Märchenanalyse - Vergleich zwischen dem dänischen Volksmärchen "Gaaden" aus der Sammlung E.T. Kristensen und dem Kunstmärchen "Reisekammeraten" von H.C. Andersen


Hausarbeit, 2007

32 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einführung

2. Die Beispielmärchen
2.1 „Gaaden“
2.2. „Reisekammeraten“

3. Einblick in die Märchenforschung
3.1 Vladimir Propp „Morphologie des Märchens“
3.2 Algirdas Greimas „Sémantique Structurale“
3.3 Bengt Holbek „ Interpretation of Fairy Tales“

4. Interpretierender Vergleich
4.1 Handlungsstruktur
4.2 Handelnde Figuren
4.2.1 Der Held (Subjekt)
4.2.2 Der Helfer (Adjutant)
4.2.3 Gegner (Opponenten)
4.2.4 Der König (Sender)
4.2.5 Die Prinzessin (Objekt)
4.3 Universum
4.3.1 Zu Hause (Zivilisation)
4.3.2 Draußen (Natur)
4.3.3 Neues Zu Hause (Zivilisation)

5. Schlusswort

6. Quellen

1. Einführung

Im Zuge meines Studiums der Volksmärchen stieß ich auf die Tatsache, dass Hans Christian Andersen seine „Karriere“ quasi mit dem Nacherzählen eben jener begann. Für mich war das ein Novum, da ich immer davon ausging, er hätte die Handlung seiner Märchen von Anfang an selbst erdacht.

Mein nächster Schritt war also, ein ursprüngliches Volksmärchen zu finden, dass Andersen merklich verändert hat. Denn während NEUHAUS konstatiert, dass Andersen die Traditionen, die er bereits vorfand, variierte, „ohne ihnen (...) etwas substanziell Neues hinzuzufügen“ [Neuhaus. Märchen, S.195][1], ging ich sehr wohl davon aus, dass er gravierendere Einschnitte vornahm, als die bloße Variation.

Die Wahl fiel schließlich auf „Gaaden“ aus der Sammlung „Æventyr fra Jylland“ von Evald Tang Kristensen und „Reisekammeraten“ aus Andersens „Eventyr, fortalde for Børn“.

Es wäre nicht verwunderlich, wenn es unter den Volksmärchen noch weitere Ver-sionen von Gaaden geben würde. So habe ich unter anderem eine Übersetzung aus der Sammlung Kristensens namens „Der Reisekamerad“ [Bødker. Dänische Volksmärchen (1994)] gefunden, die dem Märchen von Andersen sehr ähnlich ist. Meine Wahl traf jedoch bewusst Gaaden, da es meiner Meinung nach am besten den rauen ungeschliffenen Charakter eines Volksmärchens wiedergibt und so die anfangs erwähnten Einschnitte besser verdeutlicht.

Nach der ersten Rezeption von Gaaden und Reisekammeraten ist mir aufge-fallen, dass beide Märchen ein religiöses Grundmotiv verwenden, das bereits vor unserer Zeitrechnung bekannt war. Die Geschichte des dankbaren Toten, der dem Helden wie ein Schatten folgt und ihm zur Seite steht, findet man zum Beispiel auch im Buch Tobit des Alten Testaments [Dal. Kommentar (Bd.VII), S.34], das bereits um 200 vor Christus verfasst wurde.

Als Tobit den Tod erwartet, ermahnt er seinen Sohn Tobias, Gott in den Menschen zu dienen und vor allem großzügig zu helfen, wo er kann: „Hast du viel, so gib reichlich von dem, was du besitzt; hast Du wenig, dann zögere nicht, auch mit dem Wenigen Gutes zu tun. (...) Wer aus Barmherzigkeit hilft, der bringt dem Höchsten eine Gabe dar, die ihm gefällt.“ [Wikipedia. Buch Tobit ] Der große Engel Raphael begleitet Tobias dabei in Menschengestalt während der Reise nach Medien[2].

Ob das religiöse Grundmotiv automatisch die Lobpreisung des christlichen Glaubens im Märchen impliziert, werde ich allerdings erst im Schlusswort beantworten. Im Vordergrund meiner Analyse steht vorerst der syntagmatische und paradigmatische Vergleich beider Märchen.

Um eine gemeinsame Arbeitsgrundlage zu schaffen, füge ich im folgenden Kapitel eine übersetzte Kurzfassung beider Märchen ein. Für das bessere Verständnis der Analyse ist es jedoch empfehlenswert, die Originaltexte, die sich als Kopie im Anhang befinden, zu lesen.

2. Die Beispielmärchen

2.1 „Gaaden“

Das Märchen „Gaaden“ (dt.: „Das Rätsel“) befindet sich in der 5. Ausgabe der Sammlung „Æventyr fra Jylland“ von Evald Tang Kristensen.

Kristensen (1843-1929) stammt aus einem westjütländischen Bauerngeschlecht.

Im Juli 1867 begann er, alte Märchen zu sammeln und aufzuschreiben, indem er in den Abendstunden von Haus zu Haus wanderte und den Männern und Frauen dort zuhörte [Bridea. Dansk Biografisk Lexikon, S.502]. So gibt er im Vorwort der 5. Ausgabe Æventyr als Quelle für „Gaaden“Kristine Marie Væver aus Filsø und Povl Revskov aus Tvis an. [Kristensen. Æventyr fra Jylland, S.VI]

Bis zu seinem Tod veröffentlichte Kristensen 26 große Bände „Folkeminder“, eini-ge kleinere lokalhistorische Schriften und zahllose Beiträge in Kalenderblättern. [B.502]

Da die Aufzeichnung, bzw. Veröffentlichung von Gaaden aus dem Jahre 1881 stammt, werden viele Worte aus dem Altdänischen benutzt, was die Übersetzung er-schwerte. Um trotzdem adäquate deutsche Entsprechungen zu finden, habe ich das „Neue vollständige Wörterbuch der dänisch-norwegischen und deutschen Sprache“ von Dr. Svenn Henrik Helms aus dem Jahre 1895 genutzt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der Jüngste von zwei Söhnen will sein Glück in der Welt versuchen. Er bekommt vom Vater 10 Taler Reisegeld, ein Pferd und den guten Rat, niemals in ein Wirtshaus hinein und an keiner Kirche vorbei zu gehen. Auch wenn er selbst in Not ist, soll er anderen helfen.

Als er an einem Sonntag an einer Kirche vorbei kommt, sieht er viele streitende Menschen, die einen toten Mann nicht begraben wollen, weil er ihnen Geld schuldet. Der Bauernsohn gibt ihnen sein Reisegeld und der Mann wird begraben.

Er reitet weiter und trifft nach einer Weile auf einen großen Burschen[3], der ihn fortan begleitet. Ihr erstes Nachtquartier beziehen die beiden in der Gästekammer eines Wirtshauses im Wald. Auf Rat des Kameraden hin legen sie sich jedoch nicht in die Gästebetten, sondern in die der Söhne der Wirtin. Gegen Mitternacht erscheint diese mit einer Axt und schlägt die Köpfe ihrer Söhne ab, die sie ja für die Fremdlinge hält. Der Kamerad fragt nun: „Ging es nicht wie im Spiel, dass wir frei gekommen sind?“. Der Bauernsohn ist jedoch entmutigt und traurig, dass die Söhne ihr Leben verloren haben.

Mit Hilfe des Kameraden flieht er reitend vor der Wirtin, die ihm nachläuft und vergifteten Wein aus einem Horn auf das Pferd schüttet, worauf es umfällt und stirbt. Der Kamerad hält alles wiederum für ein Spiel, während der Junge um sein Pferd trauert.

„So ist es besser. Nun sind wir beide zu Fuß.“ Er schneidet dem Pferd den Bauch auf, so dass die Innereien heraus quellen, worauf hin 12 Krähen erscheinen, den Kadaver fressen und sterben. Sie nehmen die Krähen mit und setzen sie am nächsten Abend 12 Räubern als Malzeit vor. Diese sterben am vergifteten Fleisch, worauf der Kamerad wieder fragt: „Ging es nicht wie im Spiel?“ Der Bauernsohn erwidert jedoch, dass er die toten Körper jämmerlich findet und bereits bereut, den Kameraden mitgenommen zu haben.

Am nächsten Morgen finden sie in der Räuberhöhle Kleider, Geld und Nahrungs-mittel. Sie schließen einen Pakt, dass, sollten sie sich trennen, sie alles gleich untereinander aufteilen würden. Auf Rat des Kameraden hin, nehmen sie nur die Nahrungsmittel mit und reisen weiter.

Am Abend erreichen sie ein Tal mit einer alten Kirche. Weil der Bauernsohn abergläubig ist und keine Kirche im Dunkeln betreten will, sagt der Kamerad zu ihm: „Du sollst vor nichts Angst haben!“. Sie schlagen also ihr Nachtquartier in der Kirche auf und der Kamerad entfacht ein Feuer aus dem Altar und den Psalmbüchern, was der Junge für eine Sünde hält. Als sie am nächsten Morgen erwachen, befindet sich ein riesiges Meer vor der Kirchentür. Der Kamerad bricht das Dach (wörtl.: den Himmel) über der Kanzel ab und die beiden segeln damit übers Meer zu einer Kaufmannsstadt.

An der Pforte dieser Stadt ist zu lesen: „Kommst du herein, so wird dir schlimmes widerfahren, gehst du jedoch weiter, so wird dir noch schlimmeres widerfahren.“ Auf Rat des Kameraden hin, gehen sie hinein und geben sich als Kaufmann und Diener aus. Als sie nach einem Tag wieder abreisen wollen, hält sie der König auf und meint, niemand könne aus dieser Stadt verschwinden, ohne um die Hand seiner Tochter angehalten zu haben „und so ist es Sitte hier, allen Bewerbern eine Frage zu stellen und können sie diese nicht beantworten, so ist es aus mit deren Leben.“

Der Kamerad beantwortet diese Frage wohl richtig für seinen Herren; der König ist jedoch nicht zufrieden (die Prüfung war zu einfach) und nun sollen die beiden der Prinzessin eine Aufgabe stellen, die sie in 7 Tagen lösen soll. Kann sie die Aufgabe nicht enträtseln, wird Hochzeit gehalten.

Wieder spricht der Kamerad für seinen Herren: „Das Horn tötete das Pferd, das Pferd tötete 12 Krähen, 12 Krähen töteten 12 Waldräuber, dadurch wurden zwei Unschul-dige gerettet; sie bereiteten ihre Malzeit neben Gottes Wort, brachen den Himmel ab und segelten damit übers Wasser.“

Als die letzte Nacht vor dem Tage der Auflösung hereinbricht, schickt die Prinzessin in ihrer Verzweiflung eine ihrer Zofen zum Kameraden, um des Rätsels Lösung heraus zu finden. Dieser nötigt die Zofe jedoch, ihr Hemd unter den Kopf seines Herren zu legen, damit sie die Lösung erfährt. Trotz dass sie auf den Handel eingeht, gibt der Kamerad ihr nur das eigentliche Rätsel mit auf den Weg. Das selbe widerfährt der zweiten Zofe, woraufhin sich die Prinzessin selbst zum Kameraden begibt. Sie soll ebenfalls ihr Hemd da lassen und bekommt auch nur das Rätsel selbst zu hören.

Da die Prinzessin die Aufgabe am nächsten Morgen nicht lösen kann, stellt der Kamerad nun dem König ein Rätsel: „Als ich im Bett lag am Abend,

kam eine Hindin

zu mir in die Kammer hinein;

ich schadete ihr

und mein Herr schindete sie.

Als ich ein Weilchen länger da lag,

kam eine noch schmuckere Hindin

zu mir in die Kammer hinein;

ich schadete ihr

und mein Herr schindete sie.

Also lag ich noch ein Weilchen, und da

kam die aller schönste Hindin

zu mir in die Kammer hinein;

ich schadete ihr

und mein Herr schindete sie

und wenn ihr mir nicht glauben wollt, so seht hier die Beweise.“ Wobei er die drei Hemden vorzeigt, die unter dem Kopf seines Herren lagen. Der König erkennt sofort das Hemd seiner Tochter. Zornig erwidert er, dass seine Tochter nicht besser sei als die beiden Kameraden und sie deswegen nun Hochzeit halten können.

Nach einigen Jahren, in denen der neue Prinz und die Prinzessin fünf Kinder bekommen, bittet der Kamerad ihn eines Sonntags, seine Frau und ihre Zofen in die Kirche zu schicken, weil er mit ihm sprechen will. Er erinnert ihn an den Pakt und will nun seine Hälfte von allem haben – auch von den Kindern.

Da es fünf Kinder sind, schneidet er eins in der Mitte durch, woraufhin der Prinz sehr zornig wird. Mit einer Salbe fügt der Kamerad das Kind nun wieder zusammen und nun ist der Prinz sehr froh und erleichtert.

Der Kamerad erklärt ihm: „Genauso zornig, genauso ängstlich war die Seele des Mannes, der nicht begraben werden konnte. Durch deine Hilfe fand seine Seele Ruhe und Frieden. Ich bin einer der helfenden Engel unseres Herrgottes. Er hat mich hier herunter geschickt, um dir durch die Welt zu helfen, für das Gute, das du dem Mann getan hast und weil du deines Vaters Ermahnung so gut befolgtest.“ Woraufhin sich die beiden trennen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.2. „Reisekammeraten“

„Reisekammeraten“ erschien zum ersten Mal 1835 in Andersens „Eventyr, fortal-de for Børn“. Eine frühere Version des Märchens veröffentlichte Andersen bereits 1830 mit dem Titel „Dødningen“ in der Sammlung „Digte“, welches er als Nacherzählung aus Kindheitserinnerungen betitelt. [D.VII 33] Beide Versionen unterscheiden sich natürlich in Erzählweise und -stil; diese Untersuchung war jedoch nicht meine Aufgabe.

Den Text habe ich aus der kritischen Ausgabe „H. C. Andersens Eventyr“ (Bd.I) von Erik Dal entnommen. Für die Übersetzung und das bessere Verständnis des Textes habe ich die deutsche Übersetzung des Märchens aus dem Band „H. Chr. Andersen – Sämtliche Märchen und Geschichten“, herausgegeben von Leopold Magon, zu Rate gezogen.

[...]


[1] Die Quellenangaben sind im laufenden Text eingebunden, gekennzeichnet durch eine eckige Klam- mer. Taucht die Quelle ein erstes Mal auf, ist sie mit [Autor. Titel, Seite] angegeben, alle weiteren Male nur noch mit dem Anfangsbuchstaben des Autoren und der Seitenzahl. Ein ausführliches Quellenverzeichnis befindet sich auf Seite ...

[2] Landschaft im nordwestlichen Iran

[3] Anm. von Kristensen: Stumlingsdreng – en større halvvoxen Knøs

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Details

Titel
Märchenanalyse - Vergleich zwischen dem dänischen Volksmärchen "Gaaden" aus der Sammlung E.T. Kristensen und dem Kunstmärchen "Reisekammeraten" von H.C. Andersen
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald  (Nordisches Institut, Greifswald)
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
32
Katalognummer
V91165
ISBN (eBook)
9783638045810
ISBN (Buch)
9783638940450
Dateigröße
687 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
"Gut in der Anlage, viele gute Beobachtungen und Interpretationsvorschläge." (Prof. Dr. W. Baumgartner)
Schlagworte
Märchenanalyse, Vergleich, Volksmärchen, Gaaden, Sammlung, Kristensen, Kunstmärchen, Reisekammeraten, Andersen
Arbeit zitieren
Stefanie Binder (Autor:in), 2007, Märchenanalyse - Vergleich zwischen dem dänischen Volksmärchen "Gaaden" aus der Sammlung E.T. Kristensen und dem Kunstmärchen "Reisekammeraten" von H.C. Andersen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91165

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