Seit 1815 garantierten die fünf Großmächte das europäische Gleichgewicht. Die Wiener Ordnung sah vor, dass der neutrale Deutsche Bund in der Mitte als Puffer die Ausgewogenheit des Systems
sichern sollte. Das restaurative Konzept Metternichs konnte den großen Konflikt zwar verzögern, auf Dauer verhindern ließ er sich jedoch nicht. Seit 1848 war das Europäische Konzert angeschlagen, nach dem Krimkrieg zerstört. Das Jahr 1856 bildet insofern eine Zäsur im Prozess der Wandlung des europäischen Staatensystems, als nach diesem Jahr die Pentarchie, die den Status quo in Europa seit dem Wiener Kongress garantiert hatte, nicht mehr zusammentrat.
Die Neuordnung Mitteleuropas durch die Kriege von 1866 und 1871 vollzog sich folglich nicht mehr unter der Garantie des Konzerts der Mächte. Der Bestand der mit dem Jahr 1871 vorläufig
abgeschlossenen Veränderungen hing nun von Wohlwollen, Missgunst, Gleichgültigkeit oder Machtlosigkeit der davon indirekt betroffenen Mächte – sprich: Russland, Österreich-Ungarn und Großbritannien - ab. [...]Die Entwicklung der Krieg-in-Sicht-Krise gründete auf dem Axiom der unsicheren Friedenslage, es steckten jedoch weit tiefgehendere Absichten und Verflechtungen dahinter, deren Erörterung
jedoch nur aus den Bedingungen heraus möglich ist, aus denen die Krise entstand. Diese Arbeit ist folglich ein Versuch, die Entstehung der Krieg-in-Sicht-Krise aus der europäischen Situation
im Gefolge des Krieges von 1871 nachzuvollziehen, ihre Ereignisse anschaulich darzustellen und auf ihre weitreichenden Folgen für die europäische Politik hinzuweisen. Das Hauptaugenmerk
soll dabei stets auf die deutsch-französischen Beziehungen gerichtet sein, wenngleich es für das Verständnis notwendig ist, auch Ereignisse und Vorgänge in Betracht zu nehmen, die außerhalb
des Fokus liegen.
Inhaltsverzeichnis
- Die Bedingungen der Krise oder: Die Politik der Mutmaßungen
- Die Lage nach 1871: Deutsches Reich - Frankreich
- Die Wiederherstellung Frankreichs
- Bismarcks Drohpolitik
- Ist der Krieg in Sicht? La guerre, est-elle en vue ?
- Außenpolitische Offensiven Bismarcks
- Auslöser der Krise
- Vom Krieg-in-Sicht-Artikel zur politisch, philosophisch und christlich begründeten Präventivkriegsdrohung
- Peripetie: die Intervention Englands und Russlands
- Die Nachwirkungen und die Überwindung der Krise
- Neue Wege, neue Ziele
- Deutsch-französische Freundschaft?
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Entstehung der Krieg-in-Sicht-Krise im Jahr 1875. Sie untersucht die politischen und militärischen Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich, die zu diesem Konflikt führten. Der Schwerpunkt liegt auf der Analyse der deutschen und französischen Außenpolitik in dieser Zeit, insbesondere auf Bismarcks Drohpolitik und den Reaktionen Frankreichs auf die deutsche Machtpolitik.
- Die Rolle Bismarcks in der europäischen Politik nach 1871
- Die Revanchegedanken in Frankreich nach dem verlorenen Krieg von 1870/71
- Die Krieg-in-Sicht-Krise als Höhepunkt der deutsch-französischen Spannungen
- Die Rolle der Großmächte Großbritannien und Russland in der Krise
- Die Folgen der Krise für die europäischen Machtverhältnisse
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel behandelt die Bedingungen der Krise, indem es die Lage der beiden deutschen und französischen Staaten nach dem Krieg von 1871 beschreibt. Es geht um die Konsolidierung der neu entstandenen Staaten sowie die jeweiligen Befürchtungen, die beide Seiten hatten. Das Kapitel beschreibt Bismarcks vorsichtige Integration des Deutschen Reiches in die europäische Politik und die Rolle des Reichslandes Elsass-Lothringen als "Einigungsmotiv". Das zweite Kapitel untersucht die Frage, ob ein Krieg zwischen Deutschland und Frankreich tatsächlich in Sicht war. Es beleuchtet Bismarcks außenpolitische Offensiven und den Auslöser der Krise. Das Kapitel beschreibt auch, wie aus dem "Krieg-in-Sicht"-Artikel eine politisch, philosophisch und christlich begründeten Präventivkriegsdrohung wurde und wie die Intervention Englands und Russlands die Krise beeinflussten.
Schlüsselwörter
Die Krieg-in-Sicht-Krise, Deutsch-französische Beziehungen, Bismarcks Politik, Revanchegedanken, Elsass-Lothringen, Europäische Politik, Großmächte, Sicherheitsinteressen, Machtpolitik, Annexion, Drohpolitik.
- Arbeit zitieren
- Andreas Mikutta (Autor:in), 2001, Die Krieg-in-Sicht-Krise 1875, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9132