Teufelskreise - Entfremdung und Literatur in der DDR

Vier Interpretationen


Fachbuch, 1999

216 Seiten


Leseprobe


Vorwort

Der Umgang mit der in der DDR entstandenen Literatur[i] bleibt umstritten, er reicht von der erbitterten Auseinandersetzung wie sie im Literaturstreit um Christa Wolf ge­führt wurde bis zur Verleihung des Georg-Büchner-Preises an Volker Braun im Jahre 2000. Wie immer die Wertungen ausfallen, selbst wenn sie die so­genannte ”Wendeliteratur” betreffen, ist der Blick sehr oft nach hinten gerichtet. Ein Para­dox: Die Texte werden mit den Augen der Gegenwart betrachtet, aber sie werden (deswegen) gesehen als Teile einer Literatur, die keine Aktualität mehr be­sitzt. Trotzdem werden viele Texte nach wie vor verlegt und auch gelesen. Hinzu kommt, daß die Äußerung von Meinungen und Urteilen die konkrete, nachprüf­bare Analyse viel zu oft überwiegt.

Ich möchte diesen Blickwinkel umkehren, ich möchte versuchen, die Aktualität der Texte in detaillierten Interpretationen zu erschließen, und zwar in Interpreta­tionen, in denen der Kontext der Entstehung der Texte rekonstruiert wird, um die Texte in diesen Kontext stellen und sie so von der Gegenwart her neu befragen zu können. Dieser Kontext ist die DDR - und die veränderte sich, nicht nur die in ihr verfaßten Texte. Um diese Veränderungen in den Blick zu bekommen und um nach Bezügen zwi­schen Texten und Kontexten fragen zu können, habe ich mich entschlossen, Texte zu wählen, die für bestimmte Perioden der Geschichte der DDR aufschlußreich sein können. Weiterhin hielt ich es für günstig, die Interpretationen um einen Kern zu fokussieren, nämlich um die Auseinandersetzung mit dem Pro­blem der Entfremdung.

Ausgewählt wurden solche Texte, die Konstellationen von Entfremdung in der DDR modellhaft zu er­hellen vermögen: die erste Krise der DDR, die am 17. Juni 1953 offen ausbricht (Bertolt BrechtBuckower Elegien); die Zeit der Weichenstel­lung für die weitere Entwicklung des So­zia­lis­mus zu Beginn der sechziger Jahre, in der auch die sich als Sozialisten verste­henden Intellektuellen zu neuen Entschei­dungen gezwungen werden und zu gänzlich unerwarteten Einsichten kommen (Christa WolfNachden­ken über Christa T.); die Phase der Etablierung des ”realen” Sozia­lismus, seine sichtbar werdende Stagna­tion seit den siebziger Jahren (Heiner MüllerZe­ment) und schließ­lich das Ende der DDR (Volker BraunHinze-Kunze-Roman).

Mit Brecht kann der Ausgangspunkt beleuchtet werden, der für viele Intellektu­elle nach dem Faschismus charakteristisch gewesen ist, mit Christa Wolf wird der Bruch vom oft fraglosen Einverständnis mit der sozialisti­schen Po­litik und Ideolo­gie zu ihrer Kritik deutlich, mit Heiner Müller werden die Entfrem­dungswider­sprüche nicht nur der Restaura­tionsphase in ihren Extremen darstellbar und mit Volker Braun schließlich das Zerbrechen der DDR an diesen absurd ge­wordenen Widersprüchen. Die analysierten Texte gestatten es, einige dieser Wider­sprüche als auch nach dem Verschwinden der sozialistischen Staaten in Europa aktive Wider­sprüche zu beschreiben.[ii]

Eine subjektive Seite von Geschichte ist Erfahrung - die in den Texten sich nie­derschlagende Erfahrung zu erschließen, war das für mich treibende Motiv bei der Interpretation der Texte.[iii] Diesem Motiv kommen die Texte entgegen, weil sich die Autoren und die Autorin in ihnen bemühen, solche Erfahrungen zu artikulieren und produktiv zu machen. Zu diesen Erfahrungen gehört, daß die Hoffnung, in der DDR eine Alternative zur ”alten”, kapitalistischen Entfremdung finden und etablieren zu können, immer wieder in Aporien führte, in Teufelskreise, die ich mich zu kennzeichnen bemüht habe. Auch hier kamen mir die Texte entgegen, denn in jedem von ihnen wird versucht, die eigene Erfahrung so nüchtern wie mög­lich zu artikulieren. Immer wieder wird dabei Gewißheit zu Hoffnung, stellt sich Hoffnung als Illusion heraus - das ist einer der Teufelskreise, aus dem auszu­bre­chen versucht worden ist. Es gelang nicht, wie wir wissen, und warum es nicht ge­lang, das könnten die Texte zu verstehen helfen. Doch es gelang die bohrende und nicht nachlassende Befragung eigener Erfahrung, eine Analyse von Entfrem­dung im Material der Literatur, die nicht nur andere Arten von Analyse übertrifft, son­dern die vor allem denen nützlich sein kann, die die Suche nach Alternativen auch heute noch für wichtig halten und sich in die Teufelskreise nicht schicken wollen. Wohl nirgends sonst sind der Zusammenhang und Gegensatz, die je unter­schiedli­chen Aporien ”alter” und ”neuer” Entfremdung so unerbittlich befragt worden, wie in manchen Texten der DDR-Literatur.

In manchen Texten, nicht in allen. Natürlich ist meine Auswahl subjektiv und jede nachträgliche Erklärung kommt einem Versuch gleich, diese Subjektivität zu verschleiern. Aber einige Gründe gibt es schon, die sie plausibel machen können. Ich habe Autoren und eine Autorin gewählt, die sich positiv auf den sozialistischen Versuch in der DDR bezogen, die aber zugleich bereit waren, ihre Erfahrungen mit ihm auch dann noch auszusprechen, wenn sie ihren eigenen Hoffnungen wider­sprachen. Diese Widersprüche, die durch die Autoren und ihre Texte gehen, und in denen Widersprüche sichtbar gemacht werden konnten, die die DDR, und nicht nur die DDR, sondern über sie hinaus, Geschichte überhaupt betreffen, waren mein Ansatzpunkt. Deswegen haben mich andere Texte - um zwei Extreme zu nennen: die sich apologetisch auf die DDR bezogen oder sie negierten - nicht interessiert. Auch diese Texte sind aufschlußreich und verdienten ausführliche Analyse,[iv] aber meine Erwartung war, in den von mir ausgewählten Texten mehr über Entfrem­dungserfahrungen und den Umgang mit ihnen erfahren zu können als in anderen.

Repräsentativ ist die Auswahl nicht, sie bleibt so subjektiv wie die Interpretatio­nen selbst, aber charakteristische Momente eines Teils von DDR-Literatur hoffe ich doch, transparenter machen zu können. Dies umso mehr, als viele der hier analy­sierten Texte zwar in der sehr umfangreichen Literatur über die DDR-Literatur immer wieder erwähnt, zum Teil auch ausführlicher besprochen werden, doch ich habe keine Arbeit gefunden, in der sie unter dem für die Sozialismusforschung nicht unwichtigen Blickwinkel der Entfremdung eingehend befragt worden sind. So weit ich sehe, gibt es dazu lediglich vereinzelte Äuße­rungen oder zusammenfas­sende Aufsätze (vgl. Köhn). Mindestens in dieser Inten­sität werden also die von mir ausgewählten Texte erstmals unter dem Aspekt der Ent­fremdung interpretiert.

Aber warum überhaupt Entfremdung? Das ist weder eine literarische noch eine literaturwissenschaftliche, sondern vorzüglich eine philosophische, ökonomische und politische Kategorie. Es ist aber auch eine ästhetische Kategorie, nicht weniger relevant als die der Aneignung, die in der Ästhetik einen hohen Stellenwert besitzt (vgl. Barck u.a.). Darüber hinaus ist es eine Kategorie, die innerhalb der Kritik am realen Sozialismus eine zentrale Rolle spielte, wie sie eine Kategorie ist, mit der ein Grundzusammenhang warenproduzierender Gesellschaften beschrieben wurde; aber nicht nur das, es ist vor allem die Kategorie, mit der Krisen­phänomene der Moderne erkundet werden können. An anderer Stelle habe ich versucht, genau diesen Zusammenhang mit Hilfe einer Begriffsgeschichte von Ent­fremdung deut­lich zu machen.[v] Das möchte ich hier nicht wiederholen. Auch eine Begriffsbe­stimmung von Entfremdung möchte ich nicht geben,[vi] weil es mir nicht darum geht, an literarischen Texten zu zeigen, wie der schon fertige Begriff - den es gar nicht gibt - entfaltet oder mit Inhalt erfüllt wird, sondern umgekehrt darum, an den Texten zu erschließen, was Entfremdung ist, wie sie erfahren und reflektiert wird und welche unterschiedlichen ”Typen” von Entfremdung in den Texten er­kenn­bar werden (ohne daß nun stur nur nach Entfremdung gefragt würde in den Inter­pretationen, das ist ein Fokus, nicht mehr).

Diese Fragerichtung ist schon deswegen möglich, weil alle Autoren - mit Aus­nahme Brechts, aber noch die Ausnahme ist charakteristisch - den Entfremdungs­zusammenhang und das Entfremdungsproblem selbst als außerordentlich wichtig empfinden, als ein zentrales geschichtliches Problem, mit dem die Literatur und die eigenen literarischen Texte zu tun haben.[vii] Auch ein nur flüchtiger Blick auf poe­tologische Äußerungen der Autorin und der Autoren gibt das sofort zu erkennen. So entstehen Metaphern für das Entfremdungsproblem, die in ihrer Substanz und Energie noch lange nicht erschöpft sind. Heiner Müller gelingt im Prometheus-Intermedium des StückesZementeine solche Metapher, die ins Gedächtnis zu ru­fen mir wichtig erschien.

Wichtig war mir dies vor allem deswegen, weil etwas Merkwürdiges zu beob­achten ist: In der DDR war das Problem und der Begriff der Entfremdung im offi­ziellen Diskurs tabuisiert, weil man nicht akzeptieren wollte und konnte, daß Entfremdung - noch dazu erst neu entstandene - auch die Gesellschaften des ”realen” Sozialismus bestimmte. Das durfte nicht sein. Aber heute steht es nicht besser. Je schneller die Globalisierung voranschreitet, desto weniger ist von Ent­fremdung die Rede. Obwohl kaum weniger und kaum weniger einschneidende Er­fahrungen mit Entfremdung unter den Bedingungen marktwirtschaftlicher Globalisierung gemacht werden, ist es gelungen, die Benutzung des Begriffs pein­lich erscheinen zu lassen. Der Begriff ist dem Arsenal der untauglichen, aufkläreri­schen Begriffe zugeordnet worden. Zweifellos ist es ein problematischer Begriff, mit fatalen geschichtsphilosophischen Implikationen, aber einige Vorteile hat er doch, gerade gegenüber heute verwendeten Begriffen: Er ist unmittelbar kritisch, er er­laubt einen komplexen analytischen Zugriff und schon seine Verwendung zwingt, nach Alternativen zur jeweils entfremdeten Gegenwart zu fragen.

Darin nun liegen auch die Stärken - auch die ästhetischen - dieses Teils der DDR-Literatur, von dem hier einige Texte befragt werden sollen: in der Fähigkeit und Bereitschaft zur Kritik und im Bestehen auf Alternativen. Und natürlich im Bemühen um Aufklärung der Bedingungen und Aporien des eigenen Lebens. Und das sollte unwichtig geworden sein?

* * *

Abschließend seien zwei eher technische Bemerkungen gestattet: Ich habe mich bemüht, Texte herauszusuchen, die bekannt sind. Sonst hätte die nacherzählende Wiedergabe der Texte zu viel Platz beansprucht und den Gang der Interpretation immer wieder gebremst. So aber konnte ich auf Textkenntnis vertrauen, die Vor­aussetzung für das Lesen der Interpretationen ist.

Wenn es um Anmerkungen geht, gibt es zwei extreme Lesertypen: Die einen ignorieren Anmerkungen konsequent und konzentrieren sich auf den Text, die anderen schlagen jede Anmerkung nach. Der letzte Typ wird es mit diesem Buch schwer haben (was er vielleicht nicht verzeihen wird), denn ich habe mich ent­schlossen, vieles, was nicht unmittelbar in den Haupttext gehört, obwohl es in Ein­zelfällen auch inhaltlich relevant ist, in die Anmerkungen zu verlegen, damit der Text nicht zur Stopfgans wird. Mir war es wichtiger, die Interpretationen klar zu strukturieren als alles in den Text hineinzutun, was auch für die Interpretationen von Belang sein kann. So finden sich in den Anmerkungen nicht nur weiterfüh­rende Hinweise, Ergänzungen und Literaturangaben, wo nötig Hinweise zur Edi­ti­onspraxis, sondern weitgehend die Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur, Bezüge zu anderen Werken des jeweiligen Autors, und auch inhaltliche Bemer­kungen oder kleinere Exkurse. Um die Lesbarkeit des Haupttextes durch diese mitunter längeren Auswüchse nicht zu beeinträchtigen, erscheinen die Anmerkun­gen nicht direkt unter dem Text, sondern separat im hinteren Teil des Buches.

Das unheimlich schweigende Land

Bertolt Brecht: Buckower Elegien(1953)

Bertolt Brecht

Von der Freundlichkeit der Welt (1921)

Auf die Erde voller kaltem Wind

Kamt ihr alle als ein nacktes Kind.

Frierend lagt ihr ohne alle Hab

Als ein Weib euch eine Windel gab.

Keiner schrie euch, ihr wart nicht begehrt

Und man holte euch nicht im Gefährt.

Hier auf Erden wart ihr unbekannt

Als ein Mann euch einst nahm an der Hand.

Von der Erde voller kaltem Wind

Geht ihr all bedeckt mit Schorf und Grind.

Fast ein jeder hat die Welt geliebt

Wenn man ihm zwei Hände Erde gibt.

Gegenlied zu ”Von der Freundlichkeit der Welt” (1956)

Soll das heißen, daß wir uns bescheiden

Und ”so ist es und so bleib es” sagen sollen?

Und, die Becher sehend, lieber Dürste leiden,

Nach den leeren greifen sollen, nicht den vollen?

Soll das heißen, daß wir draußen bleiben

Ungeladen in der Kälte sitzen müssen

Weil da große Herrn geruhn, uns vorzuschreiben

Was da zukommt uns an Leiden und Genüssen?

Besser scheint’s uns doch, aufzubegehren

Und auf keine kleinste Freude zu verzichten

Und die Leidenstifter kräftig abzuwehren

Und die Welt uns endlich häuslich einzurichten!

Arbeitsjournal7.7.54: ”das land ist immer noch unheimlich. neulich, als ich mit jungen leuten aus der dramaturgie nach buckow fuhr, saß ich abends im pavillon, während sie in ihren zim­mern arbeiteten oder sich unterhielten. vor zehn jahren, fiel mir plötzlich ein, hätten alle drei, was immer sie von mir gelesen hätten, mich, wäre ich unter sie gefallen, schnurstracks der ge­stapo übergeben...”

Von Entfremdung wird hier vorerst wenig zu reden sein. Von Entfremdung wird in der DDR erst dann geredet werden, wenn es die eigenen Widersprüche des So­zialismus sind, mit denen Entfremdung als seine Gefährdung angesehen wird. Das geschieht, nachdem die Mauer steht, zu Beginn der sechziger Jahre. Hier ist es noch die Vergangenheit, die den Blickwinkel bestimmt, von ihr aus werden die Widersprüche der neuen Gesellschaft, die am 17. Juni 1953 zum eruptiven Aus­bruch füh­ren, erörtert.[viii] Noch ist es andere Angst, die dominiert, es ist Angst, die aus der deutschen Ge­schichte stammt. Vor allem geht es um die Folgen des Fa­schismus. Von den dreißiger Jahren an bis zum Tode Brechts ist Entfremdung, die Brecht kaum interessiert, für ihn ver­mutlich Teil dessen, was den Kapitalismus vor allem ausmacht: Ausbeutung und Unter­drückung der proletarischen Klasse, bis dahin, daß die Vernichtung nicht nur dieser Klasse droht, sondern die ganzer Völ­ker und, wenn nicht Einhalt ge­boten werden kann, der ganzen Menschheit, die in seinen Untergang hineingezogen wird. Der Kapitalismus ist für Brecht destruktiv geworden, und Brechts These wäh­rend der Zeit des Faschismus und danach ist, daß es auf der Basis kapitalistischer Produktionsverhält­nisse auch libera­listische Phasen nicht mehr geben kann. Der Faschismusistder eigentliche Ausdruck des Unter­gangs des Kapitalismus, die letzte historische Gestalt von Entfrem­dung, und jeder Kapitalismus nach dem Faschismus muß diese Bewegung der Existenz­bedrohung wiederholen oder gar verstärken. Das zeigt Brecht die Möglichkeit der atomaren Ver­nich­tung, die jetzt, seit Mitte der vierziger Jahre, akut wird. Angesichts dessen wird die Waffe der Entfremdungskritik stumpf.[ix]

Kapitalismus ist in Faschismus aufgegangen. Das ist ein entscheidendes Motiv für Brecht, auf Stalin auch dann noch zu setzen, wenn die in der Sowjetunion mit Brutalität errich­tete Dikta­tur sichtbar wird.[x] Dieser Haltung soll hier nachgefragt werden und über sie hinaus nach den Widersprüchen des Sozialismus, die in den Gedichten noch als lösbar präsumiert werden, aber bereits auf unlösbare Antago­nismen verweisen.

DieBuckower Elegieneignen sich dafür in hervorragender Weise, weil der Zy­klus alle Momente der gesellschaftlichen Entwicklung im östlichen Nachkriegs­deutschland zu erfassen sucht, sie in ihrer Widersprüchlichkeit erfassen möchte. Der 17. Juni 1953 ist für Brecht ein überra­schendes, bei aller marxistischen Dia­lektik unerwartetes Ereignis, das ihn zur Orientie­rung zwingt. Orientierung heißt für Brecht vor allem präzise Beschreibung der Situation, in der sich die Gesell­schaft und der Dichter befinden, und die Suche nach den Möglichkeiten, diese Situation im Sinne einer so­zialistischen Entwicklung überschrei­ten zu können. Vorausgesetzt ist für Brecht, daß es diese Möglichkeit gibt. Es gilt, sie zu finden, es gilt, die dem Dichter mögliche, eingreifende Haltung in dieser Situation zu fin­den. Vorausgesetzt ist ebenso die Mög­lichkeit, mit Hilfe der Dialektik nach ”falsch” und ”richtig” hinsichtlich des­sen, was zu tun ist, klar unterschei­den zu kön­nen.

Einige Besonderheiten der späten Lyrik Brechts

Im Exil hatte Brecht nicht nur sein Theaterkonzept durchgreifend verändert, auch seine Lyrik wandelte sich.[xi] In der Theaterarbeit wurde das Lehrstück in den Hin­tergrund gedrängt,[xii] in der Lyrik die Gedichte des Bertolt Brecht der großen Städte, die derHauspostillewie die unmittelbar agi­tato­rischen. Brecht selbst fällt schon 1938, bei der Herausgabe derSvend­borger Gedichte,auf, daß die Texte seit dem Exil karger geworden sind, kühler. Eine we­sentliche Ursache dafür sind die ”finsteren Zeiten”, in denen Brecht nun schreibt, die be­stimmte Themen und Formen der Lyrik für ihn ausschließen (es gibt kaum Naturgedichte, kaum Lie­beslyrik, keine Balladen mehr).

Nach dem Krieg verfaßt Brecht noch einmal, wie schon 1918, ein Satire,Der ana­chro­nistische Zug, die Restaurationstendenzen nach 1945 bloßstellt. Die satiri­sche Form, die hier auf eine Kontinuität deutscher Geschichte verweist, behält Brecht auch bei, als er sich in den fünfziger Jahren mit Entwicklungen in der DDR auseinandersetzt. Auch in denBucko­wer Ele­gienfinden sich mehrere Texte, die satirischen Charakter ha­ben. Die Satire richtet sich in dieser Zeit gegen Tendenzen des blinden Machtgebrauchs, bei dem der Kontakt mit den Mas­sen und der mit den Künstlern auf der Strecke bleibt.

Brecht reaktiviert das Lied, weil ihm nun ein Publikum zuhörte, das mit dem klei­nen Kreis der zwanziger Jahre nicht mehr verglichen werden konnte. Das Lied versprach, auf die Formierung neuer Denkgewohnheiten Einfluß nehmen zu kön­nen, mit ihm konnte auf aktuelle Situationen schnell und pointiert reagiert werden. Gerade weil es darauf an­kam, jenes Publikum zu gewinnen, das für neue Einsich­ten offen war, begann Brecht auch, Texte für Kinder zu schreiben. Es sind Ge­dichte, in denen versucht wird, auf einfachste Weise gesellschaftliche Strukturen und Verhaltensweisen in der Gesellschaft zu erklären und zu bewerten. Diese Kin­dergedichte gehören in eine Reihe von Texten, in denen neue Mittel erprobt wer­den. Auffälligstes Kennzeichen dieser poetischen Versuche ist ihre zu­nehmende Schlichtheit. Brecht beschäftigt sich immer stärker mit der chinesischen Lyrik, die auch seine Prosa beeinflußt, und deren Bedeutung für ihn einhergeht mit der Be­deutung, die er der chinesischen Revolution beimißt. Die Parabel, das Gleichnis wird eine bevorzugte Form der lyrischen Artikulation. Weiterhin werden häufiger lyrische Kurzformen, so das Epigramm,[xiii] verwendet.

Auch die Stoffe der Lyrik verändern sich, Naturgegenstände spielen eine Rolle,[xiv] und Brecht schreibt wieder Liebeslyrik, während gleichzeitig der Tod, die eigene Vergänglichkeit, in vielen Texten thematisiert wird. Dieser Stoffkreis und die schlichten Formen, in denen er auftritt, lassen neue Haltungen zur ästhe­tischen Gestaltung überhaupt erkennen. Auch in diesen Texten geht es Brecht darum, Wi­dersprüche zu formulie­ren, um in ihnen agieren zu können. Schon die Texte selbst zielen immer zugleich auf Darstellung und Ak­tion in Form von Vorschlägen, an­gebotenen Ver­haltensweisen oder Urteilen. Doch ist in ihnen eine ”Rückbindung an die klassische Tradition” (Schuhmann 1977, S. 95) zu beobach­ten, sowenig Brecht die traditionellen Formen unverän­dert läßt. Die Klarheit und Prägnanz der antiken Meister (vor allem Horaz fasziniert Brecht), die ästhetischen Positionen der deutschen Klassik (die Brecht kritisch aufarbeitet), wer­den mit Verfahren der chi­nesischen Lyrik zusammengeführt. In der chinesischen Lyrik die Brecht heran­zieht, geht es um Belehrung auf der Basis einer Eigenschaft, die für Brecht immer wichti­ger wird: Weisheit.[xv] Belehrung ist mit Vergnügen verbunden: ”erstaunlich, was für ein esel dieser aus­gezeichnete sinologe waley ist. er kann es nicht fassen, daß für den PO CHÜ-I zwischen didaktik und amüsement kein unter­schied be­steht... in glücklicheren zeitaltern bedeu­tete lernen ein genußvolles an­eignen der künste (im baconischen sinn). die dichtung, in ihren didaktischen wie in ihren an­deren werken, vollbringt es, unsern lebens­genuß zu erhöhen. sie schärft die sinne und verwandelt selbst die schmerzen in genuß.” (Brecht 1977a, S. 388f.) Schmer­zen in Genuß zu verwandeln, könnte auch ein Motiv beim Schreiben derBuckower Elegiengewesen sein. So könnte der Schmerz produktiv gemacht wer­den.

Bereits der Rückgriff auf klassische Traditionen signalisiert Elegisches. Mit Be­ginn der dreißiger Jahre bröckelte der avant­gardistische Anspruch auf Zerstörung der bisherigen Kunstformen und Kunstverhältnisse ab. Brecht zog zu jener Zeit gegen die Persönlichkeit in der Kunst zu Felde (z.B. imDreigroschenprozeß) und war bemüht, die klassische Totalität des Kunstwerkes mit Hilfe der Montagetechnik zu destruieren. Der Film bot die Möglichkeit, den Autor als Schöpfer des Werkes in Frage zu stellen und arbeitsteilige Produktionsfor­men von Kunst hervorzuhe­ben. Der aufkommende und dann herrschende Faschismus aber zwang, das künst­lerische wie politi­sche Aufbruchs- und Erneuerungspathos der Avantgarde zu relativieren, und er zwang in klassi­sche Formen zurück: Brecht wollte mit seinen Texten den Widerstand gegen den Faschismus be­fördern. Die Konzeption der Lehrstücke erwies sich dafür als nicht tauglich.

Nach dem Faschismus ist Brecht bemüht, sich auf einen Entwicklungsprozeß zum Sozialismus hin einzustellen. Er akzeptiert, daß nur so viel Neuerungen durchgesetzt werden können, wie sein Publikum zu verkraften in der Lage ist. Es gilt Formen zu fin­den, mit denen der avantgardistischen Materialstandard gehalten werden kann, zugleich aber nicht an der Wirklichkeit des Publikums und der der Verhältnisse vorbeigeschrieben wird. So findet eine doppelte Verfremdung statt:[xvi] Die in den zwanziger und dreißiger Jahren entwickelten Verfahren werden durch klassische Verfahren verfremdet, während die klassischen Verfahren so umgear­beitet werden, daß sie für Brecht tauglich sind.[xvii] Doch auch der für das Exil ge­fundene Gestus wird verfremdet. Die Texte werden karger, aber freundlicher, der agitato­rische Gestus weicht dem des Nachdenkens. Die Kargheit der Formen geht nun auf den Leser zu. Der zuweilen angestrengt kollek­tivistische Gestus früherer Texte kann aufgegeben werden. Das eigene Ich Brechts[xviii] wird be­stimmender in den Texten, ohne daß sie aufhören, sich an viele zu wen­den. Die Texte sollen den Leser unterhaltend belehren und ihm ermöglichen, sich ihnen gegenüber kritisch zu verhal­ten. Der Gestus der Erwägung, des Vorführens und Vorschlagens, auch der der Bitte,[xix] hat die des Überzeugens und Forderns abgelöst. Es ist nicht mehr vorrangig der aufkläre­risch-revolu­tionäre Ton der frühen Texte, nicht der entlar­vende des Exils, sondern Brecht benutzt sehr ele­mentare Beispiele, die lapidar ge­geben werden. Weisheit und Wahrheit sollen sich in den Tex­ten durch­dringen.

So auch in denBuckower Elegien,die ihren elegischen Ton vielleicht auch aus dem Abschied von den Jahren der Avantgarde gewinnen. Brecht, der Realist und Opti­mist, akzep­tiert diesen Abschied, es ist ein vorübergehend notwendiges Zu­rückstecken. Trauer aber signa­lisierte etwas, das in Brechts materialistisch ange­wendeter Dialektik nicht aufgehen wollte, auch nicht im Verfremdungsgedanken. Das macht ein neues Problem erkennbar: Die Avantgarde hätte keine Form gehabt, solche Trauer zu artikulie­ren.

DieBuckower Elegiengehören zu den am meisten interpretierten Gedichten Brechts und gelten als seine reifsten lyrischen Texte.[xx] Diese Gedichte, von denen Brecht selbst nur einige wenige veröffentlicht hat,[xxi] stehen in auffälligem Gegen­satz zu anderen Texten dieser Zeit, in denen der didaktische Gestus vorherrscht. Die Elegien zeigen einen Brecht, der sich aus tiefer, schockartig empfundener Verunsicherung herauszuarbeiten sucht.

Der Zyklus trägt die Genrebezeichnung Elegie. Das ist einzigartig für Brecht[xxii] und er­klä-rungsbedürftig. Warum gerade die Elegie, ein Genre, das sowohl den künst­lerisch-avantgardis-tischen wie den politischen Absichten Brechts denk­bar konträr entgegen­steht? Ich möchte eine solche Erklärung vor dem Hintergrund der Entstehung der Texte, dem geschichtlichen Einschnitt des 17. Juni 1953, ver­su­chen. An­schließend soll der Frage nachgegangen wer­den, auf welche be­sondere Weise diese epi­gram­matischen Texte Bedeutung konstituieren.

Die Genrebezeichnung Elegie benannte in der Antike Texte, die mit ”milder Wehmut” um einen Verlust klagen, den eines Menschen oder eines Gefühls.[xxiii] Später, in der bürgerli­chen Klassik, diente die Elegie dazu, die Unvereinbarkeit von Ideal und Wirklichkeit zu beklagen.[xxiv] Klage mischt sich in diesem Genre mit Ent­sagung (vgl. Mittenzwei 1987, S. 529f.) und mit Erin­nerung an das vergangene Glück, die den Schmerz mildert. Elegie in diesem ”herkömmlichen Sinne”, wie Klaus Schuhmann meint, träfe auf die Brecht-Texte nicht zu. Hier ziele Elegie eher auf ”kritische Selbstbefragung” im ”Spannungsverhältnis zwischen lyrischem Subjekt und objektiver Wirklichkeit” (Schuhmann 1977, S. 108f.). Diese kritische Befragung aber hat mit dem Genre Elegie nur bedingt zu tun. Im Gegenteil muß gefragt werden, wie es gelingen sollte, Elegien zu verfassen ohne nostalgischen Rück­blick, ohne eine Unvereinbarkeit von Ideal und Wirklichkeit zu beklagen? Warum setzt sich Brecht einem Genre aus, in dem die Klage den Ton angibt?

Kaum einer der Texte enthält eine Klage im ”herkömmlichen Sinne”. Und doch ist die Genrebezeichnung Elegie ein Hinweis, für den sich Entsprechungen fin­den lassen. Die Ana­lyse des Zyklus wird zeigen, daß sehr wohl etwas beklagt wird, die Texte machen ein für Brecht unerträgliches Schweigen hörbar, Stillstand muß konstatiert werden. Der Dichter, sit­zend in Buckow, muß erkennen, daß der Dialog zwischen ihm und den Arbeitern, zwischen ihm und der Führung der DDR, zwischen den Arbeitern und der Führung nicht stattfindet. Es findet überhaupt kein Dialog statt, nirgendwo. Dies be­klagt Brecht, ohnmächtig. Er ruft zum Ge­spräch mit den Texten, will das Schweigen bre­chen, mit der ”großen Aussprache”, zu der er Walter Ulbricht im Brief vom 17. Juni auf­fordert, beginnen. Aber es ge­lingt nicht, und Brecht alleine ist nicht in der Lage, sie zu eröffnen. Das ist ein für den Diskutierer Brecht, für den die ”große Ordnung” das große Gespräch ein­schließt, erschreckender Befund. Er sieht sich, wie die Elegiker, verlassen. Ein fa­taler Zustand für den sozialistischen Dichter.

Werner Mittenzwei weist darauf hin, daß das Genre in betontem Gegensatz zu dem steht, was besonders nach dem 17. Juni an Poesie in der DDR veröffentlicht und ge­fördert, verlangt wird: der Lobgesang, die odenhafte Begrüßungslyrik, die Beschreibung eines opti­mistischen Lebensgefühls. Das trifft sicher zu, doch wird in den Elegien Brechts zu­mindest die Befürchtung deutlich, daß eine Situation ent­stan­den ist, in der Ideal und Wirklichkeit unvermittelbar auseinandertreten, eine Situation, in der entsagt wer­den müßte. Die Genrebezeichnung ist nicht nur und nicht hauptsächlich polemisch. Es handelt sich auch nicht vor allem um eine Um­funktionierung der Elegie, in dem Sinne wie Mittenzwei darlegt (Mittenzwei 1987, S. 530). Zwar schreibt Brecht keine Elegien im klassischen Sinne, er wandelt das Genre um, aber die Bezeichnung Elegie ist, in ihrem klas­sischen Sinne, ernstge­nommen. Brecht stellt sich der Elegie, mit dem Anspruch, ihrer Haltung nicht zu verfallen. Klage, wie die Furcht, ent­sagen zu müssen, fast - im letzten Text - tat­sächliche Entsagung, finden sich in den Gedichten, aber Brecht will aus der Ele­gie wieder heraus: mit Ungeduld. Das aber hängt nicht nur von ihm ab - die Genrebe­zeichnung schon ist eine Kennzeichnung des historischen Standortes. Brecht ris­kiert das Genre, wie gleichzeitig die Situation, in der er sich befindet, und sein Empfinden dieser Situation, ihm das Genre aufdrängen. Zugleich sollte nicht über­sehen werden, daß ihn die hohe Form gereizt haben wird. Brecht, der sich einstmals in den Nischen des Augsburger Theaters an die Seite von Goethe und Schiller po­stierte, dürfte noch 1953 die Aussicht be­flügelt haben, sich neben den Großen der Dichtung einreihen zu können. Noch der An­spruch, im klassischen Genre, in der Höhle des Löwen zu zeigen, wie weit der sozialisti­sche Dichter über die bürgerliche Klassik schon hinaus ist, könnte eine Rolle gespielt ha­ben.

Brecht verfremdet die klassische Elegie: Das Oszillieren zwischen Ruhe und Be­wegung, das für die Elegie im Sinne Schillers typisch ist (vgl. Fuhr­mann, S. 48), kenn­zeichnet auch Brechts Texte. Das Motto der Elegien setzt sofort damit ein, wie auch der Ein­gangstext des Zyklus,Der Radwechsel. Doch ins Gegenteil gewendet. Brecht, in der Ruhe von Buckow und nach­denkend über die Konsequenzen des 17. Juni, wünscht sich Bewegung, für die er keine Anzeichen zu finden ver­mag. Die Verfremdung der elegischen Tradition wird besonders deut­lich, wenn man folgende Sätze Fuhrmanns über die Elegie mit dem TextDer Radwechselver­gleicht: ”Dieser thematischen Strukturierung entspre­chen die triadischen Zeit­ebe­nen: Vergegenwärtigung eines vergangenen oder unerreichba­ren idealen Zustandes - Konflikt des lyrischen Ich durch Konfrontation dieses Zustandes mit der Realität der Gegenwart (dieser Moment wird oft gestisch durch ein ‘Warum?’ markiert) - Auflösung der Spannung durch eine (als konkret vor­gestellte oder ins Mysti­sche gesteigerte) Zukunftsvision.” (ebd.) Diese Struktur findet sich in dem Text, aber ganz umfunktioniert. Brecht verklärt in diesem Text weder die Vergan­genheit noch die Zukunft, und das ‘Warum?’ bezieht sich auf die Unge­duld, den­noch die (Zeit-)Reise fort­setzen zu wollen, obwohl keine Zukunftsvision angeboten werden kann (dies versuchen aber im Rahmen des Zyklus dann andere Texte, vor allemBei der Lektüre eines sowjeti­schen Buches- eine stark idealisie­rende Be­schwörung, mit Odysseus ist der Mythos aufgerufen - undRudern. Ge­spräche). Unerträglich ist aber auch in diesem Text vor allem die durch erzwungene Untä­tigkeit gekennzeichnete Gegenwart. Dieser Zustand ist der Grund aller im Zyklus anzutreffender Klage, sie wird be­reits im Motto ausgestellt.

Die Klage färbt die Texte ein, es ist ihr Ent­stehungsgrund,gegenden sie ge­schrieben sind. Die unterdrückte Klage noch hat für Brecht die Funktion, das Be­klagte zu überwinden. Das zu Beklagende wird als abwesend vorgeführt, aber es soll nicht entsagt, sondern gehandelt werden. Klage und Entsagen setzen voraus, daß es ihr Objekt nicht mehr gibt, daß es in unerreichbare Ferne gerückt ist. Brecht kehrt die Blickrichtung verfremdend um: Beklagt wird nicht, was verloren worden ist, beklagt wird, was noch abwesend ist, obwohl es nah ge­glaubt wurde. Der 17. Juni hat, wie er schreibt, ”die ganze existenz verfremdet” (Brecht 1977a, S. 515). Das für selbstverständlich angesehene - der Weg der DDR zum Sozialismus - er­weist sich plötzlich als fragwürdig. Das ist für Brecht kein Grund zu entsagen. Brecht muß seine Optik auf die Wirklichkeit verändern, längst über­wunden Ge­glaubtes zeigt sich als noch mächtig, als bedrohlich. Trotzdem sieht er Möglich­keiten, neue Haltungen auch nach die­ser Verfremdung zu suchen und vorzuschlagen. Die Texte derBuckower Elegiensollen, von der nun sichtbaren Problematik aus, Mut machen, denen, die sie le­sen. Auch Brecht selbst will mit Hilfe der Elegien aus der Verunsicherung wieder heraus, auch er will zu den Ta­gesgeschäften wieder zurückkehren kön­nen. Das Ziel, Kommunis­mus, ist zwar in weitere Ferne gerückt, aber es ist, hofft Brecht, noch erreichbar.

Ist es das auch für Brecht selbst? Die Elegie ist ein sehr intimes Genre, es klagt ein Ich. Brecht beginnt in jener Zeit, über den Tod nachzudenken, sich mit dem eigenen Sterben auseinanderzusetzen. Auch in denBuckower Elegienfindet sich ein Text, in dem Brecht auf sein Alter verweist (Tannen;noch deutlicher die Be­grenztheit der Lebenszeit inBeim Lesen des Horaz)[xxv]. Die elegische Färbung man­cher Texte könnte damit zu tun haben, daß das Ziel für Brecht, der einst gewiß war, es noch zu erleben, unerreichbar wird. Vondie­semGedanken muß er Abschied nehmen. Bekann­terweise pflegte Brecht solche eher persönlichen Dinge nicht aus­zustellen. Dieses persönliche Moment könnte jedoch eine Rolle gespielt haben, wäre aber nicht der Rede wert, wenn nicht noch andere Befürchtungen hinzukä­men. Die Ana­lyse des TextesBei der Lektüre eines spätgriechischen Dichterswird zeigen, daß sich die frü­here Gewißheit Brechts dar­über, daß das Ziel überhaupt erreicht wird, verwandelt. Aus der Gewißheit wird etwas ganz anderes: Hoffnung.[xxvi] Ein gravierender Einschnitt: Der Kommunismus wird von der Wissenschaft zur Utopie. Dieser Text läßt ahnen, daß auch Brechts Ideal in einer Zeit be­schworen wurde, in der sein Fall bereits beschlossen war.

Der Gestus keiner der Texte ist (schwermütig) klagend. Einige Texte sind an­kla­gend oder fordernd, es sind die Texte, die sich an Menschen richten, die es bes­ser wissen müßten, an den Sekretär des Schriftstellerverbandes, an Brecht selbst, an die ”Freunde” und die geprü­gelten Künste. Es sind bittere Texte (Die Lösung), sarkastische (Die Musen) oder sie argumen­tieren politisch (Die Wahrheit einigt). Andere Texte, die, die auf das Volk zugehen wollen, sind schlicht argumentie­rende, am Beispiel vorführende; Texte, die vorschlagen, bestimmte Haltun­gen ein­zunehmen. Die Haltung der Klage befindet sich nicht unter ihnen. Doch Brecht schlägt diese Haltungen vor, weil sie nicht eingenommen werden. Es sind aber notwendige Haltungen, aus der Sicht Brechts sogar lebensnotwen­dige. Ihre Abwe­senheit beklagen die Texte, und sie beklagen, noch im Ar­gumentieren, im Vorfüh­ren, die Möglichkeit, daß diese Haltungen, trotz der Texte, nicht einge­nommen werden könnten. Die Genrebezeichnung Elegie bekommt so auch einen warnen­den, beschwörenden Charakter: Es könnte etwas verlorengehen, das dann erst wirklich beklagt wer­den muß. Es könnte eine einzigartige Möglichkeit verlorenge­hen, deren Verlust Grund zur Klage für alle bietet. Noch in diesem Genre über­schreitet Brecht den Blickwinkel des klagenden Individuums.[xxvii]

Die Texte stehen in spannungsvoller Beziehung zu ihrer Genrebezeichnung. Sie wollen die Klage nicht Oberhand gewinnen lassen. Während die traditionelle Ele­gie so­gleich mit der sie tragenden Schwermut eröffnet, muß bei Brecht nach der elegischen Fär­bung und ihren Grün­den erst gesucht werden. Der Titel des Zyklus macht darauf auf­merksam, daß es Gründe zur Klage gibt. Es ist, wie Mitten­zwei darstellt, eine Verfremdung, auf die die ungewöhnliche Genrebezeichnung auf­merk­sam macht: Brecht sieht die vertrauten Dinge plötzlich anders (vgl. Mitten­zwei 1987, S. 531). Die Texte zeigen dennoch einen souverän produzierenden Dichter, der der Klage keineswegs verfällt. Die in ihnen verwendeten lyrischen Verfahren werden gegen die ele­gische Stimmung geführt. Die Elegie, die eine ausgeweitete Form des Epigramms ist, wird auf das Epigramm zurückgeführt,[xxviii] die Gleichnisse vieler Texte verweisen gerade auf Möglichkeiten von Aktivitäten und sollen vermitteln, was Brecht von den chinesi­schen Dichtern gelernt hat: Weisheit. Oft wird die Natur aufgeboten, um die Argumenta­tionen des Dichters zu stützen. Die Schlichtheit der Texte verweist auf die Tiefe der Pro­bleme, die der Dichter erörtert, wie auf die Plausibilität seiner Vorschläge. Es scheint so einfach und ”natürlich”, die angebotenen Haltungen einzunehmen. Aber es ist dennoch nicht gewiß, daß es gesche­hen wird. Die unterdrückte, aber noch spürbare Klage ver­stärkt die Dringlichkeit der Vor­schläge. Ein Text,Die Wahrheit einigt, thematisiert dieses Verfahren, das als dialektisches vor­gestellt wird:

Freunde, ein kräftiges Eingeständnis

Und ein kräftiges WENN NICHT!

In dieser starken Geste drückt sich die intendierte Umarbeitung der Elegie viel­leicht am besten aus. In der Elegie geht es um ein Festhaltenwollen dessen, was verloren ist. Brecht gibt trotz aller Neubesichtigung nichts verloren, sondern wan­delt mögliche Resignation in eine aktive Strategie. Darin liegt nun die Gefahr, über notwendige Voraussetzungen der strategi­schen Gegenbewegung hinweggegangen zu sein. Waszu tun ist, läßt dieser Text offen, und die Analyse aller Texte wird ein Schweigen zutage fördern, für dessen Über­windung sich in ihnen keine über den Wunsch und die Forde­rung hinausweisenden An­zeichen auffinden lassen. Keine Anzeichen für neue Verhaltenswei­sen, nach denen Brecht so dringend gesucht hat. Doch er bricht mit der elegischen Tradition bereits insofern grundsätzlich, als es bei ihm nicht die Andeutung eines wehmutvollen Blicks in die Ver­gangenheit gibt, ganz im Gegenteil, das ”Zurück” gerade wäre tödlich. Dies zeigt ein Text, der klassisch elegisch einsetzt (Vor acht Jahren):

Da war eine Zeit

Da war hier alles anders.

Diese Zeit aber - vor acht Jahren - war die Zeit des Faschismus. Die den Zyklus einleiten­den Texte,MottowieDer Radwechsel,orientieren auf Gegenwart und Zu­kunft.

Für Brecht ist wichtig, daß diese gleichnishaften Texte verstanden wer­den. Es geht ihm nicht darum, wie lange Zeit angenommen wurde, Be­deutungen eher zu ver­bergen. Selbst Vollmar, der BrechtsBuckower Elegienerstmals aus politischer Per­spektive analysieren will, spricht davon, daß sich Brecht be­mühe, ”mit Hilfe der Natursymbolik den politischen Gehalt seiner Ge­dichte zu verschlüs­seln.” Vollmar redet gar von ”Hermetik” (Vollmar, S. 17). Daß auch die schlichten Bei­spiele auf Bedeutungen verweisen, die der Leser suchen sollte und fin­den kann, macht der Eingangstext des Zyklus (Radwechsel) klar, in dem die Fragen ge­stellt wer­den, in die der Leser hineingezogen werden soll. Doch die komplizierte Struk­tur der so einfach scheinenden Gedichte, die unvermeidlich ist, muß er­läutert werden. Gleich der zweite Text des ZyklusDer Blumengarten, führt den Leser in sie ein.[xxix] Er for­dert zur Sinnsuche auf, gerade dort, wo durch Brecht sehr alltägliche Vorgänge dargestellt werden, hier ist es die Be­schreibung eines Gartens.

