"Das hohe Lied der Demokratie" - Heinrich Manns Roman "Die kleine Stadt" im Lichte der Literaturtheorie Michail M. Bachtins


Examensarbeit, 2005

83 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

I. Die kleine Stadt im Lichte der Bachtin’schen Dialogizität
1. Das Konzept der Dialogizität in einem Kommunikationsmodell narrativer Texte
2. Die textinterne Kommunikationsstruktur von Die kleine Stadt
2.1 Figurendialog und dialogischer Dialog
2.2 Figurenmonolog und dialogischer Monolog
2.3 Die Kommunikation auf der erzählerischen Vermittlungsebene – Die kleine Stadt als polyphoner Roman
3. Die kleine Stadt in der textexternen Kommunikation zwischen Autor und zeitgenössischer Kritik

II. Die kleine Stadt im Lichte des Bachtin’schen Karneval
1. Das Konzept des Karneval bzw. der Karnevalisierung der Literatur
2. Karnevaleske Kategorien bzw. Motive in Die kleine Stadt
2.1 Familiarität
2.2 Exzentrizität
2.3 Mesalliance
2.4 Profanierung
3. Der Mythos des „Volkes“ bei Michail Bachtin und dem frühen Heinrich Mann

Schluss

Literaturverzeichnis
1. Primärliteratur
1.1 Werke
1.2 Briefe und Dokumente
2. Sekundärliteratur

Einleitung

Mittlerweile, d.h. mit einiger Verspätung vor allem gegenüber Frankreich und den USA (wo er schon seit den 1980er Jahren eine wichtige Rolle spielt)[1], ist der russische Literatur-, Sprachwissenschaftler, Philosoph und Kulturologe Michail Michajlovič Bachtin (1895-1975) auch in Deutschland angekommen. Über die herausragende Bedeutung von Bachtins Beiträgen zur Literaturtheorie besteht weitgehende Einigkeit[2]. Er gilt als „Begründer einer neuen Literaturbetrachtung“[3] und ist einer der meistzitierten geisteswissenschaftlichen Autoren unserer Zeit[4].

In der Heinrich Mann-Forschung wird Michail Bachtin aber immer „noch viel zu wenig beachtet[]“[5] und damit eine Chance verpasst, die das außergewöhnliche, vielseitige und anregende Werk Bachtins zweifelsohne bietet.

In dieser Arbeit soll die „Chance Bachtin“ genutzt werden. Ich möchte, vor dem Hintergrund der darin zum Ausdruck kommenden gesellschaftspolitischen Vorstellungen Heinrich Manns, eine aus Bachtin’scher Sicht erfolgende Analyse und Bewertung der Kommunikationsstruktur sowie der Motivik und Symbolik des siebten Mann’schen Romans Die kleine Stadt (1909) versuchen.

Meine Untersuchung gliedert sich, nach den beiden „global concepts“[6] der Bachtin’schen Theorie, nämlich dem Konzept der Dialogizität und dem des Karneval, in zwei große Teile. Das Konzept der Dialogizität ist im Kern eine stark normativ geprägte „Theorie der sprachlichen Kommunikation“[7]. Bachtin entwirft darin das Ideal einer dialogischen Verständigung zwischen den Vertretern unterschiedlicher Positionen (Ideologien), die sich im kommunikativen Prozess intensiv auseinandersetzen und sich aufrichtig um gegenseitiges Verständnis bemühen. Das Außergewöhnliche am Konzept der Dialogizität ist, dass es nicht unbedingt an den Austausch zweier seinsautonomer Partner gebunden ist, sondern das Ideal der dialogischen Kommunikation auch von einer einzelnen Person, die sich ohne (aktuelles) Einwirken von außen mit der Position eines Anderen auseinandersetzt, erreicht werden kann.

Im ersten Teil dieser Arbeit möchte ich die Kommunikationsstruktur von Die kleine Stadt auf dialogische Elemente hin untersuchen. Als Analyseinstrument dient mir dabei das in Kap. I. 1 eigens entwickelte, um das Konzept der Dialogizität erweiterte, Kommunikationsmodell fiktionaler Erzähltexte. Im Anschluss an diese theoretische Vorarbeit komme ich zur Untersuchung der drei, sich aus dem Kommunikationsmodell ergebenden, Kommunikationsebenen von Die kleine Stadt. In Kap. I. 2 betrachte ich zunächst die beiden textinternen Kommunikationsebenen. Bei der Untersuchung der Ebene der Figurenkommunikation (Kap. I. 2.1 bzw. Kap. I. 2.2) stehen das kommunikative Verhalten der Figuren im Hinblick auf den, aus Sicht der Dialogizität sehr interessanten, Mann’schen Gegensatz von Geist /Kunst und Leben sowie ein Vergleich der unterschiedlichen Kommunikationsideale Heinrich Manns und Bachtins im Mittelpunkt. In Kap. I. 2.3 wende ich mich einer (narratologischen) Analyse der Kommunikationsebene von Erzählinstanz und fiktivem Adressaten zu und versuche aufzuzeigen, warum „das hohe Lied der Demokratie“[8], Die kleine Stadt, nicht Michail Bachtins, aus dem Konzept der Dialogizität hervorgehendem, Ideal des polyphonen Romans entspricht[9]. Schließlich untersuche ich in Kap. I. 3, auf der realen Kommunikationsebene von Autor und Leser das problematische, alles andere als dialogische Kommunikationsverhältnis, zwischen Heinrich Mann und den zeitgenössischen Kritikern von Die kleine Stadt, wobei ich insbesondere auf die, sich in den Jahren nach 1900 vollziehende (im Zusammenhang mit seinem „liebsten [Roman]“[10] gut nachzuempfindende), psychische, künstlerische und politische Entwicklung des Autors sowie auf den soziokulturellen Kontext der Werkentstehung bzw. -rezeption eingehen werde.

Damit komme ich zum zweiten Teil der Arbeit, in dem es um eine Untersuchung und Bewertung von Die kleine Stadt aus der Sicht von Bachtins Konzept des Karneval bzw. der Karnevalisierung der Literatur geht. Der Bachtin’sche Karneval ist ein idealtypisches Konzept, in dem der Autor seine Utopie einer solidarischen, angstfrei-heiteren, enthierarchisierten/entdogmatisierten, sprich humaneren, Gesellschaft, die er in der Vergangenheit (im Mittelalter und vor allem der Renaissance) schon einmal verwirklicht sieht, entwirft. Der Begriff der Karnevalisierung steht dabei für das, nach Bachtin seit der Antike zu beobachtende und sich mit Beginn der Aufklärung grundlegend wandelnde, Phänomen der Integrierung karnevalesker Elemente in die Literatur.

Nachdem ich das Karnevals konzept ausführlich dargelegt habe (Kap. II. 1), diskutiere ich in Kap. II. 2 die Bedeutung der zahlreichen karnevalesken Elemente von Die kleine Stadt im Sinngefüge des Romans[11]. In Kap. II. 3 untersuche ich schließlich die Form und Funktion der bei Mann und Bachtin zu beobachtenden Mythisierung des Volkes, es rückt noch einmal das Demokratieverständnis des frühen Heinrich Mann in den Mittelpunkt, seine, in Die kleine Stadt formulierte, Utopie einer (von ihm für Deutschland so sehnlich erwünschten) revolutionären, demokratisch-humanistischen Gesellschaftsentwicklung.

I. Die kleine Stadt im Lichte der Bachtin’schen Dialogi­zität

1. Das Konzept der Dialogizität in einem Kommunikationsmo­dell narrativer Texte

Michail Bachtins Dialogizität ist im Kern „eine Theorie der sprachlichen Kommunikation“[12], die freilich auf einem ganz unkonventionellen Kommunikationsbegriff beruht. Das Konzept der „dialogische[n] Kommunikation“[13] ist nämlich nicht an die äußere Redeform des Dialogs, also an die Wechselrede zweier Personen, gebunden.

Dialogisch ist eine Äußerung[14] dann, wenn sie echter Ausdruck „zweier unterschiedlicher […] Bedeutungspositionen und Werthaltungen ist“[15], wenn ihr inneres Wesen von einer „Wechselwirkung zwischen verschiedenen Kontexten, verschiedenen Standpunkten, verschiednen Horizonten, verschiedenen expressiven Akzentsystemen […]“[16] bestimmt wird. Im Gegensatz dazu ist eine Äußerung monologisch, wenn in ihr nur ein sich selbst genügender Standpunkt[17] präsent ist. Es gibt zwei Idealtypen der dialogischen Kommunikation, nämlich den dialogischen Dialog und den dialogischen Monolog. Im dialogischen Dialog vertreten zwei seinsautonome Kommunikationspartner divergierende Standpunkte, die in den Äußerungen der Sprecher in Wechselwirkung treten. Der dialogische Monolog hingegen ist begreifbar als ein (äußerlich wahrnehmbares oder nur gedachtes) Selbstgespräch einer Person, die zwischen der eigenen und einer fremden Position innerlich hin- und hergerissen ist. Den dialogischen Äußerungstypen stehen die monologischen gegenüber[18]. Hier stellt der monologische Monolog ein Selbstgespräch dar, in dem nur eine bestimmte festgefügte und unbeeinflusste Position präsent ist. Der monologische Dialog ist durch die grundsätzliche Konformität[19] der Standpunkte der Gesprächspartner gekennzeichnet.

Dialogische Kommunikation ist also nicht nur als Austausch zweier seinsautonomen Partner, sondern auch als intensive Auseinandersetzung eines Ichs mit einem imaginierten Anderen vorstellbar. Sie kann sich unmittelbar (face-to-face) oder mittelbar (z.B. schriftlich) zwischen Menschen oder eben innerhalb eines Menschen, der gedanklich zwischen zwei Positionen (der eigenen und einer fremden) schwankt, abspielen.

Ziel der dialogischen Kommunikation ist das Verstehen des fremden Standpunktes. Am Beispiel des dialogischen Dialogs beschreibt Bachtin, wie dieses Ziel zu erreichen ist.

Der Sprecher ist bestrebt sein Wort mit seinem spezifischen Horizont am fremden Horizont des Verstehenden zu orientieren und tritt in ein dialogisches Verhältnis zu den Momenten dieses Horizonts. Der Sprecher dringt in den fremden Horizont des Hörers ein, errichtet seine Äußerung auf fremdem Grund und Boden, vor dem Apperzeptionshorizont des Hörers.[20]

Der Hörer erarbeitet sich das Verständnis für die Position des Sprechers aktiv, indem er auf dessen Rede antwortet. Er wird zum Sprecher „[denn] [e]rst in der Antwort reift das Verstehen heran. Verstehen und Antworten sind dialektisch miteinander verwoben und bedingen sich gegenseitig, das eine ist ohne das andere nicht möglich“.[21] Die Antwort ist aber zugleich auch immer eine, nah am Horizont des Anderen orientierte, Darlegung der eigenen Position, die der Andere wiederum antwortend verstehen will. Der dialogische Dialog ist also ein Gespräch, in dem die Kommunikationspartner wechselseitig bestrebt sind, dem Anderen den eigenen Standpunkt verständlich zu machen und den fremden Standpunkt „hermeneutisch“[22] zu verstehen. Der dialogische Monolog unterscheidet sich insofern vom dialogischen Dialog, als hier eine Person neben der Ich-Rolle auch noch die Rolle des Anderen übernehmen muss.

Wechselseitiges Verständnis muss dialogisch erarbeitet werden, da Sprache als genuin soziales Phänomen „keine stabile Korrespondenz zwischen Bedeutung und Sinn“[23] kennt. Folglich ist der Sinn eines konkreten Wortes oder einer ganzen Äußerung nicht einfach aus dem Lexikon oder der Grammatik ableitbar, sondern nur kontextbezogen zu interpretieren. Kommunikationspartner beziehen sich mit den von ihnen verwendeten sprachlichen Zeichen nicht auf eine festgelegte lexikalische Bedeutung, ihre Wörter tragen einen eigenen Sinn, eine Kontextbedeutung. Wenn nun die lexikalische Bedeutung von Wörtern und die Regeln, wie diese zu kombinieren sind, allenfalls „ein Sinnpotential für mögliche Äußerungen dar[stellen]“[24], dann gibt es keinen neutralen (sprachlichen) Zeichenkode um sich zu verständigen. – Die Standardsprache ist lediglich ein linguistisches Abstraktum.

In jedem Augenblick der Geschichte des verbal-ideologischen Lebens hat jede Generation in jeder sozialen Schicht ihre eigene Sprache, ja es verfügt im Grunde jede Altersstufe über ihre eigene Sprache, ihr Lexikon, ein eigentümliches Akzentsystem, die ihrerseits in Abhängigkeit von der sozialen Schicht der Lehranstalt (die Sprache des Kadetten, des Gymnasiasten und des Realschülers sind verschiedene Sprachen) und anderen trennenden Faktoren variieren. Das alles sind sozial-typische Sprachen, wie eng ihr sozialer Kreis auch sein mag.[25]

Für Bachtin gibt es Sprache nicht an und für sich, sondern nur in Gestalt vieler verschiedener, sich ständig wandelnder Soziolekte[26]. Der Sprachgebrauch und das Sprachverständnis des einzelnen Sprechers werden allein durch soziale Gegebenheiten bestimmt, diese verändern sich im Laufe eines Lebens, sodass ein Sprecher mit verschiedenen Soziolekten in Berührung kommt und demnach „an unterschiedlichen Sprachen Anteil [hat]“[27]. Verschiedene Sprachen bzw. Sprachvarietäten bedeuten für Bachtin aber mehr als nur verschiedene Möglichkeiten der Verständigung, „alle Sprachen der Redevielfalt stehen […] für spezifische Sichten der Welt, für eigentümliche Formen der verbalen Sinngebung, besondere Horizonte der Sachbedeutung und Wertung“[28], „[w]henever a [lingual] sign is present, ideology is present, too“[29], jede Äußerung, ja jedes konkrete Wort ist sozial-ideologisch imprägniert und steht im Kräftefeld einer nicht zu überblickenden Menge verschiedner (auch tot geglaubter[30] ) Sinnzuschreibungen.

In der dialogischen Kommunikation treffen also immer, ob nun im dialogischen Dialog oder im dialogischen Monolog, verschiedene Sprachen aufeinander, die Ausdruck gegensätzlicher Weltanschauungen sind. Die Kommunikationssituation ist von Anfang an konfliktgeladen[31] und auch wenn sich die Kommunikationspartner oder der Einzelne, der im Monolog die Rolle des Ich und des Anderen übernimmt, um wechselseitiges sprachlich-ideologisches Verständnis bemühen, ist ein solches letzten Endes nicht gesichert.

Bachtin macht in seiner Theorie der Dialogizität keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen mündlicher und literarischer bzw. realer und fiktiver Kommunikation. Es erscheint also durchaus sinnvoll, auch die komplexe Kommunikationsstruktur fiktionaler (Erzähl-) Texte auf ihre dialogischen Anteile hin zu untersuchen. Die Erzähltheorie bzw. Narratologie bietet ein Kommunikationsmodell, das systematisch alle Instanzen erfasst, die im werkinternen und werkexternen Bereich an der Kommunikation fiktionaler narrativer Texte Anteil haben. Ich möchte dieses Modell zunächst kurz zitieren und dann auf dessen Grundlage ein erweitertes Modell entwickeln, welches das Konzept der dialogischen Kommunikation einbezieht.

Nünning beschreibt die Kommunikationsstrukturen in und um einen fiktionalen Erzähltext folgendermaßen[32]:

Die Kommunikationsebene der fiktiven Handlung, auf der die Sender- und Empfängerrollen wechseln können, wird durch den Dialog zwischen den Figuren der Geschichte konstituiert. Die Sprechsituation der Figuren ist in die übergeordnete Kommunikationsebene der erzählerischen Vermittlung eingebettet, auf der sich eine fiktive Erzählinstanz an einen ebenfalls fiktiven, oftmals im Text direkt angesprochenen Adressaten wendet. Von diesen beiden werkinternen, fiktionalen Kommunikationsebenen ist die werkexterne Ebene der empirischen Kommunikation zu unterscheiden, auf der ein realer Autor als Sender und reale Leser als Empfänger fungieren.[33]

Im Zusammenhang mit der Entwicklung eines Kommunikationsmodells fiktionaler Erzähltexte, das die dialogischen Kommunikationstypen integriert, ist eine Diskussion über die Begriffsdefinition von Kommunikation, der ich bis jetzt aus dem Weg gegangen bin, unverzichtbar. Es zeigt sich nämlich, dass Nünnings Modell einen Kommunikationsbegriff impliziert, der mit dem Konzept der dialogischen Kommunikation nicht vereinbar ist. Während Nünning schon bei einer einseitigen Nachrichtenübertragung von Kommunikation spricht, setzt der Begriff der dialogischen Kommunikation stets einen intensiven (wechselseitigen) Austausch zwischen zwei Positionsträgern voraus und während das erste Konzept Kommunikation nur zwischen seinsautonomen Partnern vorsieht, bezieht sich das zweite explizit auch auf das innere Zwiegespräch einer einzigen Person, die zwischen zwei verschiedenen Positionen hin- und hergerissen ist, sich also gedanklich in zwei Instanzen aufspaltet. Neben ihrer gegenseitigen Unvereinbarkeit sind die beiden Begriffskonzepte mit einer ganzen Reihe von gängigen Definitionen inkompatibel, die Kommunikation als Austausch von Informationen zwischen s einsautonomen Partnern[34] bestimmen. Insgesamt lässt sich kein spezieller Kommunikationsbegriff finden, der als Grundlage eines erweiterten Kommunikationsmodells narrativer Texte dienen könnte.[35] Man kann aber Kommunikation nach Shannon und Weaver auch ganz allgemein als „Prozess der Informationsübertragung“[36] zwischen einem Sender und einem Empfänger[37] definieren. Es ist offensichtlich, dass diese allgemeine Begriffsdefinition Nünnings Kommunikationskonzept umfasst, der Begriff der dialogischen Kommunikation lässt sich allerdings nur auf einer höheren Abstraktionsebene darunter subsumieren. Nach Shannon und Weaver können theoretisch alle Systeme kommunizieren, die in der Lage sind Informationen entweder zu senden oder zu empfangen. Man kann nun den dialogischen Monolog, diesen Dialog zwischen einem Ich und einem Anderen im Geiste einer Person, als Informationsaustausch zwischen neuronalen Gruppen innerhalb eines Gehirns interpretieren. Neuronengruppen sind zwar keine kognitiv unabhängigen Systeme, dies ist aber nach Shannon und Weaver auch kein notwendiges Kommunikationsmerkmal, daher lässt sich das Konzept der dialogischen Kommunikation unter den allgemeinen Kommunikationsbegriff fassen.

Man könnte also leicht ein allgemeines Kommunikationsmodell der narrativen Kommunikation auf der Grundlage des allgemeinen Kommunikationsbegriffs entwickeln. Das Problem wäre nur, dass ein solches Modell neben den konventionellen Kommunikationsformen auch alle Formen des Denkens, also ebenfalls den monologischen Monolog, integrieren müsste. Da dies weder im Sinne des Nünning’schen noch des Bachtin’schen Kommunikationsbegriffs ist, soll mein nachstehendes erweitertes Kommunikationsmodell fiktionaler Erzähltexte einfach auf einer gleichberechtigten Verbindung der beiden Konzepte beruhen. Unter Kommunikation will ich also im Folgenden die Informationsübertragung zwischen seinsautonomen Partnern und das intensive Zwiegespräch eines Ichs mit einem imaginierten Anderen verstehen.

Graphik: Erweitertes Kommunikationsmodell fiktionaler Erzähltexte

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die derart gekennzeichneten Kommunikationsbeziehungen sind konstitutiv für ein Kommunikationsmodell fiktionaler Erzähltexte; die nicht gekennzeichneten Beziehungen sind fakultativ.

Das hier vorgeschlagene erweiterte Kommunikationsmodell fiktionaler Erzähltexte (EKFE) veranschaulicht die vertikale Hierarchisierung der Kommunikationsebenen, ihre funktionalen Einbettungsverhältnisse sowie die, auf den drei Niveaus jeweils möglichen, Kommunikationsbeziehungen. Demnach unterscheidet es zwischen vier verschiedenen Kommunikationstypen: (1.) Im monologischen Monolog mit Partnerbezug[38] kommt es lediglich zur einseitigen Informationsübermittlung zwischen den Kommunikationspartnern (Symbol: schwarzer Pfeil). (2.) Im monologischen Dialog ergibt sich ein Informationsaustausch zwischen den Kommunikationspartnern, ohne dass es zu einer intensiven Wechselwirkung ihrer Gedankenwelten (Ideologien) kommt (Symbol: schwarzer Doppelpfeil). (3.) Im dialogischen Dialog entfaltet sich im Prozess des Informationsaustauschs eine intensive Wechselwirkung zwischen den Ideologien der Kommunikationspartner (Symbol: roter Doppelpfeil). (4.) Im dialogischen Monolog führt ein Ich einen (verbalisierten oder nur gedachten) Dialog mit einem in ihm mental abgebildeten Anderen. Im Verlaufe des imaginären Zwiegesprächs kommt es zu einer intensiven Wechselwirkung der Gedankenwelt des Ich mit der des Anderen bzw. der Abbildung der Gedankenwelt des Anderen (Symbol: roter Doppelpfeil im Inneren einer Ellipse).

Eine fiktionale Erzählung ist erzähltheoretisch als das Sprachhandeln einer fiktiven Erzählinstanz (E), die einem fiktiven Adressaten (fA) eine Geschichte vermittelt, definiert. Auf das EKFE bezogen, genügt also grundsätzlich schon ein, von E ausgehender, monologlogischer Monolog mit realem Partnerbezug auf der Kommunikationsebene von E und fA (K2) zur Konstituierung einer Erzählung. D.h. weder die (direkte oder indirekte) Darstellung noch die schiere Existenz der Kommunikationsebene der Figuren (K1) sind notwendige Merkmale der Erzählung, wobei von der textexternen Kommunikationsebene (K3) in der klassischen Erzähltheorie grundsätzlich abstrahiert wird. Freilich wird es bei der großen Mehrheit von Erzählungen eine mehr oder weniger ausgeprägte, eher direkt oder eher indirekt vermittelte K1 geben. Auf K1 sind grundsätzlich alle vier, oben genannten, Kommunikationstypen denkbar, sie ist aus erzähltheoretischer Sicht unproblematisch. Anders verhält es sich im Bezug auf K2. Folgt man dem konventionellen Kommunikationsmodell fiktionaler Erzähltexte, dann ist auf K2 nur ein Kommunikationstyp, nämlich der von E ausgehende monologische Monolog mit realem Partnerbezug zu fA, realisierbar. Diese Darstellung ist aber auch, wenn man den speziellen Kommunikationsbegriff von Nünnings Modell (der ja Kommunikation nur zwischen seinsautonomen Partnern zulässt) zu Grunde legt, falsch. Wie ich schon gesagt habe, ist die Erzählung gleichbedeutend mit dem sprachlichen Handeln von E im Bezug auf fA, die Erzählung hat also konkret nur eine Stimme nämlich die von E. Das bedeutet jeder Sprechakt von fA auf K2 muss, wie jede Äußerung der Figuren auf K1 (von der Stimme) von E irgendwie zitiert werden um in der Erzählung aufzutauchen. Wenn in einer Erzählung keine Sprechakte von fA (direkt oder indirekt) zitiert werden, kann man natürlich annehmen, dass fA nicht aktiv mit E kommuniziert. Es gibt aber durchaus Erzähltexte, in denen die Äußerungen von fA, als einem personalisierten, individualisierten Hörer oder Leser, immer wieder als zitierte Rede in der Erzählung auftauchen. In einigen Fällen kann man (zumindest passagenweise) sogar von einer echten Dialog zwischen dem (expliziten) Erzähler und dem fiktiven Hörer/Leser sprechen[39]. Dieser Dialog lässt sich freilich nicht unmittelbar am Text nachvollziehen, sondern muss anhand von expliziten Erzähleräußerungen rekonstruiert werden, was aber seine offensichtliche Existenz auf der Vermittlungsebene nicht tangieren kann. Der (monologische bzw. dialogische) Dialog zwischen E und fA lässt sich also, auch unter Zugrundelegung des speziellen Kommunikationsbegriffs des konventionellen Kommunikationsmodells, nicht grundsätzlich ausschließen. Es wäre hingegen falsch, die Möglichkeit eines von fA ausgehenden monologischen Monologs mit Bezug auf E annehmen zu wollen, da ja in einem solchen Fall E nicht zu Wort und folglich auch keine Erzählung zu Stande käme. Die Möglichkeit des dialogischen Monologs von fA muss man allerdings meines Erachtens wiederum einräumen. Wenn fA nämlich offensichtlich als individuelle Komplementärfigur zu E entworfen worden ist, gibt es keinen Grund, warum diese Figur nicht in einen gedanklichen Dialog mit einem in ihm mental abgebildeten Anderen eintreten soll, egal ob der Dialogpartner nun das Abbild von E (E’) oder von einer Figur (F’) der erzählten Welt ist. Natürlich kann man konkret nur von einem solchen dialogischen Monolog von fA sprechen, wenn dieser E von seinen gedanklichen Auseinandersetzungen mit einem imaginierten Anderen berichtet und E seinerseits irgendwie auf diese Rede von fA verweist. Ähnliches gilt für den dialogischen Monolog von E selbst, auch von einem solchen lässt sich nur sprechen, wenn Hinweise auf diesen im Text zu finden sind[40].

Im Gegensatz zu K1 und K2 handelt es sich bei der dritten Kommunikationsebene (K3) um eine textexterne, nicht fiktive Ebene, die durch die empirische Kommunikation zwischen realem Autor und realem Leser (oder Hörer) konstituiert wird. Im Gegensatz zum konventionellen Kommunikationsmodell narrativer Texte, das auf K3 nur die einseitige vom Autor ausgehende Vermittlung der Erzählung an den Leser ausgeht, berücksichtigt das EKFE sowohl die Möglichkeit des (dialogischen oder monologischen) Dialogs zwischen Autor und Leser als auch die vielfältigen Möglichkeiten des dialogischen Monologs. Autor und Leser können nämlich mit allen fiktiven Instanzen sowie mit ihrem jeweiligen Widerpart auf K3 in einen dialogischen Monolog eintreten.

2. Die textinterne Kommunikationsstruktur von Die kleine Stadt

2.1 Figurendialog und dialogischer Dialog

Im Folgenden soll es also um eine Analyse der Kommunikationsstruktur in und um Die kleine Stadt gehen, wobei etwaigen dialogischen Elementen ganz besondere Aufmerksamkeit zukommt. Ich werde systematisch alle drei genannten Kommunikationsebenen, ihrer hierarchischen Ordnung von unten nach oben folgend, untersuchen. Dieses Vorgehen erscheint aus theoretisch-methodischer Sicht sinnvoll, da ja die Ebenen aufeinander aufbauen bzw. der Komplexitätsgrad der Kommunikationsstruktur einer Ebene, sprich die Möglichkeit Bezüge zu anderen Niveaus herzustellen, mit ihrer hierarchischen Verortung korreliert. Davon abgesehen nötigt die Dominanz der Kommunikationsebene der Figuren gegenüber jener der erzählerischen Vermittlung in Die kleine Stadt geradewegs dazu erstere zur Grundlage aller folgenden Betrachtungen zu machen. Nach Bachtin ist eine Äußerung, wie bereits dargelegt, nur in ihrem konkreten Kontext zu verstehen, daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer gründlichen Analyse der jeweiligen Kommunikationssituation auf den drei Kommunikationsebenen.

Entscheidend für die Erfassung der Kommunikationssituation auf der Ebene der Figuren ist stets der spezifische Chronotopos[41] der Geschichte. Die kleine Stadt, dieses „moralisch-politische Utopie-Modell“[42], ist offensichtlich im, in Folge des Risorgimento (des Prozesses der italienischen Nationalstaatsgründung unter liberalen Vorzeichen) von zahlreichen gesellschaftspolitischen Spannungen durchzogenen, Italien des ausgehenden 19. Jahrhunderts situiert. Der konkreter Schauplatz der Romanhandlung ist dabei „modelled on Palestrina“[43], einem „nahe Rom gelegenen Bergnest“[44]. Dieses Städtchen beheimatet ein Modellvolk, das dem Bild des Autors vom italienischen Volk nachempfunden ist. Das Volk ist der Held in Die kleine Stadt und zeichnet sich durch vier wesentliche Eigenschaften aus: „erotische Erregbarkeit“[45], „‚natürliche’ Theatralität“[46], fundamentale Politisierung[47] und lebendige „gesellschaftlichen Interaktion“[48]. Diese, von ideologischen, sozialen, politischen und individuellen Spannungen geprägte, intensive, dynamische Kommunikation des Volkes, das durch ein „sozial und typenmäßig vielschichtige[s] und individualisierte[s] Figurenensemble[] von annährend hundert Personen“[49] repräsentiert wird, treibt die Romanhandlung unweigerlich voran.

Es mangelt in der kleinen Stadt also offenbar weder an Konfliktpotential noch an der Bereitschaft „all the latent conflicts“[50] (kommunikativ) auszutragen. Was fehlt ist allein ein passender Anlass. Diesen besorgt sich das Volk, vornehmlich in Gestalt seines „große[n]Mann[es]“ (425)[51], dem Advokaten Ferruccio Belotti, ganz selbstständig, indem es eine Operntruppe engagiert, welche die „italienische Landstadt, die sich langweilt“[52] in hellen Aufruhr versetzt. Die offene und sich im Verlaufe eines Monats zusehends intensivierende, variantenreiche Konfliktaustragung wird dabei in dem erzählten „Mikrokosmos“[53] durch die Abwesenheit denkbarer dominanter (legitimer) Autoritäten bzw. Mächte begünstigt bzw. überhaupt erst ermöglicht. Es fängt damit an, dass dem Städtchen, in Gestalt des alten und kranken Bürgermeisters Augusto Savatori offensichtlich schon seit einiger Zeit eine funktionstüchtige Exekutive fehlt. Weiterhin vollzieht sich das turbulente Geschehen in der kleinen Stadt, einschließlich eines „Bürgerkrieg[s] en miniature“[54], vollkommen unbeeinflusst von einer übergeordneter (national-) staatlichen Macht. So sind die ortsansässigen königlichen Carabinieri auch weniger um die Wahrung der öffentliche Ordnung bzw. die Durchsetzung der Staatsräson, als vielmehr um eine volksnahe Einsatzpolitik bemüht. Das zeigt sich beispielhaft, als der vom Mittelstand angezettelte „Bürgerkrieg“ (267) gänzlich ohne polizeiliche Intervention vorbeigegangen ist und der Leutnant der ortsansässigen Carabinieri, Cantenelli, (während er seine, die Piazza von den „Spuren des Kampfes“ (291) säubernden, Untergebenen beobachtet) treuherzig erklärt: „Wir haben nicht eingreifen wollen […] Ein Zwist der Bürger ist ohnedies nichts Schönes, durch die Dazwischenkunft der bewaffneten Macht wäre es vielleicht grausam geworden und wir sind nicht grausam“ (291). Auch der Adel, der in Die kleine Stadt von dem Baron Torroni (einem sich mit Bauern abwechselnd prügelnden und verbrüdernden Schürzenjäger) repräsentiert wird, hat keine exponierte Position inne. Schließlich ist die Autorität der Kirche in Folge des Risorgimento erheblich geschwächt, so dass dem fanatischen Priester, Don Taddeo, kein anderes Machtmittel als die Instrumentalisierung der habituellen und reflexhaften Religiosität des Volkes, bleibt.

Mit dem Erscheinen der Komödianten wird das Autoritäts- bzw. Machtvakuum in der kleinen Stadt manifest. Eine allgemein verbindliche Interpretation des unerhörten Ereignisses kann keiner der politischen Akteure vornehmen, jedoch bieten zwei sich diametral gegenüberstehende Parteien unterschiedliche Deutungsmuster an. Auf der einen Seite steht die liberal-republikanische Fortschrittspartei unter der Führung des Advokaten Belotti auf der anderen die konservativ-klerikale Opposition um den Priester Don Taddeo. Während die Partei des Priesters, die von den Fortschrittlichen initiierte und organisierte Stagione der Operntruppe, im wahrsten Sinne des Wortes verteufelt und den Besuchern der (vom Volk so geliebten) Oper „Arme Tonietta“ die „ewige[] Verdammnis“ (135) prophezeit sowie angesichts des angeblichen allgemeinen Sittenverfalls zur Zerstörung des Theaters aufruft (vgl. 254), sind Oper und Komödianten in den Augen der Liberalen zweifellos Symbole des Fortschritts und der Freiheit.

Der politisch-ideologische Konflikt zwischen der liberalen Fraktion und der „Priesterpartei“ (47) in der kleinen Stadt steht modellhaft für den fundamentalen Antagonismus, den Kulturkampf, zwischen konservativ-reaktionärem Kirchentum und säkularisierendem Liberalismus im Italien des 19. Jahrhunderts.[55] In dem Roman, dessen Handlung sich in den 1890er Jahren abspielt, geht es aber eigentlich nur nebenbei um den Gegensatz zweier Ideologien, im (allgemeinen) Sinne von ideell begründeten politischen oder religiösen Weltanschauungen[56]. Die Einwohner der kleinen Stadt teilen sich zwar vordergründig in zwei ideologisch gegensätzliche Lager auf, bei genauer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass dem Volk ideologisches Denken im Grunde fremd ist. Generell entscheiden „Empfindungsform[]“[57] und individuelle Interessen die Wahl einer Ideologie bzw. Partei. Mitunter bestimmt die Aussicht auf einen Auftrag die politisch-ideologische Zugehörigkeit des Einzelnen (vgl. 139, 264) und es kann geschehen, dass ein ganzer (Mittel-) Stand (aufgrund der Platzvergabe im Theater) vom liberalen ins klerikale Lager wechselt. Der typische Kleinstädter, ob nun nominell liberal oder konservativ-klerikal[58], trägt seine angebliche weltanschauliche Überzeugung gern zu Schau, opfert sie aber im Zweifelsfall bedenkenlos seinen persönlichen Interessen. Grundsätzlich gilt der vom alten Garibaldiner Achille formulierte Leitsatz: „Tatsächlich […] wird es das Klügste sein, sich dort aufzuhalten, wo alle sind“ (368).

Für Heinrich Mann verkörpert dieses Volk „voll Laster und Niedrigkeit“[59] mit seinem unideologischen, pragmatischen Wesen, mit seiner „naive[n] Animalität“[60], das Prinzip des Lebens. Der Ausdruck Leben steht bei Mann für die „ungeistige, tierische, triebbeherrschte“[61] Realität des menschlichen Handelns, für das morallose Streben nach „Erfolg und Macht“[62].

[...]


[1] Vgl.: Hillman 1986: 110, Morson/Emerson 1990: xiv.

[2] Vgl.: Bauer 1997: 127, Denith 1995: ix, Todorov 1981: ix.

[3] Volkmann 2004a: 42.

[4] Vgl.: Nünning 2004a: 1, Emerson/Holquist 1987: ix.

[5] Stein 2002: 38.

[6] Morson/Emerson 1990: 446.

[7] Grübel 1979: 42.

[8] HM, Die kleine Stadt. Prospekt für den Inselverlag von 1909, in: Anger (Hrsg.) 1977: 118.

[9] In seinem aktuellen Buch über Heinrich Mann regt Peter Stein eine solche Untersuchung der Erzählstruktur des Werkes von Heinrich Mann unter dem Aspekt der Bachtin’schen „Polyphonie“ an (vgl. Stein 2002: 38).

[10] HM, Brief an Ludwig Ewers vom 13.12.1909, in: Dietzel/Eggert (Hrsg.) 1980: 449.

[11] Eine solche Untersuchung regt Ariane Martin in ihrer Dissertation über Heinrich Manns Frühwerk an (vgl. 1993: 254).

[12] Grübel 1979: 42.

[13] Bachtin 1971: 204 (eigene Hervorhebung, S. S.).

[14] Die Äußerung ist bei Bachtin die grundlegende Einheit der sprachlichen Kommunikation (vgl. Martinez 1996: 430, Schmid 1999: 10).

[15] Schmid 1999: 11.

[16] Bachtin 1979b: 174.

[17] Vgl. Bachtin 1979b: 174.

[18] Man darf sich jedoch die Unterscheidung zwischen dialogischen und monologischen Äußerungstypen realiter nicht als strenge Entweder-Oder-Klassifikation vorstellen. Monologisch oder dialogisch ist bei Bachtin eine Äußerung immer nur tendenziell niemals absolut.

[19] „Die Repliken [der Kommunikationspartner] können phasenweise formal durchaus gegenläufig sein und auch Gegensätze enthalten letztlich ergänzen, bestätigen und bekräftigen sie lediglich in ihrer gemeinsame Haltung“ (Schmid 1999: 12).

[20] Bachtin 1979b: 175.

[21] Bachtin 1979b: 174.

[22] Grübel 1979: 45.

[23] Martinez 1996: 430.

[24] Martinez 1996: 430.

[25] Bachtin 1979b: 182.

[26] Vgl. Bachtin 1979b: 157.

[27] Martinez 1996: 431.

[28] Bachtin 1996: 183.

[29] Vološinov 1973: 10.

[30] Vgl. Lachmann 2000: 224.

[31] Vgl. Denith 1995: 36.

[32] In einem älteren Modell geht Nünning noch von fünf statt von drei Kommunikationsebenen des narrativen Textes aus. Hier ordnet er der Kommunikationsebene der erzählerischen Vermittlung die Ebene des impliziten Autors und impliziten Lesers über und differenziert außerdem auf der werkexternen Kommunikationsebene „zwischen dem empirischen Autor bzw. Leser als Mitglied der Gesellschaft mit einem komplexen Rollenhaushalt […] und dem realen Autor bzw. Leser in seiner eingeschränkten Rolle als Produzent bzw. Rezipient […] literarischer Texte“ (Nünning 1989: 26). Es hat sich aber gezeigt, dass man von diesen zusätzlichen Kommunikationsebenen getrost absehen kann bzw. sogar muss. So handelt es sich beim impliziten Autor (bzw. Leser) nicht um eine kommunikationstheoretisch-pragmatische Instanz, sondern um ein semantisches Konstrukt, das in einem Kommunikationsmodell keinen Platz hat und darüber hinaus von einer ganzen Reihe von Narratologen gänzlich abgelehnt wird (vgl.: Nünning 1989: 31-34, Nünning 2004b: 336). Darüber hinaus scheint eine Differenzierung von realem und empirischem Autor bzw. Leser wenig sinnvoll, da ja jeder Produzent oder Rezipient von Literatur „notwendig im Rahmen des Voraussetzungssystems operiert, das ihm als ‚bürgerliches Subjekt’ zugeordnet werden muss“ (Schmidt 1980: 138).

[33] Nünning 1997: 325.

[34] Vgl.: Bußmann 2002: 354, Schmidt 2004: 339, Veith 2002: 6.

[35] Dies gilt auch für den Dialogbegriff der sogenannten Dialogforschung, der in einigen Punkten eindeutige Parallelen zum Begriff der dialogischen Kommunikation aufweist. Die Dialogforschung ist in den 1980er Jahren aufgekommen und wird in allen kognitiv orientierten Wissenschaften (Philosophie, Psychologie, Linguistik, Diskursanalyse usw.), meist interdisziplinär, betrieben. Sie nennt fünf notwendige Dialogkriterien: (1.) Die Gesprächpartner begegnen einander unmittelbar (face-to-face). (2.) Sie übernehmen abwechselnd Sprecher- und Hörerrolle. (3.) Sie beziehen sich mittels Sprache auf die Welt, sie sprechen über etwas (eine Sache). (4.) Ihre Vorstellungswelten durchdringen einander im Prozess der Kommunikation. (5.) Die Gesprächspartner übernehmen nicht einfach einen neutralen Zeichenkode um sich zu verständigen sondern entwickeln, in verbaler und nonverbaler Hinsicht, einen gemeinsamen situativen Kode (vgl. Kloepfer 1982: 88 anlehnend an Mukařovský).

[36] Rammstedt 1994: 347.

[37] In dem prominenten, ursprünglich für nachrichtentechnische Zwecke entworfenen, Kommunikationsmodell der us-amerikanischen Mathematiker C. E. Shannon und W. Weaver wird Kommunikation wie folgt bestimmt: Der Sender enkodiert eine Information in Signale, die über einen Kanal bzw. ein Medium möglichst störungsfrei an den Empfänger weitergeleitet werden, der die Signale dekodiert. Damit es zu Informationsübertragung kommen kann, müssen Sender und Empfänger über einen gemeinsamen Zeichenvorrat verfügen.

[38] Der monologische Monolog mit nur imaginärem Partnerbezug oder gar mit ausschließlichem Selbstbezug ist weder nach Nünnings noch nach dem dialogischen Verständnis von Kommunikation als Kommunikation aufzufassen und taucht daher im EKFE nicht auf.

[39] Christoph Martin Wielands Romane Don Silvio von Rosalva und Geschichte des Agathon sind gute Beispiele für eine solche Art von Erzählung.

[40] Besondere Schwierigkeiten werden sich in diesem Zusammenhang natürlich immer dann ergeben, wenn es sich bei E offensichtlich um einen unzuverlässigen Erzähler handelt. Diese Problematik möchte ich hier aber nicht vertiefen.

[41] Der Begriff des „Chronotopos“ stammt von Bachtin und meint das raumzeitliche Arrangement einer Romangeschehens und die für unterschiedliche Romanarten typische Motive (vgl. Martinez 1996: 438 f.)

[42] Haupt 1980: 51.

[43] Weisstein: 1960: 255.

[44] Haupt 1980: 27.

[45] HM 1906: 161.

[46] Trapp 2000: 107.

[47] Vgl. Perin 1991: 20.

[48] Martin 1993: 123.

[49] Segelcke 1987: 6.

[50] Linn 1964: 135.

[51] Die eingeklammerten Ziffern hinter Zitaten aus Die kleine Stadt entsprechen den Seitenzahlen von HM: 2003.

[52] HM, Die kleine Stadt. Prospekt für den Inselverlag von 1909, in: Anger (Hrsg.) 1977: 117.

[53] Segelcke 1987: 6, vgl. Weisstein 1962: 106.

[54] Segelcke 1987: 7.

[55] Der Kulturkampf zeichnete sich bereits 1831 ab, als Papst Gregor XVI im Bündnis mit Österreich national-freiheitlicher Aufstände in Mittelitalien niederschlug und kurz danach „jegliche[] Auflehnung gegen die legitime Obrigkeit sowie alle[] liberalen Tendenzen (Segelcke 1987: 18) verurteilte. Folglich brandmarkte das Papsttum auch das erste, (von der Nationalbewegung erkämpfte) italienische Parlament und die von diesem im März 1861eingesetzte liberale Monarchie (Königreich Italien). 1869 verkündete Pius IX das päpstliche Unfehlbarkeitsdogma und sorgte damit für eine neuerliche Verschärfung des Gegensatzes zwischen Kirche und liberalem Nationalstaat. Mit der Besetzung Roms durch italienische Truppen und dem Anschluss des Restkirchenstaates an Italien im Jahr 1870, büßte die Kirche ihre weltliche Macht vollends ein und der langwierige Prozess des Risorgimento (1815-1870) fand seinen Abschluss. Erst zu Beginn des zweiten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts kommt es zu einer merklichen Entspannung im Verhältnis zwischen Kirche und liberalem Staat (vgl. Segelcke 1987: 17 f.).

[56] Vgl. Hügli/Lübcke (Hrsg.) 1998: 310.

[57] HM, nicht abgeschickter Brief an Maximilian Brantl vom 21.11.1909, in Schneider: 33.

[58] Zu denken ist hier beispielsweise an die beiden sonst so eifrigen Streiterinnen des klerikalen Lagers, Frau Nonoggi und die „gute, heilige Frau Camuzzi“ (140), die sich und in der Öffentlichkeit vor ihren Parteigängern allzu gern glaubenstreng geben, sich aber dann doch heimlich zu Premiere der „Armen Tonietta“ schleichen.

[59] HM 1910: 266.

[60] HM, Notizbucheintrag um 1906/1907, in: Anger (Hrsg.) 1977: 114.

[61] Harbers 1984: 55.

[62] König 1972: 175.

Ende der Leseprobe aus 83 Seiten

Details

Titel
"Das hohe Lied der Demokratie" - Heinrich Manns Roman "Die kleine Stadt" im Lichte der Literaturtheorie Michail M. Bachtins
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Deutsches Institut)
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
83
Katalognummer
V91834
ISBN (eBook)
9783638049337
ISBN (Buch)
9783638944090
Dateigröße
764 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Zitat aus dem Gutachten: "Insgesamt zeigt [die Arbeit] sowohl eine souveräne Handhabung der Theorien Bachtins mitsamt einer überdurchschnittlich guten Kenntnis der Einschlägigen Theoriediskussion (Narratologie, Kommunikationsmdelle, Dialogforschung) als auch ein ausgeprägtes Verständnis der Texte Heinrich Manns mitsamt einer gründlichen Forschungsliteratur. Die Analyse des Romans läßt den Blick des Verfassers auf das Wesentliche und zugleich eine bemerkenswerte Sensibilität für Details erkennen ..."
Schlagworte
Lied, Demokratie, Heinrich, Manns, Roman, Stadt, Lichte, Literaturtheorie, Michail, Bachtins
Arbeit zitieren
Sven Soltau (Autor:in), 2005, "Das hohe Lied der Demokratie" - Heinrich Manns Roman "Die kleine Stadt" im Lichte der Literaturtheorie Michail M. Bachtins, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91834

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: "Das hohe Lied der Demokratie" - Heinrich Manns Roman "Die kleine Stadt" im Lichte der Literaturtheorie Michail M. Bachtins



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden