Über J. M. R. Lenz' "Der Hofmeister" - Komödie, Tragikomödie oder bürgerliches Trauerspiel


Seminararbeit, 2008

15 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Gattungsgeschichte und Gattungscharakteristika

3. Gattungsdiskussion in Bezug auf den „Hofmeister“
3.1 Untersuchung des „Hofmeister“ auf die formalen Kriterien
3.2 Betrachtung der inhaltlichen und personellen Charakteristika des Dramas

4. Einordnung des Dramas in den zeitgeschichtlichen Kontext

5. Schluss

6 Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Komödie ist Gemälde der menschlichen Gesellschaft, und wenn die ernsthaft wird, kann das Gemälde nicht lachend werden. [...] Daher müssen unsere deutschen Komödienschreiber komisch und tragisch zugleich schreiben, weil das Volk, für das sie schreiben, oder doch wenigstens schreiben sollten, ein solcher Mischmasch von Kultur und Rohigkeit, Sittigkeit und Wildheit ist. So erschafft der komische Dichter dem tragischen sein Publikum.“[1]

Mit diesen Worten äußerte sich Jakob Michael Reinhold Lenz zum Dilemma der deutschen Gattungsgeschichte in seiner Zeit, Ende des 18. Jahrhunderts. Das 18. Jahrhundert war charakteristisch für einen gesellschaftlichen Umbruch und die Emanzipation des Bürgertums, die an den Grundsteinen der Ständeordnung rüttelte. In dieser Zeit konnte sich auch das überlieferte strenge Regelsystem der Dramentheorie nicht mehr unverändert halten. Lenz war einer der großen Schriftsteller, die dieses System in Frage stellten. Er wird in seiner Zeit unterschiedlich eingeschätzt: Einerseits in seinem künstlerischen Schaffen verachtet, da seine Werke keine gerade tragische oder komische Linie aufweisen, andererseits für eben diese Tatsache als Schöpfer der realistischen bürgerlichen Tragödie gelobt, für das unter anderen Werken „Der Hofmeister“ so berühmt wurde.[2]

Die Bezeichnung des „Hofmeisters“ als „bürgerliche Tragödie“ birgt jedoch schon die erste Schwierigkeit. Von Lenz selbst wurde das Werk zunächst als „Komödie“ bezeichnet. In weiteren Stellungnahmen schwankte er jedoch zwischen „Komödie“, „Lust- und Trauerspiel“, „Trauerspiel“ und „Raritätskasten“.[3] Auch Kritiker und Leser haben von jeher unterschiedliche Meinungen zu Gattung des Werkes gehabt: „Bürgerliches Trauerspiel“, „Tragikomödie“, „Lustspiel“, etc.[4] Einig waren sich jedoch viele zeitgenössische und spätere Autoren darüber, dass das Werk der Gattung des Dramas neue Dimensionen eröffnete und Lenz einen neuen Dramentypus geschaffen habe.[5]

Das Werk „Der Hofmeister oder die Vorteile der Privaterziehung“[6] ist ein ironisches gesellschaftskritisches Drama, in dem Lenz auch die eigenen biographischen Erfahrungen einfließen ließ. Dieser war selbst eine zeitlang Hofmeister gewesen, ein Lebensabschnitt, der ihn im negativen Sinne stark geprägt hatte.[7]

In meinen folgenden Ausführungen möchte ich auf das Problem der Gattungsbezeichnung für dieses Werk eingehen und beleuchten, inwiefern die Schwankungen im Werk mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit einhergehen. In einem ersten Kapitel werde ich, um einen Überblick zu erhalten, auf die Gattungsgeschichte und Gattungsproblematik des 18. Jahrhunderts eingehen. Sodann werden die daraus erworbenen Kenntnisse auf das Drama „Der Hofmeister“ angewendet, in den gesellschaftlichen Zusammenhang gestellt und versucht, das Werk gattungstheoretisch einzuordnen.

2. Gattungsgeschichte und Gattungscharakteristika

Die Zeit des Sturm und Drang in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist eine höchst interessante Zeit bezüglich Gattungsgeschichte und –entwicklung. Es handelt sich um eine Zeit des Übergangs, um einen von der Aufklärung beeinflussten gesellschaftlichen Umorientierungsprozess, der auch starken Einfluss auf das Verständnis von Dramengattungen ausübte. Bis Anfang des 18. Jahrhunderts war das System der Gattungen relativ stabil und polarisierte sich in den zwei Hauptgattungen der Tragödie und der Komödie.[8]

Mit der Wahl der Komödie verband sich eine Reihe von Vorentscheidung formeller Art.[9] Bei der Definition der Gattung wird normalerweise der Aspekt des Komischen ausgespart, da dieser zeit- und kulturgebunden ist.[10] Vielmehr hat man sich auf andere, soziale Aspekte beschränkt, die zum Beispiel auf die antike „Ständeklausel“ zurückgehen. Es handelt sich um meist bürgerliche Personen in einem bürgerlichen Milieu und bürgerlicher Thematik wie familiäre Konflikte und Liebesgeschichten mit glücklichem Ausgang. Aus der Tatsache der niederen Personenherkunft folgt die Wahl eines entsprechend niedrigeren Sprachstils.[11] Bernhard Asmuth formuliert sechs dramananalytische Unterscheidungsmerkmale, um die beiden Gattungen Tragödie und Komödie zu diskriminieren: der Dramenausgang, die Historizität der Fabel (Mythos/Fiktion), die moralische Qualität, der sozialer Stand, der sublime oder humile Redestil und die Art des Stoffes. Bei einer Komödie steht also nicht im Zentrum, dass das Stück zum Lachen oder Weinen bringen muss, sondern dass es „belustigt“, dass es das Lächerliche einer Situation hervorbringt.[12]

Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurde das oben genannte polare System verstärkt in Gefahr gebracht. Zwischenformen drängten sich ein und die Polarisierung der beiden Hauptformen wurde des Öfteren verwischt.[13] Die Bewegung hin zu einer offeneren Dramenform – die in Wechselwirkung mit den gesellschaftlichen Umbrüchen des 17. und 18. Jahrhunderts stand – war zum großen Teil von Gottscheds Dramentheorie ausgelöst worden. Dieser erneuerte das deutsche Theater, das, nicht nur seiner Meinung nach, bedeutungslos geworden, zu bloßer Gaukler- und Hanswursterei herabgesunken war und eine niedrige Form der bürgerlichen Unterhaltung bot.[14] Um die umherziehende Bühnentradition auf ein anderes Niveau zu stellen, arbeitete er zusammen mit deren Vertretern an der Regulierung der Darbietungsformen, und führte ein starres, eng an Aristoteles gelehntes, Regelsystem ein.[15]

Lessing nahm die reformerische Arbeit Gottscheds in Bezug auf die Berücksichtigung der bürgerlichen Schichten auf, jedoch machte er einen entscheidenden Schritt weiter. Wo vorher das Gebiet der Tragödie nach Gottscheds Regeln noch ausschließlich für Fürsten und die Oberschicht reserviert war und die Komödie für bürgerliche Schichten, wo Gottsched zu sehr am französischen rührerischen Lustspiel hing, das noch stark an die höfischen Tradition gebunden war, löste sich Lessing als Vertreter der Aufklärung von dieser Polarisierung und kritisierte die Tatsache, dass Theater reines Repräsentationsinstrument der führenden Schichten sei.[16] Lessing ging es um eine mehr bürgerliche Prägung des Theaters, und deshalb brachte er in seinen bürgerlichen Trauerspielen bürgerliche Personen als Helden auf die Bühne. Dies war die Folge der aufklärerischen Erkenntnis, dass jeder Bürger Rechte hatte, besonders zu Freiheit, und dass außerdem nicht, wie Aristoteles überzeugt war, die „Fallhöhe“ das tragische Moment ausmachte, sondern dass dieses Moment allein im Menschlichen lag. Mit dieser aufkommenden Überzeugung wurde es den Bürgern zugestanden, zu Empfindsamkeit fähig zu sein, zu Mitleid, Sittlichkeit, Toleranz und Gerechtigkeit.[17] Außerdem maß Lessing dem Theater einen großen erzieherischen Wert im Sinne der Aufklärung bei.[18] Durch die Darstellung von bürgerlichen Helden änderte sich auch die Thematik und der Sprachstil der Dramen: Das bürgerliche Trauerspiel war entstanden. In ihm spiegelte sich der gesellschaftliche Umbruch.[19] Es wurde zum Sprachrohr der Emanzipation des Bürgertums als eine neue gesellschaftliche, an Selbstbewusstsein gewinnende Klasse.[20]

[...]


