Nicht jedem Autor gelingt es, so wie B. Traven, eine Millionenauflage zu erzielen und in mehrere Dutzend Sprachen übersetzt zu werden. Zwar konnte keine der unzähligen Hypothesen über Travens Identität endgültig bewiesen werden, angesichts der hohen Auflagenzahlen seiner Werke ist es aber doch verwunderlich, dass weder die mexikanische noch die deutsche Nationalliteratur den Autoren so recht für sich beanspruchen möchte.
Hängt die weitgehende Auslassung des Autors in der deutschen Literaturgeschichtsschreibung möglicherweise damit zusammen, dass seine Werke nicht der "hohen Literatur" zugerechnet werden? "Gewiss, literarisch oder künstlerisch im engeren, ästhetischen Sinne sind die Meriten dieser Romane nicht, oder nicht in erster Linie", stellt Karl S. Guthke fest und nennt dabei unter anderem folgende Kritikpunkte an Travens literarischem Können: "Überdeutlichkeit in der Handhabung der erzählerischen Mittel, wenig Sinn für die ästhetisch sinnvolle Komposition des epischen Materials, lehrhafte Cicerone-Manier und aufdringliche Pedanterie, unbekümmert flüchtige Sprachgebung bis zur Schlampigkeit, allzu burschikos und antibürgerlich, Mangel an psychologischer Raffinesse".
Ganz vergessen wurde Traven von der Literaturwissenschaft allerdings nicht. In der 1989 von Angelika Machinek veröffentlichten B. Traven Bibliographie sind immerhin 366 Veröffentlichungen (Bücher u. Artikel) aufgeführt, wobei sofort auffällt, dass sich die meisten Titel mit der Biographie des Autors beschäftigen - ganz gegen den Sinn Travens, der immer wieder behauptete, dass die Biographie eines schöpferischen Menschen ganz und gar unwichtig sei.
In der vorliegenden Arbeit möchte ich dann auch nur am Rande biographische Daten des Autors ansprechen. Vielmehr geht es darum, in der Erzählung Nachtbesuch im Busch zu untersuchen, wie er die europäische bzw. US-amerikanische Zivilisation der indianisch-mexikanischen Kultur gegenüberstellt, wobei der Antagonismus beider herausgearbeitet wird. Dabei soll der oben genannte ästhetische Sündenkatalog nicht aus den Augen verloren werden, die Analyse wird also auch von der Frage geleitet, ob Erzähltechnik und sprachliche Eigenheiten der Erzählung diesen bestätigen. Ausgangspunkt der Interpretation bildet die hermeneutische Annäherung an den Primärtext, der zusätzliche Einbezug werktranszendenter Aspekte, wie anthropologischer Daten, Parellelstellen in anderen Werken Travens usw. wird aber für eine umfassende Beleuchtung unerlässlich sein.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Ist B. Traven der Literaturwissenschaft unwürdig?
- 2. Notwendige Vorbemerkungen
- 2.1. Die verschiedenen Textversionen
- 2.2. Begriffserläuterungen
- 3. Der Ich-Erzähler Gales. Überlegungen zu Erzähltechnik, Sprache und Bauform
- 4. Wirklichkeit und Fiktion: Geographische Angaben in der Erzählung
- 5. Der Busch und die Zeit
- 6. Antagonismen
- 6.1 Individuum versus Kollektiv
- 6.2 Die Bedeutung der irdischen Reichtümer
- 6.3 Lektüre versus orale Tradition
- 7. Gales' wechselnde Identität: die vier Träume
- 8. Doktor Wilshead: Von "hogs" und "dogs"
- 9. Die Botschaft des Panukesen: Lebendige Kultur und tote Zivilisation
- 10. Nachtbesuch im Busch in Travens Gesamtwerk
- 11. Zivilisationskritische Thesen als Literatur?
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht B. Travens Erzählung "Nachtbesuch im Busch" und analysiert die Gegenüberstellung der europäischen bzw. US-amerikanischen Zivilisation gegenüber der indianisch-mexikanischen Kultur. Dies geschieht anhand von erzählerischen, sprachlichen und inhaltlichen Eigenheiten des Werkes.
- Gegenüberstellung von europäischer/US-amerikanischer Zivilisation und indianisch-mexikanischer Kultur
- Analyse der Erzähltechnik, Sprache und Bauform in "Nachtbesuch im Busch"
- Untersuchung der geographischen Angaben und der Bedeutung von Zeit in der Erzählung
- Identifizierung von Antagonismen, wie Individuum versus Kollektiv, irdische Reichtümer versus geistige Werte, Lektüre versus orale Tradition
- Die Rolle von Gales' wechselnder Identität und der vier Träume
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit der Frage, ob B. Traven der Literaturwissenschaft unwürdig ist, und analysiert die unzureichende Anerkennung des Autors in verschiedenen Literaturgeschichten und Anthologien. Im zweiten Kapitel werden notwendige Vorbemerkungen zu den Textversionen und Begriffserläuterungen gegeben. Das dritte Kapitel widmet sich dem Ich-Erzähler Gales und untersucht Erzähltechnik, Sprache und Bauform. Kapitel 4 beleuchtet die geographischen Angaben in der Erzählung und deren Bedeutung im Kontext von Wirklichkeit und Fiktion. Das fünfte Kapitel betrachtet den Busch und die Zeit und ihre Rolle in der Erzählung. Im sechsten Kapitel werden Antagonismen analysiert, darunter Individuum versus Kollektiv, die Bedeutung der irdischen Reichtümer und Lektüre versus orale Tradition. Kapitel 7 untersucht Gales' wechselnde Identität und die vier Träume. Das achte Kapitel analysiert die Figur des Doktor Wilshead und die Bedeutung von "hogs" und "dogs" in der Erzählung. Das neunte Kapitel beschäftigt sich mit der Botschaft des Panukesen und der Gegenüberstellung von lebendiger Kultur und toter Zivilisation.
Schlüsselwörter
B. Traven, Nachtbesuch im Busch, Zivilisationskritik, Kulturvergleich, indianisch-mexikanische Kultur, Erzähltechnik, Sprache, Bauform, geographische Angaben, Zeit, Antagonismen, Individuum versus Kollektiv, irdische Reichtümer, Lektüre versus orale Tradition, Identität, Träume, Botschaft, Panukesen, lebendige Kultur, tote Zivilisation.
- Arbeit zitieren
- Magister Artium Dorit Heike Gruhn (Autor:in), 2000, Literarische Zivilisationskritik - Zur Interpretation der Erzählung 'Nachtbesuch im Busch' von B. Traven, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9019