Die Digitalisierung in der Versicherungswirtschaft. Chancen und Risiken einer digitalen Gesundheitsplattform


Bachelorarbeit, 2018

85 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

II Abbildungsverzeichnis

III Tabellenverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung
1.3 Vorgehensweise

2 Theoretische Grundlagen
2.1 Vom Produkt zur digitalen Plattform
2.2 Charakteristika und Schlüsselfaktoren von Plattformen
2.2.1 Netzwerkeffekte
2.2.2 Hohe Skalierbarkeit
2.2.3 Niedrige Transaktionskosten und günstige Grenzkosten
2.3 Die deutsche Gesundheitswirtschaft – Allgemeine Struktur und Trends
2.3.1 Der erste und der zweite Gesundheitsmarkt
2.3.2 Ineinandergreifen des ersten und zweiten Gesundheitsmarktes
2.4 Die elektronische Gesundheitsakte – Status Quo

3 Die Zukunft des deutschen Gesundheitswesens
3.1 Vom passiven Patienten zum Gesundheitskonsumenten
3.2 In Deutschland entsteht ein Gesundheitsökosystem
3.3 Positive Netzwerkeffekte im Gesundheitsökosystem
3.4 Vom produktorientierten zum kundenzentrierten Versicherer
3.5 Wettbewerbslösung vs. zentrales Politikum

4 Fallstudienorientierte Analyse anhand von quantitativen und qualitativen Experteninterviews
4.1 Forschungsmethodik
4.2 Ergebnisse
4.3 Interpretation

5 Fazit

6 Literaturverzeichnis

7 Anhangsverzeichnis

Zusammenfassung

Die vorliegende Bachelorarbeit behandelt die aktuell kontrovers diskutierte Thematik der elektronischen Gesundheitsakte (eGA) und analysiert die Chancen und Risiken einer digitalen Gesundheitsplattform im deutschen Gesundheitswesen.

Nachdem das zentral von der Politik gesteuerte Projekt der elektronischen Gesundheitskarte heute von vielen Experten als gescheitert eingeschätzt wird, haben Versicherer in den letzten Jahren das Heft in die eigene Hand genommen und im Laufe diesen Jahres nach und nach ihre eigenen elektronischen Gesundheitsakten am Markt präsentiert. Auffällig ist, dass die Versicherer hierbei vor allem einen plattformorientierten Ansatz bevorzugen und diesbezüglich mit diversen Start-ups aus der Versicherungsszene bzw. mit etablierten IT-Dienstleistern, wie z.B. Vivy oder IBM, kooperieren, um den Schritt in ein digitales Gesundheitsökosystem zu meistern.

Die eGA verspricht in erster Linie eine nahtlose Vernetzung der verschiedenen Akteure im deutschen Gesundheitswesen und bietet einen großen Nutzen, wenn es darum geht, Ressourcen zu bündeln und einen Gebrauchsnutzen für den Kunden zu kreieren. Dadurch können vor allem Versicherer den Schritt vom produktorientierten zum kundenzentrierten Ansatz bewältigen und neuartige Lösungen und Services rund um die Bedürfnisse des Kunden aufbauen. Der Weg zur verstärkten Kundenzentrierung ist zukünftig für die Versicherungsbranche unausweichlich, da der heutige Versicherte bzw. Patient durch die stetige Digitalisierung und das Internet immer wissbegieriger und besser informierter ist.

Zudem hat sich das Thema Gesundheit in den letzten Jahren merklich zu einem Megatrend entwickelt und steht heute im absoluten Mittelpunkt des Menschen. Um mit Ernährung, Reisen, Arbeitsumfeld, Prävention oder Self-Tracking nur einige Schlagworte zu nennen – es ist absolut unstrittig, dass das Gesundheitsbewusststein mittlerweile weit über das bloße „sich-gut-fühlen“ oder „sich-schlecht-fühlen“ hinausgeht. Somit wird es zunehmend zu einer fortschreitenden Demokratisierung der Gesundheit kommen und gerade Leistungserbringer und Versicherer müssen sich diesbezüglich auf mögliche Verschiebungen einstellen.

Fraglich ist, inwieweit im deutschen Gesundheitssystem ein Gesundheitsökosystem entstehen kann und diverse Versicherer, Versicherte und Leistungserbringer produktiv vernetzt werden können. Es müssen die Bedürfnisse aller Akteure berücksichtigt werden, sodass positive Netzwerk- und Skaleneffekte innerhalb des Ökosystems entstehen und neuartige, digitale Lösungen im Gesundheitsmarkt etabliert werden können.

Summary

The following Bachelor Thesis contains the analysis of chances and risks of a digital platform in Germany’s health care business. It especially focuses on the recently launched “elektronische Gesundheitsakte (eGA)”, which is an electronic health record for insurants.

After the so-called “elektronische Gesundheitskarte”, which was a centralized solution by the German politics, failed, insurance companies started their own ways of digitizing the health care business. The eGA is a platform-based-model and is designed by different InsurTechs and well-established IT-providers such as Vivy or IBM. The main goal is to create a health care ecosystem by connecting different participants such as insurer, insurants and health care providers and generate benefits for all parties involved.

Especially insurer have to think about shifting paradigms in terms of changing from a product-oriented to a customer-centered organization. Customer centricity is the key for long lasting success in nowadays business and that is why insurer started to build new digitized business models like the eGA. It bundles resources and creates value in use, which perfectly fits today’s customer needs and provides the opportunity to offer new services and solutions.

Besides that, health is definitely getting a megatrend in these days and more and more people want to know more about their bodies and their health records. It is not just about “feeling good” or “feeling bad”, it is more about an integrated feeling of being happy with his own physical health. That pressures especially insurer and health care providers, because they have to adapt their businesses and services to the changing customer needs.

It is questionable, if it is possible to create a health care ecosystem in Germany’s health care business where different participants are connected efficiently. The most important thing is that each party involved identifies their own additional benefit when it comes to joining such an ecosystem like the eGA. If it is possible to build positive network and scale effects on the basis of a digital platform, it would bring further opportunities with regard to new services and solutions for the customer.

II Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Die Plattform als zentraler Akteur in einem zweiseitigen Markt

Abb. 2: Darstellung der Ergebnisse aus den geschlossenen Fragen

III Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Leitfragen und Leitthesen

1 Einleitung

1.1 Problemstellung

Die digitale Revolution ist allgegenwärtig. Nicht nur der Mensch, der in seinem alltäglichen Leben mit digitalen Produkten und Services konfrontiert wird, steht immer wieder vor neuen Entwicklungen und Herausforderungen. Aus wirtschaftlicher Sicht sind vor allem Unternehmen dazu gezwungen, sich der fortschreitenden Digitalisierung anzupassen und ihre Strukturen, Prozesse und Geschäftsmodelle immer wieder kritisch zu hinterfragen. Es wird darum gehen, digitale Trends und die damit einhergehenden Chancen frühzeitig zu erkennen und erfolgreich ins bestehende Geschäft zu implementieren. Dieser Prozess verlangt agile, interaktive und kollaborative Prozesse und Strukturen, ohne dabei einen negativen Einfluss auf den operativen Betrieb zu nehmen und das alltägliche Geschäft zu behindern.1

Im Zuge der Digitalisierung hat sich in den letzten Jahren das Businessmodell der Plattformökonomie etabliert, was dazu geführt hat, dass neu geschaffene Ökosysteme mit verschiedensten Teilnehmern einen ganzen Markt abbilden. Prominente Unternehmen, wie z. B. Uber, Airbnb, Facebook oder Alibaba, haben das Potenzial solcher Geschäftsmodelle frühzeitig erkannt und für sich nutzen können, um sich als milliardenschwere Internetgiganten zu etablieren. Abgesehen davon haben sie jedoch vor allem den klassisch agierenden Unternehmen deutlich gemacht, dass es heutzutage nicht mehr ausreicht, lediglich eine Produktinnovation am Markt zu platzieren. Aufgrund der technologischen Möglichkeiten werden digitale Transformationen von bestehenden Geschäftsmodellen notwendig, was auch große Auswirkungen auf etablierte Unternehmen haben wird.2 3

