Textüberarbeitungsleistung. Analoge und digitale Lernergruppen im Vergleich

Digitales Schreiben im Deutschunterricht


Bachelorarbeit, 2020

95 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung

I. Theoretischer Teil

2. Digitalisierung in Schulen

3. Schreiben: Ein motorisch und kognitiv anspruchsvoller Prozess
3.1 Motorik
3.2 Kognition
3.3 Normiertes Schreiben am Beispiel der Erzählung
3.4 Digitales vs. analoges Schreiben

4. Subprozess Überarbeiten
4.1 Schreiben als Prozess: Subprozess Überarbeiten
4.2 Überarbeitungsmethode

II Empirischer Teil

5. Empirische Untersuchung
5.1 Genese des Projekts
5.2 Darstellung des Untersuchungsvorhabens
5.3 Begründung der Auswahl
5.4 Ablauf

6. Daten
6.1 Testgruppe 1 (analog)
6.1.1 Fehleranalyse (Version 1 und Version 3) - analog
6.1.2 Analyse der Anmerkungen (Version 2 und Version 3) - analog
6.2 Testgruppe 2 (digital)
6.2.1 Fehleranalyse (Version 1 und Version 3) - digital
6.2.2 Analyse der Anmerkungen (Version 2 und Version 3) - digital
6.3 Zusammenschau
6.4 Konsequenzen

III. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Anhang
Anhang A: Medienkompetenzrahmen NRW
Anhang B: Mündlichkeit und Schriftlichkeit
Anhang C: Unterrichtsreihe analog
Anhang D: Unterrichtsreihe digital
Anhang E: Bildergeschichte
Anhang F: Überarbeitungsmerkmale
Anhang G: Aufgabenblatt 1 (analog: 1. Stunde; digital: 2. Stunde)
Anhang H: Aufgabenblatt 2 (analog: 1. Stunde; digital: 2. Stunde)
Anhang I: Tipps zur Erarbeitung der Merkmale (analog: 1. Stunde; digital: 2. Stunde)
Anhang J: Planung der Bildergeschichte (analog: 2. Stunde; digital: 3. Stunde)
Anhang K: Tafelbild nach der Erarbeitung der Merkmale
Anhang L: Tafelbild als Hilfe beim Überarbeiten
Anhang M: Beispielhafte Ausschnitte aus den Bildergeschichten der Schülerinnen und Schüler in der digitalen Klasse (Version 1)
Anhang N: Beispielhafte Ausschnitte aus den Bildergeschichten der Schülerinnen und Schüler in der digitalen Klasse (Version 2)
Anhang O: Beispielhafte Bildergeschichten der Schülerinnen und Schüler in der digitalen Klasse (Version 3)
Anhang P: Beispielhafte Bildergeschichten der Schülerinnen und Schüler in der analogen Klasse (Version 1)
Anhang Q: Beispielhafte Bildergeschichten der Schülerinnen und Schüler in der analogen Klasse (Version 2)
Anhang R: Beispielhafte Bildergeschichten der Schülerinnen und Schüler in der analogen Klasse (Version 3)

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Gliederung der Handmotorik (Rosenkötter 2013: 61)

Abbildung 2: Schreibprozessmodell von Hayes & Flower: 1980 (Fix 2008: 37)

Abbildung 3: Schreibmodell von Hayes: 1996 (Boland 2011: 26)

Abbildung 4: Textproduktionsmodell von Ludwig (Merz-Grötsch 2019: 55)

Abbildung 5: Fehleranalyse analog Version 1

Abbildung 6: Fehleranalyse analog Version 3

Abbildung 7: Entwicklung der Fehlerarten in der analogen Klasse

Abbildung 8: Fehleranalyse digital Version 1.

Abbildung 9: Fehleranalyse digital Version 3.

Abbildung 10: Entwicklung der Fehlerarten in der digitalen Klasse

Abbildung 11: Entwicklung der Fehlerarten im Vergleich

Abbildung 12: Anteile der Anmerkungen in den analogen Texten

Abbildung 13: Anteile der Anmerkungen in den digitalen Texten

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Mündlichkeit und Schriftlichkeit: Pragmatische Bedingungen (vgl. Fix 2008: 65 f.) 19 Tabelle 2: Absolute Anzahl der Anmerkungen (analog)

Tabelle 3: Prozentuale Anzahl der Anmerkungen (analog)

Tabelle 4: Absolute Anzahl der Anmerkungen (digital)

Tabelle 5: Prozentuale Anzahl der Anmerkungen (digital) „Smartness is really about making sure that digital tech helps us to deliver better.” (Sikkut 2017: 1:04 - 1:09)

1. Einleitung

Sikkut, stellvertretender Generalsekretär für IT und Telekommunikation in Estland, verdeut­licht mit dem vorangestellten Ausschnitt aus einem Interview zum Thema Bildung im Hin­blick auf die Digitalisierung, dass die digitalen Medien uns helfen bessere Ergebnisse zu er­zielen. Ob dies auch beim Schreiben und Überarbeiten von Texten in der Grundschule gilt, soll in der durchgeführten Untersuchung dieser Bachelorarbeit herausgefunden werden.

Die neuen digitalen Medien werden spätestens seit Mai 2019 durch den DigitalPakt vermehrt in den Schulen eingesetzt. Damit geht dementsprechend eine sprachdidaktische Forschung einher. Bei den jüngsten Phänomenen der Digitalisierung sind noch viele Fragen unbeantwor­tet. Ziel dieser Untersuchung ist es, herauszufinden, ob die Schülerinnen und Schüler durch digitales Schreiben im Gegensatz zu analogem Schreiben, insbesondere durch das Überarbei­ten der Texte mit Hilfe digitaler Medien im Deutschunterricht, bessere Ergebnisse erreichen können.

Aufgrund dieses Untersuchungsvorhabens wird zu Beginn dieser Bachelorarbeit zunächst auf die Digitalisierung in Schulen eingegangen. Im Anschluss werden die motorischen Heraus­forderungen beim Schreiben ausgeführt. Um überhaupt angemessen mit der Hand schreiben zu können, bedarf es einer gut ausgebildeten Feinmotorik. Auch das Tippen auf der Tastatur erfordert gewisse motorische Fähigkeiten. Die Untersuchung wird mit Hilfe von selbstständig produzierten und verschriftlichten Erzählungen der Schülerinnen und Schüler durchgeführt, die komplexe Problemlöseprozesse erfordern. Demzufolge werden im nächsten Schritt, neben den motorischen Anforderungen, auch die kognitiven Herausforderungen beim Schreiben unter anderem anhand des Prozessmodells von Hayes und Flower näher beleuchtet. Um die vielfältigen Anforderungen beim Schreiben zu verdeutlichen, werden in diesem Kapitel die Unterschiede zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit geschildert. Da die Schülerinnen und Schüler ihre Erzählung auf der Basis erarbeiteter Merkmale verschriftlichen sollten, wird im folgenden Unterkapitel auf das normierte Schreiben am Beispiel einer Erzählung eingegan­gen. Es wird veranschaulicht, dass das Textsortenwissen ein Werkzeug für die schriftliche Kommunikation darstellt, das beim Schreiben von spezifischen Texten für die Schülerinnen und Schüler zur Unterstützung notwendig wird. Aus diesem Grund werden ebenfalls in die­sem Kapitel die Merkmale einer Erzählung dargestellt. Der Aspekt der Unterscheidung zwi­schen analogem Schreiben mit der Hand und digitalem Schreiben auf einer Tastatur bildet den nächsten Abschnitt der Arbeit. Es ist im Zusammenhang mit der Untersuchung wichtig diese Unterschiede genauer zu betrachten, da sie von den Schülerinnen und Schülern völlig unter­schiedliche Grundvoraussetzungen erfordern. Darüber hinaus gestaltet sich der Überarbei­tungsprozess von Schülerinnen und Schülern auf analogem Wege deutlich anders als in digi­taler Form. Deshalb richtet sich das Augenmerk in diesem Kapitel insbesondere auf die Diffe­renzen im Überarbeitungsprozess. Damit für alle Leserinnen und Leser der Begriff des Über­arbeitens verständlich ist, wird dieser im darauffolgenden vierten Kapitel, neben weiteren notwendigen Begriffen, definiert. Der Vergleich von analogen und digitalen Überarbeitungs­prozessen von Texten bildet den Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit. Da sich Baurmann und Ludwig in ihrem Modell, welches dem Prozessmodell von Hayes & Flower zugrunde liegt, insbesondere mit dem Überarbeiten von Texten auseinandersetzen, wird dieses als theo­retische Grundlage angeführt. Im Zuge der Untersuchung überarbeiteten die Schülerinnen und Schüler ihre Texte in Partnerarbeit. Aus diesem Grund werden im anschließenden Unterkapi­tel die kooperativen Lernformen, speziell die Partnerarbeit, genauer in den Blick genommen. Die Digitalisierung stellt die Schulen heutzutage vor große und vor allem neue Herausforde­rungen. Die Lehrkräfte sind aufgefordert, sich mit einer oft noch unbekannten Didaktik ausei­nanderzusetzen und sich dementsprechend fortzubilden. Oftmals resultieren daraus viele un­geklärte Fragen. Für die Verfasserin dieser Arbeit stellte sich die Frage, welchen effektiven Nutzen der Einsatz digitaler Medien im Schreibprozess mit sich bringt und ob es mit der Un­terstützung digitaler Medien gelingt, in diesem Fall durch den Einsatz von Tablets, bessere Textergebnisse von Schülerinnen und Schülern zu erzielen. Wie sieht der Überarbeitungspro­zess an selbst produzierten Texten insbesondere mit dem Tablet aus? Hält das analoge Schreiben und insbesondere der analoge Überarbeitungsprozess diesem Vergleich stand? Die­se Fragen sollen im Zuge der Arbeit und der damit einhergehenden empirischen Untersu­chung beantwortet werden.

