Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Zum Begriff des Events in der Soziologie
1 Definition des Events
2 Abgrenzung zu anderen Gesellungsformen
3 Events, Publikum und Performance
4 Events im Sport
II. Einführung in den eSport
1 Grundlagen des eSports
1.1 Historische Betrachtung
1.2 Definition eSport
1.3 Zur Demografie der Spielerinnen
1.4 eSport im internationalen Vergleich
1.5 Leistung- und Breitensport
1.6 Anerkennungsdiskurs in Deutschland
2 Akteure im eSport
2.1 Clans
2.2 Verbände
2.3 Clan- und verbandsunabhängige Akteure
3 Spielformate
4 Ökonomische Gesichtspunkte
4.1 Sponsoring
4.2 Preisgelder
4.3 Wetten auf eSports
4.4 Virtuelle Währungen
5 Probleme und Risiken des eSports
5.1 Suchtpotential (IGD Internet Gaming Disorder)
5.2 Cheats, Doping und Bestechung
III. Gesellschafts- und Gesellungsformen im eSport
1 Die eSport-Szene
2 eSport-Events und Publikum
3 Offline eSport-Events
4 Online eSport-Events
Schlussbetrachtungen
Glossar
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Altersdurchschnitt im Gamingbereich
Abbildung 2: Spielquantität verschiedener Altersgruppen
Abbildung 3: Anteil von eSports Spielern und Zuschauern weltweit
Abbildung 4: Anteil von Zuschauern und Spielern nach Ländern im Dezember 2019
Abbildung 5: Anzahl aktiver eSportler nach Ländern
Abbildung 6: Online-Einschaltquoten verschiedener Spiele
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1 - Titel, Relevanz, Genre und Charakteristika
Einleitung
Im Jahr 2019 erzielte der eSport-Markt einen Umsatz von 950,6 Millionen Dollar; für das Jahr 2020 wird erstmals ein Umsatz von mehr als einer Milliarde Dollar prognostiziert (Newzoo, 2020). Somit kann der eSport als umsatzstarke Konkurrenz des Fußballs in Europa oder des American Footballs in Amerika betrachtet werden. Die Entwicklung, die der eSport in den vergangenen Jahren erlebt hat, unterstützt diese Beobachtung: Es ist wahrscheinlich, dass der eSport, was seine Beliebtheit betrifft, den analogen Sport superieren wird (Deloitte, 2019). Auch die Reaktionen der konkurrierenden Sportbranchen können als Bestätigung dessen gedeutet werden: So haben bereits über 50 international bekannte Vereine, darunter viele der weltweit größten Fußballclubs, aber auch kleinere Vereine, eigene eSport-Abteilungen gegründet (Kicker, 2020). Die Fußballbranche hat das Potential des eSports erkannt und folgt dem Trend, um von den absehbaren ökonomischen Chancen zu profitieren.
Die Covid-19 Pandemie im Jahr 2020 hat die positive Entwicklung des eSports zusätzlich begünstigt. Nicht nur die Bundesliga musste ihre Saison im März vorzeitig beenden, sondern weltweit wurde die Austragung sportlicher Wettbewerbe aufgrund der geltenden Kontaktverbote zur Eindämmung des Virus abgesagt oder verschoben. Die Welt des Sportes scheint erstarrt, Umsätze brechen ein und kapitalschwache oder kleine Sportvereine müssen um ihre Existenz bangen. Die negativen Folgen der Pandemie betreffen jedoch nicht den eSport-Bereich: dieser konnte seine Umsätze im März 2020 steigern und auch die Zuschauerzahlen von Streaming-Plattformen wie YouTube und twitch stiegen bisher um 15% beziehungsweise 10% an (Takahashi, 2020). Dass der eSport einigen Akteuren der Sportbranche einen finanziellen Gewinn trotz Krise ermöglichen kann, hat auch der Deutsche Fußball Bund (DFB) erkannt (Chen, 2020). Der Dachverband des deutschen Fußballs, der über 7 Millionen Mitglieder zählt, bietet seit dem vergangenen Jahr digitalen Fußball, mit anderen Worten eSport, an. Er stellt die deutsche Nationalmannschaft nicht nur aufs reale, sondern nun auch aufs virtuelle Feld. Um das Gewinnpotential der Branche im Verlauf der Krise weiter auszuschöpfen, bewirbt der DFB dies auch in TV-Spots (App , 2020). Aufgrund der Aktualität der Krise nimmt diese Arbeit lediglich auf den Zeitraum vor der Pandemie Bezug, offen bleibt inwieweit Covid-19 den eSport-Sektor nachhaltig beeinflussen wird.
„Computerspielen“, das vor wenigen Jahren noch als negativ konnotierte Freizeitbeschäftigung galt, gewinnt nun sowohl in gesellschaftlichen als auch politischen und vor allem wirtschaftlichen Dimension immer weiter an Bedeutung. Hierbei geht es bei weitem nicht mehr um einen einfachen Zeitvertreib vor dem Computer. eSportler*in- nen werden von sogenannten Clans1 unter Vertrag genommen, die eAthlet*innen bestreiten internationale Wettkämpfe und verdienen bis zu mehreren Millionen Euro jährlich (Game.de, 2019). Je größer der Clan, umso mehr Sponsoren zeigen Interesse und unterstützen die eAthlet*innen finanziell, was sich wiederum positiv auf die Höhe der Gehälter auswirkt. Die Athletinnen werden dabei zu Heldinnen, vergleichbar mit Fußballstars wie Christiano Ronaldo oder Lionel Messi. Viele junge Menschen träumen von einer Karriere als eSportler*in, aber dieser Traum birgt auch Gefahren. Neben den gesundheitlichen Konsequenzen, die ein derartiger Spielekonsum mit sich bringt (Kap. III.1), wird versucht die Wettkämpfe mithilfe illegaler Methoden zu gewinnen. eSport bietet seinen Spieler*innen neben einem hohen Einkommen auch Prestige. Doch mit einer Professionalisierung, wie sie die Branche erfährt, steigt ebenfalls die Konkurrenz und es greifen dieselben zum Teil illegalen Mechanismen wie Doping und Bestechung, die auch in den traditionellen Sportarten Anwendung finden (Kap. III.2).
Gerade junge Leute, die Generation der sogenannten Digital Natives, die mit internetfähigen Geräten aufgewachsen ist, sind am eSport interessiert. Durch die Virtualität und die dem Internet geschuldete Deinstitutionalisierung kann sehr einfach international gespielt werden, einzige Zugangsvoraussetzung ist ein internetfähiges Gerät. Dadurch, dass die primären Zielgruppen des eSports häufig in den Sozialen Medien unterwegs sind und die Spiele des eSports auch dort übertragen werden, steigt die Wachstumskurve der Branche weiter an. Nicht nur die Zahl der Spielerinnen hat sich drastisch erhöht, auch die Zuschauerzahlen der Livestreams steigen kontinuierlich an. eSport ist international, leicht zu kommunizieren, sowohl was die interne Kommunikation als auch die kommunikative Einführung in die Materie betrifft, und die Fans bilden eine nahezu homogene Interessengemeinschaft (Game.de, 2016). All diese Faktoren, gerade vor dem Hintergrund der jugendlichen Altersstrukturen im eSport, machen die Branche für wirtschaftsbasiertes Marketing sehr attraktiv. Dieses Potential wurde beispielsweise bereits von vielen Großkonzernen erkannt, sie fördern die Professionalisierung durch Investitionen, vergrößern den Markt und in der Folge auch das Gewinnmaximierungspotential.