[1] Lenz, Jakob Michael Reinhold: Werke und Schriften. Bd. 1. Stuttgart: Goverts Verlag 1966. S.418f.

[2] McInnes, Edward O.: Lenz und das Bemühen um realistische Tragödienformen im 19. Jahrhundert. In: „Unaufhörlich Lenz gelesen…“. Studien zu Leben und Werk von J.M.R. Lenz. Hrgb. von Inge Stephan. Stuttgart/Weimar 1994. S. 374.

[3] Zelle, Carsten: Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie? Drei Bemerkungen dazu, was bei Lenz gespielt wird. In: J.M.R. Lenz als Alternative? Positionsanalysen zum 200. Todestag. Hrgb. u. eingel. von Karin A. Wurst. Köln 1992. S. 140.

[4] Ebd. S. 142.

[5] McInnes, E: Lenz. S. 373.

[6] Lenz, Jakob Michael Reinhold: Der Hofmeister oder die Vortheile der Privaterziehung. Eine Komödie. Stuttgart: Reclam 2002. (Im Folgenden zitiere ich nach dieser Ausgabe, Seitenangabe in Klammern)

[7] Guthke, Karl S.: Lenzens „Hofmeister“ und „Soldaten“. Ein neuer Formtypus des deutschen Dramas. In: Wirkendes Wort 9 (1959). S.120.

[8] Schulz, Georg-Michael: Das „Lust- und Trauerspiel“ oder Die Dramaturgie des doppelten Schlusses. Zu einigen Dramen am Ende des 18. Jahrhunderts. In: Lessing Yearbook 23 (1991). S.111.

[9] Ebd. S.111.

[10] Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Hrgb. von, Werner Kohlschmidt und Wolfgang Stammler. Bd. 2. Berlin 1985. S.227.

[11] Ebd. S.227.

[12] Zelle, C.: Ist es eine Komödie? S.142 f.

[13] Schulz, G.: Das „Lust- und Trauerspiel“. S.111.

[14] Durzak, Manfred: Das bürgerliche Trauerspiel als Spiegel der bürgerlichen Gesellschaft. In: Propyläen Geschichte der Literatur. Bd. 4: Aufklärung und Romantik 1700-1830. Berlin 1983. S.118.

[15] Jeßing, Benedikt und Ralph Köhnen: Einführung in die Neuere deutsche Literaturwissenschaft. Metzler: Weimar 2007. S.174 f.; Durzak, M.: Das bürgerliche Trauerspiel. S.118.

[16] Durzak, M.: Das bürgerliche Trauerspiel. S.119 f.

[17] Beutin, Wolfgang, et al.: Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart/Weimar: Metzler 2001. S.164.

[18] Ebd. S.159.

[19] Reallexikon. Bd. 1. S.200f.

[20] Durzak, M.: Das bürgerliche Trauerspiel. S.120f.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Über J. M. R. Lenz' "Der Hofmeister" - Komödie, Tragikomödie oder bürgerliches Trauerspiel
Hochschule
Universität Regensburg  (Germanistik)
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
15
Katalognummer
V90550
ISBN (eBook)
9783638047982
ISBN (Buch)
9783638945493
Dateigröße
416 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lenz, Hofmeister, Komödie, Tragikomödie, Trauerspiel
Arbeit zitieren
B.A. Maria Rieder (Autor:in), 2008, Über J. M. R. Lenz' "Der Hofmeister" - Komödie, Tragikomödie oder bürgerliches Trauerspiel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90550

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