Die Reconquista. Ursachen und Gründe der Auseinandersetzung zwischen Muslimen und Christen auf der Iberischen Halbinsel


Seminararbeit, 2020

26 Seiten, Note: 14

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Die Reconquista
2.1 Ein geschichtlicher Überblick
2.2 Reconquistaphasen
2.2.1 Die erste Phase der Reconquista (718/722 n. Chr. - 1085 n. Chr.)
2.2.2 Die zweite Phase der Reconquista (1086-1212)
2.2.3 Die dritte Phase der Reconquista (1213-1492)
2.3 Betrachtung der Reconquista unter dem Aspekt eines Religionskrieges

3. Nachwort

4. Anhang

5. Abkürzungsverzeichnis

6. Literaturverzeichnis
6.1 Sekundärliteratur
6.2 Internetquellen

1. Vorwort

Die Reconquista ist eine der prägendsten Phasen der spanischen und portugiesischen Geschichte. Das um 710 v. Chr. noch weite christliche Reich der Westgoten wurde binnen weniger Jahre dem Berber Tariq Ibn Ziyad unterworfen. Die Mauren besiedelten das heutige Spanien und Portugal innerhalb von nur neun Jahren. Diesem Siegeszug der Mauren galt es entgegenzuwirken und das ehemalige christliche Land der Westgoten zurückzuerobern. Die Rückeroberung, die sich über fast 800 Jahre hinzog, wird als Reconquista bezeichnet. Die Schlacht bei Cavadogna im Jahr 722 n. Chr. wird als Beginn der Bewegung angesehen. Während die Könige von Asturien im Norden der Iberischen Halbinsel ihr Herrschaftsgebiet relativ schnell erobern konnten, dauerte die Rückeroberung anderer christlicher Könige über Al Andalus länger. Aufgrund dieser teilweise großen Zeitunterschiede wird die Reconquista in drei Phasen aufgeteilt. Bei einer fast 800 Jahre währenden wechselvollen Auseinandersetzung stellt sich die Frage, ob dies tatsächlich noch als Rückeroberung betitelt werden kann, insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es auch längere Episoden des Friedens zwischen Christen und Muslimen gab. Anhand ihres historischen Verlaufes soll die Reconquista beschrieben und dadurch aufgezeigt werden, was die wesentlichen Triebkräfte der Reconquista gewesen sind. Zudem soll herausgearbeitet werden, welchen Einfluss die Religion und die Kirche auf die Reconquista ausgeübt haben. Noch heute kann man selbst in kleinen Dörfern im heutigen Andalusien die Nachwirkungen der Maurenzeit entdecken und die lange Geschichte um die Rückeroberung Spaniens erforschen. Für die Seminararbeit wurden Quellen aus der speziellen Fachliteratur, dem Internet und aus Museumsberichten bzw. -schriften ausgewertet und durch eigene Recherchen und Beobachtungen ergänzt, die im Rahmen einer Studienreise durch Andalusien gesammelt werden konnten.

2. Die Reconquista

Im Anfangsteil des historischen Überblickes wird zunächst auf die Historie des Begriffes Reconquista eingegangen und die kontroverse Diskussion um diesen Begriff erläutert.

Der nachfolgende Teil der Arbeit beschreibt die einzelnen Phasen der Reconquista und führt bedeutende historische Ereignisse dieser Zeit auf.

2.1 Ein geschichtlicher Überblick

Als Reconquista wird die Rückeroberung der einst von den Westgoten beherrschten Iberischen Halbinsel durch christliche Könige und die Unterwerfung der muslimischen Mauren im heutigen Spanien und Portugal bezeichnet. Die Reconquista erstreckte sich über einen Zeitraum von 722 n. Chr. – einige Quellen geben bereits das Datum 718 n. Chr.1 an – bis zur Eroberung Granadas durch die katholischen Könige 1492.2

Der schillernde Begriff der Reconquista ist eigentlich kein mittelalterlicher Begriff, also keine bewusste Wortschöpfung aus der damaligen Zeit der Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen, sondern fand erstmalig Ende des 18. Jahrhunderts Verwendung nach der Invasion Napoleons in Spanien und durch die Erfahrungen der Unterdrückten durch die französischen Invasoren. Der anschließende erfolgreich geführte Freiheitskampf bildete seinerzeit das Fundament für eine neue Interpretation mittelalterlicher Kriege als Befreiungskriege.3

Der Begriff der Reconquista wurde auch im spanischen Bürgerkrieg, der von 1936 bis 1939 in Spanien herrschte, von General Francisco Franco Bahamonde (gest. 1975) und den Nationalisten zur Legitimierung ihres Putsches verwendet. Sie deklarierten ihren Aufstand als Kreuzzug und zu einer christlichen Wiedereroberung eines heidnischen Spaniens aus den Händen der Kommunisten, des Freimaurertums und des spanischen Judentums. Franco ließ sich dabei als Wiedereroberer (span. Reconquistador) feiern.4 In der verbreiteten Betrachtung wird die Reconquista als einen einzigen kreuzzugsähnlichen Kriegsmarsch der Christen gegen die heidnischen Muslime angesehen und stellt dabei den religiösen Aspekt des Kampfes in den Vordergrund.5

Es entsteht somit der Eindruck, dass die christlichen Herrscher in Spanien in einem fast achthundert Jahre währenden, zielgerichteten Kampf (Religionskrieg) an den Islam verlorenes Gebiet von der Fremdherrschaft der Mauren befreit hätten.6 Der spanische Philosoph José Ortega y Gasset (gest. 1955) formulierte hinsichtlich der traditionellen Darstellung und Betrachtung einprägsam: „Wie kann man etwas Rückeroberung bezeichnen, was acht Jahrhunderte angedauert hat?“7 „Im Übrigen suggeriere [der Begriff Reconquista] […], einen andauernden Kriegszustand, obwohl es lange Perioden des Friedens oder sogar von Bündnissen zwischen Christen und Muslimen auf der Iberischen Halbinsel gab.”8

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen ist zu überlegen, ob der Begriff der Reconquista überhaupt noch so benutzt werden kann. Allerdings sind die bisherigen Alternativbegriffe wenig überzeugend und so haben sich viele Historiker mit dem komplizierten Terminus Reconquista in seiner bisherigen Verwendung abgefunden. Um die Vielschichtigkeit und auch Umstrittenheit des Begriffs zum Ausdruck zu bringen, sind einige Historiker dazu übergegangen, den Begriff in Anführungszeichen zu setzen.9

Unter Berücksichtigung der Kritikpunkte am Begriff „Reconquista” ist deshalb eine genauere Betrachtung und differenzierte Beurteilung der Reconquista während dessen gesamten Verlaufs angebracht und zudem die Frage zu stellen, ob es einen zielgerichteten Plan zur Rückeroberung der von den Muslimen besetzten Gebiete auf der Iberischen Halbinsel gab, der religiös motiviert war. Anschließend gilt zu analysieren, ob die Zeit der Rückeroberung als genereller Religionskrieg – gar als Kreuzzug – aufzufassen ist.10

2.2 Reconquistaphasen

Die Reconquista kann anhand der zeitlich versetzen militärischen Erfolge der christlichen Herrscher in drei Phasen eingeteilt werden (Abb. 1):

- Die erste Phase erstreckte sich von der christlichen Rebellion in Asturien unter Palajo (718 n. Chr.)11 bis zur Rückeroberung der Königstadt Toledo durch Alfons VI (1085 n. Chr.).
- Die zweite Phase (1086 n. Chr. bis 1212 n. Chr.) kennzeichnet die Unterstützung der Mauren durch die nordafrikanischen Berberstämme der Almoraviden und Almohaden, welche den Vormarsch der Rückeroberer vorzeitig unterbrachen.
- Die dritte Phase bezieht sich auf die Reduzierung des Territoriums der Muslime (ab 1213 n. Chr.) mit dem Zentrum Granadas, welches schließlich am 1. Januar 1492 an die katholischen Könige übergeben wurde.12

2.2.1 Die erste Phase der Reconquista (718/722 n. Chr. - 1085 n. Chr.)

Die erste Phase der Reconquista fällt in erster Linie in die Zeit der initialen Eroberungen der Mauren auf der Iberischen Halbinsel seit dem Jahr 711. In einem rasanten Eroberungszug haben die islamischen Krieger zwischen 711 und 719 fast die gesamte Iberische Halbinsel eingenommen und so das Westgotenreich erobert. Bei ihren Eroberungen waren die Mauren dabei kaum auf Widerstand von Seiten des westgotischen Adels und der herrschenden Schicht gestoßen. Dies lag daran, dass sich ein Großteil der Bevölkerung mit den Eindringlingen arkebrangierte.13 Des Weiteren führten die einfallenden islamischen Krieger keinen missionarischen Krieg mit dem Ziel, die Besiegten zum Islam zu bekehren, sondern durch Verhandlungen dazu zu führen, sich mit den Muslimen über Abgaben zu arrangieren unter Gewährung ihrer bisherigen Religionsausübung.14