Eine Branche, die diesen Anforderungen noch nicht gerecht wird, ist die deutsche Gesundheitswirtschaft. Sie erwirtschaftet etwa 12 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und gehört somit zu den größten deutschen Wirtschaftssektoren. Diverse Studien haben in den vergangenen Jahren jedoch gezeigt, dass die Gesundheitsbranche in Bezug auf den digitalen Fortschritt im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen teilweise deutlich zurückbleibt. Gerade in Bezug auf die voranschreitende Digitalisierung muss das gesamte Gesundheitswesen sich zukünftig die Frage stellen, wie man den Schritt zu zeitgemäßen Geschäftsmodellen gehen möchte. Klassische Geschäftsstrukturen und prozesse müssen kritisch hinterfragt und an die sich verändernden Bedürfnisse der heutigen Kunden, Patienten und Versicherten angepasst werden. In diesem Zusammenhang haben bereits einige Akteure im Gesundheitswesen, in erster Linie vor allem Versicherer, für sich erkannt, dass sie mittelfristig neue und innovative Wege gehen müssen. Allerdings scheuen sich gerade die Akteure der Gesundheitswirtschaft zurzeit noch vor der proaktiven Entwicklung solcher zukunftsträchtigen Innovationen, da u.a. altbewährte Strategien nach wie vor gewinnbringend sind.4 5

Zugleich sind gerade in der Gesundheitsbranche die nötigen Gegebenheiten für Innovationen vorhanden. Die Datensammlungen und das zugrunde liegende Marktvolumen stellen eine äußerst vielversprechende Basis für disruptive Ansätze dar. Gerade Start-ups versuchen durch ihre Flexibilität vermeintliche Schwächen in einzelnen Prozessen von großen Versicherern und weiteren Akteuren in der Gesundheitsbranche zu identifizieren und bieten kreative und innovative Ideen am Markt an. Gleichzeitig ist es gerade für Start-ups schwierig, sich in der Gesundheitswirtschaft zu etablieren, da hohe Eintrittsbarrieren den Markt für kreative Ideen oft unerreichbar lassen. Hierzu zählen z. B. bestimmte Richtlinien seitens der BaFin, Auszüge aus dem Sozialgesetzbuch (SGB) oder aber datenschutz- und datensicherheitsbasierte Bestimmungen, die teils wenig Spielraum für innovative Lösungen lassen.6 7 8

Aus diesem Grund häufen sich zurzeit die Kooperationen zwischen Start-ups, Dienstleistern und etablierten Versicherern, um den digitalen Fortschritt in der Gesundheitswirtschaft aktiv zu gestalten. Allein im Jahr 2016 ist die Anzahl der Kooperationen zwischen Versicherern und InsurTechs um 42 Prozent gestiegen. Für die Beteiligten geht es hierbei in erster Linie darum, den Sprung von einem produktorientierten Ansatz zu einem kundenzentrierten Ansatz zu meistern. Da Plattformen auf direktem Weg die Zusammenführung verschiedener Akteure mit unterschiedlichen Kompetenzen schaffen und somit eine Ressourcenbündelung ermöglichen, beschäftigen sich zurzeit viele Versicherungen mit dem Plattformansatz, um so Zugang zu zukunftsträchtigen Innovationen und Geschäftsmodellen zu erhalten.9

1.2 Zielsetzung

Eine bekannte und vielfach diskutierte Thematik ist die Einführung der elektronischen Gesundheitsakte (eGA). Diese soll sich laut dem Bundesminister für Gesundheit, Jens Spahn, bis 2021 in Deutschland etablieren, sodass die Mitglieder der gesetzlichen sowie privaten Krankenversicherungen bundesweit digital auf ihre gesundheitsrelevanten Daten zugreifen können. Zusätzlich werden laut Spahn Kassen, die bereits früher als 2021 eine eGA anbieten möchten, gesetzlich und rechtlich abgesichert sein. Eine eGA vereint Patienten, Versicherer und Leistungserbringer wie Ärzte und Apotheken auf einer Plattform und ermöglicht somit einen reibungslosen Austausch von Daten, Dokumenten und Informationen unter den teilnehmenden Akteuren. Die eGA bildet somit den ersten Schritt in ein digitales Gesundheitsökosystem.10

Nach den allseits bekannten Schwierigkeiten rund um die Thematik einer elektronischen Gesundheitskarte, die hauptsächlich von der Politik vorangetrieben wurde, haben sich nun einige Versicherer bezüglich der elektronischen Gesundheitsakte dazu entschieden, die ersten Schritte selbst in die Hand zu nehmen. Mit der elektronischen Gesundheitsakte wurden Lösungen entwickelt, die zunächst unabhängig von der gematik und somit losgelöst von politischen Entscheidungen geführt werden. Somit gerät einerseits das einheitliche und langwierige Vorhaben der Politik unter Zugzwang und zum anderen nehmen sich Versicherungsunternehmen eine gewisse Gestaltungsfreiheit heraus.11 12

Die vorliegende Arbeit umfasst eine kritische Untersuchung der Chancen und Risiken einer digitalen Gesundheitsplattform mit besonderem Hinblick auf die eGA. Das Ziel wird vor allem die Analyse des tatsächlichen Nutzens und der Zukunftsfähigkeit im Verhältnis zu bestehenden Risiken und Herausforderungen sein. Es wird auf der einen Seite darum gehen, Gesundheitsdaten, Informationen und Dokumente immer und überall über digitale Endgeräte abrufbar zu haben und einen schnellstmöglichen Austausch zu ermöglichen. Darüber hinaus versprechen innovative Lösungen und Services, die an die eGA angebunden werden können, ein hohes Potenzial. Auf der anderen Seite muss jedoch abgewogen werden, inwiefern Innovationen einen sinnvollen Fortschritt mit sich bringen, da gerade patienten- und gesundheitsbezogene Daten eine sehr hohe Datensicherheit voraussetzen, wenn sie zukünftig digital abgespeichert werden sollen.

Des Weiteren wird es laut Patientenschützern und Verbraucherzentralen notwendig sein, möglichst einheitliche Standards festzulegen, um Insellösungen und „Parallelwelten“ zu vermeiden, da zurzeit mehrere Versicherer den Einstieg in die eGA angekündigt haben. Dies bedeutet, dass ein Versicherter bei einem Kassenwechsel die Möglichkeit haben muss, seine Daten und Dokumente von der vorherigen zur nächsten Versicherung mitzunehmen. Inwiefern dies realistisch sein wird, ist derzeit noch nicht geklärt. Es gilt allerdings als eine der wichtigsten Voraussetzungen, um die eGA langfristig in der Bundesrepublik zu etablieren.13

1.3 Vorgehensweise

Die Arbeit wird im Kern fünf Hypothesen prüfen. Diese Hypothesen beziehen sich in erster Linie auf die Herausforderungen des Paradigmenwechsels, die sich durch die eGA für das Gesundheitswesen im Allgemeinen ergeben werden. Damit einhergehend wird der Fokus auf der Machbarkeit und der Realisierbarkeit liegen, wobei Aspekte wie Bedürfnisverschiebungen, die Entstehung eines „Gesundheitsökosystems“ oder allgemeine Marktveränderungen und die damit verbundenen Vorteile einer Plattform als Businessmodell eine zentrale Rolle einnehmen werden.

Zunächst werden in Kapitel 2 die theoretischen Grundlagen zur „Plattformökonomie“, dem deutschen Gesundheitswesen und der elektronischen Gesundheitsakte dargestellt. Anschließend werden in Kapitel 3 die Hypothesen aufgeführt und anhand von Experteninterviews und diversen Studien untersucht und analysiert. Anschließend folgt im vierten Teil die Auswertung einer fallstudienorientierten Analyse mithilfe von quantitativen und qualitativen Experteninterviews. Der Leitfaden wird im ersten Teil lediglich aus geschlossenen und im zweiten Teil aus offenen Leitfragen zu den jeweiligen Hypothesen bestehen. Die befragten Experten sollen ein möglichst breites Spektrum der Gesundheitswirtschaft abdecken, sodass die Thematik von verschiedenen Akteuren und dementsprechend unterschiedlichen Perspektiven aus beleuchtet wird. Dies soll ein objektives Meinungsbild bezüglich vorhandener Chancen und Risiken der zukünftigen Akteure einer Gesundheitsplattform schaffen, da Versicherer beispielsweise andere Vor- und Nachteile in der eGA sehen als beispielsweise ein IT-Dienstleister. Im Zuge dessen werden Interviews von Fachleuten aus den folgenden Bereichen herangezogen:

- Versicherungswirtschaft
- Datenschutz und Datensicherheit
- IT-Dienstleister

Zum Abschluss wird es darum gehen, die einzelnen Betrachtungsweisen vergleichend dahingehend zu analysieren, ob und inwieweit die Plattformlösung mit ihren Funktionalitäten und Services ein praktikables und erfolgsversprechendes Modell sein kann.

2 Theoretische Grundlagen

2.1 Vom Produkt zur digitalen Plattform

Ob Mobiltelefone, Werbung, Musik oder Hotelgeschäft – viele dieser klassischen Branchen waren in der jüngeren Vergangenheit einem gewaltigen Wandel ausgesetzt und mussten teils einschneidende Veränderungen in ihren ursprünglichen Märkten feststellen. Unternehmen wie Apple, Facebook, Spotify oder Airbnb haben in den letzten Jahren einen rasanten Aufstieg erlebt und bereiten den seit Jahrzehnten etablierten Unternehmen große Schwierigkeiten, weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben. Sie haben es verstanden, das eigene unternehmerische Handeln stets an einen freien, flexiblen und gut informierten Kunden anzupassen und ihr Businessmodell um dessen Bedürfnisse und Wünsche herum aufzubauen.14 Wie ist es heutzutage jedoch möglich, dass klassische Branchen umgewälzt werden und neue, agile Marktteilnehmer vollkommen neuartige Ökosysteme schaffen? Wie gelingt es kleinen Start-ups in so kurzer Zeit, traditionelle Märkte zu durchdringen und revolutionäre Entwicklungen anzustoßen?

Betrachtet man in diesem Zusammenhang zunächst den Ablauf der bisherigen Wertschöpfung und Wertübertragung von klassisch agierenden Unternehmen, spricht man vom Pipeline-System.15 Das weitverbreitete Modell der Wertschöpfungskette nach Michael Porter unterteilt den gesamten Prozess der Leistungserstellung in primäre und unterstützende Aktivitäten. Dabei findet die gesamte Wertschöpfung innerhalb des Unternehmens statt. Die primären Aktivitäten beschreiben die tatsächliche Wertschöpfung eines Produktes und umfassen die Eingangslogistik, die Produktion, die Ausgangslogistik, das Marketing sowie Serviceleistungen und den Kundendienst. Hinzu kommen unterstützende Aktivitäten, wie die Beschaffung, Forschung und Entwicklung, Personalmanagement etc. Der Kunde ist in diesem Prozess jedoch lediglich Konsument und trägt nicht zur ursprünglichen Wertschöpfung bei.16

In den letzten Jahren hat sich neben der Pipeline zusätzlich das Plattformmodell entwickelt.17 Auf einer digitalen Plattform wird die Beziehung zwischen Unternehmen, Kunden und dem Plattformanbieter selbst deutlich komplexer als bei einer linearen Wertschöpfungskette, da die verschiedenen Akteure nun in unterschiedlichen Verhältnissen zueinanderstehen. Es entsteht eine Art Wertematrix. Eine grundlegende Eigenschaft ist, dass der Plattformanbieter Ressourcen und Verbindungen zwischen den jeweiligen Akteuren zur Verfügung stellt, die Interaktionen zwischen Anbietern und Kunden ermöglichen – wobei sowohl Anbieter als auch Kunde am Wertschöpfungsprozess beteiligt sind. Es werden zur gleichen Zeit auf vielfältige Weise Werte bereitgestellt, ausgetauscht und konsumiert.18

Im Zuge der Digitalisierung haben sich in den letzten Jahren vor allem die Bedürfnisse und Wünsche der Kunden verschoben. Der heutige Kunde ist nicht mehr unbedingt auf den tatsächlichen Besitz von Eigentum ausgerichtet. Es geht ihm viel mehr darum, einen möglichst hohen Gebrauchsnutzen erzielen zu können, wobei der tatsächliche, physische Besitz des Eigentums nicht an primärer Stelle steht. Stattdessen haben Flexibilität, Individualität, Transparenz und Schnelligkeit einen enorm hohen Stellenwert. Ein Service muss dann abrufbar sein, wenn der Kunde ihn verlangt. Ein Produkt muss dann verfügbar sein, wenn der Kunde es braucht. Und wenn ein Service oder ein Produkt nicht den Bedürfnissen oder den Vorstellungen des Kunden entsprechen, neigt er schnell zu Unzufriedenheit und schaut sich womöglich nach einer Alternative um, da diese meist zu Genüge vorhanden sind.19

Somit etabliert der Plattformansatz sich aufgrund des Bedürfnisses nach einer flexiblen, einfachen und transparenten Maximierung des Gebrauchsnutzens immer mehr als erfolgsversprechendes Geschäftsmodell, dessen zentrales Merkmal das Zusammenbringen verschiedener Akteure bzw. die Schaffung eines Ökosystems anhand verschiedener Informationen, Ressourcen und Objekte ist. Auf dieser Basis ermöglicht das Businessmodell einer Plattform den Übergang von der linearen Wertschöpfungskette hin zu einer Wertematrix, wobei die Wertschöpfung nicht mehr lediglich vom Unternehmen geleistet wird, sondern unterschiedliche Akteure auf einer Plattform zur Wertschöpfung beitragen können.20

2.2 Charakteristika und Schlüsselfaktoren von Plattformen

Plattformen können zwei unterschiedliche Ziele verfolgen. Entweder sind sie transaktions- oder datenzentriert. Bei einer transaktionszentrierten Plattform fungiert sie als eine Art Vermittler und bietet einen digitalen Marktplatz an, auf dem klassischerweise Angebot und Nachfrage zusammengebracht werden.21 Typische Beispiele sind Unternehmen wie Airbnb oder Uber. Eine datenzentrierte Plattform hingegen schafft auf Basis verschiedener komplementärer Produkte, wie z. B. Hardware, Software, Daten oder Dienstleistungen, ein digitales Ökosystem, indem die jeweiligen Komplementoren zu einem Gesamtsystem zusammengefügt werden. Hier sind beispielsweise Unternehmen aus den Bereichen Smart Home oder automatisiertes und vernetztes Fahren zu nennen. Grundsätzlich ermöglichen Plattformen es, ungenutzte Kapazitäten durch reduzierte Informations-, Such- und Transaktionskosten zu erschließen, indem sie zwei oder mehr Akteursgruppen miteinander verbinden.22 23

Gruppiert man die einzelnen Akteure, lässt sich ein Grundstock bestehend aus fünf Akteuren bilden, die mehr oder weniger zusammenhängen. Da wäre zunächst der Technologieanbieter zu nennen, der die grundlegende Infrastruktur bereitstellt, auf der eine Plattform aufgebaut werden soll. Hier sind Unternehmen wie IBM oder Amazon Web Services zu nennen. Auf dieser Basis entsteht ein Plattformeigentümer, der für den Entwurf einer Plattform verantwortlich ist und diese in Bezug auf Design und Nutzungsregeln verwaltet, wie beispielsweise Apple Corp. Darauf folgt die Rolle eines Plattformanbieters, die auch häufig vom Plattformeigentümer selbst eingenommen bzw. bestimmt wird. In diesem Zusammenhang kann ein Plattformeigentümer auch mehrere Plattformen betreiben. Beispiele für eine Plattformdiversifikation ausgehend von ein und demselben Plattformeigentümer wären beispielsweise iTunes, der AppStore oder die iCloud. Die zentrale Aufgabe des Plattformbetreibers besteht darin, die wesentliche Architektur so zu gestalten, dass die ursprünglichen Vorgaben des Eigentümers hinsichtlich der digitalen Lösungen wunschgemäß umgesetzt werden. Zudem bildet der Betreiber die direkte Schnittstelle zu den Komplementoren und Kunden, die die letzten beiden Akteure in diesem Konstrukt darstellen. Somit bildet die Plattformanbieterebene die operative Basis und bestimmt beispielsweise, wie stark einzelne Akteure miteinander vernetzt werden, wie hoch der Anteil an automatisierten Prozessen sein soll oder inwieweit Echtzeit-Interaktionen ermöglicht werden. Aufbauend auf diesen operativen Aspekten können durch den Austausch mit den einzelnen Akteuren verschiedene Daten erhoben und wiederverwendet bzw. weiterverarbeitet werden, wodurch eine steigende Ressourcendichte entsteht. Diese steigende Ressourcendichte kann anschließend wiederum den Grundstein für innovative Lösungen bilden, da das Kundenverständnis stetig verbessert und Kundenbedürfnisse immer zufriedenstellender befriedigt werden können. Die vierte Ebene bilden die Komplementoren, oft auch Co-Produzenten genannt. Sie bieten auf einer Plattform ergänzende Wertversprechen an und nutzen die operative Basis eines Plattformanbieters, um weitere Lösungen anzubieten. Ein klassisches Beispiel ist Spotify, was in Konkurrenz zur iTunes-Plattform von Apple einen Musikstreaming-Dienst anbietet, der sich bis heute als eine sehr beliebte Anwendung etabliert hat. Der fünfte und letzte Akteur ist der Kunde selbst, der mit seinen Interaktionen und der tatsächlichen Nutzung von Plattformen und ergänzenden Lösungen auch als sog. Co-Creator fungiert. Nimmt man als Beispiel einen Apple User, der sich gerade eine iWatch gekauft hat, findet die Co-Creation bei der Individualisierung seiner iWatch statt. Die tatsächliche Interaktion setzt dann ein, wenn er mit seiner iWatch beispielsweise joggen geht und seine Vitaldaten trackt.

