Zusammenhänge wohlfahrtsstaatlicher Strukturen und Mechanismen des US-amerikanischen Liberalismus mit der Reproduktion von Bildungsungleichheit

Eine Untersuchung von Unterschieden zwischen Einkommensklassen nach Collegezulassung und –abschluss im US-Liberalismus


Hausarbeit (Hauptseminar), 2020

23 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Theoretische Konzeption

3. Der liberale Wohlfahrtsstaat als Regime-Typ

4. Das Postsekundare Bildungssystem im US-Liberalismus
4.1. Unterschiedliche Collegetypen und deren Zulassungskriterien
4.2. Stratifizierung der postsekundaren Bildungsverteilung durch ungleiche Einschreibungsquoten nach Einkommensschichten
4.3. Diskrepanz in der Chancengleichheit durch Selektionsverfahren
4.4. Bildung als öffentliches oder privates Gut?
4.5. Das reproduzierte Privileg der Ivy League
4.6. Graduation und sozio-ökonomischer Status

5. Stratifizierung und De-kommodifizierung im postsekundaren Bildungssystem des US-Liberalismus

6. Fazit

1. Einleitung

Der 1929 durch Pitirim Sorokin gepragte Begriff der „Sozialen Mobilitat“ und die damit be- schriebenen Veranderungen sozio-ökonomischer Positionen haben in den vergangenen Jahr- zehnten nicht an Aktualitat und Relevanz verloren. Im Gegenteil: In liberalistischen Staaten wie der USA finden Annahmen groBen Zuspruch, die besagen, Individuen könnten durch harte Arbeit und ambitionierte Weiterbildung den eigenen bzw. familiaren sozio-ökonomischen Sta­tus verbessern. So herrschte beispielsweise wahrend der 1960er Jahre in den USA reger Diskurs über die herausragende ,Mobilitat‘ der nationalen Bevölkerung, der baldigen Klassenlosigkeit sowie des Triumphs von ,Leistung‘ über Statuszuschreibung (Bourdieu 1990: Vorwort xi). Im Umkehrschluss fallen staatliche Unterstützungsleistungen verhaltnismaBig gering aus, da gan- giger Konsens ist, dass jede Person sich selbst aus prekaren Verhaltnissen befreien könne.

Diese Annahmen spiegeln sich auch in der US-amerikanischen Sozialpolitik wider, die gröB- tenteils bedürfnisgeprüft ist und strikten Zugangsregeln folgt (Fischer et al. 1996: 131 und E­sping Andersen 1998: 43). Erkennbar ist diese Gesinnung zudem in dem Konzept des „Ameri- can Dream“, laut dem es heiBt, jede Person könne, ungeachtet von Klasse, ethnischer Herkunft oder Geschlecht, seine persönlichen ökonomischen Ziele verwirklichen, vorausgesetzt es werde hart und zielstrebig dafür gearbeitet. In Bezug auf das Bildungssystem der USA ist jedoch er- kennbar, dass durch Strukturen und sozialpolitische MaBnahmen der Einfluss des sozial-öko- nomischen Hintergrundes auf Bildungsverteilung verstarkt wird, auch im Vergleich zu anderen Industrienationen (Buchmann et al. 2010: 436). Des Weiteren ist Bildung in den USA zwischen verschiedenen sozio-ökonomischen Schichten ungleich verteilt (Berg 2010). Der daraus ableit- bare, mögliche Zusammenhang zwischen wohlfahrtsstaatlichen Leistungen und Programmen und der Aufrechterhaltung von Bildungsungleichheit zwischen sozio-ökonomischen Schichten soll im Folgenden anhand von postsekundarer Bildung untersucht werden.

2. Theoretische Konzeption

Das Prinzip des fairen Wettbewerbs mit zentraler Position des Marktes ist charakteristischer Bestandteil des wohlfahrtsstaatlichen Systems der USA, dem Liberalismus (Esping-Andersen 1998: 43). Was in der verbreiteten Theorie des Leistungsprinzips und der Chancengleichheit durchaus gerecht und unwillkürlich klingt, lasst sich in der Praxis nur bedingt beobachten. Es ist davon auszugehen, dass neben individueller Anstrengung bzw. Leistung eine Vielzahl wei- terer Faktoren auf die tatsachlich eintretende, vertikale Mobilitat einwirkt.

Hierbei sind weitere kritische Betrachtungsweisen und Zweifel an der Wirksamkeit der Bildung als Mechanismus sozialer Mobilitat bis hin zur Postulierung stratifizierender Effekte und dem Hervorheben der Selektionsfunktion des Bildungssystems zu erwahnen (Berg 2010: 1 f). Nach Bourdieu (1990: ix f) ist einer der Mobilitat bedingenden Faktoren in der sozialen Reproduk- tion, mithilfe derer ein Transfer von kulturellem Kapital in die nachste Generation ermöglicht wird, zu finden. Das Bildungssystem begünstigt diesen Prozess, indem es soziale Hierarchien durch akademische reproduziert und so zum Erhalt der Klassenstruktur beitragt (Bourdieu 1990: 205). Bourdieu zufolge tragt das Bildungssystem in der Realitat also weniger zur der Erschaffung sozialer Mobilitat bei, als zur Reproduktion von Ungleichheitsstrukturen. Kathleen Fitzpatrick (2019: 206) nennt zudem den von Weber gepragten Begriff des „Prestige“ als eine Ursache der Aufrechterhaltung von Hierarchien und Exklusion, aufgrund der kompetitiven Na- tur dessen Erwerbs innerhalb von Bildungsinstitutionen. So wird, Im Falle von Universitaten und Colleges, Prestige in den USA unter anderem anhand der Ablehnungsquote neuer Bewer- berInnen gemessen, was im Umkehrschluss die Besonderheit des Erhalts eines Studienplatzes an hoch-selektiven Colleges erhöht (Fitzpatrick 2019: 184).

Der prozentuale Anteil an Collegeeinschreibungen unter US-AmerikanerInnen im Alter von 18 bis 24 ist in den vergangenen Jahrzehnten stetig angestiegen und lag im Jahr 2018 bei 41% wahrend im selben Jahr 39% der 25 bis 34-Jahrigen mindestens über einen Bachelor Abschluss verfügten (Ma et al. 2019: 8). Als Konsequenz daraus verlor ein Collegeabschluss an relativer Bedeutung, was Eltern dazu veranlasste, ihre Kinder an Colleges mit bestmöglichem Ruf un- terbringen zu wollen (Berg 2010: 2). Kinder aus einkommensschwacheren Schichten sind in diesem Wettstreit haufig von Benachteiligung im finanziellen oder kulturellen Sinne betroffen (Berg 2010: 2). Des Weiteren geht aus Statistiken hervor, dass der Anteil von Collegeabsolven- tInnen stark von dem sozio-ökonomischen Status abhangig sei und die zuvor erwahnte populare Annahme der sozialen Mobilitat durch Bildung und Leistung somit infrage gestellt werden könne. Auch in Bezug auf weitere Bereiche des Postsekundaren Bildungssystems der USA existieren Strukturen und Mechanismen, welche die Zugangschancen für Menschen aus unter- schiedlichen Einkommensschichten in Ungleichgewicht zueinander bringen können und somit eventuell Ungleichheit in der Bildung aufrechterhalten oder sogar verstarken. Soziologische und bildungsbezogene Studien behandeln bevorzugt institutionelle Aspekte des Bildungssys- tems und fassen selbiges nur selten als integralen Bestandteil des Wohlfahrtsstaats auf (West & Nikolai 2013: 474).

Dieser Arbeit liegt die Annahme zugrunde, dass eine Reproduktion von Bildungsungleichheit in der USA stattfindet, welche wiederum mit dem liberalen Wohlfahrtsstaat in Zusammenhang steht. Im Folgenden wird der Versuch unternommen, den Zusammenhang des US-Liberalismus mit vertikaler Bildungsungleichheit anhand von Unterschieden innerhalb von Einkommens- schichten bezüglich Collegezulassung und -abschluss darzustellen. Dazu wird kurz auf den US- amerikanischen Liberalismus nach Esping-Andersen eingegangen sowie das Postsekundare Bildungssystem und dessen Merkmale und Eigenheiten innerhalb dieses spezifischen Wohl- fahrtsstaattypus in den USA dargestellt und analysiert. Im Anschluss daran wird analysiert, ob und inwiefern stratifizierende bzw. reproduzierende Mechanismen, Strukturen und Wirkungs- weisen des US-Wohlfahrtstaates auf die Verteilung von Bildung vorzufinden sind und in wel- chem AusmaB dadurch soziale Mobilitat bedingt wird.

Ziel der Arbeit ist es, der Untersuchung von Bildungs- und Ungleichheitsreproduktion den As- pekt des Regimetyps nach Esping-Andersen hinzuzufügen und mögliche Zusammenhange am Beispiel postsekundarer Bildung in den USA aufzuzeigen.

3. Der liberale Wohlfahrtsstaat als Regime-Typ

Esping-Andersen teilt wohlfahrtsstaatliche Regime in die drei Gruppen des liberalen-, korpo- ratistischen-, sowie des sozialdemokratischen Typus ein (Esping-Andersen 1998: 43 f). Kenn- zeichnend für den liberalen Wohlfahrtsstaattypus, der im Folgenden behandelt wird, ist ein ho- her Grad an Stratifizierung, der die Aufrechterhaltung der Schichtenordnung und sozio-ökono- mischer Ungleichheitsstrukturen bezeichnet (Esping-Andersen 1998: 43 f). Des Weiteren för- dert der Wohlfahrtsstaat der USA Individualismus, bietet der Bevölkerung vergleichsweise ge­ringe soziale Leistungen, die zudem haufig im privaten Sektor distribuiert werden und produ- ziert somit geringe Umverteilungseffekte (Faricy 2015: 209). Darüber hinaus sind „de-kommo- difizierende Effekte [...] (sowie der) Geltungsbereich sozialer Rechte“ (Esping-Andersen 1998: 43) schwach ausgepragt.

In Bezug auf das Bildungssystem der USA sind wohlfahrtsstaatliche Leistungen beispielsweise Bundeszuschüsse, Landeszuschüsse oder Stipendien bzw. in manchen Fallen die Befreiung von Studiengebühren (U.S Department of Education 2019). Jedoch können auch Interdependenzen zwischen weiteren Bereichen von Sozialleistungen und jenem der Bildung existieren. Die wohlfahrtsstaatlichen Leistungen unterteilen sich wie folgt:

“The U.S. budget includes six categories that are explicitly classified for providing social wel­fare to the public and are as follows: health; income security; Social Security; Medicare; veter­ans' benefits and services; and education, training, and social services. The public social system is designed to give assistance to the elderly, the unemployed, and the poor.” (Faricy 2015: 7)

Hierbei ist denkbar, dass besonders Bereiche wie Gesundheitsfürsorge, Einkommenssicherheit und Soziale Sicherheit in Zusammenhang mit Bildung stehen können. Die Auspragungen staat- licher Leistungen variieren darüber hinaus mit der regierenden Partei, da VertreterInnen der demokratischen bzw. republikanischen Partei unterschiedliche Auffassungen über die durch den Staat zu erbringenden sozialen Leistungen haben (Faricy 2015.: 1). Wahrend Erstgenannte wahrend ihrer Legislaturperiode einen öffentlichen Wohlfahrtsstaat errichten und aufrecht- erhalten, so fokussieren sich RepublikanerInnen auf private Varianten dieses Systems, wenn sie an der Macht sind (Faricy 2015: 2). Dies führte und führt dazu, dass der US-amerikanische Wohlfahrtsstaat eine öffentliche sowie eine private Seite hat, bei der sich der jeweilige Anteil je nach aktuell regierender Partei verschiebt (Faricy 2015: 2).

Der Privatsektor des Sozialwesens der USA gehört zu einem der gröBten Weltweit wahrend der öffentliche Sektor zu einem der kleinsten zahlt (Faricy 2015: 9 f). Daten der OECD zeigen, dass die öffentlichen Sozialausgaben in den USA 2018 18,7% des Bruttoinlandproduktes betrugen im Vergleich zu 30% des BPI an privaten Sozialausgaben. Sozialpolitik generell wurde in den USA erst vergleichsweise spat, mit der Verabschiedung des Social Security Acts im August 1935, popular (Berkowitz 1991: 13). In den Jahren 1956 und 1965 wurden anschlieBend die Arbeitsunfahigkeitsversicherung bzw. die staatliche Krankenversicherung eingeführt (Berko­witz 1991: 193). Der Arbeit liegt die Annahme zugrunde, dass wohlfahrtsstaatliche Leistungen einen Einfluss auf Bildungsgleichheit und dessen Reproduktion haben können. Im weiteren Verlauf der Arbeit soll untersucht werden, ob und inwiefern der hier dargestellte liberale Wohl- fahrtsstaat der USA mit seinen Strukturen und Mechanismen stratifizierend auf das Bildungs- system einwirkt.

4. Das Postsekundare Bildungssystem im US-Liberalismus

Colleges gehören zu Bildungsinstitutionen, welche Studierenden bei der Graduation institutio- nelles kulturelles Kapital verleihen (Bourdieu 1990). Diese Kapitalart symbolisiert die Kompe- tenz der Person, die sie innehat, beispielsweise in Bezug auf ein spezifisches akademisches Feld (Bourdieu 1992: 63). Ein College Abschluss, sowie das zugehörige Zertifikat, sind in der heu- tigen Gesellschaft vonnöten, um sich spateren Erfolg überhaupt vorstellen zu können (Fischer et al. 1996: 68). Die Rolle des Staates bezüglich des Bildungssystems ist international unter- schiedlich ausgepragt, die staatlichen Unterstützungsleistungen variieren stark und somit auch die Möglichkeiten, für Personen aus niedrigen Einkommensschichten, adaquate Hochschulbil- dung zu erfahren. In der heutigen Zeit sind Bildungserfolg und spatere Arbeitsmarktpositionen stark miteinander verknüpft, was bedeutet, dass Bildungserfolg einen geeigneten Pradiktor für Erfolg in der Arbeitswelt darstellt (Allmendinger et al. 2003: 63).

Da bei einem Studium an US-Amerikanischen Colleges jahrlich Kosten zwischen 9.000$ und 34.600$ allein an Studiengebühren anfallen (U.S Department of Education 2019), sind Familien bzw. Studierende aus einkommensschwacheren Schichten auf staatliche oder anderweitige fi- nanzielle Unterstützung angewiesen. Im Folgenden wird das US-amerikanische postsekundare Bildungssystem in Hinblick auf dessen Besonderheiten innerhalb eines liberalen Wohlfahrts- staats dargestellt und mögliche Zusammenhange analysiert.

4.1. Unterschiedliche Collegetypen und deren Zulassungskriterien

Hochschulbildung wird in den USA durch unterschiedliche Institutionen erteilt. Neben privaten non-profit Institutionen wie Harvard, Stanford oder Yale werden Studierende in zunehmender Zahl an for-profit Institutionen oder öffentlichen Universitaten, sogenannten Community Col­leges, unterrichtet (Baum et al. 2013: 22). Diese Collegetypen lassen sich weiter unterteilen in jene mit zweijahriger bzw. vierjahriger Studienzeit. 2-Jahres-Colleges bieten Studierenden die Möglichkeit, berufsorientierte Abschlüsse zu erwerben. Diese umfassen unter anderem „tech- nical or professional associate's degrees or occupational certificated [...]” (Baum et al. 2013: 22). An 4-Jahres-Colleges wird üblicherweise der Bachelor Abschluss angestrebt, auf den wie- derum ein Masterstudium sowie eine Promotion folgen können. Im Folgenden wird vor allem das Studium an 4-Jahres-Colleges behandelt, da diese Variante mit anschlieBender Fortset- zungsmöglichkeit des Studiums den typischen akademischen Verlauf in den USA darstellt. Da- mit gehen jedoch eine vergleichsweise spate Aufnahme beruflicher Beschaftigungen sowie hö- here finanziellen Herausforderungen wahrend dieses Zeitraums einher.

Wie zuvor erwahnt, nimmt die Bedeutung der postsekundaren Bildung in den USA zu. Dieser Wandel spiegelt sich in statistischen Erhebungen deutlich wider. So erhöhte sich zwischen 2000 und 2018 der Anteil derer, die einen Associate Degree oder höher innehatten, von 38% auf 47%, der Anteil derer, die einen Bachelor Abschluss oder höher erwarben, von 29% auf 37% sowie der Anteil derer mit Master Abschluss oder höher von 5% auf 9% (U.S. Department of Education 2019a).

Innerhalb der 4-Jahres-Institutionen existieren erhebliche Unterschiede bezüglich der Zulas- sung von Studierenden. Wahrend im akademischen Jahr 2017/2018 an privaten for-profit Col­leges im Bundesdurchschnitt 75% der Neueinschreibungen ohne Selektions- und Auswahlpro- zesse zugelassen wurden, so betrug der Anteil an öffentlichen Colleges nur 24% und an privaten nonprofit Colleges 15% (U.S. Department of Education 2019b). Die direkte Zulassungsquote innerhalb der 2-Jahres-Community-Colleges betrug hingegen beinahe 100% (U.S. Department ofEducation 2019b). Der hierbei erworbene Associate Degree qualifiziert zum weiterführenden Besuch von Institutionen für den Erwerb des Bachelorabschlusses (College Contact). Die ver- bleibenden Platze werden durch unterschiedliche Bewerbungskriterien festgelegt, wobei die gangigste Methode die Platzvergabe nach Abschneiden in standardisierten Tests wie dem Scho­lastic Assessment Test (SAT) oder dem American College Test (ACT) darstellt (Venezia & Jaeger 2013: 119 f).

Die Vergabe von Studienplatzen nach Punktzahl bzw. Note in standardisierten Testverfahren kann wie eine gerechte Methodik im Sinne der Leistung erscheinen, jedoch sind eben diese Verfahren in den letzten Jahren verstarkt in die Kritik geraten (Venezia & Jaeger 2013:120. Grund dafür ist unter anderem, dass kostenintensive Vorbereitungskurse für diese Tests exis- tieren, zu denen wohlhabendere, angehende Studierende besseren Zugang haben als jene aus niedrigeren Einkommensschichten (Venezia & Jaeger 2013: 120). Des Weiteren merken Kriti- kerInnen an, dass die Tests nicht den jeweiligen Lernstatus aus der High-School widerspiegeln und nur schwache Indikatoren für Collegeerfolg darstellen (Venezia & Jaeger 2013: 120). Auch kritisch zu betrachten ist die Tatsache, dass der 1926 eingeführte und heute vorherrschende Scholastic Aptitude Test (auch Scholastic Assessment Test, kurz: SAT) von Carl Brigham kre- iert wurde, einem Professor der Psychologie an der Universitat Princeton und damaligem Ver- treter der Eugenik (Berg 2010: 19). Dieser vertrat zum Zeitpunkt der Einführung des Tests noch die Ansicht, Intelligenz hange mit der jeweiligen Rasse zusammen und ethnische Minderheiten sowie Menschen aus einkommensschwacheren Schichten seien generell unterlegen (Berg 2010: 19). Darüber hinaus ist zu erwahnen, dass die oben beschriebenen Testverfahren in erster Linie zur Aufnahmeselektion an privaten Colleges, vor allem privaten non-profit Colleges, dienen. An öffentlichen Community Colleges hingegen finden praferiert Tests wie der ACCUPLA- CER- und der COMPASS Test Verwendung, die erst nach erfolgreicher Immatrikulation zur Kurseinstufung durchgeführt werden (Venezia & Jaeger 2013: 120).

Obwohl das öffentliche Bild des Postsekundaren Bildungssystems der USA nach wie vor ge- pragt ist von sogenannten Ivy League Schools, so absolvieren vergleichsweise wenig Studie- rende ihre Abschlüsse an diesen hoch-selektiven Institutionen (Barrow et al. 2013: 3). Im Jahr 2013 wurden bereits 40 Prozent der Neueinschreibungen an Community Colleges vorgenom- men (Barrow et al. 2013: 3). Die unterschiedlichen Collegetypen der USA unterscheiden sich nicht nur bezüglich ihres Rufes oder ihres Bekanntheitsgrades, es existieren auch erhebliche Unterschiede im Hinblick auf den Kostenfaktor der Ausbildung (U.S. Department of Education 2019c). Hohe Kosten können den Zugang zu Bildungseinrichtungen für Menschen aus einkom- mensschwacheren Schichten erschweren oder sogar verhindern (Berg 2010: 112). Dies kann dazu führen, dass in diesen Fallen weniger oder keine soziale Mobilitat durch Bildung stattfin- den kann.

4.2. Stratifizierung der postsekundaren Bildungsverteilung durch ungleiche Einschrei- bungsquoten nach Einkommensschichten

Existieren Mechanismen, die Personen aus einkommensschwacheren Schichten, im Gegensatz zu jenen aus wohlhabenderen Schichten, davon abhalten, eine postsekundare Ausbildung anzu- treten und kann dies dazu führen, dass intergenerational der (nicht-)Zugang zu Hochschulbil- dung weitergegeben wird? Eine von Zwick (2012: 29) aufgestellte These besagt: „Socioeco- nomic status plays a complex role in the analysis of academic success”.

Sollte sich ein niedriger sozio-ökonomischer Status negativ auf Bildungschancen auswirken, könnte dies bei Betrachtung von Bildung als wohlfahrtsstaatlichen Dienst ein Indiz für Kom- modifizierung darstellen. Nach Esping-Andersen (1990: 36) sei De-kommodifizierung charak- terisiert durch eine Entkopplung der Verteilungsfrage vom Markt, einer „Bereitstellung alter- nativer, nicht-marktförmiger Mittel der Wohlfahrtsproduktion“. Dementsprechend ware der Grad der De-kommodifizierung in Bezug auf Bildungszugang dann starker ausgepragt, wenn der Einfluss des sozio-ökonomischen Status bzw. finanzieller Möglichkeiten geringer ist. Der Folgende Abschnitt zielt darauf ab, Zusammenhange zwischen sozio-ökonomischem Status und Collegezugang darzustellen und zu analysieren.

Einer Studie von Chetty et al. (2014: 20) ist zu entnehmen, dass zwischen prozentualem Col- legebesuch und dem prozentualen Rang des Einkommens der Eltern eine lineare Beziehung mit einer Steigung von 0,675 vorhanden ist. Dementsprechend ist die Quote des Collegebesuchs bei dem Prozent der Kinder aus Elternhausern mit höchstem Einkommen (ca. 93,5%) um 67,5% höher als jene des Prozents der Kinder aus Elternhausern mit geringstem Einkommen (ca. 26%) (Chetty et al. 2014: 20). Dieser Statistik liegen erhobene Daten von Kindern der Geburtenko- horte 1980-82 zugrunde, die im spateren Alter zwischen 18 und 21 mindestens ein Jahr an ei- nem College studierten (Chetty et al. 2014: 20).

Das U.S. Department of Education (2016: Abbildung 4) führte eine weitere Langsschnitt Studie durch, die basierend auf einer reprasentativen Stichprobe den prozentualen Anteil Neuntklass- lerInnen des Jahres 2009 darstellt, der 2013 in einer postsekundaren Institution eingeschrieben war. Demzufolge betragt der Anteil des Drittels mit niedrigstem sozio-ökonomischen Status 59%, jener des mittleren Drittels 73% und der des höchsten 92% (U.S. Department of Education 2016: Abbildung 4). Weiterhin ist erkennbar, dass im Vergleich zu 12% aus dem erstgenannten Drittel, 28% im zweiten und 60% im letzten Drittel für einen Bachelorabschluss eingeschrieben waren (U.S. Department of Education 2016: Abbildung 4). Der jeweils verbleibende Anteil ist entweder für einen Associate's Degree oder ein Occupational Certificate eingeschrieben oder besucht die Kurse ohne einen Abschluss anzustreben (U.S. Department of Education 2016: Ab- bildung 4).

Um Statistiken wie diese zu erklaren, sind unterschiedliche Ansatze denkbar. Jene, die in dieser Arbeit im Fokus stehen, hangen in unterschiedlichen Auspragungsgraden mit der Finanzie- rungsproblematik zusammen, die auch durch Sozialpolitik bedingt ist.

4.3. Diskrepanz in der Chancengleichheit durch Selektionsverfahren

Einen möglichen Mechanismus, um einen Teil des Zusammenhangs zwischen Haushaltsein- kommen und Collegeausbildung zu erklaren, stellen die bereits erwahnten standardisierten Tests dar. Selektive Colleges in den USA nutzen üblicherweise Messverfahren, um den Erfolg potentieller Studierender im Voraus einschatzen zu können. Diese Messverfahren umfassen beispielsweise High-School Noten oder High-School Range sowie standardisierte Tests wie den SAT-I, SAT-II oder ACT (Schmidt/Camara 2004: 190). Die popularsten Testverfahren sind hierbei der SAT-I sowie der ACT.

Der Scholastic Aptitude Test (SAT-I) ist als Test zur Messung kognitiver Fahigkeiten zu ver- stehen, der Informationen über den spateren akademischen Erfolg angehender Studierender zur Verfügung stellen soll (Aktinson 2004: 17). Der American College Test (ACT) ist hingegen Leistungsorientiert und basiert auf dem Curriculum der High-School (Ferguson 2004: 26). Er basiert zudem auf Inhalten, die in High-School Vorbereitungskursen beigebracht werden und umfasst akademisches Wissen sowie Fahigkeiten, die auf diesem Niveau typisch sind (Fer­guson 2004: 26). Der ACT ist aufgeteilt in die vier Kategorien Englisch, Mathematik, Lesever- stehen sowie Naturwissenschaften (Ferguson 2004: 26).

Der ursprüngliche Sinn dieser Tests war eine Vorabevaluation des zu erwartenden Erfolgs im College angehender Studierender bei gleichzeitiger Unabhangigkeit von sozio-ökonomischen Privilegien (Berg 2010: 19). Jedoch erwies sich die Methodik dieser Testverfahren als „cultur- ally biased“ und produziert vergleichsweise schlechtere Ergebnisse für angehende Studierende aus einkommensschwacheren Familien, insbesondere für jene aus ethnischen Minderheiten (Berg 2010: 19 f). So zeigt eine Studie von Mattern et al. aus dem Jahr 2016, dass in diesem Jahr Kinder aus Familien mit höherem Einkommen (min. $80.000) mit 26,6 Punkten um 4,1 Punkte besser abschnitten als jene aus einkommensschwacheren Familien (unter $80.000) mit 19,5 Punkten bei einer Höchstpunktzahl von 36.

[...]

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Zusammenhänge wohlfahrtsstaatlicher Strukturen und Mechanismen des US-amerikanischen Liberalismus mit der Reproduktion von Bildungsungleichheit
Untertitel
Eine Untersuchung von Unterschieden zwischen Einkommensklassen nach Collegezulassung und –abschluss im US-Liberalismus
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Sozialwissenschaftliches Institut)
Veranstaltung
Klassische Studien der Politischen Soziologie und des Wohlfahrtsstaates
Note
1,7
Autor
Jahr
2020
Seiten
23
Katalognummer
V911509
ISBN (eBook)
9783346228123
ISBN (Buch)
9783346228130
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wohlfahrtsstaat, Liberalismus, Reproduktion, USA, postsekundäre Bildung, Esping-Andersen, Bourdieu, College, Ivy-League, Bildungsungleichheit, Dekommodifizierung, Stratifizierung, Demokratie, Student Loan, Student Debt, Schichten
Arbeit zitieren
Ennio Brandt (Autor:in), 2020, Zusammenhänge wohlfahrtsstaatlicher Strukturen und Mechanismen des US-amerikanischen Liberalismus mit der Reproduktion von Bildungsungleichheit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/911509

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