Ethnomedien in der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel von Presse und TV der türkischen Bevölkerung

Brücke zur Heimat oder Keimzelle der Parallelgesellschaft


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

32 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Problembeschreibung: Identitätsbildung durch Massenmedien?
1.1 Mediale Integration im Globalisierungskontext
1.2 Massenmedien, Integration und kulturelle Identität

2 Typologische Gemengelage: Was sind ethnische Medien?

3 Entwicklungslinien: Wie bildeten sich ethnische Medienkulturen heraus?
3.1 Ethnische Medienkulturen im Wandel
3.2 Sechs-Phasen-Modell Weber-Menges’
3.2.1 Gastarbeiter-Radio ohne Integrationsauftrag
3.2.2 Ausländerprogramme im Fernsehen
3.2.3 Herausbildung eines ethnischen Videomarktes
3.2.4 Ausbreitung des Kabelfernsehens
3.2.5 Migrationspolitische Verwerfungen/Verbreitung der Satellitentechnologie
3.2.6 Mediale Transkulturen/Neuaufstellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

4 Integrationsmodelle: Unter welchen Bedingungen funktionieren Ethnomedien?
4.1 Sozialintegration als gradueller, normativer Begriff
4.1.1 Sozialstruktur und Sozialkultur
4.1.2 Assimilationstheorie Essers
4.1.3 Interkulturelle Integration als Mittelweg
4.2 Mediale Integration in Analogie
4.3 Rolle der Ethnomedien

5 Türkische Ethnomedien: Integrativ oder segregativ?
5.1 Drei Studienbereiche zu türkischen Ethnomedien
5.2 Qualitative Studien zur türkischen Presse
5.3 Quantitative Studien zur türkischen Presse
5.4 Studien zum türkischen Fernsehen
5.5 Zwischenfazit und weitergehende Überlegungen

Schlussbetrachtung

Bibliographie

Einleitung

„Deutschland ist kein Einwanderungsland!“ – Jahrzehntelang dominierte dieser Slogan den politischen Diskurs über Migration in der Bundesrepublik (Drieschner 2006: http://www.zeit.de/2006/16/contra). Das durch ihn verfestigte Tabu machte ein Vorankommen in Sachen Zuwanderungspolitik nahezu unmöglich. Erst mit dem rot-grünen Regierungswechsel 1998 begann sich allmählich ein Paradigmenwechsel zu vollziehen: die Einsicht nämlich, dass aus vielen Gastarbeitern inzwischen Einwanderer geworden sind, welche ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland verorten. Auch ließ sich nicht weiter ignorieren, dass die Zahl der in Deutschland geborenen Kinder mit Migrationshintergrund stetig zugenommen hat. Seit den letzten Erhebungen des Mikrozensus im Jahr 2005 ist bekannt, dass gut 15 Millionen Menschen mit eigener oder vererbter Zuwandererbiographie hierzulande leben, was etwa ein Fünftel an der Gesamtbevölkerung ausmacht (vgl. Simon 2007: 427).

Zeitgleich mit dieser politischen Erkenntnis kündigte sich ein bislang nicht gekannter wirtschaftlicher Bedarf an: Um weiterhin in Zukunft prosperieren zu können, wird die Bundesrepublik in den kommenden Jahrzehnten, aufgrund vornehmlich demographischer und bildungspolitischer Umbrüche, auf Zuwanderung angewiesen sein – wenn diese Zuwanderung auch eine völlig andere Struktur wird haben müssen als in der einstigen Gastarbeiterphase (vgl. Bade/Oltmer 2004: 133).

War Migrationspolitik noch in den 1970er Jahren weitgehend geprägt von zaghaften Ansätzen der Zuwendung, v.a. aber von Gleichgültigkeit, steht im Zentrum der nun erfolgenden „‚nachholenden’ Integration“ die angemessene Eingliederung der Migranten in den Arbeitsmarkt, das Bildungssystem und nicht zuletzt die breite gesellschaftliche Öffentlichkeit (Geißler 2005: 21).

