"Les demoiselles d'Avignon" als eine Allegorie - Picasso in der Postmoderne


Hausarbeit, 2008

21 Seiten, Note: 1.3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Zur künstlerischen Anpassung: Picasso und Nam June Paik

3. Nietzsche, Picasso und die Postmoderne
3.1. Was ist Postmodern?: Lyotard
3.2. Negation der Höhle Platons: Nietzsche und Picasso

4. Zu den fünf weiblichen Figuren
4.1. Eine Figur auf der linken Seite
4.2. Zwei Figuren in der Mitte
4.3. Zwei Figuren auf der rechten Seite

5. Zusammenfassung

6. Literaturverzeichnis
6.1. Textausgaben
6.2. Literatur

Der Künstler war immer vollkommen in die Gesellschaft integriert,

aber nicht in die Gesellschaft seiner Zeit, sondern in jene der Zukunft.[1]

- Ernesto Cardenal

1. Einleitung

In dieser Studie versuche ich, Les demoiselles d'Avignon von Picasso als eine Allegorie zu sehen. Wenn man aber bedenkt, dass Picasso sein Bild niemals als eine Allegorie gesehen hatte, taucht ein Interpretationsproblem auf. Betrachtet man einige Künstler, die in der Kunstgeschichte neue Wege geöffnet hatten, kann man feststellen, dass sie die Richtung und das Wesen der Veränderung der Zeit prophetisch vorhersahen, bevor die philosophische Reflexion auf die verändernde Zeit reagierte.

Es wäre hier sinnvoll, eine Analogie zwischen dem künstlerischen Entfaltungsprozess und dem evolutionären Adaptationsprozess aufzuweisen. Man kann die beiden Prozesse als die Reaktion auf spezielle ´Umweltfaktoren´ deuten. Zudem laufen sie unbewusst und nicht zielgerichtet. Um diese Voraussetzung für die Interpretation von Les demoiselles d'Avignon besser zu erörtern, stelle ich im zweiten Kapitel Nam June Paik, einen Pionier der Videokunst, vor. Damit wird klar werden, dass die beiden Künstler neue Kunststile entfalten könnten, indem sie auf die Veränderung der Zeit mit ihrer feinen Sensibilität reagierten, und indem sie sich in diesem Sinne der Veränderung jener Zeit erfolgreich anpassten.

In dieser Studie wird die Auffassung vertreten, dass Les demoiselles d'Avignon als eine Allegorie für den Auftritt der Heterogenität zu betrachten ist. Nach Lyotard, der erstmalig das Schlagwort Postmoderne zum Thema machte, wurde Heterogenität in der modernen Philosophie, die auf dem subjektzentrischen Paradigma beruht, entwertet. Der Wert von Heterogenität müsse zur Geltung kommen, um das Motto der Moderne Freisetzung des Individuums und das Einsetzen der Freiheit des Individuums radikal zu realisieren.[2]

Daher skizziere ich im dritten Kapitel die Postmoderne, und zeige, wieso in der Postmoderne von Heterogenität die Rede ist, indem ich die zwei Denker Friedrich Nietzsche und Jean-François Lyotard behandele. Im vierten Kapitel werde ich mich mit der Analyse der vier Figuren von Les demoiselles d'Avignon beschäftigen. Hier wird offenkundig, dass es eine Leseabfolge gibt, in der man das Bild als eine Allegorie für den Auftritt der Heterogenität interpretieren kann.

2. Zur künstlerischen Anpassung:
Picasso und Nam June Paik

Es bleibt noch unklar, auf welche Weise die großen Künstler die Richtung und das Wesen der Veränderung der Zeit vorher auffassen können. Aber es scheint sicher zu sein, dass die philosophische Reflexion normalerweise den Vorkommnissen großer Ereignisse als Denkmotiv folgt. Hierzu gibt es einige Beispiele. So entstand die politisch pessimistische Denkrichtung, also Stoizismus und Epikureismus, nachdem Alexander der Große Europa erobert hatte. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Begriff der Totalität in Frage gestellt von Philosophen wie Adorno. Wenn die Richtung und das Wesen der Veränderung der Zeit vor den Ereignissen erkannt wird, dann bezeichnet man das als Vorhersagen. Das ist eher intuitiv als vernünftig. Denn die Künstler können noch nicht wissen, welche Bedeutung ihre Arbeit haben wird. Dass die Impressionisten über die Vergänglichkeit der Existenz des Menschen früher als Existenzialistische Philosophen nachgedacht haben, kann man nicht beweisen, lediglich, dass es sich um intuitive Kenntnisse bei den Künstlern handelt. In diesem Zusammenhang schlage ich vor, eine Analogie zwischen dem künstlerischen Entfaltungsprozess und dem evolutionären Anpassungsprozess aufzustellen. Unter evolutionären Anpassungen versteht man Eigenheiten in Körper und Verhalten, die als die evolutionäre Reaktion auf spezielle Umweltfaktoren gedeutet werden können. Wieso sind die evolutionären Anpassungen der künstlerischen Entfaltungen gleichzusetzen?

1. Die entscheidenden Einflüsse sind äußere Faktoren der Umwelt: Die Künstler befinden sich in ihrer Zeit. Niemand leugnet, dass ihre Kunst mit den Bedingungen jener Zeit verbunden wird.
2. Die beiden Prozesse haben ein gemeinsames Ziel Überleben: Künstler können weiterleben, indem sie große Kunstwerke schaffen.
3. Sie vollziehen sich unbewusst: Bei der Mutation und der natürlichen Selektion spielt der Begriff Absicht keine Rolle. In vielen Fällen entfalten sich die Künstler ohne Wissen darum, welche Bedeutung ihre Kunst in der Zukunft haben kann.

Aus diesen Formulierungen erhalten wir eine Ahnung, was es bedeutet, dass sich Künstler ihrer Zeit anpassen. Durch ihre Kunst reagieren sie auf die Veränderung der Zeit. Wie Wissenschaftler auf die Frage, wie erfolgreich die evolutionäre Anpassung eines Lebewesens ist, antworten können, so können Kunstwissenschaftler und Denker der nachfolgenden Generation den Erfolg der Künstler beweisen. Für beide Prozesse bleibt die Frage offen: wenn die beiden Prozesse unabhängig von begrifflicher Reflexion möglich sind, auf welcher Weise passieren sie eigentlich? Man könnte vermuten, dass feine Sensibilität bei Künstlern eine wichtige Rolle spielt.

In diesem Zusammenhang ist der Videokünstler Nam June Paik ein geeignetes Beispiel. Nam June Paik (1932-2006), immer wieder als ´ Vater der Videokunst´ bezeichnet[3] , war ursprünglich Musikkomponist und studierte bei Karlheinz Stockhausen in Köln. Erst später, als Mitglied der Fluxus - Bewegung, wurde er bildender Künstler. 1962 folgten Fluxus-Konzerte in Wiesbaden, Amsterdam, Kopenhagen, Paris und Düsseldorf. 1963 installierte er in der Wuppertaler Galerie Parnass 12 Fernsehgeräte mit technisch manipulierten Schirmbildern.

Nam June Paik war von 1979 bis 1996 Professor an der Kunstakademie Düsseldorf, lebte aber hauptsächlich in New York. Als Paik Anfang 1960 in einem Brief an John Cage schrieb, er wolle mit Fernsehern arbeiten , war der Fernseher noch mehr oder weniger unverändert als Gegenstand modernen Lebens integriert. TV Buddha (1974) ist die wohl bekannteste Videoskulptur Paiks. In allen Varianten dieser Installation sitzt eine antike Buddhastatue einem Monitor gegenüber. Eine hinter dem Monitor aufgestellte Videokamera nimmt die Statue frontal auf und lässt sie als Kopf oder als Brustbild auf dem Fernsehschirm erscheinen. Der Buddha meditiert vor seinem Abbild, das aber nicht wie beim Spiegelbild seitenverkehrt wiedergegeben wird.[4] Paik erkannte die Macht der elektronischen Geräte wie Fernseher, Videokamera, Videobände so früh.

Die philosophische Reflexion des französischen Philosophs Jean Baudrillard kam 20 Jahren später. Im Gegensatz zu Paik bewertet Baudrillard beispielsweise in Requiem für die Medien (1972) die Macht der Medien kritisch. Seiner Meinung nach sind die Bilder der Wirklichkeit, die vor allem über die Massenmedien vermittelt werden, wichtiger und wirklichkeitsmächtiger geworden als die Wirklichkeit selbst. Die ontologische Hierarchie zwischen Schein und Wirklichkeit ist umgekehrt, so seine Kritik an der gegenwärtigen Kultur und Gesellschaft. Bei Paik bringt die neue Technologie nicht nur eine ästhetische Möglichkeit, sondern auch eine neue Existenzform des Menschen. Wir sind zur Zeit in der Lage, uns selbst - z.B. mit selbstgedrehten Filmen auf Webseiten - bekannt zu machen. Paik hat die Selbstausdrucksweise erweitert, und die Idee von der Harmonie zwischen der neuen Technologie und den Menschen vorweggenommen. Man kann hier analogisch sagen: Paik hat sich jener Zeit erfolgreich angepasst, weil er die Richtung der Veränderung der Zeit richtig vorausgesehen hatte und seine Kunstwerke damit fortleben können.

Das Beispiel Paiks in einer Analogie öffnet uns eine neue Perspektive, mit der wir einer Frage nachgehen können, worin das Geheimnis der erfolgreichen Anpassung Picassos liegt.

3. Nietzsche, Picasso und die Postmoderne

3.1. Was ist Postmodern?: Lyotard

Es gibt philosophische Begriffe, die Missverständnissen Vorschub leisten. Es ist unumstritten, dass der Begriff Postmoderne einer von ihnen ist. Ein weit verbreitetes Missverständnis ist: Diesem Begriff zufolge könnte die Welt in ein Davor und Danach geordnet werden. Man sollte bedenken, dass Postmoderne nicht als Erfindung von Theoretikern, Künstlern oder Philosophen, sondern als ein kulturelles Phänomen zu verstehen ist.[5]

Der französische Philosoph Jean-François Lyotard sollte hier zur Sprache kommen, da er dieses Phänomen erstmalig begrifflich aufgefasst hat. Im 16. Jahrhundert trat Europa in einen Modernisierungsprozess ein, der bis heute nicht abgeschlossen ist. Kern dieses

Modernisierungsprozesses ist die Freisetzung des Individuums aus den bestehenden ökonomischen, sozialen und ideologischen Kontexten, in denen es immer schon als Moment eines übergreifenden Allgemeinen gesetzt und gedacht war. In der modernen europäischen Gesellschaft wird das freie Individuum zum Ausgangspunkt der sich verändernden ökonomischen, sozialen Verhältnisse und es gibt einen Integrationsbedarf auf ideologischen Gebiet. Die Freisetzung des Individuums aus seinen vormodernen Kontexten und das Einsetzen der Freiheit des Individuums als Grundwert produziert in der gleichen Bewegung einen Mangel und den Zwang zum Ausgleich dieses Mangels.[6]

Die Postmoderne richtet sich nicht gegen die Werte der Moderne wie Aufklärung, Humanität und Emanzipation, sondern gegen die Strategien. Nun ist Lyotards

Frage: wie können die Inhalte der Moderne realisiert werden, wenn die Strategien der Moderne scheiterten? Er ist der Meinung, dass die großen Erzählungen oder Metaerzählungen z.B. wie Hegelianismus und Marxismus, die auf der Ausgrenzung der Heterogenen basieren, ihre Glaubwürdigkeit verloren haben und lehnt allgemeingültige und metaphysische Erklärungsprinzipien wie Gott, Subjekt usw. ab. Stattdessen schlägt er uns eine Vielzahl von Sprachspielen als eine Alternative vor, durch die verschiedene Erzählungen möglich sein könnten.[7]

[...]


[1]. Zitate und Aussprüche, Dudenverlag 2002, S. 779.

[2]. Philipp Reclam jun. 2004, S.8.

[3]. http://de.wikipedia.org/wiki/Nam_June_Paik

[4]. Ebd. S. 72.

[5]. Thorsten Scheer 1992, S. 107.

[6]. Philipp Reclam jun. 2004, S. 8.

[7]. Ich werde zeigen, dass Nietzsche früher als Lyotard über den Zusammenhang zwischen Verallgemeinerung und Entwertung der Heterogenität nachdachte.

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Details

Titel
"Les demoiselles d'Avignon" als eine Allegorie - Picasso in der Postmoderne
Hochschule
Universität Bremen
Veranstaltung
Das Exotische und das Moderne
Note
1.3
Autor
Jahr
2008
Seiten
21
Katalognummer
V91469
ISBN (eBook)
9783638059657
ISBN (Buch)
9783638950060
Dateigröße
948 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Avignon, Allegorie, Picasso, Postmoderne, Exotische, Moderne
Arbeit zitieren
Nam-Ho Kim (Autor:in), 2008, "Les demoiselles d'Avignon" als eine Allegorie - Picasso in der Postmoderne, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91469

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