Die Alternative für Deutschland (AfD). Zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus


Hausarbeit, 2018

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die AfD - Entstehung und Entwicklung einer RechtsauBen-Partei

3. Theoretische Grundlagen
3.1. Rechtspopulismus - Definitionen und zentrale Merkmale
3.2. Rechtsextremismus - Definitionen und zentrale Merkmale

4. Analyse
4.1. Das Grundsatzprogramm der AfD
4.2. Öffentliche AuBerungen von AfD Politiker*innen

5. Fazit der Analyse

6. AbschlieBende Bemerkung

7. Literatur

1. Einleitung

„Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen“ (zit. n. Spiegel 2017) - mit diesen Worten kommentierte Alexander Gauland das Ergebnis der Bundestagswahl 2017 und gab damit einen Vorgeschmack darauf, was in den folgenden parlamentarischen Debatten zu er- warten ist. Mit der AfD zieht 2017 erstmals eine Partei in den deutschen Bundestag ein, die sich rechts der Unionsparteien positioniert und nimmt damit dem Credo Franz Josef StrauB seine Gültigkeit, demzufolge rechts der CSU keine demokratisch-legitimierte Partei existieren dürfe. Es hat sich nun eine rechtskonservative Kraft etabliert, deren hohe Stimmenanteile in Landtagswahlen und zuletzt bei der Bundestagswahl den Anschein geben, dass es sich hierbei nicht nur um ein vorübergehendes Phanomen handelt.

Es ist keine neue Erkenntnis, dass rechtspopulistische Einstellungen in unserer Gesell­schaft verwurzelt sind, so wird auch 2016 in der FES-Mittestudie 40% der Bevölkerung eine Tendenz zu solchen Einstellungsmustern nachgewiesen (Zick et al.: 118, 141). Aber auch wenn diese im Vergleich zu vergangen Jahren nicht starker geworden sind, sind sie heute doch in der politischen Öffentlichkeit lauter und sichtbarer (ebd.: 119). Dabei sind rechtsext- reme und rechtspopulistische Einstellungen sehr eng miteinander verknüpft bzw. sogar ver- woben (ebd.: 141f). Auf der politischen Bühne wie auch in gesellschaftlichen Debatten wird deutlich, wie schwierig es ist mit der AfD, als dem neuen Sprachrohr für eben diese Einstel- lungsmuster, umzugehen. Wahrend sich die AfD selbst als Partei der Mitte ausgibt und gegen den Vorwurf des Rechtsextremismus wehrt, ist unter Politikwissenschaftler*innen die Deu- tungshoheit über die Partei umstritten. Wurde die AfD aufgrund ihrer Programmatik zur Bun- destagswahl 2013 sowie zur Europawahl 2014 von einigen noch nicht einmal als eindeutig rechtspopulistisch eingestuft1, sondern eine rechtspopulistische Einordnung eher als Frage in den Raum gestellt (Lewandowsky 2015: 119), steht dies mittlerweile nicht mehr zur Diskus- sion. Vielmehr hat sich der Blick darauf geöffnet, ob die AfD - vor dem Hintergrund ihrer Offenheit gegenüber rechten Gruppierungen wie der „Identitaren Bewegung“ oder der „Jun- gen Freiheit“ - bereits als rechtsextrem einzustufen ist (Schardel 2017: 80).

Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, die Partei innerhalb der beiden Pole rechtspopulistisch und rechtsextrem zu verorten. Zunachst findet ein kurzer Abriss über die Entstehung und Entwicklung der Partei „Alternative für Deutschland“ statt, der die spatere Einordnung ihrer aktuellen Ausrichtung erleichtert. Um die AfD als rechtspopulistisch oder rechtsextrem klassifizieren zu können, folgt anschlieBend ein theoretischer Überblick über Definitionen und Charakteristika der beiden Phanomene. In der Analyse selbst fokussiere ich nicht auf die Wahler*innen-Struktur der Partei oder ihre Ver- bindungen zur rechtsextremen Szene in Deutschland, welche sicherlich auch Anhaltspunkte für eine Einordnung darstellen könnten, sondern beziehe mich auf schriftliches Material, das die inhaltliche Ausrichtung der Partei widerspiegelt. Als zuverlassigste Quelle in dieser Hin- sicht erachte ich das 2016 veröffentlichte Grundsatzprogramm der AfD, in dem zum ersten Mal ausführlich die ideologische Positionierung der Partei zu verschiedenen Gesichtspunkten dargelegt wurde. Als Analysemethode greife ich dabei auf die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) zurück, indem ich das Programm im Hinblick auf festgelegte Kategorien des Rechtspopulismus und Rechtsextremismus durchgehe, die zuvor aus der Theorie herausgear- beitet wurden. Die Fragestellung, ob die Partei bereits als rechtsextrem eingestuft werden kann/muss, ergibt sich aus meiner Beobachtung vermehrt auftretender skandaltrachtiger Au- Berungen wichtiger Parteimitglieder. Da sich solche Ansichten kaum in dieser Intensitat im Grundsatzprogramm finden lassen, ziehe ich auBerdem eine Analyse einiger öffentlicher Au- Berungen hinzu und hoffe, so einen umfassenderen Blick auf Positionierungen wichtiger Ak- teur*innen der Partei zu erlangen. Da die AfD eine sehr junge Partei ist, deren Ausrichtung sich in den letzten Jahren immer wieder stark gewandelt hat, sind zu dieser Frage bisher nur wenige aussagekraftige Analysen entstanden, was sich jedoch mit der gestiegenen Relevanz der Partei durch ihre Vertretung im Bundestag sicher in Kürze andern wird. Bislang gelingt es der Partei besonders durch provokante Tabubrüche immer wieder in die Schlagzeilen zu kommen und es drangt sich die Frage auf, ob nicht das Radikale anstelle des GemaBigten das wahre Gesicht der AfD ist. Eine mögliche Antwort versuche ich in der folgenden Analyse herauszuarbeiten.

2. Die AfD - Entstehung und Entwicklung einer RechtsauBen-Partei

Rechtspopulistische Parteien schienen in Deutschland lange nicht FuB fassen zu können, ihre Erfolge blieben auf die kommunale Ebene oder Landtagswahlen beschrankt (Poier et al. 2017: 120). Vor dem Hintergrund steigender Popularitat des Rechtspopulismus in anderen europai- schen Landern waren jedoch einige Wissenschaftler*innen bereits langer der Meinung, es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis sich eine solche Partei auch in Deutschland dauerhaft etab- liere (Hauss 2013: 119). Mit der Gründung der AfD 2013 scheint dieser Fall eingetreten zu sein.

Unter der Führung von Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke verfolgte die Partei anfangs hauptsachlich eine europa- und euroskeptische Politik, die sich rechts der Unionsparteien ver- orten lieB (Funke 2016; 73; Alemann 2017: 64). Nach dem Scheitern an der 5% - Hürde bei der Bundestagswahl 2013, erzielte die Partei erste spektakulare Erfolge bei der Europawahl 2014 sowie bei darauf folgenden Landtagswahlen (Alemann 2017: 64). Die politischen Um- stande der Euro-Rettungspolitik rund um die Finanz- und Eurokrise verschaffte der „One- Issue-Partei“ in ihrer Anfangsphase Rückenwind (Poier et al. 2017: 121). Die AfD forderte einen Austritt aus dem Euro, die Abschaffung der Schulden- und Haftungsgemeinschaft und eine Rückverlagerung von Entscheidungskompetenzen auf die Nationalstaaten (Rosenfelder 2017: 125).

Fünf Jahre spater hat die Partei inhaltlich und personell einen starken Wandel durch- laufen. Ausschlaggebend dafür scheint die Eskalation eines Richtungsstreits in der Führungs- riege gewesen zu sein, die am Essener Parteitag 2015 in der Abwahl Luckes und damit in ei- ner Spaltung der Partei kulminierte. Mit Bernd Lucke verlieBen mehr als 2000 Anha- nger*innen des wirtschaftsliberalen Lagers die Partei und der nationalkonservative Flügel um Frauke Petry übernahm die Führung (Rosenfelder 2017: 124). MaBgeblich beteiligt an der folgenden Neuausrichtung war die völkische „Patriotische Plattform“ und die Initiatoren der Erfurter Resolution (Höcke, Poggenburg, Tillschneider), die sich spater in der Gruppe „Der Flügel“ organisierten und bis heute die politische Linie der Partei entscheidend beeinflussen (Funke 2016: 73f). Die im Marz 2015 veröffentlichte Erfurter Resolution bemühte sich da- rum, die völkisch-deutschnationale Ausrichtung der AfD zu starken und kritisierte ihre wirt- schaftsliberale Orientierung unter Lucke sowie eine angebliche Anpassung an die etablierte Politik (Funke 2016: 74). Zu den Erstunterzeichner*innen gehörten die Landes- bzw. Frakti- onsvorsitzenden Höcke, Poggenburg und Gauland (ebd.: 75). „Der Flügel“ führte diese Ideen weiter und strebte gemeinsam mit der „Patriotischen Plattform“ einen Schulterschluss mit Pegida2 an (ebd.: 78). Die „Patriotische Plattform“ ist eine parteiinterne Strömung des völ- kisch-nationalistischen RechtsauBenflügels, im Dezember 2014 gegründet, und wird von Hans-Thomas Tillschneider geleitet (Funke 2016: 76). Die in diesem Zug bedeutsam werden- den neuen Themenfelder der AfD umfassen neben einer Forderung von mehr direkter Demo­kratie und der Starkung des Nationalstaats, eine Fokussierung auf den Wert der traditionellen Familie in der Gesellschaft, die Starkung der inneren Sicherheit, eine Starkung deutscher Kul- tur sowie ganz zentral: Zuwanderungsbegrenzung und Islamkritik (Poier et al. 2017: 121). Mit der sogenannten ,Flüchtlingskrise‘ im Sommer 2015 gewann die AfD in der Bevölkerung groBe Beliebtheit und etablierte sich als islamkritische Anti-Einwanderungspartei - die euro- paskeptische Ausrichtung rückte in den Hintergrund (Alemann 2017: 65; Rosenfelder 2017: 124). Einen weiteren Durchbruch stellten die Landtagswahlen im Frühjahr 2016 dar, bei de­nen die AfD in Baden-Württemberg (15,1%), Rheinland-Pfalz (12,6%) und Sachsen-Anhalt (24,3%) groBe Wahlerfolge erzielte (Rosenfelder 2017: 124). Mit dem am fünften Bundespar- teitag im Mai 2016 veröffentlichten Grundsatzprogramm prasentierte die Partei erstmals um- fassende Positionen, welche in dieser Arbeit analysiert werden sollen. Seit November 2017 ist die AfD in 14 Landesparlamenten vertreten und wurde bei der Bundestagswahl 2017 mit 12,6% der Zweitstimmen drittstarkste Kraft.

3. Theoretische Grundlagen

3.1. Rechtspopulismus - Definitionen und zentrale Merkmale

Wer den Versuch unternimmt den Begriff des Rechtspopulismus zu definieren, zu operationa- lisieren oder zu typologisieren, könnte auch gleich ,einen Pudding an die Wand nageln‘. Die- ser Meinung sind viele Wissenschaftler*innen, die sich bisher mit Populismus befasst haben und doch wurden immer wieder Definitionsansatze formuliert. Einer der Altesten stammt von Edward A. Shils (1956), einem US-amerikanischen Soziologen, der zwei Kriterien identifi- ziert: den Primat des Volkswillens und die direkte Beziehung zwischen Volk und Führung (vgl. Priester 2011: 185). Unter dem Titel „to define populism“ fand 1967 in London eine Konferenz statt, die sich auf folgende, sehr am Agrarpopulismus des 19. Jahrhunderts orien- tierte Definition, einigte:

„Populist movements are movements aimed at power for the benefit of the people as a whole which result from the reaction of those, usually intellectuals, alienated from the ex­isting power structure, to the stresses of rapid economic, social, cultural or political change. These movements are characterized by a belief in a return to, or adaptation of, more simple and traditional forms and values emanating from the people, particularly the more archaic sections of the people who are taken to be the repository of virtue” (To define 1968: 179, zit. n. Priester 2011: 185).

Abgesehen von der Bezugnahme auf die archaischen Sektoren des Volkes, scheinen die auf- geführten Merkmalsbestimmungen auch heute noch gültig. Trotzdem halt Karin Priester (2011: 196), eine der wichtigsten Forscherinnen in diesem Bereich (Müller 2016: 33), den Versuch Populismus zu definieren für aussichtslos. Denn ein einheitliches populistisches Phanomen existiere nicht, vielmehr handle es sich um vielfaltige Erscheinungsformen (Müller 2016: 25), deren Gestalt kontextabhangig variiere und die unterschiedliche Positionen ein- nehmen könne (Lewandowsky 2017: 4). Um dieser Problematik Rechnung zu tragen, fokus- sierten sich nachfolgende Politikwissenschaftler*innen wie Margarete Canovan (1981) oder Cas Mudde (2000) darauf, den Populismus zu Typologisieren bzw. idealtypische Züge rechtspopulistischer Gruppierungen zu definieren (Priester 2011: 186-188). Mudde zufolge sei die besondere Eigenschaft des rechten Populismus seine als Nativismus bezeichnete Ori- entierung, worunter das Postulat von Vorrechten der autochthonen Bevölkerung gegenüber den vermeintlich ,Fremden‘ zu verstehen ist (vgl. Lewandowsky 2017: 6). Relevant wurde die Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus für europaische Politikwissenschaftler*innen ins- besondere seit den 1980er Jahren, als rechtspopulistische Parteien in europaischen Demokra- tien Einzug hielten und die Parteiensysteme nachhaltig veranderten (Decker 2015: o.S.). Mit dem Front National (Frankreich), der FPÖ (Österreich), dem Vlaams Block (Belgien) und der Liga Nord (Italien) entstand der heutige Kern des europaischen Rechtspopulismus (Decker und Lewandowsky 2017: o.S.). Dabei kann Populismus jedoch nicht auf einen politischen Stil verkürzt werden, sondern tritt als (,dünne‘) Ideologie, als Strategie des Machterwerbs oder als Diskurspraxis auf (Priester 2011: 185).

Kernkonzepte des Rechtspopulismus sind anti-elitare und anti-pluralistische Haltun- gen sowie der Rekurs auf das Volk (Jaschke 2015: o.S.; Müller 2016: 26). Populist*innen konstruieren das Volk als eine homogene Interessensgemeinschaft, dessen bedrohter Volks- wille verteidigt werden muss. Dabei grenzen sie das Volk anhand antagonistischer morali- scher Zuschreibungen von der politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Elite des Landes ab. Im Rahmen dieser Dichotomie werden dem Volk tugendhafte Eigenschaften und moralische Reinheit zugeschrieben, wahrend das politische Establishment von Eigeninteresse, Korruption und Inkompetenz gepragt sei (Lewandowsky 2017: 5). Kritik an Eliten gilt als notwendiges, aber nicht als hinreichendes Kriterium für den Populismus. Der essentielle As- pekt ist der Anspruch, einzig und allein das wahre Volk zu reprasentieren (Müller 2016: 25). Damit geht mit der Abgrenzung gegenüber dem Establishment eine Abgrenzung gegenüber dem Fremden, bzw. gegenüber vermeintlich parasitaren Unterschichten einher. Dabei müssen Populist*innen nicht zwangslaufig rassistisch oder nationalistisch sein, sondern definieren allein anhand moralischer Kriterien von Verdienst und Tugendhaftigkeit wer zum Volk gehört und wer nicht (Müller 2016: 52). Mit der Konstruktion eines Bedrohungsszenarios durch zu- nehmende Überfremdung, wird eine Gefahrdung der eigenen Kultur gezeichnet, welche von ethnischen und religiösen Minderheiten oder Migrant*innen ausgelöst werde (Lewandowsky 2017: 5). Das so entwickelte Feindbild ist kontextabhangig und hat sich in Deutschland in den 1980er Jahren vornehmlich gegen Asylbewerber*innen gerichtet, wahrend es sich heute hauptsachliche auf den sichtbar gelebten Islam sowie Muslime und Muslima fokussiert (ebd.: 6). Lewandowsky (2017: 4) konstatiert deshalb, der Populismus baue auf den beiden Kurz- formeln „Gegen-die-da-oben“ und „Gegen-die-da-drauBen“ auf. Hinzu kommt der Schlüssel- begriff der Volksgemeinschaft, der Zusammengehörigkeit schafft und sich im Gegensatz zu Gesellschaft auf exklusive Merkmale wie Abstammung, Kultur und Sprache bezieht (Jaschke 2015: o.S.).

Neben diesem dichotomen Weltbild und daraus entstehendem Denken in Feindbildern ziehen Populist*innen gerne verschwörungstheoretische Begründungen für den Jetzt-Zustand heran (Decker und Lewandowsky 2017: o.S.). Dies dient dazu, sich selbst und seine Anha- nger*innen als Opfer darzustellen, Feindbilder zu festigen, Angste zu schüren und vor allem eine Begründung dafür zu liefern, warum Populist*innen - obwohl sie das Volk reprasentie- ren - nicht an der Macht sind. Emotionalisierung und Angstmache wird von Populist*innen gezielt eingesetzt, indem Ressentiments geschürt und Gefühle der Unsicherheit bestarkt an- statt entkraftet werden. Daneben werden mit Hilfe drastischer Formulierungen kriegsahnliche Bilder einer kranken, vom Zerfall bedrohten Gesellschaft konstruiert (Decker und Le- wandowsky 2017: o.S.). Hinzu kommen gezielte Provokationen, in denen MaBstabe der poli- tischen Korrektheit bewusst missachtet werden und eine Vorliebe für radikale Lösungen, fern jeglicher Bereitschaft für Kompromisse (ebd.), gezeigt wird. Das Prinzip einer charismati- schen Führerschaft ist vielen populistischen Bewegungen und Parteien zu eigen (ebd.), jedoch kein notwendiges Kriterium des Populismus. Eine charismatische Führungspersönlichkeit kann populistische Bewegungen starken, jedoch auch ihre „Haltbarkeit“ verkürzen, dadurch dass diese ihre Position andert oder stirbt (Taggart 2004, zit. n. Priester 2011: 187). Essentiell ist vielmehr die über ihre Herkunft bestatigte Zugehörigkeit von Führungspersonen zur „silent majority“ (stumme Mehrheit) (Priester 2011: 196; Priester 2012: 49). Zusammenfassend sind die grundlegenden Elemente des Populismus der Glaube an ein unverfalschtes Urteilsvermö- gen des Volkes sowie die angebliche Legitimierung populistischer Bewegungen durch die Stimme des Volkes, der wahrgenommene Antagonismus zwischen Elite und Volk, das Schü- ren von Feindbildern in Bezug auf ,Fremde‘, verschwörungstheoretische Ansatze, die Morali- sierung des Diskurses und das Heraufbeschwören einer Krise (Priester 2011: 191). In diesem Sinne möchte ich Populismus weniger als Ideologie, denn als Schema verstehen, das abhangig vom jeweiligen Kontext und auf reaktive Weise gefüllt wird (vgl. Priester 2012: 40).

Um Ursachen für die Entstehung und das Erstarken des Populismus zu identifizieren, wird haufig auf die Modernisierungsthese zurückgegriffen. Ihr zufolge führt ein rascher ge- sellschaftlicher Wandel zu Orientierungsverlust, Statusangst, Perspektivlosigkeit oder Zu- kunftsunsicherheit (Spier 2006: 33; Decker 2015: o.S.). Aufgrund zunehmender Globalisie- rung werden Arbeitsplatze in Billiglohnlander verlagert, wodurch die Arbeitslosigkeit steigt. Zunehmende Migrationsbewegungen führen zu kulturellen Wandlungsprozessen insbesondere in stadtischen Gesellschaften und ein tolerantes gesellschaftliches Klima, ausgelöst durch zu- nehmend postmaterielle Werteorientierung, fördert die Sichtbarkeit anderer sexueller Orien- tierungen oder Lebensstile und könne damit ein Bedrohungsgefühl für die eigenen Identitat auslösen (Lewandowsky 2017: 7). Diese komplexen Prozesse begünstigen den Erfolg popu- listischer Bewegungen. Trotzdem kann dieser nicht allein auf sozialen Wandel zurückgeführt werden. Vielmehr ist er davon abhangig, wie stark Menschen sich selbst oder die Gesellschaft subjektiv von sozialem Abstieg bedroht sehen. Hier spielt es wiederum eine Rolle, wie gut etablierte Parteien mit realen und gefühlten Veranderungen umzugehen wissen (ebd.: 8).

3.2. Rechtsextremismus - Definitionen und zentrale Merkmale

Der Begriff des Rechtsextremismus wird von Politiker*innen, Journalist*innen sowie im aka- demischen Umfeld nahezu inflationar verwendet, dabei ist es auch hier kaum möglich eine einheitliche Definition dessen festzumachen, was im Detail darunter verstanden wird (Pfahl- Traughber 1995: 14; Virchow 2017: 5). Die Konfusionsgefahr zwischen Begriffen wie Rechtsextremismus, Neonazismus, Neofaschismus, Rechtsradikalismus, Rechtspopulismus oder Rechtsfundamentalismus ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass es sich bei Rechtsextremismus nicht um ein ideologisch homogenes Konzept handelt, sondern vielmehr um eine Sammelbezeichnung für verschiedene politische Ausdrucksformen rechter, antide- mokratischer Auffassungen (Jaschke 1987: 487; Pfahl Traughber 1995: 18; Nandlinger 2008: o.S.). So ist gemaB einer Definition des Bundesverfassungsschutzes „Rechtsextremismus in Deutschland nicht ideologisch homogen. Eine Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit und eine gegen den Gleichheitsgrundsatz gerichtete Fremden- feindlichkeit sind allerdings bei allen Rechtsextremisten festzustellen“ (zit. n. Nandlinger 2008: o.S.).

Seit den 1970er Jahren wurde der bis dato in Deutschland vornehmlich gebrauchte Begriff des Rechtsradikalismus mit Hilfe einer Anderung der Termini innerhalb der Politik und des Ver- fassungsschutzes durch die Bezeichnung Rechtsextremismus abgelöst (Jaschke 1987: 488; Jaschke 2006: o.S.; Virchow 2017: 14). In diesem Sinne werden heute juristisch unter rechts- extrem politische Gesinnungen gefasst, die sich gegen die freiheitlich demokratische Grund- ordnung und ihre fundamentalen Werte richten; wohingegen sich der Rechtsradikalismus nicht gegen die Grundprinzipien der Verfassung stellt (Pfahl-Traughber 1995: 14f; Nandlin- ger 2008: o.S.). Darunter fallt die Ablehnung fundamental menschlicher Gleichheit, eine Nicht-Anerkennung des Konstitutionalismus und der Gewaltenteilung sowie weiterer rechts- staatlicher Vorgaben und das Negieren von Pluralismus in der politischen wie auch in der gesellschaftlichen Sphare (Pfahl-Traughber 1995: 15). Wahrend sich die wissenschaftliche Forschung anfangs weitgehend mit Rechtsextremismus als einer Fortsetzung von NS- Aktivitaten in Gestalt rechter Parteien wie der SRP3, DRP4 oder NPD5 beschaftigte, nahm seit den 1970er Jahren die Fokussierung auf rechtsextreme Einstellungs- und Verhaltensmuster zu. Hier sind insbesondere die Mitte-Studien und die um den Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer publizierte Reihe „Deutsche Zustande“ zu erwahnen (Virchow 2017: 6).

Als Grundelemente, die allen Formen des Rechtsextremismus zu eigen sind, gelten laut Pfahl-Traughber (1995: 19-21) und Jaschke (2006: o.S.) der Mythos eines ,heilen‘ deut- schen Reiches in der Vergangenheit, verschiedene Formen eines haufig als ,übersteigert‘ oder völkisch bezeichneten Nationalismus sowie Geschichtsrevisionismus in Form von Abschwa- chung oder gar Leugnung des Holocaust. Des Weiteren nennen die Autoren die Wahrneh- mung eines sittlichen Verfalls deutscher Kultur und Gesellschaft, ausgelöst durch Zuwande- rung und Globalisierung, Fremdenfeindlichkeit unter Bezugnahme auf ein organisch- biologisches oder ethnopluralistisches Denken sowie Demokratie- und Parlamentarismuskri- tik, welche mit einer ausgepragten Law-and-Order Mentalitat und Autoritarismus einhergeht. GemaB dem Bundesverfassungsschutz gilt als rechtsextrem, wer die Auffassung vertritt, der Wert eines Menschen lasse sich über seine Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder Rasse bestimmen. Auf diese Annahme baut die rechte Utopie einer homogenen Volksgemeinschaft als Gegenentwurf zur pluralistischen Gesellschaftsordnung auf. Das ethnisch homogene Volk sei auf eine natürliche Ordnung zurückzuführen und staatliche Führer handelten intuitiv nach dem Volkswillen. Das daraus entspringende autoritare Staatsverstandnis kommt ohne jegliche Kontrollelemente eines demokratischen Parlamentarismus aus (Verfassungsschutz 2017: o.S.). Die Ideologie der Ungleichheit speist sich aus der Abwertung Anderer und Aufwertung der eigenen Gruppe sowie der Betonung natürlicher Hierarchien verbunden mit einer sozial- darwinistischen Lebensphilosophie (Pfahl-Traughber 1995: 21; Virchow 2017: 10). Diese bietet die Grundlage für eine rassistische, antisemitische, antifeministische und homophobe Programmatik (Virchow 2017: 10). Daran schlieBt sich ein spezifisches Verstandnis von Ar­beit an, im Sinne eines Dienstes an der Nation. Das rigide Leistungsdenken führt zur Aus- grenzung von als weniger produktiv erachteten Gruppen wie Obdachlosen, Sinti und Roma oder Langzeitarbeitslosen (Virchow 2017: 11). Nachdem einige Politikwissenschaftler*innen den Versuch unternommen hatten Rechtsextremismus genau zu bestimmen, darunter eine vielfach verwendete Definition von Hans-Gerd Jaschke (1994: 31), wurde zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine Konsensdefinition entwickelt, in der Rechtsextremismus gefasst wird, als „[...] ein Einstellungsmuster, dessen verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvor- stellungen darstellen. Diese auBern sich im politischen Bereich in der Affinitat zu diktato- rischen Regierungsformen, chauvinistischen Einstellungen und einer Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Bereich sind sie gekennzeich- net durch antisemitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen.“ (vgl. Kreis 2007, zit. n. Virchow 2017: 17)

Die Befürwortung oder Ablehnung von Gewalt gilt hingegen nicht als ausschlaggebendes Kriterium für Extremismus. Denn gemaB Jesse (2003: 178) können nicht nur Methoden, son- dern auch Ziele verfassungsfeindlich sein. In diesem Sinne ist jemand ein Extremist/eine Ext­remistin, wenn er/sie zur Durchsetzung politischer Ziele Gewalt anwendet. Jedoch ist man auch ohne Anwendung von Gewalt nicht notwendigerweise Anhanger*in der demokratischen Verfassung.

[...]


1 u.a. Hausler 2013, Schmitt-Beck 2013, Franzmann 2014, Niedermayer 2015.

2 Abkürzung für: Patriotische Europaer gegen die Islamisierung des Abendlandes.

3 Sozialistische Reichspartei

4 Deutsche Reichspartei

5 Nationaldemokratische Partei Deutschlands

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Die Alternative für Deutschland (AfD). Zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Note
1,3
Autor
Jahr
2018
Seiten
24
Katalognummer
V913354
ISBN (eBook)
9783346222954
ISBN (Buch)
9783346222961
Sprache
Deutsch
Schlagworte
alternative, deutschland, rechtsextremismus, rechtspopulismus, zwischen
Arbeit zitieren
Silvana Vialova (Autor:in), 2018, Die Alternative für Deutschland (AfD). Zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/913354

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