Im Zusammenhang dieses anspruchsvollen Prozesses ist die Rolle der Massenmedien neben dem Bildungssystem „von besonderer Natur“ (Hafez 2000: 39). Denn nur sie sind imstande, medial vermittelte Öffentlichkeit in Bezug auf die Migranten und die deutsche Mehrheitsgesellschaft in großem Stil herzustellen.

Einen Auftrag und ein Selbstverständnis, mithilfe von übergreifenden Angeboten kulturelle Vielfalt abzubilden und gesellschaftliche Wirklichkeit zu kommunizieren, hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk seit jeher. Doch verglichen mit den Anfangsjahren der Bundesrepublik haben sich nicht nur die Migrantenpopulationen in ihren Bedürfnissen stark ausdifferenziert. Auch im Zuge technischer Innovationen wie Video, Satellitenübertragung, Digitalisierung und Internet haben ARD, ZDF und Dritte unlängst Konkurrenz von weiteren, hinzugestoßenen Anbietern erhalten. Namentlich sind dies private Sender, aber auch in zunehmendem Umfang so genannte Ethnomedien.

An der Existenz Letzterer scheiden sich die Geister in den wissenschaftspolitischen Zirkeln der Bundesrepublik. Während die Befürworter sie als „Brücke zum Herkunftsland“ und zusätzlicher, wichtiger Integrationsfaktor verstehen, sehen die Kritiker in ihnen ein Integrationshemmnis (Simon 2007: 434). Hier lautet der Vorwurf, Ethnomedien würden Parallelgesellschaften durch ihre vermeintlich separatistische Veranlagung geradezu provozieren, seien sie unter dem Vorwand der Orientierungshilfe im Gastland defacto „janusköpfig“ (Keymis 2006: http://www.taz.de/index.php?id=archiv&dig=2006/12/04/a0016).

Wie ist dieser anhaltenden Kontroverse sinnvoll beizukommen? Ganz gewiss, indem etwaige Bemühungen intensiviert werden, die zweifellos vorhandenen Forschungslücken in der Kenntnis von Ethnomedien zu schließen. Insofern möchte die vorliegende Hausarbeit einen kleinen Beitrag dazu leisten und folgender Frage nachgehen:

- Tragen Ethnomedien zu einer kulturellen Integration in Deutschland bei oder verstärken sie segregative Tendenzen?

Wie bereits angedeutet, ist der thematische Forschungsstand dürftig. Es liegen zudem über kleinere Migrantenpopulationen und ihre (Ethno)Medien bzw. Mediennutzung keine Studien vor. Deshalb beschränkt sich diese Arbeit auf die Untersuchungen zur türkischen Bevölkerung. Als mit Abstand größte Zuwanderergruppe in Deutschland ist sie bislang am besten erforscht. Ziel ist es, die wichtigsten Wegmarken im Forschungszug abrissartig darzustellen und Schlüsse aus ihnen zu ziehen, was den gesellschaftlichen Status von Ethnomedien anbelangt.

Damit dies möglich ist, muss im Vorfeld auf die definitorische Problematik des Begriffs ‚Ethnomedien’ eingegangen werden. Auch soll auf einen Abriss der Genese von Ethnomedien in Deutschland nicht verzichtet werden, um die mittlerweile vorhandene Vielschichtigkeit derselben darzustellen. Ferner sind in dieser Arbeit überhaupt die normativen Integrationsleitbilder zu thematisieren, in denen derartige Medienangebote vorkommen und eine spezifische Rolle übernehmen.

Hinsichtlich der verwendeten Literatur wurde der Schwerpunkt v.a. allem auf die von Geißler und Pöttker herausgegebenen Sammelbände zum Thema ‚Integration durch Massenmedien’ gelegt. Auch fand der Titel ‚Migranten und Medien’ von Schatz, Holtz-Bacha und Nieland besondere Berücksichtigung.

