Alltagsrassismus und die gesundheitlichen Auswirkungen auf seine Adressaten


Hausarbeit, 2020

14 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Was ist Alltagsrassismus?

3. Erscheinungsformen von Alltagsrassismus
3.1 Individueller Alltagsrassismus
3.2 Struktureller Alltagsrassismus/Institutioneller Alltagsrassismus

4. Gesundheitliche Auswirkungen von Alltagsrassismus

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis:

1. Einleitung

„They act as though they don’t discriminate. But all the while they’re discriminating like mad. It may be with a smile and real nice words, but if you listen well and see where it is leading, you see the discrimination. I’d rather a Dutchman say it straight out: ‘You can’t go here and you can’t go there.’ Then I know it and I’ll fight back.“1

Wie Philomena Essed, eine Professorin für kritische Rassen- und Geschlechterlehre, habe auch ich mich dazu entschieden, meine Arbeit mit diesem Zitat einer surinamischen Frau zu beginnen. Es verdeutlicht in wenigen Sätzen einige der wichtigsten Aspekte von Alltagsrassismus. Zum einen wird die versteckte und subtile Diskriminierung angesprochen, zum anderen die damit verbundene Schwierigkeit die Erfahrungen mit Alltagsrassismus zu adressieren, da sie meist nicht explizit artikuliert werden. Zudem wird verdeutlicht, dass subtiler Alltagsrassismus keineswegs eine harmlosere Form des Rassismus darstellt. Denn es wird ausgesagt, dass es der Betroffenen sogar lieber wäre wenn die rassistischen Gedanken direkt geäußert werden würden.

Um eine Verharmlosung von Alltagsrassismus vorzubeugen, muss dieser daher häufig ins Zentrum der Forschung gestellt werden. Denn die Absender sind sich meist nicht über den abwertenden und exkludierenden Charakter ihrer Äußerungen bewusst.2 Häufig stellt sich, wenn sie unter dem Begriff „Rassismus“ mit ihren Äußerungen konfrontiert werden, ein Abwehrverhalten ein. Beispielhaft dafür ist die Aussage „Warum so empfindlich? Das ist doch nicht rassistisch.“3

Ein solches Abwehrverhalten aufzubrechen kann daher nur gelingen, wenn über den teils unabsichtlichen Charakter von Alltagsrassismus aufgeklärt wird und gesundheitliche Auswirkungen von alltäglich diskriminierenden Aussagen aufgezeigt werden. Diesem Anspruch versucht die folgende Arbeit in kurzer Form nachzukommen. Um dieses Vorhaben umzusetzen, werden zuerst die Begriffe „Rassismus“ und „Alltagsrassismus“ genauer beleuchtet und definiert. Im Anschluss werden die verschiedenen Erscheinungsformen von Alltagsrassismus dargestellt. Nachdem der Begriff und die damit verbundene Praxis ausreichend kontextualisiert wurden, werden verschiedene Erkenntnisse zu den gesundheitlichen Auswirkungen benannt und diese im Fazit abschließend eingeordnet. Zudem werden mögliche Lösungsansätze benannt und Entwicklungspotentiale der Forschung aufgezeigt.

2. Was ist Alltagsrassismus?

Um die Bedeutung von Alltagsrassismus ausreichend erklären zu können, muss zunächst der Begriff „Rassismus“ definiert werden. Für Robert Miles ist Rassismus der Prozess „durch den reale oder imaginäre biologische Eigenschaften des Menschen mit Bedeutung versehen werden.“4 Dieses Vorgehen entstand ab 1492, im Anschluss an die Reisen des Christoph Kolumbus und wurde im Verlauf der Kolonisation weiter intensiviert. Dadurch, dass das Konzept von Tier- und Pflanzenrassen auf Menschen übertragen wurde, versuchten die Kolonialmächte den Genozid an unzähligen Indigenen zu legitimieren. Kolonisatoren wurden durch die Erfindung von Menschenrassen zu „besseren“ Menschen erklärt und die Indigenen zu „schlechteren“.5

Durch dieses Konzept leitete Magnus Hirschfeld 1938 den Begriff „Rassismus“ ab und wollte mit Hilfe seiner Theorien die Ideologie der Nationalsozialisten widerlegen.6 Seitdem ist der Begriff immer wieder Gegenstand des Wandels. So zogen Menschen früher eher biologische Kriterien heran, nach denen das größte Unterscheidungsmerkmal in den Genen der Menschen lag.7 Dieses Konzept wurde immer mehr obsolet, da wissenschaftlich belegt wurde, dass Genvariationen innerhalb einer konstruierten Gruppe nicht geringer ausfallen als zwischen den konstruierten Gruppen.8 Neuere Forschungen beschäftigen sich daher vermehrt mit einem Rassismus der nicht biologische Unterschiede als Basis der Abwertung nutzt. Beispielhaft für diese Forschung ist Étienne Balibar zu nennen, der der Praxis den Namen „Neo-Rassismus“ gab. Für ihn ist bei dieser Art des Rassismus „die Unaufhebbarkeit der kulturellen Differenzen“ entscheidend.9 Laut Dileta Fernandes Sequeira hat sich dieser „Neo-Rassismus“ in Deutschland mittlerweile zur Normalität entwickelt und den biologischen Rassismus, aufgrund seiner NS-Vergangenheit, weitgehend abgelöst. Das bedeute allerdings nicht, dass es keinen biologischen Rassismus mehr gäbe.10

Nachdem der Begriff „Rassismus“ erklärt wurde, kann nun auf die spezifische Form „Alltagsrassismus“ eingegangen werden. Der Begriff wurde von Philomena Essed eingeführt und beschreibt die rassistischen Äußerungen, verbal und nonverbal, denen sich Angehörige der Minderheitsgesellschaft alltäglich ausgesetzt sehen.11 Alltagsrassismus lässt sich zwar in verschiedene Arten unterteilen, in einem Punkt sind sie allerdings alle gleich: „Starre, althergebrachte Einordnungen werden bemüht, um Menschen nach Ethnien, Nationen, Kulturen oder Rassenkonstruktionen in Schubladen einzusortieren.“12 Durch solche Einordnungen wird den Adressaten*innen kontinuierlich bestätigt, dass sie nicht vollständig dazu gehören und immer noch Teil eines „Anderen“ sind - selbst wenn sie selber keine Migrationserfahrungen gemacht haben. Aufgrund seiner Kontinuität ist Alltagsrassismus mittlerweile zu einer Normalität geworden, die „im Rahmen der gesellschaftlich fest verankerten und unhinterfragten Norm- und Normalitätsvorstellungen eingelassen ist.“13

Des Weiteren muss bei der Thematisierung von Alltagsrassismus und Rassismus im Allgemeinen eine Einteilung in primäre und sekundäre Rassismuserlebnisse vorgenommen werden. Zu den primären gehören explizit und indirekt erfahrene Erlebnisse. Çiçek et al. nennen als Beispiel die rassistischen Veröffentlichungen Thilo Sarrazins. Hierbei handle es sich um explizite Abwertungen und somit um primäre Rassismuserlebnisse. Sekundäre Rassismuserlebnisse sind hingegen etwas weniger greifbar, da sie meist nicht durch Äußerungen erlebt werden. Sie „werden im Zuge der Thematisierung von primären Rassismuserfahrungen bzw. der Verweigerung dieser Thematisierung“ gemacht.14

3. Erscheinungsformen von Alltagsrassismus

Wie bereits in Kapitel 2 erwähnt, lässt sich Alltagsrassismus in verschiedenen Erscheinungsformen wiederfinden. In den folgenden Kapiteln wird der individuelle-, der strukturelle- und der institutionelle Alltagsrassismus behandelt.

3.1 Individueller Alltagsrassismus

Laut Philomena Essed werden bei individuellem Alltagsrassismus immer Vorurteile über eine Minderheit bedient und angewandt.15 Ähnlicher Meinung ist auch Mark Terkessidis. Der deutsche Migrationsforscher zeigt am Anfang seines Buches „Psychologie des Rassismus“ anhand eines selbst erlebten Beispiels auf, dass auch Personen wie er, die sich intensiv mit Rassismus beschäftigen, Träger rassistischer Denkweisen werden können. So werde bei Begegnungen mit vermeintlich Fremden zuerst das eigene, wenn auch unzureichende Vorwissen verwendet.16 Durch ein solches Vorgehen werden daher immer Vorurteile reproduziert und verbreitet.

Um das Konzept des individuellen Alltagsrassismus besser zu verstehen wird es im Folgenden anhand vom Beispiel Mark Terkessidis erklärt. Er schildert eine Situation in der an der Gegensprechanlage seiner Wohnung eine Frau klingelte. Da sie kein gutes Deutsch sprach, ging er davon aus, dass die Frau zu den Sinti und Roma gehöre und ihm etwas Unbrauchbares verkaufen wolle. Daher war für ihn die Entscheidung naheliegend, die Tür nicht zu öffnen und das Gespräch zu beenden. Anstatt auf seine erste Eingebung zu hören, setzte er das Gespräch allerdings fort und bemerkte, dass die Frau lediglich Essen für ein Büro im Gebäude liefern wollte und dort niemanden erreichte. Als er sich seiner Vorurteile bewusst wurde, sei bei ihm ein Gefühl der Scham aufgetreten.17 Terkessidis führt in dieser Situation zwar keine direkte rassistische oder diskriminierende Handlung durch, verfällt aber aufgrund des Kontakts zu etwas vermeintlich Fremden in rassistische Denkweisen, die durch Vorurteile geprägt sind. Das Denken über eine bestimmte Person oder Personengruppe wird somit nicht durch eigene Erfahrungen beeinflusst, sondern durch Eigenschaften die er seinem Gegenüber glaubt zuschreiben zu können.18

Die einsichtige und beschämte Reaktion von Mark Terkessidis sollte allerdings nicht den Anschein erwecken als sei dies die Norm. Denn individueller Alltagsrassismus tritt nicht nur aus Versehen auf, sondern kann auch von intendierter Natur sein. „Zumindest gibt es es unzweifelhaft Menschen, die sich auch im Alltag offen und ausdrücklich durch rassistische Rede profilieren […].“19 Dabei nutzen sie ihre autoritäre Position, die sie durch Zugehörigkeit zur Mehrheitsgesellschaft inne haben.20 Mit Hilfe der durch Autorität verliehenen Macht, erzeugen sie Gruppenzugehörigkeiten, die Ausgrenzung und Unterscheidungen zwischen „Wir“ und „Nicht-Wir“ zur Folge haben.21

Durch die in diesem Kapitel beschriebene Diversität des individuellen Alltagsrassismus, ist es sehr schwer ihn begrifflich einzugrenzen, zusammenzufassen oder ihn sogar präventiv zu verhindern. Die Diversität setzt sich dabei aus den folgenden Punkten zusammen: Zum einen aus der Unterscheidung von intendiertem und nicht intendiertem Alltagsrassismus und zum anderen aus den verschiedenen Reaktionen der Menschen, die mit ihren nicht intendierten rassistischen Äußerungen oder Denkweisen konfrontiert werden. So existieren auf der einen Seite einsichtige Reaktionen wie die von Mark Terkessidis, auf der anderen Seite allerdings auch uneinsichtige Reaktionen, die sich der rassistischen Bedeutung ihrer Aussage verschließen. „Denn ihrer Meinung nach liegt nur dann Diskriminierung vor, wenn sie jemanden auch verletzen und herabsetzen wollen “, so Birgit Rommelspacher.22 Solange solche Denkweisen bestehen bleiben, kann individueller Alltagsrassismus daher nicht verhindert werden, da sich die Absender über den rassistischen Charakter ihrer Botschaften oftmals nicht einmal bewusst sind.

3.2 Struktureller Alltagsrassismus/Institutioneller Alltagsrassismus

Die Grenzen zwischen strukturellem und institutionellem Rassismus verlaufen fließend. Daher gehen diesbezüglich auch die Auffassungen der Rassismusforscher auseinander. Philomena Essed spricht beispielsweise nur vom übergeordneten Begriff „Institutional Racism“ und definiert den Begriff „Institution“ wie folgt: „Institutions are government agencies, businesses and organizations that are responsible for legislation and for maintaining labor policy, political policy, health care, education, housing, social and commercial services, and other frameworks of society.“23

Wenn Minderheiten nun durch diese Institutionen weniger Rechte erhalten oder von ihnen eingeschränkt werden, existiere institutioneller Rassismus. Ein Beispiel dafür sei, dass Angehörige verschiedener Minderheiten nachgewiesenermaßen in Schulkursen unter ihrem Niveau eingeordnet werden, so Essed. Die Strukturen der Institution Schule würden daher schon früh die Möglichkeiten dieser Personen einschränken und eine Chancengleichheit a priori verhindern.24 Bei ihrer Definition befinden sich Strukturen und Institutionen in einer wechselseitigen Beziehung und erzeugen Praxen der Ausgrenzung und Benachteiligung.

Eine etwas andere Ansicht vertritt Claus Melter. Er entwickelte, ausgehend von Philomena Esseds Arbeit, die verschiedenen Ebenen des Alltagsrassismus weiter. Dabei grenzt er strukturellen- und institutionellen Rassismus voneinander ab und übernimmt damit nicht Esseds Fusion der beiden Begriffe. Für Melter ist institutioneller Alltagsrassismus die Ausgrenzung durch Gesetze und Regelungen sowie die Diskriminierung durch Handlungen, die zuvor per Beschluss legitimiert wurden.25 Er formuliert daher folgende Definition: „Institutioneller Rassismus […] ist von Institutionen/Organisationen […] oder durch systematisch von Mitarbeitern der Institutionen/Organisationen ausgeübtes oder zugelassenes ausgrenzendes, benachteiligendes oder unangemessenes und somit unprofessionelles Handeln gegenüber ethnisierten, rassialisierten, kulturalisierten Personen […]“.26

Unter strukturellem Alltagsrassismus versteht Melter hingegen die „Benachteiligung von national, kulturell oder ethnisch definierten oder realisierten Gruppen auf dem Arbeitsmarkt, in den Einkommensverhältnissen sowie im Schul- und Bildungssystem.“27 Dabei treten, anders als beim institutionellen Alltagsrassismus, keine direkt beteiligten Personen auf. Die machtvolle Praxis ist in die Strukturen der kompletten Gesellschaft eingelassen und bestimmt dadurch automatisiert, ohne Zutun von identifizierbaren Einzelpersonen, über die „Machtverhältnisse“ dieser Gesellschaft.28

[...]


1 Essed 1990, S. 1.

2 Vgl. Çiçek et al. 2015, S. 143.

3 Ebd. S. 164.

4 Miles 1989, S. 83.

5 Vgl. Arndt 2017, S. 31ff.

6 Vgl. Ebd., S. 30.

7 Vgl. Fereidooni 2016, S. 45.

8 Vgl. Kattmann 2015.

9 Balibar & Wallerstein 1998, S. 28ff.

10 Vgl. Fernandes Sequeira 2015, S. 124.

11 Vgl. Essed 1990, S. 31.

12 Nguyen 2014.

13 Wojciechowicz 2018, S.73.

14 Çiçek et al. 2015, S. 145f.

15 Vgl. Essed 1990, S. 24.

16 Vgl. Terkessidis 1998, S. 9.

17 Vgl. Ebd., S. 9.

18 Vgl. Ebd., S. 11.

19 Çiçek et al. 2015, S. 144.

20 Vgl. Ebd., S. 155.

21 Ebd., S. 157.

22 Rommelspacher 2009, S. 31

23 Essed 1990, S. 18.

24 Vgl. Essed 1990, S. 20ff.

25 Vgl. Melter 2006, S. 26.

26 Ebd., S. 27.

27 Ebd., S. 25.

28 Ebd., S. 28.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Alltagsrassismus und die gesundheitlichen Auswirkungen auf seine Adressaten
Hochschule
Universität Bremen  (Fachbereich 12 - Erziehungs- und Bildungswissenschaften)
Veranstaltung
Das Sprechen über Migration - Eine rassismuskritische Perspektive auf (Hoch-) Schulen der Migrationsgesellschaft
Note
2,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
14
Katalognummer
V909033
ISBN (eBook)
9783346230423
ISBN (Buch)
9783346230430
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Alltagsrassismus, Gesundheit, Migration, Rassismus, Individueller Alltagsrassimus, Struktureller Alltagsrassismus
Arbeit zitieren
Nico Röhrs (Autor:in), 2020, Alltagsrassismus und die gesundheitlichen Auswirkungen auf seine Adressaten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/909033

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