Im Zuge dessen, dass inklusive Schulentwicklungsprozesse angestoßen werden, stellt sich u.a. die Frage, welche Chancen zur Professionalisierung sich durch die Mitarbeit an inklusiven Schulentwicklungsprozessen für Sonderpädagogen*innen ergeben.
Zunächst muss Professionalisierung eingeordnet werden: Was ist darunter zu verstehen und leisten Lehrkräfte, bzw. Sonderpädagogen*innen „professionelle Arbeit“? Dies wird in dieser Hausarbeit im zweiten Kapitel thematisiert. Dabei wird auch berücksichtigt, wie sich der Begriff der Profession in der letzten Zeit gewandelt hat. Zusätzlich werden auch die verschiedenen Professionstheorien in Betracht gezogen, wobei der strukturtheoretische und kompetenztheoretische Ansatz am stärksten beleuchtet werden.
Danach muss verstanden werden, was hinter dem Begriff der „inklusiven Schulentwicklungsprozesse“ steht. Quasi ein Überblick über die Inklusion und der Schulentwicklungsprozesse allgemein. Dies wird im dritten Kapitel konkretisiert. Hier wird auch deutlich, dass es unterschiedliche Inklusionsverständnisse gibt. Zudem werden auch Co-Teaching-Formen näher in Betracht gezogen.
Erst dadurch lassen sich Vergleiche aufstellen und die Chancen (und auch Risiken) für eine Professionalisierung ableiten. Dies wird im vierten Kapitel einhergehend mit dem Fazit bearbeitet.
Gliederung
1 Einleitung
2 Professionalität
2.1 Der allgemeine Professionsbegriff im Wandel
2.2 Das Streben nach Professionalisierung
2.3 Professionstheorien und Pädagogik
2.3.1 Neuere erziehungswissenschaftliche Professionstheorien
2.3.2 Der strukturtheoretische Ansatz
2.3.3 Der kompetenztheoretische Ansatz
2.4 Professionalität von Sonderpädagogen*innen in inklusiven Settings
3 Inklusive Schulentwicklungsprozesse
3.1 Unterschiedliches Inklusionsverständnis
3.2 Die Rolle der Sonderpädagogik in der inklusiven Schule
3.2.1 Co-Teaching-Formen
3.2.2 Arten der Zusammenarbeit
4 Chancen zur Professionalisierung in inklusiven Schulentwicklungsprozessen – Fazit
5 Anhang
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Im Zuge dessen, dass inklusive Schulentwicklungsprozesse angestoßen werden, stellt sich u.a. die Frage, welche Chancen zur Professionalisierung sich durch die Mitarbeit an inklusiven Schulentwicklungsprozessen für Sonderpädagogen*innen ergeben.
Zunächst muss Professionalisierung eingeordnet werden: Was ist darunter zu verstehen und leisten Lehrkräfte, bzw. Sonderpädagogen*innen „professionelle Arbeit“? Dies wird in dieser Hausarbeit im zweiten Kapitel thematisiert. Dabei wird auch berücksichtigt, wie sich der Begriff der Profession in der letzten Zeit gewandelt hat. Zusätzlich werden auch die verschiedenen Professionstheorien in Betracht gezogen, wobei der strukturtheoretische und kompetenztheoretische Ansatz am stärksten beleuchtet werden.
Danach muss verstanden werden, was hinter dem Begriff der „inklusiven Schulentwicklungsprozesse“ steht. Quasi ein Überblick über die Inklusion und der Schulentwicklungsprozesse allgemein. Dies wird im dritten Kapitel konkretisiert. Hier wird auch deutlich, dass es unterschiedliche Inklusionsverständnisse gibt. Zudem werden auch Co-Teaching-Formen näher in Betracht gezogen.
Erst dadurch lassen sich Vergleiche aufstellen und die Chancen (und auch Risiken) für eine Professionalisierung ableiten. Dies wird im vierten Kapitel einhergehend mit dem Fazit bearbeitet.
2 Professionalität
2.1 Der allgemeine Professionsbegriff im Wandel
Unabhängig davon, welcher Beruf ausgeübt wird, wird immer wieder von einem*r verlangt, professionell zu arbeiten. Mal mehr, mal weniger. Aber was bedeutet „Professionalität“ überhaupt und gibt es Berufe, die von vornerein als Profession anerkannt sind und welche die auf dem Wege sind, quasi eine Professionalisierung durchmachen? Das traditionelle berufssozilogische Professionen-Modell bezieht sich auf die klassischen akademischen Berufe der alten Universität. Dazu zählen Medizin, Theologie und das Studium der Rechtswissenschaften. Es ist im amerikanischen Raum in den 1950er und 1960er Jahren entstanden. Die Berufe, die nicht alle Kriterien erfüllten, galten als semi-professionell, z.B. Lehrkräfte (vgl. Terhart 2011, S. 203).
Die merkmalsbezogene Berufssoziologie besagt also, dass nur diejenigen Berufe als Profession anerkannt werden sollen, welche festgelegte Merkmale erfüllen (vgl. Lindmeier und Lindmeier 2012, S. 226). Mieg arbeitete aus mehreren Werken vier Kriterien heraus. Z.B. Autonomie, Abstraktheit, Altruismus und Autorität (vgl. 2016, S. 28). Lindmeier und Lindmeier benennen u.a. noch folgende Merkmale: eine eigenständige wissenschaftliche Ausbildung, ein berufseigenes Ethos und Ansehen und Selbstbewusstsein (vgl. 2012, S. 226).
