen im Benehmen mit dem Hersteller des betroffenen Medizinproduktes erfolgen.

Abbildung 1: Ablauf der Methodenbeiwertung von Medizinprodukten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an G-BA, 2017a, o.S.

Der G-BA prüft daraufhin die Unterlagen hinsichtlich Plausibilität und Vollständigkeit und bereitet ein Stellungnahmeverfahren vor, an dem weitere Krankenhäuser sowie betroffene Hersteller teilnehmen, um ggf. zusätzliche Informationen zu ergänzen. Zudem kann der G-BA eigene Recherchen durchführen. Im Anschluss an das Stellungnahmeverfahren veröffentlicht der G-BA seine Entscheidung über die Erfüllung der Voraussetzungen der Methodenbewertung auf seiner Internetseite. Sind alle sachlichen Voraussetzungen erfüllt, folgt die Nutzenbewertung. Hierfür beauftragt der G-BA das IQWiG mit der wissenschaftlichen Bewertung der eingereichten Unterlagen. Auf Basis dieser Unterlagen und der Bewertung des IQWiG trifft der G-BA dann eine Entscheidung. Dabei sind folgende drei Ergebnissen möglich.

1. Der Nutzen einer Methode ist hinreichend belegt. Mit diesem Nachweis und der Bestätigung des InEK über die nicht-sachgerechte Vergütung kann ein krankenhausindividuelles NUB-Entgelt vereinbart werden. Können sich Krankenhaus und regionale gesetzliche Krankenkassen nicht auf einen Preis einigen, haben sie die Möglichkeit einen Antrag bei der Schiedsstelle nach § 18a Abs. 1 KHG zu stellen. Wird die Methode implementiert, folgen ggf. Qualitätssicherungsmaßnahmen.
2. Der Nutzen ist noch nicht hinreichend belegt, aber die Methode bietet das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative. Ein Potenzial ergibt sich aus der Erwartung einen Mehrwert gegenüber bestehenden Methoden zu bieten. Dies ist z.B. der Fall, wenn der Eingriff bei einem Patienten weniger invasiv ist oder eine Methode weniger Nebenwirkungen verursacht. Der G-BA entscheidet innerhalb von sechs Monaten nach Beschlussfassung über eine Erprobung der Methode nach § 137e SGB V, um weitere Erkenntnisse zum Nutzen der Methode zu generieren. Krankenhäuser, die diese Methode zulasten der GKV erbringen möchten, müssen an der Erprobungsstudie teilnehmen. Sollte eine Erprobungsstudie aufgrund fehlender Kostenübernahmebereitschaft nicht zustande kommen, erlässt der G-BA eine Richtlinie zum Ausschluss der Methode aus dem GKV-Leistungskatalog.
3. Der Nutzen ist nicht belegt und die Methode bietet kein Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative. Wenn weder Nutzen noch Potenzial vorliegen, muss die Methode von der Erstattung ausgeschlossen werden. Es darf weder ein Entgelt vereinbart, noch darf die Methode zu Lasten der GKV erbracht werden (vgl. Willhöft, 2018, S. 172 ff.). Die Entscheidung über den Ausschluss einer Methode trifft der G-BA. Nach Veröffentlichung des Beschlusses wird hierfür ein Verfahren nach § 137c Abs. 1 Satz 2 SGB V eingeleitet. Der G-BA ist verpflichtet eigene Recherchen anzustellen und zu überprüfen, ob die entsprechende Methode für die „ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse erforderlich ist“ (§ 2. Kapitel 12 Abs. 3 Satz 1 VerfO G-BA). Fällt diese Überprüfung negativ aus und sieht der G-BA kein Potenzial einer Behandlungsalternative, insbesondere da die Methode schädlich oder unwirksam ist, erlässt er eine Richtlinie zum Ausschluss der Methode aus dem GKV-Leistungskatalog (vgl. 2. Kapitel § 12 Abs. 3 Satz 2 VerfO G-BA). Das BMG kann nach § 94 Abs. 1 Satz 2 SGB V diese Richtlinie zum Ausschluss einer Methode beanstanden und eine erneute Bewertung verlangen (vgl. § 137c Abs. 2 SGB V).

3.1.3 Darstellung der Erstattungssituation

Der Leistungskatalog der GKV orientiert sich an dem Wirtschaftlichkeitsgebot. Demnach werden Leistungen nur erstattet, wenn sie „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ sind und „das Maß des Notwendigen nicht überschreiten“ (§12 SGB V). Gleichzeitig müssen „Qualität und Wirksamkeit der Leistungen [...] dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse [...] entsprechen und den medizinischen Fortschritt [...] berücksichtigen“ (§ 2 SGB V). Der G-BA bestimmt durch Einschränken oder Ausschließen von ärztlichen Leistungen indirekt den Leistungskatalog. Wie bereits im Kapitel 3.1.2 erwähnt, regelt der Verbotsvorbehalt im stationären Bereich die Anwendung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Ein Verbot wird jedoch nur ausgesprochen, wenn aus der zugrunde gelegten evidenzbasierten Literatur weder ein diagnostischer oder therapeutischer Nutzen noch eine medizinische Notwendigkeit oder Wirtschaftlichkeit ersichtlich sind (vgl. SVR, 2014, o.S.).

Stationäre Leistungen werden mithilfe von Fallpauschalen (DRGs) vergütet. Diese setzen sich aus Diagnose, Schweregrad der Erkrankung sowie durchgeführten Operationen und Prozeduren zusammen und stellt einen Durchschnittswert für die betrieblichen Aufwendungen dar. Sowohl Personal- als auch Sachkosten, zu denen Medizinprodukte gehören, werden also durch eine Fallpauschale abgedeckt. Die Höhe der Erstattung einer Behandlungsmethode ist unabhängig davon, welches Medizinprodukt zum Einsatz kommt. Die Entscheidung wirkt sich jedoch auf den Deckungsbeitrag pro DRG aus (vgl. Schulenburg et al., 2009, S. 146).

Nur weil eine Behandlungsmethode einer DRG zugeordnet werden kann, impliziert dies keine sachgerechte Vergütung. Das DRG-System berücksichtigt Durchschnittspreise, welche den Normalfall abdecken. Besondere Fälle, die teurere innovative Leistungen benötigen, sind in der Fallpauschale nicht adäquat berücksichtigt. Um der Individualität von Behandlungen Rechnung tragen zu können, werden die DRG-Erlöse jährlich auf Datenbasis von sog. Kalkulationskrankenhäusern angepasst. Die Abbildung neuer Leistungen im DRG-System erfordert eine Mindestzeit von zwei Jahren ab Inverkehrbringen (vgl. Franz und Wernke 2018, S. 190).

Um diesem Problem entgegen zu wirken und neue Technologien schneller zu vergüten, hat der Gesetzgeber mit dem § 6 Abs. 2 KHEntgG ein zusätzliches temporäres Vergütungsinstrument eingeführt: ein Zusatzentgelt für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die mit den bestehenden Fallpauschalen und Zusatzentgelten noch nicht sachgerecht vergütet werden. Krankenhäuser und Kostenträger können auf Landesebene eine zeitlich befristete Vergütung für diese sog. NUB-Entgelte verhandeln, welche dann für ein Jahr und nur für das beantragende Krankenhaus gelten (vgl. Ex et al., 2016, S. 79). Die Kombination aus geringen Markthürden und der Vergütung über NUB-Entgelte machen innovative Behandlungsmethoden für Krankenhäuser lukrativ (vgl. Sauerland und Windeler, 2018, S. 122).

Wie bereits in Kapitel 3.1.2 erwähnt, ist die Nutzenbewertung nach § 137h SGB V an die Beantragung der NUB-Entgelte geknüpft. Ein Krankhaus muss bis zum 31. Oktober einen jeden Jahres beim InEK eine Anfrage stellen, ob die NUB durch das DRG System abgedeckt ist. Das InEK hat daraufhin drei Monate Zeit diese Anfrage zu prüfen und der angefragten Methode einen Status zuzuweisen:

- Status 1: Kriterien der NUB-Vereinbarung sind erfüllt. Für diese Methode/Leistung ist die Verhandlung eines NUB-Entgeltes nach § 6 Abs. 2 KHEntgG zulässig, solange die Leistung nicht durch den G-BA von der Finanzierung durch die GKV ausgeschlossen ist.
- Status 2: Kriterien der NUB-Vereinbarung sind nicht erfüllt. Für diese Methode/Leistung ist die Verhandlung eines NUB-Entgeltes nach § 6 Abs. 2 KHEntgG nicht zulässig.
- Status 3: Das InEK konnte die Methode/Leistung in der festgesetzten Frist nicht vollständig bearbeiten.
- Status 4: Informationen der Anfrage sind unplausibel oder nicht nachvollziehbar. In begründeten Einzelfällen können trotzdem NUB-Entgelte nach § 6 Abs. 2 KHEngG verhandelt werden.

Vergibt das InEK einer Methode den Status 1, können die Krankenhäuser, die für diese Methode eine Anfrage gestellt haben, mit den Krankenkassen auf Landesebene ein Entgelt vereinbaren. Sollte der Kostenträger eine Verhandlung ablehnen, kann das Krankenhaus die sog. Schiedsstelle kontaktieren, welche sich dann um eine Einigung bemüht. Handelt es sich um ein Verfahren i.V.m. der Nutzenbewertung nach § 137h SGB V, wird der durch die Schiedsstelle festgelegte Betrag rückwirkend für alle Methoden im Krankenhaus seit Beantragung des NUB-Entgeltes erstattet (vgl. Franz und Wernke, 2018, S. 190 f.).

3.2 Arzneimittel

3.2.1 Ablauf des Inverkehrbringens

Pharmazeutische Unternehmer haben in Europa verschiedene Möglichkeiten ihr Arzneimittel auf den Markt zu bringen. Während es bis in die 1990er Jahre üblich war ein Arzneimittel in den einzelnen Ländern bei der jeweiligen Behörde zuzulassen, sind heutzutage drei europäische Verfahren gebräuchlich. Das am weitesten verbreitete Verfahren ist die zentrale Zulassung, bei der das Arzneimittel in allen EU-Mitgliedsstaaten sowie Norwegen, Lichtenstein und Island zugelassen wird. Das Verfahren ist für biotechnologische Arzneimittel, Arzneimittel für seltene Erkrankungen und für besondere Indikationen bspw. Krebs verpflichtend durchzuführen. Die Durchführung des Verfahrens übernimmt die zentrale europäische Zulassungsbehörde in Amsterdam, die European Medicines Agency (EMA). Zu ihr gehört der Unterausschuss für Humanarzneimittel, Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP), dem Wissenschaftler aus allen europäischen Zulassungsbehörden angehören. Der CHMP erstellt ein Gutachten zu dem beantragten Arzneimittel und spricht eine Empfehlung zur Zulassung aus. Diese wird an die Europäische Kommission übermittelt, welche daraufhin die Zulassung erteilen kann (vgl. BfArM, 2019, o.S.). Für einige Sonderfälle hat der Gesetzgeber die Möglichkeit eines beschleunigten Zulassungsverfahrens geschaffen. Dieses kann beantragt werden, wenn eine Beschleunigung des Verfahrens im Interesse der öffentlichen Gesundheit ist, es um eine lebensbedrohliche Erkrankung geht, bei der Versorgungslücken bestehen oder nicht ausreichend Evidenz generiert werden kann (vgl. Kaiser und Haag, 2016, S. 370).

Wird ein Arzneimittel gleichzeitig in mehreren europäischen Staaten zugelassen und wird die Koordination von einer nationalen Zulassungsbehörde übernommen, spricht man von einer dezentralen Zulassung. Gleiche Charakteristika hat das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung. Dieses unterscheidet sich ausschließlich durch den Zusatz, dass das Arzneimittel bereits in einem anderen Land zugelassen ist. Die Länder, welche eine gegenseitige Anerkennung beantragen, berufen sich auf diese Zulassung und umgehen damit bürokratischen Aufwand. Nichtsdestotrotz haben pharmazeutische Hersteller die Möglichkeit, ihr Produkt ausschließlich in einem Land zu vermarkten und hierfür die nationale Zulassung zu beantragen. Die zuständigen Behörden sind in Deutschland, abhängig vom zuzulassenden Arzneimittel, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) oder das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) (vgl. Kaiser und Haag, 2016, S. 368 f.).

