Ableism. Gesellschaftliche Reaktionen auf Behinderungen


Hausarbeit, 2020

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Herkunft und Potential des Terminus
2.1 Gesellschaftliche Annahmen und Praktiken
2.2 Behinderung und Fähigkeit als Ausdruck von sozialen Relationen
2.3 Ableism und gesellschaftliche Aufwertung

3. Geschichte und Schwerpunkte der Disability Studies in Education

4. Ableism ist überall
4.1 Ableism in den Medien: Klischees
4.2 Ableism in den Medien: diskriminierende Rap Songs
4.3 AbleismimGesundheitswesen
4.4 Ableism in der politischen Arbeit
4.5 Ableism im Alltag
4.6 Ableism in der Schule
4.7 Strategien zum Umgang mit Ableismus

5. Fazit und Ausblick

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Durch die Entwicklung moderner Gesellschaften, die mit der Frühindustrialisierung und der Ausweitung der Schulpflicht, der Systemkonfrontation der Nachkriegszeit, dem Ausbau der tertiären Bildung und mit den neuesten Bildungsansprüchen einhergingen, gelten „Fähigkeiten" als virulent (vgl. Buchner, Pfahl&Traue, 2015). Doch wo der Fokus auf Fähigkeiten gerichtet wird, werden sogenannte „Einschränkungen" sichtbar. Unter dem Terminus „Absleism" wird Behinderung nicht nur als abweichende Differenz zur Normalität verstanden, sondern als ein zwischenmenschliches und gesellschaftliches Verhältnis, das in der Feststellung von Fähigkeiten seinen Ausdruckfindet.

Die Ableism-Debatte wurde überwiegend im anglophonem Raum behandelt, wobei Rebecca Maskos Arbeiten im deutschsprachigem Raum erwähnt werden können. Maskos ist eine Wissenschaftlerin, die auf einen Rollstuhl angewiesen ist und sie bezeichnet sich selbst als kleinwüchsig. Sie ist unteranderem Referentin und hält Vorträge an diversen Veranstaltungen. In einem Artikel berichtet sie über eine persönliche Erfahrung, die den Terminus Ableism illustriert. Bei einer Vortragsveranstaltung trifft sie auf den Hausmeister, der, laut ihr sehr nett war. Er vergewisserte sich, ob alle Mikrofone angeschlossen waren, und ehe er in sein Büro zurückkehrte, wandte er sich an Frau Maskos und sagte ihr, dass die Referentin sicherlich gleich eintreffen würde. Was der „nette" Hausmeister nicht wusste, war, dass die Referentin, Frau Maskos, vor ihm stand. Maskos nahm ihm den Irrtum nicht übel, jedoch bezeichnet sie ihn nicht als Zufall. Sie ist es gewohnt, als kleinwüchsige, rollstuhlfahrende Frau unterschätzt zu werden oder für etwas Anderes gehalten zu werden.

Solche Situationen erlebt sie ganz oft; wenn sie tanzen geht, wird sie als mutig bezeichnet, sie bekommt sogar Komplimente, weil sie allein zur Arbeit gehen kann. Solche Annahmen über behinderte Menschen sind sehr vielfältig und basierend auf einem immer gleichen Denkmuster. Maskos erwägt in diesem Sinne die im englischsprachigem Raum entsprungenen „Disability Studies" und den in dieser Situation aufkommenden Begriff „Ableism". (Vgl. Maskos, 2015). Der hier verwendete Ableism-Begriff orientiert sich an Campbells Definition „(A) network of beliefs, processes and practices that produces a particular kind of self and body (the corporeal Standard), that is projected as the perfect, species-typical and therefore essential and fully human. Disability then is cast as a diminished state of being human." (Campbell, 2009) Das Aussehen und das Verhalten spielen im Hinblick auf Behinderung und Normalität eine essentielle Rolle. Dabei geht es in diesem Sinne um eine Bewertung von angenommen­vorhandenen Fähigkeiten.

Im Folgenden wird zuerst die Herkunft und das Potential des Begriffes „Ableism" beleuchtet. Weiter werden die Schwerpunkte der damit verbundenen Disability Studies in Education behandelt, um anschließend den Begriffan einigen Beispielen zu verdeutlichen.

2. Herkunft und Potential des Terminus

2.1 GesellschaftlicheAnnahmen und Praktiken

„Männer können nicht zuhören." „Frauen können nicht einparken." „Juden sind geizig."

Diese 3 Aussagen sind Annahmen oder sogenannte Zuschreibungen aus dem „Reich" des „­ismus". Hier zeigt sich ein Denkmuster, das dazu tendiert Menschen wegen ihrer Herkunft in Gruppen einzuteilen und ihnen diverse Fähigkeiten zuzuschreiben. Maskos (2015) hebt hervor, dass es in der Analyse der „Ismen", die Annahmen rund um Behinderung und Nichtbehinderung noch fehlen, wobei sie jedoch Grundlage für eine Reihe fundamentaler Ausgrenzungsprozesse sind, wie zum Beispiel die institutionelle Segregation im Bereich Bildung, Wohnen und Arbeit. Dies zeigte sich auch in einer Extremform im Nationalsozialismus, wobei als behindert geltende Menschen getötet wurden (Maskos, 2015). Heute wird eine gewisse Abwehr und Ablehnung gegenüber behinderten Menschen als Behindertenfeindlichkeit bezeichnet. Dieser Begriff deckt jedoch nicht das ganze Themenspektrum ab, da es sich nur auf die negativen Aspekte fokussiert: Ungerechtigkeiten, Ausgrenzung und Menschenrechtsverletzungen (Hirschberg&Köbsell, 2017). Weiter verbleiben hier behinderte Menschen in der Position des anderen, wobei die „gegenseitige Bedingtheit von Behinderung und Normalität dabei genauso ausgeblendet wird wie die Tatsache, dass es sich um gesellschaftliche Machtverhältnisse handelt, in die alle involviert sind" (Hirschberg&Köbsell. 2017).

Dabei wird nicht die Behinderung als Faktum angesehen, sondern vielmehr richtet sich die Abwehr in die Einteilung in Behinderung und Nichtbehinderung. Wer gesund ist, ist nicht behindert und umgekehrt, Nichtbehinderung und Gesundheit werden zum Ideal ernannt, an dem alle Körper gemessen werden. In diesem Sinne kann Campbell zitiert werden, für die Ableism eine „binäre Dynamik [herstellt], die nicht vergleichend ist, sondern eher ko-relational konstitutiv" (Campbell, 2008). Ableism kann, genau wie die Bewegung Rassismus und Sexismus, eine ähnliche Bewegung mitmachen.

2.2 Behinderung und Fähigkeit als Ausdruck von sozialen Relationen

Maskos (2015) hebt hervor, dass dieses „Netwerk von Überzeugungen, Prozessen und Praktiken" vor allem um einen Faktor kreist: Fähigkeiten. In diesem Prozess findet eine Beurteilung darüber statt, was ein Körper oder Geist kann oder nicht kann. Dabei wird ein „biologistischer, essentialisierender Bewertungsmaßstab, der anhand einer erwünschten körperlichen oder geistigen Norm Menschen be-, auf- und abwertet" gebildet (vgl. Maskos, 2011). Menschen werden auf ihre körperliche und geistige Fassung reduziert und repräsentieren somit eine ganze Gruppe. Dieses ableistische Denken wird in uns alle hineinsozialisiert. Dabei werden die Einstellungen und Vorstellungen von Menschen beeinflusst, „die sich wiederum in ableistischen Haltungen und Umgangsweisen niederschlagen, die auch Maßnahmen und Programme für als behindert geltende Menschen beeinflussen" (Hirschberg&Knöbsell, 2017). Ableism wird also ein Bestandteil der Dominanzkultur, die Rommelspacher wie folgt beschreibt: „Ensemble gesellschaftlicher Praxen und gemeinsam geteilter Bedeutungen (das durch) spezifische Kategorien von Über- und Unterordnung gezeichnet ist" (Rommelspacher, 1995). Hinsichtlich dieser Definition kann man Ableism als fordernd für die Konstruktion von Behinderung und Ungleichheiten definieren, was dazu führt, dass behinderte Menschen eine eingeschränkte Teilhabe an gesellschaftlichen Bereichen haben. Zusammenfassend zitieren Hirschberg&Köbsell (2017) ein Zitat von der Website stopableism:

An ableistSociety is said to be one that treats non-disabled individuals as the standard of 'normal living', which results in public and private places and services, education, and social work that are built to serve 'Standard' people, thereby inherently excluding those with various disabilities." (http://www.stopableism.org/what.asp)

Das ideologische Denken über Behinderung ist eine Konstruktion ähnlich wie bei Sexismus, Rassismus oder Homophobie, viel mehr als eine Diskriminierungsform, eher ein Denken, dass sich auf Normativität bezieht. Laut Wolbring (2008) ist Ableism nicht nur irgendein „-ismus", sondern der „-ismus", den man allen anderen „-ismen" überordnen sollte, da er von hoher diskriminierender Art sei: „Ableism ist einer der am tiefsten sozial eingebetteten und akzeptierten „-ismen" und einer der besten Voraussetzungen für andere „-ismen" (...) Auf Fähigkeiten basierte Bewertungen sind gesellschaftlich so tief verwurzelt, dass ihr Einsatz für exkludierende Zwecke kaum jemals wahrgenommen oder gar hinterfragt wird". Hier nennt er Beispiele von Ungleichheiten bei Fähigkeitseinschätzungen zwischen Männern und Frauen oder bei Menschen mit verschiedenen Hautfarben.

2.3 Ableism und gesellschaftliche Aufwertung

Weiter schreibt Maskos (2015), dass Ableism auch Menschen ohne Behinderung treffen kann, wie zum Beispiel Linkshänder oder Rothaarige. Sie schreibt auch, dass es teilweise auch mit einer gesellschaftlichen Aufwertung verbunden sein kann. In diesem Sinne kann ich eine persönliche Erfahrung zitieren, die ich als Ausländerin im wohl multikulturellsten Land Europas, in Luxemburg, erlebt habe. Ich bin erst im Grundschulalter nach Luxemburg gekommen, weswegen ich die Sprache am Anfang nicht beherrschte und gezwungen war, diese in Interaktion mit den anderen Kindern aus der Klasse lernen musste. Neben meinen zwei Muttersprachen Serbisch und Bulgarisch kam somit als Umgangssprache Luxemburgisch dazu, gefolgtvon Deutsch als Alphabetisierungssprache und Französisch und Englisch. Wegen meiner späten Beherrschung der Umgangssprache haben die Lehrpersonen damals bereits ihre Bedenken gegenüber meinen Eltern geäußert. Wenn ich auf meinen Beruf (Lehrerin an einer Hauptschule) angesprochen werde, wird auch immer mein Herkunftsland erwähnt und ich werde jedes Mal gelobt, „wie gut ich alle Sprachen spreche hinsichtlich meiner Vergangenheit". Am Tag meiner Verbeamtung kommentierte ein hoher Beamter meinen „Leidensweg" und äußerte sich: „Du bist ja weit gekommen, wenn man deine Herkunft und die damals herrschenden Umstände betrachtet". Beim Tippen dieser Zeilen überkommt mich ein unwohles Gefühl, klar, dass es sich hier um Ableismus handelt.

Maskos (2015) geht noch etwas weiter und gibt das Beispiel gutaussehender Menschen an, „denen mit der Feststellung ihrer Schönheit oder ihrer großen Statur auch herausragende geistige Fähigkeiten oder Führungsqualitäten zugeschrieben werden". Hier wird die Überschneidung von Ableism mit Denkmustern des Sexismus und Lookism deutlich.

3. Geschichte und Schwerpunkte der Disability studies in Education

Mit dem Anliegen, Behinderung anders zu denken und zu konzeptionalisieren als es innerhalb der defizitorientierten Sonderpädagogik üblich war, interessierten sich kritische Sonderpädagogen in den USA für die Disability Studies (vgl. Connor, 2014). Seit dem Jahr 2000 gibt es eine „Special Interest Group (SIG) Disability Studies in Education" in der American Educational Research Association (AERA), die an verschiedenen Orten Tagungen durchführen, wobei unterschiedliche Wissenschaftler durch kritische Beiträge zum Verständnis von Behinderung Vorträge halten. 2010 fand die erste und einzige Tagung in Europa statt, bei der wurde der Preis „Senior Scholars" an die deutschen Inklusionsforscher Boban und Andreas Hinz verliehen (Connor, 2014).

Das Interesse, was hier verfolgt wird, ist verstehen zu wollen, wie Behinderung im Kontext konstruiert wird und wie das Verständnis von Behinderung im Rahmen der Disability Studies hinsichtlich Theorie, Forschung, Lehre und Pädagogik beeinflussen kann. Zudem wird die Fragestellung diskutiert, wie Schüler mit einer Beeinträchtigung angemessen unterrichtet werden können und wie eine entsprechende Forschung aussehen müsste (Bagheri et al., 2011). „4s its core, DSE holds that understandings ofdisability occur through human expectations and interactions. As such, ifoffers much to the traditionalfield ofspecial education, providing various lenses through which to view disability that, in turn, influence how we conduct research, the way we teach, and the place ofstudents with disabilities insschools. "(Bagliari et al., 2011) Das Soziale Modell von Behinderung ist grundlegend für die DSE, wobei die Konzeption von Behinderung als soziale Konstruktion angenommen wird. Zudem wird Behinderung in den historischen und gesellschaftlichen Kontext gesetzt und als Menschenrechtsfrage diskutiert (vgl. Hirschberg&Köbsell, 2017). Der Fokus der DSE liegt nicht nur auf Behinderung, sondern auch auf eine intersektionale Betrachtungsweise von menschlicher Diversität, wobei das Ziel verfolgt wird die Kluft zwischen Sonder- und Regelschulen zu überwinden und durch Team­teaching allen Schülern gleiche Voraussetzungen zu bieten. In diesem Sinne lässt sich eine Möglichkeit bieten und zwar das Instaurieren der „Universal Design for Learning" (UDL) im Unterricht: „One approach to get out of this hole is the use of „Universal Design for Learning" as a way to approach all teaching situations, useful to all teachers" (Bagheri et al., 2011). Diese veränderte Unterrichtspraxis soll sich positiv auf Sonder- und Regelschüler auswirken (vgl. Hirschberg&Köbsell, 2017). Valle & Connor zeigen in ihrem Buch von 2011 mittels ihrer „eight basic elements of a lesson" auf, wie die Umsetzung von Disability Studies in Education im Klassenraum aussehen kann. Viele Elemente finden sich auch in der neuen deutschen pädagogischen Literatur wieder, wie etwa die positiven Effekte von Team-teaching, wie von Feuer bereits 1980 beschrieben oder die Elemente guten Unterrichts, wie von Meyer (2004) definiert.

Schlussfolgernd kann man sagen, dass es den Vertretern der DSE wichtig ist, dass Behinderung nie „an sich" betrachtet werden darf, sondern immer in einen politischen und gesellschaftlichen Kontext gesetzt werden soll. Hierwerden sievon behinderten Menschen und ihren Diskursen unterstützt, deren Erfahrungen im Mittelpunkt stehen. Zudem sollen Denkmuster weg von der Defizitorientierung und die Förderung von Gerechtigkeit, Bildungsgerechtigkeit und gesellschaftlicheTeilhabe gestärkt werden. Damit dies erfolgen kann wäre wünschenswert, dass diese Themenbereiche in die Curricula der Lehrerausbildung miteinbezogen werden, damit auch Ableism in seinen zahlreichen Facetten diskutiert werden kann, Normalitätskonzepte hinterfragt und werdende Lehrer in ihrer Entwicklung einer positiven „disability identity" unterstützt werden (vgl. Hirschberg&Köbsell, 2017).

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Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Ableism. Gesellschaftliche Reaktionen auf Behinderungen
Hochschule
Universität Koblenz-Landau
Note
1,7
Autor
Jahr
2020
Seiten
19
Katalognummer
V913888
ISBN (eBook)
9783346233110
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ableism Ableismus Inklusion
Arbeit zitieren
Jelena Stanoev (Autor:in), 2020, Ableism. Gesellschaftliche Reaktionen auf Behinderungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/913888

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