Die Schlacht von Covadonga in Asturien 722 (einige Historiker datieren die Schlacht bereits auf das Jahr 718)15, die mit dem Sieg der Christen unter ihrem Anführer Pelajo endete, wird traditionell als Beginn der Reconquista bezeichnet.16 Tatsächlich finden sich jedoch weder christliche noch muslimische umfassende zeitgenössische Quellen bezüglich dieses Konfliktes. Erst zu Beginn des 10. Jahrhunderts (am Königshofe Asturiens) entstanden verschiedene Chroniken, die das Gefecht detailliert als ein epochales göttliches Großereignis stilisieren, bei dem Gott selbst für die Überlegenheit der Christen gegenüber ihren Feinden sorgte.17 Für den Beginn einer beabsichtigten umfassenden Rückeroberung aus diesem Ereignis in Covadonga heraus mit dem Ziel, das untergegangene Westgotenreich wiederherzustellen, gibt es historisch gesehen jedoch keinen Beleg und es wird sogar in der Wissenschaft grundlegend über die Historizität von Covadonga diskutiert.18

Obwohl der Anfang der Reconquista, also der Rückeroberung, schon auf die erste Hälfte des 8. Jahrhunderts datiert wird, muss in Betracht gezogen werden, dass es sich, entgegen der altertümlichen Vorstellungen, zunächst vielmehr um einen defensiven Kampf der Königreiche Asturien und Kanatabriens gegen die muslimischen Invasoren handelte.

So entwickelte sich ein Jahrhunderte lang andauernder Grenzkrieg, der zu unzähligen Beutezügen beider Protagonisten, also von Christen und Muslimen, führte.19 Erst in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts gewann die Reconquista ihren tatsächlich berechtigten Titel einer Rückeroberung, als die Asturen durch offensive Kriegszüge ihr Siedlungsgebiet durch Eroberungen in den Süden erweiterten und die Bedeutung des Asturischen Reiches grundlegend veränderten.20 Durch Eroberung der alten römischen Garnisonsstadt Legio entstand die Königstadt Leon und später das Königreich Leon.

Während des 10. Jahrhunderts, der Blütezeit des Kalifats von Córdoba, zeigte sich das Kriegsglück der Christen durchaus wechselhaft und schwere Niederlagen (Jahr 920, Valdejunquera) wechselten mit Siegen (Simanca, Jahr 939). Zur Mitte des 10. Jahrhunderts hatten sich bereits fünf christliche Königreiche auf der Iberischen Halbinsel gebildet (Leon, Kastilien, Navarra, Aragon, Grafschaft Bacelona). Ihr „Verhältnis zu den muslimischen Nachbarn im Süden, aber auch zu den christlichen Nachbarn im Westen […] und Osten […], [schwankte dabei] zwischen Konkurrenz und Kooperation“.21 Die christlichen Reiche waren teilweise abhängig von den muslimischen Mächten. So kam es regelmäßig zu Besuchen von christlichen Herrschaften als Bittsteller oder Tributpflichtige am Hofe des umayyadischen Kalifen in Córdoba. Das untergeordnete Verhältnis spiegelte sich auch darin wider, dass wiederholt christliche Herrscher ihre Töchter und Söhne an die Höfe des Kalifen schickten und die Mädchen dort verheiraten ließen, die später in einflussreichen Positionen tätig waren und selbst Thronfolger (al-Hakam II, zweiter Kalif von Córdoba, 915-976) gebaren. Es gab somit in dieser Zeit immer wieder einen bemerkenswerten interkulturellen und interreligiösen Austausch zwischen Christen und Muslimen.22

Für die Stabilität und Festigkeit des Kalifats im 10. Jahrhundert sorgten insbesondere die großen militärischen Erfolge der Umayyaden unter Almanzur gegen die Nachbarn. Bemerkenswert ist u. a. der Angriff und die Plünderung der Apostelkirche von Santiago de Compostela im Jahr 997. Almanzur ließ nachfolgend öffentlichkeitswirksam die besiegten Christen die Glocken der Kirche bis nach Córdoba tragen. Nach seinem Tod kam es sehr schnell zum Zerfall des Kalifats aufgrund innerer Streitigkeiten und schließlich zur Entstehung der Taifenreiche zwischen 1031 und 1085.23

Die Taifenreiche und ihre christlichen Nachbarn

Die hohe Komplexität der 50 Jahre andauernden Geschichte der Taifenreiche reflektieren die wiederholenden Herrscherwechsel, welche unterschiedliche Bündnisse miteinander schlossen, bis sie sich in erneuten immer wiederkehrenden Konflikten untereinander bekriegten. Manche dieser kleinen Reiche bildeten sich jedoch mit der Zeit zu florierenden kulturellen Zentren, wie etwa Toledo zum Königreich der Wissenschaft, Zaragoza zum Königreich der Philosophie und Sevilla zum Königreich der Poesie. Ähnlich den Umayyden zeigten die Taifenreiche außerdem großes Potenzial und Interesse an Medizin, Mathematik, Geometrie, Astrologie und Astronomie.

Ihre Kenntnisse über die antike und arabisch-muslimische Kultur sollte jedoch auch im mittelalterlichen Lateineuropa auf den Höfen von Bedeutung sein.24

Bezeichnend für diese Zeit ist, dass sich die Taifenreiche Nicht-Angriffe durch die christlichen Königreiche mit barer Münze (Paria) erkauften. Wer nicht zahlte, dessen Ländereien wurden geplündert. Die Epochen der Taifen sind damit weniger durch offene Feldschlachten als durch Plünderungszüge charakterisiert.25 Bedeutsam in dieser Zeit war der kampflose Fall von Toledo 1085, die damals durch Alfons VI. bedeutendste muslimische Stadt der Iberischen Halbinsel.26 Alfons VI. hatte der muslimischen Bevölkerung zuvor viele Freizügigkeiten und freie Religionsausübung zugesichert. Ein Versprechen, jedoch nicht lange hielt und schließlich sukzessive von den Christen revidiert wurde.

2.2.2 Die zweite Phase der Reconquista (1086-1212)

Die Iberische Halbinsel im hohen Mittelalter (1085-1199)

Die lange Phase zwischen 1085 und 1199 macht deutlich, dass Darstellungen christlich-islamischer Auseinandersetzungen auf der Iberischen Halbinsel mit einer geradlinigen Erzählung von christlichen Eroberungen und Erfolgen kritisch hinterfragt werden solten. Für eine ebensolche geradlinige Schilderung waren insbesondere zwei reformreligiöse islamische Dynastien aus dem Gebiet Nordafrikas verantwortlich: die Almoraviden und die Almohaden.27 Durch die dauerhaften Paria-Zahlungen an die christlichen Herrscher und nach der kampflosen Übergabe von Toledo an Alfons VI. baten einige besorgte Taifenherrscher um Hilfe bei den Almoraviden.28 Führende Gestalt dieser Konföderation von Berberstämmen war Yusuf ibn Tashfin (gest. 1106). Diese waren zwar erst wenige Jahrzehnte zuvor islamisiert worden, forderten aber eine strenge Beachtung islamischer Regeln ein.29

Im Jahre 1086 überquerten die Almoraviden, den Hilferufen der Taifenherrscher folgend, erstmals die Meerenge von Gibraltar und bezwangen binnen weniger Jahre die Truppen Alfons VI., so dass sie nach dem endgültigen Sieg gegen Alfons VI. bei Badajoz bis 1094 fast ganz Südspanien in ihrem Reich eingliedern konnten (Abb. 2). Trotz der Hoffnungen der Taifenherrscher blieb das Taifenreich nicht bestehen und es entwickelte sich ein streng muslimisch-orthodoxes Regiment.30 Ihr Herrschaftszentrum war dabei weiterhin die neu gegründete Hauptstadt Marrakech und Sevilla fungierte als Regionalzentrum von Al Andalus. Wirtschaftlich profitierten die Almoraviden vom intensiven transsaharischen Handel und insbesondere vom Import subsaharischen Goldes.31 Dies soll später noch für das Nasridenreich eine bedeutende Rolle spielen.

Die Taifenreiche sind somit nicht durch christliche Eroberungen und Expansion zerstört worden, sondern durch das Eingreifen religiös-orthodoxer Muslime aus Nordafrika.32 Die Jahre 1147 bis 1149 stehen für eine massive Expansion der christlichen Truppen und ihre Erfolge ließen sie hoffen, auch in Zukunft weiter erfolgreich zu sein. Aus diesem Grund unterzeichneten die Könige von Leon und Kastilien, Alfons VII. und Raimund Berengar IV. von Barcelona einen Vertrag (Vertrag von Tudilen 1151), in welchem sie die ganze terra hispaniae, also das ganze Al Andalus prophylaktisch unter sich aufteilten.33 Hier standen somit rein machtpolitische Interessen im Vordergrund der kriegerischen Auseinandersetzungen.

Durch den zunehmenden Druck, der durch die christlichen Angriffe auf die muslimischen Gebiete von Al Andalus entstand, kam es zu einer zunehmenden politischen Instabilität und zu Aufständen. Um sich den Angriffen zu erwehren, wurde erneut eine externe muslimische Macht von den nunmehr zweiten Taifen um Hilfe gebeten: die Almohaden.34 Diese standen unter der streng religiösen Führung ihres Anführers Muhammad ibn Tumart (gest. 1130) und forderten von anderen Muslimen sowie den Juden und Christen vollständige Unterwerfung.35 Die Almohaden-Bewegung brachte durch ihre Kämpfe zwischen 1146 bis 1176 die gesamten ehemaligen Almoraviden-Gebiete wieder unter ihre Kontrolle. Dabei wurde das neue Reich streng geführt. Die Almohaden zeigten sich sehr offen gegenüber den Künsten und den Wissenschaften und führten ein letztes Mal Al Andalus zu wirtschaftlicher und kultureller Höhe.36 Weiter wurde Sevilla ihr kulturelles Zentrum. Hier entstanden u. a. die bedeutenden Aristoteles-Kommentare des Averses (Ibn Rusd, gest. 1168).

Allerdings scheuten sich auch die Almohadenherrscher nicht, Bündnisse mit den christlichen Herrschern einzugehen oder christliche Söldner zu verpflichten, sofern es für sie machtpolitisch günstig erschien. König Sancho VII. von Navarra (gest. 1234) verbündete sich so folglich im Maghreb mit den Almohaden, auf deren Höfen auch christliche Adlige dienten. Die Aufrufe verschiedener Päpste in jenen Jahren nach einer christlichen Einigkeit im Kampf gegen muslimischen Invasoren blieben ungehört.

Ein weiteres Exemplum für die geschickte Diplomatie der Muslime gibt Abu Yusuf Ya´qub,Y der sich zu seinem Vorteil mit den Königen Leon und Navarras gegen den König von Kastilien verbündete und dessen Heer in der Nähe von Calatrava am 19.07.1195 zerstörerisch besiegte.37 Diese Niederlage erfolgte in einer Zeit großer Misserfolge der Kreuzfahrer im Orient, was Papst Innozenz III. (gest. 1216) dazu veranlasste, zur Einigkeit der Christen Lateineuropas – insbesondere der spanischen Königreiche – untereinander und zu einem Kreuzzug gegen die Almohaden aufzurufen. Gerade den Kreuzzugteilnehmern aus Frankreich ging es neben den Kreuzzugablässen, die in Aussicht gestellt wurden, um die persönliche Bereicherung. Da sie dabei meistens grausam gegen die muslimischen Einwohner vorgingen („keine Überlebende“), wurde ihnen das Plündern von kirchlicher Seite untersagt. Dies hatte zur Folge, dass nur noch iberische Kombattanten geschlossen gegen das muslimische Heer der Almohaden ankämpften und dieses vernichtend am 16. Juli 1212 bei Las Navas Tolosa im Norden der heutigen Provinz Jean (Jaén) besiegten. Aufgrund erneut einsetzender Spannungen und Auseinandersetzungen der einzelnen spanischen Könige untereinander setzten diese ihre Eroberungen anschließend nicht fort, sondern es kam zu einem Jahrzehnt relativer Ruhe zwischen den muslimischen und den christlichen Regionen.38

2.2.3 Die dritte Phase der Reconquista (1213-1492)

Die Zeit der großen christlichen Eroberungen

In den Jahren zwischen 1220 und 1250 konnten die christlichen Königreiche ihre Territorien auf der Iberischen Halbinsel stark erweitern, was in erster Linie auf die Schwäche der Almohaden-Herrscher zurückzuführen war. Diese hatten ihr führendes Interesse nicht an der Iberischen Halbinsel, sondern an ihren eigentlichen Stammesregionen in Nordafrika, in denen sie bestrebt waren, ihre Macht weiterhin zu sichern. Diese Jahrzehnte gelten aus christlicher Sicht als die der „großen Reconquista“, wobei vier Meilensteine den Eroberungsprozess markieren:39

Im Jahre 1236 wurde die alte Hauptstadt des Umayyadenkalifats Córdoba eingenommen. In dieser befand sich die zur damaligen Zeit zu den größten Moscheen der Welt gehörende „Mezquita”. Als die christlichen Herrscher die Stadt 1236 eroberten, ließen sie die Moschee jedoch nicht niederreißen, sondern gestalteten sie zu einer königlichen Kapelle um. Im 16. Jahrhundert ordnete Karl V. den Umbau der Mezquita in eine Kathedrale im Stil der Gotik und Renaissance an. Den Umbau der Moschee kommentierte er später mit den Worten: „Ich wusste nicht, um was es sich hier handelte. Denn wenn ich es gewusst hätte, hätte ich nicht erlaubt, dass man Hand an das alte Gebäude legt. Ihr habt getan, was möglich war, etwas erbaut, was es andernorts schon gibt, und dafür habt ihr etwas zerstört, was einmalig in der Welt war.”40 Den starken Kontrast der christlichen und muslimischen Kultur und Architektur kann man noch heutzutage in Córdoba entdecken (Abb. 5 - Abb. 7).

Im Jahr 1246 folgte Jean (Jaén) in Ostandalusien nach siebenmonatiger Belagerung. Die Hauptstadt der almoravidischen und der almohadischen Herrscher in Al Andalus, die Stadt Sevilla, folgte im November 1248. Auch die Stadt Murcia wurde relativ zeitgleich 1248 erobert. Es folgten noch Cadiz, Jerez de la Frontera und Alcanatif. Von einer Eroberung ausgeschlossen wurde lediglich das lehensabhängige muslimische Reich von Granada mit den Städten Granada, Malaga und Almeria.41

Nach einem großen Aufstand und einer Rebellion der muslimischen Bevölkerung in den Jahren 1264 bis 1266 gegen die christliche Unterdrückung setzte eine großangelegte Vertreibung der Muslime durch die Christen ein. Nachfolgend sollte das christlich beherrschte Andalusien keine nennenswerte muslimische Bevölkerung mehr haben.

Die christlichen Expansionen im 13. Jahrhundert wurden durch Schriften kirchlicher und höfischer Autoren begleitet, die das ideologische Fundament der Eroberungen erkennen lassen. Aus ihrem, Inhalt, aus dem an der Wende zum 9. Jahrhundert entstandenen asturisch-leonesische Deutungsmuster, lässt sich entnehmen: „Demnach hätten die Westgoten aufgrund ihrer Sündhaftigkeit Herrschaft und Freiheit verloren, nun jedoch sei die göttliche Strafzeit abgelaufen und der Moment eingetreten, die christliche Herrschaft zu 'restaurieren' und Freiheit wie Ehre der Versklavten wiederherzustellen. Hier ist die vollständig entwickelte Ideologie einer christlichen Reconquista zu erkennen.“42

Die Nasriden und das letzte muslimische Königreich von Granada

Nach den ausgedehnten Gebietsgewinnen der christlichen Könige im 13. Jahrhundert verblieb nur noch ein kleines muslimisch beherrschtes Territorium, das auf das Königreich Granada begrenzt war.43 Ibn Yusuf Ibn Nasr, Anführer eines Stammes arabischer Früheinwanderer, ließ sich 1232 zum Sultan ausrufen und wurde zum Begründer der Nasriden Dynastie, die bis 1492 andauerte und mit Muhammad XII. (span. Boabdil) endete.44 Besonders in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entwickelte sich das Nasridenreich von Granada als kulturell erhabenes, wirtschaftlich florierendes und politisch stabiles Zentrum. Der heute zum Weltkulturerbe gehörende und international bekannte Alhambrapalast in Granada wurde ebenso zu jener Zeit erbaut (Abb. 3).45 In dieser Zeit entwickelte sich auch eine beachtliche über die Religionsgrenzen hinausgehende höfische Kultur zwischen dem muslimischen und den angrenzenden christlichen Königshöfen, die ihren Ausdruck auch in gemeinsamen Turnieren fand.

[...]


1 Vgl. Bronisch, A., Reconquista und heiliger Krieg. Die Deutung des Krieges im christlichen Spanien von den Westgoten bis ins frühe 12. Jahrhundert, Münster 1998, S. 95.

2 Vgl. Brockhaus Lexikonredaktion (Hg.), Brockhaus Enzyklopädie Band 17, unter dem Stichwort: Reconquista, Wiesbaden 1972, S. 520.

3 Vgl. Jaspert, N., Die Reconquista. Christen und Muslime auf der Iberischen Halbinsel, München 2019, S. 14.

4 Vgl. Ebd., S. 14.

5 Vgl. Bronisch, Heiliger Krieg, S. 2f.

6 Vgl. Altmann, P., Abrahams Enkel in Spanien. Muslime, Christen, Juden in einer Zeit des Umbruchs (1150-1250), Magisterarbeit, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt 2007, S. 20.

7 Jaspert, Reconquista, S. 15.

8 Ebd., S. 15.

9 Vgl. Ebd., S. 16.

10 Vgl. Altmann, Zeit des Umbruchs, S. 20.

11 Vgl. Schwabe, F., Reconquista, in: https://www.geschichte-abitur.de/mittelalter/reconquista, Zugriff vom 29.09.2019.

12 Vgl. Lutter, S., Die Auseinandersetzungen um die spanischen Missionskriege, 2012, S. 3.

13 Vgl. Ebd., S. 2f.

14 Vgl. Hombach, M., Im Namen Allahs, in: GeoEpoche 73 (2015), S. 67.

15 Vgl. Schwabe, Reconquista, S. 1.

16 Vgl. Bronisch, Heiliger Krieg, S. 95f.; anders Dopsch, H., Das Islamische Spanien und die Kreuzfahrerstaaten. Kontaktzonen zwischen Islam und Christentum im Mittelalter, in: https://www.uni-salzburg.at/fileadmin/oracle_file_imports/544381.PDF, Zugriff vom 30.09.2019, S. 2.

17 Vgl. Jaspert, Reconquista, S. 18f.

18 Vgl. Bronisch, Heiliger Krieg, S. 256.

19 Vgl. Jaspert, Reconquista, S. 18f.

20 Vgl. Ebd., S. 19.

21 Ebd., S. 20.

22 Vgl. Ebd., S. 23.

23 Vgl. Ebd., S. 23f.

24 Vgl. Ebd., S. 23.

25 Vgl. Ebd., S. 27.

26 Vgl. Ebd., S. 28.

27 Vgl. Ebd., S. 46.

28 Vgl. Altmann, Zeit des Umbruchs, S. 8.

29 Vgl. Jaspert, Reconquista, S. 46.

30 Vgl. Altmann, Zeit des Umbruchs, S. 8.

31 Vgl. Jaspert, Reconquista, S. 48.

32 Vgl. Ebd., S. 47.

33 Vgl. Ebd., S. 50.

34 Vgl. Altmann, Zeit des Umbruchs, S. 8.

35 Vgl. Jaspert, Reconquista, S. 51.

36 Vgl. Altmann, Zeit des Umbruchs, S. 9.

37 Vgl. Jaspert, Reconquista, S. 52.

38 Vgl. Altmann, Zeit des Umbruchs, S. 9.

39 Vgl. Jaspert, Reconquista, S. 54.

40 Werner, D., Mezquita in Córdoba, in: https://www.andalusien360.de/urlaub-reisen/sehenswuerdigkeiten/mezquita-in-Córdoba.

41 Vgl. Jaspert, Reconquista, S. 56f.

42 Ebd., S. 57.

43 Vgl. Ebd. S. 62.

44 Vgl. Altmann, Zeit des Umbruchs, S. 10.

45 Vgl. Jaspert, Reconquista, S. 63.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Die Reconquista. Ursachen und Gründe der Auseinandersetzung zwischen Muslimen und Christen auf der Iberischen Halbinsel
Veranstaltung
Geschichte
Note
14
Jahr
2020
Seiten
26
Katalognummer
V918408
ISBN (eBook)
9783346234483
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Iberische Halbinsel, Muslime, Rückeroberung, Spanien, Portugal, reconquista, christen, ursachen, Almohaden, Almoraviden, Religionskrieg, Herrschaft
Arbeit zitieren
Anonym, 2020, Die Reconquista. Ursachen und Gründe der Auseinandersetzung zwischen Muslimen und Christen auf der Iberischen Halbinsel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/918408

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