Der Verkehr von Arzneimitteln wird in Deutschland durch das AMG geregelt. § 1 AMG erläutert den Zweck des Gesetzes und hebt angesichts zu wahrender Sicherheitsaspekte vor allem die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit hervor. Diese sind im Rahmen der Arzneimittelzulassung von der zuständigen Behörde zu prüfen. Im Zentrum der Zulassung steht die Gegenüberstellung von Nutzen zu Risiko. Die Arzneimittelbehörde bewertet hierfür die vom pharmazeutischen Unternehmer (pU) eingereichten Unterlagen zur pharmazeutischen Qualität, therapeutischen Wirksamkeit und medizinischen Unbedenklichkeit des Produktes (vgl. Broich et al., 2016, S. 376). Neben den analytischen, pharmakologisch-toxikologischen und klinischen Prüfungen, muss der pU unter anderem die Gebrauchsinformation für den Patienten, die Fachinformation für die Ärzte sowie Angaben zur Packungsgröße vorlegen (vgl. BfArM, 2019, o.S.). Erst mit Erhalt des Zulassungsbescheids darf das Arzneimittel in Verkehr gebracht werden. (vgl. Beinlich et al., 2015, S. 227).

3.2.2 Darlegung der Nutzenbewertung nach § 35a SGB V

Zum 1. Januar 2011 trat in Deutschland das Arzneimittel-Neuordnungsgesetz (AMNOG) in Kraft, welches eine nutzenbasierte Preisregulierung nach dem Prinzip money for value darstellt. Der pU muss dadurch nicht mehr nur das Nutzen-Risiko-Verhältnis, sondern nun auch den Zusatznutzen (ZN) seines Arzneimittels gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapie (zVT) belegen (vgl. Beinlich et al., 2015, S. 227). Grundlage hierfür ist die frühe Nutzenbewertung von Arzneimitteln nach § 35a SGB V. Diese ist für alle neuen Wirkstoffe, die seit 2011 erstmals auf dem deutschen Markt eingeführt wurden, verpflichtend. Ausnahmen bilden Arzneimittel mit einem voraussichtlichen Jahresumsatz von weniger als einer Mio. Euro sowie Arzneimittel für die Behandlung seltener Erkrankungen, sog. Orphan Drugs, solange diese einen Jahresumsatz von 50 Mio. Euro nicht übersteigen. Auch Wirkstoffe mit neuen Anwendungsgebieten müssen die frühe Nutzenbewertung durchlaufen, wenn die Wirkstoffe nach Inkrafttreten des AMNOG in Deutschland auf den Markt gebracht wurden (vgl. Kaiser und Haag, 2016, S. 371). Bewertungsgegenstände sind der ZN im Vergleich zur zVT, das Ausmaß des ZN und seine therapeutische Bedeutung (vgl. § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB V). Die zVT wird vom G-BA nach Kriterien bestimmt, die in der Arzneimittel-Nutzenverordnung (AMNutzenV) und der Verfahrensordnung des G-BA (VerfO) festgelegt sind. Der pU hat zwar die Möglichkeit eine andere zVT zu wählen, muss diese Entscheidung jedoch im Dossier begründen und sich an die Kriterien zur Festlegung der zVT halten. In den meisten Fällen schließt sich der pU der Festlegung des G-BA an (vgl. Kaiser et al., 2015, S. 234 f.). Der Nachweis des ZN erfolgt hinsichtlich patientenrelevanter Endpunkte, die sich übergeordnet in drei Kategorien unterteilen lassen: Mortalität, Morbidität und Lebensqualität (vgl. Kaiser und Haag, 2016, S. 371). Beim Ausmaß des ZN unterscheidet man zwischen sechs Kategorien: erheblich, beträchtlich, gering, nicht quantifizierbar, nicht belegt und geringerer ZN. Die Aussagesicherheit, mit der das Ausmaß erreicht wird, unterteilt sich in Beleg, Anhaltspunkt, Hinweis und kein Nachweis (vgl. Biermann und Schöffski, 2018, S. 85).

Abbildung 2 stellt den Prozess der Nutzenbewertung von Arzneimitteln dar. Vor Beginn der Nutzenbewertung hat der Hersteller die Möglichkeit sich beim G-BA hinsichtlich der Inhalte der vorzulegenden Unterlagen und Studien sowie der zVT kostenpflichtig beraten zu lassen (vgl. Biermann und Schöffski, 2018, S. 84). Ausgangspunkt der frühen Nutzenbewertung ist der positive Bescheid einer entsprechenden Zulassungsbehörde und das Inverkehrbringen eines neuen Wirkstoffes auf den deutschen Markt. Sobald das Arzneimittel in Verkehr gebracht wird, muss der pU ein Dossier beim G-BA einreichen. Dieses dient als Bewertungsgrundlage und enthält Studiendaten sowie Informationen, die den ZN des neuen Wirkstoffes bzw. des neuen Anwendungsgebietes belegen (Kaiser und Haag, 2016, S. 372).

Abbildung 2: Ablauf der Nutzenbewertung von Arzneimitteln

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an G-BA, 2017b, o.S.

Legt der pU kein Dossier vor oder entspricht das Dossier nicht den entsprechenden Anforderungen, gilt der ZN als nicht belegt. Der G-BA hat drei Monate Zeit zu bewerten, ob das Arzneimittel einen ZN gegenüber der zVT vorweisen kann. Nur in Ausnahmefällen wie Orphan Drugs vor Überschreiten der Jahresumsatzgrenze von 50 Mio. Euro übernimmt der G-BA die Bewertung persönlich. Für gewöhnlich beauftragt er das IQWiG mit der Bewertung. Das IQWiG schreibt daraufhin einen Bewertungsbericht, in dem es eine Empfehlung ausspricht. Der G-BA muss der Empfehlung nicht folgen (vgl. Biermann und Schöffski, 2018, S. 84 f.). Sobald der Bericht sowie die Dossier-Module eins bis vier vom G-BA veröffentlicht werden, startet ein Stellungnahmeverfahren zur Dossier-Bewertung. Bei diesem haben das betroffene Unternehmen, Sachverständige, Verbände aber auch Konkurrenzunternehmen die Möglichkeit sich zunächst schriftlich und anschließend mündlich zu dem Verfahren zu äußern. Spätestens drei Monate nach Veröffentlichung der Dossier-Bewertung beschließt der G-BA den ZN. Der Beschluss wird daraufhin im Internet veröffentlicht und ist Grundlage für die anschließende Erstattungsbetragsverhandlung (vgl. Kaiser und Haag, 2016, S.372). Die Erstattungsbetragsvereinbarung ist ebenfalls Teil der frühen Nutzenbewertung wird in der vorliegenden Arbeit im kommenden Kapitel 3.2.3 gesondert dargestellt.

3.2.3 Darstellung der Erstattungssituation

Durch die Zulassung ist ein Arzneimittel in Deutschland grundsätzlich von der GKV zu erstatten. Ausgenommen von der Erstattung sind lediglich Over-the-counter - sowie Lifestyle -Produkte (vgl. § 34 SGB V). Vor der Einführung des AMNOG konnte der pU den Marktpreis für seine erstattungsfähigen Arzneimittel frei festlegen. Arzneimittel die vor dem 01.01.2011 in Deutschland in Verkehr gebracht wurden gehören zum sog. Bestandsmarkt und müssen auch nachträglich keine Nutzenbewertung durchlaufen. Ihr Preis ist somit grundsätzlich auch weiterhin nicht reguliert. Einzig im Rahmen der Festbetragsregelung kann der Erstattungsbetrag begrenzt werden. Seit dem 01.01.2011 darf der pU den Preis nur für die ersten 12 Monate frei bestimmen. Danach wird ein Erstattungsbetrag auf Basis der frühen Nutzenbewertung vereinbart. Das Ausmaß des ZN bestimmt hierbei den Erstattungsbetrag. Auch diese Arzneimittel dürfen verordnet werden und sind durch die GKV erstattungsfähig (vgl. Biermann und Schöffski, 2018, S. 96).

[...]


1 ein fallbezogenes Entgelt, das für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden angefragt werden kann

Ende der Leseprobe aus 101 Seiten

Details

Titel
Die Nutzenbewertung von Arzneimitteln und Medizinprodukten. Wie sich innovative Medizinprodukte auf dem Medizinmarkt etablieren
Autor
Jahr
2021
Seiten
101
Katalognummer
V901724
ISBN (eBook)
9783964872890
ISBN (Buch)
9783964872906
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nutzenbewertung, Arzneimittel, Medizinprodukte, AMNOG, MDR, Chancen und Risiken, HTA, Medizinprodukteverordnung, Regulierungen, Medizinproduktmarkt, Gesundheitsversorgung, Patient, Innovation
Arbeit zitieren
Laura Bien (Autor:in), 2021, Die Nutzenbewertung von Arzneimitteln und Medizinprodukten. Wie sich innovative Medizinprodukte auf dem Medizinmarkt etablieren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/901724

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