Lebensstile von Studenten im heutigen Bangkok


Magisterarbeit, 2007

160 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1. Thailand Heute
1.2 Begründung der Arbeit / Aufgabenstellung
1.3 Die Kapitel
1.4 Verwendete Quellen

2 Die urbanen Mittelschichten Thailands
2.1 Entstehung der Mittelschichten
2.2 Die diskursive Konstruktion des Charakters und des Lebensstils der Mittelschichten
2.2.1 Das politische Bewusstsein
2.2.2 Konsum: Global Consumer, Oriental Producer
2.2.3 Der Lebensstil der Mittelschichten
2.3 Studenten in Bangkok: Die junge Generation der Mittelschichten

3 Die Vorgehensweise
3.1 Der Forschungsprozess
3.2 Die untersuchte Gruppe
3.3 Interpretation des Fragebogens
3.4. Zur Vorstellung der Ergebnisse

4 Vorstellung der Ergebnisse
4.1 Das soziale Umfeld
4.1.1 Äußerungen zu Eltern und Familie
4.1.2. Äußerungen zum Freundeskreis
4.2 Selbstwahrnehmung
4.2.1 Wahrnehmung der eigenen Individualität
4.2.2 Religionszugehörigkeit und Bedeutung der Religion im alltäglichen Leben
4.2.3 Vorbilder
4.3 Bildung und Karrierevorstellungen
4.4 Politisches und soziales Bewusstsein
4.5 Freizeit und Konsum
4.5.1 Bevorzugte Freizeitaktivitäten
4.5.2 Bedeutung des Konsums im alltäglichen Leben
4.6 Gedanken zur Globalisierung

5 Abschlussbetrachtung

6 Abbildungsverzeichnis

7 Literaturliste

8 Anhang

1 Einleitung

In einer Welt, in der die Prozesse der Globalisierung scheinbar schneller ablaufen als die Prozesse ihrer Definitionsfindungen in den Stuben der Akademien bricht die Postmoderne mit der lange als Weisheit empfundenen Vorstellung der Monopolisierung der Moderne durch den Westen. Die glückliche Verquickung historischer Zufälle, die dem europäischen Abendland einen kurzfristigen Vorsprung vor anderen Kulturkreisen in der Jahrtausende alten Geschichte der Menschheit verschafft hat, findet ihren Meister in der neuerlichen – diesmal aber weitaus globaler und stärker frequentierten – Verquickung historischer Zufälle. Lange als dem Westen gegenüber rückständig bezeichnete Kulturen, Gesellschaften oder Nationen befinden sich auf dem Weg, der sie über kurz oder lang auf gleiche Augenhöhe mit der westlichen Welt führen wird.

Die Frage, wie sich die Situation der gleichen Augenhöhe Europas und Südostasiens zum Beispiel darstellen wird, muss gegenwärtig noch spekulativ beantwortet werden. Jedoch soll die hier vorliegende Arbeit einen kleinen Stein im großen Mosaik der Forschung verkörpern, indem sie auf der Ebene des Individuums - des thailändischen Studenten aus Bangkok im Jahre 2006 – forscht, und Aufschluss darüber geben will, wie der Einzug der westlichen Variante der Moderne die Ausprägung einer thailändischen stimuliert hat.

1.1. Thailand Heute

Len kanmueang[1] ist eine thailändische Version, die Politik im Lande zu bezeichnen. Deutsche Übersetzungen wären dazu „irrational anmutendes Spiel“ oder „Thailands Demokratisierung: Ein Schauspiel in vielen Akten“ (Reinecke / Sander 2000: 12).

Am Dienstag, den 19. September 2006, wurde das Schauspiel um einen weiteren Akt erweitert. Ein unblutiger Militärputsch entriss dem seit Februar 2001 regierenden Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra schlagartig die Macht. Der „Administrative Reform Council“ (ARC) unter Putschistenführer Sonthi Boonyaratglin löste Parlament und Kabinet auf, setzte die Verfassung von 1997 außer Kraft und entließ die Richter des Obersten Verfassungsgerichtes aus ihren Ämtern, sämtliche andere Behörden und Ämter blieben unberührt. Der 20. September wurde zum Nationalfeiertag erklärt, Schulen, Banken und andere öffentliche Einrichtungen blieben für diesen einen Tag geschlossen. Ausgangssperren wurden nicht ausgesprochen. Mit dem Verweis darauf, dass der ARC eine schnellstmögliche Rückkehr zur zivilen parlamentarischen Demokratie anstrebe und beabsichtige, bereits innerhalb der nächsten zwei Wochen eine Übergangsregierung außerhalb des Militärs einzusetzen, sollte einer unnötigen Hysterie innerhalb und außerhalb des Landes vorgebeugt werden. Dieser Zeitplan wurde eingehalten und das Vorhaben planmäßig umgesetzt. Am Montag, den 9. Oktober 2006, ernannte König Bhumibol Adulyadej den ehemaligen General Surayud Culanont zum vorübergehenden Premier. Sein Kabinet, aus 26 Ministern bestehend, setzt sich zusammen aus ehemaligen Beamten, Bankiers und Universitätsprofessoren; nur der Posten des Verteidigungsministers bleibt traditionell in den Händen des Militärs – wohlgemerkt in den Händen eines Ex – Militärs. Eine aus Experten bestehende Kommission, deren Besetzung in Kürze geklärt werden soll, wird mit der Aufgabe bedacht, eine neue Verfassung auszuarbeiten, deren Hauptmerkmal darauf liegen wird, Mechanismen des Check and Balance so zu strukturieren, dass sie – wie unter Thaksin üblich – nicht mehr so einfach von autoritären Karrierepolitikern ausgehebelt werden können. Spätester Termin für eine offizielle Neuwahl soll der Oktober 2007 sein.[2]

Das interessante – man möge die zynische, dennoch angebrachte Wortwahl verzeihen – an dem Putsch ist, dass sich mindestens drei fundamentale Aspekte ablesen lassen, die für das tiefere Verständnis thailändischer Machtverhältnisse in Politik und Gesellschaft im Jahre 2006 konstitutiv sind: a.) Das traditionelle Machtzentrum Militär, welches seit dem Beginn der 80er Jahre eine schleichende Erosion seiner Position zu verzeichnen hatte (Reinecke / Sander 2000: 39), nach dem „Blutmai“ (Löschmann 2006) von 1992 zudem auch keinerlei moralische Legitimation mehr besaß, auf das Land „aufpassen“ zu dürfen, und spätestens mit der 1997er Verfassung endgültig aus der Politik verbannt wurde, hat sich mit einem Paukenschlag zurückgemeldet. Es ist nach wie vor sehr mächtig und kann noch immer die Geschicke des Landes – zwar nicht mehr im Alleingang und auch nicht auf Dauer – lenken.

b.) Die Monarchie, welche sich immer für friedliche und konfliktfreie Lösungen eingesetzt hat, und nur in unausweichlichen Situationen intervenierte, stellt sich eindeutig hinter die Putschisten und ernennt einen Armeegeneral a. D. – der im Übrigen als ein Vertrauter des Königshauses bezeichnet wird[3] – zum neuen Übergangsregierungschef. Man könnte vermuten, der König habe sich sein Land mit Hilfe des Militärs von dem sino - thailändischen Businesspolitiker und designierten „Alleinherrscher Thaksin“ (Löschmann 2006), dessen Anwesenheit das Volk so stark zu polarisieren drohte, dass es sich hätte spalten können, zurückgeholt.[4]
c.) Der dritte Aspekt, und offensichtlich Bände sprechend für die gesamte Verfasstheit dieser Gesellschaft, ist die Tatsache, dass es einer verhältnismäßig kleinen sozialen Gruppe aus Bangkok gelungen ist, einen derart massiven Druck gegen einen Mann - der vor nicht allzu langer Zeit verfassungskonform von großen Teilen der Bevölkerung des Landes in seinem Amt bestätigt wurde – aufzubauen und seine Wahllegitimität anzuzweifeln (Nelson 2006: 37), dass er letztendlich fallen musste. Dieser starke Kontrast zwischen Bangkok, und dort vor allem den Mittelschichten, und dem Hinterland muss als einer der Hauptgründe für politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungshemmnisse angesehen werden.[5]

Führt man jene drei Aspekte nun zusammen, könnte man meinen, „im Großen“[6] habe sich kaum etwas verändert: Militär und Monarchie haben beeindruckend ihre Kräfte spielen lassen und mit den üblichen Argumenten[7] wurde eine Clique, die bis dato nie gekannte Grenzüberschreitungen begangen hat (Löschmann 2006), in ihre Schranken gewiesen. Der urban – rurale Kontrast konnte über die Jahrzehnte nicht abgebaut werden, im Gegenteil, er scheint größer denn je. Es gibt jedoch noch einen vierten Aspekt, der auch für das Verständnis thailändischer Politik- und Gesellschaftsverhältnisse konstitutiv ist, und sehr wohl von einem Wandel „im Großen“ kündet. Es ist dies die Machtverschiebung innerhalb der Politik zugunsten der Wirtschaft, folglich zu ungunsten der alten bürokratischen Eliten und natürlich wie üblich auch zu ungunsten demokratischer Strömungen. Spätestens seit Beginn der 1980er Jahre, einer Zeit, in der sich das Land zusehends Prozessen der Globalökonomie öffnete, seine Wirtschaft immer mehr auf den Export umstellte und Schwindel erregende Wirtschaftswachstumszahlen[8] zu verzeichnen waren, strömten Unternehmer und Big Business in die Politik und verdrängten graduell Bürokratie und Militär von ihren alteingesessenen Posten.[9] Der Begriff Money Politics ist wohl der kürzeste, zugleich aber auch treffendste, um diesen Transformationsprozess im politischen Machtspiel zu charakterisieren (Schramm 2002: 57; Pasuk / Baker 205: 239 f.; 247f.). Besonders die sino – thailändische Großunternehmerschicht Bangkoks und die lokalen jao pho[10] taten und tun sich als Protagonisten hervor, der beste Beweis dafür ist der abgesetzte ehemalige Ministerpräsident Thaksin.

Diese unglaubliche Macht der Wirtschaft ist ohnehin ein Phänomen in Thailand, denn im Gegensatz zu den ständigen Diskontinuitäten und Umbrüchen in der Politik ist sie stets ihren Weg in Richtung Moderne gegangen, und abgesehen von der Wirtschafts- und Finanzkrise 1997, deren Nachwehen bereits zehn Jahre später kaum noch zu spüren sind,[11] hat sie dies auch immer sehr erfolgreich getan.

So wurde innerhalb weniger Jahrzehnte ein Industrialisierungsprozess durchlaufen, dessen Tempo weit über dem der westlichen Industrienationen, ja sogar über dem der Tigerstaaten Taiwan und Südkorea lag (Reinecke / Sanders 2000: 76). Thailand galt seit den 1960er Jahren bis 1997 als eines der wachstumsstärksten Länder der Welt (Schramm 2002: 58). Heute ist die Wirtschaft geprägt durch eine marktwirtschaftlich – liberale Orientierung mit einer starken Rolle des Außenhandels bei gleichzeitiger Stimulierung der Binnenwirtschaft durch Kredit finanzierte Ausgabenprogramme zugunsten der ländlichen Bevölkerung.[12] Diese so genannte dual track economy[13] ist zwingend notwendig vor dem Hintergrund des völlig unausgewogenen Verhältnisses zwischen der Anzahl der Beschäftigten und der Wertschöpfungszahlen der jeweiligen wirtschaftlichen Sektoren.[14] Technologie intensive Bereiche, Veredelungsindustrien und der Dienstleistungssektor sollen auf lange Sicht den Agrarsektor ablösen und die in der Landwirtschaft verharrende Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung integrieren.[15]

Regional unterstreicht das Land seine Eingebundenheit wirtschaftlich und politisch durch die Mitgliedschaften in der ASEAN[16] und der AFTA[17], international durch die Mitgliedschaften in der ASEM[18] und der APEC[19].

Wirtschaftlicher Fortschritt einerseits, politische Stagnation bzw. politischer Rückschritt andererseits, scheinen charakteristisch für die thailändische Gesamtentwicklung. Reinecke und Sander schreiben dazu:

„Ein Automatismus, dem zufolge wirtschaftliche Entwicklung zu Liberalisierung führt, besteht nicht (Reinecke / Sander 2000: 60). […] Die politische Entwicklung in Thailand [ist, C.E.] der wirtschaftlichen Entwicklung nicht geradlinig gefolgt, sondern hat sich eher in einem wilden Zickzackkurs durch die Geschichte bewegt.“[20]

Wenn sich „im Großen“ also scheinbar nur die Wirtschaft in Richtung Modernität bewegt hat, liegt es nahe, Wandlungsprozesse und Entwicklungstendenzen „im Kleinen“ zu suchen, denn Veränderungen im Lande sind evident.

Die in erster Linie ökonomisch induzierte Öffnung gegenüber globalen Prozessen musste zwangsweise auf die Selbstwahrnehmung der thailändischen Gesellschaft ausstrahlen und gleichzeitig eine Diversifizierung derselben bedeuten. Die ständig steigende Anzahl nachgefragter Fachkräfte und damit einhergehend das sich ständig ändernde Jobprofil entsprechender Fachkräfte erforderte eine Bildungsexpansion. Die zunehmende Zahl Graduierter wanderte zusehends in die Privatwirtschaft – einerseits, weil das Fassungsvermögen der schwächer werdenden Bürokratie bald erschöpft war, andererseits, weil die Gehälter in der Wirtschaft ungleich höher waren als in staatlichen Institutionen. Andere, die nicht in die Wirtschaft wechselten, begannen z.B. journalistisch oder akademisch zu arbeiten. Lehrer, Akademiker, Journalisten, Ingenieure, Manager, Intellektuelle, Künstler, Studenten entwickelten außerhalb der Regierung eine Art Eigenleben und begannen somit allmählich eine Zivilgesellschaft zu etablieren (Reinecke / Sander 2000: 32).

Der mediale Einfluss, der anfangs in Form von TV, Radio und Printmedien Einzug hielt und später um das Internet erweitert wurde, kann als „sozialer Spiegel“ angesehen werden, in dem sich das Volk selbst reflektieren konnte. Es konnte erfahren, dass seine ethnische Zusammensetzung, seine Vielzahl an religiösen Praktiken, die Komplexität seiner Geschichte, und die gravierenden Unterschiede seiner sozialen Schichten in der Realität doch ein ganz anderes Bild boten, als dasjenige, das der offizielle staatliche Diskurs vorgab (Pasuk / Baker 2005 : 199, 229).

Der Tourismus – Thailands größte Devisenquelle – der zum Millenium mit 12 Millionen Reiselustigen das Land überfiel (Pasuk / Baker 2005: 204), die Schrumpfung der Räume durch wachsende Mobilität in Form von verbesserten Straßen, günstigen Motorrädern, Tourbussen, erschwinglichen Flugtickets, die zunehmende Zahl von im Ausland studierender und arbeitender Thailänder, die o. g. mediale und ökonomische Globalisierung und besonders auch die starke Präsenz der USA[21] während des Vietnamkrieges, aber auch davor und danach als Militärpatron im Kampf gegen den Kommunismus - all dies konnte nicht spurlos an dieser Gesellschaft vorbeigehen, und tat es auch nicht. Pasuk und Baker schreiben:

„Over one generation during the last quarter of the twentieth century, Thailand’s society changed with unprecedented speed. [...] Information, images, and ideas arrived via satellite, TV transmission, film and internet. The economy became more exposed to global forces, and the society to global tastes and ideas.”[22]

Dennoch muss festgehalten werden, dass diese Veränderungen „im Kleinen“ in der Realität lokal relativ begrenzt sind, weitestgehend schichtabhängig sind und Prozesse beschreiben, die zwar äußerlich schnell sichtbar wurden / werden, innerlich aber lange Zeit brauchen, um sich zu verfestigen, um somit langfristig wirken zu können. Sie beziehen sich in erster Linie auf die urbanen Mittelschichten – vorzugsweise auf die Bangkoker Mittelschichten – und repräsentieren das „moderne“ Thailand. Der Rest der Gesellschaft, das „alte“ Thailand, stellt den Grund dafür dar, dass Veränderungen „im Großen“ - mit Ausnahme der Wirtschaft – noch nicht passieren konnten und zur Herbeiführung derselben entweder noch viel Zeit verstreichen oder ein massiver Bildungs- und Aufklärungsschub initiiert werden muss, damit Bangkok und Thailand eines Tages eine kohärente Gesellschaft bilden können. So könnten dann auch Veränderungen „im Großen“ herbeigeführt werden.

1.2 Begründung der Arbeit / Aufgabenstellung

Im thailändischen Kontext sind jene sozialen Gruppen, die neben Monarchie, Militär und Big Business die günstigsten Handlungs- und Entscheidungsfreiheiten haben, ihrer eigenen Identität ein Gesicht zu geben, in erster Linie innerhalb der Mittelschichten Bangkoks zu finden. Dies ergibt sich aus dreierlei Hinsicht: Erstens sind und waren die (Haupt)Städte immer die Orte, die die „globale Moderne mit nationalen Entwicklungen artikulieren“ und somit als „Foren der Auseinandersetzungen um einen neuen Konsens“ angesehen werden können (Korff 1997: 2); zweitens muss den urbanen Mittelschichten ein gewisses Maß an Kraft und Ambitionen, sich dem Staat gegenüber zu emanzipieren, unterstellt werden,[23] da sie drittens über relativ gesicherte finanzielle Ressourcen verfügen, derer es bedarf, um sich neue, vielfältige – „moderne“ – Wissens- und Bildungsressourcen zu erschließen (Dittrich / Hölscher 2001:56). In der wissenschaftlichen und medialen Konstruktion als Hoffnungsträger angesehen, das „moderne Thailand“ aufzubauen, um somit traditionelle Machtverhältnisse zu relativieren und das Volk in der Breite von streng hierarchisierten Denk- und Handlungsmustern zu befreien, entwickelten sie jedoch ganz eigene Formen, die Angebote einer aufkommenden Moderne für sich umzusetzen. Eine typische Variante, die thailändischen Mittelschichten zu charakterisieren, liefert zum Beispiel Niels Mulder:

„These people attained their majority in a period of consumer culture, growing up with television rather than with books. They are not interested in social reconstruction, but at best in the construction of condominiums, shopping malls, and urban transportation systems. They are not politicized such as the students of the early 1970s were. Cynical about politics, and motivated mainly to live up their chosen lifestyles, they are far removed from being critically participating citizens; politically seen, they are kibitzers at best.”[24]

Nun die Frage: Ist der von Mulder beschriebene Zustand bereits Ausdruck der südostasiatischen Variante von Modernität in Bezug auf die Mittelschichten oder sollte er – der Notwendigkeit, sozialen Transformationsprozessen (sehr) viel Zeit geben zu müssen, Rechnung tragend – nur als ein Zwischenschritt auf einem langen Weg gesehen werden? Obwohl dem Entwicklungsweg einer Gesellschaft immer ein Prozesscharakter implizit ist, kann die aufgeworfene Frage bis dato nur spekulativ beantwortet werden.

Aus dieser Überlegung heraus ergab sich das forschungsleitende Motiv der vorliegenden Arbeit: Die Gruppe der Studenten[25] im heutigen Bangkok liegt altersmäßig etwa 10 Jahre unter den Mittelschichtgenerationen, die Mulder beschreibt. Konsequenterweise ergibt sich die Frage, inwiefern sich die Lebensstile der jüngeren Generationen von denen der älteren unterscheiden? In welchem Ausmaß, in welchen Aspekten? Zur näheren Beleuchtung dieser Frage sollte eine Bestandsaufnahme von bestehenden Lebensstilen von Studenten in Bangkok erfolgen. Diese wurde in Form von Gesprächen, die sich an einem vorbereiteten Fragebogen orientierten, durchgeführt. Es sollte erfragt werden, wie diese Jugendlichen ihren eigenen Lebensstil wahrnehmen. Wie nehmen sie die Unterschiede zwischen ihrer eigenen und der Generation ihrer Eltern war? Welche Vorstellungen haben sie hinsichtlich Beruf, Karriere und Familie? Setzen sie sich mit sozialen und politischen Problemen in ihrem Land auseinander? Welche Rolle spielt die Religion in ihrem Leben, welche Gedanken haben sie zur Globalisierung, etc.?

Zusammengefasst kann das Ziel dieser Arbeit also lauten: Anhand einer zufallsgesteuerten Bestandsaufnahme von Lebensstilen innerhalb der sozialen Gruppe der Studenten im heutigen Bangkok, soll erstens erkundet werden, welche möglichen Arten von Lebensstilen überhaupt existent sind. Und zweitens soll der Versuch unternommen werden, mit Hilfe der gewonnenen Informationen – in Verbindung mit aktueller (Fach)Literatur - eine Art Kontrastfolie zu entwerfen, anhand derer Mulders Mittelschichtgenerationen mit der der Studenten im Jahre 2005/ 06 verglichen werden kann.

1.3 Die Kapitel

Die vorliegende Arbeit ist in zwei große Blöcke aufgegliedert – einen theoretischen und einen empirischen. Kapitel 2. „Die urbanen Mittelschichten Thailands“ wird anhand der Besprechung relevanter Fachliteratur den theoretischen Hintergrund liefern, dessen Interpretation helfen soll, Merkmale einer „Mittelschichtkultur“ herauszufiltern, die den Bezugsrahmen der Sozialisation der jungen Studenten darstellt.

So wird ein Überblick über die Entstehung der Mittelschichten zeigen, in welchem Maße sie zu welchem Zeitpunkt in der Geschichte des Landes auftraten und durch welche sozialen Aufstiegskanäle sie ihren Status erreichen konnten.

Einen weiteren Aspekt des theoretischen Teils stellt die Beschäftigung mit der diskursiven Konstruktion des Charakters und des Lebensstils der Mittelschichten dar. Hier werden die verschiedenen historischen Handlungen besprochen, aufgrund derer dominante Paradigmen entworfen wurden, die helfen sollten, diese sozialen Schichten zu charakterisieren. Besonders ihre Rolle im politischen Geschehen des Landes führte in den vergangenen Dekaden verstärkt zu Fragen nach ihrem politischen Bewusstsein und den sich daraus scheinbar offenbarenden Ambitionen, aktiv am Prozess der Konsolidierung einer Demokratie in Thailand teilnehmen zu wollen. In gleicher Weise maßgeblich bestimmend für die Beschreibung des Charakters der thailändischen Mittelschichten erscheint das Bild einer jungen gleichwohl exzessiven Konsumgesellschaft.

Dass die Festlegung auf einige wenige Charaktereigenschaften zur Beschreibung dieses äußerst heterogenen Spektrums sozialer Gruppen aus wissenschaftlicher Perspektive jedoch nicht durchzuhalten ist, wird spätestens bei der Suche nach einer angemessenen Begrifflichkeit zur Fassung desselben deutlich. Daher soll Kapitel 2. auch dazu dienen, vertiefend zu erklären, worauf sich diese Konstruktionen begründe(te)n, und wie die offensichtliche Vielfältigkeit von Charaktereigenschaften der thailändischen Mittelschichten im akademischen Diskurs aufgefangen wurde. Die Einführung des Lebensstilkonzeptes in die Forschung über die asiatischen Mittelschichten sollte den o. g. Konflikt auflösen und ein Referenzniveau schaffen, auf dem weniger die dominanten Paradigmen gegeneinander abgewogen werden, als viel mehr ihre komplexen Mischformen abgebildet werden können – ihre Lebensstile eben.

Der letzte wesentliche Aspekt, der zur Aufbereitung einer theoretischen Grundlage zum tieferen Verständnis der gewonnen Ergebnisse dienen soll, wird in Form einer Besprechung der jungen Generation der Mittelschichten, der Studenten, geliefert. Hier soll gezeigt werden, wie der zentrale Mittelschichtwert „Bildung“ etabliert wird, welche Rolle den Studenten innerhalb ihrer Gesellschaft zugeschrieben wird, und in welcher Fächerkombination – aufgeschlüsselt anhand einer Abbildung der Graduierten- und Einschreibungsprofile der staatlichen Universitäten aus 2000 und 2001 – diese Bildung angestrebt wird.

Das dritte Kapitel „Die Vorgehensweise“ beschreibt den Aufbau des Forschungsprozesses und schildert unter welchen Vorüberlegungen entsprechende Forschungsschritte umgesetzt wurden. Des Weiteren wird darüber Auskunft gegeben, wie sich die untersuchte Gruppe alters- und zahlenmäßig zusammensetzt, sowie darüber, in welcher Fächerkombination die Studenten eingeschrieben sind. Die Interpretation des Fragebogens beschreibt, nach welchen Aspekten die „Operationalisierung“ des Fragebogens stattgefunden hat, und schildert dabei insbesondere, wie die ursprünglich für den westlichen Kontext angelegte Lebensstilforschung in den thailändischen übertragen wurde.

Die Auswertung der empirischen Arbeit wird das vierte Kapitel „Vorstellung der Ergebnisse“ bilden. Entsprechend der in Unterkapitel 3.4. „Zur Vorstellung der Ergebnisse“ gemachten Aussagen zur induktiven Neuzusammensetzung der Frage- und Antwortkategorien, setzt sich der empirische Teil dieser Arbeit aus sechs Unterkapiteln zusammen. Hier werden die Aussagen der Studenten mit akademischer und journalistischer Literatur zusammengeführt und münden in eine Analyse, die den Aussagewert der empirischen Arbeit erklären wird. Wie werden also die gesellschaftlichen Veränderungen in Thailand, die Globalisierung, politische und soziale „Handlungsnotwendigkeiten“, Partnerschaften, etc. aus der Perspektive des Individuums, des thailändischen Studenten aus Bangkok im Jahre 2006, wahrgenommen.

Abschließend soll diskutiert werden, an welchen Stellen sinnvolle Anknüpfungspunkte zwischen meinen Ergebnissen und besprochenen theoretischen Vorüberlegungen bestehen.

Es soll diskutiert werden, welche Schlüsse sich aus dem empirischen Material ergeben könnten, also ob zum Beispiel makroperspektivisch erarbeitete Theoriebefunde für die Ebene des Individuums relativiert werden müssen, oder ob zum Beispiel neue Erwartungen aufgrund der gewonnenen „Daten“ formuliert werden können.

1.4 Verwendete Quellen

Für den theoretischen Teil wurden in erster Linie Autoren zitiert, die meiner Meinung nach durch ihre sehr differenzierte und zum Teil auch bemerkenswert distanzierte Darstellungsweise stark zu respektierende wissenschaftliche Autoritäten auf dem Gebiet der Südostasienwissenschaften darstellen. Besonders die Arbeiten von James Ockey zur „Konstruktion des Charakters der thailändischen Mittelschichten“, sowie die historisch angelegten Arbeiten von Pasuk Phongphaichit und Chris Baker als auch die Arbeiten von Niels Mulder, der anhand von Analysen über das thailändische Schul- und Bildungssystem einen großartigen Einblick in die Sozialisation der Thailänder gibt, haben den Charakter der hier vorliegenden Arbeit geprägt.

Für den empirischen Teil wurden vorzugsweise thailändische Akademiker und Journalisten zitiert, wodurch die in Kapitel 3.1. angesprochene „Binnenperspektive“ noch einmal betont werden sollte. Zusätzlich wurden thaisprachige „Lifestyle“ Magazine, Stadtmagazine, die ungefähr den Berliner Magazinen „Zitty“ oder „Tip“ – in denen kulturelle Ereignisse aufgeführt, Kleinanzeigen geschaltet, stadtbezogene Berichte geschrieben, Satire, Comics, Modetrends, Einkaufsmöglichkeiten, etc. aufgeführt werden – recht ähnlich sind und Internetseiten, die eine breite Palette von Aspekten des „jugendlichen Lebensstils in Bangkok“ präsentieren, als Quellen verwendet.

Als Quelle zusätzlicher statistischer Befunde konnten in erster Linie die thaisprachige Umfrage „Yaowachon tai 2001: tongkan hai rataban mai ...reng gae panha setagit (Thai Youth in 2001: Requires the New Government to Hasten in Solving the Economic Problems). des „Thai Farmers Research Center“ und die englischsprachige Version der Statistiksammlung „Pocket. Thailand in Figures 2005“ der „Alpha Research Co., Ltd.“ dienen.

2 Die urbanen Mittelschichten Thailands

2.1 Entstehung der Mittelschichten

Jiraporn Witayasakpan zufolge dürfte das späte 19. Jahrhundert als frühester Anfangspunkt in der Geschichte der thailändischen Mittelschichten angesehen werden.[26] Sowohl der rapide Ausbau der Staatsbürokratie[27] zu dieser Zeit als auch der Anstieg der Händler und Geschäftsleute seit dem Bowring Treaty[28] aus dem Jahre 1855 eröffneten vielfältige Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs und begünstigten somit das Entstehen neuer sozialer Gruppen, die sich zwischen Ober- und Unterschicht bewegten (Pinches 1999: 12). Zur Zusammensetzung dieser sozialen Schichten schreibt Ockey:

„The structurally defined middle class of the period was made up, then, largely of traders, independent farmers and civil servants, including academics. There was also a sprinkling of journalists.”[29]

Ein Charakteristikum dieser neuen sozialen Schichten – zumindest derer, die nicht als Händler und Geschäftsleute einen sozialen Aufstieg zu verzeichnen hatten - war das zunehmende Maß an Bildung, westlicher Bildung (Witayasakpan 1992: 43. In Ockey 1999: 231). Dies musste automatisch dazu führen, dass die Notwendigkeit des Bestehens einer absoluten Monarchie hinterfragt und zunehmend stärker angezweifelt wurde (Thompson[30] ; Mokarapong[31]). Benjamin Batson (1974) zufolge brachte die Einführung einer Einkommenssteuer, die in erster Linie Regierungsbeamte und Angestellte westlich strukturierter Firmen traf, das ohnehin schon brodelnde Fass revolutionären Gedankengutes zum Überlaufen.[32]

Mit dem Sturz der absoluten Monarchie im Jahre 1932 betraten die Mittelschichten erstmals die politische Bühne. Im akademischen Diskurs – sowohl im thailändischen als auch im westlichen – wurden und werden dabei die Anteile der verschiedenen Segmente dieser Schichten an dem Putsch unterschiedlich bewertet.[33] Nakharin (1992) liefert hinsichtlich dieser Fragestellung wohl die beste Beschreibung des Ereignisses:

„The middle class outside government service did not play a role in seizing power…That task fell to the mid – level civil servants and soldiers. However, the act of seizing power took place in circumstances where the middle class outside the government service had already helped to destroy the legitimacy of the upper class to govern ... almost completely.”[34]

Über die folgenden zwei Jahrzehnte wurden die Mittelschichten in der akademischen Literatur hauptsächlich als Kombination aus unabhängigen Geschäftsleuten und white collar Bürokraten konzeptionalisiert (Ockey 1999: 233). Diese Simplifizierung mündete paradoxerweise in den 1950er und 60er Jahren sogar in der Verleugnung der Existenz einer strukturell definierten Mittelschicht in Thailand.[35] Ockey beschreibt diesen Prozess als „Zweistufenprozess“, in dem zu Beginn die soziale Unterscheidung der thailändischen Bevölkerung eben weniger strukturell als vielmehr ethnisch getroffen wurde. Er zitiert G. William Skinner (1957a, 1957b) folgendermaßen:

„There are what appear to be two middle classes, or at least two major middle – class groupings – the Chinese and the Thai. They overlap for the most part in stratification, but the mean status of the Chinese middle class is appreciably higher. The latter consists of most ethnic Chinese in occupations of highest and mid – high status, i.e., occupations of relatively high income which involve no manual labor...The Thai middle class consisting mainly of those in mid – high status occupations (government employess, small entrepreneurs, teachers, newspapermen, clerks, secretaries, and so on) is strongly white collar in flavor.”[36]

So ergab sich das Bild einer “middle – class”, die in erster Linie in ein chinesisches Segment, welches Skinner mit der „old middle – class“ verband und in ein thailändisches Segment – die „white collar middle – class“ – unterteilt wurde, strukturell aber nicht in den sozialen Kontext eingearbeitet wurde:

„That the Chinese described by Skinner might more accurately be called Sino –Thai becomes lost in the constant reference to ‘the Chinese’. That there are entrepreneurs who are Thai, and bureaucrats who are Sino – Thai, is also obscured. And the shared middle – class culture described in Jiraporn’s analysis of theatre disapperas from the analysis.”[37]

Fred Riggs (1966)[38] und William Siffin (1966)[39] ordneten in Skinner’scher Manier die “white collar middle – class” den ethnischen Thai zu, und gingen noch einen Schritt weiter, in dem sie das breite Spektrum an bestehenden Berufen recht eindimensional zu einer “(Thai) bureaucracy“ (Ockey 1999: 233) zusammenfassten:

„Wrote Siffin...: ’the emerging middle class was a bureaucratic class’.Riggs and Siffin thus made the conceptual shift from white – collar middle class to ‘the (Thai) bureaucracy’. “[40]

Dass dabei „übersehen“ wurde, dass bereits ein großer Anteil sino – thailändischer Bürokraten im Staatswesen tätig war, erklärt Chai-anan Samudavanija (1991) folgendermaßen:

„Due to the the socialisation process of the bureaucracy a son of Chinese immigrants will remain Chinese if he chooses to be a businessman, but once he enters the bureaucracy his ethnic identity disappears and he becomes a kharatchakan or civil servant.”[41]