Diese Professionalisierung führte zu finanziellen Rahmenbedingungen, die die Veranstaltung von eSport-Events ermöglicht haben.
„Wir stellen einen klaren Trend fest: eSport verlagert sich aus der virtuellen Welt zunehmend in das Rampenlicht großer Stadien. Während die Fans die Großevents lange per Livestream oder Fernsehen verfolgten, zieht es sie jetzt in die Arenen. Das wird auch den Bau neuer Stadien, wie bereits aktuell in Hamburg zu beobachten, vorantreiben“ (Wilke, 2019).
Tatsächlich füllen die Turniere der derzeit beliebtesten Spiele CS:GO, Dota II und LOL große Stadien und in den USA und China gibt es bereits eSport-Arenen, in den die Clans eigene Trainingszentren eingerichtet haben (Hierzu in Kap. II.3). Auf solchen Geländen finden sich zunehmend auch Einkaufszentren und Hotels, um Spielerinnen und Zuschauerinnen ein möglichst außergewöhnliches Erlebnis zu bieten (Kratsch, 2019). Obwohl man die Wettkämpfe online verfolgen kann, besuchen die eSport-Fans Veranstaltungen, um andere Personen bei sportlichen Aktivitäten zu beobachten, anstatt sich selbst körperlich zu betätigen. Die Ursachen dieses Verhaltens haben einen soziologischen Hintergrund, der in Anbetracht des Alters des eSports noch wenig untersucht ist. Die vorliegende Arbeit versucht daher die eSport-Branche hinsichtlich ihres Eventcharakters zu analysieren. Eine umfangreiche Analyse ist derzeitig aufgrund spärlicher wissenschaftlicher Forschung schwierig, dennoch bildet die Aktualität die Grundlage für die Faszination, die dieser Sport mit sich bringt. Selbst konkurrierende Sportbranchen haben erkannt, dass eSport eine Branche mit einem hohen Wachstumspotential ist und die Tauglichkeit zum Volkssport aufweist.
Die Thesis folgt einem dreigliedrigen Aufbau, wobei im ersten Teil die wissenschaftliche Grundlage dargelegt, im zweiten Teil in den Untersuchungsgegenstand eingeführt und schließlich im dritten Teil die Muster und Inszenierung von eSport Events analysiert werden. Im ersten Teil wird der Begriff des Events aus soziologischer Perspektive dargestellt. Hierbei wird der Begriff zunächst definiert, von anderen Ge- sellungsformen abgegrenzt und in den Kontext des Sportes eingeordnet. Zudem wird auf das Publikum und die Performances eingegangen, um ein umfassendes Bild des Events zu ermöglichen und um im späteren Verlauf das Publikum und insbesondere die Szene zu analysieren. Es wird zudem auf den stereotypen Ablauf eines Events eingegangen. Im zweiten Teil werden zunächst die Grundlagen des eSports vorgestellt, um Begrifflichkeiten, die für die spätere Analyse relevant sind, zu erläutern. Anschließend werden die Akteure, der Aufbau von Verbänden und deren Clans abgebildet. Zum besseren Verständnis des eSports werden die populärsten Spielformate dargelegt und erläutert, wieso manche Spielformate erfolgreicher sind als andere. Anschließend werden relevante ökonomische Gesichtspunkte beschrieben, da die Kommerzialisierung des eSports mit dessen Wachstum zugenommen hat. Abschließend 3 werden Probleme und Risiken der eSport-Branche aufgezeigt und diskutiert. Wie bereits einleitend erwähnt kommt es durch die zunehmende Professionalisierung und der damit einhergehenden Umsatz- und Gewinnsteigerung zur Anwendung illegaler oder zumindest moralisch fragwürdiger Methoden wie Cheating2 oder Doping. Hinzu kommt, dass eine hohe Bildschirmzeit extreme Risiken für eine Sucht oder zumindest eine Störung des Spielverhaltens birgt, weshalb erörtert wird, ob eine uneingeschränkte Förderung des eSports uneingeschränkt vertreten werden soll. Der dritte Teil widmet sich schwerpunktmäßig Events im eSport und stellt somit die Synthese der beiden anderen Teile dar. Hier wird die Definition von Events nach Gebhardt auf den eSport übertragen. Auch soll der Frage nachgegangen werden, warum eSport- Veranstaltungen trotz Livestreams vermehrt in Stadien stattfinden. In diesem Kontext wird analysiert, ob auch Livestreams ein Event darstellen können. Ferner wird ein Ausblick über die Entwicklung von eSport-Events gegeben. Abschließend werden die prägnantesten Aspekte der Thesis noch einmal zusammengefasst und ein Ausblick in die Zukunft des eSports gegeben.
I. Zum Begriff des Events in der Soziologie
“Was zu Zeiten einer unbezweifelten Moderne als "pervertiert" galt, ist nun rehabilitiert, so daß [ sic ] man sagen kann: Posttraditionale Gemeinschaften bestehen im Wesentlichen aus den situativen Ereignissen des Zusammenkommens, also aus Events, Veranstaltungen und Treffen.” (Knoblauch, 2000, S. 46; Hervorhebung im Original)
Um die Muster und die Inszenierung verschiedener Veranstaltungen des eSports analysieren zu können, bedarf es zunächst einer Definition des Begriffes des Events. Die vorliegende Arbeit bezieht sich hierbei auf die soziologische Betrachtung eines Events und nimmt Bezug zu den Arbeiten von Gebhardt, Siemons und Knoblauch. In diesem Teil werden Events definiert, der Unterschied zu historischen Gesellungs- und Gesellschaftsformen herausgearbeitet sowie die Faszination von Events und vor allem Sportevents für das Publikum beschrieben.
1 Definition des Events
Demnach umfasst der Begriff Event Situationen, die sich vom Alltag abheben und als ungewöhnlich bezeichnet werden können. Ungewöhnliche, nicht alltägliche Ereignisse geschehen jedoch zuhauf, ohne dass man sie als Event bezeichnen oder gar als solches wahrnehmen würde. Beispiele hierfür sind Krankheiten, Kündigungen, Scheidungen oder auch der Tod. Was also ist neben der Außergewöhnlichkeit maßgeblich für die Existenz eines Events? Siemons (1998, S. 31) beschreibt Events als „die planmäßige Erzeugung eines einzigartigen Erlebnisses, das dem träge und entfremdet zwischen glatten Oberflächen dahingleitenden Leben die zum weiteren Arbeiten und Konsumieren nötige Vielfalt verschaffen soll, eine schockierende Injektion von Wahrheit und Bedeutung gewissermaßen“. Es stehe daher „im Schnittpunkt aller möglichen Existenzbereiche, die sonst getrennt sind: Industrie, Medien, Politik, Kunst“ (Siemons, 1998, S. 31). Diese Definition lässt Rückschlüsse auf die wesentlichen Eigenschaften eines Events zu:
1. „Events sind planmäßig erzeugte Ereignisse “ (Gebhardt, 2000, S.19). Sie werden aus kommerziellen oder weltanschaulichen Interessen unterschiedlichen Organisatorinnen vorbereitet und veranstaltet. Der Ablauf ist hierbei minutiös geplant und individuelle Gestaltungsspielräume bestehen - wenn überhaupt - nur innerhalb klar definierter räumlicher und zeitlicher Grenzen (Gebhardt, 2000, S.19).
2. „Events werden als einzigartige Erlebnisse geplant und so auch von den Teilnehmenden erlebt“ (Gebhardt, 2000, S.19). Der Besuch eines Events bedeutet ein Bruch mit dem Alltag, der mit Vorfreude einhergeht. Doch bietet ein Event nicht nur eine Abwechslung vom Alltag, sondern ermöglicht den Teilnehmenden auch ein Ab- bzw. Eintauchen in eine neue, sich vom Alltag unterscheidende Welt (Gebhardt, 2000, S.19). Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang aber das beständige Streben nach mehr und immer größeren Events. Gebhardt (2000, S. 20) spricht von einem Drang „zur ständigen Überbietung der einmal erlebten Reize“. Gelingt es den Veranstaltenden bei einem Event nicht, diese Überbietung zu erzeugen, könnten sich Besucher*innen entweder langweilen oder sie sich selbst suchen. Dies wiederum stellt eine Limitation der Planbarkeit von Events dar, eine gewisse Unbeherrschbar-, bzw. Unvorhersehbarkeit kann also durch die Besucher*innen ausgelöst werden (Gebhardt, 2000, S. 20).
3. „Events sind Ausdruck einer Synthese von Kultur und Ästhetik.“ (Gebhardt, 2000, S.20). Sie verbinden die verschiedensten ästhetischen Ausdrucksformen, greifen so auf die romantische Idee des Gesamtwerkes zurück und erfinden diese in modernisierter Form neu (Gebhardt/Zingerle, 1998, S. 71). Das lässt sich zum Beispiel an den Eröffnungszeremonien großer Sportveranstaltungen erkennen: Obwohl der Mittepunkt des Events doch eigentlich der sportliche Wettkampf ist, werden Musikdarbietungen oder Lasershows geboten. Zudem lassen Events unterschiedliche kulturelle Traditionen miteinander verschmelzen, um Neues zu kreieren und sich als Teil einer neuen globalen Kultur zu präsentieren (Gebhardt, 2000, S.20). Ziel dieser Synthese von Kultur und Ästhetik ist die Schaffung eines „totalen Erlebnisses“ (Gebhardt, 2000, S.20), das als „Lifestyle-Gesamtkunst- werk“ (Gebhardt, 2000, S.20) in Erinnerung bleibt.
4. „Events stehen im Schnittpunkt aller möglichen Existenzbereiche “ (Gebhardt, 2000, S.20). Sie ermöglichen für einen begrenzten Zeitraum die Flucht aus dem alltäglichen Leben. Den Eventbesuchenden wird so die Möglichkeit geboten, Alltagsprobleme zu vergessen und gänzlich in die künstlich geschaffene Welt aus Kultur und Ästhetik einzutauchen.
5. „Events vermitteln das Gefühl von exklusiver Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit “ (Gebhardt, 2000, S.21). Die Exklusivität eines Events ist unter anderem durch Limitationen der Besucher*innenzahlen gegeben sowie durch die finanziellen Bedingungen zum Erwerb einer Eintrittskarte. Hier können auch Verknüpfungen zwischen Szenen (Vgl. Kap. III.1.) und Events vorliegen: Bedarf die Zugehörigkeit zu einer Szene zur Bestätigung des kollektiven Bewusstseins die Teilnahme an einem Event (Gebhardt et al., 1999., 20), ist eben jene Zugehörigkeit an die Notwendigkeit eines Eintrittskartenkaufes, also an finanzielle Aspekte, gebunden. in dem Fall wird die Szenenzugehörigkeit durch Geld reguliert (Knoblauch, 2000, S. 46). Durch unterschiedliche Preisklassen der Eintrittskarten für Events und der damit oft verbundenen Sonderleistungen entstehen innerhalb eines Events Hierarchien, die für externe Beobachter*innen nicht ersichtlich sind. Mehr noch, die Außenwirkung von Events ist geprägt durch ein Bild der Gemeinschaft von Personen, die gleiche Interessen teilen, oder grundsätzlich gemeinsam dasselbe (auf dem Event) erlebt haben. Das Gemeinschaftsgefühl wird insbesondere durch die Metakommunikation zwischen dem Publikum und den Hauptakteuren des Events hervorgerufen. Das Hauptgeschehen des Events und das Publikum stehen in einer Art von kommunikativer Verbindung, die es ihnen ermöglicht, zu verstehen, was die Akteure tun (Knoblauch, 2000, S. 43). Dass dieses Gefühl der Verbundenheit und der Zugehörigkeit miteinander auch von Teilnehmenden als solches empfunden wird, ist einer der Gründe, weshalb sich das Event in Zeiten der Post- moderne3 als vorzugswürdige Veranstaltungsform etabliert hat (Gebhardt, 2000, 5. 21).
6. „Events sind monothematisch fokussiert“ (Gebhardt, 2000, S. 21). Obwohl sich Events vielfältiger Ausdrucksformen bedienen, liegt der Fokus zumeist doch auf einem einzigen Thema, beispielsweise einer Sportart. Durch den interaktiven Charakter eines Events bedarf es kommunizierbarer Inhalte (Gebhardt, 2000, S. 22). Das Identitätsstiftende rechtfertigt das Bedürfnis nach Inhalten, die es wert sind, humane Ressourcen darauf zu verwenden (Gebhardt, 2000, S. 22). Zur Gemeinschaftsbildung muss dem Event ein Zweck zu Grunde liegen, der es exklusiv macht (Gebhardt, 2000, S. 22).
2 Abgrenzung zu anderen Gesellungsformen
Die genannten Eigenschaften eines Events führen zu der Frage, warum Großveranstaltungen in der Vergangenheit Feiern und Feste genannte wurden und inwiefern sich diese von einem heutigen Event unterscheiden (Pieper et al., 1963, S. 65). Zunächst zeigen sich viele Gemeinsamkeiten, ein Event kann nach Gebhardt (2000, S. 22-23) nicht als etwas kulturell Neues bezeichnet werden, vielmehr handele es sich um eine Weiterentwicklung, eine spezifische Form des Festes. Nach Gebhardt und Zieschang (1998, S.24) lässt sich der Entwicklungsprozess vom Fest zum Event in fünf Dimensionen beobachten: Deinstitutionalisierung, Entstrukturierung, Profanisie- rung, Multiplizierung und Kommerzialisierung.
Die Deinstitutionalisierung beschreibt den Weg vom Konventionellen, beispielweise einem festen Treffpunkt, hin zum Lockeren, Unverbindlichen, sowohl was die Gesellschaftsformen4 selbst, als auch deren Gesellungsformen5 anbelangt (Bette/Schimank, 2000, S. 317; Gebhardt, 2000, S. 25). Einander fremde Menschen treffen sich, um sich eben nicht (wie bisher üblich) in die Gedanken und Erlebnisse des jeweils anderen hineinzuversetzen (Bette/Schimank, 2000, S. 318). Unter Entstrukturierung versteht sich die zunehmende Auflösung der Klassen-, Schicht- und Milieugrenzen. Während in der klassischen Moderne Feste innerhalb dieser Grenzen stattfanden, erzeugen, so Gebhardt (2000, S. 25), Events ein grenzübergreifendes Moment. Die Profanisierung beschreibt die Veränderung in der Erwartungshaltung der Teilnehmenden (Thurn, 1997, S. 7-8). Anders als in klassischen Festen geht es bei Events nicht um einen bestimmten höheren Sinn, sondern um das Erleben eines Events als das „schöne Erlebnis“ selbst (Thurn, 1997, S. 7-8). Die Teilnehmenden wünschen nicht länger Organisation, Regeln und Verbindlichkeiten, sondern sehnen sich nach individuellem Vergnügen und des Sich-Gehen-Lassens (Gebhardt, 2000, S.25). Mul- tiplizierung, als vierte Dimension, bedeutet einen steten Anstieg in der Anzahl der Events (Gebhardt, 2000, S. 26). Dieser Anstieg zeigt sich auch an den unterschiedlichen Veranstaltungen, die mittlerweile als Event beworben werden, zum Beispiel die Veröffentlichung neuer Automobilmodelle oder auch Stadtfesten. Die Veranstaltung von Festen und Feiern löst sich, primär aus kommerziellen Gründen, immer weiter von ihren begründeten Anlässen, ihre Existenz scheint beinahe willkürlich (Gebhardt, 2000, S. 26). Doch eine Veranstaltung, die aus Willkür stattfindet, entspreche, wie oben erläutert, nicht der Eigenschaften eines Events, sie trägt nicht zu einer Identitätsausbildung der Teilnehmenden bei (Gebhardt, 2000, S. 27), weshalb sich immer häufiger beobachten lässt, dass Veranstalter Gründe künstlich erzeugen und so die Existenz des Events zu rechtfertigen versuchen (Gebhardt, 2000, S. 26). Sinn des Festes ist nun das Fest selbst (Bette/Schimank, 2000, S. 315; Lipp, 1994). Zur profitorientierten Ausbedeutung des Bedürfnisses der Menschen nach diesen Veranstaltungen wurden Gesellschaften gegründet, die sich auf die Veranstaltung solcher Events spezialisiert haben (Gebhardt, 2000, S.26). Die Multiplizierung und Kommerzialisierung von Festen führe jedoch, so Villadary (1973, S. 136) zu einer „Veralltäglichung des festlichen Lebens“. Doch geht mit dieser Veralltäglichung von Events nicht der Reiz des Außergewöhnlichen und damit die Erfolgsvoraussetzung verloren? Gebhardt (2000, S. 27) verneint dies, denn es zeige sich, dass die Veran- stalter*innen diese Problematik bereits erkannt haben und ihr auf verschiedenen Ebenen entgegen zu wirken versuchen. Es wird versucht, die Besonderheit eines Events durch die Schaffung einer außergewöhnlichen Ästhetik zu generieren. „Die Form wird somit wichtiger als der Inhalt“ (Schulze, 1992, S. 145-147). Besuchen Menschen Feste nur noch zur Befriedigung partikulärer Freizeitinteressen, so werden diese kein dauerhaftes, sondern lediglich ein kurzfristiges, für die Dauer des Festes anhaltendes, Gemeinschaftsgefühl erzeugen können (Gebhardt, 2000, S.28). Aus diesem Grund machen sich die Organisatoren das Erleben eines Gemeinschaftsgefühls zum Ziel der Veranstaltung (Gebhardt, 2000, S.28). Abschließend kann festgehalten werden, dass Events keine gänzlich neuen Gesellungsformen darstellen, sondern sich im Zuge der sich „individualisierenden, pluralisierenden und zunehmend verszenen- den Konsum- und Erlebnisgesellschaft“ (Schulze, 1992, S. 464-465) als Spezifikation des Festes herausgebildet haben.
Da sich die vorliegende Arbeit mit den Mustern und der Inszenierung von eSportEvents befasst, die erst in den letzten Jahren an Popularität gewannen (vgl. Kap. III), sind die Formen gegenwärtiger, spätmoderner Events hervorzuheben. Heutzutage besitzt nahezu jede*r ein Smartphone oder einen Fotoapparat, mit dem erlebte Momente auf einem Event dauerhaft festgehalten werden können. Anstelle von Feuerzeugen werden mittlerweile Handy-Blitze in die Höhe gestreckt, oft in Kombination mit Videoaufnahmen. Durch die Aufnahmen kommt es zu einer „Verdopplung der metakommunikativen Beobachtbarkeit“ (Knoblauch, 2000, S. 45). Anders als bisher wird das Geschehen nicht nur von den physisch Anwesenden beobachtet, sondern durch mediale Verbreitung über Fernsehen oder Internet eröffnet sich auch für Außenstehende die Möglichkeit, das jeweilige Event zu betrachten (Knoblauch, 2000, S. 45). Dadurch ändert sich die Eventstruktur, denn auch die Besucher*innen sind sich der nicht anwesenden Personen bewusst (Knoblauch, 2000, S. 45). Durch die Konserva- tion verlieren Events an Einmaligkeit, dennoch kann dies als Qualitätszugewinn betrachtet werde (Knoblauch, 2000, S. 45). Für die Anwesenden steigern die Aufnahmen die Herausgehobenheit des Events, es entsteht sozusagen eine „soziale Denkwürdigkeit“ (Knoblauch, 2000, S. 45). Hinzu kommt, dass die Betrachtung durch Außenstehende eine „fundamentale soziale Verweisungsstruktur“ zwischen denen, die tatsächlich am Event teilnehmen und denen, die es nicht tun, erzeugt (Knoblauch, 2000, S. 45). Eine “soziale Verweisungsstruktur“ (Knoblauch, 2000, S. 45) entstehe dabei insofern, als dass die Eventgemeinde nicht mehr nur für sich, sondern auch für andere stehe, wodurch wiederum ein tieferer Sinn entstünde. „Das Event symbolisiert eine Gruppierung“6, meist Lebensstilgruppen, Gleichgesinnte oder einfach Menschen mit ähnlichen Hobbies (Knoblauch, 2000, S. 45-46).
3 Events, Publikum und Performance
„Nicht das Soziale im Abstrakten ist kennzeichnend für ein Event - es ist die körperliche Ko-Präsenz“ (Knoblauch, 2000, S. 35).
Ein Event zeichnet sich durch fokussierte Interaktionen aus; eine gut besuchte Fußgängerzone oder ein samstägliches Einkaufszentrum stellen daher kein Event dar (Knoblauch, 2000, S. 36). Das Besondere an einem Event ist, dass die Teilnehmenden nicht nur alle dasselbe Geschehen verfolgen, sondern dass sie auch die Handlungen der anderen Teilnehmenden erleben und anhand dieser ihre eigenen Verhaltensweisen orientieren. Fokussierte Interaktionen bilden also die Grundform eines Events, dennoch handelt es sich nicht bei jeder fokussierten Interaktion um ein Event (Bette/Schimank, 2000, S. 315; Knoblauch, 2000, S. 36).
Das Publikum von Events wird, wie auch bei analogen Sportveranstaltungen, nicht direkt miteinbezogen, dennoch partizipiert es in Form von Klatschen, Gesängen oder Zurufen. Diese Partizipation scheint bei genauerer Betrachtung nicht nur ein Nebeneffekt, sondern ein zentrales Merkmal von Events zu sein (Knoblauch, 2000, S. 39). Zudem ist es irrelevant, ob das Publikum als Akteur auftritt oder ob es ein passives Publikum ist und sich auch selbst als solches betrachtet (Knoblauch, 2000, S. 39).
Aus dieser Teilnahme entsteht ein Inszenierungscharakter, der in der Kulturanthropologie als Performance bezeichnet wird (Knoblauch, 2000, S. 38). Diese Performances werden hierbei zumeist durch die Existenz von Bühnenereignissen definiert, durch die eine besondere Art der Fokussierung geschaffen wird, anhand der sich Events von anderen Veranstaltungen abheben (Knoblauch, 2000, S. 39-40). Die Or- ganisator*innen bedienen sich weiterer Maßnahmen, beispielsweise der bereits oben beschriebenen Synthese künstlerischer, ästhetischer und kultureller Konventionen, um neue Rituale zu kreieren, die den Besucher*innen das Event als einzigartig empfinden lassen. So wird auch der Fokus des Publikums noch stärker auf das Bühnengeschehen zentriert (Knoblauch, 2000, S. 40). Gerade bei gegenwärtigen Veranstaltungsformen sind auch Bühnenkonzept, Publikumsaufteilung und die Inhalte einer Übertragung von großer Bedeutung, schließlich sollen die Zuschauenden sowohl vor Ort als auch im Internet oder Fernsehen, das Geschehen bestmöglich verfolgen können (Kirschner 2015; Kirschner/Eisewicht 2016).
Ein weiteres Merkmal von Events ist die Communicas, „ein Zustand unmittelbarer, totaler und egalitärer Konfrontation menschlicher Identitäten, ein Zustand, der den durch Rollen, Statuspositionen und Hierarchien in der Sozialstruktur vermittelten Interaktionen völlig entgegengesetzt ist“ (Turner, 1986, S. 23). Die Communicas ist vergleichbar mit dem, was im deutschen als Geselligkeit betitelt wird, also einer zeitlich limitierten Gemeinschaftlichkeit, die Standesgrenzen, Klassen- und Schichtenunterschiede für die Dauer des Zusammenkommens transzendiert (Simmel, 1970; Knoblauch, 2000, S. 40). Weiterhin zeichnet sich Communicas durch eine starke Zweckrationalität und das vorhandene Bewusstsein darüber aus. „Die Rituale der Gemeinschaft sind in eine mit Kosten-Nutzen-Kalkülen planende Organisation eingegliedert“ (Knoblauch, 2000, S. 48). Folglich stellen Events „ein Oxymoron des Sozialen“ dar: „Strategisch wird das Ziel verfolgt, unstrategische Situationen zu erzeugen“ (Knoblauch, 2000, S. 48). Die Besucher*innen von Events sind sich nicht nur der strategischen Planung bewusst, sie erwarten vielmehr ein gut geplantes Event als Gegenleistung zum gezahlten Eintrittspreis (PwC Deutschland, 2018). Es gilt dabei hervorzuheben, dass das Event nicht für die Gemeinschaft veranstaltet wird, sondern lediglich, um die Gemeinschaft dahingehend zu nutzen, Erfahrungen zu erzeugen, deren Schöpfung anderweitig nicht möglich wäre (Knoblauch, 2000, S. 49). Leitendes strategisches Motiv der rituell gebildeten Gemeinschaftlichkeit ist das Vermeiden einer Bildung von dauerhaften Gemeinschaften, somit sind Events „strategische Rituale der kollektiven Einsamkeit“ (Knoblauch, 2000, S. 49).
4 Events im Sport
Nachdem vorangegangen die Begrifflichkeit des Events in der Soziologie beleuchtet sowie die Besonderheiten dargestellt wurden, befasst sich das folgende Kapitel mit der Frage, warum Menschen anderen Menschen bei der Ausübung sportlicher Ertüchtigung zuschauen, warum sie Sportwettkämpfe besuchen. Ein Sportwettkampf wird von Bette und Schimank (2000, S. 309) als “ein zeitlich, räumlich und sozial umgrenztes und überschaubares Interaktionsgeschehen’’ definiert . Worin liegt der Reiz den Sport nicht selbst zu praktizieren, sondern andere dabei zu beobachten?
Zuschauersport ist in gewissem Maße die Produktion zweier oder mehrerer Personen für unbeteiligte Beobachter*innen (Bette/Schimank, 2000, S. 308). Dies geschieht aber nicht - oder zumindest nicht ausschließlich - für die Zuschauenden. Sportwettkämpfe werden durch einen Mangel an Zuschauerinnen nicht sinnlos, dennoch ist gerade der Spitzensport in großen Teilen Zuschauersport, schließlich werden die zur Professionalisierung des Sportes notwendigen finanziellen Mittel vornehmlich aus Einnahmen durch die Zuschauenden generiert (Bette/Schimank, 2000, S. 308). Anders als beispielsweise bei Pop- oder Rock-Konzerten, auf denen die Musiker*in- nen/Künstler*innen das Publikum zum Mitsingen oder ähnlichen Aktivitäten auffordern, wird von den Zuschauenden eines Sportevents lediglich die Beobachtung des vita activa der Athletinnen erwartet (Bette/Schimank, 2000, S. 309). Dennoch können die Zuschauerinnen ihren erlebten Emotionen durch Pfeifen, Klatschen, Raunen oder Ähnliches Ausdruck verleihen (Bette/Schimank, 2000, S. 309).
Weitere Kriterien für die Attraktivität der Beobachtung von Sportevents sind die Ungewissheit, die Unvorhersehbarkeit und in gewissen Teilen auch die Unbeherrschbarkeit des Ausgangs. Anders als bei der selbstständigen Ausübung eines Sportes, haben die Zuschauerinnen keinerlei Möglichkeiten das Spielgeschehen zu beeinflussen. Weiter kann der Ausgang des Spiels bis zum tatsächlichen Ende nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden. Gerade diese nicht zu beeinflussende Erfolgsoffenheit macht einen besonderen Reiz aus. Attraktivitätssteigernd wirkt zudem die Tatsache, dass Sportwettkämpfe im Gegensatz zu Konzerten oder Festivals nicht simuliert werden. Jede*r Sportlerin möchte gewinnen und ist bereit für einen Sieg alles zu geben (Bette/Schimank, 2000, S. 309). Hinzu kommt, dass es nur eine*n Siegerin geben kann, der Sieg ist folglich ein streng limitiertes Gut.
Doch Limitierungen und Ungewissheiten gibt es auch bei anderen Veranstaltungen, beispielsweise bei Wahlen oder juristischen Auseinandersetzungen. Der entscheidende Unterschied besteht in einer moralischen oder ethischen Dimension, die Sportevents nicht (beziehungsweise kaum)7 aufweisen. Während also Politik und juristische Urteile das Leben vieler Menschen erheblich beeinflussen oder die freiheitlichen Rechte der Menschen berühren, haben Zuschauende eines Sportevents keinerlei moralische oder ethische Fragen zu beantworten (Bette/Schimank, 2000, S. 309). Die Ungewissheit im sportlichen Wettkampf ist vielmehr positiv konnotiert. Der Zuschauende kann den Verlauf des Spiels ungestört verfolgen, denn das Spielergebnis berührt seine*ihre sonstige Lebensführung nicht (Bette/Schimank, 2000, S. 310). Dennoch „kann und soll sich der Zuschauer [...] durchaus mental und affektiv engagieren“ (Bette/Schimank , 2000, S. 310), zum Beispiel durch starke Sympathien bis hin zur emotionalen Verbundenheit zu einzelnen Athlet*innen oder Mannschaften. Dies bleibt jedoch ohne weitere Konsequenzen für das Leben außerhalb des Stadions, unabhängig vom Ausgang eines Wettkampfes und dessen emotionalen Auswirkungen (Bette/Schimank, 2000, S. 310). Es lässt sich festhalten, dass die erzeugte Spannung in Kombination mit der Folgenlosigkeit des Sports für das eigene Leben einen wesentlichen Teil zum Reiz des Zuschauens beiträgt.
Ein weiterer Grund für die Attraktivität von Zuschauersport stellt auch die besondere „Zelebrierung von Körperlichkeit“ (Bette/Schimank, 2000, S. 311) dar. Das Beobachten eines Sportevents verlangt dem Zuschauer zumeist keine hohen intellektuellen Fähigkeiten ab. Die Regeln sind eindeutig, die Handlungen auf ein klares Ziel gerichtet. Vielleicht erscheinen einige der strategischen Entscheidungen bei flüchtiger Betrachtung nicht nachvollziehbar, die Intention der Handlung offenbart sich in der Regel jedoch im weiteren Verlaufe des Spiels (Bette/Schimank, 2000, S. 311). Im Sport ist der Fokus einzig auf den menschlichen Körper und seine Aktionen gerichtet. Die unterscheidet den Sport vom Alltagsleben, bei dem es immer mehr zu einer Verdrängung des Körpers zu kommen scheint (Bette/Schimank, 2000, S. 311). Zudem sind die Akteure nicht anonym: die Zuschauenden sehen die Athlet*innen vor ihren Augen agieren und so über den Verlauf des Spiels entscheiden. Es existieren „keine räumlich und zeitlich weit verzweigten, unüberschaubaren, ausfasernden Handlungszusammenhänge“ (Bette/Schimank, 2000, S. 311). Zuschauersport ist spannend und simpel zugleich, was ihn wiederum als eine ideale Freizeitbeschäftigung für eine breite Masse begründet.
Ein weiterer Erklärungsgrund für die Anziehungskraft des Zuschauersports zeigt sich bei detaillierter Analyse der „emotionalen Vergemeinschaftung“ (Bette/Schimank, 2000, S. 312). Während der Alltag in einer Gesellschaft von Regeln, Gesetzen und gesellschaftliche Normen bestimmt ist, kann sich der*die Zuschauende im Rahmen vor Sportevents „gehen lassen“. In einem Stadion oder Sportstätten ähnlicher Art werden Verhaltensweisen, die der Norm des gesellschaftlichen Zusammenlebens nicht entsprechen, beispielsweise lautes Grölen oder Beleidigungen, nicht geächtet (Bette/Schimank, 2000, S. 317). Auch die Geschlechterstereotypen lösen sich auf, Männer lassen ihre Gefühle zu. Obwohl auch andere Events zum Vergessen der gesellschaftlichen Normen zumindest begrenzt einladen (bspw. Pogo-Tanzen8, scheint dies vor allem bei Sportevents Normalität darzustellen.
Mit dem „Sich-Gehen-Lassen“ eng verbunden ist auch die Heroisierung der Athleten; die sich in den Konfliktsituationen des sportlichen Wettkampfes begründet (Bette/Schimank, 2000, S. 313). Während der gesellschaftliche Wandel die Lebenseinstellungen der Einzelnen zunehmend rationalisiert, sind Heldinnen „personifizierte Ankerpunkte für orientierungslos dahindriftende Zeitgenossen“ (Bette/Schi- mank, 2000, S. 317). Heldinnen lassen einen Menschen das spüren, was schon längst nicht mehr als real angesehen wird. Dabei muss Heldin nicht immer gleichbedeutend mit Sieger*in sein, häufig werden gerade Athlet*innen zu Held*innen, die zwar verloren, aber nichtsdestotrotz bis zum Ende gekämpft haben (Bette/Schimank, 2000, S. 313). Durch die Heroisierung fixieren sich die Zuschauenden, teilweise kurz, teilweise langfristig, auf einzelne Sportlerinnen. Sie fühlen alle Höhen und Tiefen der Karrieren ihrer individuellen Heldinnen mit. Durch diese Emotionen finden sich Gleichgesinnte, die sich wiederum in Gruppierungen, sogenannten Szenen (Vgl. Kap. III.1.) zusammentun (Bette/Schimank, 2000, S. 313).
Obwohl der Leistungssport eine „zeitliche, sachliche, soziale und räumliche Eigenwelt“ geschaffen hat, ist er keine Form der Demonstration gegen die gegenwärtige Kultur (Bette/Schimank, 2000, S. 319). Viel mehr betont er dem Zeitgeist entsprechende Werte, wie beispielsweise das Leistungsprinzip. Kaum ein anderer gesellschaftlicher Bereich verspricht Meritokratie in dem Ausmaß wie Sport, in dem vor allem individueller Wille und Leistungsbereitschaft über Erfolge oder Misserfolge entscheiden. Religion oder soziale Herkunft scheinen, wenn nur geringe Auswirkungen zu haben und machen beispielsweise beim Fußball scheinbar keinen Unterschied in der Bezahlung (Bette/Schimank, 2000, S. 319). Sportler*innen, die beispielsweise einen Marathon gewinnen, werden beim nächsten keine Erleichterungen gewährt. Auch vormalige Gewinnerinnen müssen erneut am schnellsten Laufen, um zu siegen (Bette/Schimank, 2000, S. 320). Gerade weil eine solche Verknüpfung von Leistung und Erfolg beispielsweise im Arbeitsleben für viele nicht so zutrifft, stellt Sport eine Idealform dar, ein Objekt der Sehnsucht. Zuschauersport erfüllt also die Wünsche und Sehnsüchte nach einer idealen, irrationalen, folgenlosen9, aber dennoch spannenden Welt.
Besser einordnen lässt sich dies anhand des Modells der zwei Modernen nach Beck (1986, S. 13-14). Demnach ist die erste Moderne diejenige, die vormoderne Gesell- schafts- und Gesellungsformen ersetzt, die zweite Moderne hingegen kompensiert die Folgeprobleme der ersten kompensiert (Bette/Schimank, 2000, S. 316). Die Rationalisierung und Strukturierung der Gesellschaft, die mit immer weitreichenderen Verboten und Verhaltensnormen einhergeht, wurde durch die erste Moderne geschaffen. Dadurch entstanden bei den Menschen Sehnsüchte, die die zweite Moderne nun zu erfüllen versucht. Sportevents lassen sich somit der zweiten Moderne nach Beck zuordnen.
II. Einführung in den eSport
Nach einer neuen Analyse von Yougov interessieren sich 9% der deutschen Bevölkerung für eSport. Zum Vergleich interessieren sich für die Handball Bundesliga 17% und für die deutsche Eishockey Liga 14%. Das größte Interesse der Bevölkerung kommt der Fußball-Bundesliga mit 41% zu (Yougov, 2020). Personen, denen eSport ein Begriff ist, stellen ihn oft dem konventionellen Computerspiel gleich (Yougov, 2019). Dass sich eSport wesentlich vom konventionellen Computerspielen unterscheidet (ESBD, 2019), wird im weiteren Verlauf genauer erläutert.
In diesem Kapitel sollen wichtige Grundlagen zum Thema eSport geklärt werden. Zunächst soll ein Überblick über die historische Entwicklung des eSport geschaffen werden. Anschließend wird der Begriff des “eSport” definiert. Im Weiteren wird detailliert dargestellt, welche Personengruppen am eSport oder Gaming partizipieren, dies geschieht anhand demographischer Daten. Auch die geografische Herkunft spielt eine Rolle, sodass sich ein länderübergreifender Vergleich anbietet. Zudem wird überprüft, ob eine Untergliederung in Leistungs- und Breitensport möglich oder gar erforderlich ist und abschließend der aktuelle Stand des politischen Anerkennungsdiskurses in Deutschland dargelegt. Darauffolgend werden die wichtigsten Verbände mit deren Clans sowie inner- und außerverbandlicher Akteure im eSport-Sektor in Deutschland vorgestellt. Zudem werden die aktuell relevanten Spiele in einer Tabelle aufgeführt und anhand ihres Genres und ihrer Charakteristika erklärt. Anschließend werden die ökonomischen Gesichtspunkte aufgezeigt, die den Umsatz des eSport-Marktes am wesentlichsten beeinflussen. Abschließend wird auf die Problematik des Suchtverhaltens und die negativen Folgen der Professionalisierung für den eSport hingewiesen.
1 Grundlagen des eSports
1.1 Historische Betrachtung
Um den Einstieg in die Thematik zu erleichtern, wird zu Beginn dieser Arbeit eine historische Einordnung des eSports vorgenommen. Ihren Ursprung findet die Geschichte des virtuellen Gamings im Jahr 1952, als der britische Informatikprofessor Alexander Shafto Douglas das Spiel OXO in Kooperation mit dem amerikanischen Physiker William Higinbotham programmierte. Zu diesem Zeitpunkt war es den Spie- ler*innen allerdings verwehrt gegen andere menschliche Spieler*innen anzutreten; der Gegner war ein für solche Zwecke programmierter Computer. 20 Jahre später entstand die Basis des eSports in der Form, in der er heute bekannt ist. 1972 wurde die von Ralph Baer entwickelte erste Spielekonsole verkauft, die sich für den Heimgebrauch als erste mit einem Fernseher verbinden ließ. Diese Konsole bot dem Spieler bereits zwei Dutzend Spiele zur Auswahl an. Im gleichen Jahr veröffentlichte der Hersteller Atari das Spiel Pong, das sich mit virtuellem Tischtennis vergleichen ließ. Der signifikante Unterschied zu den vorangegangenen Spieleentwicklungen bestand darin, dass erstmals gegen eine*n realen Gegner*in gespielt werden konnte. Ein Grundstein für das erste eSport-Turnier wurde im Jahr 1978 durch das Spiel Space Invaders gelegt, es wurde zu der Zeit von mehr als 10.000 Menschen gespielt. In dieser Zeit entstanden die ersten Ranglisten mit sogenannten Highscores, auf denen sich der*die Spieler*in unter einem gewählten Nickname und dem erzielten Ergebnis eintragen und sich so erstmals mit anderen Spielern vergleichen konnten. Da diese Listen von jedem*er Spieler*in eingesehen werden konnte, entwickelte sich bei den Spielern*innen das erste Mal ein Konkurrenz- bzw. Wettbewerbsgedanke. Auch der Spielhallenbesitzer Walter Day, der heute als einer der eSport-Pioniere gilt, trug bereits in den 1980er Jahren einige Videospielwettbewerbe aus und betrieb die erste staatenübergreifende Bestenliste der USA (Scharlau, 2010). Im Jahr 1983 gründete er aus den Spielern mit den besten Highscores der USA ein Team, das „U.S. National Video Game Team“, das retrospektiv wohl als die Entstehung des ersten Clans bezeichnet werden kann. Ihre Spiele wurden teilweise sogar im Fernsehen übertragen. Gegen Ende der 1980er Jahre verfügten immer mehr Haushalte über einen Internetzugang, was zur Weiterentwicklung von Multiplayer-Games beitrug. Diese ließen sich dann weltweit gemeinsam spielen, wodurch ein internationaler Wettkampf, der ja den eSport in seiner heutigen Form ausmacht, entstehen konnte. Den größten Anteil an der Entwicklung des eSports zu der heutigen Form trug das Spiel Netrek bei, das 1988 veröffentlicht wurde und erstmals ein vernetztes Spielen über das Internet ermöglichte (Larch, 2019). Obwohl eSport bereits seit mehreren Jahrzenten präsent war, wurde der Begriff erst Ende der 1990er Jahre einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Mit den Jahren war es möglich geworden, verschiedene Computer lokal miteinander zu verbinden und es entstanden die ersten LAN-Partys. Diese wurden zum Teil mit mehreren tausend Menschen in großen Hallen veranstaltet und waren von gemeinschaftlichem Spielen und einem Teamgedanken geprägt (Lohr, 2017). In Deutschland fand zu dieser Zeit die „Gamers Gathering“ in Duisburg statt, die von über 1500 Teilnehmern aus ganz Europa besucht wurde und auf der alle relevanten Spiele dieser Zeit miteinander gespielt wurden (Klaß, 1999). Sie stellte zum damaligen Zeitpunkt die größte LAN-Party Europas dar. Im Zuge des technischen Fortschritts, der die Preise für Computer sinken ließ, wurde eSport für viele ein erschwingliches Hobby (Schöber, 2018, S. 31-33). Im November 1998 brachte das Unternehmen Valve Corporation das Spiel Half-Life auf den Markt. Ein Jahr später entwickelten zwei Informatikstudenten eine Modifikation des Spiels und erweiterten es um eine Teamplay-Option. Diese Modifikation, das Computerspiel Counter-Strike, wurde in kürzester Zeit zu einem der bis heute beliebtesten Taktik-Shooter, weshalb Valve Corporation es übernahm und als eigenständiges Spiel vermarktete. Dies zeigt einen weiteren Reiz, den Videospiele ausüben, ermöglichen sie es doch den Spieler*innen zur Spielentwicklung beizutragen.
