Die Theorie der Schweigespirale im Social-Media-Zeitalter


Hausarbeit, 2016

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Theorie der Schweigespirale nach Noelle-Neumann
2.1. Theoretischer und empirischer Hintergrund
2.2. Weiterentwicklungen des Ansatzes in virtuellen Kommunikationsräumen

3. Die Schweigespirale im Social-Media-Zeitalter
3.1. Die Meinungsklimawahrnehmung
3.2. Die Redebereitschaft
3.3. Die Isolationsfurcht

4. Zusammenfassung und Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Wer feststellt, daß sich seine Meinung ausbreitet, fühlt sich dadurch gestärkt und äußert seine Meinung sorglos, redet, ohne Isolation zu fürchten. Wer feststellt, daß seine Meinung Boden verliert, wird verunsichert und verfällt in Schweigen. (Noelle-Neumann 1989, S. 419 f.)

Die öffentliche Meinung gilt sowohl schon in den antiken Stadtstaaten als auch in der heutigen modernen Gesellschaft als ein ausschlaggebender Faktor im politischen Geschehen, zumal sie einen erheblichen Einfluss auf die freie individuelle Meinungsbildung der Menschen in der Demokratie ausübt. Zu den Meilensteinen der Forschung des öffentlichen Meinungsbildungs-prozesses zählt sicherlich das 1974 erschienene Standardwerk „The Spiral of Silence - A The­ory of Public Opinion“ (S. 43–51) von Elisabeth Noelle-Neumann, welches einen Paradigmen-wechsel in der Medienwirkungsforschung darstellte. Die Autorin fand aus Anlass der Gelegen-heitsbeobachtung der Bundestagswahlkämpfe zum ersten Mal das Phänomen heraus und forschte in weiteren Untersuchungen den Ansatz nach. Die schon seit mehr als 40 Jahren entstandene Schweigespirale war inhaltlicher und methodischer Kritik von den damaligen Wis-senschaftlern ausgesetzt und ist gegenwärtig weiterhin ein umstrittenes Thema. Es gab zahl-reiche empirische Studien, die das Konzept Noelle-Neumanns nachzuweisen versuchten, ins-besondere im Kontext der computervermittelten Kommunikation. Mit dem nachhaltigen Ent-wicklungstempo des Internets fungieren heutzutage schon die sozialen Netzwerkseiten als Plattform sowohl für die Wissensvermittlung als auch für die Meinungsäußerung des Individu-ums. Ihm fällt es wesentlich leichter, nicht nur in den traditionellen Medien, sondern auch in virtuellen Diskussionsforen seine persönliche Meinung zu äußern. Daher hat die Frage nach der Rolle der elektronischen Massenmedien im politischen System, insbesondere die Frage nach der erfolgreichen Anwendung der Schweigespirale auf dem Social Web schon seit Ende des 20. Jahrhunderts ihre Anhänger und ihre Kritiker angefeuert, in der Hoffnung, dass Online-Kommunikationskanäle dabei helfen, Medienpluralismus und Meinungsvielfalt neugestalten zu können.

Von großer Relevanz soll es in der vorliegenden Arbeit der Frage nachgegangen werden, ob und inwieweit sich die Theorie der öffentlichen Meinung von Noelle-Neumann überhaupt im Social-Media-Zeitalter übertragen lässt. Zur theoretischen Basisliteratur zählen nach wie vor die Standardwerke von Noelle-Neumann (1974, 1989 und 2001), Noelle-Neuman & Peter-sen (2004). Zum empirischen Teil sind auf das grundlegende Buch von Schulz & Rössler (2013) über die Online-Schweigespirale und die internationalen, sich im englischsprachigen Raum befindenden empirischen Studien zurückzugreifen, die den Hauptteil der Arbeit bilden. Es handelt sich hiermit hauptsächlich um einen Ergebnisvergleich zwischen den Sozialfor-schungen, um das Phänomen der Schweigespirale im Online-Kontext klarer zu verdeutlichen. Auf eine ausführliche Analyse der Herangehensweise bzw. der Operationalisierung kann da-her im Rahmen dieser Abhandlung nur am Rande eingegangen werden.