Somit wird schlussendlich über eine Plattform die Maximierung des Gebrauchsnutzens vorangetrieben (value in use), wobei der Austausch von physischen Gegenständen gegen Geld (exchange value) nicht mehr im Vordergrund steht. Dabei sind vor allem drei Schlüsselfaktoren von großer Bedeutung. Positive Netzwerkeffekte, hohe Skalierbarkeiten und niedrige Transaktionskosten ermöglichen ein exponentielles Wachstum und sind somit äußerst vielversprechende Faktoren, die beim Aufbau einer Plattform realisiert werden sollten.24 25

2.2.1 Netzwerkeffekte

Digitale Plattformen verknüpfen üblicherweise zwei oder mehr Akteursgruppen und stellen eine offene Infrastruktur mit bestimmten Rahmenbedingungen und Regeln bereit, um Interaktionen zwischen den jeweiligen Akteuren zu ermöglichen. Dabei gilt: Je größer die jeweiligen Gruppen sind, desto mehr Interaktionen können generiert werden, was wiederum maßgeblich zum Erfolg einer Plattform beiträgt. Dabei nehmen im Vergleich zu einer Pipeline verschiedene Akteure an der Wertschöpfung teil. Entscheidend ist jedoch, dass das Verhältnis von Anbietern und Kunden möglichst gleichmäßig wächst, da sonst kein effektiver und effizienter Austausch stattfinden kann. In diesem Zusammenhang spricht man vom Netzwerkeffekt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Die Plattform als zentraler Akteur in einem zweiseitigen Markt mit positiven Netzwerkeffekten. Für die blauen Akteure ist die Plattform attraktiver, je mehr graue Akteure es gibt, und umgekehrt.

(Quelle: von Engelhardt, S./Wanler, L./Wischmann, S. 2017, S. 13)

Ein Netzwerkeffekt beschreibt die Auswirkung, die die Anzahl der Akteure einer Plattform auf den tatsächlichen Nutzen jedes einzelnen Nutzers hat. Das heißt, dass die Attraktivität einer Plattform mit jedem weiteren, neuen Nutzer steigt, da mit ihm ein zusätzlicher potenzieller Transaktionspartner hinzukommt.26 27

Des Weiteren unterscheidet man zwischen positiven und negativen Netzwerkeffekten. Positive Netzwerkeffekte entstehen durch eine gut gemanagte Plattform, wobei eine steigende Anzahl der User positive Auswirkungen auf die Wertschöpfung eines einzelnen Users hat. Negative Netzwerkeffekte hingegen beschreiben den Fall, dass sich mit jedem weiteren Nutzer auf einer Plattform die Wertschöpfung für einen einzelnen User verringert. Positive Netzwerkeffekte stellen für einen Plattformbetreiber den entscheidenden Wettbewerbsvorteil dar, da diese dafür sorgen, dass der Wert der Plattform exponentiell ansteigt.28

2.2.2 Hohe Skalierbarkeit

Ein weiteres zentrales Charakteristikum ist, dass digitale Plattformen meist überhaupt keine eigenen Waren, Immobilien, Fahrzeuge o. ä. besitzen. Einnahmen werden oft durch Abos, Services, Transaktionsgebühren oder Pay-Per-Use-Modelle generiert. Dies gilt als einer der entscheidenden Vorteile gegenüber einem Pipeline-orientierten Businessmodell, da im Vergleich zur Pipeline eine wesentlich höhere Skalierbarkeit möglich ist. Airbnb hat es beispielsweise in den letzten Jahren geschafft, das gesamte Business des Hotelbetriebes zu revolutionieren, ohne auch nur über ein einziges Hotel, geschweige denn eine Immobilie zu verfügen. Sie stellen lediglich eine Plattform bereit, über die die Nutzer entweder als Gastgeber oder als Kunde partizipieren können und gegenseitig Übernachtungsmöglichkeiten anbieten bzw. nachfragen können. Dabei ist der „Hotelbetrieb“ von Airbnb wesentlich leichter und schneller zu skalieren, da für ein weiteres Angebot an Übernachtungsmöglichkeiten kein Kapital eingesetzt werden muss, wie es für klassische Hotelketten der Fall wäre. Ein Hotelier müsste zunächst immense Investitionen tätigen, um sein Angebot an Hotels zu erweitern. Airbnb hingegen kostet es lediglich die Registrierung eines neuen Nutzers auf der Plattform, um ein weiteres Zimmer im Portfolio anbieten zu können. Von der technologischen Komponente her ist es außerdem jederzeit möglich, auf einen gestiegenen Bedarf zu reagieren, da eine zusätzliche Rechenkapazität keine Engpässe schafft und somit flexibel und bedarfsgerecht angepasst werden kann.29 30

In diesem Zusammenhang wird zwischen angebotsseitigen und nachfrageseitigen Skaleneffekten unterschieden. Im Pipelinesystem können Unternehmen aufgrund von Größenvorteilen und einer effizienten Produktion angebotsseitige Skaleneffekte erzielen, wobei die Stückkosten für ein hergestelltes Produkt oder eine angebotene Dienstleistung sinken, wenn die Anzahl der produzierten Güter steigt. Vor allem große, produzierende Industrieunternehmen profitieren hierbei von Kostenvorteilen, was ihnen wiederum deutliche Vorsprünge gegenüber kleineren Unternehmen einbringt. Im Zeitalter des Internets sind jedoch vor allem die nachfrageseitigen Skaleneffekte von hoher Bedeutung. Sie entstehen in erster Linie durch technologische Verbesserungen auf der Nachfrageseite und sind z. B. in sozialen Netzwerken oder bei der App-Entwicklung zu finden. Sie sind außerdem einer der wichtigsten Treiber für positive Netzwerkeffekte und stellen somit einen der wesentlichen Erfolgsfaktoren in der heutigen Wirtschaft dar. Es geht dabei vor allem darum, die Chance zu erhöhen, dass über die Plattform mit möglichst geringem Aufwand passende Akteure zueinander finden und wechselseitig voneinander profitieren.31

2.2.3 Niedrige Transaktionskosten und günstige Grenzkosten

Digitale Plattformen besitzen aus rein wirtschaftlicher Sicht zwei entscheidende Vorteile gegenüber Pipelines: deutlich niedrigere Transaktionskosten und Grenzkosten, die bei einer Expansion gegen null gehen. Transaktionskosten umfassen alle Kosten, die von der Suche nach einem passenden Geschäftspartner bis zum Geschäftsabschluss und darüber hinaus anfallen. Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass die Anzahl der Markttransaktionen steigt, wenn die Kosten für eine einzelne Transaktion sinken.

Ein anschauliches Praxisbeispiel hierfür ist das Geschäftsmodell von eBay. Früher haben sich Menschen auf einen Flohmarkt begeben und sind alle Händler am Markt abgelaufen, um ein gewünschtes Produkt zu finden. Heute können Nutzer von eBay über das Internet, ohne physisch an einem Ort anwesend zu sein, ein gewünschtes Produkt suchen, Preise vergleichen sowie Bewertungen von Händlern einsehen und ein Produkt erwerben. Dies führt dazu, dass ein Produktkauf über eBay deutlich einfacher abzuwickeln ist, was wiederum zur Attraktivität der Plattform beiträgt. Plattformprovider haben außerdem bei einer Expansion des Geschäftsmodells mit deutlich günstigeren Grenzkosten zu rechnen, da diese quasi gegen null gehen. Dies hängt u. a. damit zusammen, dass die meisten dieser Unternehmen keine eigenen physischen Objekte besitzen, sondern lediglich die Rolle des Vermittlers (transaktionsorientiert) bzw. Betreibers (datenorientiert) einnehmen und der tatsächliche Besitz bei den jeweiligen Nutzern liegt. Dies führt am Beispiel von Airbnb dazu, dass das Hinzufügen einer weiteren Unterkunft nur zu einem minimalen Aufwand führt, da hierfür weder neue Gebäude erworben noch weitere Mitarbeiter eingestellt werden müssen.32 33 34

2.3 Die deutsche Gesundheitswirtschaft – Allgemeine Struktur und Trends

Das Thema Gesundheit nimmt für viele Menschen im heutigen Alltag eine zentrale Rolle ein. Wie eine aktuelle Studie von Bitkom zeigt, setzen sich 88 Prozent der Bevölkerung regelmäßig mit dem Thema auseinander – mehr als 50 Prozent davon online.35 Der Wandel vom passiven Kunden bzw. Patienten hin zu einem aktiven Mitgestalter der eigenen Gesundheit vollzieht sich mit einer Geschwindigkeit, die die Gesundheitsbranche in dieser Form nicht vorhergesehen hat. Der Mensch möchte in einer vernetzten und informationsreichen Welt mitbestimmen und nicht nur eine Diagnose oder eine Therapie hinnehmen müssen. Er möchte im Mittelpunkt stehen und die für ihn besten Präventionen, Therapien und Betreuungsleistungen erhalten. In diesem Zusammenhang spricht man mittlerweile häufig auch von einem Gesundheitskonsumenten, da Gesundheit nicht mehr ausschließlich daran bemessen wird, ob man krank oder gesund ist.36 37

Aus diesem Grund spielt die Digitalisierung in der heutigen Gesundheitswirtschaft eine wichtige Rolle. Immer mehr Menschen kontrollieren ihre täglichen Vitaldaten oder tracken ihren Schlafrhythmus, was durch Wearables so einfach wie nie zuvor ist. Eine gesunde Ernährung hat sich mittlerweile zu einem Lifestyle entwickelt und jeder achte Deutsche ist in einem Fitnessstudio angemeldet. Menschen informieren sich online über bestimmte Krankheitssymptome und suchen nicht mehr zwingend den direkten Weg zum Arzt. Dies sind Beispiele für derzeitige Trends, die die Gesundheitswirtschaft zukünftig im Blick behalten muss. Es wird vor allem darum gehen, die Bedürfnisse eines proaktiven, gut informierten Gesundheitskonsumenten zu erkennen, zu verstehen und zu befriedigen.38

Diverse Studien zum Stand der Digitalisierung in der Gesundheitsbranche belegen allerdings, dass diesbezüglich noch ein enormer Nachholbedarf besteht. Eine Studie von TechConsult hat beispielsweise für 2.000 verschiedene medizinische und soziale Einrichtungen den Digitalisierungsgrad ermittelt und vergab 54 von maximal 100 möglichen Punkten. Dabei wurde der Fokus vor allem auf die Kundenbeziehung, die Produktivität und das Geschäftsmodell gelegt. Noch besorgniserregender fiel eine Studie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie aus, die sich vor allem mit der gewerblichen Gesundheitsbranche beschäftigte. Mit 39 von 100 möglichen Punkten kann auch hier nur von einem ernüchternden Ergebnis gesprochen werden. Das Gesundheitswesen wurde somit sowohl für das Jahr 2017 als auch im Hinblick auf das Jahr 2022 als Schlusslicht der digitalen Transformation eingestuft.39 40

Da die Digitalisierung in der heutigen Zeit allgegenwärtig ist, herrscht nachfrageseitig eine zunehmende Offenheit bezüglich digitaler Produkte und Services. Dies verursacht wiederum angebotsseitig einen vermehrten Anpassungsdruck, da Kunden immer höhere Ansprüche stellen. Dieser Druck lastet heute vor allem auf den Versicherern, weil sie im ersten Gesundheitsmarkt einen der größten und wichtigsten Akteure darstellen. Hinzu kommt, dass jeder deutsche Bürger aufgrund der vorherrschenden Pflicht, krankenversichert zu sein, früher oder später mit einer Krankenversicherung in Kontakt tritt, sodass diese hier eine entscheidende Rolle bezüglich zukünftiger Trends einnehmen. In einer Studie von Bain & Company wurden mehr als 2.500 Versicherte befragt. Dabei wurde deutlich, dass für etwa 60 Prozent der Kunden internetbezogene Kommunikationskanäle in Zukunft für den Austausch mit einer Versicherung zentral sein werden. Es zeigte sich außerdem, dass der Großteil nicht mehr zwischen Online- und Offline-Kanälen unterscheidet. Unter diesen Umständen sollten die Versicherungsunternehmen berücksichtigen, dass man zukünftig nicht mehr um onlinebasierte Geschäftsmodelle herumkommen wird. Kunden wollen neben einer professionellen und persönlichen Beratung die Möglichkeit haben, immer und überall mit ihrer Versicherung in Kontakt zu treten. Deshalb sollte man versuchen, langfristige Potenziale in neuen Geschäftsmodellen zu erkennen und aktuelle operative Kernaktivitäten anzupassen, um sich Schritt für Schritt für das digitale Zeitalter in der Gesundheitsbranche zu rüsten.41 42

2.3.1 Der erste und der zweite Gesundheitsmarkt

Das deutsche Gesundheitssystem umfasst sämtliche Akteure von der Politik über Krankenversicherungen, medizinischen Einrichtungen und Pharmaunternehmen bis hin zu einer Vielzahl von verschiedensten Institutionen und Einrichtungen, die alle in der Gesundheitswirtschaft zusammenwirken. Sie bilden die Basis für ein funktionierendes Gesundheitssystem. Hierbei wird im klassischen Sinne zwischen dem ersten und dem zweiten Gesundheitsmarkt unterschieden. Gesundheitsrelevante Waren und Dienstleistungen, die im Zuge des Finanzierungssystems einem Kunden bzw. Patienten erstattet werden, gehören dem ersten Gesundheitsmarkt an. Dabei sind vor allem die gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen (GKV/PKV) als prägende Teilnehmer im ersten Gesundheitsmarkt angesiedelt. Aufgrund der Krankenversicherungspflicht in Deutschland ist jeder Bürger, der mit seinem monatlichen Bruttoeinkommen unter der Versicherungspflichtgrenze und über der Geringfügigkeitsgrenze liegt, automatisch in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung aufgenommen. Gesetzliche Krankenkassen unterliegen dem Solidarprinzip, was bedeutet, dass sich die Beitragszahlungen für jeden Versicherten nach seiner finanziellen Leistungsfähigkeit richten. Außerdem erhalten alle Mitglieder in der gesetzlichen Versicherung grundsätzlich die gleichen Leistungen, wobei GKVen seit der Gesundheitsreform im Jahr 2004 die Möglichkeit haben, durch Kooperationen mit PKVen weitere kostenpflichtige Zusatzversicherungen anzubieten. Menschen, die verbeamtet oder selbstständig sind bzw. ein jährliches Einkommen von mehr als 56.250 € vorweisen können, haben die Möglichkeit, einer privaten Krankenversicherung beizutreten. In der PKV wird die Höhe des Beitrages jedoch nicht nach dem Solidarprinzip, sondern aus dem Risiko des Versicherten zum Zeitpunkt des Eintritts in die PKV bestimmt. Dabei spielen verschiedene Aspekte, wie z. B. das Alter, der Gesundheitszustand oder Vorerkrankungen eine wichtige Rolle. Die Leistungsumfänge sind außerdem vertraglich festgelegt und können im Vergleich zu der GKV variieren. Weitere Akteure im ersten Gesundheitsmarkt sind der Staat und diverse Leistungserbringer, wie z. B. Ärzte, Krankenhäuser und Apotheken. Der zweite Gesundheitsmarkt hingegen umfasst sämtliche Leistungen und Güter, die keine Erstattung durch das bestehende Finanzierungssystem erlauben. Darunter fallen sämtliche Produkte und Dienstleistungen rund um das Thema Gesundheit, die privat finanziert werden. Klassische Beispiele hierfür sind Wellness und Fitness, frei verkäufliche Arzneien, Ernährung und Kommunikationstechnik/Wearables.43 44 45

2.3.2 Ineinandergreifen des ersten und zweiten Gesundheitsmarktes

Bis vor etwa 20 Jahren waren der erste und der zweite Gesundheitsmarkt klar voneinander getrennt. Dies hing vor allem mit dem allgemeinen Verständnis von Gesundheit zusammen, was die Menschen damals noch hatten. Früher ging es hauptsächlich um die Primärversorgung und die anschließende Rehabilitation. Investiert wurde erst, wenn man tatsächlich an einer Krankheit litt, einen Krankenhausaufenthalt in Anspruch nehmen musste o. ä. Heutzutage spielen jedoch Aspekte wie Prävention durch gesunde Ernährung und Sport eine bedeutende Rolle im Alltag. Der Wunsch nach Gesundheit steht im Mittelpunkt und wird zukünftig weit über die reine Selbstoptimierung hinausgehen, was früher oder später zu einer fortschreitenden Demokratisierung der Gesundheit führen wird. Das Wissen über den Menschen und seine Gesundheit wird immer ausgereifter und leichter zugänglich, sodass die Individualdiagnostik, aber auch die eigene Ausgestaltung von Präventivmaßnahmen weiter zunehmen werden. Vor allem der zweite Gesundheitsmarkt hat es diesbezüglich geschafft, sich dem Bedürfniswandel anzupassen und bedient den informationsfreudigen Kunden zu Themen rund um Gesundheit, Fitness, Ernährung u. v. m. 43 Prozent aller Bürger sind mittlerweile bereit, sich an Produkten und Dienstleistungen des zweiten Gesundheitsmarktes zu bedienen und diese aus privaten Mitteln zu finanzieren. Obwohl der erste und der zweite Gesundheitsmarkt in gewisser Weise miteinander konkurrieren, verschwimmt die Grenze heutzutage zunehmend. Krankenversicherer haben erkannt, dass z. B. Fitnessstudios oder digitale Apps durchaus interessante Kooperationspartner darstellen, da beispielsweise durch regelmäßige körperliche Aktivitäten das Erkrankungsrisiko sinkt und somit pro Person etwa 280 € an jährlichen Gesundheitskosten eingespart werden können.46 Dabei können die Versicherten Boni oder Präventionsleistungen erhalten, wenn sie sich in einem der kooperierenden Studios anmelden und dort bestimmte Kurse oder Angebote wahrnehmen. Solche Trends bieten letztlich einen Mehrwehrt für alle Akteure. Fitnessstudios können ihre Mitgliederzahlen erweitern, Versicherungen erzielen Einsparungen und – am allerwichtigsten – der Mensch lebt gesünder und beugt Erkrankungen vor.47 48 49

Das Zusammenwirken des ersten und zweiten Gesundheitsmarktes wird aber vor allem durch die Digitalisierung des Gesundheitswesens beeinflusst. Menschen können immer und überall Informationen zu Gesundheitsthemen erhalten und ihre eigene Gesundheit kontrollieren, egal ob über Apps, Wearables oder Gesundheitsforen. Dies führt dazu, dass sie eine große Menge an Daten produzieren, wie z. B. täglich zurückgelegte Schritte, Vitaldaten, Essgewohnheiten usw., und macht die Verbindung zwischen erstem und zweiten Gesundheitsmarkt für die jeweiligen Akteure so interessant. Versicherungen können beispielsweise aufgrund dieser produzierten Daten durch diverse Analysen einen enormen Mehrwert generieren und Beteiligte des zweiten Gesundheitsmarktes haben die Aussicht auf lukrative Kooperationen. Aufgrund dieser Tatsache wird die permanente Vernetzung von Diagnosetools, Daten und Services im zukünftigen Gesundheitswesen eine wichtige Rolle spielen. Menschen sind bereit, Daten preiszugeben und diese zur Nutzung freizugeben, erwarten aber im Gegenzug einen erkennbaren Mehrwert. Solche Trends und Bedürfnisse müssen vor allem die Versicherungsunternehmen zunehmend erkennen und für sich nutzen, sodass sie auch weiterhin zufriedene Kunden bedienen und den digitalen Wandel nicht verpassen. Die ersten Schritte in ein digitales Ökosystem der Gesundheit gehen einige Versicherer nun mit der Einführung der elektronischen Gesundheitsakte.50 51 52

2.4 Die elektronische Gesundheitsakte – Status Quo

Die elektronische Gesundheitsakte (eGA) ist derzeit ein kontroverses Thema in der Gesundheitsbranche. Sie bietet Versicherten die Möglichkeit, über mobile Endgeräte auf die eigenen Gesundheitsdaten und -dokumente zuzugreifen. Sie dient als eine Art digitaler Aktenordner und beinhaltet in erster Linie Sozialdaten von Krankenkassen, Gesundheit- und Krankheitsdaten von Leistungserbringern sowie Daten von Wearables, wie z. B. Smartwatches. Ziel auf Versichertenseite soll ein übersichtlicher, umfangreicher und vor allem zeit- und ortsunabhängiger Zugriff auf wichtige gesundheitliche Daten und Services sein.

Neben einer strukturierten und übersichtlichen Darstellung und Sammlung der eigenen Gesundheitsdaten soll die eGA auch für „gesunde Menschen“ durch praktische und alltagstaugliche Services ansprechend sein und somit zusätzlich als digitaler Gesundheitsassistent dienen. Sie bietet je nach Lösung z. B. eine Unterstützung zur Medikamenteneinnahme und eine integrierte Medikationsanalyse, die Auswertung von Vitaldaten oder eine Hilfe zur Arztsuche. Der Versicherte soll dabei die absolute Datenhoheit besitzen und hat erstmalig einen souveränen Zugriff auf seine Gesundheitsdaten, die bisher immer verteilt bei verschiedenen Medizinern und Therapeuten lagen. Für die Leistungserbringer verspricht die eGA vor allem eine bessere Patientenbindung, effiziente Diagnosen und weniger Doppelbehandlungen, da Daten zukünftig vernetzt und unter Berücksichtigung von speziellen Datenschutzrichtlinien vom Patienten jederzeit abrufbar, abgespeichert werden. Dies gewährleistet wiederum reibungslosere Versorgungsübergänge und damit einhergehend reduzierte Administrations- und Verwaltungsaufwände. Außerdem stehen den Akteuren des Gesundheitssystems alle relevanten Informationen, die für eine individuelle Behandlung des Patienten nötig sind, zur Verfügung. Aus Sicht der Versicherer liegt der Mehrwert in erster Linie bei Effektivitäts- und Effizienzsteigerungen. Gerade im Bereich des Dokumentenaustausches und der Datenauswertung können mithilfe einer Plattform neuartige Funktionalitäten und Services angeboten werden, von denen sowohl Versicherer und Leistungserbringer als auch Versicherte profitieren werden.53 54 55 56

Seit kurzem ist klar, dass Versicherungsunternehmen bis zum Jahr 2021 dazu verpflichtet sind, zumindest eine aktenbasierte Version der eGA für alle Versicherten in Deutschland bereitzustellen. Dies kündigte Jens Spahn, der aktuelle Bundesgesundheitsminister, an, was in der Form auch im neuen E-Health-Gesetz II verankert wird. Zusätzlich werden laut Spahn Kassen, die bereits früher als 2021 eine eGA anbieten möchten, gesetzlich und rechtlich abgesichert sein. Seit kurzem gibt es schon einige Versicherer, die eine Einführung der elektronischen Gesundheitsakte angekündigt oder sogar bereits vollzogen haben. Dabei wurde stets betont, dass die Lösungen zunächst unabhängig von der Telematik-Infrastruktur (TI) aufgebaut sind. Im Falle einer erfolgreichen Einführung der TI, die zum vierten Quartal 2018 mit den ersten Vernetzungen beginnen möchte, sollen sie jedoch absolut gematik-kompatibel sein und ohne weitere Probleme an das Netz der TI angebunden werden können. Die Techniker Krankenkasse (TK) hat im Sommer 2018 beispielsweise in Kooperation mit der IBM Deutschland GmbH eine erste Beta-Version ihrer elektronischen Gesundheitsakte mit dem Namen „TK-Safe“ eingeführt und bedient damit potenziell 17,5 Millionen Versicherte. Die AOK testet zurzeit in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin ihr „AOK Gesundheitsnetzwerk“, das zukünftig potenziell 26 Millionen Versicherte nutzen können. Ein Konsortium von 16 Versicherern, u. a. mit der Allianz, der DAK und diversen Betriebskrankenkassen, hat den Start der Vivy-App bekanntgegeben, wovon potenziell 25 Millionen Versicherte angesprochen werden.57 58 59 60

