Analyse der Darstellung akustischer Sinneswahrnehmungen im Kriegsfilm


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

26 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Kriegsfilm als „sinnliches Erlebnis“
2.1 Bedeutung der Sinneswahrnehmungen im Krieg
2.2 Klangliche Eigenheiten des Krieges

3. Die Bedeutung des Gehörsinns
3.1 Auf der Seite der Protagonisten
3.2 Auf der Seite der Zuschauer

4. Schlusswort

Verzeichnis der besprochenen Filme

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Protagonisten des Kriegsfilms treten am Gefechtsschauplatz in eine Welt ein, die sich von ihren Alltagserfahrungen und denen des Publikums gravierend unterscheidet. Oftmals müssen sich die Soldaten in einem unbekannten Terrain zurecht finden, denn Kriegsschauplätze sind meist ferne, teils exotische Länder. Bei der Charakterisierung des dortigen Geschehens kommt dem Ton eine besondere Bedeutung zu. Einerseits sind die Soldaten von einer unbekannten hintergründigen Lautsphäre umgeben, andererseits dominieren im Krieg auch vordergründig fremde Geräusche und Töne. Auf sprachlicher Ebene markant ist das Militärjargon der meist ausschließlich männlichen Stimmen. Hinzu kommen die Klänge verschiedenartiger Waffen und Signale, die für das Überleben von großer Bedeutung sein können. Zudem wird der Protagonist oft anderer, vertrauter Sinne beraubt: Viele Gefechte finden bei Nacht statt, so dass das Gehör oft die einzige Orientierungsmöglichkeit bietet.

Meist wird die Tonspur eines Films genutzt, um die Erlebnisse der Hauptfiguren zu subjektivieren und ein für den Zuschauer möglichst „realistisches“ Erlebnis zu erschaffen. Gegenstand dieser Arbeit soll die Erforschung der Darstellung subjektiver Wahrnehmungen der Protagonisten und ihrer Wirkung auf den Zuschauer sein; die Bedeutung der in wissenschaftlichen Untersuchungen häufig nicht näher betrachteten akustischen Ebene wird hierbei besonders beachtet. Für diese filmische Analyse eignen sich hauptsächlich Werke, die das Schicksal einzelner Figuren in den Vordergrund rücken und somit die Identifikation des Zuschauers auf eine Hauptfigur fokussieren. Aus diesem Grund finden – besonders im letzten analytischen Teil der Arbeit – die Filme Saving Private Ryan (Der Soldat James Ryan) und Idi i Smotri (Geh und Sieh) eine besondere Beachtung. Saving Private Ryan wurde von Kriegsveteranen sowie der Filmindustrie für sein hohes Maß an Realismus gelobt und mit mehreren Oscars, u. a. für den besten Ton, ausgezeichnet. Idi i Smotri zeigt das Kriegsgeschehen aus der Sicht eines jungen russischen Partisanen und arbeitet mit zahlreichen Mitteln der Subjektivierung des Erlebten. Weiterhin werden auch andere für ihr besonderes Sounddesign bekannte Filme, wie z. B. Apocalypse Now, für die Untersuchung herangezogen.

Eine unentbehrliche Grundlage für die Analyse der Tonebene bilden die Schriften des Filmwissenschaftlers Gianluca Sergi und von Michel Chion. Um die intendierte Wirkung von Klangeffekten zu untersuchen, werden zudem Lehrbücher der Klanggestaltung sowie Interviews mit Sounddesignern und Filmemachern herangezogen. Für die genauere Filmanalyse bieten Zuschauerberichte, Kritiken und wissenschaftliche Analysen aus zahlreichen weiteren Publikationen wertvolle Ansätze.

Beim Lesen dieser Arbeit ist zu beachten, dass besonders in englischsprachigen Zitaten mit „Soundtrack“ die komplette Tonspur des Films bezeichnet wird, und nicht, wie oft im Deutschen, die Filmmusik. Außerhalb der innerfilmischen Ereignisse gespielte Musik wird deshalb „Score“ genannt.

2. Kriegsfilm als „sinnliches Erlebnis“

2.1 Bedeutung der Sinneswahrnehmungen im Krieg

Kriegsereignisse versetzen die Protagonisten eines Films immer wieder in die Lage, sich auf ihre Wahrnehmung verlassen zu müssen. Teilweise werden sie gezwungen, urzeitlichen Instinkten zu vertrauen, Geräusche bekommen dabei die Funktion als „Auslösefaktoren für Orientierungsreflexe“.[1] Bei moderner Kriegsführung wird durch technische Geräte wie Zielvorrichtungen, Ferngläser oder Radar die visuelle Wahrnehmung geschärft, für einzelne Bereiche gibt es Spezialisten. Scharfschützen oder Platoonführer haben sich auf bestimmte Sinne und Abläufe spezialisiert, um ihre Aufgaben mit größtmöglicher Präzision durchführen zu können.

Jeder Soldat befindet sich in einer menschlichen Ausnahmesituation, die zugleich Stress verursacht und konzentriertes Handeln erfordert. Oftmals werden die Protagonisten in eine exotische und ihnen unbekannte Welt entsendet, beispielsweise in Vietnamkriegsfilmen. Die Soldaten sind hier einer als „feindlich“ wahrgenommenen Umwelt ausgesetzt, die sich durch hohe Temperaturunterschiede, fremde Gerüche und eine Vielzahl unbekannter Geräusche offenbart. Hinzu kommt die permanente Bedrohung durch den Feind, vor dem sich die Protagonisten in Acht nehmen müssen.

Fehler in der eigenen Wahrnehmung können den Tod oder lebensgefährliche Verletzungen nach sich ziehen. Die Welt des Krieges fordert somit die Wahrnehmungsgabe heraus, kann aber zugleich einzelne Sinne durch körperliche Verletzungen komplett eliminieren. Der Schaden am menschlichen Körper, bzw. der Verlust von Organen und Extremitäten wird in nahezu jedem Kriegsfilm thematisiert. Grund hierfür sind sowohl die realistische Darstellung des gefährlichen Kriegsalltags als auch die Nachvollziehbarkeit des Verlustes für den Zuschauer. Nach dem physischen Schmerz durch Verletzungen und Operationen folgt der psychische Schmerz über die Erkenntnis der eigenen Verkrüppelung und der zukünftigen Unfähigkeit, vielen alltäglichen Dingen des zivilen Lebens nachzugehen. In extremer Form stellt dies der Film Johnny got his Gun (Johnny zieht in den Krieg) dar. GI Johnny findet sich in einem Krankenhaus wieder, sein Gesicht ist abgedeckt, er ist taub und stumm. Allein über seinen Tastsinn, also auch durch Vibrationen von Geräuschquellen, kann er nunmehr seine Umwelt wahrnehmen. Mit wachsender Verzweiflung muss er feststellen, dass sowohl seine Arme und Beine als auch das gesamte Gesicht zerstört wurden. Der Film erzählt meist in Form eines Voiceovers Johnnys Gedanken und zeigt seine Träume. Der Krieg hat aus ihm ein lebendes Stück Fleisch gemacht.

Doch auch der Verlust eines einzigen Sinnes kann Figuren ins Verderben führen. In All Quiet on the Western Front (Im Westen nichts Neues) verliert das erste Todesopfer, Behn, zunächst das Augenlicht. Während einem Panikanfall läuft Behn, seinen Verlust beklagend, schreiend über das Schlachtfeld und wird erschossen. Geräusche sind in All Quiet on the Western Front eine entscheidende Wahrnehmungskomponente. So werden die jungen Rekruten am Kriegsschauplatz als Erstes von einem älteren Offizier darin geschult, die Entfernung von Geräuschquellen abzuschätzen. Während des ersten Bombenhagels ducken sich alle Rekruten schutzsuchend auf dem Boden, während der ältere Soldat überrascht stehen bleibt. Die Geräusche der Geschosse haben ihm verraten, dass er sich in sicherer Distanz befindet. In Saving Private Ryan wird diese Regel hingegen ad absurdum geführt. Wir sehen das Platoon im Vordergrund ziehen, während im Hintergrund, Kilometer entfernt, Explosionen aufleuchten. Da sich Schallwellen langsamer als das Licht fortbewegen, sollte das Geräusch physikalisch korrekt mit einer Verzögerung ankommen. Um dem Publikum eine unmittelbarere Wirkung zu vermitteln und die im Kino gewohnte Kongruenz visueller und akustischer Effekte zu belassen, wird die Realität modifiziert. Der visuelle Effekt ereignet sich gleichzeitig mit den Explosionsgeräuschen. Michel Chion bezeichnet die gewohnte Gleichzeitigkeit visueller und akustischer Effekte als „Synchresis“ – eine Verbindung der Wörter „synchronism“ und „synthesis“.[2] Im Kopf des Zuschauers werden Bild und Ton zu einer logischen Einheit zusammengefügt.

Auch wenn im Krieg die Schulung des Gehörs von erheblicher Bedeutung ist, so stellen die Kriegsgeräusche ebenso eine Belastung dar – die Ohren lassen sich nicht schließen. Immer wieder zeigen die jungen Rekruten in All Quiet on the Western Front, dass die permanente Geräuschkulisse der Bedrohung von Bombenhagel und Granatgeräuschen an ihrer Psyche zehrt: „I don’t mind the days so much – it’s keeping up all night!“[3]

Das Kino ist in seinen Möglichkeiten der Darstellung begrenzt, so dass dem Zuschauer primär nur visuelle und akustische Reize vermittelt werden können. Die Befremdlichkeit einer neuen Umgebung, Gefahren und Signale werden auf der Bild- und Tonebene inszeniert. Bemerkenswert ist dabei die Vielfalt der Geräusche selbst, sowie der Aufwand, mit dem diese produziert werden. Während eine einzige Bildebene gezeigt wird, werden auf zahlreichen Tonspuren unsichtbare, sich überlagernde Schnitte vorgenommen. Michel Chion vergleicht den Bild- mit dem Tonschnitt: „Imagine a film resulting from mixing three layers of images and superimposition: only with great difficulty could one locate cuts.“[4] Durch den unsichtbaren Tonschnitt entstehen eine Atmo und Geräuschübergänge, die trotz permanenter Veränderung als konstant wahrgenommen werden. Da der Soundtrack des Films meist nicht bewusst rezipiert werden soll, wird dieser in Kritiken und wissenschaftlichen Analysen oft nicht beachtet oder dem Bild untergeordnet. Gianluca Sergi wertet dies als Missstand, den es zu beheben gelte.

I recall a colleague who, in the question-and-answer session after his paper at a conference on Hollywood cinema, confidently stated that images are more complex than sounds. This is a central issue because, once again, it is a matter of intellectual attitude: if you believe that the image is creatively the more important force within a movie, indeed, that it possesses greater expressive powers, you are mostly likely to approach sound in a negative fashion.[5]

Michel Chion beklagt in seinem Buch „Audio-Vision“ die geringe Beachtung des Filmtons durch die Filmemacher selbst: „The Sleeping Beauty of talking cinema forever awaits her prince, her new Eisenstein or Griffith.“[6] Um dem entgegenzuwirken, zeigt Chion eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten des Filmtons auf und entwickelt ein umfangreiches Vokabular, um diesen zu beschreiben. Allerdings ist seine Einschätzung der Filmemacher in dem gegebenen Beispiel sehr streng. Besonders in den vorliegenden Filmbeispielen dieser Arbeit zeigt sich oft eine große Sorgfalt in der Tongestaltung. Im Folgenden soll anhand des Sounddesigns von Kriegsfilmen die Bedeutung des Tons im Speziellen untersucht werden.

2.2 Klangliche Eigenheiten des Krieges

Wie bereits erwähnt, tauchen die Protagonisten des Kriegsfilms in eine fremde und andersartige Lautsphäre ein. Doch auch in vertrauteren Umgebungen zeichnet sich durch den Krieg für die Soldaten eine ungewohnte Klangwelt ab. Besonders deutlich wird der Unterschied der Klangsphären in Saving Private Ryan dargestellt. Während nach der Landung in der Normandie Stille über dem Schlachtfeld liegt und nur Wasser zu hören ist, das die Leichen umspült, herrscht auf der anschließend gezeigten Farm von James Ryan eine ganz andere Tonlandschaft. Man hört Vögel singen, Hunde bellen und ist von heimatlichen, vertrauten Klängen umgeben. Gleichermaßen kommt in beiden Szenen ein kontrastierender Score zum Einsatz. Nach der Schlacht spielt eine schwere, traurige, aber auch patriotische Musik, während zur Exposition der Farm eine helle, ländlich-bäuerliche Melodie erklingt. Komplettiert wird dieser Kontrast durch die Bildgestaltung in der sich das farblos-graue Schlachtfeld und die goldenen Getreidefelder gegenüberstehen.

Doch auch abseits der Atmo und des Scores finden sich auf der Tonebene signifikante Unterschiede zwischen Heimat und Front. Ein auffälliges Element ist der Slang der Soldaten. Der Kriegsschauplatz benötigt Fachvokabular, mit dem Manöver, Ausrüstungsgegenstände, usw. bezeichnet werden können. Zudem entwickeln die Soldaten in ihrer abgeschlossenen Welt oft saloppe Umgangs- und Ausdrucksformen, häufig mit selbstreferentiellem Charakter. In Saving Private Ryan „‚everything about combat is fubar.’ (‚Fucked up beyond all recognition’ is another variation of ‚snafu’ – ‚situation normal, all fucked up.’)“[7] Um eine niedrige Altersfreigabe zu erzielen, kommen kodierte Ausdrücke wie „snafu“ der amerikanischen Filmindustrie zugute. Im ohnehin als „R“ eingestuften Saving Private Ryan wird „fubar“ als Running Gag genutzt, um einen unerfahrenen Corporal zu verwirren und gleichzeitig eine Referenz zu anderen Kriegsfilmen zu setzen.

Besonders im amerikanischen Kriegsfilm kommen in einem Platoon viele sprachliche Akzente und Dialekte zusammen, die Protagonisten entstammen unterschiedlichen Milieus und Regionen. Albert Auster beschreibt das Platoon in Saving Private Ryan in all seiner Vielfalt:

[...]


[1] Mikunda 2002, 184.

[2] Siehe Chion 1994, 63.

[3] Paul (Lew Ayres) in All Quiet on the Western Front, 00:34:30.

[4] Chion 1994, 41.

[5] Sergi 2004, 43f.

[6] Chion 1994, 141.

[7] Basinger 2003, 258.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Analyse der Darstellung akustischer Sinneswahrnehmungen im Kriegsfilm
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Filmwissenschaft / Mediendramaturgie)
Veranstaltung
Kriegsfilm
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
26
Katalognummer
V91297
ISBN (eBook)
9783638040907
ISBN (Buch)
9783638937191
Dateigröße
522 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Analyse, Darstellung, Sinneswahrnehmungen, Kriegsfilm
Arbeit zitieren
Julius Pöhnert (Autor:in), 2008, Analyse der Darstellung akustischer Sinneswahrnehmungen im Kriegsfilm, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91297

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