1 Problembeschreibung: Identitätsbildung durch Massenmedien?

Nicht nur die soeben erwähnte spezifisch deutsche Integrationsproblematik stellt derzeit Politik und Wissenschaft vor neue Herausforderungen. Tatsächlich wird sie überlagert von einer grenzübergreifenden Entwicklung, die gemeinhin auf das Phänomen der Globalisierung und mit ihr einer „Zeit-Raum-Verdichtung“ zurückzuführen ist (Dörner 1999: 6).

Bereits in den 1980er Jahren hat Schlesinger für die Kommunikationswissenschaft darauf aufmerksam gemacht, bloße nationale Identität könne nicht länger als Maßstab einer funktionierenden Integration herhalten (vgl. Schlesinger 1987: 234). In Anbetracht massenhafter Wanderungen von Menschen – ob Immigranten, Flüchtlinge, Exilanten, Gastarbeiter oder Touristen – seien einheitliche Gemeinschaften im Sinne kultureller Homogenität kaum noch anzutreffen (vgl. Bennett 1999: 79). Gemäß diesem Denkansatz ist eine „Krise der Identitäten“ die Folge, weil moderne Gesellschaften bereits in sich multiethnisch sind (Göttlich 2000: 39).

Die entscheidende Frage also lautet: Wie vermag Identitätsbildung unter jenen neuen Gegebenheiten noch so zu funktionieren, dass (überethnische) Gemeinschaften entstehen und zusammengehalten werden können? Dringliche Voraussetzung hierfür ist die prinzipielle Gleichberechtigung einer jeden gesellschaftlichen Gruppe. In einem ersten Schritt erwirkt werden kann sie mittels einschlägiger Populärkultur, wie sie gerade von Massenmedien angeboten wird. Populärkultur, gemeinhin als Mainstream bezeichnet, „bildet nicht nur ein Reservoir für Erlebnisse und Unterhaltung“, sondern hat „unzweifelhaft eine identitätsstiftende Rolle und Funktion“ (ebd.: 42).

1.1 Mediale Integration im Globalisierungskontext

Diese Feststellung geht zurück auf das klassische soziologische Verständnis von Integration als einen „Zustand der Gesellschaft, in dem alle ihre Teile fest miteinander verbunden sind und eine nach außen abgrenzbare Einheit bilden“ (Münch 1995: 5). Dieser Einheit zugrunde liegt ein gemeinsamer Bestand an „Werten, Vorstellungsmustern und Sinnperspektiven“ (Kamps 1999: 53).

Esser konstatiert zwei elementare Integrationsfunktionen von Massenkommunikation, auch und v.a. im Zeitalter der Globalisierung. Zum einen ermögliche der Erwerb sprachlicher Kompetenzen die Aufnahme interethnischer Beziehungen sowie interethnischer Kommunikation. Zum anderen könne der Status von Migranten im öffentlichen Diskurs der Aufnahmegesellschaft verbessert werden, weil Vorurteile abgebaut und soziale Distanzen reduziert würden (vgl. Esser 2000: 30). Hinreichend müsse dazu aber auch eine Vermittlung von Informationen, Wissensbeständen, Werten und Sinnkontexten der unterschiedlichen kulturellen Gruppen über die Massenmedien gegeben sein, was gleichsam auf die o.a. Gleichberechtigung im Sinne einer Gemeinschaftsbildung zurückverweist. Kurzum: Diversität muss sich in einer ganzheitlich angelegten Darstellung im Mainstream reflektieren, woher die in der Kommunikationswissenschaft geläufige Bezeichnung „mainstreaming diversity“ rührt (Schneider/Arnold 2007: 96). Auf diesem Wege kann der Beitrag der Medien zum Integrationsprozess „in der Schaffung […] symbolischer Gemeinschaften“ bestehen (ebd.).

1.2 Massenmedien, Integration und kulturelle Identität

Die Herausbildung kultureller Identität einer Minderheitsgruppe ist im Idealfall ein Bestandteil des Integrationsprozesses, in welcher Ausprägung er sich auch vollziehen mag. Im Zusammenhang mit der Schaffung nationaler und kultureller Identitäten fragt v.a. die Cultural Studies-Forschung nach der genuinen Rolle der Medien (vgl. Morley/Robins 1995: 12). Sie thematisiert stark den prozessualen Charakter von Massenkommunikation.

Genauso steht aber auch die Konstruktion bewusster Unterschiede zwischen (Teil)Gemeinschaften im Vordergrund: „Was eine Gruppe von einer anderen unterscheidet, macht ihre Identität aus“ (Schneider/Arnold 2007: 97). In diesem Fall bilden selektive Erinnerung und selektives Wissen die Grundlage der konstituierenden Unterschiede und ergo essenzielle Bestandteile einer spezifischen kulturellen Identität (vgl. Pares i Maicas 1992: 25).

Fasst man Integration nun als die Schaffung von Beziehungen und gemeinsamem Wissen über verschiedene Gruppen hinweg auf, kulturelle Identität hingegen als Beziehungen sowie gemeinsames Wissen innerhalb einer Gruppe, so wird ersichtlich, dass die grundlegende Bedeutung der Massenmedien für die kulturelle Identität die gleiche ist wie für Integrationsprozesse. Mehr noch: Kulturelle Identität und Integration befinden sich hinsichtlich ihrer massenmedialen Vermittlung gewissermaßen in einem natürlichen Spannungsverhältnis.

In diesem Kontext wird die Existenz spezieller Medienangebote für Migranten nachvollziehbar. Mit der allmählichen Ausdifferenzierung der einzelnen Zuwanderergruppen schlossen sie im Vergleich zu den eher unspezifischen deutschen Ethnoprogrammen eine Bedarfslücke. Doch bevor auf etwaige Integrationsmodelle eingegangen werden soll, in denen sie eine gesonderte Rolle spielen, wird zunächst der Frage nachgegangen, welche Charakteristika überhaupt die Gruppe der Ethnomedien auszeichnen.

2 Typologische Gemengelage: Was sind ethnische Medien?

Bedingt durch den angesprochenen Wandel in Gesellschaft und Zuwanderergruppen gleichermaßen, aber auch durch die einstweiligen Versäumnisse deutscher Integrationspolitik, haben sich Migranten „früh […] zum Zweck der Unterhaltung und Information ‚eigener’ muttersprachlicher Medien bedient“ (Weber-Menges 2005: 241). Letzere wurden in der Literatur auf den Begriff der ethnischen Medien gebracht, wobei in dieser Hausarbeit die gängige Kurzform ‚Ethnomedien’ gewählt wurde.

Womit genau hat man es bei Ethnomedien zu tun? Weist man ihnen die gängigste Definition zu, so werden hierunter Medien verstanden, die hauptsächlich „von Minderheitenangehörigen für Minderheitenangehörige in Deutschland produziert und vertrieben“ werden (ebd.: 241). Weiterhin werden im Rahmen dieser Bestimmung beispielsweise Zeitungen und Zeitschriften sowie Fernsehprogramme als Ethnomedien verstanden, nicht jedoch Zeitungsteile, Beilagen oder einzelne Sendungen. Problematischerweise trifft die soeben genannte Klassifizierung nur auf sehr wenige in Deutschland erhältliche Medienangebote zu, wohingegen sie in den USA und Kanada das Gros derartiger Produkte abdeckt (vgl. Weber-Menges 2007: 123).

Insofern hat Müller sich der Differenzierung des Terminus angenommen. In Bezug auf die Medienlandschaft schlägt er zunächst eine Unterteilung in drei idealtypische Gruppen vor, nämlich deutsche, Ethno- und Auslandsmedien. Die Gruppen unterscheiden sich maßgeblich nach den Kriterien der Zielgruppe, der Produzenten und des Besitzes. Wie schon bei Weber-Menges’ Definition sind genuine Ethnomedien nach dieser Aufschlüsselung die mit Abstand seltenste der drei Typologien. In einem zweiten Analyseschritt kommt Müller zu dem Schluss, dass in der gesellschaftlichen Realität oftmals mediale Hybridformen mit Ethnoanteilen existieren, die keiner Gruppe eindeutig zugeordnet werden können. So weisen deutsche Medien Zuwandererangebote auf und ausländische Medien einen Bezug für in Deutschland lebende Migranten. Ausschließliche Auslandsmedien, wie z.B. der arabische Sender Al-Jazeera, entziehen sich zwar diesem ethnomedialen Schema, sind nichtsdestoweniger „wegen ihrer massenhaften Rezeption durch Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland“ für die Integration relevant (Müller 2005: 327). Insofern erklärt Müller sie zur „‚Hybridform zweiter Ordnung’“ (ebd.). Auch bei ihnen sind Unterschiede zu verorten im Hinblick auf die verwendete Sprache (heimatsprachig oder mehrsprachig) bzw. die Sendestandorte (zentral gesteuert oder multipolar).

Des Weiteren konstatiert der Kommunikationswissenschaftler eine rege Unübersichtlichkeit, was die Überprüfbarkeit der Kriterien Zielgruppe, Produktion und Besitz in der Realität anbelangt. Dabei scheinen die Besitzverhältnisse das „am ehesten zweifelhafte und am wenigsten augenfällige“ Kriterium zu sein (ebd.: 324). Schließlich reichen „Querverbindungen, Lobbyismus oder zumindest Loyalitäten“ in einen stark informellen Bereich hinein, womit die Qualität einer politischen Kontrolle oder eines Kartells sich in vielen Fällen nicht eindeutig abschätzen lässt (Pöttker 2003: 179). Aber selbst, wenn die Frage nach dem Besitz ausgeblendet wird, bleibt eine klare Einordnung vieler Ethnomedien schwierig. Was die Produktionsseite anbelangt, so dominieren – insbesondere im Bereich der türkischen Medienkultur – in Deutschland die „in der Türkei oder von Verlagshäusern in der Türkei mit deutschen Dependancen angebotenen Medienprodukte“ (Hafez 2000: 42). Insofern ist es – zumindest ohne eingehende Inhaltsanalyse des betreffenden Mediums – schwierig, pauschal für oder gegen einen ethnomedialen Status zu plädieren. Nimmt man schließlich die Rezipientensicht – hier die Nutzungsperspektive des einzelnen Migranten – ein, wird eine Ein- bzw. Abgrenzung von Ethnomedien noch schwieriger. Bedenkt man, welche Vielzahl und Diversität von Angebotsformen auf in Deutschland lebende Migranten gerichtet sind, ist selbst bei reinen Auslandsmedien im Hinblick auf die individuelle Nutzung ein ethnomediales Motiv nicht grundsätzlich auszuschließen. Diese prinzipielle Offenheit von Nutzungsverhalten und funktionalen Zuweisungen an die verwendeten Medien zeigt die Notwendigkeit der Uses-and-Gratifications-Forschung.

Wie kann die Erkenntnis dieser reell typologischen Gemengelage – „höchst unübersichtlich und […] systematisch kaum auf einen einzigen Punkt zu bringen“ – einer Klassifizierung von Ethnomedien weiterhelfen (Becker 2007: 44)? In jedem Fall ist festzuhalten: „Viele […] Ethnomedien im weiteren Sinne sind keine Ethnomedien im engeren Sinne, sondern Hybridformen“ (Müller 2005: 326). Das bedeutet, sobald man über den strengen Definitionsrahmen hinausgeht, wird man es zwangsläufig mit einer Pluralität von Typologien zu tun bekommen und keineswegs nur mit von Migranten für Migranten gemachten Medien. Dennoch: Berücksichtigt man die Ethnomedien zugeschriebene Mittlerfunktion zwischen Heimat- und Gastland, sollte der Fokus – v.a. mit Blick auf die unterschiedlichen Rezeptionsmuster von Migranten – nicht auf eine zu enge Definition verschmälert, sondern durchaus eine angemessene Breite angenommen werden.

3 Entwicklungslinien: Wie bildeten sich ethnische Medienkulturen heraus?

Die oben dargelegte definitorische Problematik findet ihre Entsprechung in der realhistorischen Entwicklung und Ausdifferenzierung von Migrantengruppen einerseits und deren medialen Nutzungsgewohnheiten andererseits. Wie grundlegende gesellschaftliche Umbrüche binnen der letzten fünfzig Jahre in der Bundesrepublik Deutschland ethnomedialen Angeboten in ganzer Breite zum Durchbruch verhalfen, gilt es im folgenden Abschnitt nachzuvollziehen.

3.1 Ethnische Medienkulturen im Wandel

Um den Konnex zwischen der Gesamtheit der Ethnomedien und den verschiedenen ethnischen Gruppen in Deutschland zu kennzeichnen, soll nun von ‚ethnischen Medienkulturen’ die Rede sein. Dabei ist eine solche ethnische Medienkultur – beispielsweise die türkische – in der Regel nicht nur gekennzeichnet durch eine eigene Sprache, sondern im größeren Zusammenhang auch ein Teil der öffentlichen Meinungsbildung, weil das Recht auf Informationsfreiheit in Deutschland gesetzlich verankert ist. Auch zeichnet sie sich durch eine besondere Dynamik aus, die (migrations)politische, technologische oder soziodemographische Umbrüche berücksichtigt. Das zumal im Zeitalter der Globalisierung, wo sich „Migranten in Deutschland ihre eigene Kultur und Religion nach Hause holen“, weswegen diese Erkenntnis elementar für das Verständnis ethnischer Medienkulturen ist (Weber-Menges 2005: 243). Hinsichtlich ihres Aufkommens im Allgemeinen und der ethnomedialen Angebotsentwicklung im Speziellen stellt Becker einen grundlegenden Trend seit den frühen 1960er Jahren in Deutschland fest. Dieser reicht von „Medien über Migranten, Medien für Migranten und Medien mit Migranten hin zu Medien der Migranten“ (Becker 2002: 18).

3.2 Sechs-Phasen-Modell Weber-Menges’

Daran anknüpfend, nimmt Weber-Menges eine Unterteilung in sechs Phasen vor. Sie beläuft sich ebenso auf inhaltliche Aspekte ethnomedialer Wandlung und Ausweitung als auch auf formale und organisatorische Veränderungsprozesse. Bezeichnend bei diesem Sechs-Phasen-Modell ist, dass es „zwischen einzelnen Phasen zum Teil zeitliche Überlappungen und Parallelitäten“ gibt (Weber-Menges 2005: 246). Ursächlich hierfür ist die Tatsache, dass die Entwicklung einer neuen Informationstechnologie nicht unbedingt die Verdrängung der Vorgängertechnologie zur Folge haben muss.

3.2.1 Gastarbeiter-Radio ohne Integrationsauftrag

Konkurrenz zwischen medialen Technologien bestand indes nicht während der ersten Phase, angesiedelt zwischen 1961 und den späten 1960er Jahren. Das Fernsehen hatte die Bevölkerung noch nicht erschlossen, womit der Rundfunk das Leitmedium darstellte. Zudem existierten keinerlei private Sender, und auch Printmedien in Form italienischer, griechischer oder türkischer Zeitungen gab es nur in begrenztem Umfang (vgl. Tsapanos 1995: 329). Tatsächlich waren bereits zu dieser Zeit Ethnoanteile in deutschen Hörfunkprogrammen aufzufinden. Da aber, ganz im Sinne des Rotationsprinzips, politisch die Gastarbeiterphase herrschte und die Politik damit rechnete, dass Ausländer nach kurzem Arbeitsaufenthalt in ihre Heimat zurückkehren würden, stellte sich für die verantwortlichen Redakteure derartiger Sendungen weder ein Integrationsauftrag noch ein Integrationsproblem. Jene Programmangebote sollten lediglich eine Hilfe für den zeitlich begrenzten Arbeitsaufenthalt darstellen.

3.2.2 Ausländerprogramme im Fernsehen

Als im Laufe 1970er Jahre – Zeitraum der zweiten Phase – ersichtlich wurde, dass zahlreiche Gastarbeiter in Deutschland geblieben waren und zudem Familiennachzug betrieben, stand das Mediensystem vor der erstmaligen Herausforderung, darauf zu reagieren. Zwar lässt sich mitnichten von einem kohärenten Integrationsprogramm sprechen, allerdings gab es nun, über die konventionellen Gastarbeitersendungen hinaus, Orientierungsangebote für in Deutschland lebende Ausländer. Erstmals wurde der Versuch unternommen, in der medialen Präsentation eine Verbindung herzustellen zwischen dem Gastland Deutschland und der jeweiligen Herkunft ethnischer Minderheiten. Dies geschah sowohl über das neue Massenmedium Fernsehen als auch vermehrt im Radio. Bemerkenswert ist, dass bereits in dieser Phase sich ein türkischer Kinomarkt in Deutschland herausbildete, weil die Heimatfilme „kulturelle Sehnsüchte befriedigen“ konnten (Suvak 2002: 113). Selbiges gilt für die ethnische Presse, die ab den 1970er Jahren – nicht nur aufgrund des gewachsenen Stamms potentieller Kunden – eine deutliche Ausweitung erfuhr.

3.2.3 Herausbildung eines ethnischen Videomarktes

Die 1980er Jahre sind im Hinblick auf die Fortentwicklung ethnischer Medienkulturen v.a. durch eine weitere Erschließung des ethnischen Videomarktes geprägt. In dieser dritten Phase wurden Videorecorder für jedermann erschwinglich, womit sich das Angebot rasch ausweitete. Weil nun ethnische Minderheiten die Möglichkeit hatten, sich in großem Stil eigenen, heimatsprachigen Filmen zuzuwenden, bedeutete dieser Trend eine „ernsthafte Konkurrenz“ für die Ausländerprogramme im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (Weber-Menges 2005: 255). Vergleichsweise schnell überstieg die Ausstattung insbesondere der türkischen Haushalte mit Videogeräten den Bundesdurchschnitt. Schätzungen zufolge konsumierte jede türkische Familie bis zu fünfzehn heimatsprachige Filme pro Woche (vgl. Suvak 2002: 114). In dieser Phase sah sich das deutsche Mediensystem mit einer beginnenden Abkehr der Migranten konfrontiert. Dadurch, dass sich die Politik gegen eine Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland vehement wehrte, hatte das Auswirkungen auf die Programmgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Letzterer konnte, trotz zaghafter Veränderungen bei bestimmten Sendungen, nicht schnell genug auf einen grundlegenden Wandel im Rezeptionsverhalten ethnischer Minderheiten reagieren: Mehr und mehr zeigten sich in Deutschland lebende Migranten „nicht an Orientierungshilfen im Alltag“, sondern an einer „medialen Brücke zur Heimat“ interessiert (Becker 1996: 40).

[...]

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
Ethnomedien in der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel von Presse und TV der türkischen Bevölkerung
Untertitel
Brücke zur Heimat oder Keimzelle der Parallelgesellschaft
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Institut für Kommunikationswissenschaft Bonn)
Veranstaltung
Migranten und Medien in der Bundesrepublik Deutschland
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
32
Katalognummer
V90403
ISBN (eBook)
9783638029834
ISBN (Buch)
9783638927789
Dateigröße
573 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ethnomedien, Bundesrepublik, Deutschland, Beispiel, Presse, Bevölkerung, Migranten, Medien, Bundesrepublik, Deutschland
Arbeit zitieren
Julian Wangler (Autor:in), 2008, Ethnomedien in der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel von Presse und TV der türkischen Bevölkerung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90403

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