Die Stabilisierung des faschistischen Regimes in Italien durch die Lateranverträge von 1929


Seminararbeit, 2019

16 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Interessenüberschneidungen

3 Die Jahre der Annaherung

4. Die Lateranvertrage
4.1 Inhalt des Vertragswerks
4.2 Zugestandnisse des Vatikans gegenüber dem Regime
4.3 Mussolini als Held der FriedensschlieBung

5 Fazit

6 Literatur- & Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Mit der Beseitigung des Kirchenstaates und der Entstehung des italienischen geeinten Königreiches wurde gemeinsam von Parlament und König die Trennung von Kirche und Staat in allen Lebensbereichen vorangetrieben. Laizistische Schul- und Hochschulgesetze wurden verabschiedet, welche unter anderem die Abschaffung theologischer Fakultaten sowie die Ersetzung des Religionsunterrichts durch ein Schulfach namens „Pflichten des Menschen und Bürgers“ vorsahen.1 Somit erfuhr die katholische Kirche eine zunehmende Rückdrangung aus dem öffentlichen Raum und eine Reduzierung auf geistliche und seelsorgerische Aufgaben. Hinzu kam, dass der Papst sich weigerte, das neu entstandene Königreich Italien samt seiner Hauptstadt Rom und seines Oberhauptes, dem König, anzuerkennen. Somit waren diplomatische Beziehungen zwischen den beiden Parteien lange Zeit ein Ding der Unmöglichkeit und die Bewohner des Vatikans fanden sich in einer Situation der mehr als eingeschrankten Bewegungsfreiheit wieder. Die Notwendigkeit zur Klarung der Römischen Frage, die sich um das Problem des vatikanischen Territoriums auf römischem Gebiet drehte, sowie der enorme Einfluss- und Machtverlust auBerhalb der Kirchenmauern, den die Katholische Kirche seit der Entstehung des geeinten Königreiches hinnehmen musste, lasst nachvollziehen, weshalb Vertreter des Vatikans sich bereitwillig mit Mussolini und weiteren Mitgliedern der PNF an einen Verhandlungstisch setzten, als dieser ihnen seine groBzügigen Angebote zum Ziele einer gelingenden Zusammenarbeit unterbreitete. In einem Dokument vom September 1923, im Jahre nach dem Marsch auf Rom sowie der Amtsbesetzung Pius' XI, in welchem der Papst das „Programm der Zusammenarbeit der Katholiken mit der Regierung Mussolini“ formulierte, bemerkte er, dass selbst auBerst faschismuskritische Kleriker „zugeben [mussten], dass keine italienische Regierung und vielleicht keine auf der ganzen Welt in einem einzigen Jahr so viel für die katholische Regierung hatte tun können.“2 Schaut man sich das dreiteilige Dokument der Lateranvertrage an, das am 11. Februar 1929 unterschrieben und mitunter als Gipfelung der „Annaherung zwischen der katholischen Kirche und dem faschistischen Staat“3 bezeichnet wurde, liest es sich auf den ersten Blick wie eine lange Kette von Zugestandnissen vonseiten des faschistischen Regimes gegenüber dem Vatikan und der katholischen Kirche und wurde von so manchem dahingehend als „klagliche Kapitulation [Mussolinis] vor dem Vatikan“ bezeichnet.4 Im Vergleich zu den offensichtlichen finanziellen sowie territorialen und infrastrukturellen Vorteilen, die sich für Vatikan und Kirche aus diesen Verhandlungen ergaben, erscheint die Ausbeute für das faschistische Regime unter Mussolini als relativ gering. In der Forschung besteht jedoch gröBtenteils Einigkeit darüber, dass die Versöhnung mit dem Vatikan für Mussolini von herausragender Bedeutung war, um einen echten Konsens im so stark von der katholischen Religion gepragten Italien erreichen zu können.5 Über den groBen Nutzen dieser Allianz für das faschistische Regime machte sich selbst der Papst keine Illusionen. So sagte er 2 Jahre nach Vertragsabschluss im Jahre 1931: „Wir werden Uns immerfort dankbar an das erinnern, was zum Nutzen der Religion in Italien geschehen ist, selbst wenn die Wohltaten, die daraus der Partei und dem Regime erwuchsen, nicht geringer, ja vielleicht noch gröBer gewesen sind“.6 Aus dieser Perspektive erscheint die überraschend groBe Kompromissbereitschaft Mussolinis gegenüber dem Heiligen Stuhl in einem anderen Licht. Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, die enorme Wichtigkeit und den zunachst nicht offensichtlichen Nutzen der Lateranvertrage für Mussolini zur Starkung des faschistischen Regimes herauszuarbeiten. Dafür wird zunachst die Beziehung Mussolinis und des Papstes Pius XI seit dem Amtsantritt der beiden im Jahre 1922 bis zum Vertragsabschluss 1929 einer Analyse unterzogen, um das AusmaB der Zuwendungen des Faschismus gegenüber dem Vatikan zu verdeutlichen und somit die Frage nach dem Nutzen dieser Allianz für das faschistische Regime zuzuspitzen. Danach wird mit der Untersuchung einiger Artikel des Vertragswerks sowie der Auseinandersetzung mit einschlagiger Sekundarliteratur ein Antwortversuch auf die Frage nach dem Nutzen der Allianz für Mussolinis Regime gewagt.

2. Interessenüberschneidungen

Eine erfolgreiche Zusammenarbeit von Regime und Kirche, ein beiderseitiges Interesse an dieser Zusammenarbeit aufgrund der Aussicht auf Gewinne für beide Seiten, setzt zunachst die Überschneidung von Interessen oder zumindest einen Minimalkonsens voraus, auf welchen sich beide Parteien einigen konnten. Dieser Gedanke mag zunachst überraschen, war doch Mussolini als Gründer der faschistischen Bewegung Zeit seines Lebens ein entschiedener Kleriker- und Kirchengegner, auch dann noch, als er seiner sozialistischen Vergangenheit schon lange den Rücken gekehrt hatte. Somit lehnte er noch in seiner Rede anlasslich des ersten Treffens der faschistischen Bewegung im Marz 1919 die Kirche als Teil des Establishments entschieden ab und forderte unter anderem das Einstellen staatlicher Zuschüsse für deren Einrichtungen.7 Kurze Zeit spater jedoch, spatestens seit dem sogenannten Marsch auf Rom und der darauffolgenden Ernennung Mussolinis zum Regierungschef im Jahre 1922, muss er erkannt haben, dass für die erfolgreiche Machtsicherung des faschistischen Regimes in Italien die Zusammenarbeit und Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche in diesem stark katholisch gepragten Land unumganglich war.

Des Weiteren teilten die PNF und die katholische Kirche mitunter ahnliche Ziele und Werte. Somit schien das Anstreben der Befriedung der Beziehungen zwischen Vatikan und italienischer Regierung zugunsten einer machtigen Allianz der beiden von taktischem Nutzen zu sein. Mussolini und Pius' XI. Vorstellungen vom organischen Gesellschaftsaufbau und einer damit verbundenen Herrschaftsform wiesen gewisse Ahnlichkeiten auf. So bemerkte Pius XI.: „Ich sehe im Komplex der faschistischen Doktrinen, die auf die Durchsetzung des Ordnungs-, Autoritats-, und Gehorsamsprinzips zielen, nichts, was den katholischen Anschauungen widerspricht.“8 Sowohl dem noch jungen Faschismus als auch der traditionsreichen katholischen Kirche lagen also die Ordnungsmuster von Hierarchie und Autoritat zugrunde. Diese widersprachen drastisch den Prinzipien der Französischen Revolution von Gleichheit, Volkssouveranitat und dem Rationalismus der Aufklarung.9 Aus diesen genuinen Ausrichtungen ergaben sich quasi automatisch eine ganze Reihe gemeinsamer Feinde. Für die katholische Religion war der Faschismus mit seinen Elementen einer nichttranszendentalen „Religion“ eine weitaus geringere Gefahrdung als Sozialisten, Anarchisten und Liberale.10 Der im liberalen italienischen Königreich unter diesen Gruppierungen verbreitete Atheismus und Antiklerikalismus stellte für die Katholische Kirche des frühen 20. Jahrhunderts die vorrangige Gefahr dar.11 Auch dem autoritar regierenden faschistischen Regime waren diese antiautoritaren Krafte ein Dorn im Auge. Gleichzeitig hatte das Feindbild des Sozialismus aber auch entscheidend zum Erfolg des faschistischen Regimes beigetragen. Mussolini hatte sich und seine Partei in den Jahren vor der Machtergreifung erfolgreich als einzig möglichen Retter vor der drohenden Gefahr des Sozialismus stilisiert und diesen gemeinsamen Feind von Katholischer Kirche und Faschistischem Regime für das Gelingen der eigenen Mission instrumentalisiert Ein „entschieden pessimistisches Menschenbild“12 schreibt Giovanni Miccoli dem Katholizismus als ein für dessen kulturelles und politisches Denken essenzielles Grundkriterium zu. Miccoli leitet damit aus der von den glaubigen Katholiken geforderten Unterwürfigkeit und Demut ihrem Gott und dem Klerus gegenüber die Annahme innerhalb dieser Religionsgemeinschaft ab, dass nichts Gutes vom Menschen allein ausgehen könne ohne „jene höhere Macht [...], die ihn stützt und lenkt.“13 Im Angesicht des ausgepragten Führerkults der Faschisten, der Forderung nach uneingeschranktem Gehorsam und Demut, welche dem Individuum jegliche Eigeninitiative und Selbstwirksamkeit abspricht, sowie einer angestrebten anthropologischen Revolution, die einen „Neuen Menschen“ hervorbringen sollte, kann auch hier von einem deutlich negativen Menschenbild gesprochen und somit eine Parallele zum Katholizismus gezogen werden.

3. Die Jahre der Annaherung

Die erwahnten Ahnlichkeiten oder Gemeinsamkeiten, die Regime und Kirche gewissermaBen und vor allem im Kampf gegen gemeinsame Feinde einten, reichen jedoch nicht aus, um den erfolgreichen Vertragsschluss von 1929 hinreichend zu erklaren. Entscheidend waren vielmehr vor allem die deutlichen Zeichen der Anerkennung und die Signalisierung der Bereitschaft zu einer „Tendenzwende“14 vonseiten der Faschisten direkt nach der Machtübernahme, welche zunachst zögerlich, dann immer hoffnungs- und vertrauensvoller vom Vatikan entgegengenommen und schlieBlich auch erwidert wurden.

So bestand Mussolinis erste Amtshandlung als neuer Regierungschef in der Anordnung, mit dem ganzen Kabinett zum gemeinsamen Gebet am Grabmal des Unbekannten Soldaten in Rom niederzuknien, was nicht nur allein den ausgepragten Martyrerkult des Regimes zum Ausdruck bringt, sondern eben auch ein ganz bestimmtes Signal in Richtung Vatikan sandte mit der Botschaft, dass das neue Regime sich dafür engagieren würde, der Kirche den Rückgewinn alter Vorrechte und ihres Platzes in der Gesellschaft zu ermöglichen.15

Dies wurde abermals an der Reaktion Mussolinis auf die erste Enzyklika des neuen Papstes, Ubi arcano vom Dezember 1922 deutlich. Darin beklagte Pius XI. unter anderem die in seinen Augen schwindende Sittsamkeit in der Gesellschaft sowie als Ausdruck dieser um sich greifenden Gottlosigkeit die Versuche, Kruzifixe aus öffentlichen Gebauden wie Schulen und Regierungsgebauden zu entfernen.16 In der ersten Sitzung des Faschistischen GroBrats am Ende desselben Monats wurden MaBnahmen zur Behebung dieser von Pius XI. angesprochenen Missstande beschlossen. So befahl Mussolini unter anderem, in allen Klassenzimmern sowie Gerichtssalen und Krankenhausern des gesamten Landes Kruzifixe aufzuhangen. Die Beleidigung eines Priesters oder die verbale Abwertung der katholischen Religion im Allgemeinen wurde zur Straftat erklart.17 Etliche weitere MaBnahmen vonseiten der Faschisten signalisierten die Bereitschaft, den Vatikan in seiner Mission der Rechristianisierung der italienischen Gesellschaft zu unterstützen.

Als Sinnbild dieser langsam aber sicher entstehenden Allianz erscheint der Jesuit Pietro Tacchi Venturi. Dieser wurde von Mussolini und Kardinalstaatssekretar Pietro Gasparri, der den Heiligen Stuhl in den Verhandlungen mit den Faschisten vertrat, einvernehmlich als geheimer Zwischentrager ausgewahlt, um so sensible Informationen zwischen den beiden Parteien zu überbringen.18 Diese Form der Geheimhaltung war notwendig, da der Heilige Stuhl das Königreich Italien nach wie vor nicht anerkannt hatte und somit keine offiziellen diplomatischen Verhandlungen möglich waren. Tatsachlich fanden geheime Verhandlungen und Besprechungen der beiden Parteien jedoch bereits seit Mussolinis Regierungsantritt statt. Inhaltlich ging es vor allem um die Frage, ob die Kirche sich auf die Zusicherungen Mussolinis, was die Wiederherstellung ihrer alten Privilegien, bevor das geeinte neue Königreich diese zerschlagen hatte, betraf, verlassen konnte. Mussolini arbeitete mit Geduld und groBem Einsatz an einem Vertrauensverhaltnis zwischen den beiden Parteien.

[...]


1 Plé, Bernhard: Das Verhaltnis von Politik und Religion in Italien. Religionspolitik im Vereinten Königreich, Faschismus und in der Republik bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts, in: Manfred Brocker/ Mathias Hildebrandt (Hgg.): Politik und Religion in der Europaischen Union. Zwischen nationalen Traditionen und Europaisierung, Wiesbaden 2006, S. 183.

2 Kertzer, David I.: Der erste Stellvertreter. Pius XI und der geheime Pakt mit dem Faschismus, Darmstadt 2016, S. 83.

3 Schlemmer, Thomas und Woller, Hans: Der italienische Faschismus und die Juden 1922 bis 1945, in: VfZ 2(2005), S. 173.

4 Deschner, Karlheinz: Mit Gott und den Faschisten. Der Vatikan im Bunde mit Mussolini, Franco, Hitler und Pavelic, Stuttgart 1965, S. 24.

5 Woller, Hans: Mussolini. Der erste Faschist. Eine Biografie, München 2016, S. 116.

6 Deschner: Gott und Faschisten, S. 15.

7 Kertzer: Der erste Stellvertreter, S. 45.

8 Miccoli, Giovanni: Das Katholische Italien und der Faschismus, in: QFIAB 78 (1998), S. 556.

9 Ebd., S. 550.

10 Klinkhammer, Lutz: Mussolinis Italien zwischen Staat, Kirche und Religion, in: Klaus Hildebrand (Hg.): Zwischen Politik und Religion. Studien zur Entstehung, Existenz und Wirkung des Totalitarismus, Berlin 2003, S. 88.

11 Klinkhammer: Mussolinis Italien, S. 88.

12 Miccoli: Katholisches Italien und Faschismus, S. 544.

13 Ebd.

14 Ebd., S. 551.

15 Kertzer: Der erste Stellvertreter, S. 54.

16 Ebd., S. 68.

17 Ebd., S. 69.

18 Ebd., S. 72.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Die Stabilisierung des faschistischen Regimes in Italien durch die Lateranverträge von 1929
Hochschule
Universität Konstanz
Veranstaltung
Proseminar Italienischer Faschismus
Note
1,3
Autor
Jahr
2019
Seiten
16
Katalognummer
V911767
ISBN (eBook)
9783346231048
ISBN (Buch)
9783346231055
Sprache
Deutsch
Schlagworte
stabilisierung, regimes, italien, lateranverträge
Arbeit zitieren
Clara Felicitas Schwarz (Autor:in), 2019, Die Stabilisierung des faschistischen Regimes in Italien durch die Lateranverträge von 1929, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/911767

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die Stabilisierung des faschistischen Regimes in Italien durch die Lateranverträge von 1929



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden