Probleme des Jugendstrafvollzugs in Deutschland. Sollen Inhaftierte Mitwirkungspflichten haben?


Magisterarbeit, 2004

99 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Einführung

1. Teil: Überblick über die gesetzlichen Vorschriften
1. Überblick
1.1 Status quo der gesetzlichen Vorschriften
1.2. Verwaltungsvorschriften zum Jugendstrafvollzug (VVJug)
1.3. Fazit
1.4. Vollstreckungsrechtlicher Rahmen i.S.d. §§ 91, 92 JGG
2. Leitprinzip Erziehung
2.1 Ziel des Jugendstrafvollzuges
2.2 Erziehungsmittel und Methoden
2.3 Grundlinien vollzuglicher Erziehung
2.3.2 Belohnungsorientiert
2.4 Fazit
3. Reflektion der besonderen Situation von Mädchen und jungen Frauen
3. Rechtsstellung der Gefangenen
3.1. Anspruch auf Entwicklung und Erziehung
3.2 Umfassende Beteiligung
3.3. Ergebnis
4. Vorrang offener Vollzugsformen
5. Mindeststandards für den Jugendstrafvollzug
5.1. Größe der Anstalten
5.2. Verbot der Überbelegung
5.3. Unterbringung
5.4. Qualifizierte Angebote
5.5. Personal (Arten, Ausbildung, Supervision)
5.6. Externe Programmteilnehmer
5.7. Evaluation aller Behandlungsprogramme
5.8 Beschwerderecht
5.9 Diskriminierungsverbot

2. Teil: Neuere Entwicklung in Daten
1. Daten
1.1 Gefangenenziffern
1.2 Belegungssituation
1.3. Altersstruktur
1.4 Fazit
2. Einschätzung bzgl. der Realisierung des Referentenentwurfs
3. Hintergründe
3.1 Steigende Jugendkriminalität?
3.2. Die Wirkung der Medien in Bezug auf Jugendkriminalität und Jugendgewalt

3. Teil: Besondere Probleme
1. Überrepräsentation von Minoritäten
2. Neue „Problemgruppe“ Spätaussiedler
3. Zusammenfassung

4. Teil: Neuere Vorschläge in der Diskussion
1. Neuere Diskussion
1.1 „Wehret den Anfängen“
1.2 „Zero Tolerance“
1.3 Neutralisierung, „Incapacitation“
1.4 Haftverschärfung; Boot- Camp
1.5 „Modell Glen Mills“
1.6 Konfrontative Pädagogik
1.7 Fazit
2. Verurteilungen zurückdrängen, Entlassung beschleunigen
3. Beachtung der Vorschriften des Ausländergesetzes
4. Jugendstrafvollzug in freien Formen
4.1 „Projekt Chance“
4.2 Soziales Jugendprojekt „UZ“
4.3 Zahlen und Fakten
4.4 Stellungnahme

5. Teil: Anforderungen an ein künftiges Jugendvollzugsgesetz
1. Festhalten am Erziehungsgedanken
2. Festschreiben von Standards
3. Gestaltung des Umfelds
4. Umstrukturierung der Ausbildung der Bediensteten
5. Soziales Lernen
6. Positive Sanktionen

6. Teil: Ausblick

Literaturverzeichnis

Internetverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung: 1 Gefangenenziffern, 18-21jährige und unter 18jährige Baden-Württemberg, vgl. S. 48

Abbildung: 2 Jahresdurchschnittsbelegung in der JVA Adelsheim, vgl. S. 49

Abbildung: 3 Verurteilte in den alten Bundesländern und Gesamtberlin nach Altersgruppenteilen und Verurteiltenziffern (je 10.000 Personen der Altersgruppen) im Jahr 2000, vgl. S. 51

Abbildung: 4 Strafgefangene nach Altersgruppen und Geschlechtern zum Stichtag 31.3.2003, vgl. S. 52

Abbildung: 5 Gefangenenraten im Jugendstrafvollzug im Bundesländervergleich am 31.3.2003, vgl. 55

Abbildung: 6 Untersuchungshaftraten von Jugendlichen und Heranwachsenden im Bundesländervergleich am 31.3.2002, vgl. S. 56

Abbildung: 7 Zahlenvergleich Jugendliche und Heranwachsende nach ihrer Staatsangehörigkeit im Jahr 2003, vgl. S. 64

Abbildung: 8 Zeitreihe Deutsche und Nichtdeutsche Verurteilte – BRD 1987-2000, vgl. S. 65

Abbildung: 9 Anteil nichtdeutscher 14- bis unter 21jähriger Tatverdächtiger, BRD (West) ohne Berlin, 1988-1998, vgl. S. 66

Abbildung: 10 Gefangenenziffern, 14-21jährige Baden- Württemberg, vgl. S. 68

Abbildung: 11 Entwicklungen in der ethnischen Zusammensetzung der Jugendstrafgefangenen von 1974-1999, vgl. S. 70

Abbildung: 12 Ergebnis des Antigewalttrainings in der Jugendanstalt Hameln, vgl. S. 82

Abbildung: 13 Gewaltrückfälle seit 1995 in der Jugendanstalt Hameln, vgl. S. 83

Abbildung: 14 Rechtskräftig verurteilte Jugendliche incl. Sanktionen im Jahre 2003, vgl. S. 85

Einführung

Jugendliche mit fairen Chancen auf der einen, aber auch genügend junge Menschen auf der anderen Seite mit weniger sozialen Möglichkeiten, sind Chance und Warnung an ein gutes dt. Jugendstrafvollzugsgesetz. Soll auf die Jugendkriminalität in erhöhtem Maße differenziert und flexibel zugleich reagiert werden, sind Entstehung und Hintergrund strafbaren Verhaltens von Jugendlichen in die Strafe und bei der Verurteilung mit einzubeziehen. Dabei sollte spezielles Augenmerk darauf gerichtet sein, die bereits strafbar gewordenen Jugendlichen nicht auf ein mögliches Rückfallrisiko zu beschränken, sondern vielmehr auch die Chance, ein, wenn auch belastetes junges Leben in ein Erwachsensein ohne Delinquenz zu entlassen.

In den von der 2. Jugendstrafrechtskommission der DVJJ bereits aus dem Jahr 2002 erarbeiteten Reformansätzen wird deutlich, dass es in grundsätzlichen Fragen neuer Orientierung bedarf. Ziele und Aufgaben des dt. Jugendstrafrechts müssen den Erkenntnissen moderner kriminologischer, sozialwissenschaftlicher und erziehungswissenschaftlicher Forschung angeglichen werden, um ein praxisnahes, zeitgemäßes, den Bedürfnissen der Jugendlichen angepasstes Reaktionssystem einzuführen.

Zunehmender politischer Druck i.S.v. „Es darf nichts passieren!“, wie auch die fortwährende Diskussion über eine Verschärfung des Jugendstrafrechts, wie z.B. die Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters, der Warnschussarrest und der Rückbau von Vollzugslockerungen, verunsichern den Jugendvollzug.

Im Gesamtverbund dt. Justizvollzug wird selbiger leider immer noch stiefmütterlich behandelt. Diskreditierende Meinungen wie „Jugendvollzugsanstalten sind Justizvollzugsanstalten wie alle anderen auch“ bzw. „Gummibärchenvollzug“ sowie „Legoland“ zeigen, dass der Jugendvollzug seine Vorreiterrolle verloren hat, zumal immer beträchtlichere Teile der knappen Haushaltsmittel in den Sicherungsbereich fließen.

Das Vorhaben der Bundesregierung Deutschland, für den Vollzug der Jugendstrafe eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, kann also nur begrüßt werden. Der vorgelegte Referentenentwurf eines Gesetzes zur Regelung des dt. Jugendstrafvollzuges (GJVoLLz) wird nunmehr von der Bundesregierung Deutschland’s als geeigneter Schritt in die richtige Richtung verstanden. Zu hoffen ist, dass die dt. Bundesregierung und die Bundesländer im weiteren Gesetzgebungsverfahren entsprechend der ihnen übertragenen Verantwortung handeln, so dass dieses längst erforderliche Gesetz nicht blockiert wird.

In diesem Zusammenhang ist klärungsbedürftig, ob und wenn ja, wo und in welchem Ausmaß die jungen Inhaftierten einer ggf. sanktionsfähigen Mitwirkungspflicht unterliegen. Hamburg, im Oktober 2004 Caroline B. Wähner, Bac. Jur.

1. Teil: Überblick über die gesetzlichen Vorschriften

1. Überblick

1.1 Status quo der gesetzlichen Vorschriften

Die gesetzlichen Vorschriften zum Jugendstrafvollzug sind derzeit nur lückenhaft vorhanden.

Das für den Erwachsenenstrafvollzug konzipierte Strafvollzugsgesetz gilt grundsätzlich nicht für den Jugendstrafvollzug.

Lediglich zwei Bereiche des Vollzugs von Jugendstrafe werden geregelt.

