Dominante Frauenfiguren und ihr Einfluss auf das männliche Ich in Franz Kafkas "Der Verschollene (Amerika) Roman"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

21 Seiten, Note: 2.3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Dominante Frauenfiguren in „Der Verschollene“
2.1 Das Dienstmädchen Johanna Brummer
2.2 Klara Pollunder und Karls ambivalente Gefühle
2.3 Grete Minzelbach die Mutterfigur
2.4 Therese die Schwesterfigur
2.5 Brunelda- Dominanzverhalten ohne sexuelle Absichten?
2.6 Fanny

3. Die Entwicklung Karls im Umgang mit Frauen

4. Schluss

5. Bibliographie

1. Einleitung

Franz Kafka beschreibt in „Der Verschollene (Amerika) Roman“ den Neuanfang des siebzehnjährigen Karl Roßmann in Amerika. Dorthin wurde dieser von seinen Eltern verschoben, nachdem er von einem Dienstmädchen verführt worden war. Schon diese Tatsache zeigt Karl Roßmann in einer Opferrolle: Er ist verführt worden, dennoch wird er und nicht die Verführerin fortgeschickt. Fern der Heimat erliegt Karl immer wieder dominanten Frauen, die sein Leben beeinflussen. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf der Art und Weise wie es den Frauen gelingt sich in das Leben des Romanhelden Karl Roßmann zu drängen und wie dieser damit umgeht.

Ziel der Arbeit ist es anhand der Interaktion Karls mit Frauen zu zeigen, dass Karl Roßmann eine Entwicklung durchlebt. Um diese These zu belegen befasst sich der Text mit den Begegnungen zwischen Karl und Johanna Brummer, Klara Pollunder, Grete Minzelbach, Therese, Brunelda und Fanny und geht dabei folgenden Fragen nach: Welche Parallelen bestehen zwischen den einzelnen Begegnungen, welche Unterschiede gibt es? Hat Karl Roßmann generell ein Problem mit Frauen oder kann man eingrenzen mit welchen weiblichen Charakteren, welche Probleme auftauchen? Lernt er aus seinen Erfahrungen und wenn ja, wie zeigt sich sein Lernfortschritt?

Da in der literaturwissenschaftlichen Diskussion um die Interpretation der kafkaschen Texte inzwischen klar geworden ist, dass eine „Vergeblichkeit aller Bemühungen um eine verbindliche Sinn- und Bedeutungsfindung“ herrscht[1], geht die vorliegende Arbeit einzig und allein textanalytisch vor. Mögliche Parallelen zu Kafkas Leben und Frauen bzw. Männern die sein Leben beeinflusst haben könnten werden nicht in Betracht gezogen. Außerdem wird kein Vergleich zu Kafkas „Briefe an Felice“ angestellt, wie dies im Zusammenhang mit diesem Roman häufig der Fall ist[2], noch werden psychoanalytische Theorien bezüglich Franz Kafkas Leben zu Rate gezogen. Gegenstand der Ausarbeitung ist lediglich der Romanheld Karl Roßmann und dessen Interaktion mit Frauen in dem Roman „Der Verschollene“.

2. Dominante Frauenfiguren in „Der Verschollene“

Die Hauptfigur Karl Roßmann gerät immer wieder an dominante Frauenfiguren, die frei über seinen Körper verfügen. Meist erfolgt nach diesen Begegnungen ein Verstoß Karls aus seinem bisherigen Leben. Immer wieder muss er alleine von neuem anfangen. Neben einer extremen Willenlosigkeit und Ekelgefühlen gegenüber Sexualität, speziell der eigenen, zeigen diese Begegnungen mit den Frauen auch die sexuelle Unerfahrenheit Karls. Seine sexuellen Gefühle für Frauen sind aber auch ambivalent. Daher fällt es ihm schwer sich zur Wehr zu setzen. Dies wiederum führt zu Missverständnissen. Wie genau sich Karls’ Charakter in den Begegnungen mit Frauen zeigt, wie wehrlos und schwach er sich gibt und wie er seine eigene Sexualität sieht wird in den folgenden Kapiteln dargestellt

2.1 Das Dienstmädchen Johanna Brummer

Schon der erste Satz des Romans „Als der siebzehnjährige Karl Roßmann, der von seinen armen Eltern nach Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen verführt und ein Kind von ihm bekommen hatte, […].“[3] wirft Fragen auf. Warum schicken die Eltern ihren eigenen Sohn fort, obwohl dieser doch offensichtlich das Opfer einer „Verführung“ ist? Denn schließlich hat das Dienstmädchen ihn und nicht er sie verführt. Außerdem erscheint es dem Leser als fragwürdig, warum Karl sich diesen Rauswurf gefallen lässt. Er ist doch durchaus im Recht, den Beschluss der Eltern zu hinterfragen oder sogar zu verweigern. Man empfindet Mitgefühl für den ungerecht behandelten Karl.

Dieses Gefühl, festigt sich spätestens zu dem Zeitpunkt an dem der Leser erfährt, dass der Akt der Verführung sogar als Vergewaltigung angesehen werden kann. Dies lässt sich zunächst erahnen, als man erfährt dass Karl „keine Gefühle für jenes Mädchen“[4] hatte. Als weiteres Indiz für eine Vergewaltigung ist, dass das Dienstmädchen ihn schon häufiger bedrängt hatte: „Manchmal schloß sie die Küchentüre, wenn Karl eingetreten war, und behielt die Klinke solange in der Hand bis er wegzugehen verlangte.“[5] Hier schränkt sie ihn in seiner Bewegungsfreiheit ein- ein für ein Dienstmädchen sehr selbstbewusstes, vielleicht sogar waghalsiges Verhalten- wenn man bedenkt, dass Karl der Sohn ihres Arbeitgebers ist. Dies gibt ihm die Möglichkeit sie für ihr unverschämtes Verhalten ihm gegenüber zu entlassen. Die Möglichkeit sich auf diese Weise zur Wehr zu setzen zieht der kleine Roßmann jedoch nicht in Betracht. Stattdessen fleht er sie an ihn hinauszulassen Die Textpassage zeigt erstmalig die Dominanz des Dienstmädchens über den Jungen.

Ihr Name, Johanna Brummer, verführt den Leser zu Spekulationen. Man vermutet, dass es sich bei besagter Person um eine gestandene, korpulente Frau handelt, die dem Jungen körperlich überlegen ist. Und dieser durch ihren Namen vermittelte Eindruck, wird bestätigt als der Onkel Karls die Gründe für dessen Ankunft in Amerika beschreibt. Das Dienstmädchen wird in seiner Beschreibung als eine etwa fünfunddreißigjährige Person eingeschätzt und als Brummer bezeichnet, der von seinem Neffen ein Kind bekommen hat.[6] Jegliches Attribut von Weiblichkeit fehlt. Ebenso unpassend erscheint dem Leser die Bezeichnung Mädchen bei einer fünfunddreißigjährigen Frau. Und ein Brummer ist im eigentlichen Sinn eine Schmeißfliege, die dicker ist als normale Stubenfliegen und ihre Eier in faulendes Fleisch oder tierischen Kot legt.[7] Erhält eine Person einen solchen Namen, stellt man sie sich folglich automatisch als dicke Person vor. Bei jedem weiteren Gedanken über Brummer schwingt ein Ekelgefühl mit. Im Vergleich zum siebzehnjährigen Karl, der klein und schmächtig ist, ist Johanna Brummer körperlich überlegen. Auch Karls Bekenntnis, er habe keinerlei Gefühle für „jenes Mädchen“[8] steht in Ambivalenz zu der Bezeichnung ‚Brummer’. Vielmehr kommt es dem Leser nun so vor als sei das Mädchen gar kein Mädchen sondern eher eine Horror Figur von Frau.

Von der Verführung erfährt der Leser dann aus Karls Sicht. Für ihn gehört dieses Ereignis zu einer immer mehr „zurückgestoßenen Vergangenheit“[9]. Er wurde von seinen Eltern zurückgestoßen und so stößt er auch alle mit diesen verbundenen Erinnerungen zurück. Für Karl kam das Verhalten des Dienstmädchens plötzlich. So plötzlich, dass er vor Staunen gar nicht anders konnte als ihr in ihr Zimmer zu folgen: „Einmal aber sagte sie, ‚Karl’ und führte ihn, der noch über die unerwartete Ansprache staunte, unter Grimassen seufzend in ihr Zimmerchen, das sie zusperrte.“[10] Es gab kein Entkommen mehr- das Zimmer war verschlossen. Karl kann ihr Verhalten, also die Grimassen und das Seufzen, nicht deuten und „während sie ihn bat sie zu entkleiden, entkleidete sie in Wirklichkeit ihn und legte ihn in ihr Bett, als wolle sie ihn von jetzt niemandem mehr lassen.“[11] Der Leser sieht Karl als ein Kleinkind, das dem Dienstmädchen hilflos ausgeliefert ist: Er kann nicht dagegen wehren von ihr ins Bett gelegt zu werden. Und selbst Karl fühlt sich, als sei er ihr Besitz. Nicht er entscheidet was geschieht sondern das Dienstmädchen bestimmt über seinen Körper. Ihm ist im vielen warmen Bettzeug unbehaglich zumute. Und dem Leser eröffnet sich ein Bild in dem ein Junge eingezwängt zwischen einer dicken Frau und Unmengen von Kissen und Laken steckt.

Die Verführung selbst beschreibt der Erzähler mit Hilfe vieler aneinander gereihter Nebensätze in einem einzigen Satz. Dieses sprachliche Mittel drückt zum einen aus, wie ungern Karl Roßmann sich an dieses Ereignis erinnert - wohl auch deshalb wird zuvor von einer „zurückgestoßenen Vergangenheit“[12] gesprochen – zum anderen zeigt es die Wehrlosigkeit des Jungen. Er scheint in dieser Situation vollkommen überfordert zu sein. Überfordert von Johanna Brummers Annmache und ihrer körperlichen Nähe. Alles geht ihm zu schnell um sich zu wehren. Dies wird durch die aneinander gereihten Nebensätze deutlich. Sie vermitteln dem Leser Hektik. In seiner Erinnerung an die Geschehnisse merkt Karl, dass er sich „widerlich“[13] fühlte als sie ihren nackten Bauch an ihn drückte. Und als ihm dann war „als sei sie ein Teil seiner selbst[…] hatte ihn eine entsetzliche Hilfsbedürftigkeit ergriffen.“[14] Weinend verlässt er den Raum.

Seine Hilflosigkeit, sowie das Weinen und der Ekel zeigen zum ersten Mal, dass es sich bei dem Akt der Verführung um eine Vergewaltigung handelt, sprich um eine Handlung gegen seinen Willen. Von einer solchen ist jedoch nie explizit die Rede. Der Erzähler spricht lediglich von Verführung. Jedoch befindet sich Karl Roßmann eindeutig in der Opferrolle. Und zwar nicht nur, weil er von einer mehr als doppelt so alten, körperlich überlegenen Frau ‚verführt’ wurde, sondern auch weil seine Eltern “zur Vermeidung der Alimentenzahlung und des Skandals ihren Sohn[…] nach Amerika haben transportieren lassen.“[15] Als Leser fragt man sich, warum die männliche Hauptperson nicht um sein eigenes Wohlergehen kämpft. Wie bereits zu Anfang festgestellt, ist er eindeutig im Recht gegen die wesentlich ältere Frau in Anklage zu treten. Zumindest vor seinen Eltern. Da der Leser jedoch auch weiß, dass weder Karl noch ein anderes Familienmitglied ihn als Opfer einer Vergewaltigung ansieht, sondern das Geschehen immer als Verführung bezeichnet wird, akzeptiert man Karls Verhalten zunächst. Dies allerdings nur mit der Hoffnung, dass Karl irgendwann merkt wie man ihn hin und her schubst, als könne jeder außer ihm selbst über seinen Körper bestimmen. Außerdem wünscht man sich für Karl, dass er lernt seinen eigenen Willen zu erkennen und dafür einzustehen.

[...]


[1] Rieck, Gerhard: Franz Kafka und die Literaturwissenschaft. Aufsätze zu einem Kafkaesken Verhältnis. Würzburg: Königshausen & Neumann GmbH 2002. S. 78.

[2] Tröndle, Isolde: Differenz des Begehrens Franz Kafka- Marguerite Duras. Würzburg: Könighausen & Neumann 1989.

[3] Kafka, Franz: Der Verschollene (Amerika) Roman. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 1994. S.9.

[4] Vgl. S 35.

[5] Ebd.

[6] Vgl. Kafka, S.36.

[7] Vgl. Rieck, S.100.

[8] Kafka, S. 35.

[9] Ebd.

[10] Ebd.

[11] Ebd.S.36.

[12] Ebd.S.35.

[13] Ebd.S.36.

[14] Ebd.

[15] Ebd. S.34.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Dominante Frauenfiguren und ihr Einfluss auf das männliche Ich in Franz Kafkas "Der Verschollene (Amerika) Roman"
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Veranstaltung
Franu Kafka: Erzählungen und Texte
Note
2.3
Autor
Jahr
2007
Seiten
21
Katalognummer
V90954
ISBN (eBook)
9783638055161
ISBN (Buch)
9783638946711
Dateigröße
459 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dominante, Frauenfiguren, Einfluss, Franz, Kafkas, Verschollene, Roman, Kafka, Erzählungen, Texte, männliches Ich, Entwicklung
Arbeit zitieren
Dorothee Koch (Autor:in), 2007, Dominante Frauenfiguren und ihr Einfluss auf das männliche Ich in Franz Kafkas "Der Verschollene (Amerika) Roman", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90954

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