Diese Hausarbeit gliedert sich in drei Hauptabschnitte: als Erstes soll ein Überblick über den theoretischen und empirischen Hintergrund der Schweigespirale gegeben werden, somit zentrale Annahmen der Theorie und deren Weiterentwicklungen in den virtuellen Kommunika-tionsräumen aufzeigen. Der zweite Absatz widmet sich der Untersuchung der öffentlichen Mei-nung im Social-Media-Zeitalter, wobei Vergleiche zwischen verschiedenen empirischen Stu-dien in Hinsicht auf die Kerngedanken der Theorie angestellt werden sollen. Der letzte Ab-schnitt setzt sich mit der Beantwortung der Frage auseinander, ob die Theorie der Schweige-spirale im Social-Media-Zeitalter überhaupt übertragbar ist. Ein gezogenes Fazit über die dar-gestellten Sachverhalte beschließt die gesamte Arbeit.

2. Die Theorie der Schweigespirale nach Noelle-Neumann 2.1. Theoretischer und empirischer Hintergrund

Ursprünglich geht die Entstehung der Theorie der Schweigespirale auf die Beobachtung des Bundestagswahlkampfes 1965 zurück, wobei eine repräsentative Umfrage nach der Wahlab-sicht der deutschen Bevölkerung durchgeführt wurde. Den daraus resultierenden Ergebnissen zufolge sprach von einem „Last-Minute-Swing“ (unerwartete Wahlabsichtsänderung im End-spurt) und konnte letztendlich von einem sich in Gang setzenden Schweigespiralen-Modell ausgegangen werden (vgl. Roessing 2009, S. 21). Die Theorie enthält als wichtigen Bestand-teil die Redebereitschaft des Individuums zur öffentlichen Äußerung und besagt bezüglich „[der] Artikulationsfunktion: [w]er seinen Standpunkt in den Medien kaum vertreten findet, ist mundtot“ (Noelle-Neumann 2001, S. 246). Diese Prämisse des Ansatzes veranlasst zu der Annahme, dass man wahrscheinlicher verschweigen würde als seine eigene Meinung aus-spricht, wenn er Isolationsangst und Sanktionsmöglichkeiten von der herrschenden Mehrheit verspürt. Um nicht isoliert zu werden, beobachtet der Einzelne ständig das persönliche Umfeld, um einzuschätzen, ob seine individuelle Meinung mit der wahrgenommenen Meinung der Mehrheit konform geht.

Im Prozess der öffentlichen Meinungsbildung spielen die im Gegensatz zueinanderste-henden Begriffen Reden und Schweigen eine bedeutende Rolle, die über das Meinungsklima entscheiden (vgl. ebd., S. 17 f.) und eng mit der Redebereitschaft und der Schweigetendenz zusammenhängen (vgl. Noelle-Neumann 1989, S. 419). Unter dem Begriff Reden ist „nicht nur mündliche Kommunikation, sondern auch das öffentliche Zeigen der Gesinnung durch Verhal-ten und Symbole“ (Roessing 2009, S. 173) zu verstehen. Was und wie der Einzelne in der Öffentlichkeit redet, spiegelt sein Verhalten und seine Denkweise wider, die vermutlich unge-wollt gegen die sozialen Normen und Werte verstoßen. Augenscheinlich landet man in diesem Falle aus menschlicher Sanktions- und Isolationsfurcht in der Schweigeneigung, wenn seine persönliche Meinung in der Gesellschaft unerwünscht ist (vgl. Scherer et al. 2006, S. 108).

Ganzheitlich ist die Theorie Noelle-Neumanns kontrovers international diskutiert und mehrfach auszusetzen. Dem Anschein nach kann sich die Schweigespirale nicht auf die vir-tuelle Welt anwenden lassen, „[…] due to the increased diversity of content, audience control and selectivity, interactivity, and social connectivity, as well as the anonymity afforded by the Internet” (Metzger 2009, S. 570). Der Autor ging allerdings davon aus, dass die Übertragung der Schweigespirale ins Internet noch denkbar sei, da Isolationsangst in den sozialen Netz-werkseiten auf unterschiedliche Art und Weise (z. B. „appearing unpopular“ oder „socially un-desirable“) geschürt werden kann (vgl. ebd., S. 570 f.). Im Folgenden soll diskutiert werden, wie sich die Theorie in der computervermittelten Kommunikation weiterentwickelt.

2.2. Weiterentwicklungen des Ansatzes in virtuellen Kommunikationsr ä umen

Nach dem Terroranschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo im Januar 2015, entstand auf Twitter in Gedenken an die Opfer das erfundene Hashtag #JeSuisCharlie, welches noch am selben Abend des Attentats und einige Tage später mehrfach getwittert und in allen sozialen Netzwerken geteilt wurde. Der Vorfall stellt ein gutes Beispiel dafür dar, wie schnell sich individuelle Meinung in internetbasierten Kommunikationsräumen verbreiten und sich zur öffentlichen Mehrheitsmeinung entwickeln könnte. Wie bereits ausgeführt, besagt der theoretische Ansatz, dass Menschen aus Isolationsdrohung zu verschweigen neigen, statt sich in der Öffentlichkeit zu der eigenen Meinung zu bekennen. Die schon lang vor der digitalen Revolution erschienene ursprüngliche Theorie fokussierte sich aber lediglich auf klassische Massenmedien, darum wären manche der Kernaussagen in der heutigen Zeit nicht mehr gültig und lassen sich in vielen empirischen Studien mehrfach beweisen. Im Zeitalter des in den letzten Jahrzehnten etablierten Internets gelingt es einer Menge sozialer Netzwerke wie Face-book, Twitter und Co., sich im Bereich der Informationsvermittlung bzw. Meinungsbildung und -äußerung in erträglichem Maß anzusiedeln. Im allgemeineren Sinne ist von dem Begriff „Social Media“ die Rede, also soziale Medien, die sich auf der „medien- und informationstech-nologischen Infrastruktur“, also den technischen Gegebenheiten, stützen und dem Online-Nut-zer es erlauben, „[sich] mit anderen Nutzern auszutauschen, bringen also dialogische Merk-male mit ins Spiel“ (Schmidt 2013, S. 10). In diesem Zusammenhang lässt sich im Werk von Schulz & Rössler (2013) beschreiben:

Die Macht der Medien verteilt sich auf eine große Zahl professioneller Akteure, die heute am Prozess der Herstellung von Öffentlichkeit beteiligt sind, und außerdem kann der öffentliche Meinungsbildungsprozess potenziell auch durch Laienkommunikation entscheidend mitgeprägt und angestoßen werden. (S. 229; Hervorhebung wie im Original)

Allerdings wird die Meinungsäußerung in der Online-Kommunikation gelegentlich als ein zwei-schneidiges Schwert angesehen: einerseits dürfte der Meinungssager anhaltenden Beifall ern-ten, andererseits „[…] birgt [es] die Gefahr, einen Sturm der Entrüstung zu entfachen“ (Khunk-ham 2014). Stimmt seine Meinung mit der Bevölkerungsmehrheitsmeinung überein, kann von einem Sicherheitsgefühl gesprochen werden; andernfalls lässt er den größtmöglichen Shit-storm von den herrschenden abweichenden Meinungen zuteilwerden.

Nach Noelle-Neumann (1974) mag es das Phänomen der Schweigespirale bei den aktuell moralisch-emotional aufgeladenen Themen auslösen lassen. Daher versuchten zahlreiche Wissenschaftler in den einschlägigen Studien zur Theorie der Schweigespirale, die Gültigkeit des Ansatzes in der internetbasierten Kommunikation in verschiedenen Kontexten nachzuwei-sen, wie beispielsweise zum Thema Abtreibung (Yun & Park 2011), nationale Sicherheit (Hampton et al. 2014, Stoycheff 2016, Neubaum & Krämer 2016), Homosexualität (Gearhart & Zhang 2014, 2015), Kernenergie (Miyata et al. 2015). Solche Themen können eine gründli-che Diskussion entfachen und somit die Wirkung der Massenmedien für die Meinungsbildung aufzeigen (vgl. Noelle-Neumann & Petersen 2004, S. 349; Roessing 2009, S. 77). Dass sich widersprüchliche Ergebnisse aufgrund verschiedener Herangehensweisen und Operationali-sierungen unter verschiedenen Bedingungen liefern lassen, wurden die im englischsprachigen Raum recherchierten Studien ausgewählt. Experimentalstudien deuten darauf hin, dass die Theorie der Schweigespirale unter bestimmten Voraussetzungen im Online-Kontext angewen-det werden kann (vgl. z. B. Hampton et al. 2014, Gearhart & Zhang 2014). In Feldstudien zeigte sich aber, dass selektive Zuwendung („Selective Exposure“) zu Inhalten der Massen-medien und der Laienkommunikation (Neuberger 2009) weder die Meinungsklimawahrneh-mung noch die öffentliche Redebereitschaft des Einzelnen beeinflusste; es sei denn, dass sich in der Minderheit fühlende Individuen bereitwilliger ihre Meinung zum Ausdruck bringen als die in der Mehrheit fühlende Individuen (vgl. Porten-Cheé & Eilders 2015, S. 149). Mit dem Er-kenntnisinteresse über die Veränderung der individuellen Redebereitschaft anhand unzähliger digital-basierter Kommunikationskanäle zu einem kontrovers diskutierten Thema, beschäftigt sich diese Arbeit mit folgender zentraler Fragestellung:

Inwieweit l ä sst sich die Theorie der Schweigespirale von Noelle-Neumann im Zeitalter der sozialen Netzwerke ü bertragen? Schweigt noch die vermeintliche Minderheitsmeinung (also die echte, aber versteckte Mehrheitsmeinung) in der Social-Media- Ä ra?

Auf der theoretischen Grundlage der Theorie der Schweigespirale und mithilfe der oben ge-nannten empirischen Untersuchungen soll ein Beitrag für ein umfassenderes Verständnis von der Entstehung der Online-Schweigespirale geleistet werden.

3. Die Schweigespirale im Social-Media-Zeitalter

3.1. Die Meinungsklimawahrnehmung

Mittels einem „quasistatistische[n] Organ [der Wahrnehmung] als Bindeglied zwischen indivi-dueller und kollektiver Sphäre“ (Noelle-Neumann 2001, S. 164) beobachten die Menschen fortwährend ihre soziale Umgebung, um abzuschätzen, welche Verhaltensweise aus Sicht der Gesellschaft akzeptabel ist und was als unmoralisch gilt. Überdies stehen den Individuen in den heutigen virtuellen Kommunikationsräumen die direkte und indirekte Umwelt zur Verfü-gung, welche „[…] zwei verschiedene Eindrücke vom Meinungsklima [ausmachen], den Ein-druck aus eigenen Originalbeobachtungen und den Eindruck mit den Augen des Fernsehens“ (ebd., S. 234). In diesem Zusammenhang sprechen Neuberger (2009) und Schulz & Rössler (2013, S. 42–47) von der Unterscheidung zwischen Inhalten der von indirekter Umwelt bereit-gestellten professionellen Kommunikation (dazu zählen z. B. journalistische, kommerzielle und politische Angebote) und Inhalten der Laienkommunikation (wie beispielsweise soziale Netz-werke, Diskussionsforen etc.), die für jedermann öffentliche Meinungsäußerung online besser zugänglich macht als die professionelle. „Damit kann die Laienkommunikation im Internet so-wohl eine Funktion alternativer Medien wahrnehmen […] als auch eine Thematisierungs- und Artikulationsfunktion, die Noelle-Neumann ursprünglich nur den Massenmedien zugesprochen hatte“ (Schulz & Rössler 2013, S. 46 f.; Hervorhebung wie im Original). Daher sollen im Fol-genden zwischen den verschiedenen Online-Meinungsklimas (die im Social Web entstandene Kommunikationskanäle) zum Vergleich herangezogen werden.