Erstens regelt § 176 StVollzG i.V.m. den §§ 43, 52 StVollzG das Arbeitsentgelt und den so genannten „Arbeitsurlaub .

Zweitens normiert § 178 StVollzG i.V.m. den §§ 94 bis 101 StVollzG die Anwendung der Vorschriften über den unmittelbaren Zwang in Jugendstrafanstalten.

Ferner regeln die §§ 194 Nr. 5, 199 Abs. 2 Nr. 6 StVollzG i.V.m. den §§ 566, 571 RVO die Einbeziehung der jungen Gefangenen in die Arbeitslosenversicherung.

Die wesentlichen Regelungen des Jugendstrafvollzugs1 finden sich daneben im Jugendgerichtsgesetz in den §§ 91, 92 JGG sowie in 115 Abs. 2 JGG.

Insoweit betrifft § 91 I-IV JGG die Erziehungsaufgabe des Vollzugs.

In § 91 JGG wird als Vollzugsziel das spätere Führen eines „rechtschaffenen und verantwortungsbewussten Lebenswandels“ benannt und findet über § 110 Abs. 2 JGG auch für Heranwachsende entsprechende Anwendung. Dabei ist die Erziehung des Jugendlichen, gerichtet auf die Vermittlung und Förderung eines Jugendlichen oberstes Gebot, vgl. § 91 Abs. 1 JGG.

Diese Zielbeschreibung, die über die Ermahnung zu künftiger Straffreiheit hinausgeht, ist insofern gerechtfertigt und erforderlich, indem sie dem Umstand Rechnung trägt, dass im Strafvollzug gegen Minderjährige auch eine die Erziehungsberechtigten ersetzende Allgemeinerziehung zu leisten ist.2

Die Grundlagen der Erziehung werden in § 91 Abs. 2 JGG spezifiziert. Dieser befindet „Ordnung, Arbeit, Unterricht, Leibesübungen und sinnvolle Beschäftigung in der freien Zeit“ als Grundlagen der zu leistenden Erziehung.

Bezüglich der Ausgestaltung dieser Norm herrschen unterschiedliche Auffassungen im Hinblick auf eine Modernisierung der gesetzlichen Regelung.

Nach der Ansicht von Streng3 wirkt dieser Katalog etwas antiquiert.

Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass angesichts des eigentlich überfälligen Jugendstrafvollzugsgesetzes der Gesetzgeber bisher keinen Anlass darin sah, den § 91 Abs. 2 JGG zu aktualisieren und den heutigen Erziehungsmethoden anzupassen.

Nach der Grundauffassung des Deutschem Richterbundes (DRB) kommt der gesetzgeberische Wille, jedenfalls in Bezug auf die Ausgestaltung des Jugendstrafvollzuges noch hinreichend zum Ausdruck.

Aus der Ermächtigung des § 115 JGG ergibt sich allerdings, dass der Gesetzgeber es für erforderlich gehalten hat, den § 91 Abs. 2 JGG durch ausfüllende Regelungen zu ergänzen.

Von dieser Ermächtigung hat die Bundesregierung jedoch keinen Gebrauch gemacht, so dass allein die bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften zum Jugendstrafvollzug (VVJug) vom 15.12.1976 die Ausgestaltung regeln. Soweit die Grundrechte der Gefangenen eingeschränkt werden, fehlt es an einer Rechtfertigung auf bundesgesetzlicher Ebene.

Außer den genannten Normen finden sich keine weiteren gesetzlichen Regelungen zum Jugendstrafvollzug.

1.2. Verwaltungsvorschriften zum Jugendstrafvollzug (VVJug)

Wie oben bereits erwähnt, kommt deshalb besondere Bedeutung bei der Ausgestaltung der Jugendstrafe und den einzelnen vollzuglichen Maßnahmen den, von den Landesjustizverwaltungen gleichzeitig mit dem Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes zum 1.1.1977 vereinbarten, bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften zum Jugendstrafvollzug zu.

Die VVJug lehnen sich zumeist wörtlich an die Vorschriften des Strafvollzuges an.4 Allerdings wird der Begriff der „Behandlung“ gegen den der „Erziehung“ ausgetauscht. Ferner bestehen für einige wenige Regelungsbereiche geringfügige materielle Unterschiede gegenüber dem Erwachsenenstrafvollzug, z.B. bezüglich der Anwendung von Schusswaffen zur Verhinderung von Entweichungen oder der Höchstdauer des Arrestes.

Mit den Vorschriften der VVJug wurde beabsichtigt, die sogenannte „Übergangszeit“ bis zum Erlass umfassender gesetzlicher Regelungen zu überbrücken.5

Nun dauert allerdings diese sogenannte „Übergangszeit“ schon ein viertel Jahrhundert an.

Diese Rechtslage entspricht nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen eines auf dem Rechtsstaatsprinzip beruhenden Freiheitsentzuges, welcher in die Grundrechte junger Inhaftierter eingreift.6

Schon im Jahre 1977 hielten die meisten Justizministerien die gesetzliche Regelung des Jugendstrafvollzuges für unzureichend. Der zum Erwachsenenvollzug ergangenen Entscheidung des BVerfG7 aus dem Jahre 1972 wurde entsprechend auch für den Jugendstrafvollzug Bindungswirkung zuerkannt.

Hingegen sei die vom Gesetzgeber gesetzte Frist8 für das Inkrafttreten einer gesetzlichen Regelung nur für den Strafvollzug an Erwachsenen gültig.

Daher scheint es nicht verwunderlich, dass in jüngster Zeit immer häufiger Meinungen erhoben werden, die die geltende Regelung als verfassungswidrig ansehen.9

Ob letztere Aussage zutrifft, ist umstritten.

Eine Vielzahl der Autoren belässt es jedoch bei dieser Feststellung und zieht insoweit keine verfassungsrechtlichen Konsequenzen.

Gegen die gegenwärtige rechtliche Regelung bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.

Eine Auffassung übt insbesondere Kritik, dass die Art und Weise, in der die Jugendstrafe zu vollziehen ist, einer förmlichen gesetzlichen Regelung bedarf, die sich nicht in Generalklauseln erschöpft, sondern in ihrer Gesamtregelung der aus rechtsstaatlichen Gründen zu fordernden Bestimmtheit genügt.10

Gerade das Bestimmtheitsgebot i.S.d. Art. 103 Abs. 2, 104 GG ist sowohl bei Eingriffen in Grundrechte als auch in verfassungsrechtlich geschützte Positionen unbedingt zu achten.

Dabei sollte dieses Erfordernis im Hinblick auf die gerade im Jugendvollzug häufig verhängten Disziplinarmaßnahmen nicht übersehen werden.11

Mehrere Vorlagen an das Bundesverfassungsgericht wurden bereits als unzulässig zurückgewiesen.12 Das BVerfG hatte anlässlich einer Vorlage in einer Anfrage an die Bundesregierung um Stellungnahme gebeten. Gefragt wurde: „Weshalb die Arbeit an einem Jugendstrafvollzugsgesetz noch nicht beendet sei?“ Das Gericht nahm dabei auf seine früheren Entscheidungen zum Strafvollzug Bezug.13 In diesen hatte es für den Strafvollzug an Erwachsenen das Erfordernis einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage aufgestellt. Dies deutet darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht an der derzeitigen gesetzlichen Lage zweifelt.14 Die Bundesregierung hat Ende April 2004 den Ländern den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Regelung des Jugendstrafvollzuges (GJVollz) zur Kenntnisnahme und mit der Bitte um Stellungnahme bis 1. September 2004 zugeleitet. Sie bemüht sich bereits seit langem, den nicht befriedigenden Zustand eines fehlenden eigenständigen und bundeseinheitlichen Jugendstrafvollzugsgesetzes zu beseitigen. Darüber hinaus hat sich die Bundesrepublik Deutschland durch internationales Recht (Art. 40 Abs. 3 UN- KRK) zum Erlass jugendgemäßer Gesetze verpflichtet.

1.3. Fazit

Im Rahmen der Reformbemühungen wird sich rein gestalterisch immer wieder die grundsätzliche Frage stellen, ob ein eigenständiges Jugendstrafvollzugsgesetz15 geschaffen werden sollte oder ob nur entsprechende ergänzende Vorschriften in das JGG bzw. im StVollzG16 eingefügt werden sollen.

Mit der Aufnahme ergänzender Vorschriften in das StVollzG oder das JGG würden unnötige Wiederholungen vermieden und damit eher funktionalen Aspekten der Vorrang eingeräumt.

Für letzteres Vorgehen spräche auch das sonstige gesetzgeberische Vorgehen im Bereich des Jugendstrafrechts. Der Gesetzgeber hat weder ein Jugend - StGB noch eine Jugend - StPO geschaffen, obwohl dort jeweils vielfältige und gewichtige abweichende Regelungen gelten.17

Eine eigenständige Regelung würde allerdings die Gleichrangigkeit und zugleich die Besonderheit des Strafvollzuges an Jugendlichen deutlich hervorheben und somit auch symbolischen Charakter haben.

Nimmt man die Aufgabe der Reform des Jugendstrafvollzuges ernst und regelt diesen tatsächlich in wesentlichen Teilen anders als den Erwachsenenstrafvollzug, so besteht durchaus die Notwendigkeit für ein eigenständiges Jugendstrafvollzugsgesetz.

Der Forderung Strohmaiers18 soll hier zugestimmt werden, wonach das Jugendstrafvollzugsgesetz auf der einen Seite ein wirkliches Gesetz sein sollte, das konkrete Mindestbedingungen benennt, andererseits aber lediglich einen Vollzugsrahmen abstecken sollte, um die Erziehungsarbeit nicht durch eine zu intensive Justizibialität zu blockieren.

Des Weiteren ist auch Jung19 dahingehend beizupflichten, dass ein Jugendstrafvollzugsgesetz nicht nur eine rechtsstaatliche Lücke schließen sollte, sondern von ihm auch inhaltliche Impulse für die Ausgestaltung des Jugendstrafvollzuges und – durchaus im Sinne einer Vorreiterfunktion des Jugendstrafrechts - für die Fortentwicklung des Erwachsenenstrafvollzuges ausgehen sollte.

1.4. Vollstreckungsrechtlicher Rahmen i.S.d. §§ 91, 92 JGG

Ist die Jugendstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt oder erfolgt der Widerruf der Strafaussetzung, wird die Jugendstrafe gemäß §§ 17 I, 92 I JGG als Freiheitsentzug in einer Jugendstrafanstalt vollzogen. Vollstreckungsleiter ist gemäß § 82 I JGG der Jugendrichter. Diese Aufgabe ist im Allgemeinen Strafrecht gemäß § 451 StPO auf die Staatsanwaltschaft und gemäß § 462 a StPO auf die Strafvollstreckungskammer aufgeteilt. Vollstreckung meint die Gesamtheit der teils richterlichen, teils verwaltungsmäßigen Tätigkeiten, die den Rahmen für die Realisierung der Jugendstrafe im Vollzug abgeben. Gemäß § 84 I JGG leitet der erkennende Richter die Vollstreckung ein. Die Vollstreckungsleitung geht gemäß § 85 II S. 1 JGG nach Aufnahme in die Jugendstrafanstalt auf den Jugendrichter des Amtsgerichts über, in dessen Bezirk die Jugendstrafanstalt liegt oder gemäß § 85 II S. 2 JGG auf ein durch Rechtsverordnung bestimmtes, verkehrsgünstiger gelegenes Amtsgericht. Soweit der Vollstreckungsleiter weisungsgebundene Justizverwaltungsaufgaben wahrnimmt, wie z.B. die Einweisung in eine bestimmte Anstalt oder die Ladung zum Strafantritt, kann der Verurteilte gegen solche Entscheidungen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 23 EGGVG stellen oder beim Generalstaatsanwalt Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Richter erheben.20 Soweit der Vollstreckungsleiter gemäß § 83 I JGG richterliche Aufgaben wahrnimmt, entscheidet er durch Beschluss, gegen den gemäß § 83 III S. 1 JGG sofortige Beschwerde zulässig ist.21 Für solche Vollstreckungsentscheidungen sind gemäß § 83 III S. 2 JGG auch die Regelungen des § 68 JGG zur notwendigen Verteidigung sinngemäß anwendbar.22

2. Leitprinzip Erziehung

2.1 Ziel des Jugendstrafvollzuges

Durch die vorhandene Grundsatznorm des Jugendstrafvollzugs, § 91 JGG, ist festgelegt, dass der Verurteilte dazu erzogen werden soll, für die Zukunft einen rechtschaffenen und verantwortungsvollen Lebenswandel zu führen. Was ist darunter zu verstehen?

Zunächst kann festgestellt werden, dass im Jugendvollzug kein Unrecht vergolten, Dritte abgeschreckt noch Exempel statuiert werden sollen. Im Jugendvollzug geht es nicht darum, die Jugendlichen zur Verantwortung zu ziehen, denn dies geschah bereits durch das Urteil, sondern sie zur Verantwortung, sich selber und anderen Menschen gegenüber, zu erziehen.23

In der Pädagogik wird das Ziel von Erziehung nahezu einmütig als Entwicklung im Sinne der Entfaltung der Persönlichkeit beschrieben.24 Aus diesem Grunde gibt § 1 Abs. 1 KJHG (SGB VII) jedem „ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“.

Im Strafvollzug kann nicht nur die autonome Persönlichkeitsentfaltung gemeint sein, vielmehr muss es sich um eine, darüber hinaus im Spiegel von sozialer Verantwortung und Recht stehende Erziehung handeln.

Wissenschaft und Rechtsprechung sind daher heute der überwiegenden Meinung, dass das Erziehungsziel des Jugendstrafvollzugs nicht mehr, aber auch nicht weniger als die künftige Legalbewährung ist.25 Das Mittel zur Erreichung dieses Zieles im Jugendstrafvollzug ist Erziehung. Allerdings darf die grundrechtstangierende Einwirkung nicht weitergehen, als für ein Leben ohne Straftaten unerlässlich ist.26 Denn sonst würden mit Hilfe des Erziehungsgedankens Grundrechtseingriffe im Jugendvollzug legitimiert, die im Erwachsenenstrafvollzug wegen der Sperrvorschrift des § 4 Abs. 2 StVollzG ausgeschlossen sind. Dieser Meinung schließen sich auch die Autoren an, die für die Ablösung des Erziehungsgedankens plädieren.27 Es handelt sich hier wie folgt um die Frage, was während der Vollstreckung einer Jugendstrafe zu geschehen hat. Dies hat Begemann prägnant wie folgt formuliert: „Wir strafen nicht, um zu erziehen; doch wenn wir schon aus anderen Gründen strafen, nutzen wir die Gelegenheit, im Rahmen des Möglichen erzieherisch zu wirken.“ 28

2.2 Erziehungsmittel und Methoden

Fraglich ist, wie diese „Erziehung“ ausgestaltet sein soll. Die Wahl der Erziehungsmittel und -methoden muss sich im Rechtsstaat selbstverständlich an dem Erkenntnisstand der einschlägigen Fachdisziplinen, insbesondere der Erziehungswissenschaften, orientieren.29 Die vorgenommene Konkretisierung in Richtung „Fordern und Fördern“30 entspricht dem Stand der Erziehungswissenschaften.31 Sie reflektiert, dass Erziehungsarbeit jenseits einer vordergründigen Anpassung nur erfolgreich ist und sein kann, wenn sie mit der inneren Beteiligung des Betroffenen stattfindet. Hierin liegt eine Abkehr von dem primär defizitär geprägten Blick auf den jungen Menschen. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries32 lehnt „Einen Verwahrvollzug ohne therapeutische, schulische, pädagogische oder berufsfördernde Angebote ab“. Sie begründet dies damit, daß „[...] die Gefahr erneuter Straffälligkeit nach der Entlassung nicht minimiert, sondern erhöht [...]“ würde. Dem ist inhaltlich im Ganzen zuzustimmen. Die Betonung der Eigenverantwortlichkeit und Gemeinschaftsfähigkeit in § 3 Abs. 1 Ref-E33 entspricht der Erziehungsbestimmung des § 1 SGB VIII. Dieser beinhaltet das Bild einer zugleich autonomen und sozial eingebundenen Persönlichkeit, die sich in der speziellen Phase der Jugend als Entwicklungsprozess hin zu einer eigenständigen Persönlichkeit befindet und in diesem Prozess gefördert werden soll.34 Die antiquiert anmutende Aufzählung in § 91 Abs. 2 JGG ist als durchaus unvollständige Aufzählung von Regelbeispielen erzieherischer Angebote zu verstehen.35 Die Wahl der im Einzelfall anzuwendenden erzieherischen Angebote ist dann Aufgabe individualisierender Erziehungspraxis unter Berücksichtigung des aktuellen Standes der wissenschaftlichen Pädagogik und der Berufsethik.36

Die Problematik, bestimmte Formen erzieherischen Handelns nicht grundsätzlich in den Vordergrund zu stellen, wie das § 91 Abs. 2 JGG nahelegen kann, ist in § 3 des letzten vom BMJ veröffentlichten Entwurfs eines Jugendstrafvollzugsgesetzes, durch eine Aufzählung von Regelbeispielen erzieherischer Angebote durchaus anspruchsvoll gelöst.37

Teilweise wird behauptet, dass im Vollzug der Jugendstrafe nicht erzogen werden könne.38

Diese Ansicht kann unter Hinweis auf Watzlawicks „Metakommunikatives Axiom“ widerlegt werden.39

Er stellt fest, dass niemand nicht nicht-kommunizieren kann40.

Wie auch immer man es versuchen mag, so beeinflusst man ständig andere und somit auch junge Menschen. Aus diesem Grunde erzieht man als Vollzugsbeamter, Lehrer, Ausbildungsmeister immer.41

Nach langer Diskussion, die in erster Linie die Verhängung, weniger den Jugendstrafvollzug betraf, besteht nun weitgehend Einigkeit um den Erziehungsbegriff im Jugendstrafrecht.

Zwar ist der Erziehungsbegriff neu zu formulieren42 bzw. zu aktualisieren43 ansonsten kann aber das Jugendstrafrecht auf den Erziehungsgedanken, insbesondere wegen seiner strafrechtslimitierenden, den Jugendlichen im Vergleich zu Erwachsenen besserstellenden Funktion nicht verzichten. Im Jugendvollzug muss der Erziehungsgedanke darüber hinaus als alleiniges Leitprinzip sowohl für seine Zielsetzung als auch für die Gestaltungsgrundsätze dienen.44

Sollte das künftige Jugendstrafvollzugsgesetz mehr vom Erziehungsgedanken dominiert werden, so sollte dies sich allerdings nicht in einem Plagiat des Strafvollzugsgesetzes erschöpfen, ggf. ergänzt durch einige erzieherische Einsprengsel.45 So wenig Jugendliche kleine Erwachsene sind, so wenig kann eine speziell für den Vollzug der Freiheitsstrafe konzipierte und auch geeignete Regelung den ganz anderen Erfordernissen des Jugendvollzugs als Erziehungsvollzug gerecht werden.46

Dringend erforderlich ist eine Gesamtregelung, die den Entwicklungsbedingungen der Jugendlichen bzw. Heranwachsenden angepasst ist, wie den Erziehungsbedingungen des Jugendvollzugs.

2.3 Grundlinien vollzuglicher Erziehung

Skizziert man ein Verständnis der Jugendstrafvollzugsaufgabe, hat dies konkrete Auswirkungen für die zu formulierenden Grundlinien.

Im Einzelnen muss, wie gezeigt, Erziehung im Jugendvollzug sein:

2.3.1 Angebotsorientiert

Alle Erziehungs- und Behandlungsmethoden müssen Angebote sein, die die jungen Gefangenen auch ausschlagen können. Das bedeutet keine Anwendung von Zwangsmaßnahmen zur Erzwingung einer Teilnahme, sondern das Hinführen und Einsetzen von Anreizen. Ausnahme bildet natürlich die gesetzlich auferlegte Arbeits- und Schulpflicht.

2.3.2 Belohnungsorientiert

2.3.2.1 Umfassendes System der Belohnung und Anerkennung

Als gesicherte Erkenntnis der Lerntheorie darf gelten, dass gesellschaftliche Reaktionen insbesondere dann devianzreduzierend wirken, wenn sie belohnungsorientiert sind:47

„Je häufiger die Aktivität einer Person belohnt wird, desto wahrscheinlicher wird sie diese Aktivität ausführen.“48

Durch ein sogenanntes „Belohnungssystem“49 wohnt den erreichten Verhaltensänderungen die bei weitem größere Wahrscheinlichkeit dauernden Bestehenbleibens inne als jenen, die mit repressiven Mitteln erzielt werden.50 Deswegen muss der Blick auch im Jugendvollzug vom unerlaubten Verhalten weg auf das erlaubte Verhalten hingerichtet werden.51 In diesem Sinne sollte eine Reduzierung des vorhandenen Malussystems, wie z.B. Disziplinarmaßnahmen, besondere Sicherheitsmaßnahmen, Strafanzeigen erfolgen und ein Bonussystem (Credit- Points)52 entwickelt werden. Eine Differenzierung wäre dann über den Umfang der jeweils zu gewährenden Gutschriften erreichbar.53

Für erwünschtes Verhalten der Insassen könnten Gratifikationen und Vorteile gewährt werden, wie z.B. in Form von Wertmarken, die der Gefangene gegen selbst gewählte Leistungen oder Güter tauschen kann.

Allerdings wäre denkbar, dass bestimmte Vergünstigungen nur über Beteiligungen, Wohlverhalten oder Leistungen in bestimmten Bereichen erreicht werden können.

Eine Verbesserung für die Jugendstrafgefangenen wäre, sie für die Schulbildung zu gewinnen und sie für die Teilnahme am Unterricht zu bezahlen, und zwar nicht schlechter als z.B. die Arbeit in einem Unternehmen.54

2.3.2.2 Fazit

Der Inhaftierte sollte nach wie vor der Arbeitspflicht sowie der Gestaltung eines sinnvollen Tagesablaufs unterliegen.55 Allerdings sollten diese Pflichten nicht über Disziplinarmaßnahmen durchgesetzt werden, sondern ihre Nichtbefolgung sollte Nachteil im Belohnungssystem sein, wie z.B. Punktabzug oder Maluspunkte usw.56

Insgesamt sollten erreichte und von der Anstalt zu dokumentierende Lernfortschritte mehr als bisher bei der Entscheidung über eine vorzeitige Entlassung berücksichtigt werden.57

2.3.2.3 Vollzugs-/ Erziehungsplanung

An der Vollzug- und Erziehungsplanung sollten der Gefangene und ggf. auch die Eltern beteiligt sein. In dem zu erstellenden Erziehungsplan sind für den Gefangenen erreichbare, durch eine Abmachung mit ihm vereinbarte Ziele festzuhalten. Die Vollzugs- und Erziehungsplanung soll für den Gefangenen den Charakter einer für beide Seiten verbindlichen Vereinbarung haben, an deren Erstellung er aktiv mitgewirkt hat. Die Ziele müssen, ausgehend von den Ressourcen des Gefangenen, in für ihn überschaubarer Zeit erreichbar sein. Es ist zudem wichtig, dass der Erziehungsplan über den Vollzug hinausreicht. Die nach dem Vollzug zuständigen Mitarbeiter der Bewährungshilfe sollten schon während der Haftzeit in die Hilfeplanung mit einbezogen werden, um eine fundierte Nachbetreuung nach der Haft anbieten zu können.58

2.3.2.4 Vergütung und nichtmonetäre Vorteile

Das BVerfG hat in seinem Urteil zur Gefangenenentlohnung für die im Strafvollzugsgesetz geregelte Pflichtarbeit auf die Möglichkeit nichtmonetärer Entlohnung hingewiesen.59 Herausgestellt wurde die Bedeutung einer gerechten finanziellen Entlohnung für das dem Strafvollzugsgesetz zugrundeliegende Resozialisierungskonzept.

Auch wenn kritisch gefragt werden muss, ob ein zuallererst an der Vermittlung einer positiven Arbeitseinstellung ausgerichtetes Verständnis von Resozialisierung in Zeiten hoher Arbeitslosenquoten noch den derzeitigen Verhältnissen entspricht, sollte doch der Einschätzung beigepflichtet werden, dass der Wert regelmäßiger Arbeit für die eigenverantwortliche Erhaltung einer Lebensgrundlage nur überzeugend näher gebracht werden kann, wenn auch die Entlohnung in einer Höhe erfolgt, die hierzu einen tatsächlichen Beitrag leisten kann. So kann verhindert werden, dass der der Arbeitspflicht unterworfene Gefangene die Arbeit nicht als Arbeitsstrafe empfindet. Deshalb sind für die Erbringung von Arbeit angemessene und an den am freien Markt erzielbaren Tarifen orientierte Entlohnungen zu bezahlen.

Das Gericht hat darüber hinaus neben finanziellen Vorteilen vielmehr auch nichtmonetäre Vorteile in den Blickwinkel gerückt.

Das heißt, dass die nichtmonetären Vorteile gegenüber dem heutigen Stand weiter ausgebaut werden sollten. Dabei wird nicht das Prinzip der angemessenen Vergütung relativiert, sondern das Spektrum der Belohnungen und der be- und entlohnbaren Leistungen erweitert.

Verbesserungen wären die Gewährung von Arbeits- und Hafturlaub, eine um mehrere Tage vorgezogene Entlassung und die Verlegung in eine offener gestaltete Abteilung. Vonnöten ist eine Ermächtigungsnorm, die die Gewährung nichtmonetärer Vorteile transparent regelt. Zuständiges Organ muss der Anstaltsleiter sein. Das dem Jugendstrafvollzug zugrundliegende Resozialisierungskonzept muss für eine spätere erfolgreiche Bewährung auf dem Arbeitsmarkt der Impuls entnommen werden können, dass der Besuch von qualifizierenden Bildungsveranstaltungen mindestens gleichwertig ist mit der Entlohnung von Arbeit.

2.3.3 Auf die Gleichaltrigengruppe bezogen

Die Gleichaltrigengruppe mit förderlicher und schützender Funktion gerät zu oft aus dem Blickfeld. Häufig wird von professionellen Erziehern unterschätzt, dass in der Jugend und Adoleszenz die Gleichaltrigengruppe von größter Bedeutung ist. Oft wird sie als negativer oder unerwünschter Nebeneffekt und deshalb als zu bekämpfender Einfluss bzw. Subkultur wahrgenommen. Kolip60 formuliert zutreffend:

“Gleichaltrige bilden ein wichtiges Netzwerk im Jugendalter. Sie bilden das Feld, auf dem neue Verhaltensweisen erprobt, und Wertvorstellungen vermittelt werden, sie bieten Schutz und emotionale Unterstützung und leisten so einen Beitrag zur Problembewältigung. Die Gleichaltrigengruppe bildet, trotz ihrer flexiblen Struktur, ein bedeutsames und umfassendes Bezugssystem, sie wirkt identitätsstabilisierend, da sie den Aufbau von Sozialbeziehungen erleichtert und fördert“.

Unter anderem aus diesen Gründen sind für Jugendliche Meinungen, die von Gleichaltrigen geäußert oder Problemlösungen, die von ihnen empfohlen werden, von viel größerer Bedeutung als diejenigen, die z. B. ihre Betreuer vorschlagen. Erziehungsarbeit gegen die oder an der Gleichaltrigengruppe vorbei wird deshalb schwerlich Erfolg haben können.61 Einerseits sollte demnach der positive Einfluss der Gleichaltrigengruppe in den Blickpunkt der Erziehungsarbeit gestellt werden, andererseits kann ohne eine weitgehende und verantwortliche Beteiligung der Insassen an alltäglichen Entscheidungen soziales Lernen kaum gefördert werden. Es kommt also darauf an, der Gleichaltrigengruppe dadurch einen hohen Stellenwert einzuräumen, dass durch Gewährung weitreichender Partizipationsrechte unter Einbeziehung der Vollzugsbediensteten eine faire und gerechte Gruppenstruktur entstehen kann und gemeinsame Lernprozesse stimuliert und gefördert werden.62

2.3.4 Erziehung zur Gewaltlosigkeit

Es ist davon auszugehen, dass die Mehrheit jungen Strafgefangenen in ihrem Leben schon von Gewalt betroffen gewesen sind; und zwar als Opfer. Aus diesem Grunde erscheint die Forderung im Gewaltbericht der Bundesregierung überzeugend, dass die „Gewaltlosigkeit der Erziehung wesentlicher Bestandteil der Erziehung zur Gewaltlosigkeit sein muss“.63 Erfahrbar und Lernbar muss im Vollzug der Umgang mit Konflikten, ohne Anwendung von Gewalt, sein. Hierfür ist die Fähigkeit der Perspektivenübernahme, der Empathie, als Schlüsselqualifikation in den Mittelpunkt der Erziehungsarbeit zu stellen.64 Soweit der Jugendvollzug primär auf Gewalt und Disziplinierung als Mittel zur Lösung von Konflikten setzt, ist kaum zu erwarten, dass seine Insassen das seit langem und täglich neu erlernte Verhalten modifizieren. Zudem sollte im Einklang mit den Empfehlungen des Europarates die isolierende Einzelhaft, gleich ob Sicherheits- oder Disziplinarmaßnahme, abgeschafft werden.

2.3.5 Der „Primat“ erzieherischer Maßnahmen

Im Vordergrund sollten erzieherische Maßnahmen gegenüber Disziplinarmaßnahmen und strafrechtlicher Verfolgung stehen.

In allererster Linie geht es hier darum, die Verhaltensauffälligkeiten von Jugendlichen im Vollzug pädagogisch und nur ausnahmsweise mit formeller Disziplinierung oder Strafanzeigen zu lösen. Dies begründet sich im Übrigen aus dem Vorrang des Kindeswohls aus Art. 3 UN- KRK und dem Ultima- Ratio- Grundsatz aus Art. 37 UN- KRK.

Diese Grundsätze sind auch bei Entscheidungen während des Vollzuges der Jugendstrafe zu berücksichtigen.

Hauptsächlich brauchen aber delinquente Jugendliche einen Lebensraum, innerhalb dessen sie sich nicht durch ihre Handlungen und dadurch wieder provoziertes Fehlverhalten verstricken. Bietet der Jugendvollzug kein entlastendes Umfeld, kann er unter Umständen als Katalysator für eine kriminelle Karriere wirken.65

Dass den Anstaltsleitern bei der Beurteilung der Frage, ob sie einen Sachverhalt zum Anlass einer Strafanzeige zu nehmen haben, in Grenzen ein Ermessensspielraum zusteht, ist kaum zweifelhaft.66

Leider wird dies durch die unterschiedlichen landesrechtlichen Regelungen belegt. Erforderlich erscheint demnach eine gesetzliche Regelung in Form einer Kollisionsvorschrift, die das in der Praxis vorhandene Nebeneinander von Disziplinarmaßnahmen und strafrechtlichen Sanktionen einer Rangordnung unterstellt. Wünschenswert wäre folgender Vorschlag: 67

- Vorrang erzieherischer Maßnahmen.
- Bei der Entscheidung, ob Strafanzeige erstattet wird, muss dem Anstaltsleiter ein weitreichender Ermessensspielraum zugestanden werden. So kann vermieden werden, dass der Staatsanwalt als heimlicher Miterzieher fungiert.
- Ist zu erwarten, dass wegen derselben Verfehlung ein Strafverfahren oder ein Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten durchgeführt werden wird, darf eine Disziplinarmaßnahme nur angeordnet werden, wenn eine unmittelbare Reaktion zur Wahrung der Ordnung in der Anstalt unerlässlich ist.

2.4 Fazit

Ein Jugendstrafvollzug ohne Erziehung ist nicht denk- und wünschenswert. Er wäre im Hinblick auf das aus Art. 20 GG folgende Sozialstaatsprinzip auch verfassungswidrig, denn was allgemein für die gedeihliche Sozialisation junger Menschen für erforderlich angesehen wird, kann nicht ausgerechnet für Jugendstrafgefangene entbehrlich sein.68

Das Ziel des Strafvollzuges ist darauf ausgerichtet, Delinquenten zu befähigen, unter künftiger Einhaltung der gesellschaftlichen Spielregeln in die Gemeinschaft zurückzukehren. Das BVerfG erwartet von der Wiedereingliederung eines Rechtsbrechers, dass der Täter im Anschluss an die Strafvollstreckung ein wertvolles Mitglied der Gemeinschaft wird.

Zu diesem Anspruch hinzu knüpft das Jugendstrafrecht mit dem Erziehungsgedanken an. In § 18 Abs. 2 JGG ist deshalb vorgesehen, dass eine Jugendstrafe so zu bemessen ist, dass die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist. Aus diesem Grunde ist eine andere vollzugliche Gestaltung notwendig.

Die verfügbaren personellen und sächlichen Ressourcen des Vollzuges sind dort zu konzentrieren, wo die günstigsten Voraussetzungen für Verhaltensänderungen und die größte Aussicht auf gesellschaftlichen Mehrwert besteht, nämlich im Jugendstrafvollzug.69

Der Jugendstrafvollzug verfolgt abweichende Ziele vom Erwachsenenstrafvollzug. Durch den in § 2 StVollzG kodifizierten Schutz der Allgemeinheit durch Resozialisierung soll die Gesellschaft geschützt werden. Unterstützend geht der Jugendstrafvollzug vom Erziehungsgedanken aus. Die befristete Ausgliederung des Delinquenten ist im Jugendstrafrecht nicht vorgesehen. Dieser ist darauf ausgerichtet, Erziehungsmängel und erziehungsbedingte Fehlentwicklungen aufzufangen bzw. zu beheben. Erziehung unter den Bedingungen des Freiheitsentzuges ist keineswegs unmöglich, durch die ungünstigen Rahmenbedingungen aber selbstverständlich sehr erschwert.70

Aufgrund der unterschiedlichen Aufgabenstellung und Ausrichtung ist es nunmehr dringend erforderlich, den Jugend- und Erwachsenenstrafvollzug unterschiedlich zu regeln. Die bloße Übertragung des Erwachsenenstrafvollzuges würde dem Erziehungsgedanken nicht gerecht.

3. Reflektion der besonderen Situation von Mädchen und jungen Frauen

In der heutigen Zeit stellt der Jugendstrafvollzug vorwiegend einen Vollzug für Jungen und heranwachsende Männer dar. Eine gesetzliche Vorgabe für Mädchen und heranwachsende Frauen gibt es nicht (§§ 17 Abs. 1; 92 Abs. 1 JGG). Hieraus ergibt sich eine Benachteiligung weiblicher Inhaftierter in Bezug auf den Erziehungsauftrag, Bildung, Therapie, Beratung oder differenzierte Unterbringung. Die Verabschiedung eines neuen Gesetzes wäre also zu begrüßen, gerade was die Chancengleichheit der Mädchen und jungen Frauen im Jugendstrafvollzug betrifft. Sodann könnten in Zukunft mehr konkrete Konzepte in Richtung Chancengleichheit gefördert werden. Die Berücksichtigung geschlechtsbezogener Lebenslagen muss dabei den Standards der von der Bundesregierung als verbindlich anerkannten Richtlinien des Gender Mainstreaming entsprechen, wobei in erster Linie die bisherige Benachteiligung der Mädchen und jungen Frauen aufzuheben ist. Grundsatz sollte sein, die Kategorie Geschlecht im Jugendstrafvollzug für Jungen und heranwachsende Männer als auch Mädchen und heranwachsende Frauen zu reflektieren.

Bei der Betrachtung der Begründung zu § 5 Abs. 2 S. 2 Ref-E71 fällt der kompensatorische Umgang mit der Frage der unstrittigen Benachteiligung von Mädchen und jungen Frauen im Jugendstrafvollzug auf. Es erscheint nicht als sinnvoll, eine Unterbringung in eigenen Einheiten von vornherein auszuschließen und anstelle dessen von Ausgleichsangeboten innerhalb des existierenden Frauen- und Jugendvollzugs zu sprechen. Würde an dieser Meinung festgehalten, würde eine Chance vertan, den Jugendstrafvollzug mit weiblichen Jugendlichen und Heranwachsenden in kleinen aber eigenständigen Einheiten durchzuführen.72 Ein durchaus überzeugendes Modell, das für die Zukunft des gesamten Jugendstrafvollzugs wegweisend sein könnte.73

Für die Praxis bedeutet dies, dass den Mädchen und jungen Frauen nicht nur eine Unterbringung in eigenen Anstalten, sondern vor allem der Anspruch auf die mit Erziehungsgedanken im Jugendstrafvollzug einhergehenden Unterbringungs- und Betreuungsstandards zu sichern ist. Dies könnte in einer Belegungszahl von 25 bis 100 Personen bestandskräftig und überzeugend durchgeführt werden.74

Aus der aktuellen Problematik heraus, haben sich die Praktikerinnen und Praktiker für die Einlösung einer lebenslangen Chancengleichheit für weibliche Jugendliche ausgesprochen.

Daher sind folgende Fragen vor dem Hintergrund des aktuellen Forschungsstandes zu Devianz und Geschlecht zu untersuchen:75

- Welcher spezifische Bedarf zeigt sich für Mädchen und junge Frauen im Jugendstrafvollzug und welche Unterbringungsformen sind in Zukunft dafür angemessen?
- Welche Vor- und Nachteile ergeben sich dabei aus der separaten Unterbringung von Mädchen und jungen Frauen in eigens für sie eingerichteten Institutionen?
- Welche Vorteile und Nachteile ergeben sich aus der bisherigen Praxis einer Angliederung des Jugendstrafvollzuges für weibliche Jugendliche an den Strafvollzug für Frauen?

Während der Entwicklung des Jugendstrafvollzugsgesetzes darf die nötige Reflexion in Bezug auf die Geschlechterfrage nicht vergessen werden. Vielmehr sollte sie Bestandteil bei der möglichen Findung des Gesetzes sein. Beim differenzierten Umgang mit der Kategorie Geschlecht sollte nicht nur eine einschränkende Festschreibung gesucht werden, sondern es sollte vielmehr auf Dauer diese Frage nicht obsolet sein. Alle Regelungen und die damit verbundenen Maßnahmen sollten entsprechend darauf zielen, dass junge Frauen und Männer sich aktiv mit ihren Geschlechtsidentitäten auseinandersetzen können und somit mehr Spielräume für ihre Lebensentwürfe erhalten.76

3. Rechtsstellung der Gefangenen

§ 4 StVollzG stellt den Einzelregelungen des Vollzugsgesetzes Grundsätze über die Stellung des Gefangenen voran. Im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG hat die Stellung des Gefangenen eine sozialstaatliche77 und eine rechtsstaatliche78 Komponente. Beide Aspekte wurden in der BVerfGE 40, 276 berücksichtigt.

Einerseits muss der Vollzug dem Gefangenen die für die Eingliederung in das gesellschaftliche Leben notwendigen Hilfen gewähren und ihn auf ein sozial verantwortliches Leben vorbereiten.79 Andererseits müssen die Rechtsbeschränkungen, die der Gefangene aufgrund der Vollzugsaufgaben und damit auch aufgrund der Tatsache des Freiheitsentzuges hinnehmen muss, rechtlich möglichst eindeutig und klar festgelegt sein.80 Der positive „ soziale Integrationsstatus“ des Gefangenen erscheint als sozialstaatliches Gegenstück zum rechtsstaatlich fundierten negativen „Abwehrstatus“.81

Der Begriff der Stellung des Gefangenen umfasst die Rechtsstellung, er ist aber weiter. Er erhält seine Bedeutung nicht schlechthin aus den Regelungen, die Umfang und Grenzen der besonderen Freiheitsbeschränkungen (§ 4 Abs. 2 StVollzG) des Gefangenen im Verhältnis zum Bürger in der übrigen Gesellschaft definieren, sondern vielmehr seinen wesentlichen Inhalt durch die Ausgestaltung des gesamten Vollzuges.82

3.1. Anspruch auf Entwicklung und Erziehung

Das kommende JVollzG muss, wie auch § 1 Abs. 1 SGB VIII jedem, auch nichtdeutschen, Gefangenen während seiner Inhaftierung „ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ gewähren. Nur dies entspricht dem in Art. 3 UN-KRK normierten „Vorrang des Kindeswohls“. Dieser Grundsatz bestimmt, dass u.a. bei jeder jugendkriminalpolitischen Entscheidung dem Wohl des Jugendlichen, das heißt seiner gedeihlichen Entwicklung83, Priorität vor allen anderen Belangen und Gesichtspunkten einzuräumen ist. Dies muss selbstverständlich für die über 18-jährigen Gefangenen ebenso gelten wie für die Jugendlichen.

3.2 Umfassende Beteiligung

Schon Art. 12 UN- KRK verlangt, dass Jugendliche in allen sie berührenden Angelegenheiten gehört werden; das heißt bei Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung und nicht nur, wenn eine Maßnahme sie belasten könnte84. Dies kann am besten erreicht werden, indem den Jugendlichen im Gefängnis von vornherein weitreichende aktive Mitwirkungsrechte bei der Vollzugsgestaltung und der Aufstellung des Förderplans (§ 9 Abs. 3 und § 10 Abs. 2 Ref-E) eingeräumt werden. Auch die Regelung der Mitverantwortung in § 28 Ref-E wird begrüßt. Dabei geht es nicht nur um die Gremien der Selbstverwaltung in Abs. 2, sondern gerade auch um Mitwirkungsmöglichkeiten bei der alltäglichen Lebensgestaltung.85

Dies wird z.B. in so genannten „Just – Community - Projekten“ praktiziert.86 Denkenswert wäre, im Gesetz eine Verbindung zum Wohngruppen- Konzept herzustellen. Obwohl in der Begründung zum GJVollZ davon abgesehen wurde, § 28 Ref-E konkreter auszugestalten, um Raum für variable und experimentelle Modelle der Vollzugsbehörden zu schaffen.87 Förderlich wäre jedoch nicht nur dies zu beachten, sondern dabei die Selbstverwaltung auch in das Wohngruppenkonzept zu integrieren.

„Dies könnte durch eine Soll-Vorschrift oder die Erwähnung von Selbstverwaltung auch auf der Ebene der Wohngruppe in Form eines Regelbeispiels “insbesondere“ geschehen.“88

3.2.1 Mitwirkungspflicht

Fraglich ist, wo und in welchem Zusammenhang der Gefangene einer sanktionierbaren Mitwirkungspflicht unterliegt.

3.2.2 Der Begriff der Mitwirkung i.S.d. § 4 Abs. 1 StVollzG

In § 4 Abs. 1 StVollzG ist die Mitwirkung des Gefangenen an der Behandlung und an der Erreichung des Vollzugszieles ein zentraler Aspekt.

Der Begriff der Mitwirkung meint nicht nur eine passive Beteiligung, sondern im besonderen Maße auch die aktive und eigenständige Teilnahme an den Interaktionen mit den Bediensteten und den anderen Gefangenen.89 In diesem Sinne ist Mitwirkung auch nicht nur die aktive Annahme der vom Vollzugsstab gemachten Resozialisierungsangebote.90 Vielmehr soll und kann der Gefangene eigene Initiativen entfalten, die vom Vollzugsstab aufzunehmen und zu fördern sind.91

3.2.3 Der Einfluss des § 160 StVollzG

Gemäß § 160 StVollzG „soll“ den Inhaftierten „ermöglicht werden, an der Verantwortung für Angelegenheiten von gemeinsamen Interesse teilzunehmen, die sich ihrer Eigenart und der Aufgabe der Anstalt nach für ihre Mitwirkung eignen“. Hat der Gesetzgeber diese generalklauselartige Norm als Soll- Vorschrift gestaltet, so muss diese aber gerade im Hinblick auf § 2 S. 1 StVollzG dahingehend interpretiert werden, als die Anstaltsleitung verpflichtet ist, Möglichkeiten für eine kollektive Mitverantwortung zu schaffen.92

Die Subjektstellung der Inhaftierten erfordert auch eine Beteiligung an der Wahrnehmung gemeinschaftlicher Interessen - nicht nur auf der Makroebene der gesamten Vollzugsanstalt, sondern in allen Teilbereichen der Institution (Abteilungen, Wohngruppen usw.). Damit wollte die Legislative die kollektive Mitwirkung nicht nur auf die ausschließlich Inhaftierte betreffenden Punkte beschränken.93

Das Strafvollzugsgesetz gewährt damit jedoch kein originäres Mitbestimmungsrecht, das heißt, mit der Pflicht zur Ermöglichung von Partizipation korrespondiert kein Recht auf Mitverantwortung.94 Die Inhaftierten können auch nicht eigeninitiativ eine Vertretung auf der Basis eines eingetragenen Vereins gründen, der dann in Angelegenheiten von gemeinsamen Interesse an die Vollzugsbehörden herantritt, denn insoweit ist § 160 StVollzG abschließend geregelt.

Das Vollzugsgesetz geht von der Erkenntnis aus, dass ein Leben in sozialer Verantwortung bereits im Vollzug beginnen muss, wenn es nach der Entlassung eine Realisierungschance haben soll.95 Die Mitverantwortung ist zudem geeignet, subkulturellen Erscheinungsformen entgegenzuwirken.

3.2.4 Einfluß des § 4 des Entwurfes eines Gesetzes zur Regelung des Jugendstrafvollzuges (GJVollz)

Eine Pflicht zur sinnvollen Tagesgestaltung sowie Arbeits- und Schulpflicht sollte grundsätzlich bestehen. Allerdings ist eine Pflicht zur aktiven Mitwirkung an der eigenen Bestrafung und Erziehung dem Menschenbild des Grundgesetzes fremd und entspricht nicht der Stellung des Beschuldigten bzw. Verurteilten im Strafverfahrens- und vollzugsrecht. Dieses ist geprägt davon, dass zwar an dem Verurteilten eine Strafe vollzogen wird, jedoch nicht mit ihm. In § 4 Ref-E des Strafvollzugsgesetzes wurde aus diesem Grunde ausdrücklich auf eine Verpflichtung der Gefangenen verzichtet.96 Diese Entscheidung findet ihre Begründung darin, dass oberflächliche Anpassungsstrategien vermieden werden sollen.97 Zudem kann eine so unbestimmte generalklauselartig gehaltene Vorschrift nicht dieselbe Wirksamkeit entfalten wie andere konkret an Tatbestände gebundene Einzelpflichten.98

Hierbei stellt § 4 Ref-E eine Schlechterstellung von Jugendlichen gegenüber erwachsenen Inhaftierten dar, deren Legitimation lediglich auf Art. 6 Abs. 2 GG basiert und eine dbzgl. weitere Begründung dem Gesetzesentwurf nicht zu entnehmen ist. Vor dem Hintergrund des Gleichheitsgrundsatzes aus Art. 3 GG bedürfte diese Ungleichbehandlung zweier vergleichbarer Gruppen aber eines sachlichen, sich aus der Natur der Sache ergebenden einleuchtenden Grund, der nicht als willkürlich anzusehen ist.99 Eine Differenz zwischen Mitwirkungspflicht und Förderprinzip ist dabei nicht zu leugnen. Zweifelhaft erscheint eine „Pflicht zur Mitwirkung an der Erreichung des Vollzugsziels deshalb, weil Tür und Tor für eine einfache Ausrede schnell gefunden ist:

„Der Inhaftierte hat das Ziel verfehlt, da er nicht mitwirkte!“100

Außer Frage steht, dass der junge Straftäter Verantwortung für die Situation trägt in die er mit der Begehung von Straftaten geraten ist. In der Verurteilung zum Jugendstrafvollzug hat sich diese Verantwortung allerdings bereits niedergeschlagen. Es gibt hingegen keinen Grund, die staatliche Verantwortlichkeit für die Ausgestaltung resozialisierungsfördernder Rahmenbedingungen im Jugendstrafvollzug zu relativieren.101

Die DVJJ102 spricht sich dafür aus, § 4 des Ref-E´s durch konkrete Einzelverpflichtungen zu ersetzen. Er räumt den Vollzugsbehörden die notwendigen Befugnisse zu deren Durchsetzung ein und stellt die Instrumente für die Gewährleistung des Anstaltsgewahrsams und die Aufrechterhaltung der Anstaltsordnung zur Verfügung.103 Die grundlegendste Pflicht ist es, den Entzug der Freiheit zu dulden. Entweichungen und Entweichungsversuche würden disziplinarisch geahndet.104

Folgende weitere Pflichten werden an unterschiedlichen Stellen ausdrücklich aufgeführt.

- „In Angleichung an das Leben in Freiheit müssen sie während der anstaltsintern festgelegten Arbeitszeit der ihnen zugewiesenen, bezahlten Aufgabe nachgehen (§ 22 Abs. 1 Satz 1).“
- „Sie haben Anforderungen der Vollzugsbediensteten zu folgen, auch wenn sie sich dadurch beschwert fühlen (§ 31 Abs. 2 des Entwurfs i.V.m. § 82 Abs. 2 Satz 1 StVollzG).“
- „Sie müssen sich nach der Tageseinteilung der Anstalt (Arbeitszeit, Freizeit, Ruhezeit) richten (§ 31 Abs. 2 des Entwurfs i.V.m. § 82 Abs.1 Satz 1 StVollzG).“
- „Sie dürfen ihnen zugewiesene Bereiche nicht ohne Erlaubnis verlassen (§ 31 Abs. 2 des Entwurfs i.V.m. § 82 Abs. 2 Satz 2 StVollzG).“
- „Sie dürfen durch ihr Verhalten gegenüber Vollzugsbediensteten, Mitgefangenen und anderen Personen das geordnete Zusammenleben in der Anstalt nicht stören (§ 31 Abs. 2 des Entwurfs i.V.m. § 82 Abs. 1 Satz 2 StVollzG).“
- „Sie haben ihre Hafträume und die ihnen überlassenen Sachen in Ordnung zu halten und schonend zu behandeln (§ 31 Abs. 2 des Entwurfs i.V.m. § 82 Abs. 3 StVollzG).“
- „Sie müssen Umstände, die eine Gefahr für das Leben oder eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit einer Person bedeuten, unverzüglich melden (§ 31 Abs. 2 des Entwurfs i.V.m. § 82 Abs. 4 StVollzG).“
- „Sie dürfen nur Sachen in Gewahrsam haben, die ihnen von der Vollzugsbehörde oder mit ihrer Zustimmung überlassen werden (§ 31 Abs. 2 des Entwurfs i.V.m. § 83 Abs. 1 Satz 1 StVollzG).“
- „Die Gefangenen haben die notwendigen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz zu unterstützen (§ 29 Abs. 1 Satz 3 des Entwurfs).“
- „Den Gefangenen können zudem Pflichten nicht nur durch, sondern auch aufgrund des Jugendstrafvollzugsgesetzes auferlegt werden. Dies kann durch die Hausordnung (§ 42 Abs. 3 des Entwurfs i.V.m. § 161 Abs. 1 Satz 1 StVollzG) oder durch Einzelzuweisung erfolgen.105 Ausmaß und Umfang der Mitwirkungspflicht orientieren sich im Einzelfall an der Aufgabe des Vollzuges, die Gefangenen zur Entwicklung von Eigenverantwortung zu befähigen.“106

[...]


1 Böhm, 1996, S. 226ff.; Bulczak, 1988, S. 70 ff.; Laubenthal, 1998, Rn. 744 ff.

2 Laubenthal 1998, Rn. 744 ff.

3 Streng, § 12 Rn. 77.

4 Laubenthal 1998, Rn. 746.

5 So die Vorbemerkung in der amtlichen Ausgabe der VVJug.

6 Sonnen in: Diemer/ Schoreit/ Sonnen, 1995, § 91 Rn. 8; Eisenberg, 1997, § 91 Rn. 5; Ostendorf, 1997, § 92 Rn. 3; AG Herford NStZ 1991, S. 255.

7 BVerfGE 33, 1.

8 BVerfGE 40, 276.

9 M. Walter, Strafvollzug, 1999, Rn. 153; Ostendorf, JGG, 5. Aufl. § 91 Rn. 3; Feest/ Lesting in AKStVollzG § 1 Rn. 9; Bammann, RdJB 2001, S. 24; Wölfl, ZRP 2000, S. 511.

10 So auch der Dt. Richterbund in seiner Stellungnahme zur Verfassungswidrigkeit des Jugendstrafvollzuges, 2002: http://www.dvjj.de.

11 So auch J. Walter, Jugendvollzug in der Krise? URL: http://www.dvjj.de

12 Zuletzt Vorlagebeschluss des Amtsgerichts Herford vom 23.04.2001, DVJJ- Journal 2001, S. 427 mit Anmerkung Ostendorf und Beschluss des BVerfG vom 21.12.2001, DVJJ- Journal 2002, S. 90.

13 BVerfGE 33, 1; BVerfGE 40, 276.

14 Wölfl, ZRP 2000, S. 513.

15 So folgende Entwürfe: „Böhm – Kommission 1980“, „BJM- Arbeitsentwurf 1984“, „Baumann- Entwurf“, „DVJJ- Entwurf 1988“, JvollZGE 1991“; Ostendorf, Grdl. zu §§ 91, 92 Rn. 7.

16 Begemann, ZRP 1991, S. 44; Dünkel, ZRP 1992, S. 176, S. 181.

17 Eisenberg, ZRP 1985, S. 41.

18 Strohmaier, ZRP 1986, S. 185 (186).

19 Jung in: Baumann, S. 7.

20 Eisenberg, JGG, § 83 Nr. 2; Streng, § 12 Rn. 75 (2003); Brunner/Dölling, JGG, § 83 Rn. 3.

21 Brunner /Dölling, JGG, § 83 Rn. 7; Sonnen in: Diemer/ Schoreit/Sonnen, JGG, § 83 Rn. 3, 6f.

22 Vgl. Beulke, FS Böhm, S. 647, 660; Ostendorf, JGG, § 83 Rn. 5; Sonnen in: Diemer/ Schoreit/Sonnen, JGG, § 83 Rn. 7.

23 Vgl. J. Walter, Jugendvollzug in der Krise? S. 2.

24 Kohlberg/Mayer, 1972, S. 82.

25 Heinz, 1993, S. 54; Streng, 1994, S. 85; Matt, 1999, S. 46; Sonnen (2004). Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Regelung des Jugendstrafvollzuges (GJVollz). ZJJ 3/ 2004, S. 316.

26 Eisenberg, 2002, § 5 Rn. 3, 4.

27 Albrecht, 1993, S. 242 ff., S. 255 ff.; Ostendorf, 2000, Grundlagen zu § 1 und 2, Rn. 4; Müller, 1991, S. 345 ff.

28 Begemann, 1991, S. 278 (280).

29 Kaiser, 1982, S. 77.

30 Interview von Brigitte Zypries vom: 01.07.2004 zum Thema: “Jugendstrafvollzug“. URL des Artikels: http://www.gefaehrdetenhilfe.de/pages/1985_brigitte_zypries.cfm.

31 Sonnen (2004). Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Regelung des Jugendstrafvollzuges (GJVollz). In: ZJJ 3/ 2004, S. 316.

32 URL des Artikels: http://www.gefaehrdetenhilfe.de/pages/1985_brigitte_zypries.cfm.

33 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Regelung des Jugendstrafvollzuges (GJVollz): Entwurf des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) vom 28. April 2004. URL: http://www.dvjj.de.

34 FK Münder, 2003, § 1, Rn. 8 ff.; Wiesner, 2000, § 1, Rn. 3 ff.

35 J. Walter, Jugendstrafvollzug in der Krise, S. 2.

36 Prim, 1993, S. 267.

37 So auch J. Walter, Jugendstrafvollzug in der Krise, S. 2.

38 Vgl. Walter, 2001, S. 15 ff.

39 Böhm, 1993, S. 197.

40 Watzlawick, 1969, S. 50 ff: (S.53).

41 J. Walter, 1993, S. 108; Wydra, 1994, S. 16.

42 Heinz, 1992, S. 369 ff.

43 Dünkel, 1990, S. 456 mw.N.; Kräupl, 1994, S. 21.

44 Dt. Jugendgerichtstag 1995 (AK II/VI) DVJJ- Journal 1996, S. 264.

45 Vgl. Dünkel, 1992 (a) S.59 zum Entwurf eines GJVollz des BJM vom 24.9.1991: “[...]weitgehendes Plagiat des Strafvollzugsgesetzes“.

46 J. Walter, Jugendstrafvollzug in der Krise, S. 3.

47 Wiswede, 1979, S. 169.

48 Wiswede, 1979, S. 168.

49 URL: http:// www.dvjj.de/ veranstaltung.php.php?artikel=384; Eckpunktepapier- Anforderungen an ein zukünftiges Jugendstrafvollzugsgesetz des Vorstandes der DVJJ.

50 Kerner, 1993, Stichwort Sanktionen, S. 438 f.

51 Eisenberg, Einleitung Rn. 5d.

52 A.a.O.

53 A.a.O.

54 Walter, in: ZJJ 4/ 2003 „Erwartungen der Praxis an ein künftiges Jugendvollzugsgesetz“, S. 399.

55 URL: http:// www.dvjj.de/ veranstaltung.php.php?artikel=384; Eckpunktepapier- Anforderungen an ein zukünftiges Jugendstrafvollzugsgesetz des Vorstandes der DVJJ.

56 A.a.O.

57 A.a.O.

58 Vgl. DBH e.V. in einer Stellungnahme an den Vizepräsidenten des BVerfG Hassemer vom 29.10.2002, S. 9.

59 BVerfG in: NJW 1998, S. 3337.

60 Kolip, 1993. S. 85.

61 Wetzels & Enzmann, 1999, S. 129.

62 Walter, in: ZJJ 4/ 2003 „Erwartungen der Praxis an ein künftiges Jugendvollzugsgesetz“, S. 399.

63 Vgl. Schwind & Baumann, Gewaltkommission Kurzfassung, 1989, S. 159.

64 Walter, in: ZJJ 4/ 2003 „Erwartungen der Praxis an ein künftiges Jugendvollzugsgesetz“, S. 400.

65 Thiersch, 1967, S. 401.

66 Hans OLG NStZ, 1996, S. 102 mit Anm. Kleszewski und w.N.; Kubink, 1996, S. 374.

67 Walter, in: ZJJ 4/ 2003 „Erwartungen der Praxis an ein künftiges Jugendvollzugsgesetz“, S. 400.

68 Kaiser, 1995, S. 9 (16).

69 Stellungnahme zur Verfassungswidrigkeit des Jugendstrafvollzuges vom BSBD, S. 2.

70 J. Walter, Jugendstrafvollzug in der Krise, S. 3.

71 Begründung zum GJVollz vom 28.04.2004, S. 20

72 Sonnen, in: ZJJ 3/2004, S. 317

73 A.a.O.

74 A.a.O.

75 URL: http:// www.dvjj.de/ veranstaltung.php.php?artikel=384; Eckpunktepapier- Anforderungen an ein zukünftiges Jugendstrafvollzugsgesetz des Vorstandes der DVJJ.

76 A.a.O.

77 BVerfGE 35, 202 (235); 45, 245; 98, 169.

78 BVerfGE 33,1.

79 Calliess & Müller- Dietz, 2002, § 4 Rn. 1.

80 A.a.O.

81 Würtenberger, Kriminalpolitik im sozialen Rechtsstaat, 1970, 223.

82 Calliess, 1992, 55 ff.

83 Im engl. Originaltext: „best interest of the child”.

84 Vgl. Walter, 2004, S.401.

85 Sonnen, in: ZJJ 3/ 2004, S. 318

86 Vgl. dazu Walter, J. & Waschek, U., 2002, S. 191.

87 So auch Sonnen, in ZJJ 3/2004, S. 319.

88 Ebd.

89 Calliess & Müller- Dietz, 2002, § 4 Rn. 2.

90 A.a.O.

91 Ebd.

92 Calliess & Müller- Dietz, 1994, § 160 Rn. 2; Esser, 1992, S. 17

93 Vgl. BT- Drs. VII/ 3998, S. 46.

94 KG, NStZ 1993, S. 427.

95 Laubenthal, 1998, S. 118, Rn. 274.

96 Dies gilt wie folgt uneingeschränkt für den Jugendstrafvollzug.

97 Calliess & Müller Dietz, 2002, § 4 Rn. 4.

98 A.a.O.

99 Schmidt, Bleibtreu & Klein, Art. 3 Rn. 13.

100 Siehe so auch Sonnen, in: ZJJ 3/2004, S. 316.

101 A.a.O.

102 Ebd.

103 Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Jugendvollzuges: Begründung vom 28.4.2004, S. 18.

104 A.a.O.

105 Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Jugendvollzuges: Begründung vom 28.4.2004, S. 19.

106 A.a.O.

Ende der Leseprobe aus 99 Seiten

Details

Titel
Probleme des Jugendstrafvollzugs in Deutschland. Sollen Inhaftierte Mitwirkungspflichten haben?
Hochschule
Technische Universität Hamburg-Harburg  (Kriminalwissenschaften)
Veranstaltung
Magister
Note
2,5
Autor
Jahr
2004
Seiten
99
Katalognummer
V915693
ISBN (eBook)
9783346255358
ISBN (Buch)
9783346255365
Sprache
Deutsch
Schlagworte
JUgendstrafvollzug, Mitwirkungspflichten, Reformen
Arbeit zitieren
Caroline Brunhild Wähner (Autor:in), 2004, Probleme des Jugendstrafvollzugs in Deutschland. Sollen Inhaftierte Mitwirkungspflichten haben?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/915693

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