In dieser Untersuchung soll aufgezeigt werden, inwiefern die in der Tang-Zeit aufblühende Chan-Bewegung des chinesischen Buddhismus das metaphysische System der Huayan-Schule beeinflusste. Dabei steht der buddhistische Mönchsgelehrte Guifeng Zongmi (圭峰宗密, 780-841) im Fokus, welcher als Chan- und zugleich Huayan-Meister eine besondere Stellung in der Entwicklung des chinesischen Buddhismus einnimmt. Bei einer komparativen Untersuchung seines philosophisch-doktrinalen Klassifikationssystems (判教, panjiao) fallen tief greifende Neuerungen auf, die sich von der „orthodoxen“ Huayan-Systematik des 3. Patriarchen Fazang (法藏, 643-712) deutlich abheben und vor allem auf dem Gebiet der Metaphysik/Ontologie erhebliche Veränderungen aufweisen.
Wie im Folgenden versucht wird darzustellen, sind die Veränderung an Fazangs Systematik und die damit verbundene Neuformulierung der Huayan-Doktrin durch Zongmi vor dem Hintergrund zweier Konfliktsituationen innerhalb des Tang-Buddhismus zu verstehen: zum einen die Auseinandersetzungen mit zunehmend antinomistischen Tendenzen innerhalb der Chan-Bewegung; und zum anderen die doktrinalen Disparitäten zwischen scholastischen Schulen des chinesischen Buddhismus und Chan.
Vor diesem Hintergrund sollen die Parallelen zwischen Zongmis Neuformulierung und der Lehre der Hongzhou-Chan-Schule, die von Zongmi wegen ihren antinomistischen Implikationen kritisiert wurde, erst dargestellt und dann erläutert werden. Die Gemeinsamkeiten könnten aufzeigen, dass Zongmi in der orthodoxen Huayan-Metaphysik des Fazang die gleiche ontologische Problematik erkennt, wie er sie bei der Hongzhou-Schule wahrnimmt. Wie im Hauptteil nachvollzogen werden soll, könnte diese Verbindung als Ursache für Zongmis Veränderungen des Huayan-Lehrgebäudes angenommen werden. Mit dieser Umstrukturierung hat Zongmi möglicherweise den Versuch unternommen, der allgemeinen Tendenz innerhalb des Chan, nämlich der Verwerfung buddhistischer Praxis und ethischer Restriktionen, entgegenzuwirken, indem er mit dem theoretischen Rahmen des Huayan, eine ontologische Grundlage zur Verifikation buddhistischer Praxis bietet.
Inhaltsverzeichnis
- Die Huayan-Schule
- Einleitung
- Situation des Buddhismus zur Tang-Zeit
- Entwicklung des Chan vor dem Hintergrund des Buddhismus zur Tang-Zeit
- Das panjiao-System
- Entstehung des Chan
- Radikale Tendenzen im Chan
- Konflikt zwischen Chan und scholastischen Sutren-Schulen
- Guifeng Zongmi
- Biographie
- Zongmi zwischen scholastischer Tradition und Chan
- Das Huayan-panjiao: Fazang, Chengguan, Zongmi
- Die unmittelbare Lehre des Mahayana (★, dasheng-dunjiao)
- Fazang
- Chengguans unmittelbare Lehre und Chan
- Zongmis Verwerfung der unmittelbaren Lehre
- Die vollkommene Lehre des Mahayana (★, dasheng-yuanjiao)
- Die Verwerfung von shishiwuai
- Die Hongzhou-Schule
- Parallele zu shishiwuai
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit zielt darauf ab, den Einfluss der aufblühenden Chan-Bewegung des chinesischen Buddhismus in der Tang-Zeit auf das metaphysische System der Huayan-Schule aufzuzeigen. Der Fokus liegt dabei auf dem buddhistischen Mönchsgelehrten Guifeng Zongmi (780-841), der eine besondere Rolle in der Entwicklung des chinesischen Buddhismus als sowohl Chan- als auch Huayan-Meister einnimmt. Seine umfassenden Kenntnisse in verschiedenen Bereichen des Buddhismus und in den indigenen chinesischen Philosophien (Konfuzianismus und Daoismus) machen ihn zu einer Schlüsselfigur im Sinisierungsprozess des Buddhismus. Die Untersuchung beleuchtet Zongmis einzigartige Positionierung zwischen zwei unterschiedlichen buddhistischen Traditionslinien und die daraus resultierenden Neuerungen in seiner Philosophie.
- Die Rolle von Guifeng Zongmi in der Entwicklung des chinesischen Buddhismus
- Der Einfluss des Chan auf die Huayan-Schule
- Zongmis Verwerfung des "shishiwuai" Konzepts
- Die Veränderungen in der Huayan-Doktrin durch Zongmi
- Die Verbindung von Chan und Huayan in Zongmis Philosophie
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der Arbeit ein und beschreibt die Situation des Buddhismus in der Tang-Zeit, die Entstehung des Chan und den Konflikt zwischen Chan und scholastischen Sutren-Schulen. Es werden die wichtigsten Akteure und ihre Beiträge zur Entwicklung des Buddhismus, insbesondere Zongmis besondere Rolle, beleuchtet.
Kapitel 2.1 befasst sich mit der Huayan-Schule und ihrer Entwicklung, beginnend mit Dushun, Zhiyan und Fazang, die maßgeblich an der Ausformulierung der Huayan-Philosophie beteiligt waren. Es werden die zentralen Konzepte der Schule wie die All-Einheit des Kosmos und die synkretistische Sicht auf die buddhistischen Lehren erläutert.
Kapitel 3 befasst sich mit Guifeng Zongmi und seiner Biographie. Es werden die wichtigen Aspekte seiner Lebensgeschichte und seine Rolle als Vermittler zwischen der scholastischen Tradition und dem Chan hervorgehoben.
Kapitel 4 analysiert das Huayan-panjiao-System und die unterschiedlichen Ansätze von Fazang, Chengguan und Zongmi. Die "unmittelbare Lehre des Mahayana" und die "vollkommene Lehre des Mahayana" werden im Detail betrachtet, wobei Zongmis Kritik an der unmittelbaren Lehre und seine Neuformulierung des Huayan-Systems im Mittelpunkt stehen.
Kapitel 5 untersucht die Verwerfung des "shishiwuai" Konzepts durch Zongmi. Es werden die Parallelen zwischen Zongmis Kritik an der Hongzhou-Schule und seinen eigenen Veränderungen im Huayan-System dargestellt. Die Hongzhou-Schule wird in Bezug auf ihre antinomistischen Tendenzen und ihre Verwerfung buddhistischer Praxis erläutert.
Schlüsselwörter
Chinesischer Buddhismus, Tang-Zeit, Chan, Huayan-Schule, Guifeng Zongmi, Fazang, panjiao, shishiwuai, Hongzhou-Schule, Metaphysik, Ontologie, Synkretismus, Buddhismus in China, Sinisierungsprozess, Traditionen des Buddhismus, Konflikt zwischen Chan und Sutren-Schulen
- Arbeit zitieren
- Daniel Künstler (Autor:in), 2008, Von shishiwuai zu lishiwuai - Guifeng Zongmi, Chan und der ontologische Paradigmenwechsel in der Huayan-Schule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91607