Den zweiten Schritt bei der Eliminierung der Mittelschichten im akademischen Diskurs ging David Wilson (1962), indem er die Stabilität der thailändischen Gesellschaft mit der Abwesenheit einer Mittelschicht begründete:

„The society of the Thai is characterized by a gross two – class structure, … in which the classes are physically as well as economically seperated and differential status is satisfactorily justified… [This structure consists] of an extremely large agrarian segment and a small ruling segment. ... The more intimate economic relationship concerned in transfer of goods and services between town and country takes place through Chinese traders. These people as aliens are easily contained politically.”[42]

Dieser Prozess der Verbannung der Mittelschichten aus dem akademischen Diskurs hatte Ockey zufolge mindestens zweierlei Auswirkungen:

„Writing the middle class out of academic discourse ensured that the middle class could not make itself, or develop into a coherent social class. It also ensured that when the ‘middle class’ returned to the discourse in the 1970s, it was considered new.”[43]

Als paradox muss nun dieser Prozess deshalb angesehen werden, weil gerade mit der Machtübernahme Sarits[44] Bedingungen geschaffen wurden, die eine enorme Expansion der Mittelschichten induzierte.[45] Ideologie und Wirtschaft gingen dabei Hand in Hand:

„The Sarit regime (1957 – 63) was the first government since the overthrow of the absolute monarchy in 1932 that did not seek legitimacy through an appeal to democracy. Instead, it appealed to development, to security, and to the monarchyDevelopment was responsible for the sudden increase in size of the middle class. The particular type of development pursued was based on private enterprise, and on foreign investment. [...] the greatest threat to development was instability[46] [...] and a large educated middle class was necessary for stable democracy[47] [...] Therefore, authoritarian – led development was necessary until a middle – class democracy could come about.”[48]

Ideologisch „abgesichert“ konnte es nun aufgrund der Neuausrichtung der wirtschaftlichen Planungen in Richtung Industrialisierung, gradueller Exportorientierung und Förderung privater Investitionen auch automatisch zu einem Anwachsen der Beschäftigtenzahlen in diesen Sektoren kommen. Besonders der Handel und der Service orientierte Dienstleistungssektor wuchsen enorm. Die damit einhergehende Bildungsexpansion sorgte für ein kontinuierliches Anwachsen von Fachkräften, die größtenteils in die Wirtschaft abwanderten, jedoch auch in den Mediensektor gingen oder akademische Laufbahnen anstrebten (Ockey 1999: 234).

Abbildung 1 zeigt das Anwachsen – sowohl zahlenmäßig als auch prozentual – von verschiedenen Berufsfeldern der thailändischen Angestellten- und Arbeitnehmerschaft.

Abb. 1

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: Ockey 1999: 235).

Die Kategorien A,B,C,D und I zeigen typische „white – collar middle class“ Berufskategorien an, und deren prozentuales Anwachsen von 9, 85 Prozent im Jahre 1960 auf 20,2 Prozent im Jahre 1990 an der gesamten Angestellten- und Arbeitnehmerschaft Thailands. Besonders in der Dekade von 1960 bis 1970 zeigt die Zahl in Kategorie B einen bemerkenswerten Zuwachs an Angestellten im Staatswesen an, und auch die Zahlen in Kategorie A und I sprechen eine deutliche Sprache. Sie müssen als Hinweis darauf gelesen werden, dass eine – strukturell zwar verleugnete – Mittelschicht de facto im rapiden Anwachsen begriffen war. Der prozentuale Anstieg der Kategorien A,B,C und D in den beiden folgenden Dekaden ist bemerkenswert und muss als eindeutiger Spiegel dessen verstanden werden, wie sich der ökonomische Boom der 1980er Jahre in der Beschäftigungsstruktur zahlenmäßig ausdrückt.[49]

Statistisch „abgesichert“ lässt sich der Entwicklungstrend der thailändischen Mittelschichten, wie er nun durch die akademische Konstruktion aufgefangen wurde so ausdrücken: Die rapide Expansion dieser sozialen Schichten und das massive Auftreten in Wirtschaft, Politik, Medien und im Bildungsbereich führte letztendlich wiederum in den 1970er Jahren zur „Wieder-“ bzw. „Neuentdeckung“ der Mittelschichten im akademischen Diskurs. Ockey schreibt dazu:

„…the ‚middle class’, defined structurally, is not truely new; rather it was defined out of existence during the 1950s and 1960s. The emergence of the new rich was so striking that later writers could no longer ignore what they now saw as ‘the middle class’.”[50]

Ab diesem Zeitpunkt in der Geschichte der thailändischen Mittelschichten gilt es nun folgende Aspekte festzuhalten: a.) Das Auftreten jener sozialer Gruppen, die das neuerliche Interesse an der Konstruktion einer Mittelschicht als handelnde und (unterstellt) sozial kohärente Klasse hervorriefen, ist in erster Linie der wirtschaftlichen Neuausrichtung des Landes geschuldet. Die „neuen“ sozialen Gruppen waren es, die aus dem Wechselspiel zwischen neu entstandenen wirtschaftlichen Chancen und der damit notwendig gewordenen Bildungsexpansion erfolgreich Kapital schlagen konnten und sich in kürzester Zeit einen Status erarbeiteten, der sie von den unteren Schichten der Gesellschaft abhob.[51] In der Literatur werden sie als the new rich (Ockey 1999, 2001; Hewison 1996; Robison / Goodman 1996; Askew 2003; Pasuk/ Baker 2005 u. v. a.), oder als (elite) upper white – collar stratum (Funatso / Kagoya 2003) bezeichnet, womit eindeutig ein Verweis auf deren ökonomischen Hintergrund gegeben ist. Manager, Servicedienstleister, Bankiers, Architekten, Ingenieure, Angestellte in der Verwaltung u. v. a. bilden diese Gruppe.

b.) Zahlenmäßig den Neureichen unterlegen, aber eben auch als Ergebnis der Bildungsexpansion anzusehen sind diejenigen, die eher über das kulturelle, weniger (aber auch) über das ökonomische Kapital Mittelschichtstatus erworben haben. Akademiker, Studenten, Journalisten, Intellektuelle, Schriftsteller, Künstler oder NGO Aktivisten fallen in diese Gruppe. Trotz der zahlenmäßigen Unterlegenheit gegenüber dem Rest der Mittelschichten waren und sind es ihre Aktivitäten, die eine dominante Achse bilden, um die sich der gesamte akademische Diskurs dreht (Ockey 1999: 237). Die Straßenkämpfe in Bangkok in den Jahren 1973, 1976 und 1992 von Studenten, Intellektuellen und Akademikern begonnen und im weiteren Verlauf von großen Teilen der Bangkoker Bevölkerung mitgetragen, verschafften den Mittelschichten den Status der Demokratie fordernden und somit fördernden Kraft innerhalb der Gesellschaft.[52]
c.) Die unterstellte „Neuheit“ der thailändischen Mittelschichten kann in Anbetracht ihrer doch relativ langen historischen Entwicklung nicht aufrechterhalten werden. Nicht ihr Bestehen ist neu, sondern die massive Expansion von gesellschaftlichen Schichten, die wirtschaftliche Chancen nutzen und umsetzen konnten und die tertiäre Bildung in einem bis dato unbekannten Maße in Anspruch nehmen konnten. Ockey charakterisiert den Beginn dieser Entwicklung folgendermaßen:

„These new rich, concentrated in the sales, technical and services sectors of the economy, have overtaken a structural middle class formerly made up largely of small traders, intellectuals and bureaucrats.“[53]

Die „Übernahme“ der „alten“ Mittelschichten durch die „neuen“ - oder vielleicht besser, die Integration der Neureichen in bestehende Mittelschichtstrukturen, kann als Prozess angesehen werden, der in den 1960er und 1970er Jahren begann und bis heute andauert. Charakteristisch für diesen Prozess waren / sind u. a. die zunehmende Diversifizierung der Berufsfelder, der Anstieg der Löhne (zumindest in der Privatwirtschaft)[54], die Expansion und Diversifizierung des Mediensektors,[55] die Herauskristallisierung verschiedener geistiger Strömungen innerhalb der Gesellschaft,[56] die Zunahme der Anzahl von Universitäten,[57] die stetig wachsende Rolle des Konsums und der Freizeit, die zunehmende Partizipation der „Massen“ am politischen Geschehen und die zaghafte Etablierung einer Zivilgesellschaft. Die Kombination der eben aufgeführten Beispiele musste zwangsweise eine Diversifizierung – oder besser – Stratifizierung der Mittelschichten zum Ergebnis haben (Shiraishi 2003: 9f.).

Neben der Einordnung der Mittelschichten in den historischen Kontext Thailands stellt sich natürlich auch die Frage nach ihrer sozialen Herkunft, ihrer Altersstruktur und ihrer Zusammensetzung. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass sich die Mittelschichten in erster Linie auf den Großraum Bangkok konzentrieren (Funatso / Kagoya 2003: 252). Der Großteil von ihnen ist in Bangkok geboren und über die Hälfte dieser Gruppen sind in erster Generation Mittelschicht zugehörig (Funatso / Kagoya 2003: 253).

Abb. 2

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: Funatso / Kagoya 2003: 252).

Abbildung 2 zeigt a.) dass jeweils über 60 Prozent der Befragten der entsprechenden Mittelschicht in Bangkok geboren ist, und b.) dass aus dem Vergleich der absolvierten Schuljahre zwischen den gefragten Mittelschichtangehörigen und ihren Vätern ersichtlich ist, dass ein enormer Unterschied zwischen erworbenen Bildungsressourcen besteht. Dies bestätigt durchaus die Feststellung, dass ein Großteil der heutigen Mittelschichtangehörigen über die Bildung zu seinem Status gelangt ist, von daher auch als Mittelschicht angehörig in erster Generation betrachtet werden kann.

Weiterhin ist festzuhalten, dass zwar natürlich auch Mittelschichtstrukturen in den urbanen Zentren des Hinterlandes und in gewisser Anzahl auch in den ländlichen Gebieten bestehen, jedoch entsprechen deren Anteile an der Gesamtbevölkerung der jeweiligen Gebiete nicht (z. T. nicht annähernd) denen in Bangkok.

Abb. 3

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: Hewison 1996:150).

Drittens soll darauf hingewiesen werden, dass die Mittelschichten aus sozioökonomischer und soziokultureller Perspektive äußerst heterogen sind. Charakteristisch für die Entstehung der Mittelschichten ist die starke Vermischung von Individuen aus sehr unterschiedlichen sozialen Kontexten (Funatso / Kagoya 2003: 241), wobei der Großteil von ihnen aus den unteren urbanen Schichten stammt(e)[58] ( Funatso / Kagoya 2003: 253). Abbildung 4 zeigt zum Beispiel, dass von den 120 Befragten Angehörigen der „upper white – collar“ Mittelschichten 63 aus den sozialen Schichten der Arbeiter oder Bauern stammen, etc.

Hinzu kommt die Tatsache, dass der Industrialisierungsschub seit den 1960er Jahren in kürzester Zeit große Migrationswellen aus den ländlichen Gebieten in die Städte – vorzugsweise Bangkok – verursachte. Auch aus diesen einwandernden sozialen Schichten rekrutierten sich größere Anteile der neuen Bangkoker Mittelschichten (Hattori / Funatso 2003: 145). Schaut man dazu noch einmal auf Abbildung 2, dann stellt man fest, dass bei allen aufgeführten Mittelschichten bei der Angabe nach dem Geburtsort jeweils immer mindestens 20 Prozent auf ländliche Geburtsorte fallen müssten.

