Was ist „Mythos“? Diese Frage beschäftigt Literaturwissenschaftler und Philosophen bereits seit mehreren Jahrhunderten. Es existiert nach Walter Burkert keine anerkannte Definition von Mythos und es kann sie auch nicht geben, da der Begriff im Laufe seiner langen Rezeptionsgeschichte einem permanenten Wandlungsprozess unterliegt.
Nicht nur die Definition von Mythos, sondern auch das mythologische Erzählen selbst blickt auf eine lange Geschichte von Abwandlungen, Neuinterpretationen und Variationen zurück. Doch bleibt nach Blumenbergs Arbeit am Mythos der einzelne Mythos als „erratischer Einschluss“ in noch so heterogenen Kontexten und Traditionszusammenhängen erhalten.
Der Mythos muss also als solcher erkennbar bleiben, um sein wahres Wesen nicht zu verlieren. Nur: was ist sein wahres Wesen? Genügt es, den Namen „Hercules“ zu zitieren, oder eine seiner zwölf Aufgaben zu benennen, um die Erzählung zu einer mythologischen zu machen? Wo tun sich Grenzen im Spannungsfeld zwischen dem ikonischen „erratischen Einschluss“ Mythos und dem Erzählen von ihm im jeweiligen kulturellen und geschichtlichen Kontext auf? Können überhaupt klare Grenzen gezogen werden?
Hier möchte diese Arbeit ansetzen und im Vergleich der Erzählmethoden von Ovid, Shakespeare, Ransmayr und dem Superhelden-Comic formale und inhaltliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei den Mythenbearbeitungen herausstellen, und was sie an die Grenzen mythologischen Erzählens führt.
In der bewussten Auffächerung der Untersuchungsgegenstände auf vier Erzählgattungen (Epos, Drama, Roman, Bild-Text-Hybride) und drei Epochen (Antike, Renaissance, Postmoderne) soll untersucht werden, inwieweit es ein einigendes Prinzip von mythologischem Erzählen geben kann, und wodurch Ovids Metamorphosen, Shakespeares Dramen wie Hamlet und Titus Andronicus, Ransmayrs "Die Letzte Welt" und Superhelden-Comics wie "Spider-Man" und "Hercules" Grenzen mythologischen Erzählens erreichen, inwieweit und wie sie abweichen von der traditionellen mythischen Erzählform Epos als auch von tradierten mythischen Motiven und Themen. Der Grad dieser Abweichung definiert den Grad ihrer "Grenzwertigkeit".
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Ovids Metamorphosen im antiken Kontext
- Poetologische Grundlagen
- Referenzialität der Metamorphosen
- Die Metamorphosen als Sach- und Heldenepos
- Ausgestaltung bekannter Mythen durch innovative epische Mittel
- Distanz der Metamorphosen zu Mythologie
- Ironie mit erzählerischen Mitteln ...
- Glaube an das Erzählen ersetzt den Glauben an den Mythos
- Nicht-mythologische Wertesysteme ersetzen mythischen Kult
- Synthetisierende Wirkung der Poesie
- Moralischer Symbolismus statt kultische Aitiologie
- Vergegenwärtigung des Mythos
- Romanisierung
- Anthropomorphisierung
- Polyperspektivität
- Mythen inszeniert als Dramen
- „Exposition“
- „Steigerung“ im Monolog..
- Metamorphose als Katastrophe
- Poetologische Grundlagen
- Shakespeare und antike Mythen
- Die Metamorphosen als Quelle für Allegorien
- Rhetorik der Allegorie
- „Grandsire, 'tis Ovid's Metamorphoses“
- Glaubhaftigkeit durch Empirie und Mythologie
- Spielwiese zwischen christlich-moralischen und antik-mythischen Bildern
- Entmythisierende theatralische Verwandlungen.....
- Die Transzendenz universalisierender Metamorphosen
- Ransmayrs Die Letzte Welt im Kontext mythologischen Erzählens
- Das „Ovidische Repertoire“: Mythen als postmodernes Spiel
- Mythologische Personal als ent-mythologisierte Romanfiguren …..
- Der Mensch als Opfer natürlicher Allgewalt
- Vom Fehlen einer „Mythologie“ hin zur Transzendenz von Fiktionalität und Faktualität...
- Mythologie im Superhelden-Comic.....
- Der Superhelden-Comic als Sach- und Heldenepos
- Die Herkunft der Superhelden: Origin statt Aitia
- Bürgerliche Aufklärungsideologie und Comic
- Authentizität durch (spielerisch-ironische) Comic-Rationalität
- Spider-Man als mythisierte Ikone der Massenmedien....
- Kollision zwischen Bürgerlichkeit und Mythos ......
- Der Comic-Hercules: Eine Fallstudie
- Mythologische Wucht durch Opulenz von Klischees
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit dem Wandel des mythologischen Erzählens im Laufe der Geschichte. Sie untersucht, wie verschiedene Autoren und Genres, von Ovid bis zum Superhelden-Comic, mit Mythen umgehen und diese für ihre eigenen Zwecke adaptieren. Dabei steht die Frage im Vordergrund, inwieweit und wie diese Adaptionen von der traditionellen mythischen Erzählform des Epos und von traditionellen Mythenmotiven abweichen.
- Die Rezeption und Umdeutung von antiken Mythen in der europäischen Literatur
- Der Einfluss von Ovids Metamorphosen auf die Literaturgeschichte
- Die Grenzen zwischen Mythos und Fiktion
- Die Rolle der Mythen im Kontext der jeweiligen Epochen
- Die Auswirkungen der Medienentwicklung auf die Rezeption und Adaption von Mythen
Zusammenfassung der Kapitel
- Kapitel 1: Einleitung
Die Einleitung führt in das Thema „Grenzfälle mythologischen Erzählens“ ein und beleuchtet die Komplexität der Definition von „Mythos“ sowie die unterschiedlichen Bedeutungen und Funktionen von Mythen in verschiedenen Kulturen und Epochen. Sie stellt die Forschungsfrage der Arbeit dar, die die Erzählmethoden von Ovid, Shakespeare, Ransmayr und dem Superhelden-Comic im Umgang mit Mythen untersucht. - Kapitel 2: Ovids Metamorphosen im antiken Kontext
Dieses Kapitel analysiert Ovids Metamorphosen im Kontext der antiken Literatur. Es befasst sich mit den poetologischen Grundlagen des Werkes, insbesondere mit der Referenzialität der Metamorphosen als Sach- und Heldenepos und der innovativen Verwendung epischer Mittel. Weiterhin untersucht das Kapitel die Distanz der Metamorphosen zu klassischer Mythologie und die Rolle von Ironie, Symbolismus und Vergegenwärtigung in Ovids Erzählweise. - Kapitel 3: Shakespeare und antike Mythen
Hier werden Shakespeares Dramen im Kontext der Rezeption antiker Mythen untersucht. Das Kapitel analysiert, wie Shakespeare Mythen in seinen Dramen verwendet, insbesondere durch die Einbindung von Ovids Metamorphosen und die Darstellung mythischer Verwandlungen im Kontext des Theaters. Besondere Aufmerksamkeit wird auf die Frage gelenkt, wie Shakespeare die Grenzen zwischen Mythos und Realität in seinen Dramen verwischt. - Kapitel 4: Ransmayrs Die Letzte Welt im Kontext mythologischen Erzählens
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit Ransmayrs Roman Die Letzte Welt und untersucht, wie der Autor Ovids Metamorphosen als Vorbild nutzt, um Mythen in einem postmodernen Kontext zu bearbeiten. Das Kapitel analysiert die Figuren der Letzten Welt und deren Bezug zu den mythischen Vorbildern aus Ovids Werk, sowie die Rolle des Romans in Bezug auf die Grenzen zwischen Fiktionalität und Faktualität. - Kapitel 5: Mythologie im Superhelden-Comic.....
Das Kapitel befasst sich mit der Verwendung von Mythen im Superhelden-Comic. Es analysiert die Gattungsmerkmale des Superhelden-Comics und untersucht dessen Verwandtschaft mit dem Sach- und Heldenepos. Weiterhin wird die Herkunft der Superhelden im Kontext der Mythologie beleuchtet, wobei der Fokus auf den Unterschied zwischen „Origin“ und „Aitia“ liegt. Darüber hinaus wird die Rolle der Bürgerlichen Aufklärungsideologie und der Comic-Rationalität im Kontext der Mythenrezeption diskutiert.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beleuchtet die Themen mythologisches Erzählen, Ovids Metamorphosen, Shakespeare, Ransmayrs Die Letzte Welt, Superhelden-Comic, antike Mythologie, Verwandlungen, Ironie, Symbolismus, Referenzialität, Fiktion, Faktualität, Epos, Drama, Roman, Bilder und Figuren.
- Arbeit zitieren
- Sabine Friedlein (Autor:in), 2007, Grenzfälle mythologischen Erzählens - Ovid, Shakespeare, Ransmayr und Superhelden-Comic, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92087