Der Wandel der Musikindustrie – vom Radio bis zum Smartphone


Hausarbeit, 2018

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Adaption neuer Medien

3 Soziokultureller Wandel der Musikindustrie
3.1 Das Radio
3.1.1 Historische Ereignisse
3.1.2 Reaktionen auf das neue Medium
3.2 Der Walkman
3.2.1 Eruption der öffentlichen Kommunikationsordnung
3.2.2 Privatisiertes Vergnügen in der Öffentlichkeit
3.3 Das Smartphone
3.3.1 Musikrezeption mit dem postmodernen Alltagsbegleiter
3.3.2 Streaming – der Retter der Musikindustrie?

4 Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Quellenverzeichnis

1 Einleitung

„Musik ist die gemeinsame Sprache der Menschheit.“

Henry Wadsworth Longfellow

Ausgehend von dieser gängigen Vorstellung wird die Musik als Weltsprache angesehen, welche jeder versteht und jeden miteinander verbindet. Diese Konnotation ist eng an das Musikhören als „Pflege von Traditionen und Brauchtum“1 hinsichtlich einer gemeinschaftlichen Praxis verknüpft. Das kollektive Musizieren wird dahingehend als Ritual verstanden und entsprach vor allem früher einem besonderen Anlass, welcher mit dem harmonischen Beisammensein vereint wurde. Dem Gemeinschaftserlebnis steht heutzutage jedoch der urbane, mit dem Kopfhörer verkabelte Individualist gegenüber, welcher eine personalisierte Musikrezeption bevorzugt.2 Dieser Wandel der musikalischen Wahrnehmung und Inszenierung ist abhängig von den jeweiligen Medien zur alltäglichen Musikaufnahme, welche sich vom subtraktiven zum additiven Hören modifizieren.3 Damit ist die frühere Rezeption mit dem Fokus auf das gemeinsame Erlebnis mit der Veränderung zur Musikrezeption als Nebenaktivität gemeint.

Um diese Veränderung anhand verschiedener Epochen zu analysieren stehen die Medien, Radio, Walkman und Smartphone, bezüglich der Musikindustrie im Fokus zur Untersuchung. Damit stellt sich die Frage, wie sich die Musikaufnahme, der im jeweiligen Zeitalter neu aufgekommenen Medien geändert hat und welche soziokulturellen Veränderungen sie mit sich bringt. Die Ausarbeitung erfolgt anhand einer chronologischen Herangehensweise von den medientechnischen Anfängen der frühen 20er Jahre bis hin zum 21. Jahrhundert. Denn 1923 wurde das Radio geboren und versinnbildlichte bis in die 50er Jahre das Leitbild der Musikindustrie. Ein avantgardistischer Wechsel findet sich in den 80er Jahren durch den Walkman, welcher die neuen Ideale der Mobilität und der Jugendlichkeit verkörperte. Zuletzt spielt das durch die zunehmende Digitalisierung etablierte Medium, das Smartphone, eine relevante Rolle bei der heutigen Musikrezeption.

Die zentralen Fragen beziehen sich auf die soziokulturelle Kritik bezüglich des neuen Mediums der jeweiligen Zeitepoche und inwiefern sich das neue Medium im Laufe der Zeit in den Alltag der Menschen eingebracht hat. Wie dabei mit den verschiedenen Adaptionsmöglichkeiten umgegangen wurde erweist sich als ebenso relevant. Außerdem ist der weitere Verlauf der Musikindustrie bezüglich neuer Technologien und dem Aufkommen des Internets für die Ausarbeitung von Interesse. Um diese Fragen zu beantworten, liegt der vorliegenden Arbeit die Basis aus Mc Luhans „Understanding Media“ zugrunde, in welcher die neuen Medien nicht als unabhängige Gegenstände, sondern als Erweiterung des eigenen Körpers betrachtet werden.4 Auf dieser Grundlage wird somit die Adaption der Medien, Radio, Walkman und Smartphone aus dem spezifischen Blickwinkel des soziokulturellen Wandels der Musikindustrie analysiert. Dabei wird der jeweilige Schwerpunkt auf die Eingliederung des Mediums in den Alltag und die Relevanz der Musik untersucht. Der Ausarbeitung liegt vor allem Heike Webers Monografie „Das Versprechen mobiler Freiheit. Zur Kultur- und Technikgeschichte von Kofferradio, Walkman und Handy“ zugrunde, welche ebenso die drei Medien anhand technologischer Umwälzung erläutert. Dahingehend fokussiert sich der Abschnitt „Das Radio“ auf Hans Jürgen Kochs und Hermann Glasers Analyse: „Ganz Ohr. Eine Kulturgeschichte des Radios in Deutschland“, in welcher die historischen und technischen Ereignisse von Relevanz sind. Zum Thema „Der Walkman“ bietet sich eine Bandbreite an wissenschaftlicher Sekundärliteratur, um das Phänomen zu beschreiben. Weiterhin spielen im zweiten Teil quellenbasierte Daten, wie beispielsweise die Studie von Jonathan Dörr et al., welche sich mit der empirischen Nutzungsintention von Streaming-Services von Musik auseinandersetzen, eine Rolle. Die divergenten Ausführungen fügen sich in der nachstehenden Abhandlung bezüglich der kulturellen Entwicklung der Musikindustrie zusammen.

2 Adaption neuer Medien

Der Begriff „Medium“ wird über Jahrzehnte hinweg ständig neu definiert und trotzdem gibt es heutzutage noch keine, finale Einigung über einen geeigneten Definitionsansatz. Im Allgemeinen lässt sich das „Medium“ vom lat. medium mit den Worten in der Mitte oder vermittelnd ins Deutsche übernehmen.5 Daraus folgt, dass es ein vermittelndes Element zwischen zweierlei Objekten darstellt. Im kommunikationswisschenschaftlichen Kontext wird von einem Kommunikationsmittel mit technischem Bezug gesprochen, wobei über das Medium vom Sender zum Empfänger Botschaften versendet werden.6 In Mc Luhans Auffassung wird die Botschaft mit dem Begriff des Mediums gleichgesetzt, woraufhin er zu dem Entschluss kommt, dass der Inhalt einer Botschaft keinerlei Bedeutung für ihn hat. Wichtiger ist jedoch die Wirkung des Mediums auf das menschliche Dasein, denn diese erweiterte den Körper des Menschen mit jeder technischen Innovation der letzten Jahrhunderte.7 Um es mit Mc Luhans Worten zu beschreiben:

„Jede Erfindung oder neue Technik ist eine Ausweitung oder Selbstamputation unseres natürlichen Körpers, und eine solche Ausweitung verlangt auch ein neues Verhältnis oder neues Gleichgewicht der anderen Organe und Ausweitungen der Körper untereinander."8

Mit dieser Erweiterung des menschlichen Leibes entsteht eine „anthropologisch […] geprägte […] Perspektive [,] die langfristige […] Veränderungen von Wahrnehmung und sinnesbasierter Kommunikation durch [die, d. Verf.] Medientechnik“9 hervorruft. Der Mensch befindet sich beispielsweise durch das Medium des Radios im Transformationsprozess, da das Gleichgewicht des Hörsinns durch die Amputation des Mediums gestört ist. Das Medium wird vom Menschen in diesem Zusammenhang aber als unabhängiger Gegenstand und nicht als Erweiterung des eigenen Körpers wahrgenommen, denn dieser befindet sich „in einem Zeitalter der Beherrschung durch unsichtbare Algorithmen und Programme, die nur noch die wenigsten verstehen, gleichwohl aber unser Handeln, Denken und Erleben entscheidend strukturieren.“10 Dahingehend determinieren die Medien beispielsweise den Tagesrhythmus oder den Sozialisierungsprozess des Menschen.

Im Folgenden wird die Fusion zwischen Mensch und Technik durch den Wandel ins digitale Zeitalter über den Mediensektor der Musikindustrie dargestellt, wobei die differenten Adaptionsprozesse anhand drei wichtiger, elektronischer Geräte erläutert werden.

3 Soziokultureller Wandel der Musikindustrie

In einer Zeit, in der das Musikhören an „eine […] Gelegenheit, einem Ort, einem Zeitpunkt [oder, d. Verf.] einem Programm“11 gebunden war und man sich stets an die Möglichkeit von Konzerten oder Festen anpassen musste, erschien das Radio als erster Schritt auf dem Weg zur heutigen Musikindustrie als eine innovative Erfindung. Durch das Radio war es nun leichter, reproduzierte Musik wahrzunehmen und der musikalische Absatzmarkt expandierte. Die Musik, welche unabhängig von bestimmten Geschehnissen, aufgenommen wurde, drang nun in den Alltagsrhythmus der Menschen ein. Deshalb wurde eine tragbare Konsumelektronik entwickelt, welche eine Miniaturisierung der Geräte12 voraussetzte, damit der Hörer mit seinem Medium nicht nur mobil war, sondern auch eine ständige, körpernahe Verbindung zum Objekt pflegte.13 Dieser Umschwung rief eine „neue Mobilitäts- und Konsumkultur“14 hervor, welche sich über den Gebrauch der Medien, unabhängig von Zeit und Ort, definierte. Zusätzlich steigerte sich die Autonomie durch die Verwendung vom Walkman mit Kopfhörern. Mit ihm ergab sich der zunehmende Wandel vom Musikhören im privaten Raum zur öffentlichen Inszenierung.

Nachdem erfolgreichen Konzept des Walkmans fand eine Umstrukturierung der Musikindustrie statt. Angeknüpft an das Ende der 1980er Jahre, bildet die von Sony entwickelte Compact Disc (CD), das erste digitale Medium. Das Phänomen, digitale Kopien ohne Qualitätsverlust auf den Markt zu verbreiten, entwickelte sich durch das in den 1990er erfundene MP3-Format, einer Datenkomprimierungssoftware, weiter. Dabei war es nun möglich ohne physische Produkte digitale Musikfiles hoch- und runterzuladen. Die weitere Entwicklung zum Zentrum des Wandels der Musikindustrie beruht auf dem kulturellen Paradigmenwechsel durch das Internet seit den 2000ern. Damit einher geht die digitale Musikdistribution, welche eine internetbasierte Vermarktung, in Form von Musik-Downloads und Streaming-Modellen verwendet.15 Diese technologischen Umwälzungen führen zu einem veränderten Bewusstsein im Umgang mit den Medien zur Musikrezeption, wodurch eine Umstrukturierung des Werte- und Normensystems der Konsumenten hervorgerufen wurde, welches ebenso erforscht wird.

Im weiteren Verlauf der Arbeit wird nun das Radio als analoges Medium, der Walkman als Übergangsmedium und das Smartphone als digitale, technologische Erweiterung der Musikkultur vorgestellt.

3.1 Das Radio

3.1.1 Historische Ereignisse

Das Radio, welches eine wegweisende Erfindung zu Beginn der Musikindustrie darstellt, beginnt im Jahre 1923, dank dem Vater des deutschen Rundfunks, Hans Bredow, mit den regelmäßig ausgestrahlten Radiosendungen. Der 29. Oktober 1923 geht als Geburtsstunde des Rundfunks mit den Worten: „Achtung! Hier Sendestelle Berlin Voxhaus Welle 400. Wir bringen die kurze Mitteilung, dass die Berliner Sendestelle Voxhaus mit dem Unterhaltungsrundfunk beginnt“,16 in die Geschichte ein. Zuständig dafür war die VOX AG, welche 1920 gegründet worden war und eigentlich eine Schallplatten- und Sprechmaschinen AG verkörperte. Ihr Ziel war es besonders wichtige Nachrichten und Informationen für die Wirtschaft zu verbreiten, wobei sich später der Fokus auf die vielseitige Unterhaltung legte, um den Menschen der Nachkriegszeit eine Art Stütze zu bieten. Die Problembereiche der 1920er Jahre lagen in der Wirtschaftskrise, der damit einhergehenden Inflation und dem verlorenen ersten Weltkrieg.17 Daraufhin war es für den Rundfunk zu Beginn relativ schwierig Gehör zu erlangen.

Trotzdem sehnten sich die meisten Menschen der 1920er Jahre nach dem Bedürfnis der Unterhaltung.18 Das postmoderne Format fungierte deshalb als idealer Wegbereiter, um diesen Bedarf zu decken, da das vielseitige Unterhaltungsprogramm mit unterschiedlichen Musikaufführungen, Nachrichten-, Sport- und Gesprächssendungen zunehmend beliebter wurde. Diese Form etabliert sich aber nicht nur durch die Vielfalt, sondern auch durch die moderne Ästhetik der neuen Funktionen des Mediums, wie beispielsweise die „direkte Ansprache, [die, d. Verf.] Live-Übertragung, [die, d. Verf.] Ereignishaftigkeit und [dem, d. Verf.] häuslichen Empfang“.19 Dennoch erwies sich der Durchbruch weiterhin als schwierige Aufgabe, da die Spuren der Wirtschaftskrise mit den teuren, neuen Produkten auf dem Markt im konträren Verhältnis standen. Dahingehend versinnbildlicht die Erstanschaffung eines Radiogerätes ein progressives Statussymbol, da es sich ausgehend von der finanziellen Hürde, zu Beginn nur Menschen des gehobenen Milieus leisten konnten. Das besondere Gerät fixierte die Freizeit-Sendungen mit dem Familienhaushalt, wobei der politische Themenkomplex der Radiosendungen durch die rechtliche Begrenzung kaum Gehör fand.20

Dennoch kam es im Jahre 1933 nicht nur zur Machtübernahme durch Hitler, sondern auch zu einer Umstrukturierung des Rundfunks hinsichtlich der politischen Inhalte. Als Sprachrohr, welches eine große Reichweite besitzt, diente das Radio als ein Medium zur Durchsetzung der nationalsozialistischen Ideologie. Die neue Kulturpolitik des Radios bezog sich auf öffentliche Meinungsbeeinflussung und Volkserziehung durch Propaganda und auf das Verbot von Individualität, Persönlichkeit und Vernunft.21 Die Erfindung des Volksempfängers trug dazu bei, dass das Radiogerät zum Propagandainstrument unifizierte. Dadurch, dass dieses Gerät billiger als normale Radioempfänger war und in großer Stückzahl produziert wurde, war es für die Bürger leichter einen Volksempfänger zu erhalten.22 Hitlers Ziel war es, seine Ideologie in der Bevölkerung durch das Massenmedium Radio zu propagieren. Erst nach der bedingungslosen Kapitulation der Nationalsozialisten am 08. – 10. Mai 1945, verlor der Reichsrundfunk seine ideologische, weitreichende Wirkung.23

Die Voraussetzung für ein Fortsetzen des Rundfunks nach der Unifizierung mit der nationalsozialistischen Ideologie, entsprach der Unterbindung deutscher Sendedienste, wobei von fortan die Siegermächte in den jeweiligen Bezirken für die Entnazifizierung und Umerziehung durch den Radio zuständig waren.24 In den Jahren 1948 und 1949 gelang es den „westlichen Besatzungszonen eigene Rundfunkgesetze [einzuführen, d. Verf.], durch die ihre Sender den Status von unabhängigen ‚öffentlich-rechtlichen Anstalten‘ unter deutscher Verantwortung […] [erhielten, d. Verf.]“.25

3.1.2 Reaktionen auf das neue Medium

Ausgehend von der Stabilisierung des Rundfunks, entwickelte sich in den 1950er und 1960er Jahren der Radiogebrauch zu einem Alltagsphänomen. Dies ist zurückzuführen auf den Wechsel der von der Nachkriegszeit hervorgerufenen Entbehrung zu einer zunehmenden Konsumgesellschaft mit erhöhten Freizeitbedarf.26 So stellte sich das Radio schnell als eines der häufigsten im Haushalt vorkommenden Elektrogeräte vieler Familien heraus. Dadurch entwickelte sich die Verwendung des Radiogerätes zu einer routinehaften Nebentätigkeit, wobei beispielsweise Hausfrauen das Radio bei Hausarbeiten oder bei familiären Mahlzeiten nebenbei liefen lassen. Mit der Weiterführung zu portablen, kleineren Radios hatten nun auch Bürger, welche sich die Heimgeräte mit einem Preis von 200-500 DM nicht leisten konnten, die Möglichkeit, die Musik über das Radiogerät zu genießen.27 Die Vermarktung der Radioportables fokussierte sich zunehmend auf den dynamisch, jungen Konsumenten, welcher das mobile Endgerät bei allen Freizeitbeschäftigungen mit sich führte. Dahingehend ergab sich aber eine Diskrepanz zu den Werbevorstellungen der Radioindustrie, da der Fokus auf das Bereisen der Welt mit dem Portable-Radio zielte, wodurch die immer noch herrschenden, ärmlichen Verhältnisse der Nachkriegsgesellschaft unbeachtet blieben. Die eigenen vier Wände, jedoch, standen im Einklang mit der Radio-Freizeitkultur und der häuslichen Aufgabenbewältigung.28

Zum Ende der 50er Jahre musste das Radio aber auch stilistisch zum eigenen Wagen oder jeweiligen Mode-Trend passen, wobei es die Radios nun in sämtlichen Farben und Formen unter Werbetexten wie die „Handtasche voller Musik“ zu kaufen gab.29 Damit einher ging nicht nur eine ästhetische Änderung des Radiodesigns, sondern auch ein Übergang vom Reisebegleiter zum Universalempfänger. Das neue Leitmotiv der Radiokultur vermischt das Autoradio, den Heimempfänger und die Radioportables in einem Gerät, dem Universalempfänger, sodass es dem modernen Mensch dank diesem 3 in 1-Effekt nun von überall aus möglich ist Aktuelles zu erfahren.30 Die neue Möglichkeit zu Auslandsreisen und dem Kennenlernen neuer Kulturen brachte die Entwicklung der KW-Portables voran. Den Reisenden eröffnete sich durch die integrierte KW-Verbindung der Zugang zu deutschsprachigen Radiosendungen, welche auch im Ausland aufgenommen werden konnten, um das Heimatgefühl auch an fremden Orten herzustellen.31 Zu Gunsten der Mobilisierung des Radios war es nun möglich den kompletten Tagesablauf mit dem Radio in Verbindung zu bringen. Außerdem kam es auch zu einer Veränderung hinsichtlich der Nutzung und Qualität. Wohingegen früher mit dem Heimgerät ein möglichst leistungsstarkes Klangbild des Radios geformt wurde, kam es in den 60er Jahren, unter Einfluss der jugendlichen Nutzergruppe, zur Bevorzugung von Flexibilität des Radiostandortes und einem zahlreichen Senderangebot und weniger um die Klangqualität des Radios.32 Somit erweiterte sich die intensive Auseinandersetzung des Radiohörens, meist im familiären Beisammensein, zu einer Hörer-Kultur, welche die Alltagsroutine des Konsumenten bestimmte.

3.2 Der Walkman

Das Rundfunkangebot fokussierte sich in den 50er Jahren verstärkt auf die Berichterstattung, den Wetterdienst und einem erzieherischen Unterhaltungsangebot, wobei die Hörerschaft nur geringfügig aus Jugendlichen bestand. Explizite jugendliche Radiosender gab es in den Anfangsjahren der Musikindustrie eher selten. Dennoch stellte der jugendspezifische Konsummarkt für die ökonomische Warenästhetik des Radios einen wichtigen Teil dar, da vor allem für Jugendliche der Austausch über Musik und die Identifikation mit ihren musikalischen Vorbildern von essenzieller Bedeutung war.33 Problematisch erwies sich im Hinblick auf das Rundfunkangebot die Autonomie des eigenen Musikkonsums. Ein erster Schritt auf dem Weg zur personalisierten Musikrezeption entsprach die Erfindung des TPS-L2, der ersten Version des Walkmans von Sony aus dem Jahre 1979. In Japan erfunden, brachte man ihn in den 80er Jahren auf den westdeutschen Markt.34 Die Grundvorstellung des Einführungsmarketing beruhte auf Begriffen wie Fitness, Jugendlichkeit und Vergnügen, genauso wie auf der besonders hochwertigen Soundqualität. Um dieser Leitmaxime treu zu bleiben, fusioniert der japanische Erfinder im Walkman den Kassettenrekorder und die Stereokopfhörer, wobei technisch gesehen keines seiner Bestandteile als Neuschöpfung hervorging. Die Verschmelzung der simplen Kopfhörer-Wiedergabe und der Mobilmachung von alltäglichen Freizeitstrukturen eroberte als Innovation den internationalen Markt.35 Diese Inspiration machte sich auch auf den Werbeformaten bemerkbar, da Sony meist den juvenilen Walkman-Hörer bei sportlichen Aktivitäten oder in Geselligkeit präsentierte, wodurch die Verbindung von Sport und Spaß hervorgerufen wurde.36

Ein weiterer wichtiger Punkt für den Erfolg des Walkmans ergab sich durch die Preiskalkulation, da Sony eine zielgruppenspezifische Ausdifferenzierung verfolgte und deshalb der Walkman vor allem für den jugendlichen Habitus finanzierbar sein sollte. Der Durchschnittspreis eines Walkmans berief sich im Jahre 1982 auf 200 DM, wodurch er mit den Ersparnissen der Jugend erschwinglich war.37 Dieser preisliche Unterschied zu anderen technologischen Musikprodukten rief das Erfolgskonzept des Walkmans hervor. Die diversen Reaktionen, die mit dem optimierten Musikgerät einhergehen, werden im Folgenden aufgezeigt.

3.2.1 Eruption der öffentlichen Kommunikationsordnung

Zu Beginn der neuen technologischen Ära hielt sich der Absatzmarkt, trotz der niedrigen Preisverhältnisse, noch in Grenzen, wobei die ersten gesichteten Walkman-Hörer bei ihrer öffentlichen Inszenierung des Musikkonsums kritisch beäugt wurden. Dadurch, dass das private Vergnügen in der Öffentlichkeit ausgetragen wurde, schien der soziale Verhaltenskodex verletzt, da der Walkman-Hörer den Mitmenschen nun offensichtlich demonstrierte, dass er sich gerade in seiner eigenen individuellen Wahrnehmung befindet und nicht gestört werden möchte. Dieser neue Trend wurde mit dem Schlagwort des „urbanen Individualisten“38 unifiziert, da sein passives Verhalten eine Abkapselung vom öffentlichen Geschehen darstellte.

Mit dieser zunehmenden Isolation von der Außenwelt und dem Eintreten in die individualisierte Traumwelt der Musikrezeption steigerte sich die abwehrende Haltung gegen den Walkman-Hörer, da er durch die Praktizierung seines privaten Hobbys im öffentlichen Raum bemerkbar wurde. Die Gründe dafür entsprachen der Auflösung der Realität, der Abwertung der traditionellen Familienwertigkeit und der anwachsenden Einsamkeit hinsichtlich der Freizeitbeschäftigung.39

[...]


1 Huber, Michael: Zur sozialen Ungleichheit des Musikhörens. In: Huber, Michael (Ders.): Musikhören im Zeitalter Web 2.0: Theoretische Grundlagen und empirische Befunde. Wiesbaden 2018, S. 7-30, hier: S. 9.

2 Vgl. Weber, Heike: Zusammenfassung und Ausblick. Mobil sein in einer Überall-und-Jederzeit-Kultur. In: Weber, Heike (Hrsg.): Das Versprechen mobiler Freiheit. Zur Kultur- und Technikgeschichte von Kofferradio, Walkman und Handy. Bielefeld 2008, S.311-32, hier: S. 192.

3 Vgl. Hosakawa, Shuhei: Der Walkman-Effekt. Berlin 1987, S. 31.

4 Siehe auch McLuhan, Marshall: Understanding Media. The extensions of man. London 1965.

5 Vgl. Mock, Thomas: Was ist ein Medium. In: Publizistik 51 (2006), S. 183-200, hier S. 185.

6 Vgl. Röhner, Jessica; Schütz, Astrid: Klassische Kommunikationsmodelle. In: Röhner, Jesica; Schütz, Astrid (Hgg.): Psychologie der Kommunikation. Wiesbaden ²2016, S. 19-38, hier S. 21f.

7 Vgl. McLuhan (1965), S. 9.

8 McLuhan, Marshall: The Gutenberg Galaxy. 1962, S.61 zit. nach Fahrenbach, Kathrin: Medien, Geschichte und Wahrnehmung. Eine Einführung in die Mediengeschichte. Wiesbaden 2019, S. 12.

9 Fahrenbach (2019), S.11.

10 Ebd.: 13.

11 Weber (2008), S. 315.

12 Vgl. Fruth, Pia: Tape on me. Versuch einer Sozialgeschichte der Kasette. In: Fruth, Pia (Hg.): Record. Play. Stop. Die Ära der Kompaktkassette. Eine medienkulturelle Betrachtung. Bielefeld 2018, S. 113-220, hier S. 119.

13 Vgl. Weber (2008), S. 311.

14 Ebd.: 311.

15 Vgl. Dolata, Ulrich; Schrape, Jan-Felix: Krise und Transformation der Musikindustrie. In: Dolata, Ulrich (Hg.): Internet, Mobile Devices und die Transformation der Medien. Radikaler Wandel als schrittweise Rekonfiguration. Berlin 2013, S. 67-93, hier S. 67.

16 Leonhard, Joachim-Felix; Halefeldt, Horst O.; Stoffels, Ludwig: Programmgeschichte des Hörfunks in der Weimarer Republik. München 1997, S.23 zit. nach Koch, Hans Jürgen; Glaser, Hermann: Ganz Ohr. Eine Kulturgeschichte des Radios in Deutschland. Köln u. a. Böhlau 2005, S. 1.

17 Vgl. Koch, Glaser (2005), S. 10f.

18 Vgl. Ebd.: 12.

19 Carolyn Birdsall: Radio. In: Morat, Daniel; Ziemer, Hansjakob (Hgg.): Handbuch Sound. Geschichte. Begriffe. Ansätze. Stuttgart 2018, S.353, hier S. 353.

20 Vgl. Koch, Glaser (2005), S. 56f.

21 Vgl. Ebd.: 70.

22 Vgl. Schramm, Holger; Spangardt, Benedikt; Ruth, Nicolas: Radio Ga Ga. Von der Radiomusik zum Webradio. In: Schramm, Holger; Spangardt, Benedikt; Ruth, Nicolas (Hg.): Medien und Musik. Wiesbaden 2017. S. 21-39, hier S. 23.

23 Vgl. Koch, Glaser (2005), S. 139.

24 Vgl. ebd.: 146.

25 Ebd.: 230.

26 Vgl. Weber, Heike: Die Mobilisierung des Radios. Vom Reise- zum Alltagsbegleiter. In: Weber, Heike (Hg.): Das Versprechen mobiler Freiheit. Zur Kultur- und Technikgeschichte von Kofferradio, Walkman und Handy. Bielefeld 2008, S.85-160, hier S. 85.

27 Vgl. ebd.: 90f.

28 Vgl. Weber (2008), S. 102.

29 Vgl. ebd.: 104f.

30 Vgl. ebd.: 113f.

31 Vgl. ebd.: 117.

32 Vgl. ebd.: 142.

33 Vgl. Weber, Heike: Kassettenrekorder, Walkman und die Normalisierung des mobilen Kopfhörer-Einsatzes. In: Weber, Heike (Hg.): Das Versprechen mobiler Freiheit. Zur Kultur- und Technikgeschichte von Kofferradio, Walkman und Handy. Bielefeld 2008, S. 161-224, hier S. 164.

34 Vgl. ebd.: 176.

35 Vgl. Weber (2008), S. 177 – 179.

36 Vgl. Du Gay, Paul: Doing cultural studies. The story of the Sony Walkman. London 1997, S. 38.

37 Vgl. Weber (2008), S. 187.

38 Ebd.: 192.

39 Vgl. Weber (2008), S. 191-194.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Der Wandel der Musikindustrie – vom Radio bis zum Smartphone
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Note
1,3
Autor
Jahr
2018
Seiten
19
Katalognummer
V914847
ISBN (eBook)
9783346231291
ISBN (Buch)
9783346231307
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Musikindustrie, Walkman, Spotify, Smartphone, Digitalisierung, Technologisierung, Transformation
Arbeit zitieren
Vanessa Neumann (Autor:in), 2018, Der Wandel der Musikindustrie – vom Radio bis zum Smartphone, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/914847

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