Weißrussland - Demokratie im Leerlauf?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

36 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Etappen
2.1 Erlangung der Unabhängigkeit
2.2 Die Verfassung von
2.3 Präsidentschaftswahlen
2.4 Parlamentswahlen
2.5 Verfassungsreferendum
2.6. Ende der Demokratisierung

3. Problemfaktoren
3.1 Lukaschenko
3.2. Russland
3.3 Wirtschaft
3.4. Politische Kultur
3.5. Menschenrechte

4. Zusammenfassung

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Nach dem Zerfall der Sowjetunion stehen die postkommunistischen Nachfolgestaaten dem schwierigen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Transformationsprozess gegenüber.[1] Die Demokratisierungsprozesse der Nachfolgestaaten sind jedoch nicht alle von Erfolg gekrönt. Dem Musterbeispiel Polens und dem Modell des „Runden Tischs“ steht die Republik Belarus (Weißrussland) gegenüber. Die geographische Lage der Republik Belarus als Bindeglied zwischen Russland und der Europäischen Union lässt die Frage nach der politischen Perspektive dieses Landes, vor allem nach der EU-Osterweiterung zum 1.05.2004, besonders wichtig erscheinen. Anfängliche Fortschritte wurden in Weißrussland verstärkt unter dem Präsidenten Alexander Lukaschenko aufgegeben, sodass unter den derzeitigen Umständen eine erfolgreiche Transformation in weite Ferne gerückt ist. Um für die gegenwärtige Situation Erklärungsansätze zu finden, ist die Reduzierung auf die Person Lukaschenko ungenügend. Marktbeziehungen, internationalen Organisationen, sowie die russischen, weißrussischen und supranationalen Akteure bilden weitere wichtige Faktoren.

Dabei stellt sich die Frage, ob sich Weißrussland an die Europäische Union anzunähern vermag oder ob es die stärkere Bindung zu Russland sucht. Wie kam es zur aktuellen Demokratisierungsmisere? Welche Ursachen sind für sie verantwortlich und wie verhalten sich die Akteure? Gibt es Möglichkeiten, den „alten“ Transformationsprozess fortzuführen? Eine umfassende Abhandlung wird im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich sein. Vielmehr sollen die wichtigsten Ereignisse skizziert und der Versuch unternommen werden, einige ausgewählte Problemelemente aufzuzeigen. Zunächst werden die wichtigsten Etappen der Entwicklung seit 1990 erläutert. Mit dem Referendum 1996 endete vorerst die Transformation. Erklärungsansätze für die angespannte Situation liegen in der Person des amtierenden Präsidenten, den Beziehungen zu Russland, der anhaltenden Missachtung der Menschenrechte und der Medienfreiheit und den ökonomischen Verhältnissen, sowie der politischen Kultur von Belarus. Maßgebliche Grundlage für diese Arbeit bilden die Dissertationen von Astrid Lorenz[2] und Heinrich Linus Förster[3], sowie die Veröffentlichungen von Astrid Sahm[4], Irina Bugrova[5] und die Jahresberichte der OSZE und Amnesty International Deutschland.

2. Etappen

2.1 Erlangung der Unabhängigkeit

Den Beginn des politischen Zerfalls der Sowjetunion stellte die Politik der Glasnost und Perestrojka von Gorbatschow.[6] Seit 1987 geriet die Perestrojka ins Stocken und stand unter ständigen Attacken. Bei der Wahl für die Kandidaten des Ersten Volksdeputiertenkongresses am 10. Januar 1989 zeigte sich ein erstes Bild der Zerrissenheit der Partei in zwei Lager.[7] Die Repräsentanten der gesellschaftlichen Organisationen zählten dabei zu den energischsten Demokratiebefürwortern.[8] 1990 verschärfte sich der Ton gegen die demokratischen Kräfte innerhalb Russlands. Beschimpfungen als Nichtpatrioten, Abhöraktionen des KGB und das Drängen auf radikaleres Vorgehen durch Notstandsmaßnahmen nahmen zu. „Die Machtbesessenen, ob in Regierung oder Partei, hatten erkannt, dass die Unterzeichnung des Unionsvertrages sie ihrer Macht berauben und von der politischen Bühne entfernen würde.“[9] Gorbatschow wurde als Ursache für die Fehlentwicklungen, den Rückzug der Streitkräfte aus Deutschland, Polen und Ungarn und die Preisgabe des Landes für ausländische Spionage angesehen. Im Frühjahr 1991 versuchten die Hardliner Gorbatschow vom Amt des Generalsekretärs zu entheben, im August kam es dann unter Führung von Krjutschkow zum offenen Putsch, bei dem Gorbatschow unter Hausarrest gestellt wurde.[10]

