Die Rolle des Südschleswigschen Wählerverbands für die Identitätsbildung der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein


Bachelorarbeit, 2019

62 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Forschungsstand

3. Historischer Kontext
3.1 Die danische Minderheit im deutsch-danischen Grenzgebiet
3.2 Der Südschleswigsche Wahlerverband - SSW

4. Theoretischer Zugang
4.1 Identitat(en)
4.1.1 Kollektive und nationale Identitaten
4.1.2 Lokale/Regionale Identitaten
4.1.3 Identitatsbegriff und seine Funktion in der Politik
4.2 Minderheiten
4.2.1 Ursprung und Definition des Minderheitenbegriffs
4.2.2 Kulturwissenschaftliche Rezeption des Minderheitenbegriffes
4.2.3 Minderheit im politischen Kontext

5. Methode

6. Analyse
6.1 Personengruppe
6.2 Personengruppe
6.3 Zusammenfassung und Interpretation der Analyse

7. Fazit

8. Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleiting

Vom 23. bis zum 26. Mai dieses Jahres sind die Bürgerinnen und Bürger der europaischen Union dazu aufgerufen, ein neues Europaisches Parlament zu wahlen. Diese Wahl wird in Zeiten des erstarkenden politischen und kulturellen Nationalismus in allen Teilen Europas richtungsweisend für die Zukunft der Europaischen Union (EU). Weniger EU, mehr Nationalstaatlichkeit ist das Wahlversprechen, das die rechten Parteien innerhalb der EU zu dieser Wahl ausgeben. Implizit bedeutet das für die Bürgerinnen und Bürger weniger grenzüberschreitende Freiheiten, mehr Betonungen der nationalen Merkmale und Interessen. Sie stehen somit gegen das ein, was das zusammengewachsene Europa mit dem einmaligen Projekt der Europaischen Union als politisches Instrument zur Friedenssicherung und grenzüberschreitenden Zusammenarbeit geschaffen hat: ein friedliches Zusammenleben verschiedenster Volksgruppen und Sprachen- und Religionsgemeinschaften, die sich unabhangig ihrer nationalen Zugehörigkeit als europaische Mitbürger anerkennen.

Beispielhaft für diese Entwicklung steht die deutsch-danische Grenzregion. Historisch war diese Region immer wieder Schauplatz militarischer Auseinandersetzungen. Die Grenzstreitigkeiten des spaten 19. und frühen 20. Jahrhunderts lieBen Bevölkerungsgruppen danischer sowie deutscher Nationalitat auf der jeweils anderen Seite der Grenze zurück. Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Schaffung der Europaischen Union befriedete sich diese Region nach und nach und steht heute beispielhaft für grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Minderheitenschutz in der Europaischen Union.

Eine Besonderheit der dortigen Minderheiten ist die politische Partizipation in dem jeweiligen Nationalstaat. So gibt es auf deutscher Seite den Südschleswigschen Wahlerverband (SSW), der sich selbst als Partei der danischen und friesischen Minderheit sieht und in diesem Selbstverstandnis auf kommunaler und Landesebene zu Wahlen antritt.

Wahrend die nationalen Minderheiten vielfach Gegenstand kulturwissenschaftlicher Forschungen sind, wenn es um die Besonderheiten der Lebensumstande geht und wie sich diese strukturieren, ist die Rolle der Minderheitenpartei in dieser Hinsicht noch ungeklart. Parteien haben vor allem die Funktion der Interessenartikulation und -aggregation. Eine Partei, die sich explizit für die Belange und Interessen einer verhaltnismaBig klar definierten Bevölkerungsgruppe, wie der danischen Minderheit einsetzt, ist somit in ihrem Selbstverstandnis Ausdruck der Interessen und Belange ebenjener Minderheit.

Doch inwiefern wirkt dieses Selbstverstandnis auch zurück auf die Angehörigen der Minderheit? Welche Rolle spielt eine institutionalisierte politische Meinungsvertretung einer definierten Gruppe wie der danischen Minderheit für die Identitat als Angehöriger dieser Gruppe unter Berücksichtigung der Besonderheiten einer Minderheits- gruppierung?

Die hieraus abzuleitende Fragestellung dieser Arbeit lautet somit: Welche Rolle spielt die Partei der danischen Minderheit, der SSW, für die Identitat der Angehörigen der danischen Minderheit als solche? Diese Fragestellung vereint somit gleich zwei fachspezifische Erkenntnisinteressen miteinander: Zum einen wird die Europaisch Ethnologische Frage nach der Identitatskonstruktion innerhalb der danischen Minderheit aufgeworfen. Zum anderen lasst sich hier ebenso ein Politikwissenschaftliches Erkenntnisinteresse wiederfinden, inwiefern eine Partei zur Identitat einer bestimmten Bevölkerungsgruppe beitragen kann.

Ziel dieser Arbeit ist es somit, die Rolle der Partei SSW für die Identitatsbildung der danischen Minderheit in Schleswig-Holstein zu erforschen. Da diese Arbeit in Umfang und Rahmen beschrankt ist, kann sie jedoch nur Anhaltspunkte und Erkenntnisse für weitergehende und an die Ergebnisse dieser Arbeit anknüpfende Forschungen liefern. Hierzu sollen mithilfe einer am Identitatsbegriff entwickelten Analysekategorie vier Interviews analysiert werden, die im Rahmen dieser Arbeit geführt wurden.

Um diese Forschung in einem angemessenen und wissenschaftlichen Rahmen zu leisten, soll im Folgenden zunachst der Forschungsstand etwas vertiefter aufgezeigt werden. AnschlieBend wird der historische Kontext, der zur Entstehung der Minderheit und des SSW führte, dargelegt. Darauffolgend wird im theoretischen Zugang die Analysekategorie erklart, die nach der naheren Erlauterung der Methode, in der Analyse zur Anwendung kommt. Schlussendlich sollen die Ergebnisse dieser Arbeit in einem Fazit dargestellt werden und darauf aufbauende, mögliche weitergehende Forschungen genannt werden.