Es gibt sehr viele Professionstheorien, vor allem „das letzte Jahrhundert … [könnte (Anm. d. Verf.)] als das Jahrhundert der Professionen … bezeichnet werden“ (Helsper et al. 2000, S. 5), weil unsere Welt dynamischer geworden ist. Deshalb gilt es so viel Struktur wie möglich in diese Hausarbeit einzubringen: Beginnend mit einer Differenzierung zwischen folgenden Begriffen: Beruf, Professionalisierung und Profession:
Als Beruf wird ein Tätigkeitsbereich verstanden, der mit „spezifischen Orientierungen, Wertungen und Zielvorstellungen“ (Schwarz 2009, S. 39) ausgestattet ist. Grundlage für eine relativ dauerhafte Versorgungs- und Erwerbschance durch einen Beruf, bildet die „Kombination spezifischer Leistungen bzw. die Fertigkeiten zur Erstellung dieser Leistungen“ (ebd., S. 39f.).
Aus dem sozialhistorischen Blickwinkel betrachtet, gelten die Berufe als Profession, „die zentralwertbezogene Leistungen für die Gesellschaft erbringen“ (ebd., S. 39). Im Gegensatz zu handwerklichen Tätigkeiten, wird von Professionen nichts hergestellt (vgl. ebd., S. 40). Die zentralwertbezogenen Leistungen sind Dienste, die für die Existenz eines Menschen eine hohe Bedeutung haben (vgl. ebd.). Die derzeitige Berufssoziologie fasst die Berufe als Professionen zusammen, „die sich auf der Basis einer akademischen Ausbildung mit komplexen und insofern immer ‚riskanten‘ technischen, wirtschaftlichen, sozialen und/oder humanen Problemlagen ihrer Klienten befassen“ (Terhart 2011, S. 204).
Die Professionalisierung ist ein dynamischer Begriff, stellt also einen Prozess dar, in dem sich ein „besonderer Beruf“ etabliert (Schwarz 2009, S. 40). Demnach handelt es sich um einen Beruf, welcher im Anschluss dieselben Eigenschaften aufweist, wie die einer Profession.
2.2 Das Streben nach Professionalisierung
Vor den neueren professionstheoretischen Ansätzen um die 1990er Jahre wurde Professionalität weiterhin mit rollenförmigem Handeln und bestimmten Kriterien gleichgesetzt (vgl. Lindmeier & Lindmeier 2012, S. 230). Es wurde analysiert, dass die Merkmale in der Herausbildung der Sonderpädagogik nicht unwichtig waren. Gerade deshalb, weil die Sonderpädagogik nach der Erfüllung der Kriterien strebte und quasi eine Nachahmung praktizierte, es aber nicht schaffte, galt sie als „semiprofessionell“. Das trifft allerdings auch auf viele weitere pädagogische Berufe zu (vgl. ebd., S. 227,231).
Es hat lange gedauert, um herauszufinden, dass pädagogische Tätigkeitsfelder mit den klassischen Professionen gar nicht vergleichbar sind. Die Pädagogik ist „nicht defizitär, sondern different“ (vgl. ebd., S. 231). Vanderstraeten spricht davon, dass „für den Beruf des Lehrers eine Reihe von Sonderbedingungen gelten, die die Möglichkeit der Professionsbildung im Erziehungssystem stark geprägt und eingeschränkt haben“ (2008, S. 103). Unter dem Punkt 2.3.2, der den strukturtheoretischen Ansatz streift, werden auch einige Antinomien genannt, die eben als diese Sonderbedingungen gelten.
An dieser Stelle ist es wichtig zu wissen, dass die Heilpädagogik (wird in der Hausarbeit synonym zur Sonderpädagogik gebraucht) schon immer danach strebte, als Profession anerkannt zu werden (vgl. Lindmeier & Lindmeier 2012, S. 229). Allerdings konnte sie nicht alle Kriterien einer anerkannten Profession erreichen, vor allem nicht die Autonomie des professionellen Handelns (vgl. ebd). Denn in engem Zusammenhang damit steht die Frage der Abgrenzung des Personenkreises behinderter und/oder benachteiligter Kinder, denn der gesellschaftliche Auftrag ließ sich im Rahmen der historisch entwickelten Aufgabenteilung zwischen allgemeiner Pädagogik und Heilpädagogik, der Formulierung einer klaren Zielgruppe und der Herausbildung besonderer Institutionen sinnvoll begründen. (ebd.)
Das Zuständigkeitsgefühl für eine abgrenzbare Gruppe, welche sich im Professionsverständnis der Heilpädagogik herausgebildet und verfestigt hat, begünstigte die Vorstellung eines ‚Andersseins‘ behinderter Menschen (vgl. ebd.). Zudem entwickelte sich ein „professionelles Selbstverständnis“ (ebd.) als Lehrkraft in einer Förderschule, sodass es nicht als notwendig erachtet wurde, allgemeine pädagogische und sonderpädagogische Professionalität mit einander zu vergleichen (vgl. ebd.). Deshalb wirkt die Inklusion für viele Sonderpädagogen*innen als Gefahr des beruflichen Abstiegs, da die Lehrkraft aufgrund der unklaren Aufgabenzuteilung u.a. nicht als ‚Hilfslehrer*in‘ arbeiten möchte (vgl. ebd., S. 230f.). Aus diesem Grund wird die „Neubestimmung sonderpädagogischer Professionalität“ (ebd., S. 230) zum größten Teil über zwei Ansätze verfolgt. Zum einen die Bestimmung der Handlungsstruktur pädagogischen Handelns, wozu auch der strukturtheoretische Ansatz zählt, und die Bestimmung von notwendigen (Lehrer-)Kompetenzen. Im Übrigen wird die pädagogische Professionalität insgesamt neubestimmt (vgl. ebd., S. 230).
An dieser Stelle ist es auch nochmal besonders hervorzuheben, wie spannend und wichtig die Fragestellung dieser Hausarbeit für die Pädagogik ist. Die Inklusion bricht das o.g. professionelle Selbstverständnis der Sonderpädagogen*innen. Die Chancen, als auch Risiken werden im Laufe dieser Hausarbeit beleuchtet.