Für die weißrussische Führung sind die Ereignisse in Russland von besonderer Bedeutung, da sich jene - besonders unter Führung Efrem Sokolows - vehement den Reformbemühungen Gorbatschows verschlossen.[11] Noch im November 1990 auf dem 31. Parteitag hielt die Kommunistische Partei Belarus (KPB) die Treue zu Moskau. Sie verteidigte den Einheitsstaat, lehnte das Privateigentum strikt ab und bezeichnete gegenläufige Forderungen als extremistisch. Die belarussische Volksfront wurde als Feind für die Stabilität im Land und als Urheber für gesellschaftliche, politische sowie wirtschaftliche Probleme angesehen.[12]

So ist es nicht verwunderlich, dass sie den Putschversuch in weiten Teilen befürworteten. Nachdem dieser scheiterte, führte das erstmals zu einer Zäsur in der Entwicklung der Republik Belarus. Die alte Elite konnte sich von den Entwicklungen in Moskau nicht mehr abkoppeln und ein partielles Umdenken, nicht zuletzt aufgrund der neuen Machthaber in Russland - Boris Jelzin[13] – zwang sie zum Handeln. Diese Bemühungen manifestierten sich in der Erlangung der Unabhängigkeit des Landes.[14] Erst nach den Ereignissen in Moskau vom 19.-21.8.1991 kam es zu Demonstrationen, die ein unabhängiges Belarussland forderten. Dabei blieb zwar die Beteiligung großer Menschenmassen aus, trotzdem reagierten die Machthaber und die Erklärung über die Unabhängigkeit wurde zum Verfassungsgesetz erhoben.

Drei Hauptgründe waren dafür entscheidend. Erstens wurde den ohnehin nationaldemokratischen Forderungen der Opposition stattgegeben. Zweitens stützte sich die Befürwortung auf die Gruppe derer, die die Gefahr instabiler Verhältnisse wie in Russland abwenden wollten. Und letztlich traten diejenigen KPB-Mitglieder hinzu, welche nach Gorbatschows Rücktritt nicht ins politische Abseits geraten wollten bzw. möglicher Anklagen zu entgehen versuchten.[15] Gerade die letzte Gruppe forderte zuerst die Unabhängigkeit ein, um zum Beispiel weiterhin die Kontrolle über die Justiz, das Parteieigentum oder das Innenministerium zu behalten und dadurch eine von der Belarussischen Volksfront geforderte Aufklärung über deren Beteiligung am Putsch in Moskau entgegenzuwirken. Somit stellte die Souveränität lediglich ein pragmatisches Faktum für die ansonsten konservative Republik dar.[16]

Die weißrussische Führungselite mit dem seit 1990 gewählten Premierminister Vjačeslau Kebič überstand die Ereignisse nahezu unbeschadet. Mit Ausnahme des Parlamentspräsidenten Mikalaj Dzemjancej, der nach dem erfolglosen Putsch in Moskau durch Stanislau Suskevič abgelöst wurde, blieben personelle Veränderungen aus. Im März 1991 fanden die ersten Wahlen nach der Schaffung eines Mehrparteiensystems statt, bei denen die Kommunisten die Mehrheit errangen. Sowohl Kebič als auch Suskevič verkörperten den Generationswechsel innerhalb der Partei, der zu dieser Zeit allerdings der allgemeinen Personalentwicklung entsprach.[17] Kebič gehörte der „Partei der Macht an“. Die konservative Elite sah in ihm ihren idealen Interessenvertreter. Es kam dennoch zu graduellen Reformen (Freiheiten für das Gerichtswesen, keine direkten Einschränkungen gegen die Massenmedien, Herausbildung eines Mehrparteiensystems), die aber demokratische Strukturen nicht unbedingt als Ziel hatten, sondern dem Erhalt der Macht unter neuen Vorzeichen dienlich zu sein schienen.[18] Als Leiter der staatlichen Plankommission und der Abteilung für Schwerindustrie im Zentralkomitee befürwortete Kebič eine Anbindung an Russland. Der parteilose Suskevič – Atomphysiker und Universitätsprofessor - dagegen galt als reformorientiert, nationaldemokratisch und unterstützte die Ideen der Perestrojka. Nach der Erklärung der Unabhängigkeit am 25.8.1991 existierte kein Amt des Staatsoberhauptes. In sowjetischer Tradition übernahm der Parlamentspräsident Suskevič zugleich diese Funktion. Seine anfängliche Beliebtheit verlor er rasch. In seiner Funktion hatte er die Auflösung der Sowjetunion mittragen müssen und wurde von der Bevölkerung für den daraus resultierenden Verfall der Wirtschaft verantwortlich gemacht. Für Belarus versuchte Suskevič einen neutralen Status zu schaffen, um mit diesem bessere Beziehungen mit dem Westen zu erreichen. Auch diese Versuche waren unpopulär und fanden keine Unterstützung. Am 26.1.1994 stürzte ihn das Parlament durch ein Misstrauensvotum[19]. Vorher waren gegen ihn schon Beschuldigungen wegen Korruption vorausgegangen. Seinen Platz nahm Mjacheslau Hryb[20] ein, der sich vor allem für ein beschleunigteres Arbeiten an der noch ausstehenden neuen Verfassung und ein starkes Präsidentenamt einsetzte.[21]

2.2 Die Verfassung von 1994

Bereits im Juli 1990 erhielt eine Kommission den Auftrag, eine neue Verfassung auszuarbeiten. Unter den Abgeordneten befand sich auch Alexander Lukaschenko.[22] Zwischen den Kommissionsmitgliedern existierten grundlegende verschiedene Ansichten über die zukünftige Machtverteilung zwischen den Institutionen der Verfassung. Grundsätzlich musste zwischen einem starken Präsidentenamt - in einem präsidentiellen System - und einem parlamentarischen System entschieden werden.[23] Weitere Streitpunkte ergaben sich aus den Forderungen nach sozialen Grundrechten und der Gewährleistung des Eigentumsrechts. Die fehlenden Erfahrungen bei der konstitutionellen Ausarbeitung führten neben den inhaltlichen Diskussionen zu einer langwierigen und sich über Jahre erstreckenden Konsensfindung. Auch die zu kurzen Sitzungsperioden des Obersten Sowjets trugen zur Verlangsamung bei.[24] Wie die Abstimmung für die neue Verfassung belegt, in der ca. 100 oppositionelle Mitglieder den Saal verließen, konnten die Differenzen der Abgeordneten nicht bis ins letzte Detail aufgelöst werden. Dennoch wurde die Verfassung mit knapper Mehrheit im März 1994 angenommen.[25]

