Am 12. Oktober 2006 schrieb Ludger Lütkehaus in der ZEIT, Hannah Arendt nähme in ihrer Moralphilosophie „zu jenen epochalen Gestalten der Philosophie-geschichte Zuflucht, von denen sie sich am ehesten Auskunft über die Verbind-lichkeit eines nichtbösen Handelns erhofft: zu Sokrates und zu Kant, dazu überra-schend häufig zu Nietzsche [...]“.
Eine Überraschung, die vermutlich stellvertretend für die deutsche Arendtfor-schung stehen kann, denn tatsächlich existieren kaum deutschsprachige Untersu-chungen zur eigentlich offensichtlichen Nietzscherezeption Hanna Arendts. So konnte Professor Lütkehaus auf meine Nachfrage hin lediglich auf die „Vorlesung über das Böse“ verweisen. Sekundärliteratur zu diesem Thema sei ihm gänzlich unbekannt.
Immerhin haben sich einige Amerikaner – zumeist in Form schwer zugänglicher Dissertationen – der Gemeinsamkeiten von Nietzsches politischen Ansätzen und Arendts Philosophie angenommen. Gänzlich brach liegt dieses Feld also nicht, doch ist es noch so unbestellt, daß weitere und umfangreichere Untersuchungen, als es der Rahmen dieser Arbeit gestattet, durchaus fruchtbar sein dürften.
Daß sich eine genauere Betrachtung dieses Themas lohnt, beweist allein schon ein Blick in den Index der Bücher Arendts. In der bereist erwähnten „Vorlesung über das Böse“ wird außer Sokrates kein Name so häufig erwähnt wie der Nietzsches. Auch in ihrem zweibändigen Werk „Vom Leben des Geistes“, vor allem im zweiten Band über „Das Wollen“, gehört Nietzsche zu den meistzitierten Philoso-phen.
Es gilt zu klären, warum Arendt, die sich immer wieder die Frage stellte, wie das Böse in Form der Shoa, etwas „das niemals hätte geschehen dürfen“ , zu erklären sei, ausgerechnet beim wohl radikalsten Kritiker der traditionellen Moral Ant-worten suchte – und auch fand. Mehr noch, Nietzsches Kritik bot ihr nicht nur eine Grundlage für die Analyse, sondern auch Anregungen für ihren Versuch, ein neues Fundament für moralisches Handeln zu finden. Davon ausgehend nahm die Philosophie Nietzsches Einfluß auf die politische Theorie Hannah Arendts.
Ziel dieser Arbeit kann es nicht sein, das Versäumnis der deutschen Arendtfor-schung auf einen Schlag nachzuholen. Sie kann lediglich ein Schlaglicht werfen auf einen kaum beachteten Aspekt der Philosophie der bedeutendsten Philosophin des 20. Jahrhunderts. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Pluralität und Wahrheit
- Versprechen und Vergeben als Grundlage einer neuen Moral
- Schlussbemerkung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die Rezeption der Philosophie Friedrich Nietzsches bei Hannah Arendt. Ziel ist es, aufzuzeigen, wie Nietzsches Ideen Arendts politisches Denken beeinflusst haben und ihr dabei halfen, ein neues Fundament für moralisches Handeln zu finden.
- Die Frage nach der Gültigkeit ewiger Wahrheiten
- Die Kritik an der traditionellen Moral
- Die Bedeutung des Versprechens und Vergebens
- Die Rolle des Individuums in der Gesellschaft
- Die Beziehung zwischen Politik und Philosophie
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Der Text beginnt mit der Feststellung, dass die Rezeption Nietzsches bei Arendt in der deutschen Forschung bisher wenig beachtet wurde. Der Autor argumentiert, dass eine genauere Betrachtung dieses Themas notwendig ist, da Nietzsche in Arendts Werk oft zitiert wird.
Pluralität und Wahrheit
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit Nietzsches Kritik an der Vorstellung von einheitlichen Subjekten und ewigen Wahrheiten. Arendt kritisiert Nietzsches Konzentration auf den Einzelnen und dessen Abwendung von der Politik. Sie argumentiert, dass Nietzsches Übermensch-Konzept der Ideenlehre Platons ähnelt, die ebenfalls nach Wahrheit außerhalb des Weltlichen strebt.
Versprechen und Vergeben als Grundlage einer neuen Moral
In diesem Kapitel wird Arendts Idee einer Moralphilosophie vorgestellt, die nicht auf externen Wertvorstellungen beruht, sondern auf Werten, die der Mensch aus sich selbst heraus begründen kann. Der Autor argumentiert, dass Arendts Konzepte des Versprechens und Vergebens, die in ihrem Werk „Vita Activa“ von großer Bedeutung sind, aus einer intensiven Auseinandersetzung mit Nietzsches Ausführungen zu einer neuen Moral entstanden sind.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den zentralen Themen der Philosophie Friedrich Nietzsches, wie der Kritik an der traditionellen Moral, der Frage nach der Gültigkeit ewiger Wahrheiten, dem Konzept des Übermenschen und der Rolle des Individuums in der Gesellschaft. Sie analysiert die Rezeption dieser Ideen bei Hannah Arendt, insbesondere im Kontext ihrer politischen Theorie und ihrer Moralphilosophie. Schlüsselfiguren der Arbeit sind Friedrich Nietzsche und Hannah Arendt. Zu den wichtigen Begriffen gehören: Übermensch, Versprechen, Vergeben, Vita Activa, Pluralität, Wahrheit und politische Philosophie.
- Arbeit zitieren
- Johannes Kaufmann (Autor:in), 2007, Rezeption und Kritik der Philosophie Friedrich Nietzsches bei Hannah Arendt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91962