2. Forschungsstand

Im Bereich der historischen Forschung zur deutsch-danischen Geschichte gibt es eine Vielzahl regionalgeschichtlicher Monographien und Sammelbande, die sich mit der historischen Entwicklung der Region auseinandersetzen. Die Minderheit und ihre Geschichte ist dabei haufig Bestandteil dieser Publikationen. Auffallig ist hier, dass die Artikel und Werke, die die Minderheit betreffen, dabei haufig von denselben Autoren verfasst werden. So taucht Jargen Kühl gleich mehrfach in der Recherche zu der Geschichte der danischen Minderheit auf. Er verfasste unter anderem Artikel in Sammelbanden zum Grenzland, in denen er sich mit der Identifikation der danischen Minderheit zum Mutterland befasste1, aber auch überblicksartige Artikel zu den nationalen Minderheiten in der Grenzregion2. Darüber hinaus ist er auch Herausgeber von Sammelbanden in diesem Kontext3 und Monographien, die sich beispielsweise allein mit der Geschichte des SSW befassen4. Abgesehen von der historischen und aktuellen Lage der Minderheit, gibt es auch Forschungen, die sich der Identitatskonstruktion von Minderheiten widmen, an der sich diese Arbeit orientiert. So hat Nina Jebsen eine empirische Untersuchung der deutschen Minderheit in Danemark angestellt.5 In dieser Forschung untersucht Jebsen die allgemeine Identitatskonstruktion der Minderheit als Gruppe und ordnet diese in Theorien ein. Auch Frau Prof. Silke Göttsch-Elten befasste sich in einigen Beitragen mit der Minderheitenfrage im Grenzland. So beschreibt sie beispielsweise in einem herangezogenen Artikel die historische Entstehung von Identitaten im Grenzraum und ihre Bedeutung für das regionale Selbstverstandnis am Beispiel der danisch-preuBischen Grenzregion zwischen 1864 und dem ersten Weltkrieg.6 Katharina Schuchardt untersuchte in ihrer Dissertation in umfangreicher Weise die Identitatsbildung der deutschen Minderheit in Polen und bezieht dabei die berufliche Tatigkeit als Identifikationsfaktor in ihre Untersuchung mit ein.7 Das Forschungsinteresse der hier angestrebten Arbeit soll sich jedoch vornehmlich auf die Rolle des SSW in der Identitatsbildung beziehen, weshalb Ergebnisse und Forschungsdesign der genannten Arbeiten lediglich annahernden Beispielcharakter für diese Forschung haben können. Zu erwahnen sei an dieser Stelle noch die Magisterarbeit von Arthur Christiansen, in der er sich mit der „Selbstverstandlichkeit eines gleichberechtigten Mandats für den SSW aus interkultureller Sicht“8 befasst. In dieser erziehungswissenschaftlichen Arbeit untersucht er die Berechtigung des gleichberechtigten Mandates auf Grundlage der historischen Entwicklungen und der damit einhergehenden kulturellen Identitat der Bevölkerung im Grenzland. Der SSW ist in dieser Forschung somit eher Ergebnis einer historisch gewachsenen kulturellen Identitat. Letztendlich bedient die hier verfasste Arbeit somit ein Forschungsdesiderat, auch wenn sie in Umfang und Rahmen nur Anhaltspunkte für eine eingehendere und umfangreichere Beforschung der Fragestellung liefern kann.

3. Historischer Kontext

Um die Rolle des SSW für die Identitatsbildung der danischen Minderheit in Schleswig- Holstein zu untersuchen und beurteilen zu können, ist es unausweichlich, die historischen Entwicklungen der Grenzregion in ihren Eckpunkten und wichtigen Ereignissen kurz darzustellen. Hierzu soll im Rahmen dieser Arbeit vornehmlich die Geschichte der deutsch-danischen Grenzregion ab dem 19. Jahrhundert aufgezeigt werden sowie eine Zusammenfassung der Geschichte des SSW seit seiner Gründung 1945.

Da sich diese Arbeit auf die danische Minderheit in Schleswig-Holstein bezieht, soll allein die Darstellung der historischen Entwicklungen, die zur Entstehung der Minderheit geführt haben, an dieser Stelle erfolgen. Es soll sich daher auf die neuere Geschichte der Grenzregion Schleswig seit dem aufkommenden Nationalbewusstsein im 19. Jahrhundert bis zur Bonn-Kopenhagener Erklarung von 1955, die bis heute die Basis der Minderheitenpolitik bildet, beschrankt werden.

3.1 Die danische Minderheit im deutsch-danischen Grenzgebiet

Bereits im Mittelalter kamen deutschsprachige Kolonisten nach Südschleswig und Ostholstein. Sie waren seitens der danischen Herzöge durchaus erwünscht und so kamen besonders im 12. und 13. Jahrhundert viele Handwerker und Kaufleute aus den deutsch- sprachigen Gebieten in die Stadte des unter danischer Krone stehenden Herzogtums Schleswig. Die Stadte wurden somit bereits früh vornehmlich deutschsprachig, wahrend die Landbevölkerung in der Mehrheit die danische Sprache im Alltag sprach. An der Westküste hingegen wurde vielfach Friesisch gesprochen und so war die Region bereits seit dem Mittelalter durch drei Sprachen gepragt.9

Etwa die Halfte der Bevölkerung des Herzogtums Schleswig war zu Beginn des 19. Jahrhunderts somit deutschsprachig. In der Zeit der aufkommenden Idee der Nation als einem Staat einer sprachlich und kulturell homogenen Bevölkerung war dies ausschlaggebend für die ersten Auseinandersetzungen auf Grundlage eines nationalen Zugehörigkeitsgefühls.10 Auf danischer Seite wurden Forderungen der Nationalliberalen laut, den danischen Gesamtstaat unter Einbeziehung Schleswigs und Verzicht auf die Herzogtümer Holstein und Lauenburg bis zu dem Fluss Eider zu erweitern. Die deutschsprachige Bevölkerung Schleswigs, die nun auch mehr und mehr von der Idee der Nation erfasst wurde, sah diese Forderung als Bedrohung an und forderte hingegen, unter Bezugnahme auf das Privileg von Ripen von 146011, die Eingliederung Schleswigs und Holsteins in den deutschen Bund.12 Im Marz 1848 traten die Schleswigschen und Holsteinischen Deputierten der Standeversammlungen zu einer gemeinsamen Versammlung zusammen und formulierten die Forderung nach einer eigenen Verfassung für Schleswig und die Eingliederung in den deutschen Bund in Form einer Deputation, welche man dem danischen König übersandte. Noch bevor die Ablehnung dieser Forderungen bei den schleswig-holsteinischen Anführern einging, gründete man eine provisorische Regierung, die sich per Proklamation zur neuen Regierung über die Herzogtümer Schleswig und Holstein erklarte.13 In den nachfolgenden drei Jahren kam es daraufhin zu einem Bürgerkrieg, in dem die deutschgesinnten Schleswig-Holsteiner, teils mit preuBischer Unterstützung, um ihre Unabhangigkeit von Danemark kampften. Der Konflikt endete 1851, als die europaischen GroBmachte die Schleswig-Holsteiner zur Aufgabe zwangen.14 In dem daraufhin geschlossenen Londoner Vertrag von 1852 garantierte Danemark zwar weiterhin die Einheit Schleswig und Holsteins, die Plane der Nationalliberalen, den danischen Nationalstaat bis zur Eider auszudehnen, wurden aber fortan weiter verfolgt.15 Um diesem Ziel naher zu kommen, veranlassten die danischen Machthaber in den darauffolgenden Jahren Politiken und Gesetze zur ,Danisierung‘ der Bevölkerung. Vor allem in der Kultur-, Verwaltungs- und Bildungspolitik sollte dieses Ziel mit Hilfe von personellem Austausch, Sprachreskripten und der Verbreitung danischer Nationalsymbolik im öffentlichen Raum vorangetrieben werden. Die vornehmlich deutschsprachige Bevölkerung Südschleswigs lieB sich von dieser Politik allerdings nicht weiter vereinnahmen.16

Der mehr und mehr offensichtliche Plan der ,Eiderdanen‘ fand seinen endgültigen Ausdruck in der Annahme der Novemberverfassung im November 1863. Diese sollte auch für Schleswig Gültigkeit haben und verstieB somit gegen die Londoner Vereinbarung von 1852.17 Da die danische Regierung gegenüber PreuBen und Österreich zugesagt hatte, Schleswig und Holstein nicht voneinander zu trennen, die Novemberverfassung aber eine klare Ausgliederung Holsteins und Lauenburgs implizierte, sah sich der Deutsche Bund zum Handeln gezwungen. 1864 erklarten PreuBen und Österreich Danemark den Krieg. In einem kurzen Krieg, der noch im selben Jahr mit einer deutlichen Niederlage Danemarks endete, verlor Danemark Schleswig, Holstein und Lauenburg, womit die Südgrenze Danemarks nach Norden verschoben wurde und ein Teil des danischen Nationalvolkes - die Danen in Schleswig - nun zu einem anderen Staat gehörte.18 Die danisch gesinnte Bevölkerung Schleswigs, die in Nordschleswig eine Mehrheit bildete, war nunmehr territorial PreuBen zugehörig geworden.

Unter preuBischer Führung wird Deutsch wieder zur Schul- und Kirchensprache in Schleswig. Bis auf einige wenige Ausnahmen wurden alle danischen Schulen in Nordschleswig auf Betreiben der preuBischen Regierung geschlossen.19 Mit der Eingliederung Schleswigs 1867 in PreuBen, wurden auch hier Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit eingeführt, woraufhin sich erste Vereine danischer Bürger bildeten. „Das Danentum spielte sich, wie vor 1864, in vielen verschiedenen Vereinen ab (.).“20 Erwahnt sei an dieser Stelle aber auch, dass diese nicht selten unter Repressionen seitens der preuBischen Behörden litten.21 Bereits hier bildete sich somit eine erste institutionalisierte danische Minderheit im Staate PreuBen.

Im Zuge der Reichsgründung und des damit verbundenen enormen wirtschaftlichen Aufschwungs, der auch Schleswig und besonders die Stadte wie Flensburg erreichte, kamen vermehrt Industriearbeiter in die Stadte. Sie brachten die Ideen der Sozialdemokratie und auch das Klassenbewusstsein mit. In Flensburg kam es dazu, dass sich im Zuge dieser Sozialdemokratisierung der Arbeiter, auch die danischen Arbeiter eher dem Klassenkampf als dem Nationalbewusstsein und dem damit verbunden Kampf um die Zugehörigkeit zum danischen Nationalstaat zuwendeten. Die danische Bewegung verlor somit viele Anhanger an die Sozialdemokratie und versuchte, mit eigenen Institutionen für Arbeiter innerhalb ihrer vornehmlich politischen Bewegung, dieser Entwicklung entgegenzuwirken.22

Nach dem Ende des ersten Weltkrieges, in dem auch viele Danen aus Nordschleswig für das Deutsche Reich kampften, gab es eine neue Situation für Nordschleswig. Mit dem Eintritt der USA in den Krieg legte der amerikanische Prasident Wilson seine 14 Punkte als Friedensprogramm vor. Diese enthielten unter anderem das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Nachdem Deutschland am 4. Oktober 1918 den Waffenstillstand ersuchte, nahmen die Nordschleswiger dies‘ zum Anlass, eine Volksabstimmung über die zukünftige Grenzziehung zu fordern.23 Unter Aufsicht einer internationalen Kommission wurde die Region Schleswig in zwei Abstimmungsregionen unterteilt, in denen im Marz 1920 über die zukünftige nationalstaatliche Zugehörigkeit abgestimmt wurde. Die nördliche Abstimmungszone sprach sich mit 74,2 Prozent für die Zugehörigkeit zu Danemark, die südliche mit 82,2 Prozent für den Verbleib in Deutschland aus. Auf dieser Grundlage zog die internationale Kommission die neue Grenze zwischen Deutschland und Danemark, wie sie bis heute besteht.24

Nach dem ersten Weltkrieg, der Europas Landkarte neu ordnete und viele nationale Minderheiten entstehen lieB, war auch Deutschland gezwungen, seine Minderheiten- politik zu überdenken. In der Verfassung der Weimarer Republik wurde mit Artikel 113 eigens ein Artikel zum Umgang mit den fremdsprachigen Volksteilen‘ eingeführt. Er besagte, dass diese durch Gesetz und Verwaltung nicht in der Ausübung ihrer volkstümlichen Entwicklung oder der Ausübung ihrer Sprache in Schule, Verwaltung und Rechtsprechung eingeschrankt werden dürften.25 Die neuen Verhaltnisse der Weimarer Republik erlaubten nunmehr ein offenes und organisiertes Minderheitenleben südlich der Grenze. Es fand seinen Ausdruck in zahlreichen Vereinen, Schulen, Bibliotheken, Festen und eigener Presse.26

Unter den Nationalsozialisten, die 1933 in Deutschland an die Macht kamen, blieben die Befürchtungen der danischen Minderheit vor erneuten Repressionen zunachst unbegründet. Die Berliner Nationalsozialisten gewahrten der danischen Minderheit oftmals mehr Freiheiten als führende schleswig-holsteinische NS-Parteikader forderten. Erst im Zuge der Gleichschaltung wurde die institutionalisierte Arbeit der Minderheit erschwert und die Repressionen seitens der lokalen Behörden nahmen zu.27 Die Aktivitaten der Minderheit überdauerten jedoch auch den zweiten Weltkrieg und lieBen die Minderheit naher zusammenrücken. Auch im zweiten Weltkrieg starben ca. 250 Angehörige der danischen Minderheit in deutschen Uniformen.28

Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges nahrte die Niederlage Deutschlands erneut den Wunsch vieler Danen in Südschleswig, in den danischen Nationalstaat aufgenommen zu werden.29 Hinzu kam, dass die Minderheit einen starken Zulauf zu verzeichnen hatte, der aus unterschiedlichen Gründen erfolgte. Dieser wird in der Literatur auf einige mögliche Gründe zurückgeführt. Genannt seien an dieser Stelle jedoch lediglich die kurzfristigen materiellen Vorteile, die die Mitglieder der Minderheit durch die ,Südschleswighilfe‘ von Seiten des danischen Staates erfuhren.30 Man geht davon aus, dass bei Kriegsende etwa 4.000-6.000 Menschen der Minderheit angehörten, um 1947/48 jedoch mehr als 120.000 Menschen in Schleswig danisch gesinnt waren.31 Der starke Zulauf zur Minderheit schien den Wunsch nach einem Anschluss an Danemark zu unterstreichen und schlug sich zunachst auch in den ersten Kommunalwahlen im Oktober 1946 und den Landtagswahlen im April 1947 nieder, bei denen danische Kandidaten eine groBe Stimmenzahl auf sich vereinen konnten.32 Die britische Besatzungsmacht lieB die Grenze jedoch unangetastet. Allerdings kam sie dem Wunsch des danischen Königs nach, den „(...) staatsrechtlich bindenden Status für die danische Minderheit in einem zukünftigen deutschen Staat (...)“33, einzubringen. Dieser schlug sich in der Kieler Erklarung vom 26. September 1949 nieder, die im Rahmen der Verhandlungen zur neuen schleswig-holsteinischen Landesverfassung abgegeben wurde. Hierin versicherte die Landesregierung der danischen Minderheit insbesondere das freie Bekenntnis zur Minderheit sowie die Verankerung der verfassungsmaBigen Grundrechte für die Minderheit laut des gerade in Kraft getretenen Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland.34 Die politische Vertretung der Minderheit oblag zunachst dem Sydslesvigsk Forening (SSF).35 Da die britische Besatzungsmacht allerding von den Mitgliedern politischer Parteien einforderte, deutsche Staatsbürger zu sein und nicht alle Mitglieder des SSF Mitglied einer politischen Partei sein wollten, gründete man im Sommer 1946 den SSW als politische Partei, die fortan neben dem SSF existierte.36 Auf die Geschichte des SSW wird im folgenden Kapitel naher eingegangen.

Nach einem Regierungswechsel an der Spitze des Landes Schleswig-Holstein übernahm Friedrich Wilhelm Lübke, der bereits als einfacher Abgeordneter des Landtages der danischen Minderheit nicht immer wohlgesonnen gegenüberstand, im Jahr 1951 das Ministerprasidentenamt.37 Die harte Linie gegenüber der danischen Minderheit mündete in der Anhebung der Sperrklausel von 5% auf 7,5%, um den SSW aus dem Landesparlament herauszuhalten. Diese Gesetzesanderung hielt vor dem Bundesgerichtshof jedoch nicht stand. Dennoch ging der Stimmanteil des SSW derart zurück, dass sie 1954 kein erneutes Mandat für den Landtag erreichen konnten.38 Vor diesem Hintergrund der politischen Unterreprasentation der Minderheit im Schleswig- Holsteinischen Parlament setzte sich Danemark für eine Lösung dieses Problems ein. Da Deutschland zu diesem Zeitpunkt um eine NATO-Mitgliedschaft bemüht war und ein danisches Votum gegen den Beitritt der Bundesrepublik verhindern wollte, übernahm die Bundesregierung um Kanzler Adenauer die Verhandlungen mit Danemark zu dem zukünftigen Status der beiden nationalen Minderheiten. Die Verhandlungen mündeten in einer unilateralen Erklarung beider Seiten über die grundlegenden Rechte der jeweiligen Minderheiten. Die Bonner Erklarung, die durch Kanzler Adenauer und die Kopenhagener Erklarung, die durch Ministerprasident H.C. Hansen am 29. Marz 1955 unterzeichnet wurden, enthielt unter anderem die Festschreibung der Gesinnungsfreiheit, die besagt, dass die Zugehörigkeit zur Minderheit von Behörden nicht überprüft oder angezweifelt werden darf. Zudem wurde die Absicht erklart, die danische Minderheitspartei von der 5%-Hürde bei Landtagswahlen in Schleswig-Holstein zu befreien. Hinzu kamen Regelungen zur Schulförderung und Durchführung von Abschlussprüfungen.39 Die Bonn-Kopenhagener Erklarungen legten somit den Grundstein für ein neues Dasein der danischen Minderheit in Schleswig-Holstein. Sie ist bis heute die Basis jeglicher Entwicklungen und Gesetzgebungen der Minderheitenpolitik und -arbeit in Schleswig- Holstein.

Von dieser Basis aus normalisierte sich das Verhaltnis zwischen Minderheits- und Mehrheitsbevölkerung bis heute zunehmend, auch wenn die Minderheit ihre Geleichberechtigung in einzelnen Bereichen immer wieder erstreiten musste. Die Vereine, Schulen und Institutionen der danischen Minderheit haben bis heute Bestand.40 Auch die Mitgliederstruktur der danischen Minderheit veranderte sich fortwahrend und wird im Jahr 2011 auf etwa 50.000 Mitglieder geschatzt.41

3.2 Der Südschleswigsche Wahlerverband - SSW

Nachdem die britischen Besatzungsbehörden im Jahr 1947 mitteilten, dass die danische Minderheit ihre politische Vertretung neu organisieren und von dem SSF loslösen müsse, wurde im Jahr 1948 der Südschleswigsche Wahlerverband, kurz SSW, gegründet. „Es sollte (...) eine Vereinigung danischer und nationalfriesischer Südschleswiger mit gleicher politischer Zielsetzung sein.“42 Die Hauptforderung im damaligen Programm war die Schaffung eines Landes Südschleswig. Der implizit erhoffte Anschluss an Danemark durfte nicht offen formuliert werden und sollte durch die Umsetzung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker erzielt werden.43 Der SSW war in den ersten beiden Landtagen des Landes Schleswig-Holstein mit sechs bzw. vier Mitgliedern vertreten, die die im Programm formulierten Forderungen mit Nachdruck in die Debatten einbrachten.44 Auch im ersten Bundestag der Bundesrepublik Deutschland war der SSW mit einem Abgeordneten vertreten, der die politischen Forderungen auch in den Bonner Bundestag einbrachte. Der gröBte Erfolg des dortigen Abgeordneten Hermann Clausen war die Mitarbeit am Bundeswahlgesetz von 1953, in dem er die Befreiung der Parteien nationaler Minderheiten von der 5%-Hürde durchsetzte.45 Dies blieb die letzte Wahlperiode, in der der SSW in einem deutschen Bundestag vertreten war. Eine innerparteiliche Debatte um eine erneute Kandidatur zum deutschen Bundestag in den 90er Jahren wurde auf einem auBerordentlichen Parteitag 1998 abgelehnt.46 Seit 1965 besteht jedoch ein Kontaktausschuss aus drei Vertretern des SSW, Vertretern des Bundesinnen- ministeriums, jeweils zwei Vertretern aller im Bundestag vertretenen Parteien und einem Vertreter der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung. Dieser Kontaktausschuss ermöglicht der danischen Minderheit somit auch weiterhin die Artikulation ihrer Interessen auf Bundesebene.47

Bei der Landtagswahl 1954 konnte der SSW nicht die notwendigen 5% erreichen. Da die deutsche Minderheit in Danemark zur gleichen Zeit mit 9.700 Stimmen ein Mandat für das Folketing erlangen konnte, die danische Minderheit mit 42.000 Stimmen in Südschleswig jedoch kein Mandat für das Schleswig-Holsteinische Landesparlament, wurde dieses Thema besonders in der danischen Öffentlichkeit publik. Der SSW forderte daraufhin zumindest die Schaffung eines rede-, aber nicht stimmberechtigten Beirates für die Minderheit im Kieler Landtag. Die Landesregierung lehnte dies‘ zunachst ab, befürwortete einen solchen Ausschuss aber, nachdem die Bundesregierung ihre Verhandlungen mit Kopenhagen bezüglich der Minderheitenfrage aufgenommen hatte.48 Aus diesen Verhandlungen ging die Bonner Erklarung vom 29.03.1955 hervor, wodurch der SSW zur Landtagswahl 1958 von der 5 % Hürde befreit wurde, erneut in den Landtag einziehen konnte und fortan Fraktionsstatus erhielt, um sich für die Belange der Minderheit einzusetzen.49

In den 1960ern stellte sich der SSW programmatisch und personell neu auf. Mit Karl Otto Meyer, der von 1960 bis 1975 der Partei vorsaB und von 1971 bis 1996 für den SSW im Landtag saB, bekam die Partei ein neues Gesicht. Auch die programmatische Neuaufstellung der Partei sollte dazu beitragen.50 So wurde 1966 ein neues Rahmenprogramm aufgelegt, in dem sich die Partei zukünftig als ,politische Vertretung der danischen und national-friesischen Bevölkerung im Landesteil Schleswig‘ verstand und die ,Verwirklichung einer demokratischen Lebens- und Gesellschaftsform nach nordischem Vorbild‘ erstrebte.51 Von einem Anschluss an Danemark war fortan in den Programmen keine Rede mehr. Im Jahr 1981 setzte die Partei dann zum ersten Mal konkrete politische Ziele in definierten Politikfeldern in ihrem Programm fest. Im Fokus standen vor allem Umwelt- und soziale Gesellschaftsfragen. Die Entwicklung hin zu einer Programmpartei, bei gleichzeitiger ausdrücklicher Selbstdefinition als Minderheiten- und Regionalparte für den Landesteil Schleswig, setzt sich auch 1999 fort, als in dem neuen Parteiprogramm weitere konkrete Ziele aufgenommen werden, die der bisherigen Linie treu bleiben.52 Die Entwicklung hin zur Programmpartei setzt sich bis heute fort. So stellte der SSW in seinem Wahlprogramm zur letzten Landtagswahl im Jahr 2017 zahlreiche konkrete Forderungen in verschiedenen Politikfeldern auf, die sich auf das gesamte Land Schleswig-Holstein beziehen.53

Unter der SPD-geführten Landesregierung unter Ministerprasident Björn Engholm ab 1988 war der SSW zum ersten Mal an der Gesetzgebung des Landes beteiligt. Der SSW wirkte aktiv an der neuen Landesverfassung des Jahres 1990 mit und brachte vor allem plebiszitare Elemente, den Minderheitenartikel und Initiativen zu regenerierbaren Energien mit ein. Auch darüber hinaus stand der SSW der SPD, aber auch der darauf- folgenden rot-grünen Landesregierung ab 1996 wohlwollend, aber nicht unkritisch gegenüber. „Programmatisch lag der SSW naher an der SPD und den Grünen, bedingt vor allem durch die ,sozialdemokratischere‘ Auspragung der danischen Gesellschaft mit ihren Vorstellungen u.a. von Chancengleichheit und Wohlfahrtsstaat.“54

Seit 2000 ist der SSW im Zuge der Wahlrechtsreform hin zum Zweistimmen-Wahlrecht, auch auBerhalb des Landesteils Schleswig, also in gesamt Schleswig-Holstein, bei Landtagswahlen wahlbar.55 Über diese Neuregelung konnte die Partei ihren Stimmenanteil bei der Landtagswahl 2000 von 38.285 auf 60.367 Stimmen steigern. Dieses Niveau konnte der SSW auch bei den kommenden Landtagswahlen halten und trat nach den Landtagswahlen 2012 erstmals in eine Regierungskoalition des Landes Schleswig-Holstein ein. Gemeinsam mit SPD und Grünen regierten sie das Land bis 2017 und stellten erstmals in ihrer Geschichte eine Ministerin. Anke Spoorendonk vom SSW war in diesem Kabinett Ministerin für Justiz, Kultur und Europa.56 Mit dem Eintritt in eine Regierungskoalition des Landes Schleswig-Holstein hatte der SSW nunmehr auch eine bundespolitische Rolle zu tragen, da er als Mitglied der Landesregierung im Bundesrat vertreten war.

