Die Entkriminalisierung des Ladendiebstahls in Deutschland. Eine kriminalpolitische Diskussion

Zur Debatte über den Umgang mit einem Massendelikt


Hausarbeit, 2000

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Der Ist – Zustand
2.1. Definition
2.2. Reaktionsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden und der Justiz
2.3. Aktuelle Entwicklung des Ladendiebstahls

3. Die Diskussion über den Umgang mit dem Massendelikt Ladendiebstahl
3.1. Konkrete Reformüberlegungen
3.2. Die kriminalpolitische Debatte der letzten Jahre
3.2.1. Entkriminalisierung des Ladendiebstahls
3.2.2. Polizeiliches Strafgeld beim Bagatelldelikt Ladendiebstahl

4. Zusammenfassende Schlussbetrachtung

5. Literatur

1. Einleitung

Die einen sprechen beim Thema Ladendiebstahl von Entkriminalisierung, von Bagatelldelikten und von einer Entlastung der Strafjustiz. Die anderen verweisen auf die Verbindlichkeit des Wertesystems und fordern einen starken Staat, der seinen Bürgern den Schutz vor Kriminalität, den Schutz der Rechtsgüter des einzelnen – Leben, Leib, Freiheit und Eigentum – garantieren muss. Der Ladendiebstahl wird, „je nach Standort von den einen (...) als Spiegelbild der Wohlstandsgesellschaft, von den anderen als eine jedem Staatswesen immanente soziale Krankheit“1 angesehen.

Ich möchte mich im Folgenden mit dieser kriminalpolitischen Diskussion auseinandersetzen. Dabei soll die Frage im Vordergrund stehen, welche Alternativvorschläge in den letzten Jahren zum Thema Ladendiebstahl in der Politik diskutiert wurden und wie diese zu bewerten sind.

Zunächst werde ich zur besseren Orientierung einen kurzen Überblick über die aktuelle Entwicklung der Ladendiebstahlskriminalität geben. Nachdem die Anzahl der registrierten Ladendiebstähle in der Bundesrepublik Deutschland seit 1987 bis 1993 stetig angestiegen ist, gab es 1994 einen deutlichen Rückgang2. Die Bundesregierung führt diese Entwicklung auf einige Gesetzessänderungen zurück.3 Von 1994 bis 1997 stieg die Zahl der registrierten Ladendiebstähle dann erneut leicht an, ist aber seit dem wieder rückläufig. Die statistischen Zahlen liefern demnach nicht unbedingt einen Grund zur Beunruhigung. Dennoch wird in den letzten Jahren heftig über das Thema diskutiert.

Anschließend werde ich auf die diskutierten Vorschläge näher eingehen, wobei diese Darstellung keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Ziel ist es vielmehr, die wesentlichen Argumente dieser kriminalpolitischen Diskussion herauszuarbeiten. Am Ende der Arbeit soll dann noch der Versuch einer zusammenfassenden Schlussbetrachtung unternommen werden.

2. Der Ist – Zustand

2.1. Definition

Als Ladendiebstahl werden alle Diebstähle von Waren verstanden, „die in Geschäften zum Zwecke der Selbstbedienung ausgelegt sind, (...) sofern sie von Kunden während der Geschäftszeiten begangen werden.“4

Es handelt sich somit um einen Unterfall des Diebstahls nach § 242 StGB. „Als Begehungsort kommen alle Geschäfte und sonstigen Verkaufsflächen in Betracht. Darunter fallen Großbetriebe wie Warenhäuser und Supermärkte mit vollständiger oder überwiegender Selbstbedienung bzw. freiem Zugang zur Ware“5. Unter der Geschäftszeit versteht man die Zeit zwischen Ladenöffnung und Verkaufsschluss. „Versteckt sich z.B. eine Person vor Ladenschluss in einem Geschäft und stiehlt dann nachts, so begeht sie keinen Ladendiebstahl.6

Ladendiebstahl ist nur die Wegnahme von solchen Waren, die im Geschäft zum Verkauf ausliegen. Demnach fallen unter dem Begriff Ladendiebstahl keine Diebstähle von Dekorations- oder sonstigen Ausstattungsgegenständen, von Gegenständen aus Büro- oder Lagerräumen aber auch kein Taschen- oder Handtaschendiebstahl bei Kunden innerhalb eines Geschäftes.

Die Frage, ob das Umetikettieren von Waren oder das Umpacken teurer Ware in die Verpackungen von billigeren Artikeln auch unter den Begriff „Ladendiebstahl“ fällt, ist in der juristischen Literatur umstritten. Nach einer Reihe von Urteilen liegt in diesen Fällen kein Diebstahl, sondern vielmehr Betrug und/ oder Urkundenfälschung vor.

2.2. Reaktionsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden und der Justiz

Der Ladendiebstahl ist ein relatives Antragdelikt, d.h., es wird nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.7

Während in den sechziger und siebziger Jahren der Prozentsatz der angezeigten Taten noch relativ gering war, werden heute zumindest in den größeren Geschäften fast alle entdeckten Ladendiebstähle angezeigt.8 Die kleineren Geschäfte hingegen sind trotz der Empfehlung von Interessenverbänden des Einzelhandels meist eher an einer internen Erledigung interessiert. Gründe dafür sind in erster Linie wirtschaftliche Überlegungen, da eine Anzeige in der Regel mit einem nicht zu unterschätzendem Zeit-, Personal- und Kostenaufwand verbunden ist. „Eine teilweise unterschiedliche Anzeigebereitschaft (...) wird verständlich, wenn man sich überlegt, dass der Geschädigte beim Ladendiebstahl zwar ein unmittelbares Interesse an der Verhinderung des Normbruchs hat, dagegen aber aus der weiteren Strafverfolgung keinen direkten Nutzen zieht.“9 Es bleibt also festzuhalten, dass die Verfolgungsintensität beim Ladendiebstahl vom Verfolgungsinteresse des Geschädigten abhängt.

Bei der staatlichen Strafverfolgung fällt zunächst der Polizei eine entscheidende Rolle zu. Die eigentliche Ermittlungsarbeit im Bereich der Massen- und Bagatellkriminalität liegt nach Ansicht von Michaelis überwiegend in den Händen der Polizei. In der Regel führt sie die Ermittlungstätigkeit selbständig durch und gibt die Akten meist erst nach Abschluss der Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft weiter. „Die Staatsanwaltschaft begibt sich damit in die Abhängigkeit dessen, was die Polizei als Kriminalität aufnimmt und weitergibt; dies schließt Ermittlungsergebnisse und Aufklärungserfolge mit ein.“10 Die letztendlich entscheidende Frage aber, ob es zur Anklageerhebung oder zu einer Einstellung kommt, bleibt der Staatsanwaltschaft vorbehalten.

Hinsichtlich der Justiz weist Ostendorf darauf hin, dass diese auf Ladendiebstahlsdelikte höchst unterschiedlich reagiert. Zudem ist bei der Reaktion der Justiz zwischen jugendlichen, heranwachsenden und erwachsenden Beschuldigten zu unterscheiden.11 Die Vorgaben für die rechtliche Behandlung von Eigentumsverletzungen im Bereich sogenannter Bagatelldelikte variieren in den einzelnen Bundesländern.12 Unterschiede gibt es vor allem bei den Voraussetzungen für eine Einstellung. Kriterien hierfür sind in erster Linie Fragen nach der Ersttäterschaft, der Schadenswiedergutmachung und nach den erschwerenden Tatumständen. Nach § 153 Abs. 1 StPO kann z.B. die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters gering ist und ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung fehlt. Wenn der Einstellung die Schwere der Schuld des Täters nicht entgegensteht, kann als Alternative zur Strafverfolgung die Erfüllung von Weisungen oder Auflagen auferlegt werden.

Die unterschiedlichen Richtlinien der einzelnen Bundesländer hinsichtlich der §§ 153, 153a StPO durchbrechen das sogenannte Legalitätsprinzip, also die Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörden, bei Anhaltspunkten für das Vorliegen einer Straftat ein Ermittlungsverfahren durchzuführen und bei hinreichendem Tatverdacht Anklage zu erheben. Die Bundesregierung rechtfertigt diese Praxis mit dem Versuch, auf diese Weise die Justiz zu entlasten. Die Einhaltung des Legalitätsprinzips „um jeden Preis – z.B. auch bei sog. Bagatelldelikten – würde im Ergebnis zu einer Überbelastung der Strafrechtspflege führen, die somit ihrem Auftrag nicht mehr in erforderlicher Weise nachkommen könnte.“13 Gleichzeitig muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass eine solche unterschiedliche Praxis der einzelnen Länder auch die Gefahr der ungleichmäßigen Handhabung in sich birgt.

2.3. Aktuelle Entwicklung des Ladendiebstahls

Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) von 199914 gab es hinsichtlich des Ladendiebstahls einen leichten Rückgang der erfassten Fälle. Während es 1998 noch 647 924 registrierte Fälle gab, sank diese Zahl 1999 um 9,1 % auf nunmehr 589 011 erfasste Ladendiebstähle. Die Aufklärungsquote lag 1999 bei 95 %. Diese recht hohe Aufklärungsquote lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass die Tatverdächtigen bei der Anzeigeerstattung in der Regel gleich mitgeliefert werden. Die Aufdeckung des Ladendiebstahls ist vor allem von der Kontrolldichte und von den Sicherungsmaßnahmen der Geschäfte abhängig. Ostendorf sieht darin einen Beweis dafür, „dass die Sichtbarkeit der Ladendiebstahlskriminalität durch den Einsatz der Kontrolleure mitbestimmt wird.“15 Insbesondere beim Ladendiebstahl muss man davon ausgehen, dass die Zahl der nicht entdeckten Taten sehr groß sein dürfte und es somit ein großes Dunkelfeld gibt. Man muss also bei der Betrachtung der statistischen Zahlen bedenken, dass die PKS kein vollständiges Bild über den tatsächlichen Umfang der Ladendiebstahlskriminalität vermitteln kann.

Da der Schaden beim Ladendiebstahl nur bei vollendeten Fällen in der PKS erfasst wird, ist diese Zahl gesondert ausgewiesen. Im Jahre 1999 gab es 582 675 vollendete Ladendiebstähle. Bei über der Hälfte aller einfachen Ladendiebstähle lag der Wert der entwendeten Gegenstände unter 25 DM. Schadensmäßig handelt es sich hierbei um sogenannte „Bagatelldelikte“. In drei von zehn Fällen lag der Schaden zwischen 25 und 100 DM. Nur noch 1,4 % verursachten einen Schaden von mehr als 1000 DM. Die Gesamtschadenssumme dagegen fällt mit 73,4 Millionen DM sehr hoch aus. Die Angaben zur Höhe des Gesamtschadens sind jedoch mit Vorsicht zu betrachten. Häufig werden bei der Schadensberechnung nicht nur die Schäden berücksichtigt, die durch Ladendiebstähle entstanden sind. Inventurdifferenzen entstehen zu einem nicht unerheblichen Teil auch durch Bruch, Verlust, falsche Zählungen und nicht zuletzt auch durch Personaldiebstähle.16

Interessant ist auch die Geschlechts- und Altersstruktur der registrierten Tatverdächtigen. Der Ladendiebstahl gehört zu den Delikten mit dem höchsten Anteil an weiblichen Tatverdächtigen. Zudem findet sich ein beachtlicher Anteil an Kindern und Jugendlichen. Von den insgesamt 494 746 Tatverdächtigen waren 60,4 % männlich und 39,6 % weiblich. 16,1 % waren unter 14 Jahre alt. Der Anteil der Jugendlichen beträgt 18,9 %. Die Heranwachsenden zwischen 18 und 21 Jahren bilden mit 7,8 % die kleinste Gruppe. Erwachsene hingegen bilden mit 57,3 % den größten Anteil. Bei der Betrachtung dieser Zahlen muss man wiederum berücksichtigen, dass die Zusammensetzung der Tatverdächtigen durch das Kontroll- und Anzeigeverhalten beeinflusst sein könnte.

[...]


1 Michaelis, Jörg: Kriminologisch-kriminalistische Aspekte des Ladendiebstahls unter besonderer Berücksichtigung des Warenhausdiebstahls, S. 1.

2 Die Zahlen sind einer Grafik der aktuellen Polizeilichen Kriminalstatistik für 1999 entnommen.

3 BT-Drs. 13/8937, S. 16.

4 Ostendorf, Heribert: Präventionsmodell „Ladendiebstahl“: Doppelter Wertesatz, S. 18.

5 Michaelis, Jörg, S. 23.

6 ebenda, S. 25.

7 vgl. § 248a StGB.

8 vgl. Michaelis, Jörg, S. 183.

9 ebenda.

10 ebenda, S. 189, vgl. dazu auch Lang, Eckart: Die Strafbarkeit des Ladendiebstahls, S. 18 f. Lang geht sogar von einem ganz erheblichen Einfluss der Polizei auf die Sanktionierung aus. Unter Umständen beeinflusse die Polizei Art und Höhe der Sanktion.

11 siehe dazu Ostendorf, Heribert, S. 19.

12 siehe dazu die Richtlinien der Leitenden Staatsanwaltschaften bzw. Generalstaatanwaltschaften der einzelnen Länder insbesondere zur Anwendung der §§ 153, 153a StPO.

13 BT-Drs. 13/8937, S. 18.

14 Die folgenden statistischen Angaben sind der aktuellen Polizeilichen Kriminalstatistik für 1999 entnommen.

15 Ostendorf, Heribert, S. 18.

16 vgl. ebenda, s. 18 f.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Entkriminalisierung des Ladendiebstahls in Deutschland. Eine kriminalpolitische Diskussion
Untertitel
Zur Debatte über den Umgang mit einem Massendelikt
Hochschule
Universität Hamburg  (Kritische Kriminologie)
Veranstaltung
Kriminologische Aspekte des Ladendienstahls
Note
1,0
Autor
Jahr
2000
Seiten
19
Katalognummer
V903899
ISBN (eBook)
9783346222046
ISBN (Buch)
9783346222053
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Strafrecht, Ladendiebstahl, Massendelikt, Kriminalisierung
Arbeit zitieren
Melanie Hillmann (Autor:in), 2000, Die Entkriminalisierung des Ladendiebstahls in Deutschland. Eine kriminalpolitische Diskussion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/903899

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