Der strukturtheoretische Ansatz nach Oevermann, Helsper und weiteren erlangte von den neueren Theorien die größte Aufmerksamkeit (vgl. ebd.) und wird in dieser Ausarbeitung gemeinsam mit dem kompetenztheoretischen Ansatz deshalb am stärksten thematisiert.
2.3 Professionstheorien und Pädagogik
Ist pädagogisches Handeln professionell, … professionalisierungsbedürftig bzw. ist es überhaupt professionalisierbar? Insbesondere in diffus institutionalisierten Bereichen mit relativ offener Aufgabenstruktur scheinen Konzepte der klassischen Professionen (wie etwa Klientenautonomie, wissenschaftlich fundierte Diagnoseverfahren, etc.) und die daran geknüpfte Ausbildung von Handlungsparadoxien nicht zu greifen. (Schmidt 2001, S. 2)
Die Professionalisierungsdebatte der Pädagogik, welche ursprünglich das Ziel verfolgte, „die erziehenden und helfenden Berufe mit den klassischen Professionen gleichzustellen“ (ebd., S. 5) , geriet in den 1970er Jahren zunehmend in Kritik. Mit der Kritik geht einher, dass die Beschreibung von „Profession“ durch die merkmalsbezogene Berufssoziologie nicht mehr vordergründig war (vgl. ebd.) und seit längerem nach Ansätzen gesucht werden, „die den professionellen Charakter von Lehrer*innenarbeit aus der Eigenarbeit dieser Berufsgruppe selbst suchen (vgl. Terhart 2011, S. 205).
Diese neueren erziehungswissenschaftlichen Professionstheorien rücken seit Anfang der 1990er Jahre „nicht mehr die sozialen Probleme der Verberuflichung und die akademische Aufwertung der Tätigkeit, sondern die Strukturprobleme professionellen Handelns ins Zentrum der Aufmerksamkeit ...“ (Dewe 2005, S. 257; zit. n. Lindmeier & Lindmeier 2012, S. 230). Dies liegt u.a. daran, dass die Strukturen unserer Zeit sich ständig ändern und wir in einer schnelllebigen, dynamischen Zeit leben, welche keine statischen berufssoziologischen Modelle duldet (vgl. Terhart 2011, S. 203). „So geht es nicht nur darum, wie die Pädagogik als Beruf … zu professionalisieren ist, sondern … darum, ob und welche Professionalität für die Pädagogik überhaupt angemessen … ist“ (Schmidt 2001, S. 5).
2.3.1 Neuere erziehungswissenschaftliche Professionstheorien
In der deutschen Erziehungswissenschaft werden derzeit drei Ansätze zur Bestimmung von Professionalität im Lehrer*innenberuf unterschieden: der strukturtheoretische Ansatz, der kompetenztheoretische Ansatz und der berufsbiografische Ansatz (vgl. Terhart 2011, S. 205ff.).. Wie unter 2.2 geschildert, liegt der Fokus auf dem strukturtheoretischen- und kompetenztheoretischen Ansatz.
2.3.2 Der strukturtheoretische Ansatz
Es gibt einige Gemeinsamkeiten der neueren Ansätze. Professionelles Handeln wird u.a. in Zusammenhang mit Prozessen der Modernisierung gesehen und die Pädagogik habe eine eigene Struktur: Einen „Strukturkern professionellen Handelns, ... [weshalb (Anm. d. Verf.)] pädagogisches Handeln ... einen eigenständigen Handlungstypus darstellt“ (Lindmeier & Lindmeier 2012, S. 231). Dazu gehört beispielsweise, dass ein Handlungsziel nie garantiert erreicht werden kann und ggf. unerwünschte Nebeneffekte durch den Zielerreichungsprozess hervorgerufen werden können. Dieser Sachverhalt wird u.a. oft mit Antinomien beschrieben. Für professionelles pädagogisches Handeln ist es unerlässlich, diese Widersprüche anzuerkennen und mit ihnen zu arbeiten (vgl. ebd., S. 231f). Professionelles Handeln wird dort benötigt, „wo eine zuvor ,autonome Lebenspraxis‘ in eine Krise geraten ist“ (ebd., S. 235). Zudem können Menschen nicht mehr allein dieses Problem lösen und es besteht ein hohes gesellschaftliches Interesse an der Lösung. Solch eine Krise ist in unserer modernen Gesellschaft aufgrund ihrer Komplexität unausweichlich. Für ein Gesundheitsproblem gehen wir zum Arzt oder zur Ärztin, für die (schulische) Bildung benötigt die Gesellschaft Lehrkräfte, weil Eltern ab einem gewissen Punkt nicht mehr alles Wichtige ihren Kindern selbst beibringen können. Deshalb ist auch die Rede von stellvertretender Krisenbewältigung. Zudem zielt professionelle Praxis darauf ab, die Autonomiepotenziale der Lebenspraxis zu stärken (vgl. ebd., S. 234f).
Deutlich erkennbar ist ein „people-changing Charakter“ (Vanderstraeten 2008, S. 100), welcher unterstreicht, dass professionelle Arbeit die Arbeit an Personen ist (vgl. ebd.).
In der Sonderpädagogik ist die Begegnung mit den unbekannten Anforderungen, welche i.d.R. eine Beeinträchtigung mit sich mit führt, eine Krise der autonomen Lebenspraxis. Paradoxerweise benötigt man in so einer Situation Expertenhilfe, aber dadurch wird auch gleichzeitig die autonome Lebenspraxis geschwächt (vgl. Lindmeier & Lindmeier 2012, S. 235).
Anders als in anderen pädagogischen Handlungsfeldern, stellt also die Krise der autonomen Lebenspraxis einer Familie oder einer Regeleinrichtung den Ausgangspunkt für das sonderpädagogische Handeln dar (vgl. ebd. S. 239).
In der Entwicklung sonderpädagogischer Professionalität war die einzelfallbezogene, situative Lösung schwieriger Erziehung-, Bildung- und Betreuungssituation maßgeblich für die Entwicklung von Methoden und Konzepten und für die Etablierung von pädagogischen Institutionen. (ebd.)
Das „Problem“ ist aber, dass Krisen auch in der Sonderpädagogik nicht als wesentliche Bedingung für das Handeln gesehen werden, sodass es im Förderschulbereich zu einer starken Strukturierung und kleinschrittigen Unterrichtsgestaltung kam, was aber eben nicht dem entspricht, was Oevermann mit dem Kern pädagogischen Handelns meint (vgl. ebd., S. 240). Das wiederrum wurde gefördert durch das unterschiedliche Schulsystem, in dem das Sonderschulsystem die Kinder aufnahm, die im Regelsystem als zu „schwierig“ erschienen, indem diese Kinder so dargestellt wurden, dass sie sich routinisierten Handlungen verweigern (vgl. ebd.).
Fragwürdig könnte an dieser Stelle sein, ob gerade die Nicht-Aussonderung dem Kern des pädagogischen Handelns näherkommt, somit eine Professionalisierung stattfindet, wo wir dann bei den inklusiven Schulentwicklungsprozessen wären. Würden sich mehr Chancen zur Professionalisierung ergeben, wenn inklusive Schulentwicklungsprozesse richtig angegangen werden würden? Im weiteren Verlauf wird auf diese Frage eingegangen.
Zusätzlich noch folgendes: Es wurde schon erwähnt, dass der Beruf des Lehrers, der Lehrerin Sonderbedingungen aufweist. Diese Sonderbedingungen spiegeln sich in den Antinomien wider, die Helsper für die Schule benannt hat. Durch Helsper wurde der strukturtheoretische Ansatz auf die Schule angewandt und diverse Antinomien in Bezug auf Schule veröffentlichte er in unterschiedlichen Publikationen. Was genau sind Antinomien?
Antinomien bilden also eine bestimmte Klasse von Widersprüchen, nämlich solche, bei denen sich beide Seiten (These and Antithese) allem Anschein nach gleich gut begründen lassen. Die Entdeckung einer Antinomie belehrt uns dann zwar darüber, daß in den Voraussetzungen etwas nicht stimmt (sonst hätte es keinen Widerspruch gegeben); sie macht jedoch nicht auch schon deutlich, wo der Fehler liegt und welche der beiden anscheinend so trefflich begründeten Seiten schließlich doch aufgegeben werden muß. (Vollmer 1990, S. 49f.)
Laut Helsper zählen zu den „schulischen“ Antinomien: Begründungs-, Praxis-, Subsumptions-, Ungewissheits-, Symmetrie- oder Macht- und die Vertrauensantinomie (vgl. Lindmeier & Lindmeier 2012, S. 236ff.). Diese resultieren aus der Stellvertretung. Aber es gibt auch Antinomien, die einerseits im Kontext rollenförmiger Haltungen bestehen und andererseits aus partikularen Haltungen: Nähe-, Sach-, Organisations-, Differenzierungs- und Autonomieantinomie (vgl. ebd., S. 238f.), Die Ungewissheitsantinomie beispielsweise besteht darin, dass Lehrkräfte den Schülerinnen und Schülern Wissen und Erfolg zusprechen, die Erreichung aber nicht garantieren können, weil u.a. der Schüler oder die Schülerin selbst auch etwas dafür tun muss (vgl. ebd., S. 237). Außerdem verteilt die Lehrkraft Noten und Zeugnisse und somit produziert die Schule ihre eigenen Krisen (vgl. Vanderstraeten 2008, S. 104). Vanderstraeten spricht u.a. deswegen von einer „askriptiven Profession“, weil es einen engen Zusammenhang zwischen der Professionsbildung und dem Ausbau des Systems schulischer Erziehung gibt (vgl. ebd.). „Die Profession reagiert auf strukturelle Erfordernisse, die die Organisation von Erziehung und Unterricht produziert. Ihre Aufgaben werden durch die Organisation zugeschrieben“ (ebd., S. 105).
Die spezifischen Schulantinomien gelten in der Regel für alle Schulformen und nicht speziell für die Sonderpädagogik. Obwohl Oevermann in seinen Überlegungen von der Therapie ausging, zeigt er logisch auf, dass auch das Lehrerhandeln analog professionalisierbar und professionalisierungsbedürftig ist (vgl. Lindmeier & Lindmeier 2012, S. 235). Vor allem behauptet er, dass die Sonderpädagogik eine stärkere professionalisierte Praxis aufweist, weil u.a. die Bewältigung von Krisen der autonomen Lebenspraxis vordergründiger sei, als in anderen pädagogischen Praktiken (vgl. ebd., S. 239).
2.3.3 Der kompetenztheoretische Ansatz
Unter 2.3.2 wurde der Sachverhalt bzgl. des strukturtheoretischen Ansatzes dargestellt. Geht es um die Kompetenzen von pädagogischer Professionalität, beziehungsweise um Lehrer*innenkompetenzen, so behaupten Lindmeier & Lindmeier, dass diese Debatte getrennt von den soziologischen und pädagogischen Professionstheorien und innerhalb der pädagogischen Psychologie und Schulpädagogik geführt werde (vgl. 2012, S. 241) . Es wird der Frage nachgegangen, welche „professionelle[n (Anm. d. Verf.)] Standards im Lehrerberuf“ (Baumert & Kunter 2006, S. 469) entwickelt werden können (vgl. Lindmeier & Lindmeier 2012, S. 241). In der Unterrichtsforschung werden derzeit zwei Paradigmen unterschieden (vgl. ebd.). Zum einen das Prozess-Produkt-Paradigma (modifiziertes Paradigma durch stärkere Betrachtung der individuellen Informationsverarbeitungsprozesse seitens der Schülerinnen und Schüler: Prozess-(Mediations-)Produkt-Paradigma) und das Novizen-Experten-Paradigma (vgl. ebd., S. 243f.)
Erstgenanntes Paradigma betont die Wichtigkeit des Verhaltens der Lehrerinnen und Lehrer. Nicht mehr die Persönlichkeit ist vordergründig und die Tätigkeit der Lehrkraft erweist sich als Prozess (vgl. ebd.). Daraus entstanden mehrere Kriterienlisten, welche u.a. die Vermittlung von Lernstrategien oder auch das kooperative Lernen in Schüler*innengruppen bezüglich effektiven Lehrens empfehlen (vgl. ebd.).
Das Novizen-Experten-Paradigma betont, dass nicht die Anzahl der Berufsjahre entscheidend ist, sondern die höhere Effektivität, welche sich u.a. in der schnelleren und exakteren Problemlösung zeigt, einen zum Experten*in macht (vgl. ebd.). Es gibt zum Beispiel das Modell professioneller Handlungskompetenz im Projekt COAKTIV, welches „innerhalb der empirischen Bildungsforschung relativ etabliert ist“ (ebd., S. 243) und das Hierarchische Strukturmodell von Handlungskompetenzen nach Frey, welches „in der Sonderpädagogik besonders rezipiert wurde“ (ebd.). Abbildung Eins im Anhang zeigt das Modell professioneller Handlungskompetenz im Lehrer*innenberuf nach COAKTIV. Demnach ist eine Lehrkraft dann professionell. Wenn er oder sie in den verschiedenen Anforderungsbereichen, welche je nach Modell unterschiedlich sein können, über möglichst viele entwickelte Kompetenzen verfügt (vgl. Terhart 2011, S. 207).
Allerdings herrscht ein grundsätzlicher Konflikt, denn welche Kompetenzen Sonder-oder Integrationspädagogen*innen haben sollen und wie sie sich von den anderen Lehrämtern unterscheiden, ist nicht ausreichend beleuchtet (vgl. Lindmeier & Lindmeier 2012, S. 250). Lütje-Klose und Neumann weisen auf eine Studie, in der die Kompetenzen für alle Lehrkräfte in einer inklusiven Schule herausgearbeitet wurden. Diese können unter den Schlagwörtern „Valuing Learner Diversity, Supporting All Learners, Working With Others und Personal Professional Development“ zusammengefasst werden (2018, S. 130). Auch hier, bei einer Veröffentlichung von 2018 geht es um Lehrkräfte in inklusiven Settings und nicht speziell um Sonderpädagogen*innen. Das heißt, die Aussage von Lindmeier & Lindmeier von 2012 stimmt noch. Auch sollen die KMK-Standards zur Lehrer*innenbildung vier zentrale Kompetenzbereiche aufgeführt haben, „in denen insbesondere das Professionswissen, aber auch die weiteren motivationalen, sozialen und volitionalen Aspekte angesprochen werden: Unterrichten, Erziehen, Beurteilen, Diagnostizieren und Innovieren“ (ebd., S. 131).
Spannend ist an dieser Stelle die Frage, welche Chancen zur Professionalisierung diese Kompetenzen entfalten können, wenn diese überhaupt, bzw. richtig angewendet werden.
2.4 Professionalität von Sonderpädagogen*innen in inklusiven Settings Eingangs wurde bereits von der Kritik des klassischen Professionsverständnisses (bezogen auf die Pädagogik) gesprochen. Einhergehend mit sich wandelnden Strukturen, etc. (vgl. Terhart 2011, S. 203).
Traditionelle Professionen verbuchten im Zuge dieser neuen Strukturen eine Deprofessionalisierung, da einige Merkmale nicht mehr zutrafen, während andere Berufe sich den klassischen Professionen nährten (vgl. Lindmeier & Lindmeier 2012, S. 230f.). Zu den sich wandelnden Strukturen gehören auch zweifelsfrei die inklusiven Schulentwicklungsprozesse, die im Folgenden (Kapitel 3) beleuchtet werden. Diesbezüglich ist es notwendig über die Entwicklung innerhalb der Sonderpädagogik zu sprechen, die durch die Inklusion angeregt wird. Diese Entwicklungen lassen sich unterschiedlich systematisieren, denn es gibt Beiträge, die die sonderpädagogische Professionalität innerhalb der inklusiven Schulentwicklungsprozesse bezwecken und es gibt Beiträge, die in den inklusiven Schulentwicklungsprozessen eine Deprofessionalisierung vermuten und deshalb für den Erhalt von spezifischen Förderschulen plädieren (vgl. ebd., S. 248).
Wie unter 2.3.3 bereits angesprochen ist das Thema der „speziellen“ Kompetenzen für Sonderpädagogen*innen im Vergleich zu den anderen Lehramtskollegen und Kolleginnen nicht ausreichend geklärt. Ellger-Rüttgardt behauptet folgendes:
In der Sonderpädagogik herrscht Konsens, dass der Sonderpädagoge in erster Linie Lehrer ist, d.h., auch er erfüllt die klassischen Aufgaben von Unterricht und Erziehung. Fragt man nach der Besonderheit des Sonderpädagogen, so ist zu betonen, dass kein prinzipieller, sondern nur ein gradueller Unterschied zwischen ihm und dem Lehrer an allgemeinen Schulen besteht, der sich lediglich, aber doch entscheidend, in der unterschiedlichen Perspektivität ausdrückt. Der Sonderpädagoge ist derjenige, der sich für gestörte, erschwerte Lern- und Entwicklungsprozesse einzelner Kinder verantwortlich fühlt und der sich bemüht, mit einer angemessenen Handlungskompetenz pädagogisch-erzieherisch und ggf. auch therapeutisch tätig zu werden. (2004, S. 422f.)
Obwohl genaue Kompetenzen nicht ausreichend herausgearbeitet worden sind, gibt es dennoch Ansätze, bzw. Modelle, welche beschreiben, wie Sonderpädagogen*innen in inklusiven Settings tätig sind. Unter 3.2 wird das Thema näher beleuchtet. Weshalb laut Lütje-Klose und Neumann auf die Sonderpädagogen*innen größere Veränderungen im Zuge der inklusiven Schulentwicklungsprozesse zukommen als auf Regelschullehrkräfte, geht die Hausarbeit später ein (2018, S. 137).
3 Inklusive Schulentwicklungsprozesse
Es gibt drei Fundamente, auf denen der Wunsch nach Inklusion baut. Die Salamanca-Erklärung 1994, die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) 2006 und die Leitlinien zur Bildungspolitik der UNESCO von 2009 (vgl. Speck-Hamdan 2015, S. 13). Die UN-BRK gewährleistet durch den Artikel 24 ein inklusives Bildungssystem, sodass das Recht behinderter Menschen auf Bildung geschützt ist.
3.1 Unterschiedliches Inklusionsverständnis
Es ist wichtig zu wissen, dass der Begriff „Inklusion“ per se nicht immer gleich verstanden wird. Werning vereinfacht das Inklusionsverständnis und reduziert es auf zwei Sichtweisen, dem engen und dem weiten Inklusionsverständnis. Er nennt den sonderpädagogisch orientierten Inklusionsdiskurs und den Diskurs, der die Entwicklung von Bildungsinstitutionen schärfer in den Blick nimmt. Erst genannter Diskurs zielt darauf ab, Menschen mit und ohne Behinderung „zusammenzubringen“. Der zweite Diskurs allerdings lebt vom Prinzip der Minimierung von Diskriminierung und stellt sich gegen eine Ausgrenzung aus allgemeinen Bildungseinrichtungen. Die soziale Teilhabe ist das oberste Ziel und sollte jedem Menschen zugänglich gemacht werden, ungeachtet der persönlichen Unterstützungsbedürfnisse (vgl. 2017, S. 19).
Diese unterschiedlichen Verständnisse sorgen manchmal für Verwirrung. Der KMK-Beschluss von 2011, welcher sich auf die genannten internationalen Dokumente bezieht, spricht „nur noch von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen … Alle anderen (benachteiligten) Gruppen, die in den Leitlinien aufgezählt werden, finden keine Erwähnung“ (Speck-Hamdan 2015, S. 14).
Inklusion hat nicht nur etwas mit Sonderpädagogik zu tun, sondern sie „verlangt vielmehr die Übernahme der pädagogischen Verantwortung für alle Schülerinnen und Schüler durch die allgemeine Schule (vgl. Werning & Baumert 2013, S. 38). Um eine inklusive Schule zu gestalten, bedarf es Konzepten und aus diesem Grund arbeitete Prengel einige Bedingungen heraus. Ganz wesentlich sind „neben der entsprechenden Versorgung der Schulen mit personellen und sächlichen Ressourcen vor allem die Qualifizierung des Personals und eine Beziehungsfähigkeit für Kooperationen in den multiprofessionellen Teams (vgl. Lütje-Klose & Neumann 2018, S. 129).
Die hohe Notwendigkeit für Kooperationen gelten als notwendige Bedingungen inklusiver Schulentwicklung (ebd., S. 135). Doch zurzeit gibt es viele Hindernisse, die eine hohe Kooperation zwischen Regelschullehrkräften und Sonderpädagogen*innen erschweren. Dazu zählt u.a. der „Reisefaktor“, dass Sonderpädagogen*innen teilweise für mehrere Schulen zuständig sind und die geringen Zeitressourcen (ebd., S. 135f.).
3.2 Die Rolle der Sonderpädagogik in der inklusiven Schule Während Sonderpädagogen*innen in Förderschulen im Großen und Ganzen das machen, was ein*e Regelschullehrer*in auch tut, nämlich das Unterrichten und ggf. die Leitung einer Klasse übernehmen, übernimmt ein*e Sonderpädagoge*in im Zuge der Inklusion mehr und mehr die Aufgabe eines*r Experten*in „für sonderpädagogische Förderung mit Schwerpunkten des Diagnostizierens, Förderns und Beratens (vgl. ebd., S. 137). Wie unter 2.2 deutlich gemacht wurde, sorgt der Gedanke als Co-Lehrkraft dafür, dass der oder die Sonderpädagoge*in beruflich in eine vermeintlich niedrigere Lage kommt. Gerade diese Sorgen schwächen das Potenzial der nötigen Kooperation, da meistens der oder die Sonderpädagoge*in in einer „ungünstigen, hierarchischen Rollenkonstellation[en]“ (ebd.) steckt.
Es müssen Modelle geschaffen werden, welche trotz aller Umstände eine hohe Kooperation ermöglichen.
Reiser entwickelte beispielsweise ein Modell sonderpädagogischer Serviceleistungen, „das prototypisch verschiedene Rollenausprägungen unterscheidet“ (ebd.). Damit soll gezeigt werden, welche „Veränderungen der sonderpädagogischen Berufsrolle‘ in integrativen Schulen und Sonderschulen zu erkennen sind“ (Lindmeier & Lindmeier 2012, S. 254). Das Modell von 1998 umfasst die organisatorisch-separierende Serviceleistung in einer Förderschule, die personalisierte additive Serviceleistung und die institutionalisierte systembezogene Serviceleistung in einer inklusiven Schule: (vgl. Lütje-Klose & Neumann 2018, S. 138).
Da es in dieser Hausarbeit um Inklusion geht, wird die organisatorisch-separierende Serviceleistung außenvor gelassen, welche die klassische Arbeit von Sonderpädagogen*innen in einer Förderschule beschreibt. Abbildung Zwei im Anhang verdeutlicht die verschiedenen Serviceleistungen.
Die personalisierte additive Serviceleistung steht im Zusammenhang mit dem Ressourcen-Etikettierungs-Dilemma, da der oder die Sonderpädagoge*in für lediglich diejenigen zuständig ist, welche zum größten Teil einen diagnostizierten Förderbedarf haben (ebd.). Das Ganze wird auch deshalb additiv genannt, weil es als etwas Zusätzliches gilt, dass parallel zum „normalen Unterricht“ verläuft (vgl. Lindmeier & Lindmeier 2012, S. 256) . In diesem Fall würden die Sonderpädagogen*innen als Spezialisten*innen auftreten (vgl. Lütje-Klose & Neumann 2018, S. 143).
Die institutionalisierte systembezogene Serviceleistung ist deshalb systembezogen, weil der oder die Sonderpädagoge*in „als Teil des Kollegiums gilt und nicht nur für eine additive Förderung einzelner Schülerinnen und Schüler eingesetzt wird“ (ebd., S. 140). Reiser unterscheidet hier zwei Modelle, einerseits die Co-Teaching-Formen und zum anderen die sonderpädagogische Förderung und Beratung (vgl. ebd., S. 139ff.).
3.2.1 Co-Teaching-Formen
Regelschullehrkraft und Sonderpädagoge*in arbeiten im ersten Modell kooperativ, gestalten den Unterricht gemeinsam und sind gleichberechtigt (vgl. ebd., S. 139). Darunter fallen auch die verschiedenen Co-Teaching-Formen, wobei Friend und Cook sechs Co-Teaching-Formen unterscheiden: Dazu zählen: „One teach one observe, One teach one assist, Station teaching, Parallel teaching, Alternative teaching und das Teaming oder Team teaching“ (vgl. ebd., S. 140).
In Abbildung drei werden die verschiedenen Formen verdeutlicht, sodass es keiner detaillierten Beschreibung jeder einzelnen Form bedarf. Allerdings sollte grob ein Überblick gegeben werden: Bei der „One teach one observe“-Form führt eine Lehrkraft den Unterricht, wohingegen die andere Lehrkraft die Beobachterrolle einnimmt. „One teach one assist“ meint, dass auch hier eine Lehrkraft die Hauptverantwortung übernimmt und die andere Lehrperson individuelle Unterstützungen anbietet. „Station teaching“ verlangt Stationsarbeiten, d.h., dass der Unterrichtsinhalt auf mind. drei Stationen verteilt wird. Jede Lehrkraft übernimmt quasi die Verantwortung für eine Station und die Schülerinnen und Schüler werden durch die jeweilige Lehrkraft unterstützt oder erarbeiten es sich alles selbst. Beim „Alternative teaching“ übernimmt jede Lehrkraft die Verantwortung für eine definierte Gruppe und es wird relativ unabhängig voneinander unterrichtet. Im „Team Teaching“ unterrichten beide Lehrkräfte gemeinsam und ergänzen sich (vgl. ebd., S. 140f.). Einige dieser Formen bedürfen einer höheren Kooperationsbereitschaft als andere, wie z.B. das Team Teaching. Es gibt auch Formen, wo eine eigene höhere Autonomie (i.d.R. von der Regelschullehrkraft) bestehen bleiben kann, wie z.B. beim Parallel Teaching oder Alternative Teaching (vgl. ebd., S. 141).
Obwohl die Co-Teaching-Formen als positiv wahrgenommen werden, muss in Hinblick auf die Professionalität gesagt werden, dass aus Studien hervorgeht, dass die Lehrkraft der allgemeinen Schule als „richtige Lehrerin“ gilt, während die sonderpädagogische Lehrkraft nicht selten den Status der „Hilfslehrerin“ zugewiesen bekommt. Daraus können die Wahrnehmung mangelnder Wertschätzung der eignen Person und Rolle sowie Rollenkonflikte entstehen, welche in der Konsequenz zu häufigerer äußerer Differenzierung und wiederum zu exkludierender Wirkung für die Schülerinnen und Schüler führen können. (ebd., S. 142)
Dieses Modell steht auch prototypisch für den oder die Sonderpädagogen*in als Generalisten*in (vgl. ebd., S. 143).
Im zweiten Modell, nämlich dem der sonderpädagogischen Förderung und Beratung, tritt „die direkte Mitwirkung am Unterricht … in den Hintergrund“ (ebd.). Die Sonderpädagogen*innen treten als Berater*innen auf, um dem Ratsuchenden, die Ratsuchende (i.d.R. die allgemeinen Lehrkräfte) in sonderpädagogischen Fragen zu begleiten und zu unterstützen (vgl. ebd.).
Obwohl die Formen des Co-Teachings in der Theorie am inklusivsten gelten (vgl. Lindmeier & Lindmeier 2012, S. 263), werden Tendenzen hin zu einer Mischung deutlich, nämlich einer Kombination von der additiven Serviceleistung und dem zweiten Modell der institutionellen systembezogenen Serviceleistung, nämlich die der sonderpädagogischen Beratung (vgl. Lütje-Klose & Neumann 2018, S. 143). Diese Mischung sorgt jedoch für eine Unzufriedenheit mit der Arbeitssituation der Sonderpädagogen*innen und umfasst das Risiko, dass inklusive Schulentwicklungsprozesse ins Stocken geraten (vgl. ebd.). „Diese stellt jedoch eine zentrale „Stellschraube“ von Schulentwicklung allgemein … und inklusiver Schulentwicklung im Speziellen dar …“ (ebd.).
Warum die Formen des Co-Teachings selten(er) sind und somit Kooperationsprobleme auftreten, hat viele Gründe. Zum einen können es die strukturellen Vorgaben sein, dass es einfach zu wenige Stunden für Sonderpädagogen*innen an allgemeinen Schulen gibt (vgl. Lindmeier & Lindmeier 2012, S. 264). Zum anderen können es fehlende Absprachen sein, welche begünstigen, dass sich Rollenverteilungen spontan ergeben und die Lehrkräfte somit schnell aus dem Konzept des Co-Teachings fallen (vgl. Weiss & Lloyd 2002, S. 62). Unter 2.3.3 wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die charakteristischen Kompetenzen für Sonderpädagogen*innen im Vergleich zu den anderen Lehramtskollegen*innen nicht hinreichend geklärt sind. Dies führt auch zu Kooperationsproblemen: Bei einer Untersuchung, wo es um die Gründe des Austretens von Lehrkräften aus Integrationsklassen in Hamburg ging, wurde festgestellt, „dass der Kern der Kooperationsprobleme in dem unklaren Verhältnis von allgemeiner und spezieller Pädagogik und damit den fehlenden orientierenden Perspektiven lag“ (Lindmeier & Lindmeier 2012, S. 265).Dieses Problem verstärkt auch die unter 2.2 genannte Angst des beruflichen Abstiegs.
3.2.2 Arten der Zusammenarbeit
In dieser Arbeit wird „Kooperation“ als synonym zu „Zusammenarbeit“ verwendet. Allerdings gibt es Studien, die unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit herausarbeiten und die Kooperation ist nur eine der Formen. Trotzdem wird von „Kooperationsformen“ gesprochen. Werning und Avci-Werning thematisieren vier Kooperationsformen: Ko-Aktivität, Kooperation, Koordination und Kollaboration (vgl. 2015, S. 112). Die Kollaboration stellt die höchste Stufe der Zusammenarbeit dar und verlangt eine grundlegende Übereinstimmung in Werten und Zielen der beiden Lehrkräfte (Regelschullehrer*in und Sonderpädagoge*in). Allerdings bedarf es gegenseitiges Vertrauen und Respekt und muss somit erarbeitet werden (vgl. ebd.). Zusammenarbeit gilt als Grundvoraussetzung der Co-Teaching-Formen.
4 Chancen zur Professionalisierung in inklusiven Schulentwicklungsprozessen - Fazit
Da es um Chancen geht, ist die Fragestellung nicht mit einem ja oder nein zu beantworten. Es wurde bereits herausgearbeitet, dass nach dem strukturtheoretischen Ansatz Professionen als stellvertretende Krisenlöser*innen fungieren (2.3.2). Auch wurde klargestellt, dass pädagogisches Handeln, insb. Lehrer*innenhandeln Sonderbedingungen aufweisen, die mit dem klassischen merkmalsbezogenem Professionsverständnis nicht vergleichbar sind (2.2). Beispielsweise erzeugen Schulen ihre eignen Krisen, aber immer mit dem gewünschten Ziel, das die Schüler*innen gute Noten bekommen, was aber nicht immer gelingen kann. Das gilt u.a. als Antinomie (2.3.2). Inklusive Schulentwicklungsprozesse zeichnen sich v.a. durch die höhere Notwendigkeit von Kooperationen aus (3.1). Das erste Modell der institutionalisierten systembezogenen Serviceleistung (Doppelbesetzung im gemeinsamen Unterricht) , was letztendlich auf die verschiedenen Co-Teaching-Formen hindeutet, gilt gerade durch die verschiedenen Formen als am inklusivsten und muss ausgebaut werden (3.2.1).
Die Chancen zur Professionalisierung ergeben sich eben erst dann, wenn die Kooperationsbereitschaft steigt und die Formen des Co-Teachings im Rahmen von inklusiven Schulentwicklungsprozessen ausgeweitet werden, wovon aber nicht auszugehen ist, weil die sonderpädagogischen Ressourcen begrenzt sind (vgl. Lütje-Klose & Neumann 2018, S. 143). Desweiteren wird von Lütje-Klose und Neumann behauptet, dass das „Ziel einer optimalen Förderung aller Schülerinnen und Schüler“ (ebd., S.147) eben einen inklusiven Schulentwicklungsprozess ausmache. (vgl. ebd.). Die Chancen zur Professionalisierung spiegeln sich demnach also (auch) im Erfolg der Schülerinnen und Schüler (in inklusiven Settings) wieder (vgl. Terhart 2011, S.207). Wenn die Lehrkräfte ständig an ihrer Kooperationsbereitschaft arbeiten, so ergibt sich auch die Chance, dass alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam unterrichtet und besser gefördert werden.
5 Anhang
Abbildung eins: (Lindmeier & Lindmeier 2012, S.246). In der Hausarbeit:S.9
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung zwei: (Lütje-Klose & Neumann 2018, S.138) In der Hausarbeit:S.12
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Ztstandigteit'ureng umgrenzte Diagnose- und Fiirderleislungen vorrangig in Merer Differenzierung FordermaBnahmen als etwas Zusatzliches (SprachforrJe-rung, Wahrnehmungsfdrde-rung, Psychomotor*} Aufgabenscriwerpunkt: individuelle rorner.ir; gemeinsams Zustandigkeit ffjr Urrlerricht, zusammen mrt Regelschullehrkraft: Untenrichts-.und Fdrder-plar.ung und Reflexion Umsetzung unlerrichtsinteg-nerter Forderung, z.B, tiei Lern-, Sprach- und Verhaltensproblemen Aufgabensctwerpunkt: unterrichtsbezogere KooperaJion
Sonderpadagogis-che Ambulanz und Beratung
ZustanrJigkeit nicht in erster LiniefurUnterricritund Forderung, sondern IQr Diagnose, Beratung und lnteraktion Aufgatenschwerpunkle: Beratung der Lehrkrafte, Schiiierinnen unrJScriuler, Eltern, Kooperation ma anderen Unterstjtzungs-systemen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Sonderpadagogisrh? Forderung als Seri/iceleistung in der allgemeinen Sehuie (Lutje-Klose 2011, S. 18f.; in Anlehnung an Reiser 1998)
Abbildung drei: (Lütje-Klose & Neumann 2018, S.140) In der Hausarbeit:S.13
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
6 Literatur
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- Arbeit zitieren
- Yakup Ural (Autor:in), 2020, Welche Chancen zur Professionalisierung können sich durch die Mitarbeit an inklusiven Schulentwicklungsprozessen für Sonderpädagogen*innen ergeben?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/911230
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