Neben der landespolitischen ist der SSW wahrend seiner gesamten Geschichte, vor allem auf der kommunalpolitischen Ebene im Landesteil Schleswig aktiv. Besonders in den Nachkriegsjahren war die Arbeit auf dieser Ebene jedoch haufig von Misstrauen und Blockadehaltung der anderen Parteien gepragt. Seit den Kommunalwahlen 1998 ist der SSW auch im Landesteil Holstein vermehrt bei Kommunalwahlen angetreten.57 Aktuell ist der SSW in 70 Ortsverbanden in den vier Kreisen Nordfriesland, Flensburg, Schleswig-Flensburg und Rendsburg-Eckernförde organisiert.58 „Der SSW ist im Landesteil Schleswig in vielen Gemeinden vertreten. 175 Kommunalpolitiker des SSW arbeiten in den Vertretungen von 76 Gemeinden und kreisangehörigen Stadten mit. Vor allem in den grenznahen Kommunen steht der SSW stark. Dort vertreten wir bis zu 40 % der Wahlerinnen und Wahler“59 Auf der kommunalen Ebene können die Gemeinde- und Stadtvertreter das Leben vor Ort durch aktive Mitarbeit im Sinne des SSW mitgestalten. Somit stellen die Mandatstrager des SSW auf dieser Ebene die zahlenmaBig gröBte politische Interessenvertretung der danischen Minderheit dar.

Zusammenfassend lasst sich der SSW somit als Regionalpartei ansehen, deren programmatische Aufstellung sich im Laufe der Zeit jedoch stets an den Herausforderungen und politischen Konjunkturen der Zeit orientiert hat. Die programmatische Aufstellung war und ist stets am Selbstverstandnis der Partei als politische Meinungsvertretung der danischen und friesischen Minderheit in Schleswig- Holstein orientiert. Der SSW ist dabei durchaus zur konstruktiven Mitarbeit an politischen Projekten und Regierungen im Rahmen ihrer programmatischen Zielsetzung und somit inhaltlichen Nahe zu vermeintlichen Partnern bereit.

4. Theoretischer Zugang

Um der in der Fragestellung aufgestellten Hypothese nach der Identitatsbildung innerhalb einer Minderheit nachzugehen, sollen im Folgenden die theoretischen Zugange, die dafür notwendig sind, erörtert werden. Identitats- und Minderheitenbegriff sollen im Kontext der Fragestellung anhand von wissenschaftlichen Beitragen und eigenen, begründeten Überlegungen in einem Umfang ausgeführt werden, in welchem sie dieser Arbeit als Analysekategorie dienlich sind.

4.1 Identitat(en)

Der Begriff der Identitat stellt in dieser Arbeit die zentrale Analysekategorie dar. Es soil erörtert werden, welche Rolle eine Partei bei der Identitatsbildung einer nationalen Minderheit spielen kann, weshalb der Begriff der Identitat zu klaren ist. Katharina Schuchardt, die in ihrer Dissertation die Lebenswelt der deutschen Minderheit in Polen untersuchte, drückte es wie folgt aus:

„Die Lebenswelt der deutschen Minderheit zu erforschen bedeutet, identitatsbildende Interaktionen und Handlungen in den Blick zu nehmen und als sich im Moment der Aushandlung konstituierende Krafte zu erfassen, die sich situativ erklaren und indirekt erschlossen werden müssen.“60

Als Forschungskategorie ist der Identitatsbegriff als solcher jedoch nicht unumstritten.

„Seine Nützlichkeit kann sich nur in konkreten Untersuchungsfeldern erweisen, um vor allem dort, wo Eigen- und Fremdbilder entworfen und benutzt werden, zu erklaren, wie diese kulturell aufgebaut und legitimiert sind und welche politisch- strategische Bedeutung ihnen als Diskursformation zukommt.“61

Im Sinne dieser Einschrankung soll dieser Begriff im Folgenden in seiner wissenschaftlichen Rezeption und Entwicklung erlautert und im Sinne des Forschungsinteresses dieser Arbeit, unter der Einbeziehung eigener Überlegungen, definiert werden.

Der Begriff und Untersuchungsgegenstand der Identitat hat in den vergangenen Jahrzenten interdisziplinar im Bereich der Forschung vermehrt Konjunktur. Sowohl in der Philosophie, der Psychologie als auch in der Soziologie und den Kulturwissenschaften ist der Begriff vielfach Gegenstand oder Teil wissenschaftlicher Forschungen und Analysen. Zurückzuführen ist das gestiegene Forschungs- und Erkenntnisinteresse am Gegenstand der Identitat auf die im Zuge der Globalisierung und Europaisierung schwindenden und an Attraktivitat verlierenden, zumeist raumlich orientierten, übergeordneten und homogenen Identitatsangebote.62 Dieser Prozess soll an spaterer Stelle genauer dargestellt werden.

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Identitat erreichte in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts, gemessen an der Zahl deutschsprachiger, wissenschaftlicher Publikationen zu dem Thema, einen Höhepunkt. Anhand dieser Konjunktur lasst sich somit auch eine gestiegene Notwendigkeit der wissenschaftlichen Beschaftigung mit diesem Begriff suggerieren, die aus gesellschaftlichen und politischen Veranderungen der Zeit eine ,Identitatsfrage‘ entstehen lasst.63 So spricht Hermann Bausinger bereits in den 1970er Jahren von dem inflationaren Gebrauch des Wortes

Identitat und verortet diesen bereits darin, dass die Identitat zu einem Problem geworden sei.64

„Der Begriff verkörpert, soweit die Konnotationen im Einzelnen auseinander laufen mögen, ein Moment von Ordnung und Sicherheit inmitten des Wechsels; und sein besonderer Reiz liegt dabei darin, dass er nicht eigentlich die Bedeutung von Starrheit oder Erstarrung vermittelt, sondern dass er verhaltnismaBig elastisch etwas Bleibendes in wechselnden Konstellationen anvisiert.“65

Damit spricht Bausinger bereits ein entscheidendes Merkmal des Identitatskonzeptes an, das in der Wissenschaft vorrangig verwendet wird. Identitat besitzt Prozesscharakter. Sie ist zu keinem Zeitpunkt endgültig und unterliegt standig neuen Aushandlungsprozessen. Es geht dabei um Positionierungen, Vergewisserung und Reprasentationen des Individuums oder des Kollektivs.66 Identitat meint dabei zugleich ein Ich- und ein Wir- Sein. Die individuellen, wie kollektiven Identitaten sind dabei nicht identisch, sondern vielmehr zwei "(...) sich ineinander verschrankende Bedeutungsdimensionen von Selbstsein und Dazugehören."67

Identitat ist somit ein Prozess, der durch vielerlei Faktoren beeinflusst wird und letztendlich sowohl ein Selbst-Sein als auch die Darstellung des Selbst nach auBen hin beinhaltet. Man kann sie also auch als steten Aushandlungsprozess von Selbst- und Fremdbildern definieren.68 Identitat als solches entsteht somit vornehmlich aus der Abgrenzung zu dem Anderen. Besonders lasst sich dies‘ in Zeiten der zunehmenden Indi- vidualisierung beobachten, die vornehmlich auf dem Identitatsbegriff aufbaut und die vermeintliche Abgrenzung gegenüber dem Anderen, oder allgemeinen ,Mainstream‘, in den Mittelpunkt stellt. Hierbei gilt es Alleinstellungsmerkmale für sich zu reklamieren, die ein bewusstes Ich erschaffen, sowohl in der Selbstwahrnehmung als auch in der AuBendarstellung des Selbst. Diese Individualisierungsprozesse der Identitat sind jedoch nicht frei von eben jenen bereits genannten kulturellen und sozialen Einflüssen, die unser Handeln und Denken, auch in den Fragen der Eigen- und Fremdwahrnehmung, tragen.

„Aus all dem wird deutlich, dass Identitat also nichts 'für sich' Existentes ist, sondern stets auf soziale Reaktionen und kulturelle Interpretationen verweist; sie konstituiert sich überhaupt erst durch die Bezugnahme auf Anderes.“69

Ausgehend davon, dass sich die Identitat auf Anderes bezieht, benötigt die Identitat somit stets einen Orientierungspunkt, an dem sich diese Übereinstimmung oder mangelnde Übereinstimmung, festmachen lasst. Diese Orientierungspunkte waren über einen langen Zeitraum hinweg vornehmlich Religionen und spater Nationen, die eine Homogenisierung ihrer Anhanger anstrebten, indem sie mit Symbolen, Narrativen, Gesetzen, Architektur und sinngebenden VerheiBungen die Lebenswelt und den Alltag der Menschen dominierten und damit auch Orientierungspunkte für ihr Selbst- sowie Fremdbild schufen. Im Zuge der Aufklarung verliert zunachst der religiöse Glaube zunehmend an Bedeutung für die Identifikationsprozesse der Menschen. Im weiteren Verlauf der Geschichte verlor aber auch der Einfluss der Nationalstaaten zunehmend an Bedeutung für die Identitat der Menschen, da im Zuge der westlichen liberalen Demokratisierung Massenmediatisierung, Globalisierung und Europaisierung eine Vielzahl von neuen und grenzübergreifenden Identitatsangeboten geschaffen wurden. Es stehen sowohl Religionen als auch Nationen und ihre Ressourcen zur Identitatsbildung weiter zur Verfügung und haben auch weiterhin einen starken Einfluss auf die Identitatsbildung vieler Menschen. „Die Identitatsfrage resultierte historisch aus der Auflösung der Gemeinschaften, die Individuen in die Freiheit entlieBen, die nun gezwungen waren, sich selbst zu definieren.".70 Demgegenüber sind im Zuge der Globalisierung und technischen Errungenschaften im Bereich des Multimedialen grenz- überschreitende, neue Ressourcen zur Identitatsbildung geschaffen worden. Somit stehen Individuen vor der Herausforderung, sich im prozesshaften Charakter der Identitats- bildung stetig neue Ressourcen zur Identitatsbildung aneignen zu können und aus der Vielzahl der Angebote eine aus ihrer Wahrnehmung konsistente Identitat zu schaffen. Dabei sei gesagt, dass diese nie zeitlich konsistent und stets fluide im Sinne der Prozesshaftigkeit des Identitatskonzeptes anzusehen ist.

Der Begriff der Identitat ist somit ein beschreibender Begriff des Prozesses der Schaffung eines Selbst- nach innen wie nach auBen.

[...]


1 Vgl.: Kühl, J0rgen: Minderheiten und ihr „Mutterland“. Nationale Identifikationen über die Grenzen. In: Rheinheimer, Martin (Hrsg.): Grenzen in der Geschichte Schleswig-Holsteins und Danemarks. Neumünster 2006, S. 387-404.

2 Vgl.: Kühl, J0rgen: Nationale Minderheiten in der deutsch-danischen Grenzregion. In: In: Prescher, Ralf; Leistner, Ken J. (Hrsg.): Minderheiten für Europa. Condito sine qua non einer gemeinsamen Identitat? Hamburg 2009, S. 103-132.

3 Vgl.: Kühl, J0rgen; Bohn, Robert (Hrsg.): Ein europaisches Modell? Nationale Minderheiten im deutsch- danischen Grenzland 1945-2005. Bielefeld 2005.

4 Klatt, Matin; Kühl, J0rgen: SSW - Minderheiten- und Regionalpartei in Schleswig-Holstein. Flensburg 1999.

5 Vgl.: Jebsen, Nina: Leben in der Minderheit. Eine empirische Untersuchung zur Identitatskonstruktion der deutschen Minderheit in Danemark, In: Kieler Blatter zur Volkskunde 40, 2008. S. 119-153.

6 Göttsch-Elten, Silke: Deutsch oder Danisch. Kulturelle Vielfalt als nationale Differenz in der Grenzregion Schleswig, In: Horatschek, Anna Margaretha; Pistor-Hatam, Anja (Hrsg.): Identitaten im Prozess. Region, Nation, Staat, Individuum. Berlin 2016. S. 150-165.

7 Schuchardt, Katharina: Zwischen Berufsfeld und Identitatsangebot. Zum Selbstverstandnis der deutschen Minderheit im heutigen Opole/Oppeln, In: Kieler Studien zur Volkskunde und Kulturgeschichte Bd. 13. Münster 2018.

8 Christiansen, Arthur: Die Selbstverstandlichkeit eines gleichberechtigten politischen Mandats für den SSW aus interkultureller Sich. Eine Dokumenten- und Quellenanalyse aus Anlass der parteipolitischen Auseinandersetzungen über die Bildung der Landesregierung in Schleswig-Holstein nach der Landtagswahl am 20. Februar 2005. Tönning 2006.

9 Vgl.: Rheinheimer, Martin: Grenzen und Identitaten im Wandel. Die deutsch-danische Grenze von der Frühzeit bis heute. In: Rheinheimer, Martin: Grenzen in der Geschichte Schleswig-Holsteins und Danemarks. Neumünster 2006, S. 35.

10 Vgl.: Reinheimer 2006, S. 36f

11 Das Riepener Privileg legte ursprünglich nur fest, dass Ritter der beiden Herzogtümer in innerem Landfrieden miteinander auskommen sollten. Die Rezeption der Aussage „dat se blieven ewich tosamende ungedelt“ in der Schleswig-Holsteinische Bewegung im 19ten Jahrhundert, um die Zusammengehörigkeit beider Herzogtümer zu begründen, ist somit historisch nicht korrekt. Siehe hierzu: Rheinheimer 2006, S. 37.

12 Vgl.: Dose, Inken: Nationale Minderheiten im Ostseeraum. Geschichte und Gegenwart, Identitat und territoriale Anbindung. Berlin 2011, S.83.

13 Vgl.: Henningsen, Lars N.: Unter Danemark, In: Henningsen, Lars n.: Zwischen Grenzkonflikt und Grenzfrieden. Die danische Minderheit in Schleswig-Holstein in Geschichte und Gegenwart. Flensburg 2011, S.33f.

14 Vgl.: ebd., S. 34ff.

15 Vgl.: Dose 2011, S. 84.

16 Vgl.: Henningsen 2011, S. 38ff.

17 Vgl.: ebd., S. 44f.

18 Vgl.: Dose 2011, S.84.

19 Rasmussen, René: Unter PreuBen, In: Henningsen, Lars n.: Zwischen Grenzkonflikt und Grenzfrieden. Die danische Minderheit in Schleswig-Holstein in Geschichte und Gegenwart. Flensburg 2011, S. 53f.

20 Ebd., S. 58.

21 Vgl.: Rasmussen 2011, S. 58f.

22 Vgl.: ebd., S. 70f.

23 Vgl.: ebd., S. 76f.

24 Vgl.: Dose 2011, S. 86.

25 Vgl.: Rasmussen 2011, S. 90ff.

26 Vgl.: ebd., S. 113ff.

27 Vgl.: Rasmussen 2011, S. 120ff.

28 Vgl.: ebd., S. 137ff.

29 Vgl.: Klatt, Martin: Wiedervereinigung oder Minderheit 1945-1955, In: Henningsen, Lars n.: Zwischen Grenzkonflikt und Grenzfrieden. Die danische Minderheit in Schleswig-Holstein in Geschichte und Gegenwart. Flensburg 2011, S. 144.

30 Vgl.: Klatt, Martin: Die danische Minderheit in Schleswig-Holstein 1945-1955. Heimatbewegung - Speckdanen -Flüchtlingsfeinde?, In: Kühl, J0rgen; Bohn, Robert (Hrsg.): Ein europaisches Modell? Nationale Minderheiten im deutsch-danischen Grenzland 1945-2005. Bielefeld 2005, S. 111f.

31 Vgl.: Kühl 2009, S. 109f.

32 Vgl.: Klatt 2011, S. 168ff.

33 Dose 2011, S. 88f

34 Vgl.: ebd.

35 Vgl.: Klatt 2011, S. 166f.

36 Vgl.: ebd., S. 171ff.

37 Vgl.: ebd., S. 191f.

38 Vgl.: ebd., S. 198.

39 Vgl.: Klatt 2011, S. 202ff. sowie: Dose 2011, S. 90f.

40 Vgl.: Kühl, J0rgen: Von der Abgrenzung zum Miteinander 1955-2010, In: Henningsen, Lars n.: Zwischen Grenzkonflikt und Grenzfrieden. Die danische Minderheit in Schleswig-Holstein in Geschichte und Gegenwart. Flensburg 2011, S. 258 ff.

41 Vgl.: Kühl 2011, S. 276.

42 Klatt; Kühl 1999, S. 5.

43 Vgl.: ebd.

44 Vgl.: ebd., S. 6.

45 Vgl.: Klatt; Kühl 1999, S. 10f.

46 Vgl.: ebd., S. 33.

47 Vgl.: ebd., S. 21.

48 Vgl.: ebd., S. 14.

49 Vgl.: ebd., S. 19f.

50 Vgl.: ebd., S. 24f.

51 Vgl.: ebd., S. 39f.

52 Vgl.: Klatt; Kühl 1999, S. 39f.

53 Wahlprogramm des SSW zur Landtagswahl in Schleswig-Holstein am 07. Mai 2017, http://www.ssw.de/fileadmin/user_upload/SSW2017_ohne_ZeilenNr.pdf, 27.04.2019.

54 Klatt; Kühl 1999, S. 29.

55 Vgl.: ebd., S. 32.

56 Vgl.: http://www.ssw.de/de/die-partei/geschichte.html, 27.04.2019.

57 Vgl.: Klatt; Kühl 1999, S. 34f.

58 Vgl.: Infoflyer „Wie funktioniert der SSW“: http://www.ssw.de/fileadmin/_migrated/pics/ssw- folder_funktioniertssw.pdf, 30.04.2019.

59 Ebd.

60 Schuchardt 2018, S. 59.

61 Kaschuba, Wolfgang: Einführung in die Europaische Ethnologie. München 2012, S. 139.

62 Vgl.: Jebsen 2008, S. 124.

63 Vgl.: Jebsen 2008, S. 124.

64 Vgl.: Bausinger, Hermann; Jeggle, Utz; Korff, Gottfried; Scharfe, Martin: Grundzüge der Volkskunde. Darmstadt 1999, S. 204.

65 Bausinger 1999, S. 204.

66 Vgl.: Jebsen 2008, S.125.

67 Kaschuba 2012, S. 134.

68 Vgl.: ebd., S. 136.

69 Kaschuba 2012, S. 138.

70 Kaufmann, Jean-Claude: Die Erfindung des Ich. Eine Theorie der Identitat. Konstanz 2005, S. 62, nach: Jebsen 2008, S. 124 f.

Ende der Leseprobe aus 62 Seiten

Details

Titel
Die Rolle des Südschleswigschen Wählerverbands für die Identitätsbildung der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Note
1,7
Autor
Jahr
2019
Seiten
62
Katalognummer
V906927
ISBN (eBook)
9783346223845
ISBN (Buch)
9783346223852
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit wurde Interdisziplinär in der Politikwissenschaft und der Europäischen Ethnologie/Volkskunde geprüft.
Schlagworte
rolle, südschleswigschen, wählerverbands, identitätsbildung, minderheit, schleswig-holstein
Arbeit zitieren
Finn-Ole Höpner (Autor:in), 2019, Die Rolle des Südschleswigschen Wählerverbands für die Identitätsbildung der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/906927

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die Rolle des Südschleswigschen Wählerverbands für die Identitätsbildung der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden