„Massenpsychologie“ lautet eines der Schlagwörter, mit denen Thomas S. Kuhns Konzept von der „Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“ kritisiert und gebrandmarkt wurde. Wissenschaftsphilosophen in der Tradition des kritischen Rationalismus warfen Kuhn vor, dass nach seiner Theorie nicht „gute Gründe“ sondern „reine Rhetorik ohne argumentative Substanz“ und „Irrationalität“ zu Paradigmawechseln führten. In der Tat erhält eine Wissenschaftstheorie, die statt einer Logik der Forschung die menschlichen Protagonisten des Wissenschaftsbetriebs betrachtet, unverkennbare Züge einer Sozialwissenschaft. Die vorliegende Arbeit untersucht den Einfluss von Ideologien auf die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen anhand von zwei Beispielen, die wie Kuhns Quellenmaterial aus der Geschichte der Physik stammen: Nach Paul Forman war die schnelle Etablierung der akausalen Quantenmechanik durch deutsche Physiker in den zwanziger Jahren ein Versuch, den Inhalt ihrer Wissenschaft der Ideologie ihres intellektuellen Milieus anzugleichen; Im Werdegang des Physikers Johannes Stark zu Anfang des 20. Jahrhunderts lässt sich erkennen, wie ein bereits akzeptiertes Paradigma unter dem Einfluss einer politischen Ideologie aufs Neue abgelehnt wurde. Die Beispiele zeigen, dass die Wissenschaftstheorie bestimmte ausserwissenschaftliche, soziale Phänomene als relevante Größen in ihrem Gegenstandsbereich akzeptieren muss. Der Vorwurf der „Massenpsychologie“ ist polemisch, aber berechtigt.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Eigenschaften von Paradigmata und Paradigmawechseln bei Thomas Kuhn
- Normalwissenschaft
- Paradigmawechsel
- Ideologie und Paradigmawechsel: Historische Beispiele
- Die Ideologie deutscher Professoren im Kaiserreich
- Die Akzeptanz der Quantenmechanik
- Johannes Starks Widerstand gegen die moderne Physik
- Ideologie und Paradigmawechsel: Konsequenzen
- Fazit: Die Ideologieabhängigkeit wissenschaftlichen Denkens
- Literatur
- Fachliteratur
- Sonstige Quellen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht den Einfluss von Ideologien auf die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, wie sie von Thomas Kuhn beschrieben werden. Sie analysiert die Rolle von Ideologien bei der Akzeptanz oder Ablehnung neuer wissenschaftlicher Theorien und Paradigmen und zeigt, wie sie das Denken und Verhalten von Wissenschaftlern beeinflussen können.
- Die Rolle von Paradigmen und Paradigmawechseln in der Wissenschaft
- Der Einfluss von Ideologien auf wissenschaftliche Revolutionen
- Die Analyse von historischen Beispielen aus der Physik
- Die Relevanz von Kuhns Thesen für das Verständnis wissenschaftlicher Entwicklungen
- Die Frage nach der Unabhängigkeit wissenschaftlichen Denkens von außerwissenschaftlichen Faktoren
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel bietet eine Einführung in die Thematik und stellt die zentralen Argumente der Arbeit vor. Es beleuchtet Kuhns Konzept von der „Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“ und die kritischen Stimmen, die auf diese Theorie geäußert wurden. Der zweite Teil der Arbeit skizziert die Grundzüge der Kuhnschen Theorie von Paradigmata und Paradigmawechseln. Es wird erläutert, wie normale wissenschaftliche Forschung auf einem etablierten Paradigma basiert, welches das Denken und die Forschungsmethoden der Wissenschaftler prägt. Kapitel 3 beleuchtet die Rolle von Ideologien bei der Akzeptanz und Ablehnung neuer wissenschaftlicher Theorien. Es wird gezeigt, wie die Ideologie der deutschen Professorenschaft im Kaiserreich die Entwicklung der Physik beeinflusste und wie die Akzeptanz der Quantenmechanik von bestimmten ideellen Prämissen abhing. Johannes Starks Widerstand gegen die moderne Physik wird als ein weiteres Beispiel dafür betrachtet, wie politische Ideologien wissenschaftlichen Fortschritt behindern können. Das letzte Kapitel fasst die wichtigsten Erkenntnisse der Arbeit zusammen und diskutiert die Relevanz dieser Erkenntnisse für das Verständnis wissenschaftlicher Revolutionen und den Einfluss von außerwissenschaftlichen Faktoren auf die Wissenschaft.
Schlüsselwörter
Wissenschaftliche Revolutionen, Thomas Kuhn, Paradigmen, Paradigmawechsel, Ideologie, Wissenschaftstheorie, Wissenschaftsgeschichte, Physik, Quantenmechanik, Johannes Stark, deutsche Professorenschaft, Kaiserreich.
- Arbeit zitieren
- Julius Hess (Autor:in), 2007, Die Ideologieabhängigkeit wissenschaftlichen Denkens in der "Struktur wissenschaftlicher Revolutionen", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90422