Mehrere Studien untersuchen die Meinungsklimawahrnehmung des Individuums über die direkte Umwelt in unterschiedlichen Online-Kontexten, insbesondere Facebook (Hampton et al. 2014; Gearhart & Zhang 2014, 2015; Stoycheff 2016; Zerback & Fawzi 2016), Twitter (Miyata et al. 2015), Diskussionsforum (Yun & Park 2011) und Bewertungsportal (Askay 2015). Zerback & Fawzi (2016) gingen der Frage nach, inwiefern die Probanden in der vorgelegten Facebook-Diskussion bereitwillig waren, ihre Ansichten zum Thema Vertreibung gewalttätiger Einwanderer zu äußern. Die Autoren überprüften auch die Hypothese, ob exemplarische Mei-nungen1 auf Facebook-Diskussion die wahrgenommene öffentliche Meinung der Teilnehmer und seine Redebereitschaft beeinflusst hätten. Die erzielten Ergebnisse zeigten sich, dass die exemplarischen Meinungen die Wahrnehmung der öffentlichen Meinung bei der Internet-Po­pulation beeinflussen würden, bei der generellen Bevölkerung hingegen nicht (vgl. Zerback & Fawzi 2016, S. 9 f.). Es sei denn, dass sich die Meinungen der Teilnehmer an den exemplari-schen Meinungen orientierten; die direkte Umwelt der Teilnehmer wurde durch Inhalte der Laienkommunikation wahrgenommen. In der vom amerikanischen Pew Research Center durchgeführten Online-Studie befragten Hampton et al. (2014) die amerikanischen Erwachse-nen im Hinblick auf ihre Artikulationsbereitschaft in sozialen Netzwerken, ob sie ihre Meinung zum Thema Enthüllungen Edward Snowdens bei Facebook und Twitter zum Ausdruck bringen würden. Die Ergebnisse wiesen darauf hin, dass 86 Prozent der Befragten in eine Offline-Konversation (z. B. öffentliche Versammlung, im Restaurant mit Freunden) eingestiegen hät-ten, während nur 42 Prozent von ihnen (Facebook- und Twitter-Nutzern) ihre eigene Meinung in sozialen Netzwerken kundgetan hätten (vgl. ebd., S. 3). Hieraus kann sich sowohl in Offline-1 Hier wird von Meinungen der deutschen Online-Bevölkerung vertretende Stichprobe von Facebook-Nutzern, also von der Mehrheitsmeinung gesprochen. als auch in Online-Meinungsklima ergeben, dass die Versuchspersonen zum Gespräch bereit-stünden, je mehr ihnen die Mitmenschen zugestimmt hätten. Besonders bemerkenswert in dieser Studie sei auch, dass je kleiner die Gruppe der interpersonellen Kommunikation ist (beispielsweise Abendessen mit Familie), desto mutmaßlicher man sich an solcher Diskussion beteiligen würde. In der Fortschreibung wird in dieser Studie deutlich, dass die Berichterstat-tung der klassischen Medien mit ihrem hohen Anteil der Quelle als hauptsächliche Informati-onsvermittler angesehen werden, während diese Quote bei Facebook 15 Prozent, bei Twitter 3 Prozent beiträgt (vgl. ebd., S. 9). Anscheinend spielen die traditionellen Massenmedien eine große Rolle für die Wahrnehmung des Online-Meinungsklimas über die indirekte Umwelt. Al-lerdings gingen viele Wissenschaftler davon aus, dass eine verzerrte Meinungsklimawahrneh-mung nicht nur von den Massenmedien verursacht, sondern tragen wie etwa Charaktereigen-schaften eines Individuums auch zum Fortbestehen solcher Verzerrung bei (vgl. Schulz & Rössler 2012, S. 354).

Bisherige Studien konzentrierten sich auf das Meinungsklima in dem größten sozialen Netzwerk Facebook, wobei es dem Nutzer aufgrund aktueller Nutzungsbedingungen eher schwerfällt, seine Identität zu verschleiern, als in anderen Plattformen wie Twitter (Miyata et al. 2015) oder Diskussionsforen (Yun & Park 2011). Kritik entzündet sich nebenbei daran, dass in den etlichen Studien die Herangehensweise als Befragungsform durchgeführt wurde. Das methodische Problem liegt mutmaßlich an der nicht-realistischen, hypothetischen Situation (vgl. Yun & Park 2011, S. 206). Folglich ist die Untersuchung in Diskussionsforen von großem Interesse, da es sich bei denen um eine schon entwickelte, bereitgestellte Umgebung handelt, wobei die Menschenverhalten direkt gemessen werden können (vgl. ebd.). Es ließ sich in der Studie von Yun & Park (2011) zwischen verschiedenen Meinungsklimatas unterscheiden: ei-nem Offline-, einem parallel existierenden Online-Meinungsklima und einem Klima im Diskus-sionsforum (vgl. S. 207). Dem Befund zufolge besteht kein Zusammenhang zwischen der Off-line-Meinungsklimawahrnehmung des Einzelnen und seiner Redebereitschaft in Online-Dis-kussionsforen, d. h. das in der realen Welt wahrgenommene Meinungsklima beeinflusste kei-neswegs die „in the cyberspace“ (ebd., S. 212) öffentliche bekannte Meinung des Individuums. Darüber hinaus wurde klar, dass wer mit dem mehrheitlichen Meinungsklima übereinstimmte, seine persönliche Meinung bereitwilliger äußerte als die entgegengesetzte Meinung vertreten-den Versuchspersonen. Hinzu kommt, dass zwar Individuen zwischen den Offline- und Online-Meinungsklima unterscheiden könnten, „[…] it appears that it is inevitable for human beings to have a certain degree of fear of isolation whether online or offline. It is possible that people may bring their norms and habits of offline social interaction to their online communications” (ebd., S. 216). Vorausgesetzt, dass sich ein Individuum unter einem freundlichen Meinungs-klima seine mit der vermeintlichen Mehrheit übereinstimmende Meinung ausdrücken könnte, entscheidet er sich trotzdem zu verschweigen. Somit lässt sich feststellen, dass die Theorie der öffentlichen Meinung durch diese Studie im Rahmen des Diskussionsforums unterstützt werden dürfte. Ob und inwieweit die Meinungsklimawahrnehmung einen Einfluss auf die Re-debereitschaft des Einzelnen in den virtuellen Kommunikationsräumen nimmt, soll im nächs-ten Absatz näher eingegangen werden.

3.2. Die Redebereitschaft

In mehreren internationalen Studien wird die Redebereitschaft („willingness to speak out“) em-pirisch als abhängige Variable berücksichtigt, die mit der Meinungsklimawahrnehmung und der Isolationsfurcht eng zusammenhängt. Scheufle & Moy (2000) sprechen von einer „Schüs-selvariable“, die wohl für die Forschung der Schweigespirale in Hinsicht der Online-Nutzerver-halten und -reaktionen differenzierter betrachtet werden müsste. Viele Wissenschaftler ver-suchten in den neuesten Studien dieses Problem umzugehen, indem verschiedene zurechtle-gende Reaktionsstrategien („Response Strategies“) der Online-Nutzer eingeführt und genauer erklärt werden (Gearhart & Zhang 2014; Stoycheff 2016; Neubaum & Krämer 2016). In Anleh-nung an Hayes (2007) ließ sich in der Studie von Gearhart & Zhang (2014, vgl. S. 22) im Kontext des Mobbings wegen Homosexualität die abhängige Variable Redebereitschaft in vier untergeordneten Kategorien angesichts der Beiträge und deren Kommentare unterteilen: Kommentieren, aktives Lesen ohne Kommentieren, völliges Ignorieren, Mitteilung an andere Personen. Die darauf beruhenden Kategoriensysteme wurden ebenfalls mehrfach in den ak-tuellsten Studien von Stoycheff (2016, S. 301) und Neubaum & Krämer (2016, S. 12 f.) weiter-entwickelt. In Anbetracht ihrer Kategorien ist Stoycheff (2016) der Meinung, dass „[a]lthough sharing and liking Facebook news posts do not involve commentary, they do function like other forms of participation […] as a means of publicly expressing one’s beliefs and are susceptible to conforming behaviors” (S. 302). In diesem Zusammenhang sollen auch in Anlehnung an McDevitt et al. (2003) und Schulz & Rössler (2013) zwei weitere Rahmenbedingungen in Be-zug auf die Äußerungsform nachdrücklich bemerkt und erläutert werden, die in relativ wenigen Studien anzubringen und zu unterscheiden waren. Die eine – „speaking up“ – bezieht sich auf sächliche, neutrale Äußerung und sie hinterlässt somit lediglich reine neutrale Ansichten; die andere – „speaking out“ – versteht sich als „taking a stand“ in der Diskussion, wobei wiederum entweder konstruktive oder scharfe Kritik daran geübt wird (vgl. McDevitt et al. 2003, S. 466). Vor allem kann hier vermutet werden, dass das oben genannte Skalierungsverfahren zu einem genaueren Verständnis beiträgt, genauer zu beleuchten, wie stark die Redebereitschaft eines Individuums bei einer Online-Diskussion schwanken kann.

[...]

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Theorie der Schweigespirale im Social-Media-Zeitalter
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1,7
Autor
Jahr
2016
Seiten
17
Katalognummer
V906731
ISBN (eBook)
9783346193674
ISBN (Buch)
9783346193681
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schweigespirale, Social Media, Isolationsfurcht, Redebereitschaft, öffentliche Meinung
Arbeit zitieren
Minh Mai (Autor:in), 2016, Die Theorie der Schweigespirale im Social-Media-Zeitalter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/906731

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