Der Blumengarten

Am See, tief zwischen Tann und Silberpappel

Beschirmt von Mauer und Gesträuch ein Garten

So weise angelegt mit monatlichen Blumen

Daß er von März bis zum Oktober blüht.

Hier, in der Früh, nicht allzu häufig, sitz ich

Und wünsche mir, auch ich mög allezeit

In den verschiedenen Wettern, guten, schlechten

Dies oder jenes Angenehme zeigen.

Der Text erinnert an emblematische Darstellungen, er kann mit ihrer Hilfe zumin­dest in sei­ner Vorgehensweise erläutert werden.[xxx] Der Titel des Gedichtes kann als inscriptio ge­lesen werden, mit dem Unterschied, daß er nicht auf die allgemeine Bedeu­tung des Vorganges verweist, sondern auf die pictura, den konkreten Garten, der in der ersten Strophe dargestellt ist. Auf Verallgemeinerung und Verallgemei­nerbarkeit dessen, was dort dargestellt wird, ver­weist der Titel aber insofern, als er den besonderen Blu­mengarten als einen Blumengarten auf­zufassen vorschlägt, dessen Besonderheit darin besteht, daß er etwas in seiner Anlage zeigt, das über seine bestimmte Natürlichkeit hinaus Bedeutung haben kann. Dieses Bemer­kens­werte liegt in seiner durch menschliche Hand gefügten Anlage, seiner Komposition durch einen Menschen, der die Beson­derheiten von Blumen und Wettern kennt und auszunutzen in der Lage ist. Erst dadurch wird die Ansammlung von Pflanzen zu einem Garten. Der Ti­tel spezifiziert dies; es kommt Brecht auf die blühenden Blumen an, die der Garten allezeit hat, der Titel ”Der Garten” alleine würde es nicht ausdrücken. Er wäre allgemeiner, faßte aber nicht, was verallgemeinert wer­den soll: die weise Anlage des Gartens durch einen Menschen.

Diese Bedeutung des Titels wird jedoch erst nach der Lektüre des ganzen Ge­dich­tes einsichtig und lenkt so die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Titel der folgenden Texte, auf das, was in ihnen, über die konkrete Situation hinaus, ge­danklich bearbeitet werden soll. Schon der Titel des nächstfol­genden TextesDie Lösungerfordert diesen Blick, der nun nicht mehr extra ausgestellt wird. DerBlu­mengartenhat einen bereits zur Lektüre geschulten Leser hinterlassen. Die im nachfol­genden Text durch den Sekretär des Schriftstellerverbandes vorgeschla­gene Lösung kann mit diesem Blick auf den Titel nicht nur als falsche verstanden werden, sondern, mit Hilfe eines Hinweises im Text (das Wort ”lösen” erscheint in doppelter Bedeutung), in ihrer tatsäch­lichen kreuzgefährlichen Verkehrtheit. Die durch den Sekretär vorgeschlagene ”Lösung” ist nicht nur absurd, sie würde zur endgültigen Lösung des Zusammenhangs von Volk und Regierung füh­ren. Der Titel wird so zu einer gewissermaßen dialektisch aufgeladenen inscrip­tio, zu einer iro­ni­schen, wobei die Ironie auf höchste Gefahr verweist.[xxxi]

Die erste Strophe desBlumengartens, vergleichbar der pictura, beschreibt den Garten, vor allem seine Lage. In Naturlandschaft befindet er sich an geschützter Stelle und bietet etwas, was die Naturlandschaft alleine nicht hervorbringt, was aber, mit ihr verbunden, erst seine eigentli­che Schönheit auszumachen vermag. Die Be­sonderheit dieses Blumengartens, das, was es wert macht, sich bei ihm aufzuhalten, wird jedoch in einer Weise beschrieben, die über die bildliche Darstellbarkeit hin­ausgeht. Die Weisheit des Gärtners zeichnet ihn aus. Der Garten ist durch mensch­liche Hand so ange­legt, daß er Menschen erfreut, weil er allezeit blühende Blumen hervorbringt, je verschie­dene. Die Weisheit beim Anlegen des Gartens bestand darin, ihn an geschütz­tem Ort zu plazieren, Blumen auszusuchen und in ihm anzu­pflanzen, die in der jeweiligen Jah­reszeit Blüten tragen. Die Weisheit seines Anle­gers vermittelt zwischen den Möglichkeiten der Natur - verschiedene Blumen zu haben -, ihrer Veränderbarkeit - verschiedene Wetter und Jah­reszeiten, Zyklen des Blühens aufzuweisen - und den Interessen des Menschen. Es bedarf der Weisheit, mit diesen Veränderungen und den Möglichkeiten der Natur so um­zugehen, daß sie dem Interesse des Anlegers auf möglichst viele blühende Blumen entge­gen­kommen. Die Natur alleine brächte es nicht zustande.

Die dritte Strophe schließlich, der subscriptio vergleichbar, bietet eine Verallge­meine­rung, eine Analogie: Der Autor wünscht sich, auch er vermöge, wie der Gar­ten, allezeit etwas Angeneh­mes zeigen zu können. Das zielt auf sein Verhalten überhaupt, wird aber noch interes­santer, wenn man bedenkt, daß die Produktion des Autors, an die er alle seine Weisheit zu ge­ben sucht, seine Texte sind. Das läßt sich bei Brecht ohne weiteres unterstellen.[xxxii] Der Garten ist Er­gebnis einer Produk­tion, Brecht begreift seine Texte und Aufführungen als seine Produktionen. Dann ließe sich der Wunsch so formulieren, daß der Dichter hofft, seine Texte so produ­zieren zu können, daß auch sie allezeit etwas - für andere - Angenehmes aufzu­weisen vermögen. Kein Ewig­keitsanspruch der Poesie, sondern der, mit Texten, in bestimmten Situationen und gebun­den an diese, etwas Angenehmes zeigen zu können, je anderes.

Die Funktion einer subscriptio wird dabei auf doppelte Weise überschritten. Zum einen ist gar kein Zusammenhang mehr denkbar, in dem ein Bild (oder ein Text) für alle anderen Si­tuationen verallgemeinerbar ist. Auch dieser Text, so zeitlos er scheint, ist ein Text in bestimmter Situation und kann es nur sein.[xxxiii] In anderen Zeiten mußte Brecht erklären, daß ein Gespräch über Bäume fast einem Verbrechen gleichkommt, da es das Schweigen über Verbrechen einschließt.[xxxiv] Eine allgemeingültige Poetik, eine die Zei­ten überdauernde ”Bedeutung” des Textes läßt sich nicht mehr herstellen. Zum zweiten ist die subscriptio von der pictura nicht klar getrennt. Der Dichter formuliert nicht anhand des Blumengartens, son­dern selbst in ihm sitzend. Dabei ist die pictura nicht von der angezielten Bedeu­tung her entworfen, sondern, ganz materialistisch, es wird die Wirklich­keit, die menschlich veränderte Wirklichkeit, Anlaß, mögliche Bedeutungen in ihr zu fin­den. Weil es keine ewige Bedeutung gibt, und weil die Bedeutung des Textes, sein Ange­nehmes, nicht vom reflektierenden Subjekt und seiner subjektiven Ein­sicht ablösbar ist, so wenig wie von der je anderen Situation und Umgebung, in der sie formulierbar wird, kann der Text auch nicht in allegorischer Manier ‘Die Weis­heit’ oder ähnlich überschrieben werden.

Dennoch ist aber durch den Zusammenhang von konkretem Garten und an ihn ge­knüpf­ten Reflexionen, die auf ganz anderer Ebene liegen, sichtbar geworden, daß hier auf Bedeutun­gen gezielt wird, die die Ebene der pictura überschreiten. Auch das, was als subscriptio mitge­geben wird, die Schlußfolgerung des Dichters, kann seinerseits auf weitere Möglichkeiten der Übertragung von Bedeutung be­fragt werden.[xxxv] Der Garten wie das Verhalten des Dichters, seine Produktionen, könnten durchaus ein Modell abge­ben für das, was Brecht die ”große Ordnung” nennt, auch sie muß weise angelegt sein, im Frieden mit der Natur und zum Ver­gnü­gen der Menschen. Konkret für den 17. Juni hieße das, die Möglichkeiten die­ses ”Wetters” zu finden, um etwas zum Blühen zu brin­gen, das gerade jetzt blühen kann. Pictura und subscriptio sind in ihrer Funktion nicht festgelegt, was sub­scriptio war, kann pictura werden.

Der Text ist kein Emblem und keine Allegorie, er bringt deren starre Auftei­lungen in Bewegung, er fordert aber zum allegorischen Lesen auf. In dem Sinne, daß in seinen bildlichen Darstellungen und in seinen Verallgemeinerungen Be­deutungen gefunden werden können, die zu suchen dem Leser aufgegeben ist. Bedeutungen, die auf einer anderen Ebene als der unmittelbar dargestellten liegen können, Bedeutungen, die die durch den Autor im Text selbst vorgeführten noch­mals überschreiten. Zugleich aber sind die Bedeutungen nicht so festgelegt, daß sie ein für allemal fixierbar wären oder fixierbar sein sollten. Auch der einzelne Text will versu­chen, in verschiedenen Wettern Angeneh­mes zu zeigen. Alle seine Ele­mente können dabei als pictura gedeutet werden, der Text selbst hält sich der Be­wegung des Lesers wie dem Wandel der Wetter und Jahreszeiten of­fen. Diese Offenheit ist das Invariante des Textes, das seine Identität sichert gegen beliebigen Umgang mit ihm. Das kann auch der in den Text schon eingeschriebene Tod sein: Der Text hörte auf, eine Funktion zu haben - und darauf zielt er gerade -, wenn nicht mehr über die Notwen­dig­keit solcher Weisheit gesprochen werden müßte, wenn sie selbstverständlich wäre. So­lange aber, hofft der Dichter, kann der Text sein Angenehmes zeigen - seinen Stachel.

Der Leser ist aufgefordert, das für ihn Angenehme zu suchen - oder den Text zu verwerfen. Daß es nicht nur um Annehmlichkeiten geht, sondern als An­geneh­mes auch das verstanden wird, das den Leser provoziert, wird im Verlaufe des Zy­klus schnell deutlich. Die Texte können nicht konsumiert, in ihnen sollte gesucht werden. Die Suche kann Vergnügen bereiten, Vergnügen aber vor allem dem, der bereit ist, auch Un­angenehmes zur Kenntnis zu nehmen, um es zu verän­dern.

Doch die Schlichtheit und Überzeugungskraft der Beispiele ist auch trügerisch. Der stren­gen, lakonischen, epigrammatischen Form der Texte, die ausdrücken kann, daß da je­mand schreibt, der etwas auf den Punkt zu bringen vermag, worüber er im Klaren ist, steht die Unruhe der wechselnden Gesten des Zyklus selbst ge­genüber. Zwar bringt jeder Text etwas auf den Punkt, aber jeder etwas, das den sicheren Gestus anderer Texte stört, so die Unruhe des Eingangs fortsetzend, die nicht stillgelegt werden kann. Im Zyklus finden sich gleichnishafte Reflexionen in quasi ruhig zurückgelehnter Position in märkischer Landschaft (Der Blumengar­ten; Der Rauch; Tannen), es finden sich polemi­sche Texte (Die Lösung; Der Ei­serne), Texte, die eine Ablehnung artikulieren (Große Zeit, vertan), Texte, die Aufforderungscharakter haben (Die Wahrheit einigt), und es wer­den unruhige Träume erinnert (Böser Morgen; Die Kelle). Der Zyklus enthält Texte, die mit Empö­rung geschrieben sind (Heisser Tag; Gewohnheiten, noch immer), Texte, die vor nahezu unabwendbaren Gefahren warnen (Der Himmel dieses Sommers), und Texte, die Lösun­gen anzubieten scheinen (Bei der Lektüre eines sowjetischen Bu­ches). Beunruhigun­gen werden artikuliert (Der Einarmige im Gehölz; Vor acht Jahren) und sonderbare Zufriedenheit ausgedrückt (Laute). In einem Text nur ist die Unruhe überwunden (Rudern. Gespräche). Hier ist die Fortbewegung mit sich fortbewegender Kommunikation verknüpft, Kommu­nika­tion mit Arbeit, Arbeit mit Vergnügen. Der letzte Text des Zyklus aber stellt gegen dieses Gleichgewicht der Gegensätze die Hoffnung, die aus der Zuspitzung von Gegensätzen gerade noch gewonnen wer­den kann. Die Sammlung ist nicht nur eine ”Montage von Eindrüc­ken”, die ”vielfältige Zu­sam­menhänge” erschließt (Mittenzwei 1987, S. 531), sondern die Texte verweisen auf Gegen­sätze, die sich nicht vermitteln, auf Fragen, die sich nicht beantworten lassen. Die Ungeduld, die den Zyklus einleitet, wächst bei seiner Produktion, sie wird zur Unruhe, weil die Gegen­sätze nicht ins Gleich­gewicht gebracht werden können. Der Zyklus ist ab­schließbar dennoch, da die Un­ruhe ausgesprochen worden ist, da ihre Ursachen dargelegt werden konnten, ohne der Klage zu verfallen. Doch die Texte bleiben zwiespältig.

Entfremdung und Verfremdung

Diese Zwiespältigkeit der Elegien hat zu tun mit der Besonderheit ihrer Entste­hung. Auf­schlußreich ist, daß Brecht selbst die Situation nach dem 17. Juni als eine ”verfremdung der existenz” bezeichnet hat. Verfremdung war für Brecht bis da­hin eine ästhetische Kate­gorie, hier bezieht er sie auf ein reales Ereignis, das dann - mit denBuckower Elegien- Gegenstand litera­rischer Verfremdung wird, die wie­derum ein traditionelles Genre nutzt, das Brechts bisherige Dichtungskonzeption verfremdet und das selbst verfremdet werden soll. In vierfacher Hinsicht also ste­hen die Elegien in einem Verfremdungskontext. Nach­dem drei dieser Verfrem­dungen in den vorigen Abschnitten schon beleuchtet worden sind, soll nun gefragt werden, was die Rede von der ”verfremdung der existenz” bedeu­ten könnte und welche Konsequenzen sie für dieBuckower Elegienhat, bevor mit der Analyse einzelner Texte begonnen wird.

Brecht denkt Verfremdung analog zur Hegelschen Triade: ”Verfremdung als ein Verstehen (verstehen - nicht verstehen - verstehen), Negation der Negation.” (Brecht 1975, S. 311) Brecht legt dabei - im Unterschied etwa zu den russischen Formalisten - den Akzent auf das inhaltliche Moment von Verfremdung. Von da­her wird auch der Ein­satz der formalen Mittel gesteuert, die diese Verfremdung erst ermöglichen können. Dem Surrealismus beispielsweise wirft Brecht vor, daß die Gegenstände aus der Verfremdung nicht mehr zurückkehren. Ähnliche Be­merkungen finden sich hinsichtlich des Kubismus. Brecht geht es um spezifisch poetische Erkenntnis, die durch Verfremdung gewonnen und vor allem vermittelt werden soll. Das Verfremdungsprinzip ist für Brecht ein poeti­sches Prinzip unter den Bedingungen des wis­senschaftlichen Zeitalters. Es ist nötig, um Realität - die in die Funktionale gerutscht ist und also verfremdet werden muß - überhaupt erkenn­bar zu machen, und es sind für diese Erkenntnis die modernsten Erkenntnisse der Wissenschaft Voraussetzung, wie die avancier­testen Verfahren der Literatur zur Anwen­dung kommen müssen. Auf dieser Grundlage kann das hervorgebracht werden, was Brecht den V-Effekt nennt.

Bereits die Terminologie weist auf den Vorrang der Erkenntnis gegenüber den Verfahren, da die Verfremdung nicht schon durch den Einsatz innovativer künstle­rischer Mittel gewährleistet wird, sondern Brecht redet erst von Verfremdung, wenn diese Mittel einem be­stimmten Ziel dienlich sind. Brecht beschreibt es folgender­maßen: ”Der V-Effekt besteht darin, daß das Ding, das zum Verständnis gebracht werden soll, aus einem ge­wöhnlichen, bekannten, unmittelbar vorliegendem Ding zu einem besonderen, auffälli­gen, unerwarteten Ding gemacht wird. Das Selbstver­ständliche wird in gewisser Weise unverständlich gemacht, das geschieht aber nur, um es dann um so verständlicher zu ma­chen. Damit aus dem Bekannten etwas Er­kanntes gemacht werden kann, muß es aus sei­ner Unauffälligkeit herauskommen, es muß mit der Gewohnheit gebrochen werden, das betreffende Ding bedürfe kei­ner Erläuterung. Es wird, wie tausendfach, bescheiden, po­pulär es sein mag, nun­mehr zu etwas Ungewöhnlichem ge­stempelt.” (Brecht 1975, S. 304) Damit ist nun zu erläutern, was ”verfremdung der ganzen existenz” durch den 17. Juni bedeu­ten kann und was dieBuckower Elegienin diesem Zusammenhang leisten sollen.

Der 17. Juni hat etwas Selbstverständliches schlagartig als nicht selbstverständ­lich er­schei-nen lassen, als unerwartet, auffällig, ungewöhnlich. Verunsicherungen vergleich­barer Art gab es in Brechts Leben mehrere Male. Weniger eine Verunsi­cherung, als viel­mehr eine Wende war die Lektüre desKapitalsvon Karl Marx als der junge Dramatiker auf der Suche nach Antwort auf die Frage war, wie der Ge­treidehandel funktio­niere. Dies war ein Anstoß, eine Verfremdung von außen, die das ganze folgende Werk geprägt hat. Brecht selbst hat das als eine entscheidende Zäsur seines Produzierens be­schrieben. Eine Verunsicherung, vergleichba­rer mit der des Jahres 1953, entstand durch den Machtantritt des Faschismus. Brecht hatte we­der mit diesem Machtantritt gerechnet noch damit, daß es den Faschisten gelin­gen könnte, sich an der Macht zu halten. Er hat im Exil eine Haltung dazu finden müssen, die sein Schreiben veränderte, wie über­haupt die Tatsache faschistischer Herrschaft und die Suche nach Möglichkeiten, ihr als Dichter Widerstand zu lei­sten, zu neuen poetischen Verfahren und Konzeptionen geführt hatten.

Die Verfremdung des 17. Juni unterscheidet sich von den beschriebenen Ver­frem­dungen jedoch erheblich. Die neue Erkenntnis, die der 17. Juni verursacht, ist nicht eine des Typs, wie dasKapitalsie initiierte, eine Erkenntnis, die für Brecht geschichtsphiloso­phische Orientierung ermöglichte; im Gegenteil, sie stört die mit dieser Geschichtsphilo­sophie verbundene Naherwartung eines durch den Sozialis­mus zu gewinnenden Kommu­nismus und könnte sogar die Kraft haben, die ge­schichtsphilosophische These Marx’, der Brecht anhängt, generell in Frage zu stellen. Es könnte sich die gesetzmäßige Ent­wicklung zum Kommunismus hin als Illusion erweisen, es könnte sich als Illusion erwei­sen, daß so etwas wie Kommu­nismus überhaupt möglich wird, und es könnte sich als Illu­sion erweisen, daß der DDR-Sozialismus ein Schritt in Richtung dieses Kommunismus ist, womit gleich­zeitig zur Disposition stünde, daß er sich vom Kapitalismus des Westens Deutsch­lands grundsätzlich un­terschiede. Diese in ihrer Grundsätzlichkeit für Brecht nicht zu überbietende Verfremdung - selbst die Fehleinschätzung um 1933 herum, die den Ka­pitalismus betrifft, ist gering dagegen -, macht die poetische Auseinander­setzung mit der ”verfremdung der existenz” durch den 17. Juni, wie sie dann in denBuckower Elegienstattfindet, überhaupt erst nötig. Mit der ge­schichtsphiloso­phischen Perspektive hätte Brecht seinen Ort als Dichter verloren. Was für DDR-Schriftsteller nach Brecht zum Aus­gangspunkt geworden ist, wird hier das erste Mal er­fahren: Die klaren gesellschaftstheo­retischen Gegenüberstellungen werden fraglich, dieeigeneGrundlage ist schwankend geworden. Spätestens Volker Braun hat in seinem - auf Brecht weisenden - EssayEs ge­nügt nicht die einfache Wahr­heit(1966) einen ersten Schluß daraus gezogen.

Brecht kann in denBuckower Elegiennicht mehr aus der sein Verfremdungs­kon­zept kennzeichnenden sicheren Position schreiben. Der gravierende Unter­schied zur bis­herigen Arbeit besteht darin, daß Brecht diesmal von dem, was als zu Erkennendes in Verfrem­dungseffekten an ein Publikum mittels Darstellung wei­terzugeben sei, nicht aus­gehen kann. Er weiß es selbst nicht - ohne daß dieses Nichtwissen ihm ganz bewußt wird, die Texte zeigen es. Diese ”verfremdung der existenz” hat nicht unmittelbar aus ih­rer Unge­wöhnlichkeit heraus schon die dar­stellbare Erkenntnis zur Folge - sie wirkt auf Brecht im Gegenteil so, wie es Viktor Schklowski beschrieben hat: als ein Schock, eine Aufstörung der Wahrnehmung, da die alten Muster nicht mehr gelten.

DieBuckower Elegiennun sollen das ”nicht-verstehen” in ein die Negation auf­heben­des neues ”verstehen” wandeln. Brecht verfremdet in ihnen nicht souve­rän für an­dere, sondern er steckt selbst in der Verfremdung, aus der die Elegien heraushelfen sol­len. Auch durch dieses Dilemma ist die Genrewahl Brechts beein­flußt: Er kann nicht Texte schreiben, wie er sie schon immer geschrieben hat, er kann in dieser Situation aber auch nicht mit geübter avantgardisti­scher Gebärde ein neues Kunststück aus der Tasche ziehen. Die gesellschaftliche Situation und Brechts bisheriges Verständnis von ge­schichtlicher Perspektive wie seine bisherige Konzeption der Produktion von Kunst - die hier nicht mehr greift -, zwingen ihn in das tradi­tionelle Genre. In ein Genre zugleich, das nur vom Individuum her denkbar ist; Brecht ist al­leine, auf sich gestellt, und es sind auchEmpfindungen, die verarbeitet werden müssen. Das Problem, das der 17. Juni stellt, kann mit den bis­her von Brecht entwickelten Formen nicht bewegt werden. Die Genrebe­zeichnung selbst ist schon eine Klage - sie ist die Klage darüber, daß nun auch ihn, Brecht, die Vergangenheit eingeholt und daß sie Macht über ihn hat. Diese Macht nun ver­sucht Brecht, die Elegie verfremdend, zu brechen. Noch die Elegie will Brecht als Ver­fremdung nutzen, um sich die neue Situation bewußt zu machen, noch inner­halb der so behandelten Elegie sollen die Möglichkeiten von wirksamer Kritik und neuer produktiver Haltung nach diesem Einschnitt gefunden werden.

Die Verfremdung liegt in dieser Situation vor den Texten - die Texte versuchen mit ihren Verfremdungseffekten auf eine Verfremdung zu reagieren, die ohne sie nicht bewäl­tigt werden könnte. Brecht selbst, davon zeugen die späteren Texte, ist davon ausgegan­gen, sie bewältigt zu haben. Er kann nach dem Zwischenaufenthalt in Buckow mit seinen bisherigen Plänen fort­fahren, in denen die Erfahrungen des 17. Juni produktiv ”aufgehoben” werden sollen. So ge­lingt es nun endlich, eine dramatisch brauchbare Kon­stellation für denGarbe-Stoff zu finden, indem ein Akt über den 17. Juni aufgenommen werden soll.[xxxvi] DieBuckower Elegienaber haben noch eine andere Dimension, die darin nicht aufgeht.

Ein Satz Adornos kann hier weiteren Aufschluß bringen und an den Entfrem­dungszusammen-hang heranführen. Adorno beschreibt den Widerstand, den Prousts Texte gegen die entfremdete Welt leisten, folgendermaßen: ”Dieser Wider­stand, die zweite Ent­frem­dung der entfremdeten Welt als Mittel zu ihrer Restitution, ver­leiht dem Raffinierten seine Frische.” (Adorno 1966, S. 97) Auch Brechts Ver­fremdungsgedanke ver­sucht eine zweite Entfremdung der entfremdeten Welt. Sie soll, schon entfremdet, noch einmal im Text fremd gemacht werden, damit die Ent­fremdung in ihr erkennbar und - anders als bei Adorno - über­windbar wird. Die erste Schwierigkeit dabei, die sich mit dem 17. Juni stellt, ist schon be­schrieben worden: Brecht ver­sucht in denBuckower Elegien, beides zu leisten, die Analyse der Situation wie Vorschläge zu ihrer Veränderung poetisch zu unterbreiten. Die zweite wird im Vergleich mit Proust sichtbar, dem der Satz Adornos gilt. Proust, der die gesellschaftlichen Normen und Inhalte respektiert, wird für Adorno zum authentischen Kritiker der Gesellschaft durch die Struktur seiner Texte. Brecht nun ist gegenüber Proust ein Autor, in dessen In­tention es von vornherein liegt, sich Gesellschaft gegenüber kritisch zu verhalten - doch gerade dieBuckower Elegienlassen eine Gegenläufigkeit von subjektiver Intention und sprachlichem Text er­kennen. Sie entsteht nicht zuletzt dadurch, daß Brecht in den Elegien als Person so stark an­wesend ist wie in wenigen an­deren Texten. Er ist von der entfrem­deten Situation als Autor selbst betroffen, kann sich ihr nicht gegenüberstellen, will Sou­veränität ihr gegenüber mit Hilfe der Texte erst erarbeiten, sie aber gleichzeitig in ihnen schon demonstrieren. Die Wahl des Genres Elegie weist - bei aller inten­dier­ten Umarbei­tung und Verfremdung - auf dieses persönliche Beteiligtsein, auf Rat­losigkeit, während der vorschlagende Gestus der Texte bereits Antworten zu geben versucht. Das macht die Struktur der Texte aus, die gleich im ersten Gedicht deut­lich wird: Auch die behauptenden Sätze Brechts erweisen sich als Fragen, deren Antworten dem Autor nicht mehr selbstver­ständ­lich - oder gar nicht mehr - zur Verfügung stehen. Gleichzeitig aber wird der Ant­wortgestus, der didaktische Ge­stus, nicht aufgegeben. Die Texte sind in sich gegenläufig, in ihnen wird die Mög­lichkeit von Antworten suggeriert, während sie schon nicht mehr vorhanden sind.

Die Mehrdeutigkeit des Satzes von Adorno kann eine weitere Mehrdeutigkeit der Elegien zu beleuchten helfen. Adornos Formulierung läßt durchaus offen, wel­che ”Welt” der Text Prousts wiederherstellt: die entfremdete Welt als in ihrer Ent­fremdung kritisierte oder die Ahnung einer Welt, der mit Hilfe der zweiten Entfremdung ihre Entfremdung genommen wor­den ist. Keine dieser Lesarten je­doch ließe zu, daß Kritik an Gesellschaft ausgesetzt werden könnte oder sollte - und dies ist ja auch bei Brecht nicht der Fall.

Ge­setzt, die Verfremdungseffekte der Elegien - die zweite Entfremdung der Welt - würden die Welt, so wie sie Brecht vorher erschie­nen war, dialektisch wieder zu restituieren vermö­gen, die geschichts­perspektivische Möglichkeit Kommunismus also offenhalten, so würde dies für Brecht bedeuten, mit der nun gewonnenen neuen Einsicht und Kritikmög­lichkeit an der Überwindung ihrer Entfremdung weiter arbei­ten zu können. Die Verfrem­dung der Texte würde so auf die Verfremdung der Existenz formal und inhaltlich produktiv antworten, am Ende stünde Erkenntnisgewinn, der die bisherige Welt­sicht korrigiert, nicht einfach restituiert, sondern restituiert, indem kriti­siert wird. Das entspricht sicher der subjektiven Intention Brechts.

Setzt man die andere Möglichkeit, würde es bedeuten, daß die zweite Entfrem­dung der Welt nichts anderes zu Tage fördern würde als deren Entfremdung selbst, die nun sichtbar wäre. Die Texte würden dann die ”verfremdung der existenz” eher verstärken denn überwin­den, sie würden auf eine tiefere Erschütterung als die vorübergehender Verun­sicherung der Gesellschaft und des Dichters durch eine soziale Eruption verweisen. Die Texte würden zeigen, daß genau diese geschichts­philosophische Perspektive, die sie kri­tisch restituieren wollen, nicht mehr auf­rechterhalten werden kann. Brecht hat einen sol­chen Schluß nicht gezogen - die Analyse derBuckower Elegienaber kann Indizien für eine solche Konsequenz zutage fördern.

Aus der Gegenläufigkeit dieser beiden Bewegungen gewinnen die Texte ihre Spannung. Ich möchte im folgenden versuchen, diese Spannung aufzuzeigen, in­dem in meiner Interpretation zum einen die spezifische Struktur von Frage und Antwort innerhalb des Zyklus unter­sucht und zum anderen der Gegensatz erhellt wird, der darin liegt, daß Brecht mit seinen Texten das für ihn nach dem 17. Juni so dringend notwendige große ”Gespräch” eröffnen möchte, die Texte aber kei­nen Anhaltspunkt dafür geben, daß es stattfindet, nicht einmal dafür, daß es statt­finden könnte.

Mühen der Ebenen?

Der Eingangstext[xxxvii] [xxxviii] des Zyklus,Der Radwechsel, ist sein schwierigster Text, da er unent­wegt Fragen provoziert und keine Antworten gibt - obwohl es anders scheint. Es scheint anders, weil in den ersten beiden Zeilen nichts als eine Situation be­schrieben wird und in den folgenden zwei Zeilen starke Behauptungen aufgestellt sind. Lediglich am Schluß des Textes steht eine Frage, die die Behauptungen aber nicht relati­viert. Die Frage gerade scheint Antwortcharakter zu tragen. Die Be­hauptungen provozie­ren Fragen, die Frage scheint Antwort (und ist es doch nicht). Das gibt die Verunsiche­rung wieder, die den Zyklus nötig gemacht hat.

Der Radwechsel

Ich sitze am Straßenhang

Der Fahrer wechselt das Rad.

Ich bin nicht gern, wo ich herkomme.

Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.

Warum sehe ich den Radwechsel

Mit Ungeduld?

Der Leser wird in die Verunsicherung des Autors hineingezogen. Alles scheint im Text überschaubar: Es gibt eine einfache Situation, die klare Reflexionen hervor­ruft, und eine Frage, die zuerst mehr Feststellung scheint, als Frage. Die dann aber doch, als Frage genommen, die ganze Situation verunklärt. Wieso sieht einer die Fortsetzung einer Reise, deren Ausgangspunkt ihm so wenig behagt wie das Ziel, mit Ungeduld?

Der Zyklus derBuckower Elegienist selbst das Resultat einer Unterbrechung - er ist ein Aussetzen der geplanten Produktion Brechts für die Suche nach Antwort auf diese Frage. Nur wenn sie beantwortet wird, ist es möglich, die Fahrt so fortzu­setzen, daß am Ziel derjenige, der als anderer dort ankommen wird, etwas machen kann, das ihn viel­leicht gerne sein läßt, wo er sein wird. Aus dem Eingangstext läßt sich eine Bedin­gung dieses Gerne-seins schon able­sen: Eine Situation ohne Bewe­gung, eine des Still­stands, der erzwungenen Untätigkeit kann nicht positiv bewertet werden. Der ”Wechsel”, das Kommen und Fahren, die ”Ungeduld” be­stimmen den Text. Das untä­tige ”sitzen am Straßenhang” ist nicht zu ertragen[xxxix] - aber es ist eine Folge der Unterbre­chung, die erst die Ungeduld und Unruhe her­vortreten läßt und ihr Unverständ­liches, ihr unbedingt zu Erforschendes. Der Zy­klus hat beide Gesten: die des ruhigen Überdenkens und die der ungeduldigen Suche nach Möglichkeiten, die Reise fortzuset­zen, nach Gründen, aus denen sie fortgesetzt werden kann, weil sie offenbar fortgesetzt werden muß. In ihm wird das ruhige Nachdenken unterbrochen durch beunruhi­gende Träume, die dem Nach­denken andere Richtungen aufzuzwingen in der Lage sein könnten. Das Ich der Texte schläft unruhig.

In vielen Interpretationen desRadwechselsist versucht worden, Eindeutigkeit zu errei­chen: Brecht kommt aus dem Exil (und aus der Vergangenheit des Kapitalis­mus), er be­findet sich in einer Gesellschaft, die meint - auch nach Ansicht Brechts -, auf dem Wege in den Sozialismus zu sein. Brecht will nicht zurück in den Kapitalismus, doch die Hoff­nung in den Sozialismus scheint nach dem 17. Juni 1953 auch geschwunden, es bleibt die Un­geduld dessen, der dennoch nicht resi­gnieren kann und will, sondern sich auch auf un­gewisser werdende Veränderungen einläßt. - Solche Veränderung scheint gerade stattge­funden zu haben: Der Rad­wechsel steht in symbolischer Interpretation für den ”Neuen Kurs” den die SED-Führung - für die der Fahrer eintritt (vgl. Link, S. 55) -[xl] noch kurz vor dem 17. Juni einge­schlagen hat und der nun fort­ge­führt werden soll (und in den Brecht, unterstellt diese Interpretation Links, auch wenig Vertrauen setzt. Es wird ja - mit neuem Reifen, da der alte platzte - derselbe Weg weitergefahren; s. auch Vollmar, S. 94)[xli].

Derartige Interpretationsversuche führen in die Sackgasse. In dem Gedicht gibt es weniges, das wirklich festgehalten werden kann, und dieses wenige sagt auch wenig. Dargestellt ist eine banale Situation: Die unfreiwillige Unterbrechung einer Fahrt, einer Reise, die einen offenbar konkreten Ausgangspunkt und ein konkretes Ziel hat (obwohl beides nicht genannt wird). Um die Fahrt fortsetzen zu können, muß der Fahrer, während der Gefah­rene am Straßenhang ungeduldig wartet, den Reifen wechseln. Beide sind zur Änderung ihrer ursprünglichen Absichten ge­zwungen. Kommunikation zwi­schen den beiden Personen des Gedichtes gibt es nicht. Sie stehen offenbar in einer hierarchi­schen Beziehung zueinander. Der eine fährt den anderen, beim Radwechsel arbeitet der eine, während der andere tatenlos die Zeit mit Nachdenken überbrückt.[xlii] Die Fahrt soll weitergehen, die Unterbre­chung aber ermöglicht dem Gefahrenen, die Fahrt selbst zu reflektieren, sich ein­gestehend, weder den Aus­gangspunkt der Fahrt noch ihr Ziel zu mögen, dennoch aber die Reise fortsetzen, Zeit nicht vergeuden zu wollen.

Die Provokation des Textes leitet der Parallelismus der Mittelzeilen ein, an den sich die Frage anschließt:

Ich bin nicht gern, wo ich herkomme

Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.

Diese Parallelisierung der Orte löst der Text durch seine zeitliche Struktur wieder auf, es deutet sich doch eine Hierarchie der drei Orte der Fahrt an: Am wenigsten gerne ist der Ge­fahrene dort, wo er sich gerade befindet, hier möchte er nicht ver­weilen. Den Be­ginn der Fahrt kann man nicht mehr verändern, er ist be­reits Ver­gangenheit. Nur das in der Zu­kunft liegende Ziel könnte verändert werden, es ist der wichtigste Ort des Textes, der frag­lichste zugleich. Offenbar wird das Ziel bei­behalten. Warum?

Der Text mit seinen provokant kargen Behauptungen und dem Erstau­nen am Ende, zieht den Leser in die Fragen hinein, die Brecht beschäftigen. Vier Texte des Zyklus enden mit Fragen, zweimal sind es rhetorische Fragen (Große Zeit, vertan; Die Lö­sung), einmal drückt die Frage große Beunruhigung aus (Vor acht Jahren). Hier ist es eine Frage, die - Gegenwart, Vergangenheit und Zu­kunft sind aufgeru­fen - ge­schichtliche Dimension hat und die im Text selbst nicht beantwortet wird. ImRad­wechselläßt sichallesals Frage formulieren:[xliii] Auf welche Veränderung soll mit dem Radwechsel hingewiesen werden? Warum hat das Rad den Dienst ver­sagt: War es alt, wurde schlecht gefahren oder auf schlechten Straßen?

Es ist eine unverhoffte Veränderung eingetreten, etwas ist ausgefallen, hat den Dienst ver­sagt, kann aber relativ problemlos ausgewechselt werden. Problematisch ist offenbar nicht der Radwechsel, problematisch auch nicht der Ausgangspunkt der Fahrt - er kann nicht mehr verändert werden -, problematisch ist die Fahrt selbst. Warum macht es Sinn, sie fortsetzen zu wollen, ungeduldig?

An welcher Stelle mußte die Reise unterbrochen werden, wo sitzt der Gefah­rene? Wo kommt das Ich des Textes her? Was ist sein Ziel?

Warum, aus welchen gleichen oder verschiedenen Gründen, ist der Gefahrene nicht gerne, wo er herkommt und nicht gerne, wo er hinfährt? Wäre er gerne an­derswo? Das Ziel der Reise zu verändern, verspräche offenbar keine größeres Ver­gnügen beim Ankommen. Es wird gar nicht erwogen. Warum muß gerade bei diesem Ziel geblieben werden?

Wie hängen der Ausgangspunkt der Fahrt und ihr Ziel zusammen? Warum mußte die Reise unternommen werden, da sie doch Veränderung hinsichtlich des Wohl­füh­lens des Ge­fahrenen nicht verspricht? Wodurch ist der Reisende zur Fahrt moti­viert?

Welche Beziehungen haben die beiden Personen des Textes? Haben beide das gleiche Ziel, ist das Ziel von ihnen gemeinsam bestimmt, oder ist der eine nur Aus­führen­der der Wün­sche oder Befehle des anderen? Warum, wenn die Fortführung der Reise mit Ungeduld erwar­tet wird, wartet der eine ungeduldig, während der andere (mühselig viel­leicht), den Radwechsel ausführt? Warum arbeiten sie nicht zusammen?[xliv] Warum reden sie nicht miteinander?

Hat sich durch die unverhoffte Unterbrechung der Fahrt, durch das Nachden­ken beim Radwechsel, ir­gend etwas verändert? Ist die Entschlossenheit, die Fahrt nun fortzusetzen größer - oder sind es die Zweifel? Kann am Ziel der Reise doch noch erwartet werden, das, was das Ziel fraglich macht, zu beeinflussen? Wird dem Reisenden das Resultat seiner Überlegun­gen unbehaglich? Warum also sieht der Gefahrene den Radwech­sel mit Ungeduld?

Bertolt Brecht, der am 16. Juni 1953 von Buckow nach Berlin eilt, um zu erfahren, was ge­schieht,[xlv] sitzt nun, im Sommer 1953, wieder in Buckow, fern von Berlin, fern von den Zen­tren der deutschen Geschichte, fern von der Theaterarbeit, fern vom Streit um ihn selbst, er sitzt im Garten und denkt nach - mit Ungeduld.[xlvi] Nachgedacht werden muß - der 17. Juni erzwingt es. Schon deswegen - ohne daß dies zum Gegenstand des Nach­denkens in Texten gemacht wird -, weil der 17. Juni, die Tiefe des Konfliktes zwischen Parteiführung und Arbeitermassen, von Brecht so nicht vorhergesehen wurde. Brecht wußte um die Gefahren des Versuchs, den Sozialismus nach dem Faschismus aufzu­bauen, er wußte um den verwirrten Zustand der deutschen Arbei­ter, auf die er setzte. Fehler bei der Führung durch die Partei, die er unterstützte, ohne ihr anzugehören, blie­ben ihm nicht verborgen. Dennoch: Brechts Einschätzung über den Zustand des Sozialis­mus, der Führung des Landes und der ”Massen” war unzutreffend, wiewohl Brecht nichts so sehr ge­sucht hat, wie die Analyse der Prozesse in diesem Land, notwendig, um in der Theaterarbeit in sie eingreifen zu können.

Der dritte Text des Zyklus,Die Lösung, wendet sich direkt dem 17. Juni zu, und er zeigt eine Haltung ihm gegenüber, deren Zynismus ironisch entlarvt wird. Ge­nau diese Haltung aber ist es, die publizistische Verbreitung findet, während Brechts Brief an Wal­ter Ulbricht durch dasNeue Deutschlandzur Solidaritätserklä­rung mit der Regierung verstümmelt wird. Der Sekretär des Schriftstellerverbandes - Kurt Barthel (KuBa) ist ge­meint - wirft dem Volk in einem imNeuen Deutsch­landdirekt nach dem 17. Juni veröf­fentlichten Text vor, daß es das Vertrauen der Regierung verlo­ren habe. Brecht hält ent­gegen:

Wäre es da

Nicht doch einfacher, die Regierung

Löste das Volk auf und

Wählte ein anderes?

Hier ist Brecht sicher, und er kann mit der Frage die Antwort bereitstellen. Die iro­nisch gestellte rhetorische Frage offenbart den Zynismus und die Absurdität der Lösung Barthels. Aber sie läßt unterschiedliche Antworten zu. Die einfache Ant­wort, die die ”einfache” Lösung Barthels desavouiert: Man kann das Volk nicht auflösen, man muß mit dem Volk rechnen, das es gibt, und das seine bisherige Ge­schichte nicht einfach abschüt­teln kann. Wäre die ”Lösung” also umzukehren, die Frage anders zu stellen? Müßte nicht ein anderes Volk, sondern eine andere Regie­rung gewählt werden? Das ist die Lösung, die ”das Volk” am 17. Juni vorge­schlagen hat. Nichts in dem Zyklus jedoch deutet darauf hin, das Brecht diese Frage bejaht.[xlvii] Auch diese Antwort bleibt negativ, auch hier sähe Brecht keine Lö­sung. Beide als unbefriedigend er­kennbaren Lösungen entsprechen den wirk­lichen und gegensätzlichen Antworten, die am und nach dem 17. Juni gegeben wurden.

Was nicht getan werden kann oder sollte, vermag der Text zu klären. Durch das Fehlen einer positiven Antwort wird jedoch der Titel des Gedichtes über die ironi­sche Ab­fertigung hin­aus selbst zur Frage: Was also soll getan werden? Der Hori­zont der erwart­baren Antworten ist mit der zweifach negativen Antwort auf die rhetorische Frage über­schritten. Es müssen andere Lösungen gesucht werden als die im Horizont der gestellten Frage möglichen.