Neben der Vermischung der sozioökonomischen und soziokulturellen Kontexte fand auch eine ethnische Vermischung statt. Konnten (bzw. können z. T. noch heute) die alten, traditionellen Mittelschichten relativ einfach in die ethnisch Thai dominierte zivile und militärische Bürokratie und die chinesisch dominierte Welt der Kleinhändler, Laden- oder Fabrikbesitzer unterteilt werden, so scheint es angebracht die heutigen Mittelschichten als sino – thai dominiert zu bezeichnen.[59]

Abb. 4

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: : Funatso / Kagoya 2003: 254).

In erster Linie die zunehmende Verstrickung von Wirtschaft und Politik führte auf der einen Seite – der thailändischen – zur größeren Akzeptanz der Chinesen und somit auch der ethnischen Vermischung, und auf der anderen Seite – der chinesischen - zu einer Erhöhung des chinesischen Selbstwertgefühls und einem verstärkten Streben nach Emanzipation.[60]

Ein letztes Grundcharakteristikum der Bangkoker Mittelschichten sei mit einem Blick auf die Altersstruktur genannt. Shiraishi (2003: 9) schätzt, dass ca. 57 Prozent derjenigen, die in Mittelschichtberufen tätig sind, zwischen 20 bis 34 Jahre alt sind. Dies bestätigt die zeitliche Einordnung des Beginns der massiven Expansion der Mittelschichten (oder anders formuliert, des Beginns des Auftretens der „neuen Mittelschichten“) und gibt im weitesten Sinne auch darüber Auskunft, dass die Mittelschichten mit einem großen Prozentsatz von den so genannten „Neureichen“ dominiert werden. Schaut man sich die sozialen und ökonomischen „Aufstiegskanäle“ (Funatso / Kagoya 2003: 250) an, durch die die Mittelschichtangehörigen ihren Status erreicht haben, dann ist dies auch nicht verwunderlich. Waren es ursprünglich Institutionen wie z. B. die Bürokratie, das Staatswesen oder das Militär, die den sozialen Aufstieg sicherten, so wurde mit der allmählichen Machtverschiebung zugunsten der Wirtschaft und der immer stärker werdenden Einflussnahmemöglichkeiten derselben auf die Politik, der ökonomische Aufstieg gewissermaßen als Möglichkeit des sozialen Aufstiegs wahrgenommen. Shiraishi schreibt in diesem Zusammenhang:

„The boom produced middle class jobs in manufacturing, in finance and insurance, in the real estate development business, in legal, information, accounting, translation and marketing services, in hotels, restaurants, and entertainments. But professionals, whether business executives, managers, engineers, bankers, accountants, lawyers or others, were in short supply. In the boom years, therefore, their pay shot up, rising several times as large as civil service pay. Thai university graduates, the majority of whom used to join the government as career civil servants until the end of the 1970s, started to go into the private sector in the 1980s.”[61]

Dennoch: trotz der zahlenmäßigen Dominanz der „Neureichen“ dürfen – wie oben bereits erwähnt – die Gruppen derer, die aufgrund ihres kulturellen Kapitals zu Mittelschichtstatus gelangt sind, auf keinen Fall ausgeblendet oder unterschätzt werden.[62] Denn in erster Linie sind sie diejenigen, die aufgrund ihrer Prominenz bzw. ihrer großen öffentlichen Rolle einen Prozess dominieren, in dem sich die thailändischen Mittelschichten sozusagen selbst konstruieren (Ockey 1999: 231).

Wie ersichtlich wurde, gibt es mindestens zwei Möglichkeiten, die Entstehung der Mittelschichten zu beschreiben. Es ist einerseits die rein historische, die sich z. B. anhand von Jahreszahlen, Ereignissen und ökonomischen Indizes - also zum Beispiel dem monatlichen Mindesteinkommen - nachvollziehen lässt. Soziale Schichten, die sich in unzählige kleinere soziale Gruppen aufteilen lassen, sich auf den Großraum Bangkok konzentrieren, vor ca. 150 Jahren mit dem Ausbau des Staatswesens in Folge von Modernisierungsbewegungen und verbesserten Handels- und Geschäftsmöglichkeiten entstanden, im Jahre 1932 das politische Geschehen stark veränderten und mit dem Beginn des global ökonomisch induzierten Wirtschaftsbooms zahlenmäßig rapide expandierten, sollen hier als historisch gewachsene Mittelschichten Thailands angeführt werden. Auf der anderen Seite stehen die gleichen sozialen Gruppen, die anfänglich eher über ethnische Variablen recht eindimensional unterteilt wurden, dann im akademischen Diskurs als strukturell nicht existent behandelt wurden und erst mit ihrer massiven Expansion und dem erneuten Auftreten auf der politischen Bühne in den 1970er Jahren die Notwendigkeiten hervorriefen, ihnen einen Namen zu geben und sie somit strukturell in das thailändische Sozialgefüge einzuarbeiten. Sie sollen hier als soziale Schichten angeführt werden, deren Charakter und Lebensstil durch den akademischen Diskurs und auch durch sie selbst konstruiert werden. Die Intellektuellen, die Medien und die Werbung stehen hier an vorderster Front und entwerfen ein Bild, das automatisch auf den Lebensstil der Mittelschichten ausstrahlt und somit die Selbstwahrnehmung stark beeinflussen muss.

2.2 Die diskursive Konstruktion des Charakters und des Lebensstils der Mittelschichten

Mit der Konstruktion der Mittelschichten ging auch automatisch die Suche nach einer adäquaten Begrifflichkeit derselben einher. Die historisch orientierte Einteilung in „alte“ und „neue“ Mittelschichten scheint insofern gerechtfertigt, als dass Diskontinuitäten in ihrer Entwicklung de facto aufgetreten sind.[63] Auch macht es Sinn zu behaupten, dass die „alten“ Mittelschichten in groben Zügen aus thailändischen Bürokraten und kleineren chinesischen Händlern zusammengesetzt waren, wohingegen die „neuen“ Mittelschichten quantitativ von mittleren bis großen Sino – Thai Unternehmen und selbstständigen Geschäftsleuten dominiert werden, den „Neureichen“. Funatso und Kagoya (2003) schlagen im Sinne dieser gleichermaßen historisch und sozioökonomisch orientierten Unterscheidung eine Aufteilung in ein „(elite) upper white – collar stratum“ („new midle class“) und die so genannten „lower strata“ („old middle class“)[64] vor (Funatso / Kagoya 2003: 245).

Die gleichzeitige Verwendung der Begriffe „class(es)“ und „stratum / strata“ deutet nun aber auf die eigentliche Problematik hin. Wie soll diese sozial und historisch sehr stark fragmentierte Gruppe unter einen Begriff zusammengefasst werden? Ockey schreibt hierzu:

„It should be clear that it is at best analytically dubious to speak of a single middle class in Thailand. There are instead diverse fragments and diverse constructions that have not yet been conflated into a single social class. [...] Most academics and journalists write as if there is a single, clearly defined middle class. The prostitute, the university professor, the bank manager, the independent farmer, the owner of a Chinese traditional medicine shop, the police officer and the soldier are all ‘middle class’ under various definitions, yet they have little in common.”[65]

Ockey verwendet daher auch den Begriff der „structurally defined middle class“ (Ockey 1999) und unterstreicht somit die Brauchbarkeit dieser Begrifflichkeit ausschließlich zu Analysezwecken. Ohnehin scheint es schwierig, aufgrund der historischen und vor allen Dingen sozialen Komplexität dieser Schichten ein gemeinsames Klassenbewusstsein unterstellen zu können, das auf ein einheitliches soziales und politisches Bewusstsein ausstrahlen könnte (Hattori / Funatso / Torii 2003; Hattori / Funatso 2003; Koanantakool 2002, Ockey 1999).

Souchou (2001 : 7f.) und Hattori / Funatso (2003: 158) / Torri (2003 :135) verweisen zum Beispiel auch auf die historisch völlig unterschiedlichen Entwicklungen der asiatischen und der europäischen Mittelschichten – die in orthodoxer Weise (Souchou 2001: 7) noch immer als Referenz für den asiatischen Kontext dienen, und diskutieren aus dieser Perspektive die Brauchbarkeit des Begriffs der „Mittelklasse(n)“. Auch Hattori, Funatso und Torii (2003) verwenden den Begriff der Mittelklassen, obwohl sie doch sehr explizit die Suche nach einer adäquaten Begrifflichkeit im akademischen Diskurs auflösen, und eben auch – wie oben angesprochen die Verwendbarkeit dieses Begriffes aus historischer Perspektive anzweifeln:

„It should be pointed out at the outset that the process of modernization and economic growth in Asia has shown distinctly different characteristics from those followed by Western societies, which supposed to serve as a reference point. The difference has derived from the fact that the modernization of Asia, unlike that of the West which took place gradually over several centuries, began at a later point in time and took place in a much shorter span of time in the form of ‘compressed industrialization’. [...] The Asian middle classes can only be portrayed, at least fort he time being, as ‘intermediate strata’ situated between the lower and upper strata.“[66]

Dennoch wird in der neueren und neuesten englischsprachigen Literatur einmündig von der /den „middle class /es“ gesprochen (vgl. Baker/ Phongpaichit 2005; Mulder 2001; Girling 1996; Askew 2003[67] ; Koanantakool 2002; u. v. m.), was als Ausdruck dessen verstanden werden muss, dass die Verwendung des Begriffes “middle class(es)” in der englischsprachigen Literatur - im Sinne Ockeys – eben als vereinfachte Analysemöglichkeit zu verstehen ist.

Im Gegensatz dazu scheint man sich in der deutschsprachigen Literatur für die Zusammenfassung jener sozialen Gruppen auf den Begriff der „Mittelschichten“ geeinigt zu haben (vgl. u. a.:Horstmann 1997, Korff 2003, Evers / Gerke 1999, Reinecke / Sander 2000). Da aber auch hier Zweifel an der Angemessenheit dieser Begrifflichkeit bestehen, jenes stark fragmentierte soziale Spektrum fassen zu können, kann auch in der deutschsprachigen Literatur das Wort „Mittelschichten“ nur als Ausdruck der Suche nach einem komfortablen Analysebegriff verstanden werden.

Hierzu Evers und Gerke:

„Asiens ‚Neue Reiche’ und die gerade erst etablierte Mittelschicht werden gemeinhin unter eine Kategorie subsumiert… In Wirklichkeit aber sind sie weit davon entfernt, eine homogene soziale Einheit zu sein. Sie sind außerordentlich heterogen und stellen getrennte gesellschaftliche Kräfte dar. Die Begriffe „Neue Reiche“ und „Neue Mittelschicht“ sind in keinem Fall angemessene oder funktionierende Analyse – Instrumentarien. […] Der sozioökonomische Hintergrund der Mitglieder der neuen Mittelschicht ist außerordentlich divers, und eine genaue Differenzierung, wer schon zur Mittelschicht zu zählen ist und wer noch als zur Unterschicht zugehörig kategorisiert werden muss, ist mit in europäischen Gesellschaften entwickelten Parametern nicht zu leisten.“[68]

Es bleibt also festzuhalten, dass die Begrifflichkeit „Mittelschichten“ gegenwärtig die wohl angemessenste ist. Schichten - und nicht Schicht - deshalb, weil man es hier schließlich mit sehr verschiedenen sozialen Gruppen zu tun hat. Daher soll in der vorliegenden Arbeit durchgängig von den thailändischen Mittelschichten gesprochen werden.[69]

Eine von Hattori, Funatsu und Torii (2003: 6) vorgestellte Aufteilung der sozialen Schichten in ostasiatischen Gesellschaften (Abbildung 5) – entworfen von Goldthorpe[70] (1992) für den Kontext der (westlichen) Industriegesellschaften, modifiziert von Hsiao[71] (1999) für die Mittelschichtforschung in Südost- und Ostasien der Academica Sinica - soll auch für diese Arbeit als Grundlage genommen werden.

Als „capitalist“ sollen dabei jene sozialen Gruppen bezeichnet werden, die über die massive Anhäufung finanzieller Ressourcen Mittelschichtstatus erreicht haben. Großindustrielle, Vorstände von Banken oder Aufsichtsräte von großen staatlichen Betrieben sollen hier eingeordnet werden. Nun stellt sich natürlich die Frage, ob diese Gruppen überhaupt noch zu den Mittelschichten gezählt werden können, da sie aus sozioökonomischer Perspektive natürlich eine eigene soziale Schicht für sich bilden. Nimmt man aber andere Bewertungsmaßstäbe, zum Beispiel jene, die in Bourdieu’scher Manier auch nach kulturellen Ressourcen als Grundlage zur Verortung sozialer Gruppierungen im gesamtgesellschaftlichen Kontext fragen, dann sollte es schwierig werden, den Großkapitalisten einen Status zuzuschreiben, der sie in die Oberschicht erhebt.[72] Von daher scheint es angemessen, die Schichten der Kapitalisten durchaus noch zu den Mittelschichten zu zählen, ihnen hier jedoch aus sozioökonomischer Perspektive einen gesonderten Status zuzugestehen.

Abb. 5

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: Hattori /Funatso / Torii 2003: 6).

In der „New middle class“ sollen jene Gruppen verortet werden, die eben durch den wirtschaftlichen Boom der 1970er und 1980er Jahre und der damit einhergehenden Bildungsexpansion, Professionen aufnehmen konnten, die sie a.) finanziell und b.) auch in soziokultureller Hinsicht relativ schnell und eindeutig vom Durchschnitt der thailändischen Gesellschaft „entfern(t)en“. Gut bezahlte Experten in technischen Berufen, Universitätsdozenten, Intellektuelle, Verwaltungsbeamte, „white collar worker“ mit speziellen Kenntnissen und Fähigkeiten sollen hier eingeordnet werden. Die „Old middle class“ setzt sich, wie der Name bereits sagt, aus Berufen zusammen, die vor dem Wirtschaftsboom und der Bildungsexpansion bereits Möglichkeiten schufen, sich intellektuell und / oder finanziell einen Status in der Gesellschaft zu erarbeiten, der eine „Zwischenstation“ zwischen Unter- und Oberschicht darstellt(e). Besitzer von kleineren Läden – zum Beispiel traditionellen chinesischen „Apotheken“ oder auch mittelgroßen Restaurants – sowie Freiberufler, d.h. Schriftsteller oder Künstler können hier eingeordnet werden, wobei die Freiberufler natürlich auch stark innerhalb der „New middle classes“ zu finden sind. Diese Aufteilungen sind ohnehin nicht stringent durchzuhalten, da sie a.) von Autor zu Autor neu vorgenommen werden, und b.) die Grenzen doch in der Tat relativ fließend sind. So werden zum Beispiel Dienstleistende (personal service workers) oder durchschnittliche Angestellte (routine nonmanual employees) von Hsiao in die „Marginal middle class“ eingeordnet, obwohl der Dienstleistungssektor in Thailand ein enorm wichtiger Wirtschaftsmotor ist und von daher das Attribut „marginal“ nicht unhinterfragt nachvollziehbar ist.

Aber auch hier – im Sinne der vorhergegangen Diskussion zur Findung einer adäquaten Begrifflichkeit – lässt sich vorerst nur festhalten, dass eine kontrollierte Fragmentierung als Ausdruck der Suche nach einem komfortablen Analyseinstrument angesehen werden muss.

Diese Suche nun stellt aber nur einen Aspekt in der Konstruktion der Mittelschichten dar. Der zweite Aspekt wird offensichtlich, wenn man nach dem Charakter der Mittelschichten fragt. Worüber diskutiert man überhaupt, wenn die Mittelschichten zum zentralen Gegenstand eines (wissenschaftlichen) Diskurses erhoben werden? Welche Rolle in der Gesellschaft wird ihnen zugeschrieben? Wofür stehen sie?

Aus mehreren der hier aufgeführten Zitate und der Beschreibung der äußerst schwierigen „Einigung“ auf eine adäquate Begrifflichkeit zur Fassung dieser sozialen Gruppen, geht hervor, dass es zu eindimensional gedacht wäre, diesen Mittelschichten einen einheitlichen Charakter zu unterstellen. Vielmehr ist es notwendig, eine grundsätzliche Unterscheidung der beiden „Hauptstränge“ der Mittelschichten zu nennen. Dazu Ockey:

„The differences in the middle – class fragments are most clear between the consumer middle class, many of them new rich, and the occupational (status) middle class, many of them in the media and academe. Despite considerable overlap, these two groups are fairly distinct in terms of income and education.”[73]

Die Konstruktion der Mittelschichten durch sie selbst läuft auf zwei verschiedenen Ebenen. Die eine Ebene besetzt die „occupational (status) middle – class“, die sich durch ein hohes Maß an Bildung auszeichnet und Positionen in den Universitäten, den Medien und auch den NGO’s innehat. Sie ist es, die die thailändischen Mittelschichten um eine Ideologie – nämlich die der Demokratie – konstruiert, indem sie die Ereignisse aus den Jahren 1973, 1976 und 1992 als Referenzpunkte festlegt. Die andere Ebene besetzt die „consumer middle – class“, die z.B. mit Hilfe der Werbung einen Mittelschichtlebensstil konstruiert, der auf Prestige, dem Besitz von Autos und Mobiltelefonen und dem Geldverdienen basiert (Ockey 1999: 245).

Aufgrund der politischen Aktionen der 1970er und 1990er Jahre entstand das dominante Paradigma, dass die Mittelschichten die Demokratie fördernde Kraft im Lande sein müssen. Aufgrund des Auftretens der „Neureichen“ und der damit erheblich „gesteigerten Kaufkraft“ in den 1990er Jahren entstand das zweite dominante Paradigma, das einer Mittelschicht, die einem exzessiven Konsumverhalten zum Opfer fällt.

Ausdruck der gegenwärtig akzeptierten Lösung für die Beschreibung des Charakters der Mittelschichten ist die Einigung darauf, dass mehrere verschiedene „Grundwerte“ („core values“ Askew 2003: 172) gleichgewichtet betrachtet werden müssen, deren Zusammenführung sich im so genannten Lebensstil ausdrückt.[74] Evers und Gerke schreiben hierzu:

„’Lebensstil’ bezeichnet ein selbstständiges Referenzniveau auf der Ebene der sozialen Integration, d. h., er ist nicht auf andere Variablen wie z.B. Schichtindizes reduzierbar. Lebensstile sind darauf ausgerichtet, Zugehörigkeit zu Kollektividentitäten herzustellen und zu sichern. Lebensstile sind Muster zur Alltagsorganisation im Rahmen eines gegebenen Handlungsspielraums. Lebensstile sind etwas, womit man sich identifiziert und die man benutzen kann, um anderen diese Identität mitzuteilen.“[75]

Auch bei der Konstruktion ihres (oder besser ihrer verschiedenen) Lebensstils (Lebensstile) wird den Mittelschichten eine aktive Rolle zugeschrieben. Hierzu Ockey:

„Televison has helped to construct a middle – class lifestyle, with virtually all programming – from soap operas with ‚middle – class’ setting to game shows with ‚middle – class’ contestants and prizes, to commercials aiming at ‘middle – class’ consumers – depicting ideal‚ ‘middle – class’ people, products and ways of life (Ockey 1999: 240). [...] In the press and on televison the consumer constructions of advertisers mix freely with political ideological constructions of academics and journalists. Alongside the advertising images are newspaper columns written by academics, and popular television talkshows mediated by academics (Ockey 1999: 242). [...] The middle class constructs a ‘ lifestyle’ to set itself apart from both the aristocracy and the lower classes..”[76]

Die Einführung des Begriffes “Lebensstil” in den Diskurs über die asiatischen Mittelschichten ist also Ausdruck der Suche nach einem wissenschaftlichen Analyseinstrument, das helfen soll, Grundwerte und Identifikationsschemata der Mittelschichten herauszufiltern, damit über die Nennung der beiden dominanten Paradigmen hinaus ein Referenzniveau geschaffen werden kann, welches eben jene Paradigmen wieder zusammenführt, gleichzeitig aber sämtliche komplexen Mischformen, die sich aus dieser Zusammenführung ergeben, darstellen kann.

Die von Ockey geforderte Unterscheidung von „consumer middle – class“ und „status occupational middle class“ ist essentiell für das Verständnis der verschiedenen historischen Handlungsweisen der Mittelschichten und ist auch insofern wichtig, als dass Verzerrungen in der Darstellung des Charakters der Mittelschichten, indem eben nur entweder politische Ambitionen oder exzessiver Konsum als Erklärungsmuster angeführt werden, verhindert werden können. Jedoch genauso wichtig ist die bewusste Zusammenführung beider Paradigmen auf dem Referenzniveau des Lebensstils, um die komplexen Verstrickungen innerhalb der thailändischen Mittelschichten abzubilden.

Im Zusammenhang mit der Einführung des Lebensstilbegriffs im Diskurs über die asiatischen Mittelschichten scheint eine Anmerkung notwendig. Eine große Anzahl der Autoren, die mit dem Lebensstilbegriff arbeiten, bezieht sich in erster Linie auf den Konsum und die Integration materieller Ressourcen in die Schaffung der eigenen Identität. Meiner Meinung nach ist diese Verwendung zu eindimensional und orientiert sich mehr an der „Lifestyle“ Forschung der Marketing- und Werbebranche, in der eher ästhetisierende Aspekte zur Stilisierung der eigenen Identität im Mittelpunkt des (Forschungs)Interesses stehen. Dabei werden automatisch die ideellen Aspekte, die mindestens genauso konstitutiv für die Entwicklung der individuellen Identität sind, den materiellen untergeordnet.[77] Die folgende Definition soll als Grundlage für die Verwendung des Begriffs des Lebensstils in der vorliegenden Arbeit angesehen werden:

„Die Vielfältigkeit des modernen Lebens drückt sich in den Lebensstilen aus. Die Lebensstilforschung sieht in Lebensstilen ein Konzept, dessen Inhalt nicht sofort ersichtlich ist, sondern sich aus verschiedenen Verhaltensweisen zusammensetzt und von Soziologen zu einem Begriff oder Typus abstrahiert wird. Es ist ein Muster des Alltagsverhaltens und dieses Muster kann von anderen unterschieden werden und grenzt sich in Details sichtbar von anderen ab. Im Begriff des Lebensstils werden Werthaltungen und Verhaltensweisen verbunden. Und sie betreffen alle Gebiete des täglichen Lebens: Partnerschaft, soziale Beziehungen, Wohnen, Essgewohnheiten ebenso wie Kleidungspräferenzen, Freizeitvorlieben ebenso wie Einstellungen zur Arbeit, Politik und Religion.“[78]

Zur Vertiefung des Verständnisses der konstruierten Paradigmen, die die Mittelschichten entweder als entscheidende Demokratie fördernde - gleichzeitig Demokratie fordernde - Kraft oder als Verfechter des globalökonomisch induzierten Massenkonsums darstellen, sollen die Folgekapitel 2.2.1. und 2.2.2. dienen. Die geforderte Zusammenführung der verschiedenen Grundwerte auf dem Referenzniveau des Lebensstils wird in Kapitel 2.2.3. erläutert.

2.2.1 Das politische Bewusstsein

In der Konstruktion der politischen Rolle der thailändischen Mittelschichten innerhalb ihrer Gesellschaft gibt es drei historische Ereignisse, die als klassische Referenzpunkte Eingang in den wissenschaftlichen Diskurs gefunden haben. In den Jahren 1973, 1976 und 1992 fanden auf den Straßen Bangkoks Demonstrationen statt, die - von Mitgliedern der Mittelschichten stimuliert und im weiteren Verlauf von großen Teilen der urbanen Bevölkerung mitgetragen – auf brutalste Weise ihr Ende fanden. Nun ist es der diskursiven Konstruktion seitens der Gelehrtenwelt und der Medien geschuldet, dass diese Ereignisse als Mittelschichtaufstände simplifiziert, in gewisser Weise gleichermaßen glorifiziert werden.

„Representations… prominently feature automoblies, mobile phones, the „middle class“, and democracy, tying these concepts together in a way that has important implications for viewing their role in Thai society and the democratic state.“[79]

Diese Darstellungsweise ergab sich aber erst aus der Retrospektive (Ockey 1999: 237). Die Konstruktion der Aufstände von 1973, 1976 und 1992 soll dies hier verdeutlichen.

1973: Zu Beginn der Auswertungen der Aufstände wurden noch keine Unterscheidungen nach sozialen Schichten getroffen:

„Through the leadership of the country’s youth, a mighty force had congealed and made itself evident – people power.“[80]

Im weiteren Verlauf der akademischen Betrachtung jedoch wurden die Aufstände – bzw. deren erfolgreiches Gelingen - graduell den Mittelschichten als „Sieg bringende“ Kraft zugeschrieben. Hierzu Anderson:

„There is no doubt the new bourgeois strata contributed decisevely to the huge crowds that came out in support of students’ and intellectuals’ demands…Indeed, it can be argued that these strata ensured the success of the demonstrations – had the crowds been composed of slum – dwellers rather than generally well – dressed urbanites, the dictators might have won fuller support for their repression.”[81]

Mit einem Artikel, der dem Andersons in seiner Aussage sehr ähnlich war, kam auch Likhit Diravegin (1985)[82] bei seiner Beschreibung der Entwicklung der thailändischen Mittelschichten in den 1960er Jahren zu dem Ergebnis, dass die Ereignisse von 1973 Ausdruck des neu gefundenen Willens der Mittelschichten zur politischen Partizipation war. Ockey hält fest, dass diese Form der Betrachtung jener Ereignisse noch heute das dominante Argument im thailändischen Diskurs darstellt (Ockey 1999: 237).

1976: Schwieriger musste sich die Darstellung der Rolle der Mittelschichten als demokratische Kraft in den 1976er Demonstrationen gestalten. Hier agierten nämlich sowohl auf der Seite der Demonstranten als auch auf der Seite der Putschisten Angehörige der Mittelschichten gleichermaßen. Ockey beschreibt diese Situation als bittere Konkurrenz zweier grundsätzlich verschiedener geistiger Strömungen innerhalb der Mittelschichten. Diese Unterschiede waren bereits 1973 vorhanden, begründeten sie sich doch aus den Entwicklungen, die unter Sarit begonnen wurden:

„The ideology, or, more broadly, the set of attitudes, that would represent a middle – class ‚lifestyle’ were strongly contested. On the one hand were those who accepted the Cold War ideology. [...] This set of attitudes became pervasive and the mainstream.[...] On the other hand, however, was a smaller group of mostly young people who rejected the Cold War ideology and the heavy U.S. influence. These young people had in common a recent Western education, or were at least aware of anti – establishment movements of the 1960s in the West, and a dissatisfaction with American influence and military rule. [...] This group presented an alternative set of middle – class attitudes, one that would rely on the masses to support future government.”[83]

Nach den 1973er Aufständen wurden die unterschiedlichen Strömungen sehr schnell sehr deutlich:

„After the 1973 uprising, the two sets of midle – class attitudes began to diverge quite rapidly, and the point of divergence was over the role of the masses in politics. [...] Those with mainstream attitudes based on security, stability growth, and a distrust of the masses, found their values at risk. [...] In this context the 1976 events took place, casting the competing sets of middle – class attitudes into conflict. [...] Those who subscribed to the alternative set of middle – class attitudes spent the years between 1973 and 1976 trying to build a more independent and democratic society. [...] These values were at the heart of the October 1976 demonstration for those who led it. For those who opposed it, however, the demonstration was communist inspired, a threat to monarchy, security, stability, and development. Thus members of the middle – class, divided by the competing attitudes, were on both sides of the 1976 massacre.”[84]

[...]


[1] len (Thai) bedeutet „spielen“, kanmueang (Thai) ist die Übersetzung für „Politik“.

[2] NZZ Online (10.10.2006), [http://www.nzz.ch./2006/10/10/al/articleEJYHB.html 10.10.2006].

[3] NZZ Online (10.10.2006), [http://www.nzz.ch./2006/10/10/al/articleEJYHB.html 10.10.2006].

[4] In seinem Vortrag, „Thailand’s Coup: A Step forward into a dangerous direction”, welcher im Rahmen eines Südostasiencolloquiums an der Humboldt Universität zu Berlin gehalten wurde, bestätigte Prof. Dr. Thongchai Winichiakul (University of Wisconsin, Madison), dass der Putsch vom September 2006 ein „royal coup“ war. Über die genauen Gründe äußerte er sich – nach eigener Aussage – spekulativ, jedoch vermutet er, dass der damalige Ministerpräsident im Begriff war, seine Einflüsse derart auszuweiten, dass es ihm bald möglich gewesen wäre, sogar über die zukünftige Thronfolge im Lande (mit) entscheiden zu können (Winichiakul 27.11.2006).

[5] Die unterschiedlichen Vorstellungen von politischer Herrschaft sind ein Verweis auf die Ungleichheiten im Modernisierungsprozess, welcher fast immer ausschließlich auf Bangkok ausgerichtet war: „Diese Deutungsmuster hatten bereits in den neunziger Jahren zu einer erheblichen Instabilität in der thailändischen Politik geführt. Damals wurden die Regierungen auf dem Lande gewählt und in Bangkok gestürzt.“ (Bünte 2006:51).

[6] Die Wortwahl „im Großen“ und „im Kleinen“ soll keine oberflächliche Ausflucht aus Ausdrucksmängeln für die Nennung „klarer“ Begriffe darstellen, sondern ist bewusst festgelegt, um Prozesse wie politische und wirtschaftliche Entwicklungen, die im Großen die Geschicke des Landes bestimmen, und Prozesse wie Veränderungen im Denken, Sprechen und Wahrnehmen, die viel subtiler und langsamer im Kleinen ablaufen, mit einfachen Worten gegeneinander abzugrenzen.

[7] Korruption, Vetternwirtschaft, Gefährdung der inneren Sicherheit des Landes, Untergrabung der Autorität der Monarchie sind und waren sehr beliebte Legitimationsvarianten von Militärputschen.

[8] Das Wirtschaftswachstum in den letzten drei Jahrzehnten betrug durchschnittlich 7 Prozent, Ende der 1980er Jahre wurden Wachstumsraten von jährlich 10 Prozent und mehr erreicht, Anfang der 90er Jahre durchschnittlich etwa 8 Prozent. In den Jahren von 1985 – 1992 konnte eine Verdopplung des Bruttosozialproduktes erreicht werden (Wolz 2000: 75f.).

[9] 1975 / 76 gab es erstmals eine größere Zahl von Unternehmern mit Ministerposten; 1988 waren 68,1 Prozent der Parlamentsabgeordneten Unternehmer; der Senat wies nach 1996 einen höheren Anteil von Privatunternehmern als Bürokraten oder Militärs auf – bis dahin wurde er mit einem durchschnittlichen Anteil von 70 Prozent von Militärs und Bürokraten dominiert (Reinecke / Sander 2000: 27f.).

[10] Der Begriff jao pho wurde ursprünglich für lokale Geister oder Menschen mit übernatürlichen Kräften verwendet. Heute werden in erster Linie lokale Geschäftsleute, die meist aus dubiosen Verhältnissen aufgestiegen sind und mit Hilfe eines engmaschigen Patronagenetzwerkes agieren, als jao pho bezeichnet (weitere Begriffe: local godfather; itthipon meut (dunkler Einfluss) (Pasuk / Baker 2005: 239).

[11] Thailand gehörte mit Wirtschaftswachstumsraten in den Jahren 2002 (5,3 %) und 2004 (6,6%) zu den mit am stärksten wachsenden Volkswirtschaften Asiens. Im Jahre 2003 konnte die letzte Rate des IWF Kredites vorzeitig zurückgezahlt werden (Bünte 2006: 42).

[12] http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/Thailand/Wirtschaft.html. 02.10.2006.

[13] Der Begriff dual track economy bezeichnet die wirtschaftliche Taktik, den Außenhandel weiter stark zu halten, „gleichzeitig aber die ländliche Basis des thailändischen Kapitalismus aufzubauen“ (Bünte 2006: 40; dual track policy).

[14] Der landwirtschaftliche Sektor, der ca. 49 Prozent der arbeitenden Bevölkerung beschäftigt, hat einen Anteil am Bruttoinlandsprodukt von ca. 10 Prozent, der industrielle Sektor beschäftigt ca. 14 Prozent und erwirtschaftet einen Anteil von ca. 37 Prozent, der Dienstleistungssektor, mit einem Anteil am BIP von ca. 53 Prozent, beschäftigt ungefähr 37 Prozent.

Vgl: http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/Thailand/Wirtschaft.html. 02.10.2006, und https://www.cia.gov/cia/publications/factbook/geos/th.html. 02.10.2006.

[15] http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/Thailand/Wirtschaft.html. 02.10.2006.

[16] Association of Southeast Asian Nations.

[17] ASEAN Free Trade Area.

[18] Asia – Europe Meeting.

[19] Asia – Pacific Economic Cooperation.

[20] Reinecke / Sander 2000 : 22.

[21] Seit der Machtübernahme Sarits (1958) war Amerika bis heute in irgendeiner Form kontinuierlich präsent. Anfänglich als spendabler Militärpatron, der in seiner Rolle als Weltpolizist die so genannte „Dominotheorie“ formulierte und besonders in Südostasien / Thailand Handlungsbedarf vermutete, entwickelte sich das Verhältnis Thailand und USA während der folgenden Dekaden zu einem sehr innigen. Während des Vietnamkrieges wurden thailändische Militärbasen von den Amerikanern benutzt und ausgebaut. Die erste Autobahn Thailands wurde von den USA finanziert, um eine bessere Erreichbarkeit von Bangkok nach Udon – Thani, der damals größten Luftwaffenbasis der USA in Thailand zu gewährleisten. Als Vorläufer des modernen Sextourismus stammt der so genannte „Rest and Recreation“ Tourismus, der erschöpften amerikanischen Soldaten „neue Energie“ schenken sollte, aus dieser Zeit. Aber auch neue westliche Lebensstile und Ideen kamen mit den Amerikanern. Filme, Musik, Mode, Verhaltensweisen, Fast Food, etc. hinterließen einen prägenden Eindruck, der auf die thailändische Gesellschaft bis heute ausstrahlen muss(te).

[22] Pasuk / Baker 2005: 229.

[23] „[…], certain middle classes – say of highly educated professionals – develop so much cultural power that they can exert effective pressure for their own emancipation. As the vanguard of new, more timely ideas they breach the fortress of conservatism protecting the state and its simplistic two – class ideology. (Mulder 1997:16).

[24] Mulder 1997: 16.

[25] Studenten in Thailand kann prinzipiell auch ohne das Wissen um deren finanziellen Rückhalt Mittelklassestatus zugeschrieben werden, da sie am tertiären Ausbildungssystem teilhaben und somit mindestens unter soziokulturellem Blickwinkel einen der zentralen Mittelklassewerte vertreten. Vgl. hierzu auch Kapitel 2.3.

[26] Jiraporn Witayasakpan (1992), Nationalism and the Transformation of Aesthtetic Concepts: Theatre in Thailand during the Phibun Period. Ph.D. dissertation, Cornell University. In: Ockey 1999: 231.

[27] „[…] the semi – hereditary bureaucracy was transformed into a salaried civil service and expanded dramatically during the 1890s.“ (Siffin, William (1966), The Thai Bureaucracy: Institutional Change and Development. Honolulu, East – West Center Press. In: Ockey 1999: 231f.); Siffin geht von einer Verdopplung der Angestellten von 1892 bis 1899 aus; die um 1900 geschätzte Anzahl von 25000 Staatsbediensteten soll bis zum Jahre 1918 bis auf 80000 angestiegen sein.

[28] Der Bowring Treaty –unterzeichnet im Jahre 1855 von Sir John Bowring (britischer Statthalter in Hong Kong) und dem siamesischen König Mongkut - markierte Siams Abwendung von China und Hinwendung zum Westen in ökonomischer Hinsicht. Hauptbestandteile des Vertrages waren die Aufgabe königlicher Handelsmonopole, dem Zugeständnis gleicher Handelsrechte für China und den Westen und der freie Opiumhandel durch Großbritannien in Siam. Vgl. dazu Phongpaichit / Baker 2005: 45f.

[29] Ockey 1999: 232.

[30] Thompson, Virginia (1941), Thailand : The New Siam. New York, Macmillan:61. In: Ockey 1999: 232.

[31] Thawat Mokarapong (1972), History of the Thai Revolution, Bangkok, Chalermnit:86-7, 77-8. In: Ockey 1999: 232.

[32] Batson, Benjamin (1974), Siam’s Political Future: Documents from the end of the Absolute Monarchy. Ithaca, NY, Cornell University Southeast Asia Program: p. 75. In: Ockey 1999: 232.

[33] Vgl. Ockey 1999: 232f.: Ockey stellt verschiedene Ansätze westlicher und thailändischer Autoren zur Rolle der Mittelschichten im Putschgeschehen von 1932 vor.

[34] Nakharin Mektrairat (1992) Kanpatiwat Sayam pho. So. 2475 (The Siamese Revolution of 1932). Bangkok, Munnithi khrongan tara sangkhomsat lae manutsayasat. In: Ockey 1999 : 232.

[35] Vgl. Ockey 1999: 233f.: Ockey zeichnet den Prozess nach, der im akademischen Diskurs dazu führte, die thailändischen Mittelschichten aus ihrer Existenz heraus zu definieren; er führt dabei Beispiele thailändischer und westlicher Autoren an.

[36] Skinner, G. William (1957a), Chinese Society in Thailand: An Analytical History. Ithaca, NY, Cornell University, S. 307 -8. In: Ockey 1999: 233.

[37] Ockey 1999: 233.

[38] Riggs, Fred (1966), Thailand : The Modernisation of a Bureaucratic Polity. Honolulu; East – West CenterPress. In: Ockey 1999: 233.

[39] Siffin, William (1966), The Thai Bureaucracy: Institutional Change and Development. Honolulu, East – West Center Press. In: Ockey 1999: 233.

[40] Ockey 1999: 233.

[41] Chai-anan Samudavanija (1991), „State - Identity Creation, State Building and Civil Society“, in Craig J. Reynolds, National Identity and its Defenders, Clayton, Vic.: Centre of Southeast Asian Studies, Monash University, in Ockey 1999: 233.

[42] Wilson, David (1962), Politics in Thailand. Ithaca, NY, Cornell University. In: Ockey 1999: 234f.

[43] Ockey 1999: 234.

[44] Führer des autoritären Militärregimes von Oktober 1958 bis Dezember 1963.

[45] Vgl. Ockey 2003: 324f. ; Koanantakool 2002: 219.

[46] Huntington, Samuel (1968), Political Order in Changing Societies. New Haven, Yale.

[47] Lipset, Seymour M., (1959), “Some Social Requisits of Democracy: Economic Development and Political Legitimacy”, in: American Political Science Review53: 69- 105.

[48] Ockey 2003: 324f.

[49] Im Anhang befindet sich zum Vergleich unter Abbildung I eine ähnliche Tabelle von Funatso / Kagoya (2003), die auch Zahlen von 2000 bereitstellt, und darüber hinaus die prozentuale Konzentration von „Mittelschichtberufen“ auf Bangkok abbildet.

[50] Ockey 1999: 235f.

[51] “The middle class population in Bangkok (i. e., those who were classified as working in middle class jobs – professionals and technicians , executive managers, and white collar office workers) increased from 310000 in 1985 to 710000 in 1994, while those who earned 15000 Baht a month increased ten times in the same period.” (Shiraishi 2003: 9).

[52] Zur politischen Rolle der Mittelschichten siehe Kapitel 2.2.1.

[53] Ockey 1999: 234.

[54] Siehe Anhang: Abbildung II.

[55] Vgl. Phongpaichit / Baker 2005: 220 ff.; siehe auch: Kapitel 1.1

[56] Vgl. Phongpaichit / Baker 2005: 249 ff.

[57] Mehr zur Expansion des tertiären Bildungssystems siehe Kapitel 2.3.

[58] Funatso und Kagoya (2003:253) schätzen, dass über die Hälfte der Angehörigen der neuen Bangkoker Mittelschichten Eltern haben, denen kein Mittelschichtstatus zugeschrieben werden kann.

[59] Auf die Gefahr dieser eindimensionalen Darstellung : Thai = Bürokratie, Chinesisch = Geschäftsleute, wurde zu Beginn dieses Kapitels hingewiesen. Es ist der vereinfachenden Darstellung geschuldet, zu behaupten, dass diese Unterteilung möglich ist. Schließlich ist sie ja auch nicht falsch, kann aber in der verallgemeinernden Konstruktion der thailändischen Mittelschichten zu Irritationen führen.

[60] Vgl. Phongpaichit / Baker 2005 : 204 ff.

[61] Shiraishi 2003: 8f.

[62] An dieser Stelle wird bereits deutlich, dass man es in Thailand neben den beiden historischen Mittelschichten, den „alten“ und den „neuen“, zusätzlich mit zwei grundsätzlich verschiedenen Ausprägungen dieser sozialen Schichten zu tun hat. Auf diese von James Ockey (1999) herausgearbeitete Unterscheidung wird im Kapitel 2.2. näher einzugehen sein.

[63] Siehe Kapitel 2.1.

[64] Dem „(elite) upper white – collar stratum“ ordnen sie u. a. professional – technical jobs, administrative managerial jobs und non routine clerical jobs zu, den „lower strata“ werden u. a. routine non manual employes, routine clerical, sales and service workers zugeordnet (Funatso / Kagoya 2003: 245).

[65] Ockey 1999: 235; 245, vgl. hierzu auch Hattori / Funatso (2003), Funatso / Kagoya (2003), Koantakool (2002).

[66] Hattori / Funatso / Torii 2003: 136.

[67] Askew verwendet zwar auch den Begriff der „middle class“, plädiert aber eher dafür, sie als „socio – economic formation“ zu bezeichnen (Askew 2003: 171).

[68] Evers /Gerke 1999: 245.

[69] In Zitaten, in denen von „middle class(es)“ gesprochen wird, soll keine begriffliche Veränderung stattfinden.

[70] Erikson, Robert and John H. Goldthorpe (1992), The Constant Flux:A Study of Class Mobility in Industrial Societies. New York, Oxford University Press. In: Hattori /Funatso / Torii 2003: 6.

[71] Hsiao, Hsing – Hung Michael [ed.] (1999), East Asian Middle Classes in Comparative Perspective. Taipei, Institute of Ethnology, Academica Sinica. In: Hattori /Funatso / Torii 2003: 6.

[72] Vgl. hierzu auch noch einmal das Zitat von Ockey (S. 26), in dem er sagt, dass zum Beispiel auch die Bankmanager je nach Definition genauso zu den Mittelschichten gerechnet werden, wie zum Beispiel die Inhaber traditioneller chinesischer Apotheken.

[73] Ockey 1999: 245.

[74] „If attempts being made to construct the Thai middle class in terms of political practice and ideology, it has also became impossible to ignore the generation of a new’middle – class’ lifestyle based on the growth of consumer capitalism.” (Ockey 1999: 236).

[75] Evers / Gerke 1999: 13.

[76] Ockey 2001: 324; vgl. zur Rolle der Medien und der Werbung auch Baker / Phongpaichit 2005: 221 -224; Askew 2003: 170f.

[77] Vgl. hierzu Kapitel 2.2.3.

[78] Richter 2005: 114.

[79] Ockey 2003: 314.

[80] Theh Chongkhadikij, Bangkok Post, in: Zimmerman, Robert (1974), „Student Revolution in Thailand: The End of the Bureaucratic Polity?“, Asian Survey, no. 14, June: 509 – 29. In: Ockey 1999:237.

[81] Anderson, Benedict O’ G. (1977), “Withdrawal Symptoms: Social and Cultural Aspects of the October 6 Coup“, Bulletin of Concerned Asian Scholars. 9, July – September:13 – 30. In : Ockey 1999: 237.

[82] Likhit Dirawegin (1985), ‘Social Change and Contemporary Thai Politics: An Analysis of Inter – Relationship between the Society and the Polity’, in Likhit Dhiravegin Thai Politics: Selected Aspects of Development and Change, Bangkok: Tri – Sciences Publishing House. In: Ockey 1999: 237.

[83] Ockey 2001: 325.

[84] Ockey 2001: 326f.

Ende der Leseprobe aus 160 Seiten

Details

Titel
Lebensstile von Studenten im heutigen Bangkok
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
160
Katalognummer
V91040
ISBN (eBook)
9783638042888
ISBN (Buch)
9783638940283
Dateigröße
1882 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lebensstile, Studenten, Bangkok
Arbeit zitieren
Christian Eitz (Autor:in), 2007, Lebensstile von Studenten im heutigen Bangkok, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91040

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