Das Resultat war ein präsidentielles Regierungssystem mit geteilter Exekutive.[26] Der Präsident, zugleich Staatsoberhaupt, Chef der Exekutive, Oberkommandierender der Streitkräfte wird auf fünf Jahre direkt vom Volk gewählt und ist für die Souveränität des Landes verantwortlich. Er kann einmal wieder gewählt werden. Die Ernennung und Kontrolle des Premierministers obliegt dem Präsidenten ebenso wie die Gesetzesinitiative, ein suspensives Vetorecht und der Erlass von Dekreten. Darüber hinaus besitzt er das Vorschlagsrecht für die Vorsitzenden der Ministerien für Verteidigung, Finanzen, Inneres, Auswärtige Angelegenheiten, sowie für den Vorsitzenden des Verfassungsgerichts, des Obersten Wirtschaftsgerichts, des Obersten Gerichts und des Vorsitzenden der Nationalbank. Für die Besetzung der Posten ist jedoch die Zustimmung des Parlaments nötig. Das Kabinett und der Premierminister darf nur mit Zustimmung des Parlamentes ernannt und entlassen werden. Dem Präsidenten wurde kein Recht zur Parlamentsauflösung eingeräumt und im Gegenzug kann er auch über kein Misstrauensvotum vom Parlament gestürzt werden.

Die Legislative – der Oberste Sowjet - erhielt die Budgethoheit und vergleichsweise weit reichende Kompetenzen in der Gesetzgebung und bei personalpolitischen Entscheidungen. Ebenso wie der Präsident wird der Oberste Sowjet für 5 Jahre gewählt. Ständige parlamentarische Ausschüsse dienen der Vorbereitung legislativer Akte und sollen die Kontrolle bei der Durchführung sichern. Sollte der Präsident schwere Verfassungsbrüche oder Schwerstverbrechen begehen, hat der Oberste Sowjet die Möglichkeit ein Impeachmentverfahren einzuleiten, das mit Zweidrittelmehrheit bestätigt werden muss. Bei einem Veto des Präsidenten gegen einen Gesetzesentwurf besaß das Parlament im Artikel 100 der Verfassung die Möglichkeit, dieses ebenfalls mit einer Zweidrittelmehrheit zu überstimmen. Fragen zu Verfassungsänderungen bedurften der Initiative von 40 Abgeordneten.[27]

Zum Schutz der Verfassung ist ein Verfassungsgericht etabliert worden.[28] Dem Obersten Sowjet obliegt die Bestellung der Richter. Sie sind für die Normenkontrolle zuständig und verfügen darüber hinaus über das Recht, Anträge für notwendige Änderungen oder Ergänzungen an der Verfassung und den Gesetzen einzubringen. Bei Kompetenzstreitigkeiten zwischen der Exekutive und der Legislative ist dem Verfassungsgericht allerdings keine Möglichkeit zur Lösung gegeben. Ebenfalls besitzt lediglich der Oberste Sowjet das Recht der Auslegung des Verfassungstextes und der Gesetze. Eine eindeutige Kompetenzzuweisung ist dadurch nicht vorhanden, da die Überschneidungen zwischen den Organen unweigerlich zu Problemen führen, die gerade in den ersten Jahren der Transformation ein hohes Blockadepotenzial bilden.[29] Die Stellung der Judikative lässt somit keine effektive Kontrolle der Gewalten zu und führte sie im Verlauf der Ereignisse faktisch ad absurdum. Das Verfassungsgericht blieb organisatorisch angebunden und Sanktionsmechanismen blieben ihm vorenthalten.

Insgesamt berücksichtigte die Verfassung die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung und dem Prinzip von checks and balances.[30] Grund- und Freiheitsrechte wurden ebenfalls garantiert. Der Grundstein für eine Demokratisierung wäre folglich geschaffen gewesen. Trotz allem begünstigten die unscharfen Regelungen zwischen den Gewalten im weiteren Verlauf die aktuellen Gegebenheiten.

2.3 Präsidentschaftswahlen 1994

Nachdem die neue Verfassung in Kraft getreten war, fanden im Sommer 1994 die ersten Präsidentschaftswahlen statt. Zunächst galt Kebič als aussichtsreichster Kandidat, schließlich war sein ernsthaftester Mitkonkurrent Suskevič ausgeschaltet.[31] Der „Partei der Macht“ stand die Volksfront aus Sozial- und Liberaldemokraten gegenüber, deren Anhänger vornehmlich in den Bereichen der Intelligenz und in den Großstädten zu finden waren. Die Volksfront lehnte engere Beziehungen mit Russland ab und versuchte die Durchsetzung der belarussischen Sprache voranzutreiben. Ihr wirtschaftliches Konzept setzte auf eine Ausgewogenheit in den Beziehungen zu Russland und dem Westen. Mit diesen Zielen traf die Volksfront allerdings nicht die große Mehrheit der Bevölkerung. In dieser Situation profilierte sich Lukaschenko als Alternative. Das Programm Lukaschenkos unterschied sich nicht grundsätzlich von dem Kebičs. Beide sprachen sich für eine Annäherung zu Russland aus. Während Kebič allerdings nach Erklärungen für die Krise des Landes suchen musste, besaß Lukaschenko diesen Makel nicht. Außerdem hatte er sich als „ehrlicher“ Politiker erfolgreich in der Kommission zur Bekämpfung der Korruption eingesetzt.

Die Unterstützung Lukaschenkos kam aus verschiedenen Gruppen. Dazu gehörten Nomenklatura Angehörige, die nach der Suspendierung der KPB nicht wieder in die Regimeelite integriert wurden, junge Demokraten und Landwirtschaftsvertreter. Einerseits einten sie ähnliche Ziele und Werte. Gerade die Baubranche und Landwirtschaft setzte auf Lukaschenko, da sie die einseitige Förderung der Schwerindustrie unter Kebič überwinden wollte. Für andere war es Mittel zum Zweck um die eigene politische Schwäche zu überwinden und die Chancen auf einen Wahlerfolg und politische Mitsprache zu sichern, wie es bei den Demokraten der Fall war. Nicht zuletzt verlor Kebič selbst einige seiner Anhänger an Lukaschenko. Diese wendeten sich von ihm wegen seiner Unfähigkeit ab und setzten auf die Popularität Lukaschenkos.[32] Nach dem Wahlsieg prägten zwei politische Grundsätze das Handeln des Präsidenten. Erstens war die materielle Sicherheit der Menschen herzustellen und von weiteren demokratischen Experimenten abzusehen, zweitens musste er die Anbindung an Russland über einen Unionsvertrag forcieren. Im ersten Wahlgang konnte Lukaschenko bereits 45 Prozent der Stimmen gewinnen und bei der Stichwahl gelang es ihm, 81 Prozent der Stimmen zu erhalten.[33] Ob die Wahlen demokratischen und fairen Erfordernissen genügten ist nicht mehr eindeutig belegbar. Von OSZE Seite sind keinerlei Unterlagen mehr vorhanden.[34]

2.4 Parlamentswahlen 1995

Der Oberste Sowjet hatte seine Neuwahlen lange hinausgezögert.[35] Durch die Weigerung zur Selbstauflösung bestand für das Parlament damit vor allem nach den Präsidentschaftswahlen ein deutliches Legitimationsdefizit. Neben diesem und der fehlenden Effizienz, die Probleme zu bewältigen, standen die Wahlen unter ungünstigen Vorzeichen. Zudem hatte der Großteil der Bevölkerung keinen Bezug zu Parteien. Lukaschenkos Einstellung selbst nicht zur Wahl zu gehen, trug nicht gerade zur Mobilisierung der Wähler bei.

Seit dem Amtsantritt Lukaschenkos traten die unklaren Kompetenzzuweisungen in der Verfassung offen zu Tage. Zwischen der Exekutive und der Legislative spitzte sich der Machtkampf immer mehr zu. Unfähig, die wirtschaftliche Misere zu lösen, suchte Lukaschenko Ende 1994 nach Schuldigen. Öffentlich beschimpfte er die Verantwortlichen, die für ihn in sämtlichen Institutionen - natürlich mit Ausnahme der Präsidialadministration - im Parlament, in der Regierung, der Nationalbank und im Verfassungsgericht vertreten waren. Gegenseitig warfen sich die Vertreter aus Parlament, Opposition und Präsidialadministration Unfähigkeit, Vetternwirtschaft und Korruption vor.[36] Die wirren Beschuldigungen blieben nicht ohne Konsequenzen, denn einige Politiker, wie der stellvertretende Premierminister Gontschar, Lukaschenkos Wahlkampforganisator Dimitrij Bulakow[37] und Alexander Feduta legten ihr Amt freiwillig nieder.[38]

[...]


[1] Vgl. Widmaier, Ulrich; Gawrich, Andrea; Becker, Ute: Regierungssysteme Zentral- und Osteuropas. Ein einführendes Lehrbuch. Opladen 1999, S. 13.

[2] Lorenz, Astrid: Vorwärts in die Vergangenheit? Der Wandel der politischen Institutionen in der Republik Belarus’ seit 1991. Berlin 2000.

[3] Förster, Heinrich Linus: Von der Diktatur zur Demokratie – und zurück? Eine Auseinandersetzung mit der Problematik der Systemtransformation am Beispiel der ehemaligen Sowjetrepublik Belarussland. Hamburg 1998.

[4] Sahm, Astrid: Schleichender Staatstreich in Belarus. Hintergründe und Konsequenzen des Verfassungsreferendums im November 1996. Osteuropa 47. Jg., Heft 5 (1997), S. 475-487. siehe auch: Sahm, Astrid: Integration, Kooperation oder Isolation? Belarus’ und die Ukraine im Vorfeld der EU-Osterweiterung. In: Osteuropa 51. Jg., Heft 11-12 (2001), S. 1391-1404.

[5] Bugrova, Irina: Politische Kultur in Belarus. Eine Rekonstruktion der Entwicklung vom Großfürstentum Litauen zum Lukaschenko-Regime. Mannheim 1998.

[6] Innerhalb der KPdSU organisierte sich die Nomenklatura, die um ihre Machtbasis fürchtete. Durch Intrigen und Beschuldigungen gelang es diesen Hardlinern Gorbatschow zu beeinflussen und die demokratischen Kräfte als Feinde für ihn darzustellen. Als die Wiederherstellung der alten Machtverhältnisse zu scheitern drohte, versuchten sie Gorbatschow abzusetzen, zuletzt in Form des Staatsstreiches im August 1991.

[7] Vgl. Steinsdorff, Sylvia von: das politische System Weißrußlands (Belarus). In: Ismayr, Wolfgang (Hrsg.): Die politischen Systeme Osteuropas. Opladen 2002, S. 357.

[8] Erste Anzeichen eines Putsches des reformablehnenden Parteiflügels der KPdSU deuteten sich in der Befürwortung des Artikels „Ich kann meine Prinzipien nicht preisgeben“ von Nina Andrejewa in der Zeitung Sowjetskaja Rossija am 13. März 1988 an. Sie und ihr Mann waren zuvor wegen Verleumdungen aus der Partei ausgeschlossen worden. Jetzt nahm die Partei beide auf Druck des KGB wieder auf. Der Artikel wurde von Gorbatschow als Angriff auf die Perestrojka angesehen. Vgl. Jakowlew, Alexander: Die Abgründe meines Jahrhunderts. Leipzig 2003, S. 490-495.

[9] Jakowlew, Alexander: Die Abgründe meines Jahrhunderts. Leipzig 2003, S. 512.

[10] Der KGB Vorsitzende Krjutschkow verstand es geschickt zu taktieren und die Absicht des Sturzes von Gorbatschow unbemerkt zu lassen. Vgl. Jakowlew, Alexander: Die Abgründe meines Jahrhunderts. Leipzig 2003, S. 619f.

[11] Vgl. Förster, Heinrich Linus: Von der Diktatur zur Demokratie – und zurück? Eine Auseinandersetzung mit der Problematik der Systemtransformation am Beispiel der ehemaligen Sowjetrepublik Belarussland. Hamburg 1998, S. 115 und S. 127.

[12] Vgl. Lorenz, Astrid: Vorwärts in die Vergangenheit? Der Wandel der politischen Institutionen in der Republik Belarus’ seit 1991. Berlin 2000, S. 63.

[13] Als er am 19.8.1991 um 11 Uhr auf den Putschversuch reagierte und ihn als Staatstreich der Bevölkerung vor Augen führte, war die innerparteiliche Neuausrichtung Gorbatschows endgültig gescheitert. Am 20.8.1991 festigte Jelzin seine Position, indem er den Erlass zur Entmachtung der KPdSU unterzeichnete und den Weg für radikale Reformen eröffnete. Vgl. Förster, Heinrich Linus: Von der Diktatur zur Demokratie – und zurück? Eine Auseinandersetzung mit der Problematik der Systemtransformation am Beispiel der ehemaligen Sowjetrepublik Belarussland. Hamburg 1998, S. 113.

[14] Schon am 27.7.1990 verabschiedete der Oberste Sowjet in Weißrussland die „Erklärung über die staatliche Souveränität der BSSR. In ihr wurde symbolisch das Russische als Staatssprache durch das Belorussische ersetzt. Ein institutioneller Wandlungsprozess trat dennoch nicht ein. Die Erklärung blieb de facto ohne jegliche Folgen.

[15] Vgl. Karol’, Aljaksej: Das politische System und die Innenpolitik in der Republik Belarus’. In: Lindner, Rainer; Meissner, Boris (Hrsg.): Die Ukraine und Belarus in der Transformation. Eine Zwischenbilanz. Köln 2001, S. 112f.

[16] Vgl. Lorenz, Astrid: Vorwärts in die Vergangenheit? Der Wandel der politischen Institutionen in der Republik Belarus’ seit 1991. Berlin 2000, S. 78.

[17] Vgl. ebenda S. 69f.

[18] Vgl. Karol’, Aljaksej: Das politische System und die Innenpolitik in der Republik Belarus’. In: Lindner, Rainer; Meissner, Boris (Hrsg.): Die Ukraine und Belarus in der Transformation. Eine Zwischenbilanz. Köln 2001, S. 114.

[19] Dies war das vierte Misstrauensvotum.

[20] Generalleutnant a.D der Miliz und ein Freund von Kebič.

[21] Vgl. Steinsdorff, Sylvia von: das politische System Weißrußlands (Belarus). In: Ismayr, Wolfgang (Hrsg.): Die politischen Systeme Osteuropas. Opladen 2002, S. 415f.

[22] Vgl. Lorenz, Astrid: Vorwärts in die Vergangenheit? Der Wandel der politischen Institutionen in der Republik Belarus’ seit 1991. Berlin 2000, S. 138.

[23] Vgl. ebenda S. 142.

[24] Vgl. ebenda S. 143.

[25] Vgl. Steinsdorff, Sylvia von: das politische System Weißrußlands (Belarus). In: Ismayr, Wolfgang (Hrsg.): Die politischen Systeme Osteuropas. Opladen 2002, S. 412.

[26] Astrid Lorenz bezeichnet es als Mischsystem zwischen präsidentiellem und parlamentarischem System. Vgl. Lorenz, Astrid: Vorwärts in die Vergangenheit? Der Wandel der politischen Institutionen in der Republik Belarus’ seit 1991. Berlin 2000, S. 148. In der Mehrzahl scheint die Literatur allerdings die Einschätzung von einem präsidentiellen System zu teilen. Vgl dazu: Förster, Heinrich Linus: Von der Diktatur zur Demokratie – und zurück? Eine Auseinandersetzung mit der Problematik der Systemtransformation am Beispiel der ehemaligen Sowjetrepublik Belarussland. Hamburg 1998, S. 235.

[27] Vgl. Förster, Heinrich Linus: Die „neue“ Verfassung der Republik Belarus’. Normative Grundlagen für die Alleinherrschaft Lukašenkas. In: Osteuropa 47. Jg., Heft 12 (1997), S. A 501.

[28] Vgl. Steinsdorff, Sylvia von: das politische System Weißrußlands (Belarus). In: Ismayr, Wolfgang (Hrsg.): Die politischen Systeme Osteuropas. Opladen 2002, S. 413.

[29] Vgl. Förster, Heinrich Linus: Von der Diktatur zur Demokratie – und zurück? Eine Auseinandersetzung mit der Problematik der Systemtransformation am Beispiel der ehemaligen Sowjetrepublik Belarussland. Hamburg 1998, S. 237-238.

[30] Vgl. Lorenz, Astrid: Vorwärts in die Vergangenheit? Der Wandel der politischen Institutionen in der Republik Belarus’ seit 1991. Berlin 2000, S. 148.

[31] Vgl. Sahm, Astrid: Belarus’. Von der Republik zum präsidialen Regime. In: Lindner, Rainer; Meissner, Boris (Hrsg.): Die Ukraine und Belarus in der Transformation. Eine Zwischenbilanz. Köln 2001, S. 131.

[32] Vgl. Lorenz, Astrid: Vorwärts in die Vergangenheit? Der Wandel der politischen Institutionen in der Republik Belarus’ seit 1991. Berlin 2000, S. 158.

[33] Vgl. Timmermann, Heinz: Belarus: Eine Diktatur im Herzen Europas? Köln 1997, S. 11f.

[34] Vgl. Beichelt, Timm: Autokratie und Wahldemokratie in Belarus, Russland und der Ukraine. Mannheim 2001, S. 9. Ein Fakt, der zumindest die Vorwürfe der weißrussischen Administration bestärkt, dass der Transformationsprozess von westlicher Seite keine genügende Beachtung fand. Angesichts der neuen Probleme (Selbstfindung der EU) und internationaler Konflikte (Balkan) zu dieser Zeit, nicht unbedingt verwunderlich.

[35] Bereits 1992 forderte die Volksfront Parlamentswahlen. Eine notwendige Anzahl von Unterschriften war zwar gesammelt worden, im Parlament fand sich aber keine Mehrheit. Selbst die Kommunisten (PKB) und die offiziellen Gewerkschaften hätten den Wahlen zugestimmt. Vgl. Sahm, Astrid: Belarus’. Von der Republik zum präsidialen Regime. In: Lindner, Rainer; Meissner, Boris (Hrsg.): Die Ukraine und Belarus in der Transformation. Eine Zwischenbilanz. Köln 2001, S. 127.

[36] Der Oberste Sowjet diskreditierte sich dabei selbst, als er ein Gesetz verabschiedete, dass den Abgeordneten hohe Überbrückungsgelder zusicherten und lediglich eine Selbstauflösung des Parlaments ermöglichte. Dagegen legte Lukaschenko sein Veto ein. Vgl. Sahm, Astrid: Die gescheiterten Parlamentswahlen in Belarus. Eine regional differenzierende Analyse. Frankfurt am Main 1995, S. 3.

[37] Später verglich dieser Lukaschenko mit Hitler. In Osteuropa stellt ein Mann die Uhren zurück: Alexander Lukaschenko macht sich zum Alleinherrscher. In: Spiegel-Archiv 49/96. http://www.tschernobylhilfe.ffb.org/sp_9649.htm, 26.2.2004.

[38] Die Korruptionsvorwürfe gegen den Präsidenten schienen zudem nicht völlig der Realität entzogen zu sein, schließlich bediente sich Lukaschenko in der Folge der Zensur und schränkte die Pressefreiheit ein. Vgl. Förster, Heinrich Linus: Von der Diktatur zur Demokratie – und zurück? Eine Auseinandersetzung mit der Problematik der Systemtransformation am Beispiel der ehemaligen Sowjetrepublik Belarussland. Hamburg 1998, S. 261-264.

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Weißrussland - Demokratie im Leerlauf?
Hochschule
Technische Universität Chemnitz
Veranstaltung
Politische Systeme Osteuropas
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
36
Katalognummer
V91765
ISBN (eBook)
9783638058551
ISBN (Buch)
9783638948784
Dateigröße
585 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Weißrussland, Demokratie, Leerlauf, Politische, Systeme, Osteuropas
Arbeit zitieren
Magister Artium Jens Weis (Autor:in), 2004, Weißrussland - Demokratie im Leerlauf?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91765

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