Betrachtet man die jeweiligen Lösungen etwas genauer, fallen teilweise grundlegende Unterschiede auf. TK-Safe und Vivy verfolgen z. B. einen kundenzentrierten Ansatz, wobei der Kunde selbst entscheiden kann, welche Daten in die eGA eingespielt werden sollen und welche nicht. Waren medizinische Daten bisher lediglich dezentral bei Ärzten, Krankenhäusern oder Krankenkassen abgelegt, liegen sie nun auch zentral in einem deutschen Rechenzentrum in einer Cloud und werden dort unter strengen Datensicherheitsmaßnahmen abgespeichert. Das Gesundheitsnetzwerk der AOK verfolgt jedoch einen leistungserbringerzentrierten Ansatz, wobei nicht der Versicherte selbst, sondern beispielsweise Ärzte die medizinischen Daten und Dokumente zur Verfügung stellen. Die Daten können dann über ein Portal vom Versicherten eingesehen werden. Die Datenhoheit liegt hierbei auch beim Versicherten, sodass er bestimmen kann, wer Zugriff auf welche Daten haben darf. Ein weiterer Unterschied bei dieser Lösung ist, dass eine dezentrale Datenhaltung vorliegt. Somit bleiben sie weiterhin lokal bei dem jeweiligen Arzt oder Krankenhaus abgespeichert und befinden sich nicht, wie bei den Angeboten TK-Safe und Vivy in einem zentralen Rechenzentrum.61 62 63

4 Die Zukunft des deutschen Gesundheitswesens

4.1 Vom passiven Patienten zum Gesundheitskonsumenten

Gesundheit ist ein Megatrend. Dies ist gerade, wenn man die Entwicklung der letzten Jahre und Jahrzehnte betrachtet, nicht mehr abzustreiten. Gesundheit stellt für die meisten Menschen in einer gewissen Weise den Lebensmittelpunkt dar – egal ob es um das Arbeitsumfeld, Reisen, Sport oder den allwöchentlichen Einkauf im Supermarkt geht. Das Thema Gesundheit hat sich zu einer Art Lifestyle entwickelt. Dies hängt zum einen mit den heute gegebenen Möglichkeiten, die vor allem im Zuge der Digitalisierung immer vielfältiger werden, und zum anderen mit einem Menschen, der proaktiver und partizipationswilliger denn je ist zusammen. Allerdings stellt er damit auch immer größere Anforderungen an das bisherige Gesundheitssystem, das diesen Wandel nicht frühzeitig erkannt hat und nun Lösungen finden muss, um zukünftig die Bedürfnisse eines „Gesundheitskonsumenten“ befriedigen zu können.64

Der Begriff des Gesundheitskonsumenten steht in diesem Zusammenhang für einen gut informierten, selbstbestimmten und aktiven Mitgestalter seiner eigenen Gesundheit, für den Gesundheit nicht lediglich durch einen Zustand des „Sich-gut-Fühlens“ oder „Sich-schlecht-Fühlens“ bestimmt wird, sondern vielmehr in einer allgemeinen „Gesundheitszufriedenheit“ besteht. Bekräftigt wird dies durch eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, die ergeben hat, dass 84 Prozent der deutschen Bevölkerung das Thema Gesundheit als wesentlichen Faktor für eine zufriedenstellende Lebensqualität einstufen. Zum Vergleich: 68 Prozent gaben an, dass für sie eine gut funktionierende Partnerschaft und ein intaktes Familienleben von größter Bedeutung seien, und lediglich 11 Prozent sehen heute noch die Vermehrung von Geld und Besitz für ein erfülltes Leben als wichtig an.65

Eine weitere Studie von PricewaterhouseCoopers im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit zeigt, dass der Aspekt der Individualisierung einen zentralen Trend im Gesundheitswesen darstellt.66 Dabei wird zukünftig vor allem eine Individualisierung in den Bereichen der Gesundheitsversorgung und der -prävention eine große Rolle spielen. Dies wird in erster Linie durch einen informierten und wissbegierigen Patienten angestoßen, der auch seitens der Leistungserbringer eine zunehmende Akzeptanz erwartet und mit ihnen einen Austausch auf Augenhöhe einfordert. Zudem müssen sich Krankenversicherer von dem Gedanken verabschieden, dass sie aus Sicht des Versicherten zukünftig als reiner Rechnungsübernehmer fungieren. Auch für sie werden Trends, die bisher vermehrt in Konsumgütermärkten erkennbar waren, an Bedeutung gewinnen.67

Dabei sollte die Individualisierung als ganzheitlicher Ansatz betrachtet werden und sich an Aspekten wie der Lebenseinstellung eines Menschen orientieren. Beispielsweise ist eine vegane Frau, die gerne Yoga macht, vielleicht eher an alternativen Heilmethoden wie Akupunktur oder Homöopathie interessiert, während sich ein Diabetes-Typ-2-erkrankter Geschäftsmann über die kostenlose Nutzung einer App für Diabeteserkrankte freuen würde. Ärzte, Krankenkassen und staatliche Stellen müssen diesen Wandel erkennen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen, inwieweit sich in der Zukunft möglicherweise auch die eigene Arbeit, Strukturen, Prozesse sowie das generelle Verhältnis zum Kunden verändern könnten, da Menschen heutzutage schon im alltäglichen Leben durch Wearables, Dr. Google und weitere Gesundheitsapps unheimlich viel über sich, ihren Körper und ihre Gesundheit wissen.68 69 70 71 89 Prozent der heute 18- bis 39-jährigen Menschen nutzen das Internet als Informationsquelle zu diversen Gesundheitsthemen.72 Damit ist die Anzahl derjenigen, die sich über das Internet informieren höher als jener, die einen Arzt als Informationsquelle aufsuchen (85 Prozent). Selbst im Alter von 40 bis 59 Jahren liegt der prozentuale Wert bei 76 Prozent, wobei sich die Leute in der Altersklasse noch eher an einen Arzt wenden (82 Prozent). Der demografische Trend zeigt jedoch, dass hier zukünftig womöglich eine Verschiebung stattfinden wird. Dies setzt vor allem Krankenkassen und Gesundheitsexperten wie Ärzte unter Druck, da sie die exklusive Deutungshoheit verlieren und möglicherweise nicht mehr erste Anlaufstelle für einen Erkrankten sein werden.

Allerdings hat diese Informationsflut, die heute auf die Menschen zurollt, nicht nur positive Seiten an sich. Es ist zwar eine unheimlich große und breite Informationsvielfalt gegeben, jedoch besteht gerade bei den „aufgeschlauten“ Gesundheitslaien ein Bedarf an Selektion durch eine professionelle Instanz.73 Gibt man einen generischen Suchbegriff für eine Krankheit oder ein Krankheitssymptom bei Google ein, folgt daraufhin ein Ergebnis mit teilweise sehr unterschiedlichen Informationen. Die Techniker Krankenkasse hat beispielsweise im Rahmen einer Studie festgestellt, dass die meisten Leute hauptsächlich dann bei Google recherchieren, wenn es sich um Krankheiten und Beschwerden handelt, bei denen ein Arztbesuch erforderlich ist. Und genau dies ist der Punkt, an dem Gesundheitsexperten wie Ärzte und Krankenkassen ihren Bildungsauftrag sehen sollten, d. h. die vielfältigen, teilweise sehr ungenauen oder gar falschen Informationen zu selektieren und in ein Alltagsverständnis der Versicherten zu übersetzen.

Laut Ulla Kieserg (IBM Deutschland GmbH) sollten Versicherungsunternehmen zukünftig vor allem eine beratende Funktion einnehmen, um so nah wie möglich am Kunden und seinen Anliegen zu sein und somit einen bestmöglichen und individuellen Service anbieten zu können. Denn aus ihrer Sicht bestehe seitens der Kunden nach wie vor ein großes Bedürfnis nach qualitativ hochwertiger Beratung. Man müsse für sich als Akteur im Gesundheitswesen nur erkennen, an welchem Punkt man als Ansprechpartner relevant wird und in dem Bereich eine hohe Expertise sicherstellen. Gerade bei schweren und chronischen Erkrankungen besteht ein hoher Beratungsbedarf, da Patienten bei solchen Anliegen eine zunehmend hohe Expertise einfordern.74 75 76

4.2 In Deutschland entsteht ein Gesundheitsökosystem

Die Plattformökonomie erstreckt sich mittlerweile über verschiedenste Branchen und Bereiche und hat zu enormen Umwälzungen von klassischen Geschäftsmodellen geführt. Eine IBV-Studie zum Potenzial von Plattformen in der Versicherungsindustrie zeigt, dass Bewertungen von Unternehmen, die auf das Plattformmodell setzen, teilweise das Achtfache ihrer tatsächlichen Einnahmen abbilden. In dieser Studie wurden 1.000 Führungskräfte weltweit zu ihrer Einschätzung von und zum eigenen Umgang mit Plattformen im Versicherungswesen befragt. Die Studie unterschied in dem Fall zwischen „durchschnittlichen Versicherern“ und „hervorragenden Versicherern“ in Bezug auf die Bereitwilligkeit und die bereits intern vorhandenen Voraussetzungen, an einer Plattform zu partizipieren.

Die Branchenexperten sind sich laut der Studie einig: 85 Prozent der hervorragend aufgestellten Versicherer sind der Meinung, dass mithilfe von Plattformen disruptive Innovationen in der Versicherungswirtschaft möglich sind. Weitere 74 Prozent gaben an, dass sie kurz- bis mittelfristig diverse Produkte, Lösungen und Services über ein Plattformmodell anbieten möchten. Allerdings belegt die Studie auch, dass Versicherer verhältnismäßig wenig in plattformgetriebene Geschäftsmodelle investieren. Die Investitionserhöhungen innerhalb eines Jahres betrugen lediglich 7 Prozent, wobei andere Industrien wie die Ölindustrie (+50 Prozent), die Tourismusbranche (+27 Prozent) oder der Finanzsektor (+18 Prozent) deutlich mehr Geld in plattformorientierte Geschäftsmodelle investieren.77

[...]


1 Vgl. Warg/Engel 2018, o. S.

2 Vgl. Schuch 2017, o. S.

3 Vgl. Weber 2017, S. 1 ff.

4 Vgl. BMWi 2017, S. 2.

5 Vgl. Radic et al. 2018, S. 8 f.

6 Vgl. Ärzteblatt 2017, o. S.

7 Vgl. VW-Redaktion 2017, o. S.

8 Vgl. Kartaschow 2017, o. S.

9 Vgl. Huschens/Riedel 2018, S. 3.

10 Vgl. dpa 2018, o. S.

11 Vgl. dpa 2018, o. S.

12 Vgl. AOK Bundesverband 2017, o. S.

13 Vgl. dpa 2018, o. S.

14 Vgl. Parker/Van Alstyne/Choudary 2016, S. 18.

15 Vgl. Parker/Van Alstyne/Choudary 2016, S. 18.

16 Vgl. Oehlrich 2010, S. 141.

17 Vgl. Parker/Van Alstyne/Choudary 2016, S. 18 ff.

18 Vgl. Parker/Van Alstyne/Choudary 2016, S. 18.

19 Vgl. Warg/Weiß/Engel 2015, S. 4.

20 Vgl. Parker/Van Alstyne/Choudary 2016, S. 21.

21 Vgl. von Engelhardt/Wangler/Wischmann 2017, S. 4.

22 Vgl. von Engelhardt/Wangler/Wischmann 2017, S. 4.

23 Vgl. Arnold/Hildebrandt 2017, S. 9 f.

24 Vgl. Arnold/Hildebrandt 2017, S. 9 f.

25 Vgl. Warg/Bahrs/Stäcker 2017, o. S.

26 Vgl. von Engelhardt/Wangler/Wischmann 2017, S. 4.

27 Vgl. Parker/Van Alstyne/Choudary 2016, S. 5.

28 Vgl. Parker/Van Alstyne/Choudary 2016, S. 17.

29 Vgl. Parker/Van Alstyne/Choudary 2016, S. 8.

30 Vgl. von Engelhardt/Wangler/Wischmann 2017, S. 4.

31 Vgl. Parker/Van Alstyne/Choudary 2016, S. 19.

32 Vgl. Parker/Van Alstyne/Choudary 2016, S. 64.

33 Vgl. von Engelhardt/Wangler/Wischmann 2017, S. 12.

34 Vgl. Willnecker 2017, o. S.

35 Vgl. Radic et al. 2018, S. 8.

36 Vgl. Huber/Kirig/Rauch/Ehret 2015, S. 4.

37 Vgl. Radic et al. 2018, S. 8.

38 Vgl. Huber/Kirig/Rauch/Ehret 2015, S. 4.

39 Vgl. Radic et al. 2018, S. 8.

40 Vgl. Huber/Kirig/Rauch/Ehret 2015, S. 11.

41 Vgl. Naujoks/Schwarz/Matouschek/von Hülsen 2012

42 Vgl. Radic et al. 2018, S. 8.

43 Vgl. Niemann/Burghardt 2016, S. 2 f.

44 Vgl. Huber/Kirig/Rauch/Ehret 2015, S. 12.

45 Vgl. Uhrig 2006, o. S.

46 Vgl. Niemann/Burghardt 2016, S. 101 f.

47 Vgl. Niemann/Burghardt 2016, S. 101 f.

48 Vgl. Huber/Kirig/Rauch/Ehret 2015, S. 11 f.

49 Vgl. Zukunftsinstitut 2018, o. S.

50 Vgl. Huber 2015, o. S.

51 Vgl. Niemann/Burghardt 2016, S. 101 f.

52 Vgl. Zukunftsinstitut 2014, o. S.

53 Vgl. Gerlof 2018, o. S.

54 Vgl. Techniker Krankenkasse Landesvertretung Baden-Württemberg [o. J.], o. S.

55 Vgl. dpa 2018, o. S.

56 Vgl. Dürr 2018, o. S.

57 Vgl. Kuhlmann 2018, o. S.

58 Vgl. Krüger-Brand 2018, o. S.

59 Vgl. Reuters 2018, o. S.

60 Vgl. Ärzteblatt 2018, o. S.

61 Vgl. Vivy 2018, o. S.

62 Vgl. Techniker Krankenkasse 2018, o. S.

63 Vgl. AOK 2018, o. S.

64 Vgl. Vgl. Huber/Kirig/Rauch/Ehret 2015, S. 11 f.

65 Vgl. Vgl. Huber/Kirig/Rauch/Ehret 2015, S. 15.

66 Vgl. Bernnat 2016, S. 86 f.

67 Vgl. Bernnat 2016, S. 86 f.

68 Vgl. Huber/Kirig/Rauch/Ehret 2015, S. 11 f.

69 Vgl. Huber/Kirig/Rauch/Ehret 2015, S. 15.

70 Vgl. Bernnat 2016, S. 86 f.

71 Vgl. Kieserg 2018, Interview vom 12.10.2018, Anhang A, S. 75.

72 Vgl. Hombrecher 2018, S. 8.

73 Vgl. Huber/Kirig/Rauch/Ehret 2015, S. 21.

74 Vgl. Kieserg 2018, Interview vom 12.10.2018, Anhang A, S. 76.

75 Vgl. Huber/Kirig/Rauch/Ehret 2015, S. 20. f.

76 Vgl. Hombrecher 2018, S. 8.

77 Vgl. IBV 2018, S. 4.

Ende der Leseprobe aus 85 Seiten

Details

Titel
Die Digitalisierung in der Versicherungswirtschaft. Chancen und Risiken einer digitalen Gesundheitsplattform
Hochschule
Hochschule Fresenius; Köln
Note
1,3
Autor
Jahr
2018
Seiten
85
Katalognummer
V907200
ISBN (eBook)
9783346216588
ISBN (Buch)
9783346216595
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Versicherung, Digitalisierung, Plattform, Industrie, Plattformökonomie, Versicherungswirtschaft
Arbeit zitieren
Kevin Lehr (Autor:in), 2018, Die Digitalisierung in der Versicherungswirtschaft. Chancen und Risiken einer digitalen Gesundheitsplattform, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/907200

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