Im empirischen Teil wird zunächst die Genese des Projekts sowie die Darstellung des Unter­suchungsvorhabens aufgezeigt. Die Zielsetzung dieser Untersuchung ist es, herauszufinden, ob sich digitales Schreiben auf die Rechtschreibleistung, die Grammatik, den Ausdruck der Schülerinnen und Schüler und insbesondere auf deren Überarbeitungsprozess auswirkt. Dabei bilden diese einzelnen Aspekte differenzierte Hypothesen, die im Kapitel fünf aufgestellt werden. Die begründete Auswahl der Unterrichtsmaterialien sowie der Ablauf schließen sich diesem Abschnitt an. Die Analyse der Ergebnisse wird im sechsten und somit letzten Kapitel dieser Arbeit aufgezeigt. Hier wird das digitale Schreiben bezogen auf die oben genannten ausgewählten Aspekte mit den Ergebnissen des analogen Schreibens konkret verglichen und ausgewertet. Die Konsequenzen der durchgeführten Untersuchung, die für die Unterrichtspra­xis gezogen und für bedeutsam erachtet werden, bilden den Abschluss des empirischen Teils. In der Schlussbetrachtung werden die Ergebnisse hinsichtlich der aufgestellten Hypothesen evaluiert und es wird ein Ausblick auf weitere mögliche Untersuchungen gegeben. Insgesamt zeigt sich in dieser Untersuchung, dass das digitale Schreiben durchaus einen Einfluss auf das Schreiben von Texten in der Grundschule hat und die sprachdidaktische Forschung diesen unbedingt konsequent und möglichst schnell weiterverfolgen muss.

I. Theoretischer Teil

2. Digitalisierung in Schulen

Die Digitalisierung ist mitverantwortlich für die zunehmende Veränderung des Lebens und des Arbeitens der Menschen. Dabei spielen die Schulen als Ort der Bildung eine zentrale Rol­le. Seit Dezember 2016 haben sich alle Bundesländer Deutschlands dazu verpflichtet „im Be­reich der Bildung in einer mediatisierten Welt einen Schwerpunkt ihrer Arbeit zu setzen“ (Blodau et al. 2019b). Eine entscheidende Grundlage für die Teilhabe an den Chancen des digitalen Wandels ist die Bildung. Dabei ist eine der zentralen Bildungsaufgaben die Förde­rung von Medienkompetenzen. Diese stellen eine Voraussetzung sowohl für die berufliche als auch für die persönliche Teilhabe an der digitalen Gesellschaft dar. Ziel ist ein sicherer, re­flektierter, verantwortungsvoller und kreativer Umgang mit den Anforderungen der Medien. Jedoch geht es nicht nur um die Vermittlung von Medienkompetenzen, sondern auch um die Unterstützung im fachlichen Lernen durch die Nutzung der Potenziale digitaler Medien (vgl. Blodau et al. 2019a).

Allerdings empfinden einige Lehrkräfte den Aufwand, der mit einem mediengestützten Ler­nen einhergeht, als zu hoch. Andere Lehrkräfte dagegen schätzen die neuen digitalen Medien im Unterricht und empfinden diese als eine bereichernde Hilfe (vgl. Landratsamt Sonneberg 2018: 21). Wenn Lehrkräfte den Einsatz digitaler Medien als eine Unterstützung für sich selbst und für ihre Klasse begreifen und für sie ein didaktischer Mehrwert sichtbar wird, steigt die Bereitschaft und die Motivation, digitale Medien wie Tablets oder Computer im Unter­richt zu integrieren. Ausschlaggebend dabei ist die funktionierende Integration der digitalen Medien in die eigenen Unterrichtsroutinen. Sowohl der sichtbare didaktische Mehrwert, die Integration in den eigenen Unterricht als auch eigene Kenntnisse im Umgang mit den digita­len Medien unterstützen die Einstellung und die Nutzungsabsichten der Lehrkräfte positiv. Die eigenen Kenntnisse sollen auf der einen Seite technische Aspekte und auf der anderen Seite den didaktisch sinnvollen Einsatz digitaler Medien umfassen. Der didaktisch sinnvolle Einsatz von Medien wurde in den letzten Jahren oftmals unter dem Begriff „technological pedagogical content knowledge“ thematisiert (vgl. Eickelmann/Lorenz 2014: 49). Deutsch­land liegt im internationalen Vergleich hinsichtlich der Nutzung digitaler Medien im Unter­richt nahe dem internationalen Mittelwert. Ungefähr 75% der Schülerinnen und Schüler zie­hen einen Nutzen aus dem Einsatz der digitalen Medien im Unterricht (vgl. Eickel- mann/Lorenz 2014: 55).

Handlungsbedarf wird überwiegend in den Unterstützungsstrukturen für die Lehrkraft im Be­reich der Technik als auch im Bereich der „Nutzung des Gestaltungsspielraumes von Schule und Unterricht auf der Prozessebene der Schule“ gesehen (ebd.). Darunter fällt ebenso die noch zu wenig genutzte Chance, didaktisches Wissen gemeinsam unter Lehrpersonen zu kon­struieren und den Einsatz digitaler Medien mit pädagogischen Herausforderungen und Zielen zu verknüpfen (vgl. ebd.). Ob die Einführung digitaler Medien in den Schulen nur Vorteile mit sich bringt und was in den Schulen beachtet werden muss, damit die Schülerinnen und Schüler von der Digitalisierung profitieren, gilt es in der nächsten Zeit herauszufinden. Grundlage für diese Entwicklung bildet der sogenannte Medienkompetenzrahmen für NRW, der die Schulen verpflichtet, ein schuleigenes technisch-pädagogisches Medienkonzept zu erstellen, damit die finanziellen Mittel für die notwendige Ausstattung der Schule zur Verfü­gung gestellt werden. Dieser beinhaltet sechs Kompetenzbereiche mit insgesamt 24 Teilkom­petenzen, die eine systemische Vermittlung von Medienkompetenz für die Schülerinnen und Schüler vorsehen. Die sechs Kompetenzbereiche lauten dabei:

1. Bedienen und Anwenden
2. Informieren und Recherchieren
3. Kommunizieren und Kooperieren
4. Produzieren und Präsentieren
5. Analysieren und Reflektieren
6. Problemlösen und Modellieren (vgl. Blodau et al. 2019b).

In der Untersuchung werden die Kompetenzbereiche „Bedienen und Anwenden“ sowie die Teilbereiche „Produzieren und Präsentieren“ und „Kommunizieren und Kooperieren“ ange­sprochen. An dieser Stelle kann jedoch nicht im Detail auf die berührten Teilkompetenzen des Medienkompetenzrahmens eingegangen werden, weil es den Rahmen dieser Arbeit über­schreiten würde und dies nach Erachten der Verfasserin an dieser Stelle nicht weiter zielfüh­rend wäre. Der Medienkompetenzrahmen ist im vollen Umfang dieser Arbeit im Anhang un­ter dem Punkt A beigefügt.

Da das Schreiben von eigenen Texten ein anspruchsvoller Prozess ist, werden zunächst die Grundvoraussetzungen, die dafür notwendig werden, erläutert.

3. Schreiben: Ein motorisch und kognitiv anspruchsvoller Prozess

Im Folgenden wird genauer auf die motorischen und kognitiven Anforderungen des Schrei­bens eingegangen. Darüber hinaus werden Prozessmodelle zum Schreiben erläutert und digi­tales und analoges Schreiben vergleichend dargestellt.

3.1 Motorik

Motorik bedeutet sowohl Bewegung als auch Haltung. Haltung und Bewegung werden vom zentralen und vom peripheren Nervensystem gesteuert und kontrolliert, teils be­wusst und teils unbewusst (Rosenkötter 2013: 21).

Die Handmotorik meint alle Handbewegungen: Handbewegungen, die von den Augen ge­steuert werden und Handbewegungen, die erlernt und automatisiert worden sind und ohne eine Augensteuerung ablaufen können (vgl. Rosenkötter 2013: 61).

„Unter Visuomotorik versteht man alle Bewegungen, die eine Steuerung durch die Augen und die visuelle Verarbeitung erfordern“ (ebd.). Darunter werden besonders die visuell gesteuer­ten Handbewegungen verstanden. Eine besondere Form der Visuomotorik ist die Grafomoto- rik. In der Abbildung 1 kann diese Untergliederung entnommen werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Gliederung der Handmotorik (Rosenkötter 2013: 61)

Sowohl der Begriff der Schreibmotorik als auch der Begriff der Grafomotorik beziehen sich auf die notwendigen Prozesse, um grafische Zeichen mit der Hand zu vollstrecken. Die eher technischen motorischen Abläufe, die für das Schreiben, Malen oder Zeichnen von Buchsta­ben verantwortlich sind, werden bei der Grafomotorik beschrieben. Weiterhin umfasst die Grafomotorik die Umwelt-Interaktion des Schreibens (vgl. Diaz Meyer 2017: 36). Keine Be­achtung findet der systematische Unterschied zwischen dem Zeichnen von Buchstaben und dem schnellen Schreiben sowie die grundlegenden Aspekte bewegungsgünstigen Schreibens und die kritische Rolle der visuellen Kontrolle beim Schreiben. An diesen Punkten setzt die Schreibmotorik an, denn hier liegt die Konzentration auf dem günstigen Bewegungsablauf beim Schreiben (vgl. Schreibmotorik Institut e.V. 2017).

Die Schreibmotorik beschreibt und erforscht, wie graphische Zeichen mit der Hand bewegungsgünstig geschrieben werden können und wie das Erlernen eines solchen bewegungsgünstigen Schreibens am besten gelingt. Das Fernziel des Schreibunter­richts ist der Erwerb einer lesbaren, effizienten, flüssigen, ermüdungsarmen und indi­viduellen Handschrift (Diaz Meyer 2017: 36).

Dabei spielen sowohl die Entwicklung eines gleichmäßigen Schreibrhythmus als auch die Entwicklung einer hohen Schreibgeschwindigkeit, eines angemessenes Schreibdrucks und ein erforderlicher Transfer auf das Schreiben von Buchstaben, Wörtern und vollständigen Sätzen eine wichtige Rolle. Gekennzeichnet sind routinierte Schreiberinnen und Schreiber durch eine automatisierte Schreibbewegung, d.h. ihre gespeicherten motorischen Abläufe können unbe­wusst abgerufen werden. Dadurch können sich die Autorinnen und Autoren auf den Inhalt des zu produzierenden Textes konzentrieren (vgl. ebd.). Bei automatisierten Schreibbewegungen ist die Geschwindigkeit des Stiftes auf dem Papier von einem ständigen Auf und Ab gekenn­zeichnet (vgl. Nottbusch 2013: 11). Die Geschwindigkeit eines Striches nimmt zu Beginn zu, ist in der Mitte am höchsten und nimmt dann wieder ab. Daraus entsteht ein zyklisch konstan­tes und flüssiges Bewegungsmuster, welches von Auf- und Abstrichen geprägt ist. Beeinflusst wird dieses Muster weiterhin durch den Krümmungsgrad der Striche. In Kurven muss die Geschwindigkeit reduziert werden und kann bei einer Umkehrung der Schreibrichtung auch bei null liegen. Die genannten Bewegungen erfolgen alle ohne eine bewusste Steuerung, also automatisiert (vgl. ebd.). Im Zusammenhang mit diesen Bewegungen wird der Begriff „Feed­forward“ verwendet. Grund dafür ist, dass die beiden Hauptkanäle für sensorische Rückmel­dungen, das Auge und die Rückmeldung aus der Hand, zu langsam sind, um die bereits lau­fende Bewegung noch zu modifizieren. Die Stiftspitze kann bei einer normalen Schreibge­schwindigkeit nicht scharf gesehen werden. Außerdem kann das Auge die Schreibbewegun­gen bei einem routinierten Schreiber nicht dauerhaft verfolgen (vgl. ebd.).

Die hauptsächliche Rolle visueller Rückmeldungen liegt eher darin, das unmittelbar fertig gestellte Produkt zu prüfen und dabei Eigenschaften wie z.B. die Einhaltung des horizontalen Verlaufs bzw. von Linien oder der Schriftgröße zu kontrollieren (ebd.). „Feed-forward“ wird dementsprechend zwar willentlich durch ein gespeichertes Bewegungs­programm abgerufen, jedoch erfolgt dies ohne eine Kontrolle. Im Gegensatz zu automatisier­ten Schreibbewegungen stehen kontrollierte Schreibbewegungen. Kontrollierte Schreibbewe­gungen weichen von den Eigenschaften automatisierter Schreibbewegungen ab. Kontrollierte Schreibbewegungen treten beim Erlernen neuer Schriftzeichen, bei Störungen einer automati­sierten Schreibung und bei einem sehr genauen und schönen Schreiben auf. Dann ist die Ge­schwindigkeit des Stiftes auf dem Papier durch Unregelmäßigkeit und sprunghafte Verände­rungen mit vielen Pausen gekennzeichnet. Pausen können durch sehr kurzzeitig langsame Stiftbewegungen oder durch das Abheben des Stiftes entstehen. Die Schreibbewegungen voll­ziehen sich in einem Tempo, so dass eine Blickverfolgung möglich ist. Folglich wird dadurch die aufmerksamkeitssteuernde Region im Gehirn aktiv. Entweder ist das Motorprogramm, welches die automatisierte Schreibbewegung ermöglicht, noch nicht aufgebaut oder es wird gestört (vgl. ebd.).

Weiterführend versteht man unter Schreibmotorik gewisse feinmotorische Bewegungen der Finger und des Handgelenks, welche mit Bewegungen des Unterarms verbunden sind. Ziel dabei ist ebenso die Vermittlung eines Sinnzusammenhangs in einer Schrift (vgl. Sattler et al. 2010: 2). Bis heute wird angenommen, dass die rechtsläufige Schrift den natürlichen Bewe­gungsabläufen der rechten Hand entspricht und aus diesem Grund von einem Kind, welches mit der rechten Hand schreibt, leichter erlernt werden kann. Linkshändige Kinder schreiben gegen die natürliche Bewegungsrichtung, wodurch diese langsamer schreiben. Während des Schreibens entfaltet sich nach und nach eine individuelle und persönliche Handschrift (vgl. Sattler et al. 2010: 1). Eine Bedingung für ein effektives Schreiben ist das Zusammenwirken vieler Gelenke und Muskeln des gesamten Armes. Dazu zählen die Finger-, Hand-, Unterarm- und Schultergelenke. Die sich beim Schreiben vollziehenden feinmotorischen Bewegungen sind für die Hand eine enorme Herausforderung. Grund dafür ist die Begrenzung der Funktio­nen einzelner Gelenke durch das Aufliegen des Unterarms auf dem Schreibuntergrund. Die an einem Schreibvorgang beteiligten Gelenke können lediglich einfache Hin- und Herbewegun­gen ausführen, auch wenn eine optimale Schreibhaltung vorliegt. Folglich sind die Funktio­nen der beteiligten Gelenke beim Schreiben geringfügig eingeschränkt. Bei einem Zusam­menspiel von Gelenken und Muskeln im Zuge eines Schreibaktes wirkt das Koordinations­zentrum mit dem motorischen Zentrum zusammen. Das Koordinationszentrum ist für die Re­gulation des Muskelzusammenspiels verantwortlich (vgl. Diener 1980: 80).

Unterschieden wird hierbei weiterhin unter einer abwechselnden und einer gleichzeitigen In­nervation von Finger- und Handmuskeln. Bei einer abwechselnden Innervation soll eine ecki­ge Form geschrieben werden. Die Finger- und Handmuskeln fügen geneigte Schreibbewe­gungen nach links und rechts aneinander. Eine Vereinigung einer gleichzeitigen Innervation von Finger- und Handmuskulatur zu einer Bewegungsformel bezweckt eine Darstellung einer runden Form. Dadurch wird deutlich, dass die Bewegungskoordination bei der Handschrift, im Wechselspiel von rund und eckig, sehr komplex ist (vgl. Diener 1980: 82). Die Schreib­bewegungen werden besonders durch drei Gelenk- und Muskelsysteme bewirkt:

1. Durch gleichzeitiges Strecken und Biegen des Daumens, Zeige- und Mittelfingers vollzieht der Stift Auf- und Abstriche (etwa quer zur Schreibrichtung).
2. Kleinere, feinmotorische Bewegungen in und entgegen der Schreibrichtung werden vom Handgelenk vollführt.
3. Weiträumigere Bewegungen in und entgegen der Schreibrichtung, z.B. an Wort­grenzen oder Zeilenumbrüchen, werden durch eine Abspreizung des Oberarms vom Oberkörper erreicht, unterstützt durch die Drehung des Ellebogengelenks (Nottbusch 2013: 10).

Im Gegensatz zur Handschrift sind die Bewegungen beim Schreiben auf der Tastatur für alle Buchstaben identisch. Die Entwicklung einer Handschrift ist aufgrund der Strichführungen im Vergleich zum Schreiben auf der Tastatur deutlich komplexer (vgl. Bulut 2019: 10). Neben der Motorik spielt die Kognition beim Schreiben eine wichtige Rolle.

3.2 Kognition

Die Schwierigkeit beim Schreiben von Texten liegt in der gleichzeitigen Bewältigung der Subprozesse Planen, Formulieren und Überarbeiten (vgl. Schmidt 2008: 7). Die kognitive Schreibforschung schreibt dem Überarbeiten die bedeutendste Rolle im Schreibprozess zu (vgl. Merz-Grötsch 2019: 58).

Die Vorstellungen des Verfassers müssen beim Schreiben in Worte gefasst werden. Dabei werden logische, semantische und grammatikalische Fähigkeiten gefordert. Darüber hinaus muss beim Verfassen eines Textes eine Überwachung des eigenen Erfolgs und die Berück­sichtigung der Zielgruppe erfolgen (vgl. Schmidt 2008: 7). Die kognitiven Ansprüche und die Rekursivität beim Verfassen von Texten werden im Folgenden anhand des Modells von Hayes und Flower in Abbildung 2 erläutert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Dieses Prozessmodell des Schreibens untersucht die kognitive Struktur des Schreibprozesses. Für Hayes und Flower ist der Ausgangspunkt, dass das Schreiben einen Problemlöseprozess darstellt, der in die drei Subprozesse unterteilt wird.

Die Planungsphase ist durch die Vorstrukturierung des komplexen Handlungsproblems ge­kennzeichnet. Die Planung schließt das Generieren von Ideen, deren Organisation und das Setzen von Zielen mit ein. Das ermittelte Schreibziel steuert die anstehende Konstruktionsar­beit. Das entsprechende Planungselement dient als Suchschema für die Aktivierung des Ge­dächtnisses. Dabei werden neu gefundene Elemente geprüft und entweder als brauchbar no­tiert oder als unbrauchbar verworfen (vgl. Fix 2008: 37). Das Formulieren meint die Ausfüh­rung der Schreibpläne. Der Verfasser sucht nach den passenden Formulierungen und Wörtern, damit die Gedanken zum Ausdruck gebracht werden können. Dabei wird zwischen zwei Richtungen unterschieden: „bottom up“ und „top down“. „Bottom up“ meint das Suchen und Zusammenfügen von Wörtern zu Sätzen. Wird zunächst ein Satzschemata gewählt und dann mit Wörtern gefüllt, handelt es sich um die Richtung „top down“. Bei der Überprüfung wird das bisher Geschriebene gelesen und überarbeitet, um die Textqualität zu verbessern (vgl. ebd.).

Der Planungsprozess wird in weitere drei Subprozesse unterteilt: Generieren, Organisieren und Zielsetzung. Die Benennung der drei Subprozesse zeigt die Funktionen des Planungspro­zesses auf. Beim Generieren sollen aufgabenrelevante Informationen aus dem Langzeitge­dächtnis abgerufen werden. Das Gedächtnis wird nach passendem Material für die Schrei­baufgabe vom Schreiber durchsucht. Das abgerufene Material sind meist noch Ketten von Assoziationen wie Wörter oder Satzfragmente, aber noch keine vollständigen Sätze. Die Su­che des Schreibers innerhalb einer Assoziationskette wird unterbrochen, falls der Planende auf einen Gegenstand stößt, der nicht zum Schreibthema passt. Im Folgenden findet eine neue Suche mit anderen Assoziationen statt, die aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen wurden oder mit Hilfe der Informationen aus der Aufgabenstellung wie die Beschreibung des Themas und der zukünftige Leser entnommen worden sind (vgl. Schmidt 2008: 9). Nachdem aufga­benrelevante Materialien aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen worden sind, werden die nützlichsten Informationen ausgewählt, geordnet und in einen Schreibplan eingearbeitet. Mit Hilfe eines Schreibplans wird eine Reihenfolge der Darstellung der entwickelten Ideen vorge­geben. Die Ziele des Schreibers betreffen insbesondere die Überlegungen zu der Gesamtstruk­tur des Textes und Merkmale für die Textqualität. Die Ausdrucksweise, die sich an der Leser­schaft orientiert, stellt ein Ziel dar. Auch wenn Planung eine kognitive Aktivität beinhaltet, kann sie nicht mit dem Denken gleichgesetzt werden. Grund dafür ist, dass das Planen eine Vorbereitung auf das Handeln darstellt. Die Ideen, die im Planungsprozess entstanden sind, müssen in sprachlich korrekte und ausdrucksstarke Sätze gewandelt werden. Während des Prozesses des Formulierens bzw. Übersetzens wählt der Verfasser Wörter aus, die ihm für den Ausdruck seiner Ideen geeignet erscheinen. Daraufhin werden daraus Sätze konstruiert, wel­che vom Schreiber aufgeschrieben werden. Nach dem Schreiben folgt die Überarbeitung des geschriebenen Textes.

Ziel des Überarbeitungs- bzw. Revisionsprozesses ist die Verbesserung der Qualität des ver­fassten Textes (vgl. Schmidt 2008: 10). Hayes und Flower unterteilen den Überarbeitungs­prozess in zwei weitere Subprozesse: „reading“ und „editing“. „Reading“ meint das erneute Durchlesen fertig gestellter Textteile. „Editing“ zielt auf das Entdecken und Korrigieren von gefundenen Fehlern ab. Darunter fallen grammatikalische Fehler, Rechtschreibfehler, eine unangemessene Wortwahl oder eine mangelnde Kohärenz. Im Modell wird davon ausgegan­gen, dass der Verfasser über eine enorme Menge an Regeln für die Produktion eines Textes verfügen muss.

Wichtig zu beachten ist, dass das Modell von Hayes und Flower nicht als Stufenmodell zu verstehen ist. Das rekursive Modell betont, dass die Prozesse Planen, Formulieren (Überset­zen) und Überarbeitung im Wechsel auftreten. Jedoch wird in der ersten Phase der Textpro­duktion häufiger geplant und zum Ende hin wird der Text eher überprüft und korrigiert. Gute Schreiber zeugen von häufiger Planung und Revision im Gegensatz zu schwachen Schreibern.

Dies ist ein enormer Vorteil für leistungsstarke Schreiber, denn die beiden Subprozesse Pla­nen und Überarbeiten haben einen starken Einfluss auf die Textqualität.

Das Wissen aus dem Langzeitgedächtnis stellt für Hayes und Flower eine Bedingung für die Textproduktion dar. Der Schreiber verfüge über Wissen zu einer großen Anzahl von Themen und er habe Informationen über mögliche zukünftige Leser. Verbessert wird die Schreibleis­tung durch ein hohes Ausmaß an themenbezogenem Wissen, da in der Planungsphase mehr

Ideen generiert werden können. Neben der Abrufbarkeit bereichsspezifischen Wissens aus dem Langzeitgedächtnis ist ein Diskurswissen, also das Wissen, wie sich eine kohärente Textstruktur erreichen lässt, notwendig (vgl. Schmidt 2008: 11 f.).

Im Jahr 1996 entwickelte Hayes ein neues Schreibmodell, welches in Abbildung 3 dargestellt wird. Dabei unterteilt er dieses in Aufgabenumgebung (the task environment) und Individuum (the individual). Zur Aufgabenumgebung gehören die soziale (social environment) und die physikalische Schreibumgebung (physical environment). Die zukünftige Leserschaft und an­dere beteiligten Personen an der Schreibaufgabe zählen zur sozialen Umgebung. Bereits pro- duzierte Textteile und das Schreibmedium werden hingegen der physikalischen Umwelt zu- Im Modell aus dem Jahr 1996 von Hayes werden Angaben zur Motivation, zu den kognitiven Prozessen, zum Langzeitgedächtnis und zu den Funktionen des Arbeitsgedächtnisses getätigt.

Das Arbeitsgedächtnis ist insbesondere bei der Überwachung und Steuerung der kognitiven Prozesse bei der Textproduktion von Bedeutung, welches Inhalte der Produktion abspeichert: Stichworte aus dem Schreibplan und aus bereits fertigen Textteilen werden benutzt, um eine Sammlung von semantischen Inhalten ins Gedächtnis zu rufen. Nach der Speicherung der Inhalte in dem Arbeitsgedächtnis wird ein Entwurf entwickelt wie die Inhalte schriftlich aus­gedrückt werden können. Ist der gesamte Inhalt zum Ausdruck gebracht worden, wird der Satzteil vokal oder subvokal ausgesprochen und gegebenenfalls niedergeschrieben (vgl. Schmidt 2008: 16 f.).

Die kognitiven Prozesse gehören in den Bereich des Individuums und werden in drei Katego­rien eingeteilt: Textinterpretation (text interpretation), Reflektion (reflection) und Textpro­duktion (text production). Die Erzeugung interner sprachlicher und visueller Repräsentation stellt die Funktion der Textinterpretation dar (vgl. Schmidt 2008: 18). Zu der Reflektion zäh­len der Problemlöseprozess, das Treffen von Entscheidung und das Schlussfolgern. Diese Prozesse fallen in dem Modell aus dem Jahr 1980 unter den Subprozess Planen. Durch das Einbeziehen der eben genannten Prozesse wird die kognitive Beanspruchung durch das Pla­nen beim Bearbeiten einer Schreibaufgabe verdeutlicht. Aus diesem Grund erklärt Hayes in dem Modell aus dem Jahr 1996, inwiefern Schreiben als Problemlöseprozess verstanden wer­den kann. Ein Problem ist gekennzeichnet durch ein Ziel, bei dem man nicht weiß, mit wel­chen Schritten und Mitteln dieses erreicht werden kann. Das Lösen des Problems ist der Pro­zess, in dem die Schritte, die zur Erreichung des Ziels notwendig sind, zusammengestellt sind. Das zu lösende Problem stellt einen bestimmten Ausgangspunkt dar, der geändert werden soll. Bei dieser Veränderung sind Bedingungen und Informationen vorhanden, die aber keine Rückschlüsse auf die Art und Weise der Änderung zulassen. Damit der Schreiber ermitteln kann wie das Problem bzw. die Aufgabe gelöst werden kann, also in den Zielzustand versetzt werden kann, ist eine enorme kognitive Anstrengung von Nöten. Aufgrund uneindeutig ge­stellter Aufgabestellungen muss der Schreiber Entscheidungen fällen, um mangelnde Infor­mationen zu überbrücken. Dies wird von Hayes als Treffen von Entscheidungen als Aspekt der Reflektion genannt (vgl. Schmidt 2008: 19). Mit dem Begriff des „Schlussfolgerns“ be­schreibt Hayes den dritten Aspekt, der zur Reflektion zählt. Dieses meint aus vorhandenen Informationen neue herzuleiten. Schreiber ziehen oftmals Schlüsse über das Wissen und die Interessen der zukünftigen Leser. Mit dem Subprozess Übersetzung bzw. Formulieren aus dem Modell aus dem Jahr 1980 ist die Kategorie Textproduktion gleichzusetzen. Die Text­produktion bedeutet, dass innere Repräsentationen verschriftlicht werden. Die kognitiven Prozesse werden durch die Motivation und auch durch die Emotionen des Verfassers beein­flusst und umgekehrt. Neben der kognitiven Beanspruchung muss der Verfasser seine Emoti­onen regulieren und die Ausdauer mitbringen, über einen längeren Zeitraum eine hohe kogni­tive Anstrengung für die Schreibaufgabe aufzuwenden. Außerdem werden durch das Schrei­ben selbst Emotionen hervorgerufen. Auf der einen Seite können Gefühle der Frustration beim Schreiben entstehen und auf der anderen Seite kann die eigene Produktivität eine Eu­phorie hervorbringen (vgl. Schmidt 2008: 20).

Wie auch in dem Modell aus dem Jahr 1980 legt Hayes auf bereits fertig gestellte Textteile für den Schreibenden viel Wert. Für den Verfasser ist es hilfreich, zuvor geschriebene Sätze sich durchzulesen und dann zu entscheiden, was als nächstes geschrieben wird. Weiterhin wird der kognitive Prozess beim Schreiben durch das Schreibwerkzeug beeinflusst. Ein Text kann handschriftlich oder mit einem Textverarbeitungsprogramm verfasst werden. Dabei un­terscheidet sich der Aufwand hinsichtlich des Schreibens. Schreiber, die handschriftlich einen Text verfassen, lesen sich den ersten Teil des Satzes häufiger durch, als Schreiber, die den Text auf einem PC schreiben. Grund dafür ist die vereinfachte Verbesserungsmöglichkeit bei der Verwendung von Textverarbeitungsprogrammen, da Schreibende dazu angeregt werden, einen eingetippten Satz sofort zu überprüfen und ohne Probleme verändern zu können (vgl. Schmidt 2008: 20 f.)

Schreiben kann demzufolge als ein kognitiv anspruchsvoller Prozess für den Schreibenden charakterisiert werden. Von einer engen Verbindung zwischen schriftsprachlicher und kogni­tiver Entwicklung geht Wygotski aus. Es wird angenommen, dass die Schriftsprache modell­bildend für die Sprache insgesamt wirken kann. Zudem besteht die Überlegung, dass die Schriftsprache die Fähigkeiten zum abstrakten, logischen, kategorialen und situationsentbun­denen Denken überhaupt erst ermöglicht (vgl. Fix 2008: 68). Bereits in den Dreißigerjahren konnten Unterschiede zwischen den Denkstilen schriftloser und literaler Kulturen festgestellt werden. Daraus folgt eine Unterscheidung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Schriftlichkeit meint ein autonomes System, welches sich in wesentlichen linguistischen Merkmalen von einem mündlichen Sprachgebrauch unterscheidet (vgl. Fix 2008: 64).

Anhand der pragmatischen Bedingungen der gesprochenen und geschriebenen Sprache wird beispielhaft der Unterschied zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit erläutert. Diese Un­terschiede auf der Ebene des Sprachhandelns können der Tabelle 1 entnommen werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Mündlichkeit und Schriftlichkeit: Pragmatische Bedingungen (vgl. Fix 2008: 65 f.)

Besonders im Rahmen einer Erzählung kann zwischen mündlichem und schriftlichem Erzäh­len unterschieden werden. Durch die Anwesenheit beider Kommunikationspartner wird eine dialogische Situation ermöglicht. In diesem Dialog werden nonverbale Kontaktsignale wie die Gestik verwendet. Das Gespräch kann durch spontane Überlegungen gesteuert werden und bietet die Möglichkeit emotional zu sprechen und zu handeln. Weiterhin können unmittelbar Revisionen vollzogen werden. Durch die akustische Realisierung, die in der Regel schnell vergänglich ist, kann der Gesprächspartner direkt nachfragen (vgl. Fix 2008: 65 f.). All dies wird bei der Schriftlichkeit nicht ermöglicht. Aus diesem Grund ist der Autor mit der Aufgabe konfrontiert die genannten Merkmale in Sprache zu verfassen. Die Schriftlichkeit hat eigene Anforderungen und Gesetzmäßigkeiten. Da die Kommunikation zwischen Gesprächspartnern situationsentbunden und die Produktion und Rezeption nicht simultan verläuft, entsteht die Notwendigkeit mehr zu planen und kognitiv zu reflektieren (vgl. ebd.). Der Autor muss sei­nen Text so in der Schrift kodieren, dass dieser von einem Leser zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort verstanden werden kann (vgl. Merz-Grötsch 2019: 20). Durch die fehlen­den Kontaktsignale wie Mimik und Gestik muss der Autor sich ebenso von Emotionen dis­tanzieren und die Standardsprache verwenden. Jedoch hat der Autor die Möglichkeit seinen Text nach gewisser Zeit zu verändern und zu überarbeiten. Aufgrund dieser Merkmale der Mündlichkeit und Schriftlichkeit auf der pragmatischen Ebene ist es unter anderem erforder­lich, den Text mehr zu strukturieren. Folglich ergeben sich aus der elementaren linguistischen Ebene des Sprachhandelns weitere Merkmale der Mündlichkeit und Schriftlichkeit, welche in linguistische Ebenen eingeteilt werden. Die vollständige Tabelle mit allen linguistischen Ebe­nen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit ist dem Anhang B zu entnehmen.

Der Übergang zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit ist fließend. Das sagt aus, dass die in der Tabelle dargestellten Eigenschaften lediglich Tendenzen der jeweiligen Sprachverwen­dungsformen sind (vgl. Merz-Grötsch 2019: 23). Feststeht jedoch, dass Schriftlichkeit einen höheren Grad an Abstraktion und an analytischen Fähigkeiten benötigt (vgl. Fix 2008: 66). Schriftlichkeit beansprucht deshalb einen eigenen Denkstil (vgl. Merz-Grötsch 2019: 20). Ein Vorteil der Schriftlichkeit stellt die Zeit zum Nachdenken dar, in der der Autor überlegen kann, was er schreiben möchte. Dabei muss der Text so verfasst werden, dass er für einen Leser zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort verständlich ist. Ziel ist dementspre­chend ein adressatenbezogener Text, bei dem der Autor sich in den Leser hineinversetzt, sich sowohl dessen Erwartungshaltung als auch das Vorwissen und die kognitiven Voraussetzun­gen bewusst macht (vgl. ebd.).

Unterteilt werden die Mündlichkeit und Schriftlichkeit zudem in konzeptionelle und mediale Mündlichkeit und konzeptionelle und mediale Schriftlichkeit. Diese Unterscheidung hat einen erheblichen Einfluss und Konsequenzen für das Erlernen des Verfassens von Texten. Die konzeptionelle Dimension bezieht sich auf die in der Äußerung ausgewählte Ausdrucksweise und den Duktus. Die mediale Dimension meint das Medium, welches bei der Realisierung verwendet wird (vgl. Merz-Grötsch 2019: 23). Ein wissenschaftlicher Vortrag kann als kon­zeptionell schriftlich und medial mündlich und ein Gespräch mit Freunden als konzeptionell und medial mündlich eingeordnet werden. Als medial schriftlich und konzeptionell mündlich kann eine Grußkarte verstanden werden. Ein Gesetzestext umfasst Merkmale konzeptioneller Schriftlichkeit und ist als medial mündlich anzusehen. Folglich können auch in mündlichen Sprachhandlungen Merkmale konzeptioneller Schriftlichkeit dominieren und in schriftlichen Sprachhandlungen Merkmale konzeptioneller Mündlichkeit vorhanden sein (vgl. ebd.). So wie sich Mündlichkeit und Schriftlichkeit unterscheiden gibt es auch für bestimmte Textsor­ten verschiedene Merkmale. Da sich die Untersuchung dieser Arbeit auf die Produktion einer Erzählung bezieht, wird im anschließenden Kapitel zunächst auf die Notwendigkeit von Text­sortenwissen für Schülerinnen und Schüler eingegangen und es wird sich detailliert der Textsorte der Erzählung gewidmet.

3.3 Normiertes Schreiben am Beispiel der Erzählung

Textsorten sind „konventionell geltende Muster für komplexe sprachliche Handlungen“ (Brinker 2001: 135). Diese Handlungen sind mit jeweils typischen Verbindungen von struktu­rellen und kommunikativ-funktionalen Merkmalen gekennzeichnet (vgl. Fix 2008: 87). Einen zentralen Stellenwert haben die Textsorten bei der Bewältigung von sich wiederholenden Kommunikationsanlässen. Aus diesem Grund ist Textmusterwissen von hoher Bedeutung für die Textproduktion (vgl. Becker-Mrotzek/Böttcher 2012: 16). Texte zu schreiben erfordert das Wissen über Textsorten, welches aus inhaltlichem Wissen, Sprachwissen, pragmatischem Wissen und insbesondere aus Musterwissen besteht. Textsortenwissen könnte vorerst zum deklarativen Wissen gezählt werden, da es sich um einen Teil des Welt- bzw. Sachwissen handelt. Jedoch muss darauf geachtet werden, dass die deklarative Komponente nicht über­bewertet wird (vgl. Fix 2008: 92). Beim Textmusterwissen handelt es sich eher um ein durch praktische Erfahrungen entstehendes Handlungswissen, welches bewusst bei der Bewältigung von Problemsituationen verwendet werden kann oder so gut wie automatisiert ist (vgl. Fix 2008: 93). Wichtig ist darüber hinaus, dass man Textsortenwissen nicht als eine einengende Norm versteht, sondern als eine praktische Orientierungshilfe. Diese kann als Unterstützung im Schreibprozess eingesetzt werden. In Verbindung mit dem normierten Schreiben stehen Textmuster, welche als ein Werkzeug oder als ein Grundbaustein schriftsprachlichen Han­delns verstanden werden können. Hinter der Aufsatzart „Erzählung“ steht daher ein Muster des Erzählens (vgl. Fix 2008: 92). „Das Wissen darüber ist als abstraktes Rahmenschema ge­speichert und enthält prototypische Elemente über z.B. das erzählende [...] Muster“ (ebd. Fix 2008: 92 f.). Bereits Kinder greifen, meist unbewusst, auf die strukturellen, syntaktischen und lexikalischen Merkmale ihres Wissens über Textmuster zurück. Eine Verbindung typischer struktureller und sprachlicher Eigenschaften mit der Orientierung an deren kommunikativen Funktion kann als eine didaktisch sinnvolle Textsortenklassifikation angesehen werden (vgl. Fix 2008: 93).

Ebenso ist zu beachten, dass es sich bei Textmusterwissen nicht um systematisch abzuarbei­tende Pläne der Ausführung handelt, sondern es heuristische Pläne sind. Diese sind ein Teil der Methodenkompetenz und schaffen die Möglichkeit einer bestimmten Schreibstrategie. Heuristische Pläne liefern prototypische Elemente, an denen sich auf der einen Seite der Schreibende und auf der anderen Seite der Lesende bei der Interpretation kommunikativer Bedeutung orientieren kann (vgl. ebd.). Ein geübter Schreiber macht von diesem Wissen im Schreibprozess flexibel und situationsadäquat Gebrauch und benutzt dabei „grundlegende Muster als Module, mit deren Hilfe neue Detailpläne erzeugt werden“ (ebd.). Durch das Wis­sen über Textmuster kann somit die Kreativität gefördert werden (vgl. ebd.).

Textarten als ein zentraler Ausgangspunkt des Schreibunterrichts spielen in dem didaktischen Modell von Schneuwly eine bedeutende Rolle (vgl. Becker-Mrotzek/ Böttcher 2009: 24). Für Schneuwly bedeutet Schreiben lernen unter anderem das Aneignen von sprachlichen Werk­zeugen, welche eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Textarten erfordert. Die Textar­ten stellen abgeleitete, sekundäre Muster dar, welche sich aus den Diskursarten als Werkzeu­ge für die schriftliche Kommunikation entwickelt haben. Insofern handelt es sich, im Gegen­satz zu Gesprächsmustern, die in der gemeinsamen Handlung direkt zum Einsatz kommen, um abstraktere und komplexere Inhalte, da sie den vermittelnden Kommunikationsanlässen dienen. Auf der einen Seite ergibt sich für Schneuwly die Notwendigkeit der schulischen Vermittlung des Schreibens und auf der anderen Seite das didaktische Potenzial der Textar­ten. Folglich sollen die Schülerinnen und Schüler die Merkmale zum Beispiel für eine gelun­gene Erzählung gemeinsam im Unterricht erarbeiten (vgl. ebd.).

Eine Erzählung basiert auf einem narrativen Textmuster, denn in einem fiktiven Raum wird ein Ereignis wiedergegeben, welches sich, angeblich real, in der Vergangenheit vollzogen hat (vgl. Fix 2008: 94). Das Ziel des Erzählens ist die spannende Ausgestaltung einer Geschichte, damit der Leser unterhalten wird. Der Schreiber versetzt sich direkt in das Geschehen mit dem Ziel, den Leser die Geschichte miterleben zu lassen (vgl. Streets 2019: 71). Beim Schrei­ben einer Erzählung werden die verschiedenen literarischen Figuren und Gestalten eingeführt und es wird nach und nach eine Spannungskurve und eine überraschende Wendung mit einer Auflösung aufgebaut. Dieses Schema gleicht der Struktur einer Maus mit dem Aufbau: Ein­leitung, Hauptteil mit Höhepunkt der Spannungskurve und dem Schluss der Erzählung. Eine unerlässliche Notwendigkeit besteht bei einer spannenden Erzählung in einem „lebendigen Erzählstil, charakterisiert durch das Tempus Präteritum, knappe Satzstrukturen, direkte Rede, Adverbialgebrauch für die Deixis in Raum und Zeit und die Darstellung kausaler Zusammen­hänge“ (Streets 2019: 72). Die direkte Rede lässt die Erzählung lebendiger wirken und ver­gangene Handlungen gegenwärtig werden. Überdies hinaus dominiert bei einer Erzählung die Perspektive des erzählenden Subjekts. Die Erzählung wird dadurch mit einem Anteil von emotionaler Betroffenheit geschrieben und weitergegeben. Aus diesem Grund bildet sich eine größere Nähe zur Mündlichkeit heraus als bei anderen Textsorten.

In der Schule wird zwischen vier unterschiedlichen Textsorten beim Erzählen unterschieden. Neben der Erlebniserzählung, der Fantasieerzählung und der Nacherzählung wird ebenso die Bildergeschichte thematisiert (vgl. Fix 2008: 94). Diese Erzählsorten können sowohl in ana- loger als auch in digitaler Form im Unterricht verschriftlicht werden. Es schließen sich in den folgenden Ausführungen die Unterschiede zwischen dem analogen und digitalen Schreiben sowie dem Überarbeiten von Texten an.

3.4 Digitales vs. analoges Schreiben

Durch die zunehmende Digitalisierung wird der Umgang mit den neuen Medien zu den Schlüsselqualifikationen gezählt, die in der Schule vermittelt werden sollen (vgl. Schieder- Niewierra 2011: 74). Der Gefahr einer Ablösung der Schriftkultur durch eine multimediale Informationsstruktur können die positiven Auswirkungen des Computers oder anderer Medi­en für das Schreiben entgegengesetzt werden. Der Einsatz eines Computers oder eines Tablets kann unter anderem die Schreibmotivation steigern, eine Anregung zum Überarbeiten von Texten schaffen und eine Unterstützung für Schülerinnen und Schüler mit schreibmotorischen Problemen sein (vgl. Schieder-Niewierra 2011: 75). Der Fokus der Nutzung neuer Medien in der Schule liegt im Deutschunterricht, insbesondere in der Textarbeit, Textentwicklung und Textgestaltung (vgl. Schieder-Niewierra 2011: 73). Den neuen Medien wie beispielsweise Computer oder Tablets kommen eine didaktische Funktion sowohl für den Produktions- und Evaluierungsprozess als auch für die Veröffentlichung zu. Beim Sammeln von Ideen in der Phase der Motivations- und Zielbildungsprozesse sind Stift und Papier die bevorzugten Me­thoden. Die digitalen Medien erweisen sich jedoch in der Phase des Bereitstellens von Wissen als produktiv wirksam. Der Computer oder das Tablet begünstigen den Schreibprozess an sich sowie die schreibbegleitenden Handlungen wie die Informationssammlung, die Textplanung, die Textüberarbeitung und -veröffentlichung. Weiterhin ermöglichen die digitalen Medien im Unterricht bei der Textproduktion die Veränderung des Textes, das Wechseln zwischen Text­passagen, das Ausdrucken von Zwischenversionen, das Zurückkehren zu Vorversionen und das Vorlesen von Passagen. Folglich wird der digital geschriebene Text besser kommunizier­bar als ein handschriftlich geschriebener Text (vgl. Wilde 2007: 385).

Allerdings muss das Tippen auf einer Tastatur auf technischen Geräten geübt werden. Sind die Kinder nicht schreibroutiniert, erfahren diese eine stärkere Diskrepanz zwischen dem ei­genen Gedankenfluss und dem Verschriftlichen dieser Gedanken. Wird ein Text handschrift­lich geschrieben, so ist dies für das Kind, insbesondere für jüngere Kinder, ein motorisch und kognitiv anstrengender Prozess. Die Ermüdung der Hand beim Schreiben längerer Texte ent­fällt beim Tippen auf der Tastatur aufgrund der vereinfachten Motorik. Ebenso werden die Kinder motiviert, die beispielsweise mit ihrer Handschrift unzufrieden sind. An den digitalen Medien haben sie die Möglichkeit ihren Text hinsichtlich des Layouts und der Schriftauswahl 23 zu gestalten. Im Gegensatz zum handschriftlichen Schreiben verschafft der Computer und das Tablet neue kommunikative Möglichkeiten wie zum Beispiel das Einfügen von Fotos, Vi­deos, Sprachaufnahmen oder ClipArts (vgl. Wilde 2007: 386 f.). Es muss jedoch beachtet werden, dass der Umgang mit der Tastatur, mit der Maus oder dem Tabletbildschirm trainiert werden muss. Zu Beginn kann es durch fehlende Fertigkeiten zu einer Unterbrechung des Schreibflusses kommen. Mit zunehmender Praxis wächst die Fähigkeit schnell und effizient mit den technischen Schreibwerkzeugen umzugehen (vgl. Wilde 2007: 385). Wird am Com­puter oder Tablet geschrieben, so wird die innere Sprache schnell in Schrift umgesetzt. Wäh­rend des Schreibens vergegenständlicht sich unsere innere Sprache und wird synchron am Bildschirm sichtbar und dadurch lesbar. Auf diese Weise wird der Schreibprozess synchron steuerbar (vgl. ebd.). Die Verringerung der Komplexität des Schreibens durch den sukzessi­ven Aufbau des Textes auf dem Bildschirm ist für die Kinder hilfreich. Der Fortschritt wird sowohl qualitativ als auch quantitativ sichtbar. Dadurch erleben die Schülerinnen und Schüler eine Motivation weiterzuschreiben. Der Text kann so lange bearbeitet und verändert werden, bis das Kind mit seinem eigenen Text vollständig zufrieden ist. Folglich kann der Schreibpro­zess auf dem Tablet oder Computer deutlich stärker willentlich vom Kind gesteuert werden als beim handschriftlichen Schreiben. Der Text an den digitalen Medien ist modellierbar und die Schrift ist beweglich. Es können jederzeit Änderungen und Umstellungen vorgenommen werden. Die Phasen der Planung und der Erstellung von Texten fallen bei der digitalisierten Textproduktion zusammen. Weiterhin können Revisionen zu jeder Zeit unkompliziert und vor allem ordentlich getätigt werden (vgl. Frederking 2016: 22). Zusätzlich ist es dem Kind mög­lich, Wörter und Passagen zu kopieren, zu überschreiben oder zu löschen, Rechtschreibkor­rekturen und Formatierungen vorzunehmen oder diese zunächst zurückzustellen (vgl. Wilde 2007: 385). Durch die digitalen Medien wird beim Schreiben dementsprechend ein nicht­lineares Vorgehen bei der Textkomposition ermöglicht, was nicht nur lernschwächeren Schü­lerinnen und Schülern mit einer diskontinuierlichen Vorgehensweise beim Schreiben zugute­kommt (vgl. Frederking 2016: 22). Das Tablet oder der Computer stellt einen optimalen Be­gleiter als Schreibwerkzeug für den anspruchsvollen Weg von der Textentwicklung und - überarbeitung bis hin zur rechtschriftlichen und grammatischen Revidierung, dar. Kinder mit Problemen beim handschriftlichen Schreiben hinsichtlich der Motorik und der Rechtschrei­bung können das digitale Schreiben als lustvoll empfinden. Dadurch kann es zu einer Ent­wicklung von Schreibmotivation und Vertrauen in die eigene Schreibkompetenz kommen. Die Ziele und Aufgaben des Schreibunterrichts, Schreibmotivation zu entfalten und Schreib­kompetenz zu entwickeln, werden somit unterstützt (vgl. Wilde 2007: 385 f.).

Hinsichtlich des Überarbeitens von Texten lässt sich sagen, dass es jüngeren Kindern grund­sätzlich schwerer fällt, den eigenen Text kritisch und mit Abstand zu betrachten. Revisionen in analogen Texten stellen sich als sehr mühselig und anstrengend heraus. Es erfordert viel Geduld und Zeit den handschriftlichen Text angemessen und ordentlich zu überarbeiten. Die Kinder sind nach der Überarbeitung von handschriftlich geschriebenen Texten anschließend mit der Aufgabe direkt konfrontiert, den fertig überarbeiteten Text erneut abzuschreiben. An digitalen Medien lässt sich dies leichter umsetzen. Es muss nichts durchgestrichen werden, so dass eine Überarbeitung an den neuen Medien deutlich ordentlicher und einfacher zu gestalten ist. Der Text muss ebenso nicht noch einmal abgeschrieben werden. Wichtig ist, dass die Kinder ihren Text am Computer oder Tablet als veränderbar betrachten. Handschriftlich ge­schriebene Texte werden häufiger von den Schülerinnen und Schülern als fertige Texte ange­sehen. Daraus folgt, dass die Motivation zum Überarbeiten des digital geschriebenen Textes steigt (vgl. Wilde 2007: 386 f.). Infolgedessen wird deutlich, dass das digitale Schreiben im Deutschunterricht der Prozesshaftigkeit des Schreibens im besonderen Maße gerecht wird. Es erfolgt eine Begünstigung des rekapitulierenden Lesens und die Möglichkeit allzeit Ergän­zungen, Revisionen und Korrekturen vorzunehmen und damit den Schreibprozess, der zu ei­nem anderen Zeitpunkt und auch ggf. an einem anderen Ort fortgeführt werden kann, zu un­terbrechen. Trotz vieler Revisionen behält der Text seine äußere Perfektion bei. Infolgedessen lernen die Schülerinnen und Schüler die Leserperspektive auf den eigenen Text einzunehmen und aufgrund dessen öfter Textrevisionen vorzunehmen als bei handschriftlichen Texten. Vo­raussetzung für eine gewisse Überarbeitungsbereitschaft ist das Wissen des Schreibers über den Schreibprozess als ein rekursiver Prozess, welcher das Planen, Schreiben und Überarbei­ten umfasst. Die Überarbeitungsbereitschaft wird durch das Schreiben an digitalen Medien gefördert, da die Prozesse des Schreibens und Überarbeitens im Schreibakt am Computer oder Tablet integriert sind. Durch ein flexibles Wechseln zwischen den unterschiedlichen Schreibphasen wird eine Trennung der Teilschritte des Schreibens ermöglicht. Trotz Verände­rungen hinsichtlich der Wortwahl und des Satzbaus und das Verschieben, Löschen und Tau­schen von Passagen, verliert die äußere Gestalt des Textes nicht an Klarheit (vgl. Wilde 2007: 387).

Wiederholtes Lesen, Löschen, Ändern, Ergänzen, Umstellen von Wörtern und Text­passagen ist sowohl am Bildschirm als auch über handschriftliche Ergänzungen und Korrekturen am Ausdruck von Entwurffassungen jederzeit möglich (ebd.).

Eine weitere Möglichkeit der Überarbeitung bietet die Kommentarfunktion sowohl am Com­puter als auch auf dem Tablet. Dadurch wird es der Lehrkraft oder dem Mitschüler ermög­licht, eine Anmerkung zu einem Wort, einem Satz oder zum Inhalt aufzuschreiben. Diese Anmerkung wird farblich markiert, so dass der Schreiber nachvollziehen kann, auf welche Passage sich der Kommentar bezieht. Nach Belieben kann der Schreiber die Anmerkungen berücksichtigen, ignorieren, löschen oder beibehalten (vgl. ebd.).

Weiterhin ist es wichtig zu erwähnen, dass beim Schreiben mit der Hand sowohl motorische als auch kognitive Fertigkeiten eine zentrale Rolle spielen. Beim Handschreiben werden u.a. Netzwerke im Gehirn aktiviert, die für das weitere Lernen förderlich sind. Angesichts der bereits erläuterten notwendigen Feinmotorik beim Schreiben mit der Hand prägen sich die Buchstabenformen durch das unterschiedliche Bewegungsempfinden nachhaltiger im Ge­dächtnis ein als beim motorisch monotonen Tippen auf der Tastatur (vgl. Bulut 2019: 10). Demzufolge können bei der Handschrift Informationen besser verarbeitet und behalten wer­den. Studien von Mueller und Oppenheimer beweisen, dass es einen Zusammenhang zwi­schen einer besseren Gedächtnisleistung und der Handschrift gibt. Grund dafür sind die lang­sameren Handbewegungen, die den Schreibenden dazu zwingen, Informationen stärker aus­zuwählen (vgl. Bulut 2019: 4). In einer weiteren Studie von Feng, Linder, Ji und Joshi wurde ebenfalls festgestellt, dass überwiegend schwache Handschreiberinnen und Handschreiber vom Schreiben durch das Benutzen eines Textverarbeitungsprogrammes auf digitalen Medien profitieren (vgl. Bulut 2019: 5). Diese haben sowohl eine bessere Schreibleistung als auch längere Texte zur Folge. Grund dafür ist die Entlastung des Arbeitsgedächtnisses beim Tippen auf einer Tastatur, welches eine vorübergehende Speicherung und Verarbeitung von Informa­tionen ermöglicht. Neben dem Tippen auf der Tastatur gibt es sogenannte schriftbasierte Tab­let-Computer. Diese tasten die Position der Spitze eines Stifts auf elektromagnetischem Wege ab (vgl. Lobin 2014: 127). Es wird dabei mit einem Stift geschrieben, welcher keine Tinte oder Ähnliches beinhaltet. Dieser Stift ist technisch beispielsweise mit dem iPad verbunden und überträgt die elektromagnetischen Wege des Stiftes auf ein Dokument auf dem iPad. So­mit wird den Schülerinnen und Schülern ebenso das handschriftliche Schreiben auf den digi­talen Geräten ermöglicht (vgl. ebd.).

Wie in diesem Kapitel beschrieben, unterscheidet sich zusammenfassend der Überarbeitungs­prozess von analogen zu digitalen Texten. Da der Prozess des Überarbeitens einen elementa­ren Aspekt der durchgeführten Untersuchung darstellt, wird in dem nun anschließenden Kapi­tel auf den Subprozess näher eingegangen und anhand eines anschaulichen Textproduktions­modells erläutert.

[...]

Ende der Leseprobe aus 95 Seiten

Details

Titel
Textüberarbeitungsleistung. Analoge und digitale Lernergruppen im Vergleich
Untertitel
Digitales Schreiben im Deutschunterricht
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Note
1,7
Autor
Jahr
2020
Seiten
95
Katalognummer
V912369
ISBN (eBook)
9783346227744
ISBN (Buch)
9783346227751
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Im Anhang befindet sich die verwendete Unterrichtsreihe mit Materialien (Die Bildergeschichte wurde aus urheberrechtlichen Gründen entfernt, sie lässt sich anhand der Quelle nachvollziehen). Ebenso befinden sich dort SchülerInnen-Ergebnisse der Untersuchung.
Schlagworte
Digitalisierung, Deutschunterricht, Tablet, iPad, Überarbeiten, Überarbeitung, digitale Medien, Texte überarbeiten, digitales Schreiben
Arbeit zitieren
Lena Vilgis (Autor:in), 2020, Textüberarbeitungsleistung. Analoge und digitale Lernergruppen im Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/912369

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