Das im Jahr 2000 erschienene Echtzeit-Strategie-Spiel (im Folgenden RTS) Warcraft III des Herstellers „Blizzard“ erweiterte diese Möglichkeit für die Spieler*innen. Das Spiel enthält eine Programmierung, die es den Spieler*innen ermöglicht, selbst Karten und Szenarien zu erstellen. Kombiniert mit der vielseiteigen Spielmechanik von Warcraft III entstand so eine Vielzahl neuer Spielmodi, von denen sich viele zu eigenständigen Spielen entwickelten. Zur gleichen Zeit verbesserten sich die Internetzugänge und die Computer wurden leistungsfähiger, was zu einer Verstärkung dieser Autonomie der Spieler*innen führte, wodurch die oben beschriebene Entwicklung weiter verstärkt wurde. Beispielhaft kann hier das Spiel Defense of the Ancients (im Folgenden DOTA) angeführt werden . Dieses wurde im Jahr 2003 durch den Warcraft III -Spieler „Icefrog“ als Karte im Spiel veröffentlicht und gilt als Grundstein des im eSport heute populärsten Spielformates „MOBA“. Während zur Zeit der Entstehung der Spiele diese nur wenigen bekannt waren, generieren sie mittlerweile täglich millionenfache Aufrufe bei Streamingdiensten. Sie sorgen für ausverkaufte Stadien im Zuge von eSport-Events und werden von Athlet*innen gespielt, die den Bekanntheitsgrad eines Profifußballers genießen. Die derzeit weitverbreitetsten Spiele wurden also von Spielern selbst kreiert (Yougov, 2019). In den 2000er Jahren begann schließlich die Entwicklung des eSports wie er auch heute bekannt ist.
Damit einhergehend wurde auch das Interesse am gemeinschaftlichem Schauen der Spiele größer. eSport-Events wurden immer häufiger, das mediale Interesse wuchs, die Spiele wurden auch mehr und mehr im Fernsehen übertragen und schon nach kurzer Zeit betrugen die Preisgelder mehrere Millionen Euro. Pokalturniere wie die World Cyber Games (WCG) oder der Electronic Sports World Cup (ESWC) finden seit 2000 (WCG)/2003 (ESWC) jährlich statt. Der Stellenwert der eSport-Turniere ist vergleichbar mit dem einer Weltmeisterschaft oder den Olympischen Spielen. Zur gleichen Zeit verbreitete sich das IRC-Netzwerk QuakeNet, ein sogenannter Relay Chat mit vielen frei zugänglichen Chaträumen, das maßgeblich zum Erfolg und der Verbreitung des eSports beitrug (Quake.net). Im Laufe der Jahre wandelte sich der eSport mehr und mehr zu einem Wettkampfsport und die Meisterschaften wurden immer größer. Durch das rasante Wachstum des eSport-Sektors konnte sich ein eigener Markt etablieren. In Südkorea entstanden beispielsweise über 200.000 Arbeitsplätze, die direkt oder indirekt mit eSports in Verbindung stehen (Yo-Hwan, 2004). Auch die Popularität des eSports nahm weltweit zu. Bereits Ende der 2000er Jahre wurden Finalspiele in Südkorea von bis zu 100.000 (Schaffrath, 2009) und in Deutschland von über 40.000 Zuschauerinnen (Heise, 2019) verfolgt. In den 2010er Jahren wurde das Besuchen von eSports-Events, um die Athlet*innen live beim Spielen beobachten zu können, immer beliebter. So besuchten beispielsweise im Jahr 2013 über 10.000 Zuschauerinnen das, bereits nach einer Stunde Vorverkauf ausverkaufte, Finale der League of Legends World Championship in Los Angeles (Tassi, 2011). In den folgenden Jahren hat sich die Art des eSports nicht mehr wesentlich verändert. Die Branche konnte jedoch aufgrund ihrer immer weiter steigenden Popularität ein großes Wachstum verzeichnen. Der e-Sport hat sich in dem Zusammenhang weiter professionalisiert und auch die Veranstaltung von eSport-Events ist nicht mehr mit denen in der Anfangsphase zu vergleichen.
[...]
1 Siehe I. Fachbegriffverzeichnis.
2 Siehe. Glossar
3 [post = lat.: nach] Allg.: Unklare Sammelbezeichnung für eine Geisteshaltung (neuer Zeitgeist) bzw. eine (aus Architektur und Kunst vermittelte Stil- und) Denkrichtung, die sich als Gegen- oder Ablösungsbewegung zur Moderne versteht. Der auf rationale Durchdringung und Ordnung gerichteten Moderne stellt die P. eine prinzipielle Offenheit, Vielfalt und Suche nach Neuem entgegen, die von ihren Gegnern als Beliebigkeit (»anything goes«) kritisiert wird (Schubert, K& Klein, M, 2018).
4 Eine Gesellschaftsform beschreibt die Art und Weise, wie eine Gesellschaft aufgebaut ist.
5 Der Begriff der Gesellungsform meint die Art und Weise, in der sich eine Gesellschaft organi- siert/trifft.
6 Im Zweifelsfall tatsächlich nur die Gruppe derer, die tatsächlich am Event teilnahmen. 10
7 Mittlerweile kommt es auch im Rahmen von Sportevents zu Berührungen mit Moral/Ethik, beispielsweise wurde bei der WM-Vergabe nach Katar ein möglicher Ethikverstoß diskutiert (Deutschlandfunk, 2019).
8 Der Pogo, entstanden um 1976, ist ursprünglich ein Anti-Disco-Tanz der alternativen Punkbewegung. Sich mit allen Mitteln gegen den gleichförmigen und als langweilig empfundenen Disko-Takt zu bewegen war die Maxime. ... Ursprünglich bestand der Pogo-Tanz Ende der 1970er nur aus unkontrolliertem „In-die-Luft-springen".
9 Im Sinne von persönlichen Konsequenzen.