Diese Art zu fragen hat Hans Robert Jauß als lyrische Frage beschrieben: ”eine lyrische Frage verstehen, erfordert, die direkte oder nächstliegende Antwort zu suspendie­ren, um eine Umkehrung der Blickrichtung zu vollziehen, die im Gedicht vorzüglich durch Fragen eröffnet wird. Solche Fragen direkt zu beantworten, wäre ‘prosaisch’, denn dann würde der eingeleitete Prozeß des weiterfragenden Su­chens, in dem sich die ästheti­sche Konstitution einer neuen Bedeutung vollzieht, unweigerlich auf eine prosaische Aus­sage reduziert.” (Jauß 1991, S. 425f.) Das entspricht durchaus Brechts Vorgehen - die Frage wird, nachdem die einfachen Lösungen verabschiedet sind, an den Leser weiterge­geben, er soll sich auf die Su­che nach anderer Antwort begeben. Allerdings schwingt auch hier die schon mehr­fach betonte Unsicherheit Brechts mit. Brecht zieht es in anderen Texten aus dieser Zeit vor, dem Leser Fragen aufzuge­ben, für die der Text mindesten Ange­bote be­reithält, wie sie beantwortet werden könnten. Darauf zielt auch der Ver­fremdungs­gedanke des Didaktikers Brecht; einen, wie Jauß schreibt, ”Horizontwandel vom Gewußten ins Unbestimmte herbeizuführen” (S. 428) ist gewiß nicht das, woraufBrechthinauswill.[xlviii] Aber genau das findet hier statt. Der Text gibt keine Antwort auf die Frage nach der ”wirklichen” Lösung, er deutet auch keine an. Dabei muß bedacht werden, daß Brecht - vielleicht ganz ungewollt - durch die satirische Ab­fertigung KuBas auf eine thematische Ebene gerät, die erst das Problem, das nach Antwort ruft, verursacht: Durch den Vorgang des Wählens ist der Diskurs der De­mokratie aufgerufen, durch das Volk die Frage nach der Volkssouveränität. KuBas Haltung wird mit voller Intention verneint - damit aber ist die ”Lösung” des de­monstrierenden Volkes assoziierbar: Weg mit dem Spitzbart! Auch diese Lösung muß Brecht verneinen. Auf dieser Ebene aber ver­mag er keine andere anzubieten. Seine Lösung - die große Aus­sprache - liegt, auch wenn es auf den ersten Blick anders scheint, auf einer anderen politischen Ebene. Die Notwendigkeit der Dik­tatur ist dabei vorausgesetzt, so sehr Brecht ihren Abbau im Auge hat.

Brecht kann das so stehen lassen, weil der Zyklus insgesamt Antworten auf die Frage nach der ”Lösung” bereitzuhalten scheint. Für sie gerade soll dieser ant­wortlose Text den Leser öffnen. Diese Antworten - in den TextenBei der Lektüre eines sowjeti­schen Buches; Die Wahrheit einigt; Bei der Lektüre eines spätgriechi­schen Dichters -wer­den zu prüfen sein. Es kann auch stehenbleiben, weil der Text etwas für Brecht Wichtiges zu leisten vermag: Er stellt das Problem, für das Brecht auf der Suche nach Lösungen ist. Der Text zeigt immerhin, dadurch, daß die ironi­sche Frage nach bei­den Seiten hin nur negativ beantwortet werden kann, daß es zwischen Volk und Regie­rung eine Spannung gibt, die nicht nur aus dem unmit­telbaren Vorfeld des 17. Juni - un­gerechtfertigte Normerhöhungen etc. - erklärt werden kann. Es ist etwas geschehen, das tiefere Ursachen hat und überdacht wer­den muß. Das Volk hat sich der Regierung nicht zufällig entgegengestellt. Man kann den Konflikt nicht auf ein ”Fehlverhalten” schieben, weder auf eines des Volkes - das, so KuBa, eine solche Regierung gar nicht zu verdienen scheine -, noch alleine auf eines der Regierung, die es eben mit diesem Volk zu tun hat und Wege fin­den muß, es zu regieren.[xlix] Der Konflikt ist ebensowenig - wenig­stens nicht alleine, nicht vor allem - durch die faschistischen Kräfte zu erklären, die Brecht an jenem Tag wirken sah, und die aus dem Westteil der Stadt zu kommen schienen.

Brecht sieht es so: Es hat Kontakt zwischen Volk und Regierung gegeben - es kommt nun darauf an, ihn auszuwerten. Der Kontakt mit der Arbeiterklasse ”kam nicht in der form der umarmung, sondern in der form des faustschlages, aber es war doch der kontakt. - die partei hatte zu erschrecken, aber sie brauchte nicht zu verzweifeln. ... es gab aufgaben, die sie unter umständen, unter den gegebenen umständen, ohne zustim­mung, ja gegen den widerstand der arbeiter durchführen mußte. aber nun, als große ungelegenheit, kam die große gelegenheit, die arbeiter zu gewinnen. deshalb empfand ich den schrecklichen 17. juni als nicht einfach nega­tiv.” (Brecht 1977a, S. 515)

Die Partei aber hat diese Gelegenheit - wenn es eine war - nicht genutzt, sie hat andere Schlußfolgerungen gezogen. Der 17. Juni ist der geschichtliche Punkt, an dem in der DDR gleichzeitig eine stärkere Abgrenzung gegen den westlichen Teil Deutschlands einsetzt - der kalte Krieg nimmt an propagandistischer Schärfe zu -, wie wirtschaftspoli­tisch, mit dem ”Neuen Kurs”, eine Entwicklung beginnt, die versucht, mit dem Westen gleichzuziehen. Das soll durch eine verbesserte Versor­gung der Bevölkerung erreicht werden; es setzt ein, was dann, unter Honecker, auch offen als Wohlstandsorientierung erkennbar wird.[l] Sie soll die Macht si­chern. Das ist der faule Kompromiß, der nach dem 17. Juni geschlossen wird. Die mit dem ”Neuen Kurs” auch einhergehenden Demokratisierungsansätze werden bald danach wieder aufgegeben. Sie gefähr­deten die Macht und überzeugten die Arbeiter (das Volk) nicht. Auch dies ist eine Reaktion auf das, was Brecht als Kern der Ereignisse un­terstellt: ”in dem augenblick, wo ich das proletariat - nichts kann mich bewegen, da schlaue, beruhigende abstriche zu machen - wiederum ausgelie­fert dem klassenfeind sah, dem wieder erstarkenden kapitalismus der faschistischen ära, sah ich die ein­zige kraft, die mit ihr fertig werden konnte.” (ebd.) Die Partei jedoch schien diesen letzten Halbsatz nicht mehr zu teilen, sie reagierte wie KuBa: Das Vertrauen in die Klasse, auf der ihre Macht der Theorie und Propaganda nach basieren sollte, war endgültig verloren. Es blieb dabei, gegen die Forderungen zu regieren, die hier gestellt wurden - Wiedervereinigung Deutschlands auf kapitalisti­scher Basis -, und ihnen gleichzeitig die Spitze zu nehmen durch Ver­besserung der materiellen Lage. Der 17. Juni machte eine Einschätzung, die Brecht schon 1948 getroffen hatte, wahrscheinlich: ”wieder erschwindelt sich diese nation eine revo­lution durch angleichung. ... zugleich kann dieses deutschland gar nicht mehr be­grif­fen werden ohne dia­lektik, denn seine einheit muß es durch weitere zerreißung er­kämpfen, die freiheit kriegt es dik­tiert usw usw ...” (S. 439) Seit 1953 steht in Frage, ob eine Revolution durch Angleichung überhaupt Erfolg haben kann.

Der nächste Text,Große Zeit, vertan,fragt nach der gesellschaftlichen Alternative. Eine Gegen­überstellung, die Topos der DDR-Literatur (der Literaturen in beiden Teilen Deutschlands) be­reits ist. Doch Brecht fragt weniger nach der Alternative als er sie viel­mehr, knapp und ohne Um­schweife, abfertigt. Da bedarf es nicht vieler Worte, es ist auch der einzige Text, der sich auf den Westen Deutschlands (oder Europas) direkt bezieht.[li] Ein im Vergleich mit den sonstigen Äußerungen Brechts unideologischer Text, dennoch schon im Titel Ablehnung bekundend.

Neue Städte sind gebaut worden, moderne Städte offenbar, dennoch gehören sie in die Statistik, nicht in die Geschichte. Auch dieser Text schließt mit einer Frage:Was sind schon Städte, gebaut / ohne die Weisheit des Volkes?Die rhetori­sche Frage be­kundet nicht Unsi­cherheit, sondern Gewißheit. Es lohnt nicht, hier weiter zu suchen,[lii] dahin muß nicht mehr ge­fahren werden. Dennoch, die Frage, eben als rhetorische, soll über­zeugen. An wen richtet sie sich? Wen will Brecht hier überzeugen, daß es nicht lohne, in diese Städte zu fahren, noch we­niger, in ihnen zu wohnen?

Offenbar üben diese Städte eine Anziehungskraft aus, der entgegengetreten wer­den soll. Auf wen haben sie diese Anziehungskraft? In den ersten vier Zeilen spricht ein Ich, Brecht selbst. In den beiden letzten, abgesetzten Zeilen begründet dieses Ich seine Ablehnung: Die Städte sind gebaut ohne die Weisheit des Volkes. Brecht, zu sich spre­chend, aber doch auch zu denen, in dessen Namen er ablehnt, meint: Das Volk kann gar kein Interesse daran haben, in ihnen zu wohnen. Zu­gleich aber soll es ihm doch ge­sagt sein, denn es scheint gerade das Volk zu sein, das der Anziehungskraft dieser Städte erliegen könnte.

Das Volk kann als ein Adressat des Textes ausgemacht werden. Hierdurch wird das Pa­radoxe der Situation deutlich, in die Brecht mit seiner Arbeit einzugreifen sucht: Dem Volk selbst sind seine Interessen nicht klar, im Gegenteil, es scheint, daß es sich ganz gegen sie zu verhal­ten in der Lage wäre. Die Weisheit des Volkes scheint durchaus begrenzt, sie ist in sich wider­sprüchlich. Werner Mittenzwei führt aus, daß die Figur des Schwejk, die Brecht fasziniert hat, diese Weisheit des Volkes zu verkörpern vermag. Mittenzwei charakterisiert sie: ”Es war die Haltung des Überlebens, indem den Herr­schenden nicht widersprochen und dennoch alles ge­tan wurde, um ihre Position zu desta­bilisieren. Für Brecht bedeutete der Schwejk der dialek­tisch aufgehobene Held, der Mann, der für niemanden den Helden spielt, auf den die Herr­schenden nicht bauen kön­nen, obwohl er ihnen nicht wider­spricht.” (Mittenzwei 1987, S. 91) Dies aber galt vor­her, galt unter den Bedingun­gen der Klassenherrschaft, galt noch im zweiten Weltkrieg, in den Brecht den Schwejk schickt, soll jedoch nicht mehr gelten nun, da die Klassen­ge­sellschaft als überwindbar erscheint.

Im Sozialismus aber, fußend auf der Weisheit des Volkes, schreibt Brecht in einer Si­tuation über das Volk, in der Kontakt zu ihm nicht besteht. SchonDer Radwechselzeigte es: Der denkende und wissende Dichter sitzt am Straßenhang, während der Fahrer stumm arbeitet. Brecht hat nicht Anteil am Arbeiten des Fah­rers, auch von dessen Gedan­ken erfährt man nichts. Der Fahrer schweigt, wie Brecht selbst. Brecht sucht den Kontakt durch seine Produktionen, doch die Texte sind argumentierend gegenüber jemandem, der selbst stumm bleibt. Am 17. Juni hatte das Volk aufgeschrien, ein Gewirr von Stimmen - nun schweigt es wieder. Brecht sieht sich in derselben Situation wie die Regierung. Es muß für das Volk, in seinem Interesse, gegen es gehandelt werden. Der Zyklus versucht zu begründen, warum das so ist, mit ihm versucht Brecht darüber hinaus - und hier unter­scheidet er sich von der Regierung -, dem Volk die Mittel bereitzustellen, souveränes Sub­jekt seiner Handlungen zu werden. Die Texte setzen einen reflektierenden, fragen­den, erwägenden Leser voraus, suchen ihn, ganz im Gestus der Avantgarde der zwanziger Jahre, zu ”produzieren”. Die rhetorische Frage will nicht überrumpeln, sondern ein Ar­gument vorführen, sie will auffordern, sich dieser Weisheit würdig zu zeigen. Die neue Fragerichtung aber, die sie eröffnet - warum verhält sich das Volk nicht weise? -, stellt das Vorhandensein dieser Weisheit selbst in Frage. Doch ein Gespräch eröffnet sie auch damit nicht. Da ist ein Rhetor, der nicht einmal weiß, ob er Publikum hat. Aber wo es auch sei, was er auch sagt, er hat das Pu­bli­kum doch in seiner Hand. Er ist es, der redet. Er hat die Lizenz zum Reden. Brecht ist überzeugt, daß das Gespräch zustande kommen kann, die Texte aber lassen Zweifel hervortreten.

Brechts Überzeugung von der Möglichkeit des Gesprächs und von schon vor­han­dener ”Weisheit des Volkes” stärkt der TextBei der Lektüre eines sowjetischen Buches.[liii] Er spielt in der Sowjetunion. Die Weisheit des Volkes bewährt sich in diesem Text in der Auseinandersetzung mit der Natur. Der Text läßt sich lesen wie eine Paraphrase des Marxschen Satzes, daß der Kommunismus der vollendete Na­turalismus und als vollen­deter Naturalismus vollendeter Humanismus sei. Er teilt dessen Illusion. Vorgestellt ist hier ein Zusammenhang von Mensch und Natur, in dem die Natur durch den Menschen bezwungen wird, in einer Weise, die die Natur nicht zerstört, son­dern sie bändigt im In­teresse der Menschen. Eine Bezwingung der Natur nicht gegen sie, sondern auf der Basis einer engen Beziehung zu ihr, auf der Basis ihres Studiums, um sie, für die Men­schen, das Volk, ausnützen zu kön­nen. Das Volk kommuniziert mit der Natur.

Es wiederholt sich, was imBlumengartenbereits ”angelegt” war. Doch dieser Text geht über denBlumengartenhinaus.Zwar ist auch hier eine Naturbeziehung darge­stellt, in der die Auseinandersetzung mit der Natur nicht um Besitz geführt wird, doch ist ihr Re­sultat dies­mal nicht nur die Befriedigung menschlicher Be­dürfnisse, sondern der Kampf befrie­det die Natur selbst, befreit auch sie. Die Wolga zu bezwingen, wird keine leichte Aufgabe sein, sie wird sich mit allem, was sie hat, mit ihren vielen Nebenflüssen, gegen den Staudamm wehren. All ihren ”teuflischen Spürsinn” wird sie ausnützen, mit Zorn sich gegen den Staudamm werfen. Sie wird - wie der antike Held Odysseus - listen­reich und mit erfinderi­schem Genie gegen die Menschen vorgehen. Diese aber, bes­ser gerüstet als Odys­seus durch Liebe, Gesang und Studium, werden sie bezwingen. Und zwar mit folgendem Resultat:

Und die schwarzen Gefilde der Kaspischen Niederung

Die dürren, die Stiefkinder

Werden es ihnen mit Brot vergüten.

Der Mensch hat die Ungerechtigkeit der - vorher durch Brecht auf vielfache Weise ver­menschlichten - Natur beseitigt. Die Natur verhielt sich ungerecht gegen sich selbst (siebentausend Nebenflüsse auf der einen Seite - dürre Stiefkinder auf der anderen). In­dem der Mensch diese Ungerechtigkeit durch seine Arbeit ausgleicht, erntet er die Früchte der Natur. Es wird eine Natur geschildert, die sich gegen die Menschen und gegen sich selbst ungerecht verhält. Sie muß mit Liebe bezwungen werden. Das Maß des Menschen wird gegen die Natur durchgesetzt und als ihr selbst zuträgliches behauptet. Wie das (deutsche) Volk, muß die Natur zu ihrem Glück gezwungen werden. Der Weisheit des (russischen) Volkes muß sich auch die Natur fü­gen.

Das ist die Fiktion, auf der der Gedanke der Weisheit des Volkes in diesem Text beruht, und diese Fiktion wiederum ist selbst durch eine Fiktion vermittelt. Brecht hat die Bezwingung der Wolga und ihre segensreichen Folgen nicht selbst gesehen, sie ist auch noch nicht vollendet, ist Zukunft, und Brecht erfährt von ihrBei der Lektüre eines sowjetischen Buches.[liv] Das ist der einzige Text des Zyklus, in dem die neuen Zeitenalsneue Zeiten beschrieben werden.

Diesen Text herangezogen, wird deutlicher, was Städte, gebaut ohne die Weis­heit des Volkes, bedeuten. Es sind die großen Städte des jungen Bert Brecht, die den alten nicht mehr faszinieren können - gebaut gegen die Natur und gegen die Interessen des Volkes. Das Beispiel der Sowjetunion ist die Verheißung für das Volk, das am 17. Juni durchaus artikuliert hat, in diesen anderen Städten wohnen zu wollen. Doch nur an der Wolga wird Geschichte gemacht, und zwar nicht nur mit der Weisheit des Volkes, sondern durch sie, denn die Bezwingung der Wolga fußt nicht allein auf ihrem Studium, sondern auf dem Ver­hältnis des Volkes zu ihr - Liebe - und auf den Erfahrungen mit ihr, die das Volk gesammelt hat: im Gesang (dessen Stellenwert im Text eines ”elegischen” Dichters, der um Gehör kämpft, nicht unterschätzt werden sollte).

Aber der Text über die fremden Städte enthält noch einen anderen Adressaten­be­zug. Zwar ist, im Kontext des Brechtschen Werkes, durch den Titel des Gedichtes und die Opposi­tion Statistik - Geschichte m.E. deutlich, daß es sich um die Städte der Klas­sengesellschaft handelt, doch der Text ist sehr allgemein gehalten.[lv] Der Text, mit seiner rhetorischen Frage, die auch Forderungscharakter annehmen kann, vermag sich auch an jene zu richten, die heute in der sozialistischen Gesellschaft den Bau von Städten zu pla­nen, zu verantworten und durchzufüh­ren haben (z.B. Stalinstadt, später Eisenhüttenstadt). Das Volk auf seiner Seite sehen zu wollen, verlangte, Städte mit seiner Weisheit zu bauen, sie in ihm zu erwecken. Auch in diese Richtung geht das sowjeti­sche Beispiel als Verheißung, mit der Liebe erst kann es gelingen, auch der Gesang der Dichter darf nicht fehlen. Ohne die Weis­heit der Massen kann die ”große Ordnung” nicht gebaut werden. Das hat Brecht in einem anderen Text desselben Jahres ausgesprochen.

Frage

Wie soll die große Ordnung aufgebaut werden

Ohne die Weisheit der Massen? Unberatene

Können den Weg für die vielen

Nicht finden.

Ihr großen Lehrer

Wollet hören beim Reden!

Doch die beiden Texte des Zyklus lassen erkennen: Die Weisheit des russischen Volkes kann nur in der Verheißung, die sich als nahe Tatsache ausgibt (”noch vor dem Jahre 1958”), behauptet werden, dem deutschen Volk scheint es an ihr zu mangeln. Worauf aber soll dann ge­hört werden?

Den Mangel beschreibt Brecht als Resultat der deutschen Geschichte. Wer soll denn hö­ren können, wenn auch das Volk wie die Führung noch immer diese Ge­schichte im eigenen Verhalten re­produzieren? Keine Antwort darauf in denBuckower Elegien. Die folgenden Texte artikulieren das Erschrecken darüber, wie lebendig die Vergangenheit noch ist.

InGewohnheiten, noch immerwird gezeigt, wie mit dem Volk umgegangen wird, wie es selbst mit sich umgeht, wie ihm noch immer sein Essen angetragen wird, sein nun ihm gehörendes. Schon wird das Essen verteilt, erhält jeder, was ihm zukommen kann, aber er erhält es immer noch von oben, als eine Gnade, die mit Verachtung, herrisch, hin­gereicht wird und als solche akzeptiert, gegessen.

Die Teller werden hart hingestellt

Daß die Suppe überschwappt.

Mit schriller Stimme

Ertönt das Kommando: Zum Essen!

Das Vergnügen, essen, wird zu einer Pflicht, zu einer ungeliebten. Kälte und Härte sind ein­gewachsen, und noch einmal werden die Jungen aufgezogen mit dem Mi­nimalpro­gramm an Freundlichkeit: eine Windel gereicht, das Essen und drei Hände Erde. Das Ei­gentum des Vol­kes bleibt ihm fremd, es wird ihm verordnet, immer noch zugeteilt.

Der preußische Adler

Den Jungen hackt er

Das Futter in die Mäulchen.

Und die jungen Adler - werdende Raubvögel - können nichts dabei finden. Es fehlt, was nun möglich sein sollte: Freundlichkeit, Liebe, Genuß, Vergnügen. Ge­meinsamen Ge­sang macht diese Situation nicht möglich. Die Stimme, die zum Es­sen ruft, ist schrill, sie kommandiert - die Jungen haben den Mund zu halten und zu schlucken.

Die deutsche Geschichte ist aber nicht nur in die Gewohnheiten eingewachsen, sie ist auch noch präsent als gesellschaftliche Struktur. Dies zeigt das StückHeisser Tag. In ihm findet sich eine dem Eingangsgedicht vergleichbare Konstellation, Brecht selbst ist imRadwechselnicht nur ihr Beobachter, sondern ihr Akteur. Da sind Menschen, die von ande­ren Menschen fortbewegt werden. Doch die Kon­frontation inHeisser Tagist ungleich schärfer als imRadwechsel, die Gegensätze sind schreiend. Der Ruderer ist ein Kind, die, die er fortzubewegen hat sind schwer, eine dicke Nonne, dick gekleidet, das Kind muß aus vollen Kräften rudern, um den Kahn vorwärtszubringen, dazu die Hitze des Tages, die die Anstrengung noch wachsen läßt. Nicht das Kind darf sich Erholung, ein Bad gönnen, sondern ein ält­licher Mann im Schwimmanzug, wahrscheinlich ein Priester. Anders als für den Leser, den Brecht durch das krasse Un­gleichgewicht zur Empörung aufzureizen sucht, ist die Verteilung der Tätigkeiten und Gewichte in dieser Nußschale für die beiden Gefahrenen die normale, ”gottgewollte” Ordnung.

Doch nicht alleine die alte Hierarchie wird hier in ihrer Ungerechtigkeit darge­stellt, son­dern auch, daß da die genießen, die des Genusses nicht fähig sind. Die Nonne macht erst gar keine Anstalten zum Bad, sie kann sich nicht mehr bewegen, ist bewegungsfähig nur, wenn sie von anderen fortbewegt wird. Ihr Status als Nonne verbietet darüber hinaus das Bad in der Öffentlichkeit, obwohl sie, ihres Körperumfangs und der dicken Kleider wegen, schwit­zen wird. Sie ist unfähig zur Arbeit und zum Genuß. Der Mann wird charakterisiert als ältlich, er trägt den Kör­per vermutlich gut bedeckende Schwimmklei­der und ist wahrscheinlich Priester, was den Gegensatz zur Sinnlichkeit des Bades be­tont. Dem Kind dagegen, das nur als arbei­tend dargestellt wird, nicht beschrieben, wie die beiden anderen, ist immer noch die ange­strengte, schwitzende Arbeit die einzige Mög­lichkeit, seine Sinnlich­keit zu äußern - zu ent­äußern.

Ein Gespräch zwischen den Klerikern und dem Kind ist unmöglich, schon ein Gespräch im Sinne Brechts zwischen der Nonne und dem Priester ist nicht denk­bar. Auch der Gefahrene und der Fahrer imRadwechselunterhalten sich nicht - Arbeit und Denken sind getrennt, Kom­munikation findet nicht statt. Hörbar wären nur die Geräusche der Ar­beit, die möglicherweise den Nachdenkenden veranlassen, sich abseits, am Straßenhang, Stille zu suchen. Hier jedoch, inHeisser Tag, kann erst gar keine Kommunikation zu­stande kommen. Im Boot herrscht Un­gleichge­wicht, Gegensätze bestimmen den Text: jung - alt; leicht - schwer; bewegend - un­be­weglich; dünn - dick; unten - oben; Hitze - Kühle; Anstrengung - Untätigkeit.[lvi] Die Gegensätze sind nicht zu vermitteln, das Schweigen ist hier unvermeidlich. Der eigentliche Schock für Brecht besteht darin, daß diese Struktur überdauert hat. Der 17. Juni hat ihm dafür die Au­gen geöffnet, vorher nahm er so nicht wahr.[lvii] Er­schrocken, resigniert, empört wird der Be­fund wiederholt:

Wie in alten Zeiten! denke ich

Wie in alten Zeiten!

Keine Frage, eine Ausrufung - sie macht bewußt, was ist. Es wird nicht elegisch beklagt, daß diese Zeiten vorbei sind, nicht erfreut ausgerufen, daß es sie noch gibt - umgekehrt: Beklagt wird, daß es sie noch geben kann und ihnen entgegengetre­ten durch dasWie. Es sind nicht die alten Zeiten, es ist nurwiees in ihnen war.

Bemerkenswert sind zwei Texte, in denen das, was bedroht, noch anders darge­stellt wird, in denen auch anderes Schweigen vorgeführt wird. In ihnen geht es nicht nur um die fehlende Weisheit des Volkes, nicht nur um preußische Härte im Verhalten oder noch vorhandene Herrschaftsstruktu­ren, son­dern es wird die Latenz des besiegten Fa­schismus auch im neuen Deutschland thematisiert.

Der Einarmige im Gehölzverdeutlicht durch den Gang des Textes den Schock, den diese Tatsache verursacht. Wieder scheint es, als würde ein Arbeitender vor­geführt, ein Ein­armiger, offenbar im Krieg verwundet, arm, gezwungen, sich durchzu­schlagen. Brecht be­schreibt äußerst genau die Mühe, die der Mann hat. Er trieft vor Schweiß, muß sich die Stech­mücken beim Holzsammeln durch Kopf­schütteln verjagen, da die zweite Hand fehlt, die es tun könnte. Mühselig sammelt er das Holz auf. Es scheint, folgt man den bisherigen Deu­tungsan­geboten, die der Zyklus gemacht hat, als sollte beschrieben werden, unter welch schwierigen Bedin­gungen in dieser Zeit gearbeitet werden muß: Es fehlt am Nötigsten und um es zu erhal­ten, müssen die, die durch den Krieg gegangen sind, noch einmal alle Kräfte bemühen, aus der Natur holen, was sich finden läßt. Doch was anfangs noch unter das Motiv ”Arbeit” einge­ordnet werden konnte, erweist sich als etwas höchst Be­drohliches.[lviii] Der einarmige Holz­sammler richtet sich auf, streckt die Hand hoch, um zu spüren, ob es regnet. Dann kippt das Bild. Die Geste erweist sich, mit der letzten Zeile des Gedichtes, als erschreckende:

Die Hand hoch

Der gefürchtete SS-Mann.

Sie sind noch da, sie gehen umher schweigend, ver­steckt, sie er­halten sich am Le­ben, und es könnte sein, daß sie warten (schon sam­meln sie).[lix] Man weiß es nicht genau - die hochgestreckte Hand kann vieles sagen: Es könnte die Geste des Erge­bens sein, es könnte, obwohl der Mann vielleicht wirklich nur geprüft hat, ob Re­gen fällt, je­derzeit der Hitlergruß wieder werden, und obwohl es nur noch eine Hand ist, könnte sie - gestreckt - auch wieder eine Pistole halten.[lx] Mit der ge­streckten Hand wird, nach all den Verben der Mühselig­keit, eine sehr starke Handlung ins Bild gesetzt, verstärkt noch durch das Sich-(wieder-)aufrichten. Die Furcht des Autors vor diesen Menschen wird spürbar. Es sind diejenigen, die Brecht mit den Arbeitern am 17. Juni gesehen hat, rote Fahnen verbren­nend. Aber es sind nicht nur jene, die in der Zeit des Faschismus Macht hatten, es sind auch alle anderen, die beunruhigen. Auch die, von denen man annehmen darf, daß sie nicht gemor­det haben:

Vor acht Jahren

Da war eine Zeit

Da war hier alles anders.

Die Metzgerfrau weiß es.

Der Postbote hat einen zu aufrechten Gang.

Und was war der Elektriker?

Man weiß auch das nicht - niemand redet darüber, auch dieser Text ist stumm. Es sind Leute der Buckower Gegend, Mittelstand,[lxi] Dienstleistende, auf die Brecht angewiesen ist wie sie auf ihn, Menschen, mit denen er in Kontakt steht. Aber es ist ein Kontakt - unter ständigem Geplauder, läßt sich vermuten -, der nichts erfahren läßt. Die Leute reden nicht gerne über diese Zeit. Was sie wissen, behalten sie für sich; wenn sie reden, weiß man nicht, wo die Lügen be­ginnen könnten.

Der Autor ist ganz auf seine Vermutungen angewiesen. Was ha­ben diese Leute gemacht, während Brecht im Exil war, was denken sie heute? Kann man ihnen trauen? Haben sie schon vergessen? Hoffen sie, nach dem 17. Juni, die alten Zeiten kommen wieder? Was verstecken die Leute in ihren Köp­fen?

Brecht hat im Exil, anfangs mit Überzeugung, später mit schwindender Hoff­nung, da­rauf gewartet, daß sich die deutschen Arbeiter gegen Hitler wenden wer­den. Sie haben es nicht getan. Brecht vermochte es sich zu erklären: Vorne, so Goebbels in dieser Zeit, konnte man sterben, hinten, als Deserteur, war der Tod sicher. Beruhigung verschafft diese Erklärung jetzt nicht mehr.

Gerade dieser Text zeigt, wie dünn der Boden ist, auf dem eine sozialistische Ge­sell­schaft errichtet werden soll. Das StückDie Kelle- ein Traum - zeigt es auf andere Weise. Ein Schuß fällt, während gebaut werden soll. Woher die Kugel kommt, bleibt unerklärlich. Die Gefahr scheint allgegenwärtig, der Traum läßt dar­stellen, daß sie nicht geortet werden kann. Im Traum kann Brecht dies zugeben. Brecht will nicht, wie KuBa, dem Volk das Vertrauen entziehen, aber er kann auch kein Vertrauen haben. Das Schweigen der Leute muß miß­trauisch machen. Warum wird so viel geschwiegen? Was würden diese Menschen ma­chen, wenn ihnen das Es­sen nicht mehr, wie sie es gewohnt sind, herrisch gereicht würde? Was würden sie tun, könn­ten sie tun, was sie tun wollten? Freie Wahlen, eine Forderung des 17. Juni: Wen wür­den diese Menschen wählen? Noch geht der SS-Mann um, uner­kannt - oder kennen die anderen ihn? Die Frage ”waswar der Elektriker?” ver­weist darauf, daß er anderes als nur Elektriker gewe­sen sein könnte. Die Metzgerfrau läßt blutiges Fleisch assoziieren, der Elektriker tödlichen Strom.

Wie soll Freundlichkeit aufkommen unter diesen Menschen? Ihre eigenen Ge­wohnhei­ten sind nicht freundlich, sie sind verschlossen; die herrische Geste der Macht ist nicht freund­lich und kann es nicht sein; und auch Brecht kann das Miß­trauen nicht unter­drücken, so viel er von der Weisheit des Volkes redet. Die unbe­antwortbaren Fragen mehren sich. Das Ziel der Reise könnte dem Ausgangspunkt ähneln.

Oder es könnte Schlimmeres am Ende der Reise zu erwarten sein als an ihrem An­fang. Ihr endgültiger Abbruch steht zu befürchten, ohne die Möglichkeit, über­haupt noch irgendwo ankommen zu kön­nen. Eine andere Gefahr wird sichtbar, eine ganz neue. Der zweite Weltkrieg hat an seinem Ende eine Vernichtungspotenz hervorgebracht, die es nie zuvor gab. Alles kann durch die Atombomben zerstört werden. Es sind nun trostlose Landschaften vor­stellbar, in denen es noch Häuser, Bäume und See(n) geben mag, aber nicht mehr Rauch, der aus den Häusern steigt (Der Rauch). Nach dem Rauch von Ausch­witz[lxii] folgte der Bombenpilz von Hiroshi­ma.[lxiii] Wie wer­den die Leute auf diese Bedrohung reagieren, was werden sie tun? Brecht ahnt es:

Der Himmel dieses Sommers

Hoch über dem See fliegt ein Bomber.

Von den Ruderbooten auf

Schauen Kinder, Frauen, ein Greis. Von weitem

Gleichen sie jungen Staren, die Schnäbel aufreißend

Der Nahrung entgegen.

Hier verkehrt sich die Beziehung von Mensch und Natur auf verhängnisvolle Weise. Was ein Vorgang unter Menschen ist, dem eingehalten werden könnte, er­scheint als ein natür­liches Geschehen, das sich blind vollzieht, unaufhaltbar. Aber - eserscheintso, von wei­tem, die Menschen schei­nen Stare, sie sind es nicht, sie sind als Menschen in der dritten Zeile kenntlich gemacht. Noch kann Einhalt geboten werden, können die Menschen als Menschen angesprochen, gewarnt werden. Hoffnung und Furcht halten sich die Waage, da es in diesem Text gerade die Men­schen sind, die sich als so blind erweisen könnten, die am verletzlichsten sind und die zunehmend Opfer der modernen Kriege wurden: Frauen, Kinder, Greise. Aku­stisch aber ist nur der Bomber zu hören.

In einem anderen Text hat Brecht gerade Frauen und Kinder - auch die Männer - ein­dringlich angesprochen, sie bittend, sich das Leben zu bewahren:

Ihr Kinder, daß sie euch mit Krieg verschonen

Müßt ihr um Einsicht eure Eltern bitten.

Sagt laut, ihr wollt nicht in Ruinen wohnen

Und nicht das leiden, was sie selber litten:

Ihr Kinder, daß sie euch mit Krieg verschonen!

Ihr Mütter, da es euch anheimgegeben

Den Krieg zu dulden oder nicht zu dulden

Ich bitt euch, lasset eure Kinder leben!

Daß sie euch die Geburt und nicht den Tod dann schulden:

Ihr Mütter, lasset eure Kinder leben!

In dieser Situation höchster Bedrohung verzichtet Brecht auf den Gestus der Be­lehrung; er, der vom Faschis­mus vertrieben wurde, der das Recht hätte zu fordern, bittet. Und er legt diese Bitte dem Präsi­denten der Republik in den Mund, dem Brecht das Gedicht schickt, und dessen Titel die von Pieck gebrauchte Eingangs­floskel seiner Reden auf­greift:An meine Landsleute. Auch so sollte von Kommu­nisten gesprochen werden kön­nen, Erbarmen der Menschen mit sich selbst erbit­tend (in der hier nicht zitierten 1. Stro­phe).

Brecht ist in seinen letzten Lebensjahren, Höhepunkten des kalten Krieges, nicht müde geworden, vor der Gefahr neuer, größerer Kriege zu warnen. Eine der be­kanntesten War­nungen be­schließt seinen offenen Brief an die deutschen Künstler und Schrift­steller (1951): ”Das große Carthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten.” (Brecht 1977b, S. 167) So versucht Brecht, mit sei­nen Texten, dem, was in den Elegien als Be­fürchtung ausgesprochen ist, etwas ent­ge­genzuhal­ten.

Doch es ist nicht nur die Vergangenheit beunruhigend und es sind nicht nur die anderen. InBö­ser Morgensteht sich der Dichter selbst gegenüber, hier wird die Frage an ihn ge­richtet, kommt sein Verschulden zur Sprache. Brecht imaginiert den 17. Juni als auf sich bezogen.

Heute nacht im Traum sah ich Finger, auf mich deutend

Wie auf einen Aussätzigen.

Daß der Dichter zu jeder Zeit Angenehmes zu zeigen weiß, steht nun in Frage, er kon­frontiert sich selbst mit der Arbeiterklasse, und auch hier hat der Kontakt nicht die Form der Umarmung. Klangen andere Zeilen zur Poesie sehr harmonisch und nahezu abgeklärt, wissend, durch Na­turbilder gestützt, wird hier alles fraglich. Der Kontakt mit dem Publi­kum erfolgt im Traum, im Alptraum.[lxiv] Der Dichter muß sich verteidigen:Unwissende! schrie ich / Schuldbewußt.

Der Traum scheint alles zu verkehren, die friedliche Buckower Natur wird häß­lich, widerlich, die Beziehung zwischen Mensch und Natur ist gestört, die Pappel einealte Vettel, der Seeeine Lache Abwaschwasser, nicht rühren. So sieht die Landschaft nach dem Traum aus, das erst scheint sie wirklich zu sein, die vorherige Schönheit dagegen erträumt. Nach dem Kontakt mit ihr kann die Wirklichkeit nicht mehr elegisch wahrgenommen werden, nicht mehr idyllisch, sie taugt nicht mehr zum Gleichnis, an ihr läßt sich nichts mehr erklären, sie zeigt sich, wie sie ist: ungeeignet zum guten Leben, und sie zeigt die Gleichnisse, Elegien und Idyllen über sie als Lüge. Der Traum, der diese Verände­rung verursacht, macht den Dich­ter zum Schuldigen. Nicht auf die Partei, nicht auf die deutsche Geschichte, nicht auf die Faschisten, nicht auf ”den Klassenfeind” ist der Finger der Arbeiten­den gerichtet, sondern auf Bertolt Brecht. Wie­der erfolgt der Kontakt schweigend, die Arbeiter zeigen, reden nicht, der Dichter schreit - zum Gespräch kommt es nicht.

Nur im Traum konnte der Kontakt inszeniert werden, der imRadwechselnicht zu­stande kommt und der im Theater ersehnt wurde.[lxv] Aber die Rollen sind ver­tauscht. Nicht Brecht ist es, der etwas zeigt, sondern auf ihn wird gezeigt, nicht er macht Ursa­chen sichtbar, sondern er ist die Ursache. Nicht er verfremdet, sondern er wird sich selbst fremd. Es ist unbestreitbar ”die Klasse”, die ihm ge­genüber­steht, die Finger sind zerar­beitet. Noch einmal kann Brecht sich retten: Unwis­sende! Noch muß, noch kann erklärt werden, noch die Finger der Arbeitenden geben dem Dichter auch recht: nicht nur zerarbeitet sind sie, sie wurden zerbro­chen.[lxvi] Ohne Dialektik ist die Lage der Arbeitenden nicht zu begreifen. Es ist die gebrochene Klasse, depraviert, die hier mit Fingern zeigt. Sie weiß nicht um die Gefahren, die ihr drohen, auch ihre Führer sprechen darüber nicht offen.[lxvii]

Aber das Schuldbewußtsein bleibt als letztes Wort. Der Gedichte wegen, die sich als Lügen offenbaren könnten? Der Gedichte wegen, die den Weg zu den Unwis­senden nicht finden? Hat der Dichter zu sehr der Regierung und zu wenig der Weisheit der Massen ver­traut, sich mit der Regierung zur Diktatur gegen die Mas­sen verschwo­ren?[lxviii] Es ist mit die­sem Gedicht ein Abgrund sichtbar geworden, der den ganzen Zyklus in Frage zu stellen ver­mag. Die Charakterisierung als (Alp-) Traum aber hält die Möglich­keit offen, sowohl die Sicht auf die Natur am (bö­sen) Morgen wie die Konfrontation als Verzerrung zu deuten.

Nicht nur Brecht trägt Schuld, nicht nur die Arbeiter sind unwissend, und nicht nur auf sie zei­gen die Gedichte Brechts. Der TextDie Wahrheit einigtwendet sich di­rekt an die Parteifüh­rung,[lxix] fordert auf, aus der Konfrontation zu lernen, fordert neuen Umgang mit den Massen. Brecht hat diesen Text im August 1953 geschrie­ben und sendet ihn sofort an Paul Wan­del, den damaligen Volksbildungsminister, ”zu innerem Gebrauch” (Brecht 1983 Bd. 2, S. 662).[lxx] Es wird nicht verlangt, die Diktatur aufzugeben - ange­sichts des gebrochenen Klassenbewußtseins ist sie für Brecht nötig -, aber es wird ange­raten, die Karten auf den Tisch zu legen. Das Vertrauen, das KuBa dem Volk nicht entge­genbringen wollte, wird hier einge­klagt. Die Diktatur kann nur Er­folg haben, wenn die Massen in sie einbezogen werden, so kann sie unnötig werden.[lxxi] Nur so auch kann das eigene Schuldbewußt­sein ab­getragen werden und das eigene Mißtrauen.

Brecht weist auf sein Angenehmes hin:Freunde, ich wünschte, ihr wüßtet die Wahrheitsetzt der Text ein. Hier spricht jemand, der die Wahrheit offenbar zu wis­sen meint, der zumin­dest weiß, daß die anderen, seine Freunde, sie nicht wissen. Merkwür­dige Freunde. Es ist nicht das erste Mal, daß Brecht ihnen diese Wahrheit vorführt. Jene Wahrheit, die nur als Widerspruch exi­stiert, in dem gehandelt werden muß, suchend. Doch sie hören ihn nicht. Die Wahrheit steht da, aufgeschrieben, sie ist nicht endgültig, sondern diskutierbar, nur so Wahrheit.

Niemand hört dem Dichter zu: Da ist (vielleicht) ein Publikum, das Volk, das nicht mit ihm spricht, Freunde, mächtiger offen­bar als er, über ihm, über dem Volk - und auch sie sprechen nicht mit ihm, so sehr er sich um das Gespräch bemüht. Die Konjunktive im Gedicht zeigen Brechts Zweifel: Wissen die Freunde die Wahr­heit, sagten sie sie wenn sie sie wüßten und täten sie es auf die richtige Weise? Miß­trauen ver­giftet die Freundschaft. Ein redender Dichter umgeben von sich abwendenden Menschen, für die er spricht. Der Titel schreit es fast; Freunde:Die Wahrheit einigt. Die Kluft zwischen Volk, Führung und Dichter könnte verschwin­den. Eine Kassandra-Situation: Jemand, der die Wahr­heit weiß, sie ausspricht, wird nicht gehört. Nicht gehört von der Klasse, nicht von ihrer Avant­garde.[lxxii] Im Ge­genteil: Die Fingerbeiderzeigen auf ihn.

Denn Brechts eigene Möglichkeiten zu sprechen sind bedroht. Dies wird asso­ziierbar in dem sarkastischsten Text des Zyklus,Die Musen, dem einzigen, in dem der Name ausgesprochen wird, der für die innere Bedrohung des Sozialismus durch die So­zialisten selbst steht: Stalin (der Eiserne)[lxxiii].

Im April 1953 veröffentlicht Brecht zum Tode Stalins folgende Sätze: ”Den Unter­drück­ten von fünf Erdteilen, denen, die sich schon befreit haben, und allen, die für den Weltfrieden kämpfen, muß der Herzschlag gestockt haben, als sie hör­ten, Stalin ist tot. Er war die Verkör­perung ihrer Hoffnung. Aber die geistigen und materiellen Waffen, die er herstellte, sind da, und da ist die Lehre, neue herzustel­len.” (Brecht 1968 Bd. 2, S. 223) Eine sehr geschickte Stellungnahme, die durch­aus offenläßt, ob denn auch Brecht das Herz gestockt habe. Brecht empfiehlt eher, über den Toten und seine Lehren hinwegzu­gehen und aus der vorhandenen Lehre - es wird vor allem Lenin gemeint sein - neue her­zustellen, den Wettern angemes­senere. Mußte Stalin für Brecht in der Zeit des Exils un­terstützt werden, um Hitler besiegen zu können, so binden sich seine Hoffnungen, auch die in die Sowjet­union, nun nicht mehr an einzelne Po­litiker, sondern ausschließlich an die Klasse selbst, an ihre Weisheit. Von daher hält Brecht den Stalinismus für ausrottbar. So notiert er, zwei Monate vor seinem Tod, in Buckow die zugäng­lichen Dokumente des XX. Parteitages der KPdSU studierend: ”Die Liquidierung des Stalinis­mus kann nur durch eine gigantische Mobilisierung der Weisheit der Massen durch die Partei gelingen. Sie liegt auf der geraden Linie zum Kommunismus.” (S. 224) Das scheint die Wahrheit zu sein, die Brecht weiß. In ihr dürften die beiden größten Illusionen Brechts versammelt sein. Die eine liegt im - von Marx rührenden - Ver­trauen in die sozia­len Interessen des Proletariats, die den Kommunismus erzwingen werden.[lxxiv] Die andere besteht im Vertrauen, daß die Partei, die die Massen als deren Avantgarde zu mobilisieren hat, wirkliches Interesse an einer Mobilisierung gegen den Stali­nismus gehabt hätte.

Die erste Illusion wird in denBuckower Elegienwenigstens vorübergehend und we­nigstens bezogen auf die deutschen Arbeiter brüchig. Sie hatten sich am 17. Juni mit einem Verhalten gezeigt, das Brecht nicht verstand. ”Einerseits warf er den Arbeitern ihre ‘richtungs­losigkeit und jämmerliche hilflosigkeit’ während der Demonstration am 17. Juni vor, dann wie­der beklagte er, wie schnell sie kapitalisti­schen, ja selbst faschistischen Lo­sungen aufgesessen wären. Hieraus leitete sich die zeitweilige Stimmung ab, die er vor allem in den Elegien aus­drückte, keinen Zu­gang mehr zu den Arbeitern zu finden, sie in ihren tatsächlichen Interessen nicht mehr zu verstehen.” (Mittenzwei 1987, S. 532) Zeit­weilig bleibt dies, weil Brecht noch in denBuckower Elegienseine Stilisierung des Proletariats beibehält und nicht beginnt, nach den wirklichen Interessen der Arbeiter zu suchen. Die Ab­straktion Proletariat steht hier gegen die unverständlich handelnden deutschen Ar­beiter, mit denen Brecht nicht einig werden kann, die er aber immer noch auf der Folie seiner Vorstellung von der ”Klasse” bewertet. Von dieser Folie ausgehend werden sie kritisiert (Unwissende) wie heroisiert (Weisheit). Darin steckt theologi­sches Denken, wie Werner Mittenzwei aufgedeckt hat: ”Wenn er [Brecht - AT] auf den Arbeiter im Pro­zeß gesellschaftlicher Veränderung zu sprechen kam, nahm seine Sprache eine fast biblisch zu nennende Diktion an.” (ebd.) Ähnlich die zweite Illusion, bezogen auf die In­teressen der ”Avantgarde” dieser Klasse, der Partei. Sie macht Brecht glauben, sein Auf­rufDie Wahrheit einigtan Paul Wandel geschickt, könnte gehört werden. Es bleibt auch Brechts Hal­tung, daß, solange die Massen die Entwicklung noch nicht selbst in die Hand genommen haben (vor al­lem in Deutschland), ein befohlener Sozialismus besser sei als gar keiner. Deshalb ist das Ziel der Reise so unwillkommen, und deshalb muß sie doch fortgesetzt wer­den. Kein Sozialis­mus bedeutet für Brecht Faschismus.

Auch das StückDie Musenmacht Illusionen deutlich. Es handelt von der Kunst, dem Ge­sang, dem Volk nötig. Die Chancen der Kunst könnten verspielt werden. Un­zweifel­haft bezieht sich das Gedicht auf die Formalismusdiskussion, die in der So­wjetunion durch Shdanow mit seiner Polemik gegen einige Komponisten be­gonnen wurde und in der DDR 1951 durch das Formalismus-Plenum fortgeführt worden ist. Brecht hatte sich schon in den Jahren des Exils mit dem Formalismus­vorwurf auseinan­dergesetzt. Ei­nerseits schien ihm eine Diskussion über Formalis­mus nötig, gerade ange­sichts dessen, was in Westeuropa an Kunst produziert wurde (Brechts Antipoden auf dem Theater der Nachkriegszeit waren die existentia­listi­schen Autoren). Andererseits schien ihm die Dis­kussion selbst formalistisch ge­führt, in ihr wurde gerade die (moderne) Kunst bekämpft, die für Brecht am besten in der Lage war, sozia­listische Impulse freizusetzen. War mit Lukács in dieser Hin­sicht noch theoretische Auseinan­dersetzung möglich, so wa­ren die ”Argumente” des Formalismusplenums der SED von 1951 einfach lächerlich. Brecht hielt sich mit Äußerungen völlig zurück (auch seine Exilpolemiken gegen Lukács hatte er nicht veröffentlicht). Andererseits rückte er von seinem eigenen Stand­punkt in der Theaterar­beit, der poetischen Produktion überhaupt, nicht ab und wurde, im Ge­gensatz zu anderen Künstlern, durch die Formalismuskampagne an der Arbeit kaum gehin­dert.[lxxv] Es gab zwar die Diskussion um die Lukullus-Oper, aber es ge­lang hier doch, gemein­sam mit Paul Dessau, gegen den sich die Hauptvorwürfe richteten, tragfähige Kompromisse zu fin­den.

Vielleicht ist es diese Möglichkeit, die Brechts Haltung in dem Text bestimmt, obwohl ihm nicht entgangen ist, daß durch die scharfe Kampagne andere Künstler in ihrer Produktivität äußerst stark beschnitten wurden[lxxvi] (auch Hanns Eisler), daß in deren Folge auch Kunstwerke vernichtet worden sind (Strempel-Wandbild) oder gar nicht erst produziert wurden (die Musik zumJohannes Faustus).

Merkwürdig an dem Text ist, daß sich der sarkastische Zorn nicht vorrangig auf den Ei­sernen bezieht, der da prügelt, sondern auf die, die geprügelt werden. Ob­wohl Brecht in der DDR immer wieder mit fragwürdigen Haltungen zur Kunst konfrontiert wurde und dies auch zum Gegenstand von Texten gemacht hat (Nicht feststellbare Fehler der Kunstkommission)[lxxvii], unterschätzt er in diesem Gedicht die Gefahren der politischen Bevormundung der Künste. Es werden statt dessen die Künste angeprangert. Deren Op­portunismus - unnötig, wie es scheint - wird in grellen Farben, angewidert, dargestellt.[lxxviii] Ein lauter Text. Brecht vermischt in die­sem Gedicht antike Schönheit mit politischer und sexueller Gewalt. Die Musen, Töchter der Götter, werden unter dem Prügel Stalins zu Huren. Die antike Vor­stellung wird in ihr Gegenteil ge­kehrt. Die Musen berühren nicht, sie werden ge­züchtigt. Doch sie leiden nicht nur, sie stöhnen vor Wol­lust. Die Musen, geprügelt, singen lauter, aber sie klagen nicht. Der Schmerz treibt sie nicht in die Empö­rung, sondern williger werfen sie sich dem Prügler in die Arme, hündisch. Der Hin­tern zuckt vor Schmerz / Die Scham vor Begierde.

Das drückt höchste Verachtung aus, Haß. Offen bleibt, wem gegenüber. Die Mu­sen? - denkbar allgemein. Brecht unterläßt hier die in anderen Texten durchaus übliche Konkretisie­rung. Das Problem dieser Zeit verfehlt der Text.

Einer der wichtigsten Texte des Zyklus ist das GedichtRudern. Gespräche. Hier ist die Unruhe, die viele andere Texte auszeichnet, für einen Moment überwunden. Sie ist nicht zum Still­stand gekom­men, aber die Gegensätze sind hier so vermittelt, daß Harmonie aufscheint, Harmonie in der Bewegung von Gegensätzen. Der Text gestaltet das Ziel, an das Brecht gerne gelangen würde. Mensch und Natur sind unterscheidbar, aber einander freund­lich.[lxxix] Die Faltboote mit den bei­den jungen Männern ”gleiten” vorbei, die Männer sind nackt. Von ihnen geht nichts aus, was Mißtrauen hervorrufen oder Gefahr signalisieren könnte. Jeder von ihnen bewegt sich aus eigener Kraft im eigenen Boot, während sie sich miteinander unterhalten. Arbeit - rudern - dient hier dem Vergnügen der beiden Män­ner. Sie sprechen mit­einander, sind ”ein Gespräch”. Das Vergnügen der Arbeit, des In-der-Natur-seins und der Kommunikation sind in eins gefaßt. Der Text ist ein Gegen­stück zuHeis­ser Tag. Auch deswegen ist wichtig, daß der alte Kahn dieses Gedichtes hier ein modernes, sportliches Falt­boot ist. Wer darin sitzt, muß selbst rudern (eigentlich paddeln), hier ist gar keine alte Arbeitsteilung möglich. Die Personen sind nackt, können also nichts verbergen wie vielleicht die Leute inVor acht Jahren. Die bei­den jungen Männer nutzen die Natur für ihre Zwecke, indem sie sich ihr anpassen (gleiten) und in ihr arbeiten - sie ist in ihrer Gefährlichkeit bezwungen (Wolga) wie die beiden sie weise nutzen (Der Blumengarten). Der See ist ruhig, kein Bomber stört die Abendstimmung, die durch das Gespräch beherrscht wird - eineneueGe­wohn­heit. Den jungen Männern ist nicht einmal Wind vonnö­ten - in der Natur ar­beitend, vermögen sie sich selbst zu bewegen. Der den Text abschließende Kyklos, ein doppelter Chiasmus, hebt die Harmonie in der ständi­gen Be­wegung hervor:

Nebeneinander rudernd

Sprechen sie. Sprechend

Rudern sie nebeneinander.

Mit einer Utopie aber kann der Zyklus nicht schließen, auch der TextBei der Lek­türe eines sowjeti­schen Buchesbeschließt ihn vermutlich nicht[lxxx] (obwohl sein Titel im Schlußtext aufge­griffen wird), sondern es ist ein historisches Gleichnis, mit dem die Unterbrechung der Fahrt beendet wird - die letzten Zeichen des Zyklus sind drei Punkte. InBei der Lektüre eines spätgriechi­schen Dichterswird Mut durch das Gleichnis angeboten, gute Hoffnung, nicht mehr. Der Mut und die gute Hoffnung, die die Troer empfanden, als ihr Fall gewiß war. Brecht findet den Mut, diese Wahrheit auszusprechen, die dennoch Hoffnung zu erzeugen vermag. Aber dasWenn nichtfällt so kräftig und überzeugend nicht aus, wie er es sich von den ”Freunden” ge­wünscht hat. Diese”Wahrheit” steht auch Brecht nicht zur Verfü­gung. Es ist der einzige Text, in dem Elegisches direkt formuliert ist: Die Toten­klage hat bereits begonnen.

So sehr der Zyklus sich mit der Gegenwart beschäftigt hat, mit ihrem Material kann der Mut offensichtlich poetisch nicht gestaltet werden,[lxxxi] aus der Zukunft soll er nicht spekuliert werden, es bedarf der weiten historischen Geste, ihn sich zu ma­chen. Der Zyklus enthält kei­nen Text, der als Affirmation der DDR-Gegenwart gelten könnte, so sehr Illusion eine seiner Grundlagen ist. Diese Gegenwart wird den­noch nicht negiert, sondern analysiert und kriti­siert, soweit es von Brechts Grundlage aus möglich ist. Die DDR galt Brecht schon vorher als transito­risch, nun aber ist die Zukunft dieser Gegen­wart fraglich geworden. Auch die Troer also..., sind die letzten Worte des Zyklus, noch mit den drei Punkten auf seine Unab­schließbarkeit verweisend. Unabschließbar nicht, weil eben die Geschichte offen ist, son­dern unabschließbar, weil eine andere Antwort als die der Troer nicht gefunden werden konnte, die Gegenwart gibt sie nicht her, vorerst: auch darauf mögen die drei Punkte hoffend verweisen.

Unterstellt diese Schlußzeile: Auch die Troer also hatten Mut und gute Hoff­nung in aussichtslo­ser Lage? Oder: Auch die Troer fielen? Geschichte ist kein mythi­sches Fa­tum für Brecht. Entscheidung kann nur die Fortsetzung der Reise bringen, da die Denkpause klar ge­macht hat, daß das untätige Verweilen in jedem Falle fatal sein würde. Sie muß fortge­setzt werden, weil sie fortgesetzt werden kann, daher die Ungeduld.

Dreimal wird wiederholt, wie wenig es ist, was in dieser aussichtslosen Situation getan werden kann, aber doch getan wird und doch Hoffnung gibt:

Richteten die Troer Stückchen gerade, Stückchen

In den dreifachen Holztoren, Stückchen.

Der Zyklus bleibt nicht ohne Ergebnis, die Reise wird fortgesetzt werden - aber weit be­unruhig­ter als sie angetreten worden ist. Der Radwechsel, die Unterbre­chung erst hat er­kennen lassen, daß das noch zu erreichende Ziel so ungeliebt sein könnte, wie es der An­fangspunkt der Reise war. Ungewiß ist es allemal.

Dabei ist durchaus ambivalent, worin die Gefahr besteht, die den Un­tergang gewiß machen könnte. Historisch sind es äußere Feinde, Achill. Bei Brecht aber ist der ”Feind” - Ka­pitalismus, Faschismus - außen und innen lokalisiert (der Westen in der DDR - keineswegs ein trojani­sches Pferd). Hinzu käme - wofür sich in dem Text keine Entsprechungen finden lassen, wohl aber im Zyklus insgesamt: Stali­nismus. Ganz unklar da­gegen bleibt, woraus die Hoff­nung der Troer sich nährt. Kein Wort dazu, nicht einmal - das zeigen die Interpretationen des Textes - eine Andeutung konnte aus dem Text spekuliert werden. Da ist nichts.

Auffällig ist, daß es zu diesem Gedicht kaum Interpretationen gibt, die in ir­gendei­ner Weise einleuchten. Es steht am Rande aller Interpretationen, die ich kenne, während es für mich den Zyklus zu resümieren scheint, die einzige Antwort auf die Frage desRadwechselsgibt, die Brecht finden konnte: Die Fahrt muß fort­gesetzt werden, weil es zu ihr keine Alternative gibt. Erst von diesem Ziel aus sind weitere Reisen möglich. Die Un­geduld wächst.

Ganz am Anfang des Zyklus, noch vor dem Eingangsgedicht, in einem kleinen Vierzei­ler, der Sammlung als Motto beigegeben, wird von dieser neuen Reise be­richtet. Diese Reise, für die es nicht so wichtig wäre, daß das Fahrzeug perfekt funktionierte, be­darf mehr als eines Fahrzeugs, eines Fahrers und einem, der ge­fahren wird:

Ginge da ein Wind

Könnte ich ein Segel stellen.

Wäre da kein Segel

Machte ich eines aus Stecken und Plane.

Da geht aber kein Wind. Seine Abwesenheit wird beklagt. Ungeduldig beklagt, da die Flaute den Dichter selbst zur Untätigkeit verurteilt.[lxxxii] Er kann nichts tun. Derar­tiges hatte Brecht noch nie geschrieben, und auch nach der Denkpause des Som­mers 1953 in Buckow finden sich sol­che Töne nicht mehr. Nichtsdestotrotz: Daß da kein Wind ist, heißt für Brecht immer noch nicht, daß er nicht doch aufkommen könnte.[lxxxiii] Deswegen ist der Zyklus geschrieben, das Motto provoziert den Leser, wie es ihn bittet.

Doch weist nichts im Zyklus darauf hin, daß ein Wind sich regen könne. Die Akustik der Texte, das Schweigen, macht es deutlich. Von der großen Aus­sprache ist nichts zu hören: Es schweigen die Arbeiter, die in den Texten vor­kommen, und in den neuen Städten ist auf ein gutes Gespräch nicht zu hoffen. KuBa läßt Flug­blätter verteilen. Wo die alten Gewohnheiten noch anzutreffen sind, wird komman­diert und das Maul gehalten, wo die Hierarchien der alten Zeiten herrschen, kann nicht geredet werden. Die Leute schweigen sich über ihre Vergangenheit aus, noch schweigt der SS-Mann, und auch die Freunde antworten nicht, sowenig wie die Bücher und die al­ten Dichter. Und keiner scheint zuzuhören. Der Ei­serne prügelt stumm und die Musen singen lauter vor Schmerz und Geilheit, noch donnert die Wolga ungezähmt, und es fällt ein Schuß. Lediglich die beiden Ruderer sprechen miteinander. Doch der Bomber dröhnt über dem See, während auf den Mauern Trojas die Totenklage schon begonnen hat, und einmal hört man den Dichter schreien: Unwissende.

Der einsame Segler

Doch einen gibt es, der spricht: Brecht selbst. Wie das geschieht, das läßt nun doch auch inner­halb der Texte eine Entfremdungsstruktur hervortreten, die für die DDR charakteristisch ist, obwohl Brecht sie nicht thematisiert.

Vergleicht man dasMottomit demRadwechsel, könnte man denken, daß es ge­rade nicht fortbestehende Entfremdung ist, die der Dichter in seinem Verhältnis zu den Arbeitern und der Führung beklagt, weil imMottokein Fahrer benötigt wird: Brecht würde, ginge es, das Fahren über­nehmen. Brecht ist hier nicht selbst einge­bunden in die soziale Arbeitsteilung, die inHeisser Tagdie Welt in Gefahrene und Fahrer unterteilt und die jedem von ihnen absurdes Verhalten vor­schreibt. Kom­munikation zwischen den Geschlechtern, den Gene­rationen und den sozialen Sphären ist sowenig möglich wie gemeinsame Produktion und gemeinsamer Ge­nuß. ImMottoist Brecht, wie in vielen anderen Texten, alleine. Das ge­rade istseineSi­tuation. Es sind nicht Gefährt und Fahrer, was er braucht, aber doch Wind, damit die Segel aufgestellt werden können und die Reise weitergehen kann.

In sehr vielen Texten gibt es diese Konstellation. Etwas ist unterbrochen wor­den, es herrscht - plötzlich - Stillstand, und es ist offen, wie man weiterkommen kann, wie erneut Bewegung - und wohin? - in Gang gesetzt werden könnte. Dem Schweigen der Texte kor­respondiert die eingefrorene Bewegung in vielen von ih­nen. Brecht ist, wie bei der Suche nach dem Gespräch, abhängig von anderen, er alleine kann nicht errei­chen, was zur Produktion von Poesie - und darum geht es imMotto- nötig ist. Aber er ist inallenTexten alleine oder isoliert von den ande­ren. Brecht leitet die Elegien mit einem Kunststück ein, mit der Absurdität, die ihn selbst betrifft: Er schreibt über und in einer Situation, in der nicht ge­schrieben werden kann. Brecht ist vom Verstummen bedroht.

Brechts Dichtung sieht sich sozialen Funktionen verpflichtet, sie ist dem avant­gar­disti­schen Gedanken der Produktion verbunden, der von ihm politisch inter­pretiert wird. Brecht begreift seine Texte als Produktionen für Produzenten, die in einem gemeinsamen Prozeß der Produk­tion stehen und einander dabei nötig ha­ben. Brechts Texte wollen nicht nur aufklären, sondern aufklärend in gesellschaft­liche Prozesse eingreifen, in Prozesse, von denen Brecht hofft, daß sie aus der alten Entfremdung und ihren tödlichen Folgen herausführen werden. ImMottomuß jedoch konstatiert werden, daß solche Bewegung nicht vorhanden ist. Noch einmal kann Brecht sich retten, indem er die Bedrohung kla­gend und fordernd, bittend, artiku­liert. So soll Bewegung, aus der Bewegungslo­sigkeit heraus, provoziert wer­den. Deutlich aber wird nun in dieser für Brecht einzigarti­gen Situation, daß da ein (avantgardistischer) Dichter ist, der aus der entfremdeten, ar­beitsteiligen Position autonomer Kunst herauswill, aber sie nicht verlassen kann. Es ist nicht nur keine Bewegung da, es könnte auch das Publikum verlorenge­gangen sein. Es könnte dem Publikum gleichgültig sein, ob sich der Dichter müht, Angeneh­mes hervor­zubringen oder nicht. Dem ist Brecht ohnmächtig ausgeliefert. Diese Ohnmacht wird hier zum ersten Mal erfahren. Brecht sieht sich in der Lage des entfremdeten Dichters, aus der er sich heraus glaubte. Erschreckend ist weniger die zerstörte Illu­sion, als vielmehr was mit ihr zer­stört wurde: Brecht hatte seine ganze Dichtung, ihre Struktur, die Weise ihrer Pro­duktion, die gesamte Existenz als Dichter daran gebunden, die Autonomie gegenüber der Gesell­schaft durchbrochen zu haben. Nun ist er seiner Rolle als Dichter ausgeliefert. Zu hören ist vor allem die Stimme des Dichters in ihren wechselnden Tonfällen: kla­gend, ar­gu­mentierend, vorfüh­rend, verführend, empört, sarkastisch, ironisch, nachdenk­lich.

Produktion von Dichtung, Produktion der gesellschaftlichen Strukturen und materielle Produktion sind auch innerhalb der sozialistischen Gesellschaft drei von­einander ab­gegrenzte Bereiche, die je eigene Interessen gegeneinander haben, so sehr der Dichter vorzu­führen trachtet, daß seine Interessen mit denen der Ar­beiter und denen ihrer Führung identisch sind - daher kritisiert er beide. Das macht die Spezifik dieser frühen Thematisierung von Ent­fremdung in der DDR aus: Brecht meint noch in den Texten derBuckower Elegiensie sei grundsätzlich überwunden, muß sie aber in der Struktur dieser Texte reproduzieren - wenn er nicht dazu übergehen will, in den Kanon der Schönfärber einzustimmen. Um dies vorzuführen, sei abschließend ein Text herausgegriffen, an dem dies demonstriert werden kann.

Brecht imaginiert sich in dem StückDie Kellein die Rolle des Arbeiters auf dem Bau (in der Stalinallee?). Jan Knopf hat gezeigt, daß der ethische Dativmir meine Kelledarauf ver­weist, daß die Eigentumsbeziehung zum Werkzeug, mit dem hier gearbeitet wird, eine nichtent­fremdete ist. Es handelt sich um Eigentum, das nur als gesellschaftli­ches vorge­stellt werden kann, zu dem der Tätige deshalb eine persönliche Beziehung auf­zubauen in der Lage ist. Aber es sind nicht die Arbeiter, die mit der Kelle hantieren, es ist Brecht, der Dichter, der das ihm fremde Werk­zeug benutzt, indem er es als eigenes vor­führt. Und wiederum nur im Traum ist dieser Rollen­wechsel möglich. Aber warum ist er nötig? Vielleicht, weil die Arbei­ter nicht wissen, daß es sich um ihr Eigentum handelt, nicht wis­sen, wie folgenreich dieses Unwissen ist? Doch Brecht hat noch in der Rolle als Arbeiter seine eigene Situation mitgebracht, die Situation des Dichters. Auch als Arbeiter auf dem Bau ist Brecht alleine. Noch mit der Kelle arbeitend, führt er etwas vor, klärt auf - ohne ein Publikum zu haben. Die anderen Arbeiter sind nicht da. Streiken sie? Arbeitet nur noch Brecht, weil die Reise weitergehen muß? Schießt gar das ”Publikum” auf den streikbrechen­den Dichter?

In der fremden Rolle des Arbeiters sieht Brecht das Werkzeug so, wie es die Arbeiter offenbar nicht zu sehen in der Lage sind: als eigenes. Brecht, der die Ar­beiter als Vorbild für seine Tätigkeit ansieht, der auf ihrer Weisheit bauen will, be­lehrt sie in seinen Texten. Er kann die eigene soziale Situation auch in der fremden Rolle nicht verlassen. Er bleibt der einsam vorfüh­rende Dichter, auf des­sen fremdes eigenes Werkzeug dann auch noch geschossen wird - von wem? Ob es die eigenen Leute sind oder fremde, das bleibt in diesem Text unaufgelöst, es ist für Brecht unauflösbar. Was mit dem halben Werkzeug in der Hand des Dichters noch zu be­werkstelligen sein wird, bleibt ebenso offen.

Schüsse jedenfalls hat es gegeben in den Tagen des Aufruhrs - den Sturm am Baugerüst dagegen, den Brecht in einem anderen Text imaginiert (Eisen), der Sturm, der ihm die Segel füllen würde, den Eisernen, Stalin, das ganze Gerüst her­unterreißend, gibt es wieder nur im Traum. Die Arbeiter finden sich zudiesemSturm, dem einzigen, der dem Dichter helfen würde, nicht bereit. Auch die Füh­rung möchte diese Wahrheit nicht hören.

Noch in dem harmonischsten Text des Zyklus (Rudern, Gespräche), dem Text, in dem ein Gespräch wirklich stattfindet, in dem die Gegensätze von Produktion, Natur, Gesellschaft, Einsamkeit und Gemeinsamkeit in ihrer Bewegung Schönheit hervorbrin­gen, noch in diesem Text findet man den Dichter an der gewohnten Stelle: Sitzend am Ufer des Sees beschreibt er. Keinen Millimeter konnte er sich aus dieser Position fortbe­wegen.

Brecht gelingt es, Entfremdung in der DDR, die Gegenläufigkeit der In­teressen von politischer Führung, künstlerischer Intelligenz und Arbeitern zu erkennen. Das macht ihm die Reise unbehaglich. Doch obwohl Brecht die Ent­frem­dung sieht, erscheint sie ihm noch als Störung, zu beheben durch den Dialog der Subjekte der Gesellschaft: die Arbeiter, die Führung, die Künstler. Brecht selbst steht bereit. DieBuckower Elegienhaben gezeigt, daß die Situation verfahren ist, wie zugleich jeder Text als Aufgabe gelesen kann, die dem Dichter ge­stellt ist. Brecht hat mit Hilfe der Klage für sich formulieren können, warum mit der Pro­duktion fortge­fahren werden muß. DieseTexte mußten nicht ver­öffent­licht wer­den.

Überall zu Hause - überall fremd

Christa Wolf: Nachdenken über Christa T.(1968)

Christa Wolf kommt aus einer anderen Generation als Bertolt Brecht, und sie ge­hört zu denen, die im faschistischen Deutschland gelebt haben. Das bestimmt ihr Verhältnis zum Sozialismus, es ist anfangs gläubig und unkritisch. Brecht erkennt schon 1953 Gefahren für den Sozialis­mus, die ihre Generation erst in den sechzi­ger Jahren wahrnehmen wird. ”Ginge da ein Wind”, schrieb Brecht 1953 - ”Wann, wenn nicht jetzt?” fragt, fordert Christa Wolf 1968.[lxxxiv] Auch die Hoffnung, daß es weitergehen wird, wiederholt sich, das Gefühl, keine Alternative zu haben. Doch es sind gegenüber Brecht andere Gefahren, die Christa Wolf artikuliert. Sie reflektiert stärker die inneren Widersprüche der sozialistischen Gesellschaft, und sie stellt schär­fere Fragen an sich selbst und ihre Mög­lichkeiten als Schriftstellerin. Entfremdung als immanentes Problem des Sozia­lismus wird sichtbar und der ei­gene Anteil an ihr. Die Kritik an dieser Ent­fremdung ist analyti­scher als die Brechts und selbstreflexiver, die eingreifenden Möglichkeiten des Schriftstellers er­scheinen fragwürdiger. Das Individuum wird zum Mittelpunkt der Frage nach den Wider­sprüchen in dieser Gesellschaft.

Das Motiv der Entfremdung bei Christa Wolf

1958, nach dem Germanistikstudium (1949 - 1953) und während ihrer Tätigkeit in Insti­tutionen der Literatur in der DDR,[lxxxv] schreibt Christa Wolf in einer Rezen­sion: ”In unserer Gesellschaft stimmt dieses Grunderlebnis [der Entfremdung - AT] einfach nicht mehr.” (zit. n. Dröscher, S. 30) Dies ist gesagt, fast schon be­schwörend, anläßlich des Romans von Rudolf BartschGeliebt bis ans bittere Ende.

Nach 1945 versuchte die junge Frau konsequent mit der Ideologie, die sie wäh­rend der Zeit des Faschismus verinnerlicht hatte, zu brechen. Der neue sozialisti­sche Staat wird zum un­befragten neuen Anfang. Der Einsatz für ihn fiel um so leichter, da mit ihm die Möglichkeit wirklich menschlicher Gemeinschaft in greif­bare Nähe zu rücken schien. Erst sehr viel später wird Christa Wolf bemerken - und als eine der Wenigen auch aus­sprechen -, daß, bei Wand­lung der Inhalte, die Strukturen des Denkens und Verhaltens eine hartnäckige Kontinuität aufwei­sen. ”Schneller, leichter konnten wir die Irrlehren, die Ideologie des Ungeistes durch­schauen, als wir unsere tiefe Verunsicherung, die Verführ­barkeit durch Macht, den Hang zu Schwarz­weiß-Denken und zu geschlossenen Gedan­kengebäuden über­winden konnten.” Vom ”Hang zur Ein- und Unterordnung”, von der ”Ge­wohn­heit zu funktionieren”, von ”Autoritätsgläubigkeit, Übereinstimmungssucht” und der Angst ”vor Widerspruch und Widerstand”, vor dem ”Ausge­schlossenwerden aus der Gruppe” ist die Rede (Wolf 1989, S. 449). Das wurde gesagt in der Dank­ansprache zu einem Preis,[lxxxvi] der in den neunziger Jahren der nun ”Staats­dichterin” genannten Christa Wolf wieder aberkannt werden sollte - eben weil sie, so Ulrich Greiner u.a. im soge­nannten ”Literaturstreit” um Christa Wolf, Widerstand in der DDR nicht geleistet habe.

SeitNachdenken über Christa T.ist diese Übereinstimmungssucht Gegenstand der Texte Christa Wolfs, die Texte selbst sind der Versuch, ihrer gewahr zu werden, sie aufzu­decken und aufzulösen. Inzwischen ist die Haltung, Widerspruch anzu­melden, längst dominant geworden. Dennoch bleibt die Suche nach wirklicher Übereinstimmung, bleibt auch eine Nei­gung zu abschließbaren Gedankengebäu­den und literarischen Tex­ten. Aber sie muß anders erklärt werden, nicht jenseits von Widerspruch und Widerstand, sondern aus Widersprüchen. Es ist nicht einfa­che Fortsetzung des 1958 Formulierten, wenn Christa Wolf noch 1993 im wieder vereinten Deutschland erklärt: ”Es gehe also um ein ‘Aufbauprogramm’, das eine ‘Reindustria­lisierung und aktive Ar­beitsmarkt­politik’ garantiere. Das ist wohl richtig, denke ich... und doch ist auch etwas daran nicht richtig, denn alle Ret­tungsvorschläge sind darauf aus, das alte Mon­ster, die Industriege­sellschaft, in ih­rem alten Glanz wiederherzustellen, also auch ihre Prioritä­ten und Werte, also auch ihren Entfremdungseffekt, der dazu geführt hat, daß Menschen sich nur noch über Arbeit definieren und wert finden und mehr Freizeit nicht nur als soziale, son­dern auch als existentielle Bedrohung empfinden müssen.” (Wolf 1994, S. 283)

Das ist nicht gedankenlose Kontinuität, nicht, wie 1958, gerichtet gegen das kriti­sche Wort eines Schriftstellers, sondern ist selbst der Versuch, nüchtern Kritik zu üben, selbst eine Form des Widerspruchs. Davor liegt - begonnen mitNachden­ken über Christa T.- das Sicht­barmachen von Entfremdung im Sozialismus. Auch 1979, im Brief an Kon­rad Wolf, als, nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns, be­reits klar ist, daß die Intellek­tuellen in der DDR der Ent­fremdung in diesem Land nahezu ohnmächtig unterworfen sind, strukturiert die Gegenüberstel­lung Entschei­dungen: ”Woraus ich aber gar nichts an Produktivität mehr ableiten kann, das ist dieses Denken in falschen Alternativen und die daraus abgeleitete oder dadurch gerechtfertigte Praxis. Ein un­heimlicher, immer schneller gehender Prozeß der Umwertung aller Werte ist da im Gange, in dessen Verlauf der Teil der Intelligenz, der nach geistigen Alternativen zum Kon­sumdenken und zur Entfrem­dungspraxis des Kapitalismus sucht, unter die Räder kommen muß oder mußte...” (S. 75) Noch unter den Rädern jedoch kann das ”Tauschangebot” (CT, S. 53) nicht ange­nom­men werden, noch in dieser fatalen Stellung ist Produktivität möglich, er­scheinen andere in aussichtsloserer Situation: ”Ich begann mich zu fragen, wann und aus welchem Grund ich in der deutschen Literatur Zuflucht gesucht hatte; warum ich zurückgegangen war an eine Wur­zel der Moderne, der Entfremdung, des Indu­striezeitalters - wie alles in Deutschland verspätet. Wie ich mich einlebte in die Gei­steswelt der Frauen der Romantik, Karoline, Bettine, Nach­fahrinnen ei­ner gescheiterten Revolution wie wir. Ihre Lebens­läufe, ihre zerreißenden Kon­flikte. Wie sie daran zugrunde gingen oder etwas daraus machten. Wie in mir selbst eine bange Zeit lang beide Möglichkeiten einander die Waage hielten.” (Wolf 1994, S. 326f.) Selbst als - spätestens mitKassandra- derDialektik der AufklärungHork­heimers und Adornos nahe[lxxxvii] - Entfremdung nicht mehr in sozialistische und ka­pitalistische un­terschieden werden soll, als von der patriarchalischen Zivilisation überhaupt die Rede ist, von unserer Kultur, der Industriege­sellschaft, bleibt doch, noch 1994, ein Unterschied: ”Ich habe den Eindruck, viele ehemalige Bürger der DDR nehmen die Erfahrung der neuen Entfremdung, der sie ausgesetzt sind, die Er­fahrung auch, daß Offenheit gegen sie verwendet wird, als Vor­wand für die Ab­wehr jeder kriti­schen Selbst­befragung oder sogar für die Umdeutung der eige­nen Biographie.” (S. 335) Neue Entfremdung meint andere Entfremdung.

Entfremdung, die eine und die andere, ihr Zusammenhang, bilden einen der wich­tigsten Gegenstände des Nachdenkens Christa Wolfs. Bereits inNachdenken über Christa T.ist Schreiben selbst als Tätigkeit der Entfremdung erkennbar, als Ver­dinglichung. Dennoch wird festgehalten am Produzieren von Texten und am Versuch, dies in dem Teil Deutschlands zu tun, der nicht durch ”Konsumdenken”, sondern durch unerträgliche ”gesellschaftliche Mau­ern”, an denen sich die Schriftsteller ”die Stirn wund reiben” (Anna Seghers)[lxxxviii] gekenn­zeichnet ist.

Warum? Wie unterscheidet sich aus der Sicht Christa Wolfs die eine Entfrem­dung von der anderen? Welche Erfahrungen stehen dahinter? Welche Illusionen?

Das sind Fragen, die das gesamte Werk Christa Wolfs betreffen, hier aber soll nur der Text untersucht werden, der den Bruch zwischen Übereinstimmung und Wider­spruch markiert. Voran eine These, die die Richtung von Antwortversuchen be­stimmen kann, die begründen soll, warum ich in diesem Abschnitt suchend vorgehen werde, eher erklärend, denn kritisch (bezogen auf Christa Wolf). In der heuti­gen Auseinandersetzung fehlt gerade der Versuch der Erklärung. Die laute Kritik an Christa Wolf ist zu voreilig, sie deckt zu, was erst ver­standen und erinnert werden sollte. Prämisse dieser Kritik ist das Ausgehen vom Ende der DDR, das Ausgehen davon, daß Kritik von Schriftstellern in der DDR an der DDR, Kritik des Sozialismus überhaupt sein müsse, en­dend in der Ab­wendung von der DDR.[lxxxix] Nur dann könne ihr Konsequenz zugesprochen wer­den.[xc] Ent­fällt aber so nicht, was für Christa Wolf und an­dere Schriftsteller ein entscheidendes Mo­tiv des Bleibens wie des Arbeitens darstellte: die Kritik an kapitalistischer Entfremdung? Warum, wenn Entfremdung späterhin als Phänomen der In­dustriegesellschaft überhaupt be­schrieben wird, die Alternativen Sozialismus und Kapitalismus übergreifend, er­scheint die DDR dennoch als der aussichtsreichere Ort, Möglichkeiten der Überwindung von Ent­fremdung zu suchen?

Ich möchte dem Text in einer seiner Intentionen folgen: in dem Versuch, Wi­der­sprüche des Sozialismus zu erkunden. Diese Widersprüche beschreibt Christa Wolf sehr präzise. Illusionen beginnen dort, wo Christa Wolf derartige Widersprü­che noch als produk­tiv begreift, obwohl sie es schon nicht mehr sind. Jene Illusio­nen betreffen vor allem die Stellen, an denen Christa Wolf noch an ein ”oben” appelliert. Kritik wäre auch dort anzu­setzen, wo Christa Wolf die Widersprüchlich­keit des Sozialismus eingrenzt, wo die Wi­dersprüche kleiner gesehen werden als sie sind. Das BuchNachdenken über Christa T.bewegt sich - wenn auch mit anderer Position - auf einer Ebene der Auseinan­dersetzung, die mit der offiziellen noch korreliert: Es geht um das Verhältnis von Indivi­duum und Ge­sellschaft im Sozia­lismus, um die Frage, wer sich wem anzupassen, wer sich für wen wie zu verändern habe, damit entste­hen kann, was beide Seiten - Christa T. und Christa Wolf wie die Führung des Landes DDR - wollen oder zu wollen vorgeben: Sozialis­mus. Wer muß sich mit wem in Übereinstimmung bringen?[xci]

Einverständnis mit wichtigen Teilen der offiziellen Ideologie ist dabei noch vor­ausge­setzt - so brüchig es später wird, bleibt bei der Autorin die Intention auf So­zialismus bestehen. Diese Intention und - zum Zeitpunkt des Schreibens vonChrista T.- auch noch das Einver­ständnis, führen zur Ausblendung, zur im Werk von Christa Wolf abnehmen­den Ausblen­dung der Spit­zen von Widersprüchen, ih­rer wirklichen Extreme.

Ist es bewußte Ausblendung? Mangel an Wahrnehmungsfähigkeit und -bereit­schaft? Das sind Fragen, die erstmals inChrista T.aufgegriffen werden. Später hat Christa Wolf sich dem Problem ge­stellt, was geschähe, wären die neuen Widersprü­che der sozialistischen Gesellschaft tatsächlich unlösbar. Davon zeugt ihre Ausein­anderset­zung mit den Frühromantikern. Eine Situa­tion des absoluten Stillstands jedoch sah Christa Wolf nicht erreicht. Noch blieb zumindest der Schrift­stelle­rin Raum, sich zu arti­kulieren und in der Öffentlichkeit der DDR Wirkungen provo­zieren zu können. Daß eine solche Situation nicht gesehen wurde, lag nicht mehr an noch falschen Hoffnungen in die Parteiführung, sondern an Hoffnungen in die Menschen, die in der DDR lebten und Le­bensräume gewonnen hatten, die es so bisher noch nicht gab. Das galt in beson­derem Maße für Frauen. Deshalb konnte Christa Wolf im Vorwort zum Buch von Maxie Wan­derGuten Morgen, du Schöne(1977) mit Bezug auf den Sozialismus von ”realistischer Uto­pie” sprechen. Da­von ausgehend wurde eine grundlegende Veränderung des politi­schen Systems in der DDR anvisiert. Das war nicht nur Verblendung. Ausdruck sich be­wegender Widersprüche, wachsenden Selbstbewußtseins und Protestes waren die Ereig­nisse der Jahre 1989/90 - es wa­ren Prozesse, die sich lange vorbereitet hatten, die auch durch Künstler voran­getrieben wurden und in die - bis zum 9. November 1989 - Hoff­nungen tatsächlich gesetzt werden konnten.

Verdeckt jedoch blieb oftmals die Dimension von Widersprüchen, die dar­auf ver­wiesen hätte, daß der Sozialismus in der DDR bereits hoffnungslos ausgehöhlt war. Ver­deckt blieben extreme - aber nichtsdestoweniger charakteristische - Le­benssituationen in ihm: Stasihaft, Altersarmut, Exi­stenzzerstörung und Ausgren­zung von nationalen und re­ligiösen Gruppen in der DDR, auf­kommender Neonazismus etc. Ausgeblendet wurden - ein bewußter Vorgang von Ablehnung - Lebenshaltungen, die sich an westli­chem Konsum orientierten und die ohne die Mauer nicht zu begreifen waren.[xcii] Ausge­blendet wurden weniger die Haltungen als vielmehr de­ren wirk­liche Ursachen - diese Haltungen wurden nur kritisch-ableh­nend zur Kenntnis genom­men oder durch Hoffnung überblendet. Das führte zur großen Überraschung und Enttäuschung vieler In­tellektueller nach dem 9. No­vember 1989. Auf dieser Ebene war der Kontakt mit dem Publi­kum lange verlo­rengegangen. Schriftsteller, für die die Mauer passierbar und West­geld erreichbar war, wurden als bereits korrumpiert angesehen. Der Konflikt vieler Künstler, blei­ben zu wollen und gehen zu müssen, schien auf diese Weise für einige Zeit lösbar, auch der, die kritischen Schriftsteller in der offiziellen Ideologie abzulehnen, an­tiintellektuelle Vorbe­halte zu schüren, aber zugleich ihr internationales Renommee für die Außenpolitik nutzen zu wollen, was ande­rerseits nötigte, wichtige Texte dieser Schrift­steller auch in der DDR veröf­fentlichen zu müssen und so den Wir­kungsraum der Schrift­steller gegen versteinerte Ideologie zu erhalten und - un­gewollt, aber unvermeidlich - zu vergrößern. Ein Geflecht von Widersprü­chen.

Kritik dieser Art an Christa Wolf ist möglich, berechtigt und soll nicht un­ter­drückt werden - aber sie bewegt sich außerhalb des Textes und seines engeren Kontextes. Es war Christa Wolf nicht möglich, ihr Stasiproblem, ein­schließlich ihrer 1965 sicher schon ablehnenderen Haltung zur Stasi, zu thematisie­ren.[xciii] Das hätte be­deutet, sich die Möglichkeiten zu entziehen, dann noch indenWidersprüchen produktiv zu arbei­ten, in denen noch Bewegung provoziert werden konnte.Würde der Durchbruch erreicht, könnteallesneu bedacht werden. Das war der Versuch des Herbstes 1989. Auch daher rührt das - leider nachlassende - Un­behagen vieler DDR-Reformer an Geheimdiensten wel­cher Art auch immer, ihr - anfängliches - Beharren auf basisdemokrati­schen Strukturen. Und noch in der Frage, die das BuchNachdenken überChrista T.durch­zieht: ”Wann, wenn nicht jetzt?” ist das Un­ausgesprochene, sogar das noch nicht Wahrgenom­mene, auch an­wesend. Gehen oder bleiben? - das ist eine Schicht dieser Frage, hoffen oder ver­zwei­feln?

An verschiedenen Stellen des Buches wird eine Dringlichkeit deutlich, die sich nur aus dem erklären kann, was an Widersprü­chen noch nicht ausgesprochen ist. Das Motiv des Todes - Faschismus, Leukämie, die Krähen- und Krötengeschichte, der Selbst­mord-Brief im Frühsommer 1953, die Schüsse in Budapest - wiederholt sich an entschei­denden Stellen im Buch. Der Text fragt einer nach, die zu früh gestorben ist. Schon dies ist eine Provokation im Kontext der Literatur der DDR dieser Zeit. Derart ist anwesend, was auf der Ebene expliziter Reflexion ausge­klammert wurde.[xciv] Nicht finden wird man dagegen, was zu diesem Zeitpunkt viele andere Bücher kennzeichnete, von denen sich dieser Text abhebt: Harmonisierung.

Der Bruch mit der Kulturpolitik - Voraussetzungen des Textes

Dem Text geht ein Bruch voraus - der Bruch mit der Behaup­tung, daß Entfrem­dung im Sozia­lismus bereits überwunden sei. Dieser Bruch resultiert aus Erfahrun­gen Christa Wolfs mit der Kulturpolitik der DDR, aus Erfahrungen mit der eigenen Rolle als Schrift­stellerin. 1958 noch, im Jahr der eingangs zitierten Rezension, gibt es keinen solchen Bruch - alles ist nahezu eindeutig: Die neue sozialistische Gesell­schaft ist nicht nur anti­faschistisch - konsequent durch die Ausrottung des Fa­schismus, wie es immer hieß, an seinen Wurzeln: der kapitalisti­schen Großindustrie -[xcv], die so­zialistische Gesellschaft kennt auch keine Entfremdung mehr. Das heißt, so sagt es die Rezen­sentin, sie ist nicht mehr das in ihr herrschende Grunder­leb­nis. Grunderlebnis ist Entfrem­dung in West­deutschland.

So kann Christa Wolf, ganz unbefangen zu Anfang, ihre Mitarbeit zusagen, als 1959 zwei Männer der Staatssicherheit sie in ihrem Arbeitszimmer der Redaktion derNeuen Deut­schen Literaturaufsuchen.[xcvi] Christa Wolf ist bekannt als parteiliche Genos­sin, sie ist in ih­ren Rezensionen - bis 1961 veröffentlicht sie vor allem diese - eindeutig, scharf gar, befindet sich in voller Übereinstimmung mit der Politik der Partei und mit den Vorgaben des sozialistischen Realis­mus. Christa Wolf ist ehrgei­zig, ihre Übereinstim­mung ist tätig, ihre Überzeugung fest - end­lich. So kann sie den Genossen helfen - doch es will nicht recht voran mit der Hilfe. Sie schreibt die geforderten Berichte - aber sie sind sehr allgemein gehalten. Sie akzeptiert einen Deckna­men, aber die Stasi beschließt, vor­sichtshalber auf eine schriftliche Bereit­schaftserklä­rung zu verzichten. Sie trifft sich in konspirativen Wohnungen, aber sie äußert Unbehagen an dieser Methode. Christa Wolf macht mit, sie stellt nicht in Frage, daß die Genossen tun müs­sen, was sie tun, aber sie versucht, sich zu drücken, bis schließlich die Stasi selbst auf ihre Mitarbeit we­gen Uner­giebigkeit verzichtet.

Was tiefes Einverständnis zu sein scheint, ist auch schon Unbehagen, Auswei­chen. Un­ausgetragen noch, soweit gar, daß Christa Wolf die Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit und ihr Ausmaß verdrängt. Weil sie, denke ich, verdrängen mußte, um das Einverständnis noch aufrechterhalten zu können. Die Notwendig­keit der Stasi steht zu dieser Zeit für sie nicht in Frage -[xcvii] man weiß um den ”Gegner” im anderen Deutschland und seine Versuche, im eigenen Land Fuß zu fassen, man weiß um die ”ideologisch zwiespältigen” Diskussionen unter Schrift­stellern und weiß, daß sie ernstgenommen wer­den müssen (gerade, daß sie es wer­den, macht den Wert des Sozialismus aus). Aber doch ist da ein Unbehagen, vielleicht erste, feine Risse: Wozu dieses Bohren in Privatge­schichten? Wozu die Fragen nach Dingen, die man auch anders erfahren kann? Wozu Decknamen, wozu konspirative Wohnungen, wozu dieser Geruch nach Denun­ziation und Spit­zelei? Christa Wolf entzieht sich sacht und verdrängt.

Späterhin wird es für sie schwieriger zu verdrängen, die Konflikte werden offe­ner. Ge­rade wenn die Überzeugung echt ist, können die Konflikte nicht ignoriert wer­den.[xcviii]

17. Juni 1953 - Budapest 1956. Juni 1953 - Budapest 1956;

Der Bruch, der nur auf der Oberfläche einer mit der Kulturpolitik ist, hat tiefere Ursa­chen, er hat Wurzeln in der jüngsten Vergangenheit des Sozialismus, Wurzeln, die aber erst, als der Bruch da ist, als solche erkannt werden. Ich möchte daher vorgreifen, in doppelter Hinsicht. Einmal, in­dem ich schon jetzt darstelle, was Chri­sta Wolf erst um das Jahr 1965 herum aussprechbar wird, und zum anderen, indem ich mich schon hier interpretie­rend auf den TextNachdenken überChrista T.be­ziehe. Er macht die tieferen Schichten sichtbar, die Grundlage der spontanen Äuße­rung Christa Wolfs auf dem 11. Plenum des ZK der SED 1965 sind.

Auf zwei wesentliche politische Ereignisse wird im Text Bezug genommen. Ver­steckt, aber doch erkennbar, erscheint der 17. Juni 1953 - inzwischen ein Ta­buthema -, und im ent­scheidenden 15. Kapitel[xcix] spielen die Ereignisse in Ungarn 1956 eine wichtige Rolle.

Es ist ein zentraler Konflikt der Christa T., der neuen Welt unbedingt verbunden zu sein und sich in ihr doch so zu verhalten, daß auf sie mit Unverständnis reagiert wird. Mit den Maßstä­ben derjenigen gemessen, die diese neuen Menschen sind oder sich für sie halten, erscheint Christa T. - so auch in den Kritiken des Buches in der DDR - als Außenseiterin, als son­derbar, anmaßend, sie erscheint fremdartig, übersensibel. Günter, ein Kommilitone aus der Leipziger Studienzeit, ihr zugetan, bringt es auf den Punkt: ”Er glaubte zu fest daran, daß alles Bestehende nützlich zu sein habe, und es quälte ihn die Frage, wozu eine Erfin­dung von ihrer Art [nämlich Christa T. - AT] nötig gewesen war, ‘bei allen guten Ansät­zen’, die er ihr ja zugestand.” (CT, S. 87)

Auch Christa T. sucht im Konfliktfall die Schuld bei sich. Dieser Fall tritt ein, als Gün­ter in eine für ihn tragische Situation gerät. Günter, dessen Nützlichkeit für ihn und andere außer Frage steht, wird plötzlich, als Einzelner, von der Macht des Kollektivs, die er selbst als dessen Funktionär verkörpert, erdrückt. Anlaß ist eine Liebesgeschichte, ei­gentlich zwei in ei­ner. Kostja, die große Liebe von Christa T., die an dieser Geschichte zerbricht, nahm die Freundin Günters, Inge, quasi im Vorbeigehen, mit. Günter, dem niemand große Gefühle zu­getraut hat, kommt zu Fall, in aller Öffentlich­keit. In seiner Prüfung, einer Unterrichtsstunde überKabale und Liebe, die er geben muß, gut vorbe­reitet, bis hin zu den Antwor­ten der Schüler, bricht er aus dem Konzept. Er kann nicht mehr mittragen, was er den Schülern als Antwort suggeriert hatte: ”Unglück­liche Liebe sei, in der neuen Gesellschaft, kein Grund mehr, sich umzubringen. Alle wa­ren sich ei­nig: Soweit hatten wir es schon gebracht.” (S. 69) Günter stellt sich gegen die Schü­ler und streitet ”für die Tra­gödie in der modernen Liebe” (ebd.). Er stürzt - alle se­hen es mit an, alle tun mit, selbst bestürzt, über ihn, über sich, über ihre Rolle in der Tra­gödie, die sie nicht spie­len, sondern die sie plötzlich selbst verursachen.

Günter verliert sein Funktion, er wird abgeurteilt vom Chor seines eigenen Kol­lektivs. ”Günter aber würde nicht als Günter abgeurteilt werden, sondern als Bei­spiel, wohin ein Mensch gerät, der dem Subjektivismus verfällt.” (ebd.) Alle, Kostja, Inge, auch Christa T., auch die Ich-Erzählerin, stimmen dem Urteil zu.

Am Abend desselben Tages schreibt Christa T. einen Brief an ihre Schwester, den sie nie abge­schickt, einen Abschiedsbrief. Sie kann nicht mittun (und hat es doch bereits getan) und wirft sich vor: ”Welch eine Vermessenheit: Man könnte sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf ziehen. Glaub mir, man bleibt, was man war: lebensuntüchtig. Intelli­gent, nun ja. Zu empfindsam, unfruchtbar grübelnd, ein skrupelvoller Kleinbürger...” (S. 72) Christa T. übernimmt das fremde Bild, das sich die anderen von ihr machen, sie übernimmt es aber mit ih­rem eigenen Raster: lebensuntüch­tig - unfähig zur Veränderung. Und sie übernimmt es auch nicht - es gelingt ihr, und dies wird es sein, was sie am Leben hält, auch andersherum zu se­hen, das andere, die anderen als fremd zu beschreiben. Ein zentraler Satz des Bu­ches, ein Fazit, das nicht geduldet werden soll: ”Mir steht alles fremd wie eine Mauer entgegen. Ich taste die Steine ab, keine Lücke.” (ebd.) Die beiden tödli­chen Möglichkeiten, den Konflikt zu bewerten, stehen sich hart gegenüber: ”Keine Lücke für mich. An mir liegt es.” (ebd.)

Der Brief ist eines der wenigen Ereignisse, das relativ genau datiert wird: ”im Früh­sommer dreiundfünfzig” (ebd.) ist er geschrieben worden. Die Frage, die den Selbstmord-Brief einleitet, lautet: ”Wann - wenn nicht jetzt?” (ebd.)

Es werden nicht die politischen Vorgänge des 17. Juni reflektiert, auch nicht deren In­halte, das Geschehen des Textes ist weit weg davon. Nur diese Frage Chri­sta T.s, ein­geführt als die einer zum Selbstmord bereiten, die am Schluß des Buches an seine Leser als eine Frage auf den Bestand des Sozialismus weitergegeben wird, zeigt den Einschnitt, die Bedrohung, die empfunden wurde. Die aufgebrochenen Konflikte im Verhältnis von Individuum und Gesell­schaft sind Konflikte, schon im scheinbar Kleinen tragisch, die das Individuum in seiner Sub­stanz, wie die Gesell­schaft in der ihren, in Frage stellen können. Es ist ein Konflikt auf Leben und Tod - nach beiden Seiten hin, Individuum und Gesellschaft sind gleichermaßen be­droht. Fremdheit ist das Stichwort, durch das er for­mulierbar wird.

Heinrich Mohr beschreibt den Konflikt folgendermaßen: ”Die Wahl des Da­tums für den Selbstmord-Brief ist natürlich nicht zufällig, die Kongruenz nicht zu übersehen. Christa T.s ‘Lebensschwäche’ ist ja sozialer, politischer Natur. Ein be­stimmtes Indivi­duum weiß nicht mehr, wie es in einer den Sozialismus aufbauen­den Gesellschaft leben soll, und fügt gleich­wohl hinzu: ‘Das alles ändert nichts, unlösbarer Widerspruch, an meiner tiefen Übereinstim­mung mit dieser Zeit.’” (Mohr, S. 51; CT, S. 73)

Zwei Dinge wären hinzuzufügen: Es wird nicht nur die Lebensschwäche der Christa T. konstatiert, sondern die der Gesellschaft, auch ihr Überleben steht in Frage, denn sie kann nicht überleben - nicht als Sozialismus -, wenn diese Fremd­heit in ihr emp­funden wird, nicht nur durch Christa T., sondern auch durch Gün­ter, der Individuum nicht sein darf. Das ist nicht ausgesprochen, nicht direkt, nicht durch Christa T., auch nicht explizit durch die Erzählerin, aber es ist sichtbar durch den doppelten Kontext, in dem die Frage gestellt wird: ”Wann, wenn nicht jetzt?”.[c] Entscheidend an der Stelle im Brief, in der Christa T. ihre Übereinstim­mung mit der Zeit konstatiert, ist nicht allein diese, sondern die Einfügung: ”unlösbarer Wider­spruch”. Das ist ein tödlicher Wider­spruch: Als Individuum in einer Gesellschaft nicht leben zu können, deren Zentrum, so ihr Anspruch, dieses Individuum ja gerade in seiner Individualität sein soll - darauf beruht die Überein­stimmung. Sie beruht auch darauf - und deshalb wird nach Tauschangeboten der Kopf nicht gewendet -, daß, selbst wenn dieser Widerspruch unlösbar wäre, er in der ande­ren Gesellschaft, mit ihrer Entfremdung, gar nicht erst entstehen kann. Doch der Wi­derspruch ist auch unlösbargeworden, weil Christa T. selbst die Hand zu Günters Ver­urteilung gehoben hat. Lebensschwäche doppelt: das mitgetra­gen zu haben und es nicht mittragen zu können. Die Hand gehoben zu haben und da­mit nicht leben zu können - nicht leben zu können damit, daß die Hand nicht be­denkenlos gehoben wer­den konnte.

Hieran erweist sich aber zugleich, daß der unlösbare Widerspruch, den dieser - nicht abgeschickte - Brief konstatiert, der Widerspruch, der zum - nicht ausge­führten - Selbstmord hätte führen können, noch nicht wirklich unlösbar ist, es gibt noch Bewe­gungsmöglichkeiten. Das Gleichgewicht der Perspektiven kann ver­schoben werden. Nicht Christa T. selbst vermag es (zumindest vermag sie es nicht auszusprechen), aber die Erzählerin: vom ”An mir liegt es” zu ”Keine Lücke für mich”; von ”unlösbarer Wi­derspruch” zu ”Wann, wenn nicht jetzt?”;[ci] vom für Christa T. unlebbaren Protest zumNachdenken überChrista T.

Was der Brief als Tatsache formuliert, Fremdheit, zeigt das Buch als Gefahr. Was sub­jektives Fazit der Christa T. im Frühsommer dreiundfünfzig ist, wird durch den Text des Bu­ches zur Gefahr für die Ge­sellschaft. Das Buch ist Einspruch gegen die Selbst­mordabsicht, wie es Einspruch ist gegen die Entfremdung in der sozialisti­schen Gesell­schaft, es trägt deren Wider­sprüche aus, indem es ihren Anspruch konkretisiert: Sozia­lismus kann nur sein, wenn Menschen wie Christa T. nicht als Abweichung gelten, son­dern als das, was jeden Tag gesucht und propagiert wird: als der neue Mensch. Sozialis­mus kann nur sein, wenn vom In­dividuum ausgegan­gen wird. Dieses Motiv des Schrei­bens erscheint am Anfang des Textes als Lektü­reanweisung. ”Und bloß nicht vorgeben, wir täten es ihretwegen [über sie nachdenken - AT]. Ein für allemal: Sie braucht uns nicht. Halten wir also fest, es ist unseretwegen, denn es scheint, wir brauchen sie.” (CT, S. 8)[cii] Noch deutlicher im Fazit Christa T.s nach dem Selbst­mord-Brief: ”Anpassen lernen! Und wenn nicht ich es wäre, die sich anzupassen hätte? - Doch so weit ging sie nicht.” (S. 76) Erst die Ich-Erzählerin geht so weit und meint, so weit gehen zu können. DieserGesellschaft kann man es abverlangen, sich an die Individuen, die sie aus­machen sollen, anzupassen. Zugleich ist ein Punkt erreicht, an dem man so weit ge­hen muß - nichts ist mehr selbstverständlich.

Erkennbar auf die politische Dimension gerichtet ist die Stelle des Buches, die sich auf die Ungarn-Er­eig­nisse bezieht. Diese Ereignisse zwingen, die eigene Position genauer zu bestimmen, sie haben Konsequenzen.

Bevor aber Konsequenzen gesucht werden, wird im Text betont, was sich nicht verän­dert hat: ”Es kam eine Nacht, die ungewöhnlich finster war. Zufällig saßen wir bei­sammen und hörten aus allen westlichen Rundfunkstationen neben den Be­richten über Kämpfe in Budapest das große, kaum unterdrückte Hohngelächter über das Scheitern dessen, was sie ‘Utopie’ nannten. Jetzt denkt die Cousine, sie hat recht behalten, sagte Christa T.” (S. 130)

Der Gedanke, Sozialismus, wie ihn die drei Hauptpersonen des Buches, Christa T., die Ich-Erzählerin und Christa Wolf, sich vorstellen, könnte Utopie sein, entsteht nicht. Das Wort Uto­pie ist hier noch nicht zwischen Anführungsstriche geraten, sondern es ist ein Wort, das zwi­schen Anfüh­rungsstriche gehört. So sehr Christa Wolf später - auch das BuchChrista T.ein­beziehend - Aufrechterhalten und Er­möglichen von Utopie wichtig werden wird, ein Motiv ihres Schrei­ben,[ciii] so wenig wird hier die Kennzeichnung Utopie für den Sozialismus zugelas­sen. Jenes ”Wann, wenn nicht jetzt?”, mit dem das Buch endet, ist weniger Ausdruck von Utopie als vielmehr Aufforderung zu tun, was getan wer­denkann: jetzt. Erst wenn dies nicht ge­schieht, wird So­zialis­mus utopisch - Utopie ist hier noch etwas, das vermieden werden kann.

Das gilt auf der Ebene des gesprochenen Wortes der Protagonistinnen. Der Text aber macht zugleich deutlich, daß es gerade die utopische Dimension dieser Gesell­schaft ist, die sie auszeichnet. Der Sozialismus, wie ihn die Heldinnen des Buches entwerfen, ist, wie sie selbst, erst auf dem Wege zu sich, und es gibt für ihn kein Ankommen. Diese utopische Dimension, die nicht zur ”Utopie” verfestigt werden soll, ist es, die in Gefahr gerät, wenn den Individuen Selbst­verwirklichungsmög­lichkeiten verbaut werden. Dann entsteht Fremdheit. Es gibt für die Pro­tagonistin­nen des Buches keinen Zweifel an den Potenzen des Sozialismus und auch keinen Zweifel daran, daß trotz der Veränderungen, die diese Nacht nach sich zieht, trotz der Konse­quenzen, die nun nötig sein werden, die Cousine nicht recht behält, das Tauschangebot immer noch - leicht - ausgeschlagen wer­den kann. Die Cousine, im Westen lebend - eine aus der Reihe der Gegenfiguren -[civ], ist eine andere Möglich­keit von Christa T. (”Nicht nur das Land, jeden von uns gibt es dop­pelt: als Mög­lichkeit, als Un-möglichkeit” (S. 123)[cv]: schön, wohlha­bend, etabliert. Sie ist einverstanden mit sich und ihrem Bild von der Welt zwischen ”Terror” und ”Freiheit” (S. 125): ”Warum soll Siegfrieds unmorali­sches Geld nicht euer mo­ralisches Leben ein bißchen verschönern...” (ebd.) Daß aber Geld, die Entfrem­dungsmacht par ex­cellence, die Existenz bestimmt - das ist kein Weg für die Hauptfiguren des Textes.[cvi] Obwohl Be­dauern anklingt, daß die Cousine nun, nach dieser Nacht, noch einen Schritt wegrücken wird, die Haltung der beiden Mädchen ihr noch unverständlicher erscheinen muß. Die Moral ist beschädigt durch die Schüsse in dieser Nacht. Bedauern auch und Resignation gar, weil die erneuerte Ablehnung im Angesicht der Nachrichten aus Budapest Verhär­tung einschließt; es muß trotziger gesagt wer­den: So wollen wir nicht leben.[cvii] Auch das, wobei man bleiben kann, ist nun brüchiger. Um so wich­tiger ist Klarheit bei den Kon­se­quen­zen, bei dem, was zu tun ist.

Worin allerdings das Finstere der Nachrichten dieser Nacht be­steht, das bleibt selbst dun­kel. Der Schock resultiert wohl daraus, daß hier, erstmals in der Lebens­ge­schichte der Figuren, Sozia­listen gegen Sozialisten kämpfen. Das ist der Wider­spruch, der zwingt, sich zu verhalten. Wo sich die Figuren in diesem Kampf aber ein­ordnen, das bleibt ungesagt. Zum einen wäre eine Parteinahme für die Aufstän­dischen in der DDR der sechziger Jahre nicht druckbar gewe­sen, zum anderen ist fraglich, ob sie für die Autorin denkbar war. Der Abschnitt themati­siert dage­gen die Suche nach Beantwor­tung genau dieser Frage: Was sollte Sozialismus sein?

Die Nacht markiert einen Einschnitt. Von nun an wird die eigene Entscheidung für den Sozialismus als geschichtliche erkennbar. Das eigene Verhalten ist beladen mit Geschichte, es ist nicht voraussetzungslos. Bei der Entscheidung zu bleiben, kann von nun an heißen, Schuld an­derer mittragen zu müssen. Es ist daher nötig zu wissen, was man tut, wo man lebt, was pas­siert. Die Glaubenssätze müssen der Wahrheit weichen - ”die Rolle der eisern Gläubigen war abgesetzt”, wir mußten ”uns daran gewöhnen (...), in das nüchterne Licht wirklicher Tage und Nächte zu sehen.” Das schließt ein, ”daß wir alle unseren Anteil an unseren Irrtümern anneh­men mußten, weil wir sonst auch an unse­ren Wahrheiten keinen Anteil hätten.” (S. 130f.) Unschuld ist nicht mehr möglich. Doch es entsteht die Hoffnung, durch das Abstrei­fen des Glaubens Eigenes zu gewinnen. Nicht nur zu folgen dem, was von den Alten in ihren Kämpfen vorgegeben wurde, son­dern, sich in ihrer Geschichte se­hend, auch abkoppeln zu können von ihnen, Geschichte in die eigene Hand zu nehmen. Nicht Fin­sternis - ”Lichtwechsel” ist das Wort, das diesen Abschnitt strukturiert. Nüchternes Licht wirk­licher Tage und Nächte. ”Nichts ist so schwierig wie die Hinwendung zu den Dingen, wie sie wirklich sind” (ebd.). Sich dieser Schwierigkeit zu stellen ist die Kon­sequenz, die in dieser Nacht gezogen wird.

Wahrhei­t kann nicht mehr von Institutionen und Ideologien entgegengenom­men wer­den. Das Individuum selbst wird zur Instanz der Wahrheitsfindung, die Wahrneh­mung muß für die Wahrheit geöffnet werden (literarisch setzt hier Christa Wolfs Konzept der ”subjektiven Authentizität” an). ”Die Erzählerin hält daran fest, daß die Fähigkeit, die Verhältnisse so zu sehen, wie sie wirklich sind, und den Erkenntnissen ent­sprechend zu handeln, im Subjektiven begründet liegt. Man kann das, worauf es ankommt, nicht er­kennen, wenn die Augen nicht darauf einge­stellt sind. Nicht die Doktrin ermöglicht die richtige Einstellung der Augen, son­dern das Wahrneh­mungsvermögen des Individu­ums... Damit gewinnt das ‘Wissen’ von Außenseitern eine Schlüsselfunktion.” (Mauser 1987, S. 15) Wolfram und Helmtrud Mauser beschreiben, daß nach dieser Nacht die Suche nach dem Überse­henen beginnt und daß diese Suche das Kapitel insgesamt strukturiert, sie ist nicht nur auf das politi­sche Geschehen bezogen, sondern auch auf das private (S. 215ff.). Hier wird deutlich - durch die neue Instanz Sub­jektivität, Individualität - wie wichtig Christa T. als Person ist, nicht nur für die Erzählerin, sondern für die Ge­sellschaft überhaupt. Mit neuen Augen wird gesucht: ”Da ich auf einmal be­merkte, was andere - vielleicht - an ihr übersehen haben, ihre Schüchternheit zum Beispiel, muß ich mich natürlich fragen, was ich an ihr niemals gesehen haben mag und niemals werde sehen können, weil meine Augen nicht darauf eingestellt sind. Denn Se­hen hat mit einem herzhaften Entschluß nicht viel zu tun. So will ich denn auf der Suche nach dem Übersehenen noch einmal zu ihr ins Krankenhaus ge­hen” (CT, S. 127). Hier ist der blinde Fleck angesprochen, den Wahrheitssuche einschließt, gerade wenn sie ans Individuum gebunden wird - nur das Individuum andererseits aber ist fähig, seine Augen neu einzu­stellen aufgrund von Erfahrun­gen. Es ist zugleich ein Motiv angeschlagen, das schon in diesem Buch eine wich­tige Rolle spielt und inKassandrazentral wird: das des Sehens, der Seherin. Das Buch schließt auch ein Kapitel über einen Wahrsager ein, und es selbst hat schon ‘Kassandra-Struktur’: Es wird in ihm etwas gesehen, das, wenn es nicht geglaubt wird, tödlich werden kann für die Gemeinschaft. Die unwirksame Wahrheit ist töd­lich für Individuum (das daran erstickt) und die Gesellschaft (die verblendet ins Unheil rennt). Auch das steht hinter dem ”Wann, wenn nicht jetzt?” InNachden­ken über Christa T.ist es noch stärker auf die Gesell­schaft bezogen, inKassandraauf das Individuum: Es kann nicht mehr damit gewartet werden - angesichts der atomaren Bedrohung -, auch die undenkbaren Möglichkeiten zu bedenken, sie auszusprechen ohne Rücksicht auf Fol­gen, nicht an der Wahrheit zu ersticken, um nicht mit allen und allem vernichtet zu werden.

Nun erst, obwohl der Blick auf sie erstmals un­getrübt kritisch ist, liegt die Ver­antwor­tung nicht nur bei der Gesellschaft, sondern ist dem In­dividuum selbst auf­ge­laden, der Ich-Er­zählerin, der Autorin, dem Leser.[cviii] Sozialismus und Wahrheit sind nichts mehr, was den einzelnen äußerlich sein kann, ihnen gegeben oder von ih­nen ent­gegengenommen wird. Nichts wird entstehen, was nicht durch sie selbst ausge­tragen worden ist. Der finsteren Nacht folgt unmittelbar ein Abschnitt, in dem die erste Geburt Christa T.s dargestellt wird. Das ”Licht der Welt” zu erblic­ken ist Resultat eines schmerzhaften Prozesses: ”Ihre erste Geburt, die in diese Zeit fiel, war schwer. Das Kind lag schlecht. Sie brachte Stunden mit nutzlosen An­strengungen zu. Natürlich erlahmte sie, aber sie flüchtete sich nicht in das Gefühl, ungerecht gequält zu werden. Sentimenta­lität stand ihr nicht einmal jetzt zur Ver­fügung, sie konnte nicht vergessen, daß sie das Kind wollte und daß der strenge Rhythmus von zerreißender Anstrengung und Entspan­nung nötig war, es hervor­zubringen.” (S. 131)

Die finstere Nacht jedoch, so scharf der Lichtwechsel ist, läßt die Wahrheit noch dunkel: ”Wir wußten ja selbst nicht, was für eine Nacht das war, wir haben Jahre ge­braucht, es zu wis­sen.” (S. 130) Nicht nur, daß dieses spätere Wissen nicht mit­ge­teilt wird, beun­ruhigt, mehr noch die Frage, die sich anschließt: ”Ja, ein plötzli­cher Lichtwechsel hatte stattge­funden, vorausgesehen hatten wir ihn nicht. Erst später fragten wir uns: Warum eigentlich nicht?” (S. 130f.) Worin liegt das Un­vermögen? Darin, daß die Wahrheit sich verbirgt, daß sie endgültig nicht zu haben ist? Daß man erst am Ende eines Prozesses weiß, was er war? Daß man, trotz allem Vorsatz, der Wahrheit doch ausgewi­chen ist? Mit der Verabschiedung des Glau­bens wird die Gefahr des Irrtums unermeß­lich.[cix]

Das 11. Plenum des ZK der SED. Plenum des ZK der SED;

In den fünfziger Jahren überwog das Einverständnis zwischen Parteiführung und Schrift­stellern über die Funktion sozialistischer Literatur. Auch Konflikte wurden - so in der Lukullus-De­batte - als Konflikte auf der Basis gemeinsamer Anschauun­gen und Ziele be­griffen. Die Auffas­sung, daß Literatur dem Aufbau des Sozialis­mus zu dienen habe und daß So­zialismus eine be­stimmte Art von Literatur verlange, war nicht strittig. Im Kon­text der Formalismusdiskussion ging der Streit vor allem darum, welche Art von Literatur dies sei. Unversöhnlich wurde der Streit, je deutlicher sich herausstellte, daß sich nicht nur die Auffassungen über die Lite­ratur, sondern die über den Sozialismus unterschieden. Auch dann erst wurden Generationsunter­schiede zwischen den Schriftstellern ein rele­vantes Problem (wie das Verhältnis Christa Wolfs zu Anna Seghers zeigen könnte). Widersprüche im Sozialismus, die durch die Ereignisse des 17. Juni, die Entstali­nisie­rungsversuche in der Ära Chrustschow und die Budapester Vorgänge erfahren wurden, führten noch nicht zur Wahrnehmung grundsätzlicher politischer Unter­schiede - auch Brechts Kritik an der Regierung und Partei, am Verhalten im Juni 1953, ging noch davon aus, daß hier Korrekturen möglich seien und auch erfolgen würden.

Christa Wolf hat es in dem Text über Christa T. präzise beschrieben: ”Wir wußten ja selbst nicht, was für eine Nacht das war, wir haben Jahre gebraucht, es zu wissen.” Fast zehn Jahre, denn erst mit dem 11. Plenum der SED im Jahre 1965 wurde der Kon­flikt of­fen und wurde ahnbar, daß die Pro­bleme auf dem Gebiet der Kunst und Literatur mit un­terschiedlichen Haltungen zu diesen politischen Er­eig­nissen verbunden waren. Der Bau der Mauer - Hoffnung auf eine eigenständige Entwick­lung des Sozialismus auf Sei­ten der Schriftsteller; Hoffnung, nun mit allen Abweichungen endgültig fertig werden zu können auf Seiten der Parteiführung - be­schleunigte den Differenzie­rungsprozeß, der 1965 von Christa Wolf als erster Bruch erfahren wird[cx] und 1976, mit der Ausbürgerung Wolf Biermanns, endgül­tig zum Gegensatz sich auswächst.

Die Arbeit anNachdenken überChrista T.fällt in die Zeit die­ses ersten großen Konfliktes, er hat bereits das Schreiben des Textes beeinflußt. Deshalb sollen wich­tige Sta­tionen dieses Konflikts im folgenden dargestellt werden.

Auf dem VI. Parteitag der SED 1963 wurde der ”Sieg der sozialistischen Produk­tions­verhält­nisse” verkündet und das ”Neue ökonomische System der Planung und Leitung” etabliert, das helfen sollte, den Sozialismus nicht nur auf dem Gebiet der Produktionsver­hältnisse, sondern in allen gesellschaftlichen Bereichen durch­zusetzen. Daher kamen zu diesem Zeitpunkt ”Rand­bereiche” der Gesellschaft in den Blick, und zwar vor allem die­jenigen Bereiche, in denen es scheinen mochte, daß der Sozia­lismus noch am wenigsten Fuß gefaßt habe. Mit der ”Kunst und Kultur” wurde nicht eine beliebige gesellschaftliche Sphäre herausgegriffen, son­dern diejenige, die der Durchsetzung der Doktrin der SED-Führung am wi­derstän­digsten war, gerade weil die Künstler sich als Sozia­listen begrif­fen. Die Auseinandersetzung mit den Künstlern für sich entschieden zu haben - so das un­erklärte Ziel des 11. Plenums -, hieße, allen abweichenden Meinungen und Ver­haltens­formen den Boden künftig entziehen zu können.

Zwei Jahre nach dem Plenum, auf dem VII. Parteitag, nachdem die Parteifüh­rung meinte, aus der Auseinandersetzung auch mit den Schriftstellern und Filme­machern sieg­reich hervorgegangen zu sein, wurde der Sozialismus in der DDR als ”entwickeltes ge­sellschaftliches System” beschrieben. Damit sollte ausgedrückt werden, daß der Sozia­lismus nicht mehr nur Kernbereiche der Gesellschaft, son­dern sie in ihrer Ganzheit erfaßt habe.[cxi] Doch während auf der einen Seite die Er­folgsbilanzen zu dominieren beginnen, werden auf der anderen, durch viele Künstler, die Defi­zite in den Blick genommen.

Das 11. Ple­num des Jahres 1965 war auch ein wirt­schaftspolitisch entscheiden­der Ein­schnitt. Es gab Anfang der sechziger Jahre den Versuch, die im Lauf der Entwicklung des Sozialis­mus aufgebrochenen ökonomischen Widersprüche zu lösen. Es war der ein­zige wirkliche Re­formansatz, der in der DDR bis 1989 ver­sucht worden ist. Problema­tisch war zu dieser Zeit nicht nur, daß sich innerhalb der Wirt­schaftsstruktur Dispropor­tionen herausgestellt hatten, sondern vor allem, daß die Planwirtschaft selbst, mit ihrem Zentralismus, ihren nicht unmittel­bar ökonomi­schen Kriterien, einer Moder­nisierung der Industrie im Wege stand. Ohne Mo­der­nisierung aber mußte sich der Abstand zu den In­dustrien der westeuropäischen Länder ra­pide vergrößern. Der nach dem 17. Juni mit dem Volk geschlossene Kompromiß erforderte da­ge­gen, ein hohes industrielles Niveau zu halten, um die Konsumbedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Durch das auf dem 11. Ple­num fortgeführte ”Neue Ökonomische System der Pla­nung und Leitung” der Wirtschaft sollte Zentralismus abgebaut und Entscheidungen auf nied­rigere Ebe­nen ver­lagert werden. Der Spielraum der ”Eigenverantwortlichkeit” der Betriebe sollte vergrößert werden. Das war eine tatsächliche Mo­dernisierungsnotwendigkeit, sie kolli­dierte aber mit der gegenläufigen Tendenz, ent­sprechende Modernisierung im politischen System zu vermeiden. Das wurde im Laufe der Zeit auch für die Wirtschaft kontraproduktiv und führte letztlich zum Scheitern der Reform, wurde aber auf dem Plenum vorerst für die Kulturpolitik verheerend.

Darin bestand der Widerspruch des Plenums: Auf der Ebene der Wirtschaft gab es Re­formansätze - auf der Ebene der Kulturpolitik dominierte ein harter Kurs zur Machter­haltung und zur Konservierung des politischen Systems. Es war dieser Wider­spruch, den die Künstler in Texten und Filmen zu artikulieren versuchten. Die Filmema­cher vor allem drängten auf eine der Wirtschaftspolitik folgende Mo­dernisierung - und das hieß Demokratisie­rung - des politischen Systems, die kultu­relle Vielfalt, eine Vielfalt von Lebensmöglichkeiten einschließen sollte. Es war einerseits eine Situation erreicht, in der grundlegende Reformen möglich schienen - daher das Engagement der Künstler, da­her die Zustimmung (wie sie sich auch im Diskussionsbeitrag von Christa Wolf findet) zur Wirtschaftspolitik -, andererseits soll­ten Reformen strikter als vorher verhindert wer­den. Dahinter standen wiederum die die Führung der DDR niemals verlassende traumatische Angst vor einem neuen 17. Juni, die Angst vor den Folgen der Ent­stalinisierung wie sie in Ungarn 1956 sichtbar wurden und Beunruhigung angesichts der im Jahre 1963 auf der Kafka-Konferenz in Prag artikulierten Reformbestrebungen der Intelligenz. Schlag­wort der sich in der CSSR noch zuspitzenden Diskussion war Entfremdung, und dabei ging es um das auch von Christa Wolf inNachdenken überChrista T.thematisierte Ver­hältnis von Individuum und Gesellschaft.

Dramatischer wurde die Situation dadurch, daß es noch 1964 scheinen konnte, als stünde man auch auf dem Gebiet der Kultur vor wichtigen Reformen. So konnte Christa Wolf glauben, sich mit ihrem Diskussionsbeitrag auf dem Plenum in einem Kon­flikt in­nerhalb der Parteiführung zu bewegen. Denn 1964, auf der ”Zweiten Bitterfelder Konferenz”, forderte Walter Ulbricht ”geradezu auf, ‘neue Methoden der Planung und Leitung der Kultur und Kunst’ anzuwenden und analog der Wirtschaftsentwicklung ‘Experimente’ ein­zuleiten. Unter anderem orientierte er auf die Verkleinerung der ‘Zahl der Instanzen’ und die Vereinfa­chung des ‘Apparates’ in Kultur und Kunst.” (Knoth, S. 65) Auch andere Äuße­run­gen Ulbrichts deute­ten auf Reform im Kulturbereich, so sagte er noch vier Wochen vor dem Ple­num zu Günter Witt (dem Verantwortlichen für die DEFA, also die Filmproduktion!): ”Der Weg von euch ist richtig; bitte, auf keinen Fall zu den Mitteln der Administration greifen. Bleibt bei der Diskus­sion!” (zit. n. Witt, S. 260) Diskussionen fanden in dieser Zeit noch öffentlich statt, sogar durch das Fernsehen wur­den sie provoziert. Es war die Zeit der ”Prisma”-Sendungen, in denen erstmals in der DDR investigativer Journalismus, besonders bezo­gen auf die Wirt­schaft, be­trieben wurde. Eine Sendereihe, die schnell Popu­larität gewann.[cxii]

In diesen Jahren wurden die Weichen für die weitere Entwicklung des Sozialis­mus ge­stellt, das führte zu Machtkämpfen innerhalb der Parteispitze, auch zu Machtkämp­fen innerhalb des sozia­listischen Lagers. Siegfried Seidel, ein Mitar­beiter Erich Apels, des Funktionärs (einem der wenigen ohne antifaschistischen Hintergrund)[cxiii], der die Wirtschaftsreform in der DDR verkör­perte, und der sich einige Tage vor dem 11. Plenum erschoß, beschreibt die Situa­tion folgenderma­ßen: Nach der Ära Chrustschow gab es die Möglichkeit, den Sozialismus auf ei­nem Wege voranzutreiben wie er sich durch die Entwicklungen in der CSSR angedeutet hatte. ”Wenn die DDR den Kurs der Jahre 1963-1965 weitergegangen wäre und gemeinsam mit der CSSR 1968 eine Entwicklung zur Er­neuerung des Sozialismus (eine vorgezogene Pe­restroika) vollzogen hätte, wäre es auch für die Sowjetunion schwieriger geworden, mit militä­rischen Mitteln diesen Prozeß zu stoppen. Des­halb... kam Breshnew, Ende November 1965, eine Woche vor dem Selbstmord Apels, nach Berlin zu einem Geheimbesuch. Dabei hat er of­fen­sichtlich die ulti­mative Forderung gestellt, daß die SED ihre bescheidenen Sonderwege ein­stellt. Ulbricht hat wahrscheinlich erst abgewehrt, aber die Gruppe um Honecker hat Breshnew un­terstützt. Apel war in einer schwierigen Situation. Er sah sein Lebens­werk... gefähr­det, denn ohne Veränderungen im Handel mit der SU hatte die DDR keine Chance, als Industrieland im Wettbewerb zu bestehen.” (Seidel, S. 254f.)

Diese internen Machtkämpfe der SED-Führung wurden auf dem 11. Plenum ent­schie­den. Es war nicht zufällig das Plenum, auf dem erstmals Erich Honecker das Hauptreferat hielt. Ulbricht, , stimmte in den Chor gegen die Künstler ein. Die Wut der ge­samten Führung richtete sich gegen die Künstler, die in ih­rem Erneue­rungswillen noch weiter gehen wollten als es jedem in der Parteispitze denk­bar war. Auf ihrem Rücken wurde der Machtkampf ausgetragen. Das fiel um so leichter, als mit der Orientierung auf Volksverbunden­heit im künstlerischen Schaffen latent vor­handene antiintellektuelle Haltungen der Bevölkerung genut­zt werden konnten (ungebrochenes Erbe des Faschismus bzw. von Teilen der deutschen Arbeiterbe­we­gung). Für die Künstler setzten sich nur wenige ein. Auch deswegen, damit dies so bleibe, wurde der Bitterfelder Weg, der neben vielen Absurditäten tatsächliche Annäherungen zwischen Künstlern und Arbeitern mit sich gebracht hatte, ab­gebla­sen. Nach beiden Sei­ten hin - hinsichtlich der Konflikte in der Führung und hin­sichtlich der mit den Künstlern - wurde das Machtmonopol wiederhergestellt.

1964 ist für Christa Wolf das Jahr der Verunsicherung, das dem Konflikt voraus­geht. Noch auf der 2. Bitterfelder Konferenz hält Christa Wolf eine Rede, die dem Bitterfelder Konzept ver­pflichtet bleibt[cxiv] und in der sie sich zur Kulturpolitik der DDR bekennt. Es ist aber schon das Jahr, in dem, durch die Auseinandersetzungen um denGeteilten Himmel, deutlich wird, daß es stärker werdende dogmatische Tendenzen in der Kulturpolitik gibt, die die künstlerische Produktivität beein­trächtigen können. Der Streit um dieses erste auf­sehenerregende Buch Christa Wolfs wird zu jener Zeit aber noch abgeschwächt dadurch, daß Christa Wolf den Heinrich-Mann-Preis für den Text erhält (durch den Einsatz von Al­fred Kurella, einem Ideologen der Partei). Obwohl das Buch schon erhebliche Kritik an Ver­hältnissen in der DDR äußert (scharfe Ein­wände gegen den Text wer­den in der halle­schen Parteizeitung ”Freiheit” erhoben), obwohl auch in ihm schon vom Schema des so­zialistischen Realismus abgewichen wird (Typen sind nur noch die negati­ven Figu­ren im Buch), kann es noch integriert werden.[cxv] Das ist möglich, weil im Text die Ent­scheidung für die DDR durch die Heldin Rita eindeutig ge­troffen wurde und weil der Ro­man noch in die Li­teraturnorm einzupassen ist (es ist ein klassischer Entwicklungsroman mit linearer Erzählperspektive)[cxvi], zugleich aber qualitativ aus der übrigen Produktion her­ausragt. Der Text ist außerdem ein vorzeigbares Ergebnis des Bitterfelder Weges, denn das Waggonwerk Ammendorf ist ein zentra­ler Ort des Buches.

Verunsicherung bei Christa Wolf entsteht durch eine Rede Stefan Heyms, die auf ei­nem internationalen Schriftstellerkolloquium im Dezember 1964 in Weimar gehalten wird. Christa Wolf teilt nicht die Positionen Heyms, der sich unversöhnt gegen die Zen­sur stellt und die DDR-Kulturpolitik, faktisch schon als unsozialisti­sche, scharf kritisierte. Diese Schärfe konnte Christa Wolf nicht akzeptieren, doch ihre eigene Reak­tion darauf ist nun vorsichtiger. Sie stellt in ihrer Replik Fra­gen an sich selbst - und zieht die Grenze. Es ist bereits der Gestus des ”Nachdenkens”. Noch aber sind die Fragen rhetorischer Art, erst das BuchChrista T.erweist die Fragen der Rede als so einfach nicht auflösbar, wiewohl das Fazit, die Antwort der Rede, noch das Buch struktu­riert: ”Leide ich vielleicht an Schizophrenie? Leide ich vielleicht an jener Art von ‘revolutionärer Diszi­plin’, die Stefan Heym vorhin als ‘Unterordnung’ definierte, und die mir in dieser Form nicht als re­volutionäre Disziplin bekannt und akzeptabel ist? Ich hoffe, daß ich an beidem wenig oder im­mer weniger leide. Eher leide ich an einem zu stark entwickelten Vorstel­lungsver­mögen. Ich kann mir nämlich zum Beispiel vorstellen, wie ich heute wäre, hätte ich seit 1945 in West­deutschland gelebt.” (zit. n. Dröscher, S. 66).

Aber der Vorwurf der Unterordnung, obwohl (und weil) Heym ihn nicht an Christa Wolf persönlich gerichtet hat, wird weiter arbeiten in der Autorin, die zu dieser Zeit anChrista T.schon schreibt. Denn Christa Wolf mußte hinnehmen - und dies spricht nun ohne ihr Zutun für Unterordnung, sie wird in diese Rolle ge­drängt -, daß in der DDR nur ihre Rede auf diesem Kolloquium, nicht auch die von Heym veröffentlicht wurde. Es ist ein Punkt erreicht, an dem alle Entscheidungen auch Entscheidungen in bezug auf die anderen Schriftstel­ler in der DDR sind. War es bisher leicht für Christa Wolf - etwa in der Diskussion um Wolf­gang Schreyer, in Äußerungen über Man­fred Bieler und Walter Kaufmann - Position gegen Autoren zu beziehen (darüber auch redete sie mit der Stasi - vgl. Vinke, S. 118f. und S. 125f.), so deutet sich jetzt an, daß ihre Entschei­dungen nicht nur die Vorausset­zungen für das eigene Schreiben betreffen werden. Es deutet sich an, daß Wahrheit gegen Widerstände gesagt werden muß und daß man, selbst, wenn man Wahrheiten anderer nicht teilt, vorsichtig mit seinem Urteil sein muß, um der eigenen Wahrheit Raum zu verschaffen wie der subjektiven Wahrheitsfindung an­de­rer.[cxvii] Denn schließlich, ein weiteres Detail, war das zweite Film­projekt Christa Wolfs (nach der Verfilmung desGe­teilten Himmels),Fräulein Schmetterling, ge­fährdet.[cxviii]

Dem Plenum gehen andere Alarmzeichen voraus - Zeichen, die darauf deu­ten, daß ein Kampf im Gange ist, der noch nicht entschieden war. Die Kam­pagne vor dem Plenum er­weckt den Eindruck, das schon in sei­nem Vorfeld die Probleme mit den Schriftstellern ”gelöst” werden sollten, und das Plenum diese Lösung ledig­lich zu bilanzieren hätte. Diese Vermu­tung läßt das einige Wo­chen vor dem Ple­num stattfindende Treffen Walter Ulbrichts mit Schriftstellern aufkommen. Dieses Treffen, sein Verlauf, die Rednerliste, seine Resultate, war mi­nutiös ge­plant.[cxix] Mit den Abweichungen sollte aufge­räumt und dafür das offen­sichtlich er­wartete Ein­ver­ständnis der Mehrheit der Schriftstel­ler eingeholt werden. Die minutiöse Pla­nung läßt darauf schließen, daß man zwar mit Schwierigkeiten rechnete, sie aber durch eben diese Planung bereits zu über­winden ge­glaubt hatte. Schon auf der Treppe, beim Eintritt in das Staatsratsge­bäude, bemerkt Hans Koch[cxx] zu Christa Wolf: ”Heute sollen wir hier geschlachtet werden!” (Wolf 1991b, S. 263)

Es gelang den Schriftstellern aber, die Pläne gründlich durcheinanderzubrin­gen. Be­reits auf diesem Treffen polemisiert Ulbricht gegen den Vorabdruck zu einem geplan­ten Buch Werner Bräunigs,Rummelplatz, der dann auf dem 11. Ple­num Hauptstreitpunkt wird, und schon hier stellt sich Christa Wolf in einem spon­tanen Diskussionsbeitrag Ulbricht entgegen. Sie relativiert die Attacke Ulbrichts gegen Bräunig, sie skizziert die Lage der Jugend in der DDR und nennt Gründe für Fehlentwicklungen, sie konstatiert geistige Leere und daß der so­zialistische Staat den Jugendlichen als fremde Institution ge­genübertrete (vgl. Agde, S. 137).[cxxi]

Ulbricht erwidert: ”Das ist eine Selbstüberschätzung, daß Sie die Fehler besser sehen als wir.” (zit. n. Agde, S. 136)[cxxii] Damit ist die Spaltung in ”ihr” und ”wir” of­fen­bar. Die Künstler sind geschockt, die andere Seite, wegen des Widerstandes, auch. ”Die Organisatoren und ihre präparierten Beiträger äußern sich gar nicht, auch Erich Honecker nicht, der... in drei Wochen[cxxiii] das Referat auf dem 11. Ple­num halten wird. Von der Partei­spitze spricht nur Kurt Hager. Das Nebeneinander der zwei Gruppierun­gen wird gelegentlich zum offe­nen Gegeneinander. Die Konfrontation wird offenkundig... Die Redelust bleibt ge­ring, immer wieder muß Walter Ulbricht zu Wortmeldungen auffordern...” (S. 136f.)

Das Treffen geht unentschieden aus - die Schriftsteller haben die Angriffe pa­riert (Christa Wolf wird auch durch Anna Seghers unterstützt)[cxxiv], und die Führung übergeht die Argu­mentationen der Schriftsteller. Hinterher hört Christa Wolf von der persönlichen Re­ferentin Hagers: ”Ihr wißt gar nicht, was ihr heute hier abge­wehrt habt!” Und Christa Wolf weiter: ”Da wurde mir klar, daß man diese Nieder­lage wohl nicht einstecken würde. Aber zunächst schien es, als sei wirklich ein Angriff gegen die Kunst abgewehrt wor­den.” (Wolf 1991b S. 264f.)

Entgegen den sonstigen Gewohnheiten ist die Berichterstattung über das Tref­fen spär­lich, im Hintergrund wird das Plenum vorbereitet, noch gründlicher dies­mal, es ist, wie es nun Gewohnheit wird, eine politische Inszenierung. ”Nach Überzeugung der Or­ganisatoren durfte es nicht bei diesem Ergebnis bleiben. Das Gespräch als Test hatte ihnen bewiesen, daß sie an­dere Diskutanten brauchten, nicht Künstler, sondern Politiker und Funktionäre. Ihre Mann­schaft mußte anders formiert sein und mit dem richtigen Ma­terial vorprogrammiert werden. Außerdem mußten Mehrheiten anders verteilt und die Auftritte von Mitdiskutanten besser pla­ziert werden. Würde zusätzlich eine öffentliche Erwartung geschaffen werden, auf die die Spitze dann reagieren könnte, so müßte der nächste Versuch ‘erfolgreich’ werden.” (Agde, S. 141) In den verbleibenden Wochen wird die Entscheidung gefallen sein, das Thema Kultur ne­ben der Wirtschaft zum Schwerpunkt des Ple­nums zu erheben.[cxxv]

Das Plenum selbst - eindeutig in Atmosphäre und Schärfe als Abrechnung mit den Schriftstel­lern geplant, die stille Wut um den Selbstmord Apels, des Wirtschafts­funktio­närs, im Hinter­grund -[cxxvi] bringt das Faß zum Überlaufen.[cxxvii] Christa Wolf ist hocher­regt.[cxxviii] Es fällt das erste Mal das Wort, das die Position vieler Künstler in der DDR lange Zeit kennzeichnen wird und das auch in die Frage ”Wann, wenn nicht jetzt?” eingegangen ist: Warnung. ”Ich habe den Ein­druck”, sagt Christa Wolf in einem spontanen Diskus­sions­beitrag, ”daß durch diese Tagung, ...die Gefahr be­steht..., ...bestimmte Errungen­schaf­ten, die durch die Bitterfelder Konferenz und auf ihrer Grundlage geschaffen wur­den..., wenn nicht zurückzunehmen, so doch zu stop­pen. Und ich möchte euch vor die­ser Ge­fahr warnen, die ich in vielen In­stitutionen sehe.”

[...]


[i] Der Streit, was nun DDR-Literatur sei, ob es so etwas überhaupt gäbe, soll mich hier nicht beschäftigen. Ich beziehe mich auf Texte, die in der DDR entstanden sind und auf sie als einer Ausprägung von Geschichte reagieren. Mehr ist für den vorliegenden Zusammenhang nicht wichtig.

[ii] Daß das Werk der Autoren dabei zurücktritt, ist für drei der Interpretationen relativ unproblematisch: Bei denBuckower Eleginehandelt es sich um einen späten Gedicht­zyklus, da ist - was die DDR betrifft - nachher nichts gravierend anderes hinzugekom­men, und auch die Analyse früherer Brecht-Texte über die DDR brächte nicht sehr viel Neues, da Brecht so lange Zeit in der DDR nicht gelebt hat, und gerade dieBuckower Elegienseine schonungslosesten und ergiebigsten Texte sein dürften. Bei der Interpreta­tion des Textes von Christa Wolf war es möglich, über die exkursorische Thematisierung des Entfremdungsmotivs in späteren Äußerungen auch veränderte Haltungen und Texte wenigstens schlaglichtartig einzubeziehen. Volker Brauns Roman reflektiert das nahe Ende der DDR, und in dieser Hinsicht ist auch von Braun zu DDR-Zeiten nichts mehr ge­schrieben worden, das darüber wesentlich hinausgehen würde. Für die Interpretation des Stücks von Müller bleibt ein Problem, daZementzwar für den Müller der siebziger Jahre charakteristisch ist, nicht aber in gleichem Maße für spätere Zeiten. Dem habe ich zu be­gegnen versucht, indem ich in den Anmerkungen auf spätere Entwicklungen verweise.

[iii] Daraus ergab sich auch der methodische Ansatz: Das Aufschließen geschichtlicher Erfahrung ist das Grundmotiv der literarischen Hermeneutik von Hans Robert Jauß. Seiner Methode fragendem Suchens ist meine Arbeit verpflichtet. Voraussetzung für Jauß war dabei die Rekonstruktion des geschichtlichen Horizonts, um durch die Differenz zur Gegenwart das erfahren zu können, was den eigenen Horizont verändern kann. Ich halte diesen Weg für den Umgang mit der Literatur in der DDR für unverzichtbar, aber kaum beschritten.

Methodisch ist das allerdings nicht zu leisten, ohne von der Möglichkeit literarischer Widerspiegelung von Wirk­lichkeit auszugehen. Da der Streit um die Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Wider­spiegelung fast so etwas zu sein schien wie die Scheidelinie des Ost-West-Konfliktes auf dem Gebiet der Literaturwissenschaft und Ästhetik - in dessen Ergebnis der Gedanke der Widerspiegelung, wie des öfteren zu hören ist, endgültig irrelevant geworden sei -, be­darf dieses Vorgehen, will man es nicht verschleiern, einer Begründung. Ich will einige Punkte zusammentragen:

- Ich orientiere mich am Widerspiegelungsverständnis von Wolfgang Heise. Widerspiegelung ist für Heise eine Kategorie, die im Zu­sam­menhang der Produktion und Rezeption von Kunst gedacht werden muß, und so ist Wi­derspiegelung für ihn nicht als Resultat zu fixieren, sondern sie ist ein Prozeß. Es macht gerade das Zentrum des Widerspiegelungsgedankens von Heise aus, daß die im Kunstwerk gespiegelte Welt immer eine Welt ist, die durch das Subjekt gegangen ist, und daß es gerade das Verhältnis des Subjekts zu dieser Welt ist, in dem Abbildung gesucht werden sollte, die wiederum nur re­zeptiv erschlossen werden kann - und nie endgültig. Die Momente der Relativität von Abbildung und Wahrheit sind sowenig fixierbar wie diese selbst - beides wird bewußt im Prozeß der reflektierenden und argu­mentierenden Auseinandersetzung, dessen Abbruch erst bei­des endgültig preisgeben würde. Es ist also nicht möglich, Widerspiegelungsresultate endgültig zu fixieren, wie es auf eine Dimen­sion von Kunstprodukten zu verzichten hieße, würde nicht nach ihrem Verhältnis zur Welt interpretativ gefragt.

- Man kann zeigen, daß theoretische Ansätze, die sich dezidiert gegen den Wider­spiegelungsgedanken aussprechen, oftmals ohne Momente von Widerspiegelung nicht denkbar sind, wie etwa Adornos Formgesetz. Auch die literarische Hermeneutik Hans Robert Jauß’ muß Momente von Widerspiegelung integrieren, da sonst der An­spruch, die geschichtlich relevante Frage zu rekonstruieren, auf die ein literarischer Text eine Antwort darstellt, nicht einzulösen wäre, da sowohl Frage wie Antwort auch im Text gesucht wer­den. Unbedingt nötig ist jedoch eine klare Abgrenzung zum Widerspie­gelungsdenken von Georg Lukács, und noch mehr von den ihm folgen­den oder anderen Dogmatisierungen und Verengungen des Gedankens.

- Des weiteren ist es offenbar völlig üblich, davon auszugehen, daß in literarischen Texten Entfremdungsphänomene widergespiegelt werden, wie auch davon ausgegangen wird, daß Literatur mit dem Entfremdungsproblem in Zusammenhang gebracht werden kann (nicht immer auf die Weise sozusagen ”unmittelbarer” Widerspiegelung von Wirk­lichkeit, sondern als Problem etwa der literarischen Form, was jedoch nicht aus­schließt, daß es sich um einen Widerspiegelungszusammenhang handelt, verzichtet man auf eine enge Auffassung von Widerspiegelung). Man tut dies oftmals, ohne sich weiter um die methodische Implikation, damit dem Widerspiegelungskonzept zuzuarbeiten, zu scheren, vielleicht gar, ohne um sie zu wissen (vgl. dazu Anmerkung 7).

Gleiches gilt aber auch für Interpretationen, die sich nicht auf das Entfremdungs­problem fixieren. Alle mir bekannten Interpretationen derBuckower ElegienBertolt Brechts - östlicher wie westlicher Herkunft - versuchen, anhand der literarischen Texte vor allem die Frage zu beantworten, wie Brecht zu den Ereignissen des 17. Juni 1953 und zur DDR überhaupt gestanden habe, und wie diese Ereignisse in seinen Texten er­scheinen. Andersherum: Mir ist gar keine Interpretation bekannt, die wesentlich anderes tut, als diesen Fragen nachzugehen - selbstverständlich auf ganz unterschiedlichen me­thodischen Wegen und mit ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Ohne implizit eine Wi­derspiegelungsbeziehung anzuerkennen, scheint mir dieses Vorgehen nicht möglich.

- Schließlich kann ich mich auf die Autoren und die Autorin der zu interpretieren­den literarischen Texte selbst berufen, für sie ist es selbstverständlich, daß ihre Texte Wirk­lichkeit widerspiegeln - wie es selbstverständlich ist, daß sie darin nicht aufgehen. Nicht nur für Heiner Müller ist das Entscheidende an der Kunst das, was sie zu bewegen in der Lage ist, und nicht das, was man an ihr festzustellen sucht. Dennoch ist auch in seinen Texten - die ganz wesentlich gegen das Vergessen arbeiten wollen, gegen das Ver­gessen geschichtlicher Erfahrung - vorausgesetzt, daß diese geschichtlichen Erfahrungen in den Texten erscheinen, mit denen sie sich auseinandersetzen, die sie ”unmöglich” ma­chen wollen. Auch daß die eigene Stellung als Autor und Autorin mit dem Entfremdungs­pro­blem im Zusammenhang steht, wird reflektiert. In welcher Differenziertheit all das je­weils geschieht, und wie sich die Auffassungen und literarischen Strategien unterscheiden, wie sie sich von Brecht über Wolf und Müller bis zu Braun wandeln, das werden Gegen­stände der Interpretationen sein. Weil es den Autoren darum geht, mit den Texten Wirk­lichkeit zu bewegen, nicht alleine abzubilden, und weil ich darin, und in der Art und Weise, wie das geschieht, ein Spezifikum der Literatur in der DDR sehe, wird selbstver­ständlich auch meine Frage nach dem Zusammenhang von Literatur in der DDR und Ent­fremdung den Rahmen des Widerspiegelungsgedankens überschreiten.

[iv] Andere Auswahlkriterien sind selbstverständlich denkbar, man hätte stärker konfrontativ verfahren und etwa Texte von Günter Kunert, Uwe Johnson, Monika Maron oder von Autoren des sogenannten Prenzlauer Bergs heranzie­hen können. Mit Sicherheit wäre diese Konfrontation für das Entfremdungsproblem aufschlußreich geworden, und es ist zu hoffen, daß in der weiteren Beschäftigung mit der Litera­tur in der DDR auch dieser Versuch unternommen wird. Hier je­doch wurde darauf verzichtet. Für alle ausgewählten Texte ist cha­rakte­ristisch, daß sie den Widersprüchen des Sozialismus auf der Spur sind und damit zu­gleich den Widersprüchen des Entfremdungsproblems in der zweiten Hälfte des 20. Jahr­hunderts. Auf diese Weise kann es vielleicht besser gelin­gen als durch Konfrontation die offenen Enden geschichtlicher Problematik sichtbar zu machen. Konfrontative Texte fixieren sich mitunter zu sehr auf das Problem DDR und weniger auf das in ihr sichtbar werdende geschichtliche Problem.

[v]Entfremdung und Ästhetik. Eine begriffsgeschichtliche Studie und eine Analyse der ästhetischen Theorie Wolfgang Heises, Metzler, Stuttgart 2001, 533 Seiten. Dieses Buch ist die Publikation der ersten beiden Teile meiner 1999 an der Universität Konstanz verteidigten Habilitationsschrift. Das hier vorliegende Buch enthält den dritten, leicht überarbeiteten Teil. In dem bei Metzler publizierten Buch findet sich auch ein Exkurs zur Entfremdung im realen Sozialismus.

[vi] Doch ich möchte so etwas wie eine Begriffsstruktur wenigstens skizzieren: Etwas Ei­genes, von dem man sich entfremdet hat, von dem man sichselbstentfremdet hat (an Fremdes), soll wieder zurückgeholt wer­den, wieder (oder überhaupt) in Eigenes, Ge­wolltes, Be­herrschtes verwandelt wer­den. Der Entfremdungs­begriff im philosophischen Sinne wird na­hezu durchgehend so ge­braucht, daß es etwas dem Menschen (als Individuum, als Glied eines sozialen Zu­sam­menhangs oder als Menschheit) Eige­nes, nicht nur Nahes, gibt (oft von der menschli­chen Natur ausgehend), das durch sein eige­nes Verschulden, durch seine eigene Tätig­keit, ihn de­formierende oder knechtende, ihn unterwerfende Macht über ihn bekommt. Die eigenen Pro­dukte, ein­schließlich der Ver­hältnisse zwischen den Menschen, entziehen sich der Kontrolle und verselbständigen sich. Vorausgesetzt ist die Versachlichung des ursprüng­lich Eigenen, seine Form als Pro­dukt, als Entäußertes, vorausgesetzt ist Arbeitsteilung als Möglichkeit von Entfremdung, als ihr Entstehungsgrund. In der Ent­fremdungs­beziehung ist im­mer Fremdes eingeschlossen, nämlich das, woran man sich entäußert, wie anderer­seits das dabei ent­stehende nicht allein dingliche Pro­dukt sich dem Produ­zen­ten entzie­hen, in Hände oder Si­tuationen kommen kann, in denen die ursprüng­liche In­tention des Produzenten sich verkehrt. Entfremdung im philosophischen Sinne kann je­doch nicht am Individuum dis­kutiert werden, ob­wohl der Entfrem­dungsbegriff auf das Individuum zielt. Entfremdung entsteht innerhalb der Beziehungen von Menschen.

Die Phäno­mene der Entfremdung werden in unter­schiedlichen Termini reflektiert - z.B. als Entäußerung, Veräußerung, Fremdheit, Verdingli­chung und Ent­zweiung (auch als Sünde). Das Problem, an dem sich die Beteiligten dieser Dis­kussion, die bereits Jahrhunderte anhält, abarbeiten, lautet: Wie kann man, nachdem der Mensch sich als ein entfremdetes Wesen er­fuhr, und diese Entfremdung Resultate hinterließ, die geschichstsbestimmend wurden, wie­der in den alten Zu­stand zurück, der der alte nicht mehr sein kann? Die Antworten darauf sind höchst unterschiedlich, wie schon die verschiedenen Termini zeigen, in denen seit der Aufklärung Krisenphänomene reflektiert werden. In dieser Reflexion gerade liegt die Spezifik des Begriffs Entfremdung, wie er seit Rousseau ent­wickelt wurde. Es ist nicht nur ein Begriff, mit dem ”die Auflösung der alten und die Entstehung der modernen Welt in der Ge­schichte ihrer begrifflichen Erfassung” [Koselleck, S. XIV] ver­folgt wer­den kann, sondern der Entfremdungsbegriff reflektiert die Moderne selbst, in ihrer Pro­blema­tik, ihrer Verkehrung und Entzweiung. Zugleich ist es ein Begriff, der stets dop­pelte Funktion hat: Als Beschrei­bung von Entfremdung ist er - mehr oder weniger - empi­risch fundiert (und meist unmittelbar kritisch), wie er in der Suche nach der Überwindbarkeit von Entfremdung, die oft­mals aber die Beschreibung der Sache schon vorstrukturiert, ”zukunftsprägend” [S. XVIII] ist.

[vii] Nur nebenbei sei erwähnt, daß die Beschäftigung mit dem Zusammenhang von Entfremdung und Literatur nicht ungewöhnlich ist. Ich nenne im folgenden willkürlich zu­sammenge­stellt die Namen einiger Schriftsteller und Schrifstellerinnen wie literarischer Gegen­stände, die unter dem Blickwinkel der Entfremdung in neuerer Zeit befragt worden sind (das Wort Entfremdung erscheint bereits im Titel oder Untertitel jeder der folgenden Pu­blikationen): Argentinische Literatur (Röhl-Schulze 1990); Samuel Beckett (Gölter 1976; Martini 1979; Fritsch 1990); Saul Bellow (Bischoff 1975); Heinrich Böll (Sa 1993); John Cheever (Kuhli-Kortmann 1994); Marie von Ebner-Eschenbach (Snapper 1979); Engli­sche Kurzgedichte (Böck 1993); Marieluise Fleißer (Döppner-Henrich 1996); Max Frisch (Cordora 1982); Gabriel García Márquez (Decker 1985); Joseph Heller (Fritsch 1990); Wolfgang Hildesheimer (Andersson 1979); Franz Kafka (Anz 1992); Hermann Kant (Hoyt 1986); Doris Lessing (Spiegel 1980); Sowjetprosa (Meichel 1981); Peter Weiss (Vance 1982) Weitere Autoren und Autorinnen, die unter dem Blickwinkel der Entfremdung befragt wurden: Virginia Woolf, James Joyce, William Golding, Wolfram Koeppen, Nathalie Sarraute, Michel Butor; Robbe-Gril­let, Gerard Bessette, Jean Basile, Rejean Ducharme, Carson McCullers, J.D. Salinger, James Purdy, Alan Sillitoe, heavy metal music... Die Suche nach Entfremdungsphänomenen in literarischen Texten ist also ein eingeführ­tes Thema. Es erfreut sich bis in die jüngste Zeit ungebrochener Beliebtheit (anders als der Entfremdungsbegriff auf philosophisch-ökonomischer, politischer und ästhetischer Ebene).

Dritter Teil

Entfremdung und Literatur in der DDR. Ausge­wählte Interpretationen

I. Bertolt BrechtBuckower Elegien

[viii] Die aktuelle Diskussion darum, wie der 17. Juni 1953 zu beschreiben und zu bewerten sei, ob es sich um einen Arbeiter- oder Volksaufstand handelte, um einen konterrevolutionären Putschversuch unter Betei­ligung faschistischer Kräfte oder um einen Kampf für demokratische Rechte, kann hier nicht berücksich­tigt werden. Für Bertolt Brecht war entscheidend, daß sich Arbeiter gegen die sozialistische Regierung auf­gelehnt hatten - diese unstrittige Tatsache kann hier genügen, unabhängig davon, was der 17. Juni mögli­cherweise noch gewesen ist.

[ix] Andererseits ist Brechts Verfremdungsbegriff auf die Entfremdungsproblematik bezogen. Das allerdings wäre ein eigener Gegenstand, der in der Brecht-Forschung m.E. noch nicht ausreichend behandelt ist. Dem hier nach­zugehen, würde den Rahmen einer Textinterpretation überschreiten. Einige Bemerkungen zum Verhältnis von Verfremdung und Entfremdung finden sich in meinem Artikel ”Realismus - Verfremdung als Ent-Fremdung? Re­alismusdiskussion und russischer Formalismus”, in: Weimarer Beiträge, Berlin und Weimar Heft 12/1989.

[x] Brecht schreibt noch 1956, also nach denBuckower Elegienund wenige Wochen vor seinem Tod: ”Der Aus­bruch aus der Barbarei des Kapitalismus kann selber noch barbarische Züge aufweisen.” (Über die Kri­tik an Sta­lin, in: Brecht 1968 Bd. 2, S. 223) Im gleichen Text wird deutlich, daß Brecht dennoch die Ge­fahren nicht über­sieht, wiewohl er sie für überwindbar hält: ”Eine der schlimmen Folgen des Stalinismus ist die Verkümmerung der Dialektik. Ohne Kenntnis der Dialektik sind solche Übergänge wie die von Sta­lin als Motor zu Stalin als Bremse nicht verstehbar. Auch nicht die Negierung der Partei durch den Appa­rat. Auch nicht die Verwandlung von Meinungskämpfen in Machtkämpfe.” (S. 224) Eine differenzierte Einschätzung der Haltung Brechts zum Stalinismus - unter den Voraussetzungen des Kenntnisstandes sei­ner Zeit - gibt Peter Bormans (in: Fuegi u.a.).

[xi] Schuhmann, Schwarz und Knapp (letzterer in: Text und Kritik) setzen Einschnitte mit den Jahren 1939 und 1948 an.

[xii] Obwohl Brecht in den fünfziger Jahren Absichten geäußert hat - im Zusammenhang bspw. mit dem Hans Garbe Stoff (Büsching-Fragment) -, es zu reaktivieren. Das aber ist nicht geschehen (sieht man von der Bearbei­tung derMutterfür die Aufführung am Berliner Ensemble 1951 ab).

[xiii] Die epigrammatischen Texte Brechts haben als Vorbild sowohl die antike Epigrammatik wie die chinesi­sche Lyrik, insbesondere die Po Chü-yis und Lu Yüns (s. Schwarz, S. 100, S. 124ff.). Doch ist die Auf­nahme chine­sischer Tradition m.E. weniger dadurch gekennzeichnet, daß auch hier epigrammatische Ver­fahren bereits gefun­den werden können (wie Schwarz nachzuweisen sucht), sondern Brecht interessiert der Gestus der Texte: Beleh­rung durch Weisheit. Brecht selbst spricht von einer ”Sprachwaschung” die er mit den Epigrammen in der Exil­zeit vorgenommen habe (Brecht 1964, S. 90).

[xiv] Wie sich die Naturbeziehung in der späten Lyrik verändert hat, beschreibt Klaus Schuhmann: ”Die Natur beein­druckt weder durch ihre Weite... noch durch ihre gewaltige Größe. Das Ich wird nicht von ihr über­wältigt... Nicht die wilde Vegetation wird verherrlicht, sondern ein Blumengarten...” (Schuhmann, S. 127) Die Landschaft ist ”anthropozentrisch auf den Menschen bezogen” (Schwarz 1978, S. 100).

[xv] Zum Verhältnis Brechts zum Konfutianismus, Mohismus und Taoismus siehe das Buch von Han-Soon Yim. Zu ande­ren Auffassungen Brechts hinsichtlich der Weisheit siehe das Buch von Neumann.

[xvi] Brecht ändert seine Selbsteinschätzung folgendermaßen (im August 1940): ”wichtig ist in unseren wer­ken auch die technik des neuanfangens, von solchen ent­wickelt, welche die tradition beherrschen, denn der neu anfan­gende, der die tradition nicht beherrscht, fällt leicht unter die herrschaft der tradition zurück. am sichersten geht man, wenn man uns als die dialektiker unter den bür­gerlichen dichtern anführt und benutzt. damit stehen wir in einer reihe mit den bürgerlichen politikern, welche die sache des proletariats zu der ihrigen gemacht ha­ben.”(Brecht 1977a, S. 96) DieBuckower Elegiensind m.E. auch der Versuch, den­noch aus der Tradition, sie umarbeitend, herausblicken zu können. Das Genre Elegie benutzen zu müssen und ihm doch nicht als tradi­tionellem Muster zu erliegen, dürfte ein wichtiger Ertrag für Brecht gewesen sein, möglicherweise ließ sich auch alleine daraus Hoffnung gewinnen: Trotz allem ist man über das bür­gerliche Zeitalter bereits hinaus. Brechts Buckower Elegien müssen vor dem Hintergrund derRömischen Elegienund derDuineser Elegiengesehen wer­den.

[xvii] Etwas emphatisch und harmonisierend formuliert Claude Hill: ”Der Kreislauf der lyrischen Entwicklung hat sich geschlossen. Von den schrillen Ausbrüchen des anarchischen Nihilisten verlief er über die aufpeit­schenden und beizenden Kampflieder des Polemikers bis zu den distanzierten und epigrammatischen Aus­sagen eines seines klassischen Status bewußten Meisters der deutschen Sprache.” (Hill, S. 194)

[xviii] Schwarz (Schwarz, S. 100), Schuhmann (Schuhmann, S. 103) und Mennemeier (Mennemeier, S. 213) meinen, daß in den Texten derBuckower Elegiendas empirische Ich Brechts spricht (wenn ein Ich in den Texten erscheint). Es ist jedoch Fuhrmann zuzustimmen, wenn sie davon ausgeht, daß zwischen empiri­schen Ich und ly­rischem Ich in denBuckower Elegienzu unterscheiden sei (Fuhrmann, S. 49f.). Es gibt hier keine Identität, es ist bis jetzt aber unklar geblieben, welche interpretatorischen Erträge diese Unter­scheidung bringt. Für mein Vor­gehen ist wichtig, daß es der Dichter Brecht ist, der in den Texten spricht, daß er der Beobachter ist, von dem her beschrieben wird, daß er noch in der Rolle des sprechenden Ich als Brecht kenntlich bleibt. Im Rahmen dieser ap­plikativen Interpretation kann nicht genauer nach den Diffe­renzierungen gefragt werden.

[xix] Auch in derHauspostillegibt es, Villon aufgreifend, Bittgesänge, dort aber sind sie parodistisch ange­legt, in den späten vierziger und den fünfziger Jahren bittet Brecht tatsächlich.

[xx] Dieser Standpunkt mußte sich allerdings erst durchsetzen, er setzte voraus, politische Klischees abzu­streifen, wie sie auch in dem Theaterstück von Günter GrassDie Plebejer proben den Aufstand(1966) sichtbar sind (Grass wirft Brecht gerade anhand derBuckower ElegienRückzug ins Private vor). Hannah Arendt meint, daß Brecht in Ost-Berlin der künstlerischen Impotenz zum Opfer gefallen sei, die politische Distanz verloren habe, und daß mit denBuckower Elegiennicht viel Staat zu machen sei, aus dieser Zeit gäbe es kein großes Gedicht Brechts mehr (wiedergegeben nach Vollmar, S. 131).

[xxi] Die Editionspraxis ist äußerst uneinheitlich. Brecht selbst hat zu Lebzeiten nur 6 der Elegien publiziert (vgl. Knopf 1986a, S. 121f.). Als Textgrundlage dient mir die Ausgabe des Aufbau-Verlages der Werke Brechts, Band VII. In dieser Ausgabe enthält der Zyklus 21 Texte. Klaus Schuhmann berichtet, daß im Sommer 1953 im Gar­tenhaus Brechts ”ein Zyklus aus zwanzig Texten” entstand, von denen siebzehn heute unter dem TitelBuckower Elegienbekannt sind.” (Schuhmann, S. 108) Im Anhang der zugrundege­legten Ausgabe heißt es: ”Eine Auswahl der hier abgedruckten Gedichte erschien in Heft 13 der ‘Versuche’ und in der Zeitschrift ‘Sinn und Form’ (1953) Vier Elegien (‘Der Himmel dieses Sommers’, ‘Die Kelle’, ‘Die Musen’ und ‘Bei der Lektüre ei­nes spätgriechischen Dichters’) sind gegenüber der Suhrkamp-Aus­gabe, wo sie in Band VIII stehen, hier aufge­nommen worden.” (Brecht Gedichte VII, S. 174) Eine Begrün­dung dafür wird nicht gegeben. Ich beziehe mich im Inte­resse meiner Fragestellung auf diese umfangreiche Ausgabe, weil sie m.E. am besten wiedergibt, wie Brecht in diesem Sommer gedacht hat. Alle 21 Texte sind im Sommer 1953 in Buckow entstanden. (Insgesamt jedoch gibt es 31 Texte die in dieser Zeit ge­schrieben worden sind - vgl. dazu Lyon, S. 66f. - und zu denBuckower Elegiengerechnet werden könnten. Knopf hat 24 davon zusammengestellt und behauptet, die authentische Reihenfolge rekonstruiert zu haben (vgl. Knopf 1986a, S. 121f). Wieweit diese Zuordnung jedoch legitim ist, verlangte prä­zise Forschung mit dieser Fragestellung, die hier nicht zu leisten ist. Der meiner Interpretation zugrundegelegte Textkor­pus reicht aus, um der oben formulierten Fragestellung präzise nachgehen zu können.). Siehe dazu auch die Anmerkungen 35 und 98.

[xxii] Es gibt allerdings einige zusammengehörende Texte, die Brecht im Exil - angeregt durch Eisler - ge­schrieben hat und die, ohne diesen Titel zu tragen, von ihm des öfteren ”Hollywooder Elegien” genannt worden sind (vgl. dazu Fuhrmann, S. 55ff.)(imArbeitsjournal, entstanden und so genannt auf Anregung Eislers, der auch den TextAn die Nachgeborenenin seiner Vertonung ”Elegie” betitelt (vgl. Thiele, S. 47 und 49)). Dies dürfte jedoch eine eher ironisch-sarkastische Benennung sein und gleichzeitig, wie Thiele vorführt, auf den Gegensatz von ”Traum­fabrik” und ”Kunst der alten Welt” (Thiele, S. 67) verweisen. Le­diglich dieBuckower Elegiensind unmißver­ständlich so genannt. Die Provokation der Genrebezeichnung der 1953 entstandenen Texte ergibt sich daraus, daß sie in der DDR geschrieben sind, in einem Land, das den Sozialismus aufzubauen sich anschickte, einen Versuch, den Brecht unterstützte. Klagelieder sollten durch diesen Versuch gerade unmöglich gemacht werden. Erst jetzt je­doch wählt Brecht selbst und sehr bewußt die Bezeichnung ”Elegie”. Übereinstimmung zwischen den beiden ”Elegie”- Sammlungen besteht aber darin, daß Brecht die Texte in Situationen schreibt, die seine Wirkungsmög­lichkeiten einschränken oder einzuschränken drohen. Es wird möglicherweise auch die Herausforderung der be­rühmten Elegien Goethes, Rilkes und Hölderlins eine Rolle gespielt haben. Thiele formuliert eine anderes Motiv, das ich für gegeben halte: ”Schließlich mögen die elegischen Gedichte in einer Zeit, in der die Formalismusdis­kussion noch in Erinnerung war (...), Hinweis darauf sein, wie weitgefaßt Brecht selbst mit literarischen Formen arbeiten wollte.” (Thiele, S. 113f.) - Des weiteren finden sich einzelne Texte, die von der Brecht-Forschung als Elegien gedeutet worden sind (ohne daß Brecht sie so genannt hätte), z.B. An die Nachgebo­renen(1938},Deutschland(1933),Deutschland 1952(1952). Andere Texte nennt Thiele:Vom armen B.B.; Der große Oktober; Deutsch­land, du blondes, bleiches; O Deutschland, bleiche Mutter; O Deutsch­land, wie bist du zerrissen; Nach dem Tod meiner Mitarbeiterin M.S.(Thiele, S. 46) Eine Arbeit, die sich mit der Elegie im Werk Brechts beschäftigt, gibt es meines Wissens bisher nicht (Ansätze hinsichtlich der Lyrik finden sich bei Thiele; Mennemeier versucht, Elegisches auch in Brechts Dramen aufzuweisen (Mennemeier, S. 201ff.)). Auch gibt es keine theoretischen Äußerungen Brechts zur Elegie. Dennoch kann davon ausgegangen werden, daß Brecht schon vor den Buckower Texten Erfahrung mit der Umarbeitung des Genres gemacht hat. Im Vordergrund aber steht es erst jetzt.

[xxiii] Die frühe griechische Elegie war jedoch nicht vor allem durch ihren Gegenstand, sondern durch das Me­trum, das elegische Distichon, bestimmt. Thematische Konkretisierung erfuhr die Elegie erst in helle­nistisch-römischer Zeit (Witzmann, S. 26). Brecht übernimmt weder die strenge Metrik - die Verse seiner Elegien sind freirhyth­misch (erinnern aber zuweilen an das Distichon) -, noch den offen klagenden Ton. Aber dieBuckower Elegienerinnern ebenso Hexameter, die jedoch nicht rein er­füllt werden, und der Zyklus setzt mit beklagenswerter, erzwungener Untätigkeit ein. Die Konjunktive, die das Motto des Zyklus bestimmen (jede Zeile setzt konjunktivisch ein), verweisen dabei darauf, daß es Grund zu großer Klage gibt (ohne daß geklagt wird), wie, daß noch auf andere Entwicklung gehofft werden kann. Sie wird erwartet und soll mit den Texten provoziert werden. Die Elegie bekommt bei Brecht transitorischen Cha­rakter.

[xxiv] Schiller schreibt: ”Entweder ist die Natur und das Ideal ein Gegenstand der Trauer, wenn jene als verlo­ren, die­ses als unerreicht dargestellt wird.” (Schiller, S. 317) Brecht nun stellt in diesen Texten Natur (die Wolga inBei der Lektüre eines sowjetischen Buches) und Ideal als erst zu erreichendes dar. Die Klage, daß das zu Erreichende ferner und gefährdeter ist als vorher angenommen, läßt nicht entsagen, sondern neue Haltungen suchen.

[xxv] Ich teile hier Thieles Auffassung, der vor allem das Motiv ”Zeit” als bestimmend für den Text ansieht und das Motiv der Sintflut mit Revolution in Zusammenhang bringt. Die Sintflut vernichtet in der Bibel eine alte, ver­derbte Welt und mit ihrem Abflauen beginnt ein neues Zeitalter (vgl. Thiele, S. 90 und S. 91f.). Gegen Thiele aber meine ich, daß Brecht darauf referiert,nichtlänger als die Sintflut dauern zu kön­nen. Er wird nicht erleben, was ihr folgt. Ihr Abflauen ist ein Prozeß, kein plötzlicher Wechsel, Brecht fühlt sich am Beginn dieses Prozes­ses. Es ist, denke ich, auch Trost, den Brecht hier beim Lesen des Ho­raz findet.

[xxvi] Diese Wandlung der Gewißheit in Hoffnung (Utopie), wird ein Merkmal für große Teile der DDR-Lite­ratur bleiben.

[xxvii] Knopf: ”Das lyrische Ich ist kein isoliertes elegisches Ich der Gattungstradition; es wertet diese viel­mehr... um. Die Elegien erfassen nicht subjektive Gestimmtheiten, sie suchen nach der allgemeinen Lage, scheuen aber auch vereinzelten Aktionismus.” (Knopf 1986a, S. 37)

[xxviii] Verbindendes Element beider ist formal das Distichon (an das Brechts Texte zuweilen erinnern), auf in­haltli­cher Seite die Reflexion (ausgehend von einem Ich) (vgl. Thiele, S. 45, S. 115). Thema der Re­flexion ist, was Brecht in seinem Brief an Ulbricht gefordert hat, die Bilanz des Erreichten und Nicht-Er­reichten im Spannungsfeld von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

[xxix] Brecht hat zu Lebzeiten nur 6 der Texte veröffentlicht,Der Blumengartenleitet diese Veröffentlichung ein.

[xxx] Jürgen Link hat seine Brecht Interpretation auf einer am Emblem orientierten Symboltheorie aufgebaut. Das führte m.E. zu recht problematischen Ergebnissen, die Knopf dargestellt hat (vgl. Knopf, 1986a, S. 194ff.) Es gibt bei Brecht keinen festlegbaren Sinnkanon und keinen privilegierten Leser (dies durch ”automatisierte Kollek­tivsymbole”, wie Link es versucht, einfach zu ersetzen ist kraß unhistorisch). (Die Problematik der Interpretation Links - alles, jedes Wort als verschlüsseltes Symbol zu begreifen - entsteht m.E. aus einer irrigen Annahme über Brechts Intentionen. Dahinter steht die lange Zeit verbreitete An­nahme, Brecht habe nicht offen sprechen können und deshalb seine ”wahren Ansichten” kompliziert ver­steckt.) Dennoch macht der Vergleich mit emblematischer Struktur - heuristisch angewendet, behutsam - m.E. Sinn, gerade weil dieser Kanon zerbrochen werden soll, aber dennoch Sinnsuche organisiert. Die Texte sollen auf höchst Bedeutsames verweisen und ihre Schlichtheit soll diese Bedeutsamkeit hervorhe­ben. Es ist m.E. nicht zu leugnen, daß einige Texte an die emblematische Dreitei­lung von inscriptio, pictura und subscriptio mindestens erinnern. (In BrechtsKriegsfibelist diese Struktur sogar unverkennbar. Auch hier aber wird die Pictura nicht auf die Bedeutung hin konstruiert, sondern Wirklichkeit - bzw. Fotos - auf mögliche Bedeutungen befragt, ausgedeutet.) Die Texte gehen über die Struktur des Epigramms in seinem Zusammenhang von ”Gegenstand und Deutung” (Schwarz) schon insoweit hinaus, als der Titel an prominenter Stelle einbezogen werden muß. Zugleich werden durch den Vergleich Besonderheiten des Brechtschen Vorgehens deutlich. Das ändert nichts daran, daß viele Texte des Zyklus, wie Schwarz es tut, als ”epigrammati­sche Kurzgedichte” bezeichnet werden können. Schwarz schreibt: ”Damit weist das Ge­dicht [Der Radwechsel- AT] sehr deutlich eine epigrammatische Struktur auf, die traditionsgemäß durch ‘jenes Doppelverhältnis von <Gegenstand> und <Deutung>‘ geprägt ist und deren ästhetische Wirksam­keit man in den Qualitäten der Kürze (brevitas), Anmut (elegantia) und Scharfsinn (acumen) ausgedrückt fand.” (Schwarz, S. 122f.) Charakteristisch für viele Texte ist ihre Mittelachsenstruktur:Der Radwechsel; Große Zeit, vertan; Böser Morgen, Gewohnheiten, noch immer; Der Rauch. Diese Gedichte sind deutlich dreigeteilt, sie setzen meist ein mit einer Beschreibung (oder einer Feststellung), es folgt eine Frage oder eine Behauptung und im dritten Teil eine Schlußfolgerung (im Eingangstext ist diese Schlußfolgerung charakteristischerweise eine Frage). - Kersten macht auf Lessings Bemer­kungen zum Epigramm (Sinngedicht) aufmerksam (in: Text und Kritik, S. 66), das sich dadurch auszeichne, daß es Erwartung wecke und Aufschluß gebe. Dies ist auch bei Brecht der Fall, wobei Aufschluß nicht geliefert, sondern durch den Leser geleistet werden muß und die Lektüre nicht im Aufschließen enden soll, sondern Erkennt­nisse, letztlich Handlun­gen des Lesers provozieren will. Brecht will auf den Wind, der im Motto des Zyklus als fehlend beklagt wird, nicht nur warten, sondern zu seinem Aufkommen beitragen.

[xxxi] Die Ironie steht zugleich im Gegensatz zur Elegie - Ironie und Elegie vertragen sich nicht. Brecht klagt nicht über KuBas Funktionärshaltung (KuBaläßtFlugblätter verteilen, tut es nicht selbst, wie Tradition in der Arbei­terbewegung), er macht ihn und sie lächerlich. - Die Erwähnung der Stalinallee mag hier tat­sächlich, wie einige Interpreten meinen (Knopf, Fuhrmann), auf über KuBa hinausgehendes Verhalten von Funktionären (Politikern) verweisen, wie es Brecht imTurandot-Stück, das er gleichzeitig mit denBuckower Elegienneu bearbeitet, an Hitler vorgeführt hat. Dennoch ist Skepsis angebracht: Die Paralleli­sierung der Denkfigur sollte nicht als eine von Brecht beabsichtigte Parallelisierung von Stalin (oder Sta­linismus) und Hitler angesehen werden, für die es bei Brecht keinerlei sonstige Belege gibt, im Gegenteil. Dennoch verweist die Brauchbarkeit der Denkfigur für beide darauf, daß solche Parallelen tatsächlich existie­ren (in dieser Richtung läßt sich die Interpretation Thieles lesen (Thiele, S. 76f.)). Wichtig dagegen ist, daß hier die Stalinallee als Ort des Aufstandes in diesem Zusam­menhang (Funktionärsverhalten) er­scheint. Dadurch wird angedeutet, daß der Aufstand und Stalinismus mögli­cherweise in einer Relation ste­hen.

[xxxii] Das äußerst kunstvoll gebaute Gedicht verweist zugleich in seinem Bau selbst darauf, es stellt dieses Ange­nehme aus durch seine vielfältigen Assonanzen, das ”raffinierte Geflecht von a-, i- und o-Tönen, ver­bunden mit (an Konsonanten gebundenen) Alliterationen...” (Knopf 1986a, S. 44) Darüber hinaus ver­weist der Titel auf den ”Garten der Poesie”, noch deutlicher in Verbindung mit dem Wort ”angenehm” (‘prodesse et delectare’) (vgl. Thiele, S. 105). Dennoch geht das Gedicht auch darin nicht ”allegorisch” auf: Brecht ist nicht nur die Poesie, sondern eine bestimmte Haltung wichtig, Weisheit, und diese als Verbin­dung von Natur, Arbeit und Vergnügen. Auch dies aber nicht allegorisch festgefügt, da die Weisheit mit Veränderlichkeit gekoppelt ist.

[xxxiii] Auch setzt der hier dargestellte Garten ein bestimmtes Klima voraus, einen Garten in Kalifornien mußte Brecht anders beschreiben (vgl. Garden in progress- auch das gesellschaftliche Klima ist ein anderes).

[xxxiv] InAn die Nachgeborenen(1938):Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt.In diesen Zeiten sah Brecht dieNaturohne Geduld.

[xxxv] Zum Beispiel: Das Gedicht ist nicht nur ein Lob der Weisheit, sondern auch eines der Arbeit, sie gerade ver­heißt, die Natur dem Menschen angenehm machen zu können. Weisheit ist hier untrennbar mit Arbeit verbunden. Darauf nimmt der TextBei der Lektüre eines sowjetischen Buches noch einmalBezug. Im Un­terschied zu diesem Text aber ist Arbeit hier nicht an Nützlichkeit orientiert, sondern an Vergnügen - es ist kein Gemüsegarten, son­dern ein Blumengarten.

[xxxvi] Dennoch wird dieses Stück nicht fertig, kann Brecht es nicht bewältigen. Einige Monate nach seinem Tod aber erscheint im Maiheft derNeuen Deutschen Literatur(1957) ein Stück mit dem TitelDer Lohn­drückerdes Autors Heiner Müller (damals wird auch noch Inge Müller als Autorin genannt), in dem der Stoff anders angegangen und bewältigt wird.

[xxxvii]Wahrnehmung(1949)

Als ich wiederkehrte

War mein Haar noch nicht grau

Da war ich froh.

Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns

Vor uns liegen die Mühen der Ebenen.

[xxxviii] Die Reihenfolge der Texte - mit Ausnahme des Mottos - ist umstritten. Es kann aber davon ausgegan­gen wer­den, daß die Reihenfolge der ersten drei Texte -Der Radwechsel; Der Blumengarten; Die Lösung-Brechts Inten­tion entspricht; alle Ausgaben verfahren so, wenn auchDer RadwechselundDie Lösungin den 6 von Brecht noch zu Lebzeiten publizierten Elegien nicht enthalten sind. Knopf z.B., der seine An­ordnung auf Brechts Manu­skriptmappen zurückführt, verfährt ebenso (obschon mir seine Zusammenstel­lung auch problematisch erscheint - es ist schwer einsehbar, daß Brecht den Zyklus mit dem TextLauteabgeschlossen haben sollte).

[xxxix] Knopf bemerkt hier eine weitere Verfremdung der abendländischen Lyriktradition, in der die Kontempla­tion eine bevorzugte Haltung sei (vgl. Knopf 1986a S. 40f.).

[xl] Den Interpretationsversuchen Links stand auch Heise ablehnend gegenüber. Ich hatte als Student in dem von Wolfgang Heise und Michael Franz 1980 veranstalteten Oberseminar ”Ästhetik des Gedichts” mich mit der Ana­lyse desRadwechselsvon Link zu beschäftigen - die Absurdität dieser Interpretation wurde schnell sichtbar. - Un­freiwillig komisch dagegen wirken Interpretationsversuche, in denen der 17. Juni gar nicht zur Sprache kommt, wie zum Beispiel der Versuch Hugo Dittberners (in: Text und Kritik) (vor al­lem bei der Analyse vonBöser Mor­gen). Auf andere Weise die von Vollmar, in der nun alles in zuweilen obsessiver Weise (vgl. Vollmar S. 95ff.) nur auf den 17. Juni zugeschnitten wird. Diesen Interpretationen liegt u.a. vollständiger Mangel an Kenntnis über die DDR-Wirklichkeit zugrunde, der durch Vorurteile, die die Texte Brechts bestätigen sollen (bei Link mit bom­bastischem Theorieaufwand), überspielt wird.

[xli] Auch Thiele kommt mit diesem Text nicht zurecht (Thiele S. 101ff.). Hier macht es im übrigen einen Unter­schied, ob der empirische Brecht oder der ”Text-Brecht” gesehen wird. Der empirische fuhr seine ge­liebten Autos selbst, der im Text wird gefahren - weil es wichtig ist für das Gedicht. Daß Brecht dem Fah­rer nicht hilft, kenn­zeichnet eine soziale Beziehung, nicht eine moralisch verwerfliche Haltung, wie es das Gedicht Karsunkes unterstellt (s. Thiele, S. 103).

[xlii] Daß es sich bei dem Gefährt, das im Text nicht bezeichnet ist, um einen Bus handeln könnte (Vollmar, S. 94), halte ich bei der dargestellten Figurenkonstellation für wenig wahrscheinlich. Dann hätte Brecht, würde nicht nur naturalistisch wiedergegeben, auch über die anderen Fahrgäste geredet.

[xliii] Diese Tatsache wäre für mich das stärkste Argument dafür, diesen Text als den Eingangstext des Zy­klus anzu­sehen, wie gleichzeitig dafür, den TextBei der Lektüre eines spätgriechischen Dichtersals sein (mindestens ge­dankliches) Ende. Dafür sprechen vor allem die drei Punkte, mit denen der Text endet. Auch die Troer also..., das ist die Antwort, die Brecht findet, zu finden vermag. In diesem Text zugleich ist als einzigem ein Moment von Elegie eindeutig identifizierbar: Die Totenklage ist bereits angestimmt, dennoch...

[xliv] Diese Frage provoziert besonders die Lyrik Brechts. Knopf beschreibt den Widerspruch: ”Derjenige, der sich für diese Verbindung [von Arbeit und Ruhe - AT] eingesetzt hat, hier gespiegelt im Rollen-Ich des sprechenden Elegikers, hat keinen Anteil, keinen realen Anteil an der Arbeit zum Weiterkommen, ange­setzt verharrt er in Be­obachtung, wo er mitwirken wollte und lieber im Prozeß selbst reflektierte.” (Knopf 1986a, S. 41) Diese Art Reflexion - charakteristisch auch für die elegische - wird negativ konnotiert, doch der Dichter ist zu ihr gezwun­gen.

[xlv] Siehe Mittenzwei 1987, S. 482.

[xlvi] Daß der 17. Juni für Brecht auch ein Problem der ”Geschwindigkeit” darstellt, macht schon sein Brief von die­sem Tag an Walter Ulbricht, von dem nur der letzte, affirmative Satz veröffentlicht wurde, deutlich: ”Die große Aussprache mit den Massen über das Tempo des sozialistischen Aufbaus wird zu einer Sich­tung und zu einer Si­cherung der sozialistischen Errungenschaften führen.” (Brecht 1983 Bd. 2, S. 655) Es ist unsicher geworden, was über­haupt schon erreicht worden ist und wie schnell ”fortgefahren” werden kann. Die Unterbrechung der Fahrt ist auch nötig - sie kann nicht einfach fortgesetzt werden: Das Rad muß erst gewechselt sein.

[xlvii] Auch diese Verneinung hat noch einen doppelten Sinn: Zum einen glaubt Brecht nicht, daß mit einer neuen Führung - welche sollte es sein? - etwas gewonnen wäre. Zum anderen glaubt Brecht nicht an den Sinn von freien Wahlen in dieser Situation. Freie Wahlen, so steht zu befürchten, würde die Preisgabe des Versuches be­deuten, auf deutschem Boden Sozialismus möglich zu machen. Hier aber wird der Zwiespalt der Texte folgen­reich: Wenn es richtig ist, daß mit dem 17. Juni die sozialistische Perspektive überhaupt zur Disposition steht, auf welcher Grundlage kann dann weiterhin von der Notwendigkeit diktatorischer Formen ausgegangen werden? - Dieses Problem stellen die Texte, es soll hier nicht Brecht angelastet wer­den. Für Brecht haben auch dieBuckower Elegienzum Resultat, daß es zu einer sozialistischen Entwick­lung keine Alternative gibt und das wei­terhin, so sehr die Gewißheit geschwunden scheint, Hoffnung auf ihre Möglichkeit zu setzen ist.

[xlviii] Auch die Lösung Roman Jakobsons, die Jauß erörtert, die Umwendung vomWasauf dasWie, auf die Selbstreferentialität des Textes durch die Veränderung der Fragerichtung, würde Brecht ablehnen. Es träfe den Text nur insofern, als er eben durch die Antwortlosigkeit danach zu fragen provoziert, warum hier nicht geantwortet wird - relativ unabhängig vom Inhalt der Fragestellung. Es trifft viel eher zu, was Jauß anhand der Ergänzung der Formel Jakobsons durch Ricoeur zusammenfaßt: ”Das besagt für die poetische Funktion von Frage und Antwort, daß lyrisches Fragen nicht im Antwortlosen endigen muß, sondern durchaus auch eine bestimmte Antwort durch die Umwendung vomWasauf dasWieim Ausdruck steigern und wieder ins Offene stellen kann.” (Jauß, S. 429) Das geschieht hier, nur mit dem Unterschied, daß der sozialistische Dichter Brecht die Antwort lieber gäbe, statt sie ins Offene zu stellen. Daran schließt sich eine theoretische Frage, die hier nicht behandelt werden kann: Ist die Steigerung desWasnur als Öffnung ins Unbestimmte denkbar; gibt es Differenzierungen innerhalb der Polarität von unzweideutig klarer oder unbestimmt offener Frage?

[xlix] Dafür spricht, daß Brecht in dem Text nicht von Aufruhr, Umsturz oder - wie später üblich - von kon­terrevo­lutionären Vorgängen spricht, sondern von einem Aufstand (dieses Wort ist positiv besetzt). Zu­gleich spricht er nicht gegen die Regierung, sondern gegen KuBa, dessen Vorschläge falsch sind. Daraus ist ersichtlich, daß die Konfrontation unvermeidlich war, daß beide Seiten je etwas Berechtigtes vertraten. Das gerade zwingt zum ge­nauen Nachdenken, sonst werden ”Lösungen” fatal.

[l] ”Der ‘Neue Kurs’ nach 1953 brachte in der Wirtschaftspolitik neue Schwerpunkte, vor allem eine starke Auf­wertung der Konsumgüterindustrie zuungunsten der Schwerindustrie. Bisher wurden ‘in der DDR hauptsächlich die Industriezweige gefördert, die nicht unmittelbar Konsumgüter produzierten’ (Angelika Trebeß: Gesellschaftliche Begründung für Industrieformgestaltung in der DDR von 1956 bis 1976, Di­plomarbeit, eingereicht an der Humboldt-Universität zu Berlin, Juli 1981, S. 9). Hier fand eine Verlage­rung statt, die anfangs ins andere Extrem umschlug, die Schwerindustrie stark beeinträchtigte.” (Trebeß, Achim: Die Formgestaltung im Neuen Deutschland, Manuskript (1981), S. 5) Eine der dem Juni unmit­telbar folgenden Losungen, die auch Brecht, verständlicherweise, unterstützt, lautet: ”Dem Volke mehr und bessere Konsumgüter” (zit. n. ebd.). Im ”Jahr der großen Initiative”, 1954, wurde darauf orien­tiert, für eine Milliarde Mark zusätzliche zum Plan Konsumgüter zu produzieren. In dieser Zeit entstand auch eine der einflußreichsten Losungen in der DDR: ”So wie wir heute arbeiten, wird morgen unser Le­ben sein” (zit. n. ebd.) (später kürzer und eingängiger: Wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben). Im Zuge dieser Neu­orientierung wurde auch der Formalismusdiskussion ihre Schärfe zeitweilig genom­men. Durch Bemühungen Brechts u.a. gelang es bspw. die Kunstkommission aufzulösen und ein Kultur­ministerium einzurichten, dessen Minister Becher wurde. In Künstlerkreisen wurde von ”Liberalisierung” geredet (vgl. ebd.). Durch diese Orientie­rung auf Produktion von Massengütern und durch das Nachlassen des Formalismuskriteriums, öffneten sich neue Möglichkeiten für künstlerische Gestaltungen auf diesem Sektor, Formgestaltung wird wichtig. Dies aber auch eine Reaktion auf Entwicklungen in westlichen Ländern. Zunehmend wird deutlich, daß viele Maßstäbe aus dem Westen gewonnen werden, gegen den un­unterbrochen polemisiert wird. Zugleich wird nach dem 17. Juni ver­sucht, bürokratisches Verhalten im Umgang mit den Arbeitern abzubauen, die Rechte der Gewerkschaften zu stärken usw. Dies aber hat keine strukturellen Konsequenzen hinsichtlich des politischen Systems. Auch Brecht klagt solche Konsequenzen meines Wissens nicht ein.

[li] Knopf nimmt in seine Zusammenstellung der Elegien u.a. noch den TextLebensmittel zum Zweckauf. Er stellt sich einem ähnlichen Problem, hier aber wird das Volk mit Verachtung beschrieben (die Metapher des Metzgers und des Schlachtviehs ist eindeutig besetzt bei Brecht). Das dürfte der Grund sein, aus dem Brecht die­sen Text nicht mit anderen Elegien veröffentlicht hat (in der Aufbau-Werkausgabe ist der Text nicht enthalten, er wurde erst 1980 entdeckt; Lyon führt ihn in seiner Chronologie mit der auch für die anderen Elegien verwendeten Entstehungszeit 1953 an). Die Haltung des Textes ist m.E. nicht typisch für Brecht, in ihm wird der Widerspruch vonGroße Zeit, vertaneliminiert. Ich verzichte des­wegen auf eine Interpretation, möchte den Text aber an dieser Stelle wiedergeben:

Lebensmittel zum Zweck

An Kanonen gelehnt

Teilen die Söhne Mac Carthys Schmalz aus.

Und in unendbarem Zug, auf Rädern, zu Fuß

Eine Völkerwanderung aus dem innersten Sachsen.

Wenn das Kalb vernachlässigt ist

Drängt es zu jeder schmeichelnden Hand, auch

Der Hand seines Metzgers.

Das Stück ist aber insoweit interessant, als es der einzige Text aus dem Umkreis der Elegien ist, in dem das Volk sich tatsächlich in Bewegung befindet (der Text stellt ein Gegenstück zumMottodar - auch hier wird jede Mög­lichkeit -auf Rädern, zu Fuß- genutzt, um ”vorwärtszukommen”). Er ist interessant darüber hinaus, weil nach dem Juni 1953 die DDR-Regierung versucht, genau diese Haltung einzunehmen: das Volk zu gewinnen, indem es abgespeist wird.

[lii] Noch mehr als zwanzig Jahre später, darauf werde ich eingehen, wird Christa Wolf inNachdenken über Christa T.ähnlich lakonisch formulieren: ”Unter den Tauschangeboten ist keines, nach dem auch nur den Kopf zu drehen sich lohnen würde” (CT, S. 53). Diese Negation ist eine der wesentlich­s­ten identitätsstif­tenden Momente unter Teilen der linken Intelligenz in der DDR. Sie ist eine Scheidelinie.

[liii] Auf die Vorlage des Textes und die Veränderungen, die Brecht vornimmt, geht Knopf ein (Knopf 1986a, S. 105ff.). Vorlage ist das BuchEin Strom wird zum Meervon Wassili Galaktionow und Anatoli Agranowski.

[liv] Brecht - der der Texte - ist also weder in die westlichen Städte noch an die Wolga gefahren. Schwarz meint, daß Brechts TextGroße Zeit, vertan”dem demokratischen Wiederaufbau im Westen Deutschlands keine Rech­nung” trägt” (Schwarz, S. 105). Das ist richtig, sollte aber den kalten Krieg nicht vergessen lassen. Brecht - der empirische - ist in den Westen gegangen, hat sich der Diskussion gestellt und ist ener­gisch für die deutsche Ein­heit und gegen Wiederbewaffnung und Kriegsvorbereitung eingetreten. Ihm wurde mit Haß begegnet. Mittenzwei beschreibt das in seinem Buch (Mittenzwei 1987, bes. S. 564 - 584). Das, was hier die BILD-Zeitung am 20. August 1961 gewohnt drastisch ausdrückt, ist die Haltung, die auch zu Aufführungsboykotten Brechts im Westen Deutschlands geführt hat: ”Millionen verfluchen diesen Namen [Brecht - AT] seit dem 17. Juni - und seit dem 13. August verursacht er uns Übelkeit” (zit nach Hohnhäuser, in: Text und Kritik, S. 193). Es sei die Bemer­kung des damaligen Außenministers, Heinrich Brentano, erinnert, der sagte: ”Aber ich bin wohl der Meinung, daß die späte Lyrik des Herrn Brecht nur mit der Horst Wessels zu vergleichen ist.” (zit. n. ebd, S. 195)

[lv] Der Text gibt keine eindeutigen Hinweise. Schwarz geht davon aus, daß es sich ausschließlich um die westli­chen Städte handelt, Knopf, Fuhrmann und Thiele meinen, nur östliche Städte seien gemeint. Ich denke, daß Brecht durchaus beide Lesarten provozieren wollte (Statistik verweist sowohl auf Profit wie auf Abrechnungs­mentalität - vertane Zeit darauf, daß Chancen nicht genutzt, bzw. gar nicht erst in Anspruch genommen wurden; für westliche Städte spricht auch, daß deren Existenz hier den Bauarbeitern, die auf die Straße gingen, entgegen­gehalten wird: Sie bauen bereits an anderen Städten - so man sie läßt). Gerade da­durch wird der Text spannend: In der einen Lesart - westliche Städte - wendet er sich an das Volk, in der anderen - DDR-Städte (Stalinstadt, später Eisenhüttenstadt) - an die Regierung (bzw. die für Bauwesen verantwortlichen). Das entspräche der Haltung Brechts in den Elegien, daß beide Seiten zum Nachdenken aufgefordert werden müssen, macht zugleich den Widerspruch deutlich, in dem sich Brecht be­wegt: unter­stellt wird Weisheit des Volkes, unterstellt wird die Position der Regierung (bzw. der Partei) als Avant­garde - die Notwendigkeit der Belehrung durch Brecht dementiert dies zugleich. Brecht muß das Volk auf seine Weisheit hinweisen (es über sie aufklären), die Regierung auf das, was sie eigentlich wissen müßte. Gewiß jedoch ist, daß diese Städte, wo sie auch liegen, nicht das Ziel der Reise sein können. Dort würde Brecht nicht hinfahren, schon gar nicht mit Ungeduld. - Eindeutig wird die von Brecht konstatierte Zwie­spältigkeit des Volkes in ihrem Verhältnis zum Westen, wenn man den TextLebensmittel zum Zweckeinbezieht (s. Anmerkung 52). Hier ist gar keine Weisheit (das macht den Text indieserHinsicht unty­pisch für Brecht).

[lvi] Der ebenfalls im Text präsente Gegensatz von weiblich-männlich bleibt ohne inhaltliche Relevanz.

[lvii] Auch dieses Resultat seiner Überlegungen spricht Brecht noch 1953 in anderer Form aus. So in einem Vortrag vor der Akademie: ”Wir haben, um es plump auszudrücken, weniger Neues, mehr Altes. Große Teile der Bevölkerung sind noch tief in kapitalistischen Vorstellungen befangen. Bei der Zertrümmerung dieser Vorstel­lungen muß auch die Kunst mithelfen. Wir haben allzufrüh der unmittelbaren Vergangenheit den Rücken zuge­kehrt, begierig, uns der Zukunft zuzuwenden. Die Zukunft wird aber abhängen von der Erledigung der Vergan­genheit.” (zit. n. Schwarz, S. 116)

[lviii] Verstärkt noch dadurch, ist die Pointe des Gedichtes erst einmal offenbar, daß das Holzsammeln im Sommer noch ein anderes Motiv möglich macht: das des Brandstiftens (vgl. dazu Knopf und Fuhr­mann) (Reichstag, Co­lumbushaus; s. Anmerkung 73). Wofür wird hier Holz gesammelt?

[lix] Am 25.7.45 listet Brecht imArbeitsjournalMeinungen auf, die er ”eher nicht” teilt. Darunter befindet sich die folgende: ”daß der faschismus nicht diskreditiert ist und man hier nicht weiß, daß die deutsche bourgeoisie ihr debakel ihm zu verdanken hat.” (Brecht 1977a, S. 405) Das bezieht sich auf Amerika, wird aber wohl von Brecht auch für Deutschland angenommen. Diese Annahme revidieren dieBuckower Elegien.

[lx] Besonders deutlich durch das isoliert stehendeDie Hand hoch. Das kann auch als Befehl gelesen werden.

[lxi] Daß Brecht im Mittelstand die Gefahr eines Wiedererstarkens des Faschismus und den ”eigenen Westen” in der DDR sah, macht sein Brief an Paul Wandel vom August 1953 deutlich (vgl. Anmerkung 82). Die Arbeiter hält Brecht aus dieser Einschätzung heraus.

[lxii] Von diesem Rauch allerdings redet Brecht wenig - die Judenvernichtung und die Frage nach ihren Grün­den be­schäftigt ihn nicht vorrangig. So auch kann es kommen, daß Brecht, dem zu Zeiten ein Gedicht über Bäume ein Verbrechen bedeutete (und der mit Adorno im Exil - problematischen - Kontakt hatte), diesen Rauch möglicher­weise nicht bedenkt, seinen Text schreibend. Wichtig dagegen ist für Brecht der Rauch der Trümmer seines zer­störten Landes, so in dem TextDie Rückkehr. Darin folgt der Heimkehrer Brecht den Flugzeugschwärmen, die die Heimat bombardieren. Ihm ist klar, daß er nicht nur willkommen geheißen wird. Bezogen auf den 17. Juni er­innert ihn die ”Rauchwolke des Columbushauses” an die ”Rauchwolke des Reichstagsgebäudes” (n. Schuhmann 1977, S. 112). (Daß das Rauch-Motiv in anderen Texten Brechts Konnotationen hat, die auf Nihilismus bzw. Vergänglichkeit verweisen - vgl. Knopf 1986a, S. 195 - spielt hier m.E. keine Rolle. Interessant vielleicht, daß es in anderen Texten auch für kapitalistische Ar­beit im Faschismus steht:Aus den Schloten der Munitionsfabri­ken / Steigt Rauch(zit. n. Kersten, in: Text und Kritik, S. 68) Im Kontrast dazu wird klarer, warum Brecht im Text derElegienHaus, See und Bäume so eindringlich vor Augen führt. Wichtig ist, woheraus der Rauch steigt.)

[lxiii] Daß es nureinFlugzeug ist, zudem eines das ”Bomber” genannt wird, scheint mir darauf zu verweisen.

[lxiv] Nicht mit gleicher Haltung, aber doch als Alptraum ist der 17. Juni auch von der Parteiführung verarbei­tet worden - ein Trauma. Noch im Sommer 1989 (am 31. August) wird Stasichef Mielke, in verworrener, senil-ge­fährlicher Rede, seine Mitarbeiter fragen: ”Ist es so, daß morgen der 17. Juni ausbricht?” (zit. n. Mitter, S. 125) - Brecht gelang es offenbar tatsächlich, das Trauma mit Hilfe der Elegien zu verarbeiten, produktiv zu machen. Das war sein Vorschlag.

[lxv] Aber auch dort, trotz großer Erfolge, nicht stattfindet. Brecht notiert am 4.3.1953: ”unsere aufführungen in berlin haben fast kein echo mehr. in der presse erscheinen kritiken monate nach der erstaufführung, und es steht nichts drin... das publikum ist das kleinbürgerpublikum der volksbühne, arbeiter machen da kaum 7 prozent aus.” Brecht muß in die Zukunft ausweichen: ”die bemühungen sind nur dann nicht ganz sinn­los, wenn die spielweise späterhin aufgenommen werden kann, dh wenn ihr lehrwert einmal realisiert wird. (das gilt, obwohl wir alles tun, für jetzt, für die theaterabende, für das publikum von jetzt unser bestes zu liefern.)” (Brecht 1977a, S. 514f.)

[lxvi] Schwarz meint: ”Denn wann sonst wären Arbeiterfinger ‘gebrochen’ worden (und nicht nur das!) als beim blu­tig unterdrückten Aufstand der ostdeutschen Arbeiter am 17. Juni 1953?” (Schwarz, S. 119) Ich denke, daß Brecht sich hier darauf bezieht, daß die ”Klasse” durch den Faschismus gebrochen wurde. Im Umkreis des 17. Juni finden sich viele Äußerungen Brechts, die ihren depravierten Zustand hervorheben. Daß der Aufstand nieder­geschlagen wurde, ist nichts, was Brecht beklagt ((vgl. Brecht 1968 Bd. 2, S. 225f.)). Seine Argumentation zielt vor allem darauf, nun die Konsequenzen zu ziehen, notwendige Verän­derungen einzuleiten, das Gespräch mit den Arbeitern zu eröffnen. Gespräch deswegen, weil beide Seiten, die in den Texten konfrontiert werden, Arbeiter und Regierung, in ihm zu lernen hätten, keiner es ohne den anderen und ohne das Gespräch mit ihm vermag.

[lxvii] Es ist nicht, wie Schwarz in seiner Interpretation meint, der Brief an Ulbricht oder der am 23. Juni imNeuen Deutschlandveröffentlichte, der über dieses Unwissen Aufschluß gibt, sondern der - von Schwarz noch nicht ge­kannte - an Paul Wandel (vgl. Anmerkung 82).

[lxviii] Darauf verweist das Wort ”aussätzig”. So hat Brecht etwa zur gleichen Zeit auch Stalin bezeichnet:

ALS DER HELFER erschien, war er

Aussätzig. Aber der Aussätzige half doch.(zit. n. Knopf 1986a, S. 106)

[lxix] Auf der Ebene von Führern, die als Beispiel hingestellt werden, handelt der Text: Cäsar, Lenin. Der eine im Plural - Cäsaren -, wie er waren alle vergangenen Führer, der andere im Singular, einzigartig. Genau umgekehrt ist jedoch der Satz der Cäsaren hierarchisch von oben an das Volk gerichtet, während Lenin durch das ”wir” in es einbegriffen ist (bzw. sich selbst in es hineinstellt), auch in die Niederlage, die nicht nur seine wäre, sondern die des Volkes. Das macht die Anrede ”Freunde”, ”Brüder” legitim und angemes­sen. Brecht spricht als einer, der zum ”wir” gehört, und so nicht nur entgegenzunehmen hat. Darin liegt aber für die anderen, jene über ihm, die Ver­pflichtung zu hören. Tun sie es nicht, das die Warnung des Gedichtes, die auch den Titel bestimmt, zerbricht das ”wir”. Das Gedicht gewinnt seine Notwendigkeit daraus, daß die Freunde es gerade nicht Lenin gleichtun, sondern sich verhalten wie die Cäsaren. Hier wird das ”müde fliehend” bedeutsam: Eine Schlacht ist verloren worden, wirklich verloren aber hätten ”wir” erst, wenn dieses Eingeständnis müde geflohen und nicht die Kraft gefunden wird, aus der Niederlage Schlußfolgerungen zu ziehen. Wahrheit wird in dieser Situa­tion zum eigentlichen ”Lebensmittel”, sie stünde den Cäsaren gerade nicht zur Verfügung, sie wäre aber, was das Volk mit seinen Führern erst wirk­lich einigen könnte. (Hieraus ist geschlossen worden - vgl. Vollmar -, daß sich Brecht gegen den oben geschilderten faulen Kompromiß des ”Neuen Kurses” wendet. Dies möge der Fall sein, zu beachten aber ist, daß Brecht andererseits höhere Produktivität und höhere Normen für erforderlich hielt. Die Wahrheit auszusprechen, daß gearbeitet werden muß, obwohl morgen nochkeinMehl kommt, scheint mir Brecht näher zu sein.)

[lxx] Brecht legt in diesem Brief dar, daß er den Text nicht veröffentlichen möchte (es geht ihm offenbar darum, daß die ”Freunde” selbst zu reden anfangen). Brecht schreibt weiter: ”Die Wahrheit, die wir unserer Arbeiterschaft sa­gen sollten, ist meiner Meinung nach: daß sie in tödlicher Gefahr ist, von einem neu er­starkenden Faschismus in einen neuen Krieg geworfen zu werden; daß sie alles tun muß, die kleinbürgerli­chen Schichten unter ihre Füh­rung zu bringen. (Wir haben unsern eigenen Westen bei uns!)” (Brecht 1983 Bd. 2, S. 662) Die geforderte Aufarbei­tung des Faschismus als inneres Problem der DDR erfolgte nicht, ebensowenig die im Brief an Ulbricht gefor­derte Revision des Erreichten.

[lxxi] So sieht es Brecht (bereits in den späten dreißiger Jahren): ”Es müssen jene Diktaturen unterstützt und ertra­gen werden, welche gegen diese Zustände der ökonomischen Art vorgehen. Das sind nämlich Diktatu­ren, welche ihre eigene Wurzel ausreißen.” (Über die Diktaturen einzelner Menschen, in: Brecht 1968 Bd. I, S. 155)

[lxxii] Vollmar beschreibt dies in bedenkenswerter Weise folgendermaßen: ”Die DDR war in den fünfziger Jah­ren ein Land im Umbruch, das den Sprung nach vorn in die sozialistische Wirklichkeit nicht wagte. Brecht handelte aus der DDR-Sicht ‘linksradikal’, wenn er in der Literatur konsequent sozialistisch arbeitet. Darauf zu reagieren, hat­ten die offiziellen Stellen kein Vorbild.” (Vollmar, S. 26)

[lxxiii] Es ist Spekulation, aber es könnte unterstellt werden, daß dies auch in dem Gedicht eine Rolle spielt, dasEi­senübertitelt ist und in dem ein anderer, erträumter Sturm den ”eisernen” (Bauschragen) abwärts­reißt. Überdauern konnte diesen Sturm nur, was aus Holz war, flexibel, nicht starr. Diese flexible Haltung könnte auch dem Autor ersparen, vom Sturm fortgerissen zu werden. Eine sehr ambivalente Überlegung, aber sie ließe sich auch auf denBlumengartenbeziehen und auf das Motto des Zyklus: FürdiesenSturm, erhofft im Gegensatz zu dem vom 17. Juni, geht noch kein Wind. (Jan Knopf hat eine ähnliche Interpreta­tion dieses Textes versucht, er stützt sich da­r­auf, daß in den Typoskripten des Textes das ”eiserne” groß geschrieben sei:Den Bauschragen riß er / Den Eiser­nen, abwärts.vgl. Knopf 1986a S. 73ff., S. 124 und S. 18) - In diesem Text taucht - vielleicht erstmals - eine Metapher auf, die in der DDR-Literatur als Me­tapher für die DDR noch Karriere machen wird: der Bau.

[lxxiv] Es ist vielleicht nicht nur Marx, sondern auch die Liebe zu Margarete Steffin, einer von unten, die das Prole­tariat idealisieren läßt (aus dem Brecht nicht stammt), in ihr gibt es es wirklich, mit seiner (ihrer) Weisheit. Sie zugleich hat den Wert der Dichtung Brechts für das Proletariat erkannt (vgl. Brechts GedichtDie gute Genossin M.S.).

[lxxv] Eine knappe und äußerst präzise Darstellung der Haltung Brechts zum Formalismusthema und zur For­malismusdiskussion in der DDR gibt Mittenzwei (Mittenzwei 1987, S. 372 - 482). Mittenzwei legt unter ande­rem dar, daß sich die Haltung des Publikums durch die Formalismusdiskussion verändert hatte. Das ”Gespräch” auch hier er­schwert, Brecht war mit wachsender Ablehnung konfrontiert.

Ebenso stellt Mittenzwei sehr minutiös das Verhalten Brechts am und um den 17. Juni herum dar. Die­ses Kapitel des Buches von Mittenzwei (S. 482 - 510) ist für diesen Abschnitt der Arbeit voraus­gesetzt.

[lxxvi] Brecht selbst hat auf die Mitarbeit Theo Ottos, den er sehr schätzte, verzichtet, da er ins Kreuzfeuer der Kritik geriet und demBerliner Ensembleso ”schaden” konnte (vgl. Mittenzwei 1987, S. 454 f.).

[lxxvii] Dieses Gedicht sei hier wiedergegeben, weil es eine ganz andere Haltung Brechts zeigt, diese ist für ihn eher charakteristisch als die in denMusenfestzustellende. Der Text wurde am 11. Juli 1953 in derBerliner Zeitungveröffentlicht:

Nicht feststellbare Fehler der Kunstkommission

Geladen zu einer Sitzung der Akademie der Künste

Zollten die höchsten Beamten der Kunstkommission

Dem schönen Brauch, sich einiger Fehler zu zeihen

Ihren Tribut und murmelten, auch sie

Zeihten sich einiger Fehler. Befragt

Welcher Fehler, freilich konnten sie sich

An bestimmte Fehler durchaus nicht erinnern. Alles, was

Ihnen das Gremium vorwarf, war

Gerade nicht ein Fehler gewesen, denn unterdrückt

Hatte die Kunstkommission nur Wertloses, eigentlich auch

Dies nicht unterdrückt, sondern nur nicht gefördert.

Trotz eifrigsten Nachdenkens

Konnten sie sich nicht bestimmter Fehler erinnern, jedoch

Bestanden sie heftig darauf

Fehler gemacht zu haben - wie es der Brauch ist.

Besonders interessant die letzte Wendung: Hier wird der ”Brauch” - vielleicht unfreiwillig - doppelsinnig. Ist es anfangs der Brauch, sich Fehler zu zeihen, so am Schluß auch der, sie zu machen. Dadurch ist der Text kein geschlossener Kreis, so sehr er das Sich-im-Kreise-drehen beschreibt.

[lxxviii] Er scheint auch unmittelbarer Wut zu entspringen, der Wut, daß direkt nach dem 17. Juni nicht die große Aussprache beginnt, sondern Lobeshymnen gefordert und geschrieben werden.

[lxxix] Technik, Modernität ist - auch gegen die Tendenz zur Idylle - aufgerufen durch das Wort ”Faltboot”. Ein In­dustrieprodukt (in dem man allerdings paddelt, nicht rudert. Das aber würde den Gedichttitel ruinieren - vorausgesetzt, Brecht kannte den Unterschied. Der Titel braucht das langgezogene ‘u’).

[lxxx] Er hat allerdings den Zyklus der 17 Texte beschlossen, von dem Schuhmann in seiner Interpretation ausgeht (vgl. Schuhmann, S. 125) (er befindet sich auch - als letzter Text - unter den 6 von Brecht selbst noch ver­öffentlichten Elegien). Doch selbst wenn die von den Herausgebern der Aufbau-Werkausgabe vor­genommene Reihung der Texte nicht authentisch sein sollte, scheint es doch so, nimmt man die bisher analysierten Texte und ihre Befunde, daß Brechts Nachdenken im Sommer 1953 nur zu dem Schluß kom­men kann, den dieses Gedicht (Bei der Lektüre eines spätgriechischen Dichters) festhält. Für diese Position des Gedichtes in der Sammlung spricht auch, daß es, gemeinsam mit dem Motto des Zyklus (vgl. dazu den letzten Abschnitt des Textes), die Genrebezeichnung, wie Brecht sie verstanden haben will, transparent macht. Betrachtet man den ganzen Zyklus als Elegie, setzt er tatsächlich mit der Klage sofort ein: Da ist kein Wind. Der Zyklus endet - gewissermaßen fol­gerichtig - mit der klassischen Totenklage, die die Troer, ihrem Untergang entgegensehend, schon angestimmt haben. Aber sie klagen nicht nur, sondern in dieser Situation noch wird Hoffnung entfaltet und Tätigkeit. Mit diesem Ausblick kann der Zyklus enden, es ist - nebenRudern. GesprächeundBei der Lektüre eines sowjetischen Buches- der einzige Text, in dem ”Produktion” im Sinne Brechts (gerade noch) stattfindet. Das Motto zeigte, daß sie unmöglich ist, aber der Konjunktiv des Mottogedichtes ist am Schluß des Zyklus zum Indikativ geworden. Es ist dennoch kein geschlossener Kreis. Der letzte Text resümierte nach dem Gestus Brechts: In Erwägung, daß... (immer noch alte Gewohnheiten herrschen, der SS-Mann umgeht, die Arbeiter um ihre Interessen nicht wissen und die Partei nicht um ihre Aufgaben etc.), läßt sich doch festhalten, daß noch etwas getan werden kann (besser: getan werden muß). - Eine authentische Reihenfolge der Texte ist jedoch nicht überliefert (auch Knopf kann sie nicht mit Sicherheit behaupten) (vgl. Knopf 1986a, S. 123).

[lxxxi] Dennoch enthält der Titel des Gedichtes einen sehr versteckten und auch sehr widersprüchlichen Hinweis auf die Gegenwart. Das hat Theodore Fiedler aufgedeckt (vgl. Knopf 1986a S. 197 und 1986a S. 95ff.) Der ”spät­griechische Dichter” auf den Brecht sich hier bezieht, ist kein antiker Dichter, sondern ein grie­chischer Dichter des 19/20. Jahrhunderts: Konstantin Kavafis (1863 - 1933). Übersetzungen seiner Texte waren 1953 im Suhr­kamp Verlag erschienen und ein Text dieser Ausgabe (Troer) enthält alle Motive des Brechtschen Gedichtes. Die­ser Text jedoch endet mit der Totenklage, die Brecht voranstellt (vgl. dazu An­merkung 105)

[lxxxii] Knopf weist darauf hin, daß dieser Text sich auf ein Gedicht Horaz’ bezieht, den Brecht 1953 in Buckow gele­sen hat. Segel setzen steht hierbei für Bücher schreiben, Poesie verfassen (vgl. Knopf 1986a, S. 35). Knopf zeigt zugleich, daß mit diesem Motto schon die spezifisch Brechtsche Elegie vorgestellt wird: ”Wenn da Wind­stille herrscht, gibt es keine Schilderungen von Taten mehr, höchstens Klagege­sänge, Elegien. / Aber, und dies zeichnet den Dichter Brecht aus, die Klage formuliert sich als Hoffnung, als Aufruf, daß es weitergehen möge.”(S. 36) Fuhrmann kann mit einer frühen Äußerung Brechts (1926) stützen, daß mit Wind gesellschaftli­che Bewegung gemeint ist und daß Brecht nicht auf den Wind von morgen setzen will, sondern daß nur in dem des jeweiligen Heute gesegelt werden kann (Fuhrmann, S. 72f.). Den aber gibt es nicht. Die Konjunktive des Textes gerade können dennoch ausdrücken, daß etwas zwar gegenwärtig nicht da ist, aber erwartet wird. Der Dich­ter ist bereit, er wartet mit Ungeduld. Das Ge­dicht müßte zur ”echten” Elegie werden, fiele auch die Zukunft windstill aus.

[lxxxiii] Darauf verweist bereits der das Gedicht auszeichnende Widerspruch: ”Daß nicht gedichtet werden könnte [eigentlich: kann - AT], sagt das Gedicht dichterisch.” (Knopf 1986a, S. 37) Es sagt es aber zugleich noch mit den alten Mitteln, der traditionellen lyrischen Haltung, die überschritten werden soll, aber vorerst nicht über­schritten werden kann: der der Kontemplation (vgl Knopf 1986a, S. 203). Auch sie eine Form des Schweigens, gegen die sich Brecht wehrt. Vollmar hat gezeigt, daß Brechts Technik, klassische Vers­maße zu erinnern (Daktylos, Hexameter, Distichon, Blankvers), aber das Aufgehen in ihnen zu verwei­gern, gegen ”eine Haltung des passiven Abwartens” gerichtet ist (Vollmar, S. 86).

[lxxxiv] Im Dezember 1968 erscheint eine Teilauflage des BuchesNachdenken über Christa T., der Text aber liegt, bis auf das 19. Kapitel, das erst 1968 geschrieben wird, seit März 1967 vor (vgl. Drescher S. 25 ff.).

[lxxxv] 1953 - 1959: Schriftstellerverband; ZeitschriftNeue Deutsche Litera­tur, Arbeit im Verlag ”Neues Le­ben”.

[lxxxvi] Geschwister-Scholl-Preis der Stadt München, 1987.

[lxxxvii] Kritik an zweckrationaler Vernunft durchzieht von nun an das Werk Christa Wolfs, vor allem inKind­heits­muster, StörfallundKassandra.Das besondere Verhältnis Wolfs zur Moderne besteht darin, daß nie eindeu­tige Ablehnung ausgesprochen wird, auch hier dominiert das Nachdenken, am deutlichsten in den bei­den gegen­läufigen Tendenzen imStörfall- der Reaktorkatastrophe einerseits, der Gehirnoperation des Bruders an­dererseits. Auch hier wird einem Widerspruch nachgeforscht, nicht vereinseitigt, obwohl der Wider­spruch durch die Autorin nicht gelöst werden kann. Daß Christa Wolf dieses Problem in dieser Weise schon zur Entstehungs­zeit vonChrista T.beschäftigt, belegt der EssayLesen und Schreiben: Ei­nerseits: ”Die Prosa dage­gen... Was soll sie denn diesen nüchternen, stracks vorwärtsschreitenden Leuten erzählen? // Der Prosaautor, der ‘raunende Be­schwörer des Imperfekts’..., was sagt er seinen Zeitgenossen, die dabei sind, den stromlinienförmigen Menschen zu konstruie­ren, fähig, sich allen Anforderungen der Zivilisation anzupassen?” (Wolf 1968, S. 189) Andererseits: ”Andere se­hen einen Ausweg in einem ‘Zurück zur Natur’, in einem romantischen Unsinn, der die Technik ächtet, die doch das einzige Mittel ist, die sprunghaft wachsende Menschheit zu ernähren und zu kleiden: eine naive Welt- und Lebenshaltung läßt sich nicht konservieren.” (S. 219) Verantwortung ist eines der wich­tigsten Mo­tive des Werks von Christa Wolf, sie zwingt in die Widersprüche, läßt nicht zu, sie zu vereinsei­tigen.

[lxxxviii] Ein Satz Anna Seghers’, der Christa Wolf, häufig zitiert, als ein Leitfaden bei ihrer Auseinandersetzung mit der romantischen Literatur, besonders der weiblichen, gilt, den Anna Seghers natürlich auf die Klas­sengesellschaften bezog, nicht auf die sozialistische. Es kann aber kein Zufall sein, daß hier das Wort ”Mauer” eine zentrale Posi­tion hat (kein Zufall wenigstens der Rezeption des Satzes durch Christa Wolf; inChrista T.,im Selbstmordbrief, taucht das Wort an entscheidender Stelle, mit identischer metaphori­scher Verwendung, wieder auf), sowenig nur, aber vielleicht auch, das bedeutendste Stück sozialistischer Architektur damit gemeint sein wird.

[lxxxix] W. Bialik hat sich mit diesen Tendenzen auseinandergesetzt (vgl. Bialik, S. 87), alles notwendige Mate­rial zu dieser Art von Kritik findet sich in den Büchern von Ankum und Behn; Heinrich Böll beschreibt den deutsch-deutschen Standard an Christa Wolfs RomanKindheitsmuster: ”Ich habe den Eindruck, daß Christa WolfsKind­heitsmusterin der DDR nicht sehr freundlich aufgenommen worden ist, weil sie - und gar nicht einmal sie, son­dern ihre Heldin Nelly Jordan, ach wie kompliziert ist das mit Staaten und Auto­ren! - die flaggenhaft demonstra­tive Belobigung der dort herrschenden Gesellschaftsordnung, wenn nicht verweigert, so doch nicht deutlich genug gezeigt hat. Und hier, in der Bundesrepublik, hat man ihren Ro­man mit peinlicher Herablassung behandelt, wohl auch, weil sie - und eben wiederum nicht sie, sondern diese Nelly Jordan - die ausdrückliche, demonstrative, flag­genhaft gezeigt Ablehnung der anderen Gesell­schaftsordnung verweigert.” (Böll, S. 93)

[xc] Diese Kritik ist im übrigen billig - das wird nicht nur Christa Wolfs Verhalten auf dem 11. Plenum des ZK der SED 1965 zeigen, sondern zeigt schon die kleine Tatsache, daß Christa Wolf heute von dieser Kritik einen Titel geerbt hat, der früher Anna Seghers zugedacht wurde: Staatsdichterin (Knipp, S. 355). Es war aber ebendiese Kri­tik, die ehemals versucht hatte, Christa Wolf und Anna Seghers in Gegensatz zu bringen, damals war Christa Wolf für diese Kritik noch das Ge­genteil von dem, wofür man Anna Seghers hielt. Differenzierung schließt sich da von selbst aus. - Diese Kritik an Christa Wolf ist im Laufe der Jahre auch nicht origi­neller geworden. Wolf selbst schildert sie bereits in ihrem Diskussionsbeitrag auf dem 11. Plenum: ”Man hat zu mir gesagt [in Kiel, bei einer Diskussion - AT]: Wie stehen sie zur Gesell­schaftskritik, zur Kritik in der Litera­tur? - Daraufhin habe ich geant­wortet: Literatur ist ohne Kritik nicht denkbar. Aber was sie meinen ist etwas an­deres, Sie meinen Kri­tik an den Grundlagen unserer Gesell­schaft. - Ja. - Dann sagte ich: Dazu stehe ich negativ, absolut. - Warum? Dann können Sie keine gute Literatur machen, entgegnete man mir.” (Wolf 1991a, S. 338) Das­selbe gilt übri­gens hinsichtlich der Einschätzung westdeutscher Schriftsteller durch die ostdeut­sche Kritik, dem stellt sich Christa Wolf im erwähnten Diskussionsbeitrag - kritisch - wenige Sätze später.

[xci] Der ”Übergang vom Ich zum Wir”, in dieser Zeit propagiert (wobei die SED, ihre Führung, sich als Wir be­hauptet und als vorgeblich kollektives Entscheidungssubjekt setzt), und die damit einhergehende Rede von der ”sozialistischen Menschengemeinschaft” wird mitChrista T.zurückgenommen: Das Ich rückt in den Mittelpunkt - aber unter der Voraussetzung des Wir (eines Wir als Gemeinschaft von Individuen, As­soziation). Um es mit den Worten Lothar Kühnes zu formulieren: Es gilt das ptolemäische Weltsystem - aber unter der Vor­aussetzung des kopernikani­schen. Diese Formulierung kennzeichnet zugleich die unlös­bare Aufgabe, die man sich aufgeladen hatte (denn die Systeme sind nicht zu verbinden). Diese Unlösbar­keit weist auf die nach wie vor offenen Fragen, auf denen Christa Wolf besteht. Darauf werde ich in der Textinterpretation eingehen.

[xcii] Andererseits sind es gerade die Jahre 1963-1965 in denen von Künstlern nun die versprochenen und er­hofften Konsequenzen des Mauerbaus eingefordert werden. Der Aufschwung der Literaturproduktion -Ole Bienkopp(Strittmatter),Der Bau(Müller) ,Spur der Steine(Neutsch), die sog. Lyrik-Bewegung, die ”Plenumsfilme” usw. - alles ging davon aus, daß nun endlich die dem Sozialismus tatsächlich eigenen Widersprüche sichtbar werden, und nun die Zeit sei, daran zu gehen sich mit ihnen auseinan­derzusetzen und nicht mit irgendwelchen Gegnern.

[xciii] Nachdem nun viele ”Stasiverwicklungen” auch von bekannten DDR-Autoren offengelegt worden sind (Wolf, Müller, Reimann, Strittmatter, gar Heym), läßt sich für eine Reihe von ihnen so etwas wie eine Typik feststellen: Die Autoren verpflichteten sich zumeist in den fünfziger Jahren - im Wunsch, dieser deutschen Alternative uneingeschränkt zur Verfügung zu stehen, mit allen Hoffnungen auf eine wirkliche sozialistische Entwicklung -, sie führten Gespräche, die in wohl keinem Fall den Charakter von Denunzia­tion oder Spitzelei hatten, und sie beendeten ihre Mitarbeit meist in den sechziger Jahren (Heiner Müller, der an allem Interessierte, was Erfahrung verspricht, Einsicht in das Getriebe der Geschichte, auch hier eine Ausnahme) - von da an werden die ehemaligen Mitarbeiter meist selbst zu Bespitzelten.

[xciv] Heinz-Dieter Weber hat für dieKindheitsmustergezeigt, daß die Schreibart von Christa Wolf ihr eigen­tümliche rhetorische Leerstellen ermöglicht, die Fragen des Lesers provozieren, in jenem Fall die nach dem Weiterwirken von Handlungsmustern, die Faschismus möglich gemacht haben (Weber, S. 44ff.). Mit ihnen wird über das Dargestellte hinausgewiesen, unterstützt durch die Fragestruktur vieler Texte Christa Wolfs.

[xcv] Daran kann auch 1965, dem Jahr des Bruches, noch festgehalten werden. Es ist das Jahr des Auschwitz-Pro­zesses, den Christa Wolf sehr genau verfolgt hat, und der die gravierenden Unterschiede in der Ausein­andersetzung der beiden Teile Deutschlands mit dem Faschismus bestätigte. Es ging dort ihrer Meinung nach darum, in einem Kriminalpro­zeß, diese Dimension des Faschismus auszusparen. So sehr Christa Wolf später die Verdrängungen in der DDR, den Antifaschismus, soweit er künstlich und verordnet war, zu kritisieren in der Lage ist - ihr Buch ”Kindheitsmuster” wirkte äußerst störend -, blieb doch Einver­ständnis darin, daß der Zusammenhang von Faschis­mus und Kapitalismus grundsätzlicher Art ist.

Hinzu kommt, daß zur selben Zeit auch in der DDR Prozesse gegen Kriegsverbrecher stattfanden, die an­ders gehandhabt wurden und auch zu anderen Urteilen führten: ”Gerade in diesen Jahren fand einer der Höhepunkte der Verfolgung von Nazi- und Kriegsverbrechen in der DDR statt, der Prozeß gegen den KZ-Arzt Fischer (allerdings auch die Verfahren gegen Globke und Oberländer, die damals sehr viel Stoff ga­ben, die Auseinander­setzung mit der Bundesrepublik Deutschland zu führen) oder in Erfurt das Verfahren gegen Blösche, der sozusagen traurige Berühmtheit durch das bekannte Bild des jüdischen Jungen erreicht hat, der mit erhobenen Händen im Warschauer Ghetto steht...” Blösche ”wurde 1966 zum Tode verurteilt und auch hingerichtet.” (Plath, S. 33)

[xcvi] Vgl. dazu das Buch von Hermann Vinke.

[xcvii] Rosemarie Heise, die Frau Wolfgang Heises und damals die Nachfolgerin Christa Wolfs in der Redak­tion derNeuen Deutschen Literatur, wird ebenfalls von zwei Herren besucht, und sie schreibt Christa Wolf 1993 in einem Brief: ”Alles, was er [F. J. Raddatz, anläßlich der Stasidiskussion um Christa Wolf - AT] vorzubringen hatte, beruht... auf zwei falschen Prämissen: der Gleichsetzung der Nazis mit den kommu­nistischen ‘Henkern’, mit denen Du Dich an einen Tisch gesetzt hättest, und dem völligen Ignorieren des Kalten Kriegs vor der Mitte der sechziger Jahre. Na­türlich gab es keine von den Amerikanern abgeworfe­nen Kartoffelkäfer, aber Diversion und skrupellose Versuche aller Art, die DDR kaputt zu machen, gab es ja weiß Gott, ‘Quatsch’, Christa, war das nicht, den geglaubt zu ha­ben Du Dich quasi entschuldigtest! Eben deshalb hielten wir doch eine Sicherheitstruppe für richtig und notwen­dig, nur sahen wir, was all­mählich erstens aus unserem Staat und zweitens aus dieser Truppe wurde - und trauten unserer Erkenntnis nicht, wollten ihr nicht trauen.” (in: Vinke, S. 301) Dies gibt m.E. das damalige Denken exakt wieder. Rosemarie Heise beschreibt übrigens auch die Reaktion Wolfgang Heises auf die Stasi­besuche in der Re­daktion: ”Es gab dann zwei oder drei Treffs in einer Wohnung im Plänterwald. Dem Mann, über den ich berichtet hatte, habe ich das übrigens damals sofort gesagt [Es war offenbar auch schon damals klar, daß hier Un­heimliches geschieht. - AT]. Ohne lügen zu müssen, hatte ich ein positives Porträt abgeliefert, es nur mit klei­nen, harmlosen Schatten versehen, die auch nicht erfunden waren, aber in keiner Weise staats­feindlich. Man wollte aber mehr und mehr, auch über andere, wissen, und als ich Wolfgang fragte, wie ich mich da raus­winden soll, sagte er ruhig: sag einfach, du willst nicht mehr, du wirst sehen, sie akzeptieren es, du mußt nur be­stimmt sein. Er hatte recht - jedenfalls bis auf weiteres, denn seit 1965 waren wir dann die Observierten.” ( S. 300f.) 1965 wurde der Entfremdungsartikel Heises veröffentlicht.

[xcviii] Wohl aber wandelt sich gewissermaßen die Ursache, die Zusammenarbeit mit der Stasi, als persönliches Fak­tum, weiterhin zu verdrängen; zugleich wandelt die Stasi ihre Haltung zu Christa Wolf, sie nun wird, seit 1968, über Jahr­zehnte, Objekt der Ausspitzelung.

[xcix] Wolfram und Helmtrud Mauser haben dieses Kapitel interpretiert.

[c] Die Frage taucht noch ein drittes Mal im Buch auf - dort zielt sie darauf, daß, trotz allem,jetztgelebt werden muß und soll: ”Da aber die Zukunft immer vor uns hergeschoben wurde, da wir sahen, sie ist nichts weiter als die Verlängerung der Zeit, die mit uns vergeht, und erreichen kann man sie nicht - da mußte eines Tages die Frage entstehen:Wiewerden wir sein?Waswerden wir haben? // Obwohl zum In­nehalten die Zeit nicht ist, wird einmal keine Zeit mehr sein, wenn man jetzt nicht anhält. Lebst du jetzt wirklich? In diesem Augenblick, ganz und gar? // Wann, wenn nicht jetzt?” (CT, S. 99f.)

[ci] Wie dringend gerade diese Frage in dieser Zeit war, zeigt der Erinnerungsbericht Christa Wolfs an das 11. Ple­num des ZK der SED 1965, in dem sie über 25 Jahre danach, ganz unwillkürlich, scheint mir, sofort wieder in Erinnerung tritt: ”Wir, meist Angehörige einer Generation, die in diesem Lande engagiert lebten, die Konflikte sahen, hatten ein sehr starkes Gefühl von der Gefahr, in die dieses Gemeinwesen geraten würde, wenn die Wider­sprüche nicht in produktiver Weise ausgetragen würden. Wir dachten, wenn nicht jetzt, dann ist es zu spät.” (Wolf 1991b, S. 266) (Die Umformulierung zeigt, daß in einer Situation erinnert wird, in der of­fensichtlich ist, daß es zu spät wurde.)

[cii] Später, bei der Beschäftigung mit der Frühromantik, wird Christa Wolf formulieren: ”Sie sind die er­sten, die es bis auf den Grund erfahren: Man braucht sie nicht.” (zit. n. Hirdina, S. 142) - Bereits der Titel des Buches über Christa T. ist eine Lektüreanweisung. Dem Rezipienten nicht nur mitgeteilt, daß in die­sem Text über Christa T. nachgedacht wird, sondern, wie beim Lesen schnell klar wird, daß ”wir” selbst über sie nachdenken sollten. Sehr zu Beginn des Textes wird uns nahegelegt, wie wir das tun sollten: ”Und bloß nicht vorgeben wir täten es [nachdenken, ihr nach-denken - AT] ihretwegen. Ein für allemal: Sie braucht uns nicht. Halten wir also fest, es ist unsretwegen, denn es scheint, wir brauchen sie.” (S. 8) Nicht nur der Satz selbst macht es klar, sondern bereits das ”wir”, das, wäre es nicht eine Lektüreanwei­sung, hier als pluralis majestatis erscheinen müßte, also im gegebene Kontext völlig unangemessen. Durch das ”wir” und den Satz insgesamt, werden wir aufgefordert, das Nachdenken über Christa T. als ein Nachdenken zu betreiben, das uns selbst betrifft. Gemeint sind m.E. nicht allein die damaligen Kommili­tonen von Christa T. oder die Generation dieser Leute. Denn wenn man einbedenkt, daß das ”wir” in der DDR immer die Gemeinschaft der im Sozialismus Lebenden einschließt, ist klar, daß hier nicht nur die Gemeinschaft der Leser, sondern die ganze Gesellschaft aufgefordert wird nachzudenken und sich dann womöglich zu ändern - denn wozu sonst, wenn nicht zur Änderung sollten ”wir” das Nachdenken gebrau­chen?

[ciii] Vgl. dazu: Mauser, S. 73ff.

[civ] Andere sind: der Medizinstudent (ehemaliger Schüler Christa T.s), der Schriftsteller Blasing, Gertrud Dölling, der Schuldirektor, Schüler Christa T.s, die Straßenbahnschaffnerin. Es fällt auf, daß in diesem Text ”der Gegner” keine eigene Figur hat. Ist im 1963 erschienenen Roman Erwin StrittmattersOle Bien­koppbei al­ler Differenzie­rung die Konstellation noch eindeutig, beginnt sie hier zu verschwimmen. Geg­ner Oles sind auf der einen Seite der Sägemüller Ramsch (er steht für den alten Klassenkonflikt, den er restaurieren will und geht dann folgerichtig in den Westen) und auf der anderen die Dogmatikerin Frieda Simson. Die Gegenfiguren inChrista T.sind zwar schemenhafter gezeichnet, aber differenzierter konzep­tualisiert, ”der Gegner” ist nicht als Person zu fas­sen, son­dern hat sich in Verhaltensweisen von konkreten Leuten aufgelöst, die sehr differenziert zu beurteilen sind. Er­schrecken ist angebracht gegenüber dem Ver­halten einiger Schüler (das Muster der Gewaltanwendung sitzt trotz Sozialismus tief), Ohnmacht gegen­über der gewalttätige Unterdrückung durch den Mann akzeptierenden Straßen­bahnschaffnerin (die Christa T. im Krankenhaus trifft), Verachtung nicht ohne Verständnis gegenüber dem Op­portunismus Blasings (des Schriftsteller, der schreibt, was gut bezahlt wird), Ablehnung der Lebenshaltung der Cousine (Leben, das um Geld zentriert ist), Verständnis und Distanz gegenüber der Haltung des Schuldirektors, der einer anderen Generation angehört usw. Fast alle diese Figuren, soweit sie nicht nur eine Rolle ganz am Rande spielen, sind selbst als widersprüchliche entworfen. Die Extrempunkte dabei sind einerseits Gertrud Döl­ling - die den von der sozialistischen Gesellschaft angebotenen Weg ohne jeden Widerspruch akzeptiert hat und so menschliche Substanz verliert, und die Cousine. Beides eher eindeutige Figuren - die Cousine aber lediglich ganz blaß gezeichnet (wohl deswegen, weil die­ser Menschentyp des Westens nicht wirklich gekannt ist - eine Faktum, auf das schon Anna Seghers Christa Wolf nach ihrer Lektüre desGeteilten Himmelaufmerksam gemacht hat (vgl. einen Brief Anna Seghers an Christa Wolf, in: Drescher 1989, S. 11)).

Interessant wäre es, das Buch in einer Reihe zu untersuchen, in der das Motiv des Todes Gegen­stand ist. Stirbt Ole Bienkopp noch daran, daß seine (abweichenden) Ideen der Gesellschaft voraus sind (aber von ihr - deckungsgleich - eingeholt werden), ist sein Tod insofern tragisch, so stirbt Christa T. doch schon an der Gesell­schaft, daran, daß ihr Anspruch auf Individualität, den sie mit der Gesellschaft als deckungsgleich empfand, in ihr nicht eingelöst werden kann, obwohl sie ihn andererseits bereits lebt. Dieser Tod ist Tod auf Grund eines nicht zu überbrückenden Widerspruchs, und es ist - anders als bei Bien­kopp - nicht mehr gewiß, daß er überbrückbar sein wird. Dagegen ist die Heldin aus der in den achtziger Jahren erschienenen und großes Aufsehen erregenden Novelle Christoph HeinsDer fremde Freund(eine Ärztin), schon tot, obwohl sie noch lebt und keinerlei Mangel (mehr) empfindet. Der Text beginnt und endet mit dem Satz: ”Es geht mir gut.” Das der Zustand der DDR in den achtziger Jahren.

[cv] Christa T. stirbt an Leukämie, und es läßt sich sagen, daß sie ohne die DDR, wie sie war, vielleicht nicht an Leukämie gestorben wäre. Die Cousine lebt weiter, kann man vermuten. Aber, und das ist ent­scheidend für das Verständnis des Textes, als Christa T. hätte Christa T. im Westen gar nicht leben kön­nen. Ihre Hoffnungen hät­ten nicht entstehen können, dieses Leben, veränderbar, nicht gelebt werden können. Das ist das Problem, das Christa Wolf beschäftigt, und sie formuliert auch dieses Problem in ihrem Diskussionsbeitrag auf dem 11. Ple­num: ”Als ich aus Westdeutschland zurückkam, beschäftigte mich tief das Problem des Menschentyps, der sich wohl in beiden deutschen Staaten als auch bei uns in der DDR in bestimmten Schichten der Bevölkerung unter der Jugend, in bestimmten Berufen ganz diffe­renziert entwickelt. Das ist eine typische Literaturfrage.” Es schließt sich eine Polemik gegen das Konzept des Typischen an. (Wolf 1991a, S. 342)

Andererseits hat dieses Doppelt-sein noch eine andere Dimension, die deutlicher auf Entfremdung ver­weist. Christa Wolf formuliert sie in denKassandra-Vorlesungen: ”So als gäbe es jedes Land zweimal. Als gäbe es jeden Menschen zweimal: einmal als ihn selbst und als mögliches Objekt einer künstlerischen Darstellung; zweitens als Objekt der Statistik, der Publizistik, der Agitation, der Werbung, der politischen Propaganda.” (zit. n. Jäger 1989, S. 327) Dies allerdings nachChrista T.und die dort ausgesprochene Doppelung relativierend.

[cvi] ”Das nicht.”, wie es an anderer Stelle bei Christa Wolf heißt (Wolf 1968, S. 193). Um das zu verdeut­lichen, ein Vergleich, der kein intertextueller und auch zeitlich nicht deckungsgleich ist, aber unterschied­liche Konse­quenzen erkennen läßt. Der Text von Christa Wolf beginnt folgendermaßen: ”Nachdenken, ihr nach-denken. DemVersuch, man selbst zu sein.” (CT, S. 7) Der Roman Heinrich Bölls - bereits 1953 publiziert -...und sagte kein einziges Wort, muß folgendermaßen beginnen: ”Nach dem Dienst ging ich zur Kasse, um mein Ge­halt abzuholen.” (Böll, Leipzig und Weimar 1987, S. 5). Hier wirddie Geschichte eines Scheiterns erzählt, die das Scheitern eines Individuums (mehrerer Individuen) an und in der Gesell­schaft ist, in der es lebt, hier wird am Westdeutschland der Nachkriegszeit mit aller Härte tatsächlich gelit­ten - von Selbstverwirklichung kann keine Rede sein, wenngleich sie als Anspruch, Wunsch, Forderung des Erzählers, des Autors auch diesen Text leitet. Und noch in seinem letzten Roman schreibt derselbe Autor (mit deutlicher Sympathie für die Figur, die spricht) in dem BuchFrauen vor Flußlandschaft(1985), das sich mit dem inneren Zustand der Bundesrepublik beschäftigt: ”Und doch - beim Studium habe ich so manches erfahren, auch, als ich in der Bank arbeitete - wo das Geld so hingeht und von wo es zu­rückkommt, verdreifacht, verzehnfacht, verhundertfacht: Öl, Waffen, Teppiche und Mädchen, die sich besaufen oder betäuben müssen, um nicht ständig zu kotzen, und die dann kotzen müssen, weil sie sich besoffen haben, umnichtzu kotzen... Was sonst ist es denn als Klassenkampf? Und auf den Partys se­hen sie sie dann besoffen und kotzend, die die Mädchen zum Kotzen zwingen - es ist ein Kotzklassen­kampf.” (Böll, Leipzig und Weimar 1986, S. 42) Auch hier wird die Frage ‘bleiben (können) oder gehen (müssen)’ erörtert, als alternative Orte kommen Kuba und Nikaragua in Frage - aber auch hier wird, aus ganz un­terschiedlichen Gründen, geblieben.

[cvii] Die Szene mit der Cousine folgt unmittelbar vor der finsteren Nacht: ”Christa T. hatte mit uns das Glück, in dem Alter, in dem man mit Leidenschaften rechnet, gezwun­gen zu werden, sich selbst hervorzu­bringen. Das kann dann der Maßstab bleiben, andere Reize werden schal sein; wenn jemand, die Cousine zum Beispiel, ihr vorhält, der Mensch sei käuflich, kann sie nur die Augenbrauen hochziehen, was sehr arrogant aussieht.” (CT, S. 130) Dieser Arroganz folgt dann sofort der Fall: Die Nachrich­ten aus Buda­pest, die den Maßstab nicht zerstören, aber die moralische Reinheit. Deutlich macht der Text auch, ohne darauf einzugehen, daß die Nachrichten durchöstlicheRundfunkstationen offenbar nicht zu erhalten waren.

[cviii] Das ist die moderne Situation, in die das Individuum gestellt ist - insofern ist dieses Buch beteiligt am Mo­dernisierungsversuch des Sozialismus. Modernisierung einesGemeinwesens, in ei­nem Gemeinwesen, das ist der Versuch und der Konflikt Christa Wolfs. Daß in der Frage Individuum und Gesell­schaft ein Modernisierungspro­blem steckt, ist nicht unbemerkt geblieben. Es ist oft formuliert worden, hier eine zugespitzte Formulierung von Volker Braun aus dem Jahre 1969: ”Auf dem VI. Deutschen Schriftsteller­kongreß wurde gefordert, nicht mehr [nach der CSSR 1968 - AT] von ‘Ansprüchen des Individuums an die Gesellschaft’ zu re­den, da es diese Ansprüche nicht zu geben habe. / Das blieb unwidersprochen. Ein paar kleine Fragen als Antwort: Verlangen Bürger nicht, was sie von der Gesellschaft verlangen, von sich [Gemeinwesen - AT]? Von wem denn da? Ist die Gesellschaft eine Instanz außerhalb der Bürger, die ir­gendwie über ihnen thront? Muß man sich ihr nähern auf Knien, seinen Zehnten, nein, seinen Ganzen abliefern (...) Deutet also der Satz nicht auf eine überhebliche, feudale Haltung des Spre­chers? ... Ist das kein Obrigkeitsdenken? Und wird da nicht Untertanengeist verlangt? Ist das eine sozialisti­sche Theorie oder Scholastik..., finsteres Mittelalter? Na also, ist das nicht dummes Geschwätz?” (zit. n. Krog­mann, S. 94)

Das spezifische Modernisierungsproblem, das viele Intellektuelle in der DDR beschäftigte, war die Frage ob sich Gemeinwesen, Gemeinschaftlichkeit und Demokratie verbinden lassen, ob ein demokra­tisches strukturier­tesGemeinwesenmoderner autonomer Individuen möglich sei. Alle Kritik an der Poli­tik des realen Sozialismus - unter diesem Blickwinkel - lief darauf hinaus, daß die Bedingungen verstellt würden, die dieses Experiment möglich machen konnten. Klar war, daß erst der Beginn des Experiments in der Wirklichkeit - nicht nur in theo­retischen oder literarischen Texten -, die Frage seines Gelingens beant­worten konnte, wie klar war, daß nur der reale Sozialismus, als sich erst modernisierende Gesellschaft, nichtkapitalistisch, die Voraussetzungen bot, es beginnen zu können. Deshalb mußte einerseits Kritik scharf ausgesprochen, andererseits die Existenz des Sozia­lismus gewahrt werden. Erst die Jahre ab 1985 - in dem mit Gorbatschow das Experiment tatsächlich in Angriff genommen wurde (nachdem alle vorheri­gen Versuche, vor allem der von 1968, mit Gewalt beendet wurden) - machten deutlich, daß es nicht ge­lingen konnte (schon, weil es begonnen wurde erst, als die alte Macht nicht mehr in der Lage war, die ökonomischen und sozialen Probleme, die sich in den Ländern des Sozialismus explo­siv angestaut hatten, zu lösen. Es war insofern nicht der Beginn des Experiments, sondern die ‘Machtübergabe’ bereits der letzte Versuch, die Macht dennoch auf irgendeine Weise bewahren zu können. Das Experiment politi­scher Mo­dernisierung begann, den Akteuren selbst nicht bewußt, als die ökonomische Modernisierung bereits ge­scheitert war). Das jedoch hat, gerade im Angesicht der nun schärfer werdenden Probleme des modernen Kapita­lismus, die Frage nicht beantwortet.

[cix] An einer späteren Stelle ist die andere Seite angesprochen: ”Sie beharrte darauf. Wir müssen wissen, was mit uns geschehen ist, sagte sie. Man muß wissen, was mit einem geschieht. // Warum denn? Und wenn es uns lähmen würde? // Sie hielt dafür: taub und blind könne man nicht handeln, es sei denn taub und blind.” (CT, S. 140) Es schließt sich eine Auseinandersetzung mit Formen von Wahrheiten an - Wahrheit der Geschehnisse und Wahrhei­ten des wissenschaftlichen Zeitalters (vgl. dazu auch den Essay Christa WolfsLesen und Schreiben).

[cx] Schon 1964 deutet es sich an: Den Kritikern desGeteilten Himmelhielt Christa Wolf vor: ”Nein, es ist et­was anderes da, als ihr wollt, weil wir über Parteilichkeit und das Posi­tive und über das Glück und an­dere Dinge verschiedener Meinung sind.” (zit. n. Dröscher, S. 66) Hier aber kann und soll noch diskutiert werden. [Es wäre interessant zu untersuchen, wie sich der Adressatenbezug Christa Wolfs wandelt - nicht nur in ihren literarischen Texten. Ist derGeteilte Himmel- aus einer Position, die sich, so mög­licher­weise die Annahme Christa Wolfs, von der der Partei nicht unterscheidet - ein Buch, das Erziehungspro­zesse in der Gesellschaft fördern will, so rich­tet sichChrista T.- wieder dieses ”Wann, wenn nicht jetzt?” - sowohl an die führenden Leute der Gesellschaft, wie an die Leser; diesmal nicht mit Erziehungsabsicht (nicht mehr gegen­über den normalen Lesern, wohl aber spürbar ein Konzept der ”Fürstenerziehung”), sondern will Mut machen zum eigenen Nachdenken, zum Stärken der eigenen Subjektivität, dem Bestehen auf Individualität, so sind spätere Bücher Wolfs - etwaKein Ort. Nir­gends- unmittelbar aus einer die Au­torin selbst drängenden Problematik her­vorgegangen, setzen ein intellektuel­les Publikum voraus und arbeiten nicht mehr mit der ”Fürstenaufklärung”, sondern mit der Entschlossenheit, den Gegensatz offen zu markieren. Soll noch ein Dialog zustande kommen, müßten sich die Fürsten nun auf die Ebene und das Thema der Schriftstellerin einlassen. Der Dialog ist nicht ausgeschlossen, abgebrochen, von ihrer Seite, aber nun setzt sie die Bedingungen, unter denen sie bereit wäre, ihn zu führen. Dieselbe Haltung beginnt Christa Wolf nach 1976 allen Gremien gegenüber zu entwickeln, in denen sie noch Mitglied ist. Später verläßt sie sie nach und nach.] Der Bruch hat auch unmittelbar physische Folgen. Heise wird wegen seines Entfrem­dungsartikels gemaßregelt und muß sich in psychatrische Behandlung begeben, von Christa Wolf ist eine Herz­at­tacke im Anschluß an das 11. Plenum be­kannt (vgl. Hörnigk, S. 120) - der inChrista T.wichtige Satz eines Arztes, ”Gesundheit ist Anpassung” hat auch diesen Hintergrund. Beide, Wolf und Heise, trafen sich dann in Beelitz und unternahmen lange Spaziergänge, auf denen sehr viel geredet wurde (s. Wolf 1995).

[cxi] Bezogen auf das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, auf das sich die Künstler zu konzentrieren begannen, hat Ruth Reiher das offizielle Verständnis, mit dem auch Christa Wolf sich auseinandersetzen mußte, folgendermaßen beschrieben: "Da die offizielle Politik von der innenpolitischen Einheit ausging und die DDR als eine sozial und ideologisch undifferenzierte Gemeinschaft proklamierte, determinierte dieser Topos der Gemeinsamkeit auch die öffentlich-politische Kommunikation. Die vorhandenen innerge­sellschaftlichen Konflikte wurden auf die außenpolitische Folie projiziert und damit scheinbar ihrer innen­politischen Brisanz entkleidet. Das vermittelte Bild gesellschaftlicher Wirklichkeit war durch drei Merk­male gekennzeichnet:

1. Harmonie der gesellschaftlichen Beziehungen,

2. Primat der Gesellschaft gegenüber dem Individuum und Anpassung des Individuums an die Gesell­schaft,

3. Abgrenzung der DDR-Gesellschaft gegen die sog. westliche Welt.

Bis zum Ende der sechziger Jahre wurde die Spezifik der gesellschaftlichen Beziehungen in der DDR in dem Begriff der 'sozialistischen Menschengemeinschaft' gefaßt. Als positiv wertendes Fahnenwort stand es für ein politisches und gesellschaftliches Programm. Es charakterisierte undifferenziert alle Bürger als eine durch die sozialistische Idee vereinigte und in sich homogene Menschengruppe. Den Begriff der 'sozialistischen Menschengemeinschaft' prägte Walter Ulbricht, Erich Honecker sprach von der 'Gemein­schaft ... der sozialistischen Menschen' und Kurt Hager von der 'Vereinigung aller Seiten des gesellschaft­lichen Lebens zu einem harmonischem Ganzen'. // In einer Gemeinschaft, als deren Hauptmerkmale Har­monie, Eintracht und innerer Friede proklamiert wurden, konnte auch das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Individuum nur als ein vollkommen einvernehmliches erscheinen. Die Entfaltungsmöglichkeiten des einzelnen waren festgelegt durch die Leitidee von der 'sozialistischen Persönlichkeit'. Deren Prototyp war primär eingebunden in den produktiven Prozeß ('Streben nach Höchstleistungen'), war hochqualifiziert und gebildet. Die 'allseitig gebildete sozialistische Persönlichkeit' war geprägt durch 'staatsbürgerliches Denken und Handeln', durch 'Verantwortungsbewußtsein für den Staat'. Und in diesem staats- und gesell­schaftszentrierten Sinne hatte sich die 'sozialistische Persönlichkeit' 'ins Ganze der sozialistischen Gesell­schaft harmonisch einzuordnen, in Übereinstimmung mit den Interessen und Zielen der Gesellschaft zu leben'. // Das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft wurde also vornehmlich unter dem Aspekt der Anpassung des einzelnen an die gesellschaftlichen Ziele gesehen. Dem lag die Wunschvorstel­lung derParteials der 'führenden Kraft der Gesellschaft' zugrunde, daß sie einen solchen Prozeß lenken und leiten könne. Seinen sprachlichen Ausdruck fand diese Idealkonstruktion in der Verwendung der Nomina actionis wie 'Bildung', ‘Entwicklung' und hauptsächlich 'Formung'. //... 'Formung' und 'Menschengemein­schaft' als zwei Metaphern zur Charakterisierung der sozialen Beziehungen thematisieren den von der Partei erstrebten Wunsch nach Angepaßtsein des einzelnen sowie den Harmoniegedanken als Ganzes." (Reiher, S. 149f.)

[cxii] Vgl. dazu Ina Merkel (Hgn.):Wir sind doch nicht die Meckerecke der Nation! Briefe an das Fernsehen der DDR, erw. Neuausgabe, Berlin 2000.]

[cxiii] Apel arbeitete während des Krieges im Raketenzentrum Peenemünde.

[cxiv] Es kann hier nicht darauf eingegangen werden, daß die Bitterfelder Idee - neben ihren verheerenden Fol­gen - mit ihren zwei Seiten - Schriftsteller in die Betriebe - Greif zur Feder, Kumpel - den Interessen, den politischen und literarischen, der Schriftsteller selbst entgegenkam (Franz Fühmann hat das beschrieben und sein unvollendetes ”Lebenswerk”, der Text an dem er sich ge­scheitert sah,Bergwerk, geht auf diese Zeit zurück; vgl. aber auch Äußerungen von Brigitte Reimann und Christa Wolf selbst).

[cxv] Vgl. dazu die Analyse von Dröscher, S. 50 - 53, aber auch die von Heinrich Mohr.

[cxvi] Die Traditionalität des Romans - im Vergleich mit Uwe JonsohnsMutmaßungen über Jakob- ist zum Anlaß genommen worden zu behaupten, daß Christa Wolf aus den Sozialismus-Vorstellungen der Partei­führung nicht herausfällt, sondern sich - auf dieser formalen, tieferen Ebene - in vollem Einverständnis mit ihnen befindet (vgl. Soholm). Auf das Modernitätsproblem wird an anderer Stelle zurückgekommen werden.

[cxvii] Auch die Stasi registriert - andersherum freilich - diese Verunsicherung. Es heißt in einer Einschätzung: ”1963 vertrat sie z.B. die Meinung, daß sie das schreiben werde, was und wie sie es für richtig hält. // An­fang 1964 äußerte sie ihr Unverständnis darüber, daß Stefan Heym kritisiert wurde (offenbar im Zu­sam­menhang mit seinem Buch ‘Der Tag X’). // Auf dem Schriftsteller-Kolloquium im Dezember 1964 in Berlin trat die Genn. Wolf jedoch in einem Diskussionsbeitrag sehr positiv gegen die negativen Auffas­sungen Stefan Heyms auf. // 1964 im Wohngebiet geführte Ermittlungen besagen, daß die Genn. Wolf in der Straßenparteigruppe ak­tiv mitarbeitet und als aktive und pflichtbewußte Genossin geschätzt wird.” (zit. n. Vinke, S. 23)

[cxviii] Die weitere Entwicklung beschreibt Christa Wolf: ”Ich möchte noch erklären, warum der FilmFräulein Schmetterlingnicht fertiggestellt wurde. Er war während des 11. Plenums noch nicht in einem so fortge­schritte­nen Stadium wie die meisten anderen Filme, mit Ausnahme vonSpur der Steine. Er konnte nicht vorgeführt werden und geriet noch nicht ins Zentrum der Kritik. Es wurde erlaubt, an ihm weiterzuarbei­ten. Es wurde ein Rohschnitt hergestellt, und diese Rohschnitt wurde im Frühsommer 1966 im Filmbei­rat der Hauptverwaltung vorgeführt.” (Wolf 1991b, S. 270) Infolge der sich anschließenden Diskussionen wurde die Produk­tion des Films abgesetzt, das heute noch vorhandene Material lohne die Rekonstruktion nicht.

[cxix] Vgl. dazu den Aufsatz von Günter Agde.

[cxx] Hans Koch, Dogmatiker par excellence (wenn auch nicht ohne Verdienste - u.a. Herausgabe von Texten Marx’, Engels’, Lenins zur Kultur und Kunst), damals erster Sekretär des Schriftstellerverbandes, später hoher Funktionär der Akademie für Gesellschaftswissenschaften, starb in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre durch Selbstmord, weil er, läßt sich vermuten, Auseinandersetzungen nach einer Rede fürchtete, die Konrad Naumann, Parteisekretär von Berlin, in der Akademie gehalten hatte und die zu dessen Sturz führte. Nach der Leiche Kochs wurde monatelang gesucht. Von vielen wurde dieser Selbstmord als Tragi­komödie wahrgenommen (das Komi­sche, Groteske überwog bereits).

[cxxi] Das kann hier nicht Gegenstand sein, es sei lediglich darauf hingewiesen, daß die Probleme der Jugend - Spitze des Eisberges: die Beatmusik - in dieser Zeit eine große Rolle spielten und heiß diskutiert wurden. Auch hier wurden Unterschiede zwischen Parteiführung und z.B. FDJ sichtbar. Ein Jugendkommunique wurde disku­tiert in dieser Zeit. Das BuchNachdenken über Christa T.setzt sich auch mit diesen Proble­men auseinander, be­sonders da, wo die Konflikte beschrieben werden, auf die Christa T. als Lehrerin trifft.

[cxxii] In einem anderen Zusammenhang, typisch Ulbrichtsche Argumentation (sie wird auf dem Plenum wiederholt) - fällt das Stichwort Entfremdung: ”Ich kann nicht zulassen, daß Skeptizismus propagiert wird, und dann in den Plan hineinschreiben, daß die Arbeitsproduktivität um 6% erhöht wird. Wenn wir die Propaganda des Skeptizis­mus zulassen, senken wir die Erhöhung der Arbeitsproduktivität um 1%. Skeptizismus, das heißt Senkung des Lebensstandards, ganz real, so wird bei uns gerechnet. Die Entfrem­dungspropaganda hat die Bevölkerung in eini­gen Volksdemokratien so und so viel vom Lebensstandard gekostet. Das kann man in einzelnen Ländern genau berechnen.” (zit. n. Agde S. 140) Dies zugleich die Argumentation des ökonomischen Flügels in der Partei­spitze, der durch Erich Honecker und Paul Fröhlich angeführt wird (vgl. dazu Agde, S. 144). Es wird versucht, alle Bereiche der Gesellschaft in dieses Kosten-Nutzen Denken einzubeziehen, bis dahin, daß überlegt wird, finan­zielle Konsequenzen für ”künstlerische Machwerke” zu ziehen (vgl., S. 145). Hier wird deutlich, daß spä­testens 1965 - neuen Schwung erhält dies durch die Machtübernahme Honeckers 1971 (wenn auch anfänglich ein­hergehend mit einer Liberalisierung der Kulturpolitik) - die Unterschiede zwischen Kapitalismus und Sozia­lismus hin­sichtlich des ökonomischen Denkens schwinden, der ökonomische Flügel ist ein Modernisierungsflü­gel auf der Basis vormoderner politischer Herrschaft. Ursprüngliche Akkumulation.

[cxxiii] An anderer Stelle ist von 6 Wochen die Rede.

[cxxiv] Die Reaktion Anna Seghers’ nach dem Plenum, nach ihrem Diskussionsbeitrag, beschreibt Christa Wolf fol­gendermaßen: ”Anna Seghers, die als Präsidentin des Schriftstellerverbandes anwesend war, lud mich ein, mit ihr ins Ostasiatische Museum zu gehen. Ich wehrte ab: Nicht unbedingt jetzt! Doch, sagte sie. Gerade jetzt. - Und dann gingen wir über die breite Straße vor dem ZK, sie sehr bekümmert, ich nahm sie am Ellenbogen und sagte: Laß dich nicht überfahren! Ach, sagt sie, ich hab schon einmal, nachdem ich überfahren worden war, sehr gut schreiben können. - Sie meinte ihren Unfall damals in Mexiko, wo­nach sieAusflug der toten Mädchenschrieb. // Und dann ging sie mit mir also ins Ostasiatische Museum, und als wir zu der Prozessionsstraße kamen, zum Ischtar-Tor, sagte sie: Guck mal, damals war es verbo­ten, überhaupt Menschen darzustellen, und solche schönen Sachen haben die gemacht. Die Menschendar­stellung ist doch bei uns nicht verboten. Und das andere, glaub mir, geht alles vorbei. Und sie hat mit mir eine Wette abgeschlossen: In einem Jahr ist ‘das’ vorbei. Da habe ich ge­sagt: Nein, keinesfalls. Wir wet­teten um einen Kaffee. Wir haben nie wieder darüber gesprochen.” (Wolf 1991b, S. 268) Und doch - ganz Unrecht hatte Anna Seghers nicht. Christa Wolf kann tatsächlich, nach­dem sie überfahren wurde, sehr gut schreiben, ihr vielleicht bekanntestes Buch, eine Menschendarstellung. Und auch: Gerade jetzt - das Ple­num ist der Punkt, an dem die Besichtigung der Geschichte durch die Künstler ein­setzt, der Sozialismus auf seine historischen Wurzeln und Parallelen befragt wird. Ein Resultat dessen in der theoretischen Aus­einandersetzung ist dargestellt worden: Bahro beschreibt die Ähnlichkeit des Sozialismus zur asiatischen Produktionsweise. - Übrigens ist die präzise Darstellung - auch intertextuell (es gibt in Christa T. min­destens einen direkten Bezug auf Anna Seghers, (vgl. C.T. S. 33)) - des Verhältnisses von Wolf zu Seghers ein Desiderat der Forschung. Ich denke aber, daß erst durch das Verhältnis zu Anna Seghers das zu Ingeborg Bachmann verstan­den werden kann, Christa Wolf bewegt sich auch hier in einem Widerspruchs­feld.

[cxxv] Wie auch immer, das Treffen, seine Vorbereitung, seine Konsequenzen und die Folgen des Auftretens Christa Wolfs machen deutlich: Worte (und Texte) von Schriftstellern waren politisch relevant, hatten Einfluß auf Ent­scheidungen in der Führung dieses Landes. Nach dem 11. Plenum allerdings ändert sich dies - der Einfluß der Schriftsteller findet nun auf anderer Ebene statt, die Leser werden zum wichtigsten, alleinigen Partner. Es bleibt aber die Erfahrung - und sei sie negativ, durch Zensur (dasmachte sie zu­gleich unerträglich und aushaltbar) - in den Widersprüchen dieses Landes Bewegung provozieren zu kön­nen. Die Grenzziehung aber - was kann noch hin­genommen werden, was muß mit schärfster Reaktion, notfalls dem Verlassen des Landes, beantwortet werden? - wird immer schwieriger, quälender. Der 4. No­vember 1989 schien denen recht zu geben, die blieben, der 9. denen, die gingen.

[cxxvi] Dieser Hintergrund war bekannt. Christa Wolf berichtet in ihren Erinnerungen: ”Uns allen war klar, daß das Plenum unter dem Zeichen dieses Selbstmordes stand, und wir alle haben ihn mit den sowjetischen Handelsver­trägen in Verbindung gebracht. Es wurde gemunkelt, die DDR sollte durch diese Verträge in eine Lage gebracht werden, daß sie nicht mehr eigenständig wäre, daß sie sich ausverkaufen ließe. Das habe er, Apel, nicht mittragen wollen.” Sie schreibt: ”Es war eine düstere Atmosphäre auf diesem Ple­num.” (Wolf 1991b, S. 265)

[cxxvii] Betroffen war übrigens auch Heiner Müller. Schon wegen seines 1961 an einer Studentenbühne uraufge­führten StückesDie Umsiedleringab es Streit und ein Verbot - dies betraf nun einige Jahre danach sein StückDer Bau, das erst 16 Jahre später an der Volksbühne aufgeführt werden konnte (Erstveröffentlichung war allerdings bereits 1965 inSinn und Form: Durch diese Veröffentlichung wurde der Stein ins Rollen gebracht). Das hat Müllers Arbeit nicht unwesentlich beeinflußt.

[cxxviii] Auch - nicht alleine deswegen, das soll hier nicht unterstellt werden -, weil die eigene Arbeit ganz un­mittel­bar betroffen ist. Christa Wolf behauptet zwar in ihrer Erinnerung an das 11. Plenum: ”Unmittelbar danach [nach dem Plenum - AT] begann meine Arbeit anNachdenken über Christa T.” (Wolf 1991b, S. 267) Dies wird insoweit zutreffen, als der Hauptteil des Textes danach entstanden sein wird, seine Schärfe, seine end­gültige Struktur und vielleicht auch die Frage ”Wann, wenn nicht jetzt” ihren Platz be­kam (der Text wird 1967 dem Verlag übergeben). Vorarbeiten lassen sich aber bis auf das Jahr 1963 zu­rückverfolgen (vgl. Dröscher), und so trifft es das eigene Vorhaben, die eigene schriftstellerische Existenz, wenn ”an den ‘Plenumsfilmen’ das Aus­einanderdriften von Individuellem und Gesellschaftlichem als Merkmal der sozialen Entfremdung des Individuums bemängelt” wird (Haucke, S. 113).

Ende der Leseprobe aus 216 Seiten

Details

Titel
Teufelskreise - Entfremdung und Literatur in der DDR
Untertitel
Vier Interpretationen
Autor
Jahr
1999
Seiten
216
Katalognummer
V90193
ISBN (eBook)
9783638036122
ISBN (Buch)
9783638933018
Dateigröße
2160 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Teufelskreise, Entfremdung, Literatur
Arbeit zitieren
Prof. Dr. Achim Trebeß (Autor:in), 1999, Teufelskreise - Entfremdung und Literatur in der DDR, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90193

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