Der Konflikt zwischen Hof und Natur in "Vita Merlini" von Geoffrey von Monmouth und "Lanzelet" von Ulrich von Zatzikhoven

Die Rolle der Zauberer Merlin und Malduc


Hausarbeit, 2019

27 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Die Erzählwelten
1.1 Die höfische Welt
1.2 Die Welt der Natur – friedlich und bedrohlich

2. Die Zauberer Merlin und Malduc inmitten des Konflikts der Welten
2.1 Die Bedeutung der Grenzüberschreitung der Zauberer – der Anfangspunkt des Konflikts
2.2 Machtstrukturen und Abhängigkeitsverhältnisse – Verlauf des Konflikts beider Welten
2.3 Die Zauberrituale der Zauberer

3. Ausgang des Konflikts beider Welten am Beispiel der Zauberer
3.1 Merlins Entwicklung zum Bindeglied zwischen Hof und Natur
3.2 Malducs Untergang

4. Fazit: Die magischen Welten und die Zauberer

Literaturverzeichnis

Primärliteratur

Sekundärliteratur

Einleitung

Geoffreys von Monmouth Vita Merlini und der höfische Roman Lanzelet von Ulrich von Zatzikhoven sind reich an magischen Lebewesen und mystischen Orten. Die Vita Merlini von 1149/50, die nur mit einer vollständigen Handschrift überliefert wurde, zeigt den älteren Merlin nach seiner Tätigkeit am Hof in der Natur.1 Er ist im Unterschied zu seiner hinter- gründigen Rolle in der Historia Regnum Britanniae in den Vordergrund einer Geschichte gerückt und hat in der Vita Merlini deutlich mehr Charakterzüge. Ferner ist die Vita dem keltischen Sagenkreis zuzuordnen und sie wurde in Latein verfasst.2 Der höfische Roman Lanzelet wurde in fünf Handschriften und in drei Fragmenten überliefert und ist um 1200 entstanden. Der Erzählstoff des Lanzelet basiert auf das welche bouch, das dem anglonor- mannischen Raum zugehörig gewesen sei. Zudem ist der Lanzelet in seiner Gattung des hö- fischen Romans hervorzuheben, da er nicht mehr die Themen der höfischen Romane Chréti- ens de Troyes behandelt, sondern viele wundersame Ereignisse beinhaltet. Deshalb kann zurecht behauptet werden, dass Zatzikhoven ein neues Modell des Artusromans geschaffen habe.3

Die Zauberer Merlin und Malduc, die in der Vita Merlini und im Lanzelet auftreten, er- füllen eine wichtige Rolle in den unterschiedlichen Handlungsverläufen. Obwohl beide in der Natur sesshaft geworden sind, werden sie vom Hof aufgesucht. Sie werden beispiels- weise dazu aufgefordert, ihre neue Heimat in der Natur zu verlassen oder dem Hof mit ihren magischen Fähigkeiten zu dienen. Hierbei zeigen sich die beiden Orte bzw. die Welten, die in der Literatur des Mittelalters öfters gegenübergestellt werden: nämlich die Natur und der Hof. ARMIN SCHULZ bestätigt in seinem Aufsatz die Existenz beider Welten in der Literatur des Mittelalters und charakterisiert das Verhältnis zwischen dem Hof und der Natur folgen- dermaßen:

Die volkssprachigen Romane und Heldenepen des Mittelalters präsentieren Figurationen des Höfi- schen und des Nicht-Höfischen in einem spannungsvollen Nebeneinander, auffällig zum einen in einer explizit benannten Gegensätzlichkeit, zum anderen in einer axiologisch merkwürdig unbestimmten Synthese. Im Artusroman erscheint das Verhältnis zwischen dem Höfischen und dem Außerhöfischen komplementär bestimmt. Gemeinhin ist hier die Welt zunächst binär strukturiert, es gibt einen höfi- schen und einen außerhöfischen Weltausschnitt.4

In der Vita Merlini und im Lanzelet ist ebenfalls das Leitmotiv erkennbar, dass die Natur und der Hof insbesondere zum Zeitpunkt des Auftretens beider Zauberer in Abgrenzung und sogar im Konflikt zueinanderstehen. Jedoch sind die Gegensätzlichkeit und Konfliktsitua- tion des Hofes und der Natur im Lanzelet und in der Vita Merlini in der Forschung bislang kaum ein Untersuchungsgegenstand gewesen. Deshalb liegt das Erkenntnis- und For- schungsinteresse dieser Arbeit in der Analyse des Konflikts beider Welten zum Zeitpunkt des Auftretens der beiden Zauberer. Dazu werden der gesamte Inhalt der Vita Merlini und die Verse 6975 bis 7644 des Lanzelet in den Mittelpunkt der Analyse gerückt. Dazu orientiert sich diese Arbeit an den Übersetzungen der Quellen von INGE VIELHAUER5 und von FLORIAN KAGL.6

Die Arbeit soll folgende Fragestellung beantworten: Wie lassen sich die höfische Welt und die Welt der Natur charakterisieren, inwiefern stehen die Welten im Konflikt zueinander und welchen Ausgang nimmt dieser Konflikt? Welche Rolle füllen die Zauberer während dieses Konflikts aus? Die dazugehörige These und Beantwortung dieser Fragestellung lautet, dass die Welt der Natur und der Hof sich in den Werken grundsätzlich in einem Konkur- renzkampf um Einfluss auf die Zauberer gegenüberstehen, obwohl sie auch in wenigen Si- tuationen miteinander verschmelzen können. Der Kampf um den Einfluss auf die Magier ist daran zu erkennen, dass Merlin in der Vita Merlini während seiner inneren Zerrissenheit auf jeweils eine der beiden Seiten gezogen werden soll. Im Lanzelet wird der Konflikt vor allem im äußerlichen Kontrast beider Welten, in der Ohnmachtssituation des Hofes und in der Be- einflussung von Malducs Tochter sichtbar. Des Weiteren ist zu konstatieren, dass auch die Magie der Zauberer von beiden Welten teilweise abhängig ist, da Merlin als Seher seine Prophezeiungen aus Naturereignissen bezieht, während Malduc aus Zauberbüchern als Be- standteil der höfischen Kultur seine Magie gewinnt. Zuletzt ist festzustellen, dass in der Vita Merlini die Natur den Kampf gegen den Hof gewinnt, da Merlin trotz der Heilung seines Wahnsinns im Wald verbleibt und er andere höfische Persönlichkeiten dazu bewegt, im Wald zu leben. Im Lanzelet gewinnt der Hof den Konflikt, da seine höfischen Repräsentan- ten Malducs Tochter dazu überzeugen können, Malduc zu verraten und dem Hof beizutreten. Im ersten Kapitel dieser Arbeit richtet sich der Blick auf die Darstellung auf die Welt des Hofes und auf die Welt der Natur in der Vita Merlini und im Lanzelet. Dabei soll die äußerliche Gegensätzlichkeit und die Wahrnehmung beider Welten von der Erzählinstanz und von den Figuren herausgestellt werden. Die Leitmotive, wie beispielsweise die Rolle der Jahreszeiten in der Natur oder die Gewaltmechanismen des Hofes sollen im zweiten Kapitel in Bezug auf den Konflikt zwischen den beiden Welten interpretiert werden. Vorher soll allerdings die Grenzüberschreitung der Zauberer als Anfangspunkt des Konfliktes ana- lysiert werden. Danach wird die Auseinandersetzung der Welten unter den Schwerpunkten Machtstrukturen und Abhängigkeitsverhältnisse als Hauptmotive des Konfliktverlaufes be- trachtet. Um diesen Konflikt in seiner Gesamtheit darzustellen zu können, muss auch das Verhalten der Figuren in den beiden Welten verdeutlicht werden. Denn die Arbeit vertritt den Standpunkt, dass jede Figur im jeweiligen Werk entweder der Natur oder dem Hof an- gehört und zum Vorteil seiner eigenen Welt handelt. Wenn diese Arbeit beispielsweise von den Handlungen oder von den Vorstellungen des Hofes spricht, ist damit meistens das Ver- halten der höfischen Figuren gemeint. Aber auch die Welten können als Akteure betrachtet werden, da z. B. die Natur mit den Jahreszeiten ihre Einfluss- und Handlungsfähigkeit aus- strahlt. Dadurch entstehen Situationen, in denen sich die Figuren machtlos gegenüber ihrer bewohnten Welt verhalten können. Dies ist beispielsweise im zweiten Kapitel zu erkennen. Dort soll herausgestellt werden, dass die Verwendung der Magie der Zauberer teilweise von einer Welt abhängig ist. Abschließend soll dargestellt werden, welche Welt den jeweiligen Konflikt gewinnt. Abschließend erfolgt ein Fazit. Als Methodiken wendet diese Arbeit die Textanalyse sowie den Textvergleich an.

1. Die Erzählwelten

Die Welten sind in den folgenden Primärtexten unterschiedlich dargestellt und deren In- terpretation ist von der Wahrnehmung der Erzählinstanz und von der Perzeption der Figu- ren abhängig. Wie unterscheiden sich denn die Welten äußerlich in beiden Werken7 vonei- nander?

1.1 Die höfische Welt

In der mediävistischen Forschung herrscht Einigkeit darüber, dass sich der Hofstaat durch die Reiseherrschaft der Könige und der sich daraus resultierenden Residenzbildung weitere Territorien erschließen konnte und seinen Einfluss in bislang fremde Gebiete verbreiten konnte. Das Programmwort höfisch stellt das Selbstverständnis der Adels- und Ritterkultur dar, das vor allem darauf abzielt, ritterliche Tugenden, Reichtum und eine edle Gesinnung nach außen zu verkörpern. Ferner soll ein höfischer Verhaltenskodex in der mittelalterlichen Gesellschaft eingehalten werden, der z. B. feines Benehmen in der adeligen Gesellschaft verlangt. 8 Handeln die Höfe in der Vita Merlini und im Lanzelet nach diesen Prinzipien? In der Vita Merlini ist die Sicht auf die höfische Welt stark von Merlins Wahrnehmung abhängig. Mithilfe seiner Schilderungen ist es möglich, dieser Welt prägnante Eigenschaften zuzuschreiben. Allerdings werden auch Fremdwahrnehmungen zum Ausdruck gebracht. Der Fokus des Primärtextes richtet sich auf den Hof des Königs Rhydderch. Dieser Königshof soll die mittelalterliche Gesellschaft außerhalb der Natur abbilden. Der Hof besteht struktu- rell aus einer Stadt und einer Burg. Nach außen wird das höfische System der Vita Merlini mit heiterer Stimmung vermittelt. Zudem wird die Wichtigkeit von Wohlstand und Konsum mit Edelsteinen oder Gold verdeutlicht, wie sich z. B. an Rhydderchs Geschenken an Merlin belegen lässt.9 Jedoch ist zu erkennen, dass dieser Königshof gegen sein eigenes Selbstver- ständnis verstößt und letztendlich nur eine äußere Fassade zu erkennen ist. Denn ein Hand- lungsaspekt der Vita Merlini ist die Darstellung von gewaltsamen Kriegen in der mittelalter- lichen Hofkultur, die Merlin zur Flucht zwingen.10 Diese Kriege fordern viele Todesopfer und stehen mit negativ konnotierten Emotionen, wie z.B. Hass in Verbindung. Diese Grau- samkeit wird dem Leser direkt am Anfang der Vita vor Augen geführt und wird durch Mer- lins und Taliesins Diskurs über die Zukunft des walisischen Raums vertieft (Vgl. VM, S. 43ff.). Diese Aussagen stehen Königin Ganiedas Worten nach dem Tod des Königs Rhyd- derchs gegenüber. Dieser sei ihren Worten zufolge freigiebig gewesen. Er habe den Frieden geliebt und er habe keine Kriege geführt, sondern die Gewalt eingedämmt (Vgl. VM, S. 62- 63).

Dank Merlins Prophezeiungen und seiner Rolle als Oppositioneller können ebenfalls ei- nige Missstände innerhalb des Hofes aufgedeckt werden: Die Gattin des Königs begeht Ehe- bruch und die Fürsten wollen trotz ihres Reichtums gierig weiteren materiellen Konsum er- langen. Die Kritiker des Systems werden zudem am Beispiel von Merlin mit schweren Ket- ten vom Rückzug abgehalten. Der Hof agiert deshalb rigoros und herrschsüchtig, wenn ein Abtrünniger sich nicht der höfischen Herrschaft unterjochen will. Besonders auffällig ist allerdings die curiositas des Hofes, die nach dem Lachen von Merlin deutlich wird (Vgl. VM, S. 48). Auf diesen Charakterzug soll später nochmals eingegangen werden. Die Kritik am höfischen Umfeld lässt sich in der neueren Forschung bestätigen. In der Oberschicht sei die öffentliche Darstellung von Reichtum und Macht zwanghaft gewesen und sei durch de- monstrativen Müßiggang und dem unendlichen Verlangen nach Konsum erfolgt – die Ober- schicht habe ein deutliches Prestigebedürfnis besessen, das nach außen dargestellt worden sei.11

Insgesamt ist aus diesen Schilderungen aber nicht abzuleiten, dass die höfische Welt einen Konflikt mit der Natur führt. Die Auseinandersetzung beider Welten ist viel eher an Merlins innerer Zerrissenheit zu deuten, wie im weiteren Verlauf der Arbeit deutlich wird. Bisher ist viel eher zu beobachten, dass der Hof gegen einige Ideale, wie beispielsweise Treue, ver- stößt. Deshalb kann ein kritisches und negatives Bild über die höfische Welt gezeichnet wer- den.

Obwohl der höfische Roman Lanzelet in der Aventiure mit Malduc nur wenige Beschrei- bungen der höfischen Welt aufweist, wird zumindest die Gewaltbereitschaft des Hofes the- matisiert. Denn die Artusritter Erec und Walwein ermordeten den Vater und Bruder des Zau- berers Malduc und vertrieben den Magier anschließend (Vgl. LZ, V. 7006-7010). Deshalb ist es möglich, dass der Hof magische Kräfte innerhalb des höfischen Territoriums nicht duldet. In Not- und Krisenzeiten ist der Hof allerdings auf magische Hilfe angewiesen, wie in dieser Aventiure dargestellt wird. Trotzdem ist deutlich weniger Kritik gegenüber dem Hof in dieser Aventiure zu erkennen, sondern es rücken viel eher höfische Verdienste in den Mittelpunkt, wie beispielsweise die Rettung von Artus‘ Gattin Genover (Vgl. LZ, V. 6994ff.). Der Grund für die überwiegend positive Darstellung des Artushofes ist nämlich insbesondere auf die Gattung der höfischen Epik zurückzuführen, der der Lanzelet angehört. Denn in der höfischen Epik soll das höfische Gesellschafts- und Herrschaftssystem gestützt werden, indem Identifikation gestiftet werden soll und sich der Artushof von anderen nicht- höfischen Ständen abhebe. Des Weiteren soll ein Bezugsrahmen für die imperiale Herr- schaftsausübung in der Wirklichkeit geschaffen werden.12 Darum wird der Hof in der mit- telalterlichen Literatur überwiegend verherrlicht. Im Lanzelet wird die Strahlkraft und die allgegenwärtige Präsenz des Hofes daran belegt, dass der Hof durch einige Sagen sogar im Gedächtnis von Malducs Tochter verankert ist, die mit ihrem Vater weit entfernt vom Hof lebt: „Dar nâch bekante diu maget, als ir dâ vor was gesaget des küniges antlütze“ (LZ, V. 7195-7197).

1.2 Die Welt der Natur – friedlich und bedrohlich

In der Vita Merlini stellen die Wälder Caledoniens die Welt der Natur dar. Die Naturwelt ist hierbei reich an Bäumen, Hainen, Bergen, Pflanzen und Tieren, wobei sich der Blick deutlich auf den Wald und dessen Bewohnern richtet. Merlin und einige Tiere, wie beispiels- weise Vögel, Wölfe und Hirsche, bevölkern den Wald. Dabei ist als wichtiges Handlungs- motiv der Wechsel der Jahreszeiten zu benennen, der Merlins Überlebensfähigkeit ein- schränkt (Vgl. VM, S. 44ff.). Die weiteren Bedeutungen des Winters sollen später in dieser Arbeit erläutert werden. Ferner wird die Natur in der Vita Merlini mit Magie in Verbindung gebracht. Denn die Natur ermöglicht einen Blick zu den Sternen als Voraussetzung für ma- gische Tätigkeiten oder sie erlaubt, dass in den Wäldern magische Wasserquellen entstehen (Vgl. VM, S. 76). Folglich scheint die Welt der Natur in der Vita Merlini keineswegs negativ konnotiert zu sein und existiert auf dem ersten Blick lediglich als friedliche Parallelwelt zur höfischen Welt. Auch die Tiere füllen eine wichtige Rolle in der Natur aus. Dabei fällt vor allem das Auftreten des Hirsches auf, der Merlin kurzzeitig an den Hof zurückbringt (Vgl. VM, S. 55). Die Forschung stellt fest, dass der Hirsch die Rolle eines wichtigen Funktions- und Bedeutungsträgers einnehme.13 Dieser Befund lässt sich in der Vita Merlini verifizieren. Merlin begeht mithilfe seines Hirsches den Mord an den neuen Gemahl seiner früheren Frau Guendoloena. Dadurch tritt auch die Natur in der Vita militant und dominant auf, indem sie Mordanschläge zulässt oder sogar Merlins Überleben durch die Kälte des Winters erschwert. Im Lanzelet wird von der Welt der Natur ein düsteres und finsteres Bild zum Ausdruck gebracht. Die Natur wird hierbei von dem Wald nahe Karadigans abgebildet, der sich in mehrere Bereiche unterteilen lässt: In das „Schrîende Moose“ (LZ, V. 7041) und in Malducs Aufenthaltsort, dem „Genibelten Sê“ ( LZ, V. 9661). Diese Orte werden von der Forschung als „gefährliche Zauberlandschaft“14 charakterisiert. Das bedeutet, dass die Naturästhetik des Lanzelet wie in der Vita Merlini mit Magie in Verbindung steht. Aus der Textgrundlage ist abzuleiten, dass das Moor für Pferde nicht zu überwinden sei und das Moor so laut schreien soll, dass Tiere davon sterben können. Der Fluss soll ebenfalls so heiß sein, dass er

2. Die Zauberer Merlin und Malduc inmitten des Konflikts der Welten

Aus den Beschreibungen der Erzählinstanzen in den Quellen ist bislang nur eine Abgren- zung, aber kein Konflikt zwischen den Welten abzuleiten. Mithilfe der Analyse der Grenz- überschreitung der Zauberer, der Machtstrukturen und der Anwendung der Zauberkräfte der Zauberer lässt sich deutlicher zeigen, dass ein Wettstreit um den Einfluss auf die Zauberer zwischen den beiden Welten tobt und dass die Welten sogar gegen die Zauberer kämpfen. Außerdem sind Abhängigkeitsverhältnisse zu beobachten, die die Machtlosigkeit der Figu- ren unterstreichen.15 16

2.1 Die Bedeutung der Grenzüberschreitung der Zauberer – der Anfangspunkt des Konflikts

Bereits am Anfang der Erzählepen kann gezeigt werden, wie sich die Welten gegenüber den Zauberern verhalten. In beiden Erzähltexten werden die Zauberer gezwungen, sich von der höfischen Welt abzuwenden. Merlin ist über die Gewalt- und Kriegszustände in der hö- fischen Welt konsterniert. Er sieht sich dazu genötigt, in die Wälder zu flüchten. Ein Teil der Forschung bezieht sich bei Merlins Grenzüberschreitung von dem Hof in die Natur auf gender -Aspekte. Merlins Versuch, sich von der höfischen Welt abzuwenden, stehe im Zu- sammenhang zu seiner Einstellung gegenüber den männlichen Tugenden seiner Zeit. Er habe im Gegensatz zum propagierten Männerideal und zu seinen Rollenforderungen als Mann gestanden.17 Es ist zudem denkbar, dass Merlin im Verlauf der Handlung Angst vor Rhyd- derch entwickelt habe. Allerdings werde diese Furcht in der Vita Merlini nicht thematisiert.18 Malduc hingegen wurde faktisch von der höfischen Gesellschaft ausgeschlossen, indem zu- nächst sein Bruder und sein Vater ermordet und der Magier selbst vertrieben wurde. Er floh wie Merlin in ein Waldgebiet. Beide Zauberer überschreiten damit eine geographi- sche Grenze innerhalb ihres Lebensraums in der Literatur des Mittelalters. Ein häufiger Grund für die Flucht aus der höfischen Gesellschaft ist der Wunsch der Protagonisten nach Fremdheit und Heiligkeit, wie z. B. auch im höfischen Roman Iwein:

Erst der Status der Fremdheit ermögliche, die Qualitäten der Heiligkeit vollends zu verwirklichen, Verborgen- heit firmiere als Bedingung für Heiligkeit.19

Das Ziel nach Fremdheit ist in beiden Werken durchaus denkbar, da beide Zauberer ein neues Leben beginnen wollen. Darum ist es auch verständlich, warum die Magier in den Wald flüchten. Der Wald sei nämlich als eine soziale oder als eine moralische Utopie zu verstehen, da er dessen Bewohner aus den politischen und gesellschaftlichen Missständen der Welt isoliere.20 Merlin kommt nicht mehr mit der Gewaltbereitschaft und mit den Tugenden der höfischen Sphäre in Berührung, während Malduc nicht mehr vom Artushof verfolgt wird.

Das Streben nach Fremdheit ist jedoch aus der Sicht des Hofes nicht nachvollziehbar. Die Grenzüberschreitung sei nämlich im Mittelalter aus der Sicht des Hofes als Störung oder als Sündenfall zu verstehen. Dem Hof zufolge müssten nämlich zwingend der Mensch als Teil der Kultur und das Tier als Teil der Natur auf zwei Ordnungen verteilt sein. Folglich ver- lange der Hof eine eindeutige Grenzziehung. Mit anderen Worten solle also der Mensch sich von der Natur distanzieren. Im Mittelalter gelte nämlich nicht der evolutionsgeschichtliche Übergang, der beide Seiten versöhnen soll. Allerdings gebe es auch den ‚Mythos des Wilden Mannes‘. Diese Figur wird als Grenzfigur betrachtet. Aber er sei kein Bindeglied von Natur und Kultur, sondern eine Figur, die am Rand der Welt oder der Gesellschaft lebe und dort seine Position hartnäckig verteidige.21 In der Tat lässt sich Merlin als solches Individuum charakterisieren, da er schon am Anfang der Vita als silvester homo bzw. als Waldmensch charakterisiert wird (Vgl. VM, S. 44). Im Lanzelet wird Malduc nicht als Waldmensch be- zeichnet. Aber auch er isoliert sich von der höfischen Sphäre. Deshalb kann er als Vertreter oder Repräsentant der Natur gelten, da er sich schon viele Jahre im Waldgebiet häuslich niedergelassen hat und wegen seiner Vertreibung einen Hass gegen die Artusritter entwickelt hat.

Die bisherigen Befunde verdeutlichen, dass das Denken im Mittelalter im Umgang zwi- schen beiden Welten nicht auf Versöhnung, sondern auf Konfrontation ausgerichtet ist. Die These dieser Arbeit, dass beide Welten im Konflikt zueinanderstehen, lässt sich an folgenden Forschungserkenntnissen belegen: Der Wald bestehe aus Machtbezirken, die der Hof nur schwer unterwerfen könne. Der Wald sei ebenso aus der Sicht des Hofes ein Sammelpunkt sozial Geächteter und das Besiedlungsgebiet mythischer oder imaginärer Gestalten. Der Wald soll deshalb von den Artusrittern gebannt werden. Die höfischen Kategorien, wie z.B. mâze oder zuht, hätten im Wald keine Bedeutung. Äußerlich würden sich die Welten wegen der chaotischen Zustände in der Natur und wegen des architektonischen Burgenbaus des Hofes zu sehr voneinander unterscheiden.22 Erstens stellt diese Einschätzung die Gegensätz- lichkeit beider Welten dar, wobei eindeutig die Ablehnung des Hofes gegenüber der Natur als Lebensraum zur Geltung gebracht wird. Zweitens ist ebenfalls zu erkennen, dass der Hof versucht, Einfluss in der Natur zu erlangen, wenn er Ritter entsendet. Ein Ziel des Hofes ist es also, seine Herrschaft zu vergrößern und Kontrolle auszuüben, wie auch am Anfang des ersten Kapitels angesprochen wurde. Aus diesem Grund müssen die Zauberer als neue An- gehörige der Natur in den höfischen Bezirk integriert werden. Dafür sind auch zwei Gründe vorstellbar: Zum einen kann sich die höfische Umgebung durch die Aufnahme der Zauberer davor schützen, ein militärisches Ziel für die machtvollen Zauberer zu sein, die nun im Dienst der Natur handeln. Zum anderen kann der Hof mit der Eingliederung der Zauberer selbst auf ihre wundersamen Künste zurückgreifen. Ab dem Augenblick, in welchem beide Zauberer sich jenseits der höfischen Peripherie befinden, versucht der Hof seine hohe Stel- lung zu verteidigen und auf die Zauberer als Machtinstrument zurückzugreifen. Des Weite- ren kann der Hof es nicht zulassen, dass einstige Angehörige der höfischen Gesellschaft sich der Natur äußerlich anpassen und damit nicht mehr für den Hof greifbar sind. Die Natur versucht währenddessen Merlin in ihrem Gebiet festzuhalten und im Lanzelet den höfischen Einfluss zurückzudrängen. Aufgrund dieses Interessenkonflikts sind die Weichen für den Konflikt beider Welten um die Aufmerksamkeit und um den Schutz der Zauberer gestellt.

[...]


1 Vgl. Bea Lundt: Melusine und Merlin im Mittelalter. Entwürfe und Modelle weiblicher Existenz im Bezie- hungs-Diskurs der Geschlechter. Ein Beitrag zur Historischen Erzählforschung. München 1991. S. 219.

2 Vgl. Armin Matthias Kaar: Merlin in der mittelalterlichen walisischen Überlieferung. Wien 2015. S. 26.

3 Vgl. Kurt Ruh : Höfische Epik des Mittelalters. Zweiter Teil: ,Reinhart Fuchs‘, ,Lanzelet‘, Wolfram von Eschenbach und Gottfried von Straßburg. Berlin 1980. S. 34-36.

4 Armin Schulz: „Der neue Held und die toten Väter. Zum Umgang mit mythischen Residuen in Ulrichs von Zatzikhoven ›Lanzelet‹.“ In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 129 (2008). S. 419-437, hier S. 419-420.

5 Geoffrey von Monmouth: Das Leben des Zauberers Merlin. Vita Merlini. Hg. v. Inge Vielhauer. Amster- dam 1991.

6 Ulrich von Zatzikhoven: Lanzelet. Text – Übersetzung – Kommentar. Studienausgabe. 2., revidierte Auf- lage. Hg. v. Florian Kagl. Berlin/Boston 2013.

7 Im Folgenden werden gemäß der Germanistik-Broschüre direkte und indirekte Zitate der Vita Merlini und des Lanzelet im Fließtext dieser Hausarbeit durch spezifische Belege hinter dem Zitierten in Klammern dar- gestellt. Um zu verdeutlichen, zu welchem Primärtext die jeweilige Belegstelle gehört, werden vor der jewei- ligen Seiten- oder Versangabe Siglen bzw. Abkürzungen verwendet. Für die Vita Merlini verwendet diese Arbeit die Abkürzung ,VM‘ und für den Lanzelet verwendet die Arbeit die Abkürzung ,LT‘.

8 Vgl. Joachim Bunke: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. 12. Aufl. München 2008. S. 75ff.

9 Vgl. ebd., S. 48-49.

10 Vgl. ebd., S. 43-44.

11 Vgl. Werner Rösener: Leben am Hof. Königs- und Fürstenhöfe im Mittelalter. Ostfildern 2008. S. 12.

12 Vgl. Johannes Janota u.a: Deutsche Literaturgeschichte. Vom Mittelalter bis zum Barock. Düsseldorf 1980. S. 29.

13 Vgl. Leonie Franz: „Im Anfang war das Tier. Zur Funktion und Bedeutung des Hirsches in mittelalterli- chen Gründungslegenden.“ In: Sabine Obermaier (Hg.): Tiere und Fabelwesen im Mittelalter. Berlin 2009. S. 261-281, hier S. 280.

14 Elisabeth Hesse: „Zauber und Zauberer im Lanzelet Ulrichs von Zatzikhoven“. In: Zauberer und Hexen in der Kultur des Mittelalters: San Molo, 5.-9. Juni 1992 33 (1994). S. 95-113, hier S. 109. für Tiere tödlich sei (Vgl. LZ, V. 7044ff.). Aus diesem Grund lässt sich feststellen, dass die Welt der Natur die Figuren der höfischen Welt davon abhält, überhaupt die Natur zu betre- ten, während in der Vita Merlini die Figuren ohne Probleme in die Wälder gelangen können. Außerdem stellt das Umfeld der Natur eine Bedrohung für die Menschen und Tiere – mit Ausnahme von Malduc und Dodines – dar. Der See um Malducs Festung ist groß, tief und er hat eine schnelle Strömung (Vgl. LZ, V. 7141ff.). Ein Befund ist also, dass die Natur im Lanzelet sich viel deutlicher äußerlich vom Hof abgrenzt. Hierbei sind die Bewohner des Waldes deutlich mehr dem Zwang unterworfen, sich an das neue Lebensumfeld anzupassen. Ebenso ist auffällig, dass die Figuren des Hofes mehrere Tage zum Durchschreiten des Wal- des benötigen und sogar vom Weg abkommen (Vgl. LZ, V. 7035ff.). Dies weist auf die Orientierungslosigkeit der Figuren und auf die Undurchdringlichkeit des Waldes hin. Die Darstellung des Wassers spielt in beiden Primärtexten eine große Rolle. Während das Wasser der magischen Quellen in der Vita Merlini ausschließlich mit Heilung oder innerer Reinigung verbunden wird, bleibt das Wasser im Lanzelet durch seine schädigende Wirkung oder aufgrund der unkontrollierbaren Strömungen durchweg negativ konnotiert. In der For- schungsliteratur wird die Wassermetaphorik des Mittelalters im religiösen Kontext oder li- teraturgeschichtlich mit Entsühnung, Verlebendigung und mit der inneren und äußeren Rei- nigung assoziiert.15 Der Lanzelet steht damit konträr zur allgemeinen, teils religiösen Auf- fassung über das Wasser. Damit unterstreicht der höfische Roman das negative Bild der Natur aus der Sicht des Hofes. Außerdem fungiert das Wasser als Schwelle, wie es ROBERT PEINKE beispielsweise im Gregorius Hartmanns von Aue beschreibt: Das Wasser trenne die höfische Welt und die geistig konnotierte Welt und sei damit ein Element trans- zendenter Einflussnahme.16 Das Wasser hat im Lanzelet tatsächlich den Einfluss, für Artus und seine Ritter ein Hindernis darzustellen und verdeutlicht die Macht- und Mutlosigkeit der Ritter, da diese nur schwer aufgrund der Strömung zu Malduc gelangen können (Vgl. LZ, V. 7140ff.).

15 Vgl. Hanns Peter Neuheuser: „Das Wasser als Naturelement und Zeichen in der mittelalterlichen Lithur- gie.“ In: Gerlinde Huber-Rebenich u.a (Hg .): Wasser in der mittelalterlichen Kultur / Water in Medieval Cul- ture. Gebrauch – Wahrnehmung – Symbolik / Uses, Perceptions, and Symbolism. Berlin/Boston 2017. S. 333-344, hier S. 343.

16 Vgl. Robert Steinke: „Providenz und Souveränität. Wasser als Element göttlichen und menschlichen Wir- kens im ‚Gregorius‘ Hartmanns von Aue.“ In: Gerlinde Huber-Rebenich u.a (Hg.): Wasser in der mittelalter- lichen Kultur / Water in Medieval Culture. Gebrauch – Wahrnehmung – Symbolik / Uses, Perceptions, and Symbolism. Berlin/Boston 2017. S. 419-430, hier S. 419-420.

17 Vgl. Lundt: Melusine. S. 223-224.

18 Vgl. Annette Seemann: Merlin – Prophet und Zauberer? Eine komparatistische Studie zum Merlin-Stoff im Mittelalter und im 19. und 20. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der Identitätsproblematik. Frankfurt am Main 1987. S. 51.

19 Bruno Quast: „Das Höfische und das Wilde. Zur Repräsentation kultureller Differenz in Hartmanns Iwein “. In: Beate Kellner u.a. (Hg.): Literarische Kommunikation und soziale Interaktion. Studien zur Institutionali- tät mittelalterlicher Literatur. Frankfurt am Main 2001. S. 111-128, hier S. 112.

20 Vgl. Mireille Schnyder: „Der Wald in der höfischen Literatur: Raum des Mythos und des Erzählens.“ In: Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung 13 (2008). S. 122-135, hier S. 126.

21 Vgl. Udo Friedrich: „Grenzmetaphorik. Zur Interferenz von Natur und Kultur in mittelalterlichen Körper- diskursen.“ In: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 83 (2009). S. 26-52, hier S. 29-30.

22 Vgl. Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 83 (2009). S. 26-52, hier S. 29-30.

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Details

Titel
Der Konflikt zwischen Hof und Natur in "Vita Merlini" von Geoffrey von Monmouth und "Lanzelet" von Ulrich von Zatzikhoven
Untertitel
Die Rolle der Zauberer Merlin und Malduc
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Veranstaltung
Hexen und Zauberer
Note
1,7
Autor
Jahr
2019
Seiten
27
Katalognummer
V919957
ISBN (eBook)
9783346229151
ISBN (Buch)
9783346229168
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Merlin, Natur, Hof, Zauberer, Konflikt, Flucht
Arbeit zitieren
Lauritz Tufan (Autor:in), 2019, Der Konflikt zwischen Hof und Natur in "Vita Merlini" von Geoffrey von Monmouth und "Lanzelet" von Ulrich von Zatzikhoven, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/919957

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