Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung und Begründung der Themenwahl
2. Rechtliche Definition
3. Formen von Missbrauch
3.1 Physische Gewalt
3.2 Psychisch Gewalt
3.3 Sexuelle Gewalt
4. Erklärungsansätze von Pädophilie und intrafamiliärem Missbrauch
5. Symptome und Anzeichen
5.1 Medizinische Diagnostik
6. Folgen für die Kinder
6.1 Folgenfür die Familie
7. Professionelle Hilfen und Anforderungen an Fachkräfte
7.1 Präventive Ansätze
8. Fazit und Stellungnahme
Abbildungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
1. Einleitung und Begründung der Themenwahl
Sexueller Missbrauch von Kindern durch die eigenen Eltern - für viele so surreal und unvorstellbar wie kaum eine andere Thematik. Wie ist es möglich, dem eigenen Kind so etwas schreckliches anzutun und es damit für sein Leben lang zu prägen und eine unbeschwerte Kindheit zu zerstören? So sprachlos, entsetzt und traurig einen diese Erkenntnis macht, ist es nur umso schlimmer, dass es sich hierbei nicht um wenige Einzelfälle handelt. Man mag es sich kaum ausmalen, welche psychischen und physischen Schmerzen diese Kinder erleiden müssen und welche fatalen Folgen durch das Handeln der Eltern für die Opfer resultieren können. Das Thema sexueller Missbrauch an Kindern wurde in den letzten Jahren durch zunehmende Mitteilungen in den Medien fortlaufend enttabuisiert. Immer häufiger kamen Fälle von oftmals jahrelangen Misshandlungen gegenüber Kindern und Jugendlichen ans Licht und entsetzten die Gesellschaft. Wütend und hilflos steht man den Fakten gegenüber, dass jährlich zwischen 12.000 und 14.000 Kinder Opfer von sexueller Gewalt werden. Von einer deutlich höheren Dunkelziffer kann man ausgehen, da laut Schätzungen des Bundeskriminalamts nur jeder 15.-20. Fall zur Anklage kommt und sich die tatsächliche Zahl somit auf schätzungsweise 300.000 Kinder erhöht. Die zunehmenden Berichterstattungen regen aber auch zu Diskussionen über mögliche Optionen für Präventivmaßnahmen, vor allem in pädagogischen Institutionen wie Schulen oder Kindergärten an. Deshalb ist eine intensive Aufklärung unerlässlich für eine effektive Präventionsarbeit.
Meine Motivation für diese Seminararbeit war vor allem herauszufinden, wie ich als zukünftige Sozialarbeiterin mit diesem komplexen und sensiblen Thema umgehen kann. Wie können wir Pädagogen die Mauer der lähmenden Wut und Hilflosigkeit durchbrechen, um in der Lage zu sein, diesen Kindern zu helfen? Wie wird präventiv gegen Missbrauch vorgegangen? Sind unsere Gesetze zu ungenügend oder sind wir vielleicht auch zu wenig Achtsam gegenüber dieser Thematik? In Hinblick auf die Familiensoziologie empfinde ich das Thema Missbrauch als sehr signifikant, da das System Familie durch kaum eine andere Problemstellung so nachhaltig gestört werden kann, wie durch dieses inkorrekte Verhalten und Handeln der Eltern gegenüber den eigenen Kindern.
2. Rechtliche Definition
Der Schutz von Kindern ist in unserer Gesellschaft ein determiniertes Gut, welches durch das Rechtssystem geschützt wird. Im zwölften Abschnitt des Strafgesetzbuches werden Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie und im dreizehnten Abschnitt die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung definiert. Es handelt sich hierbei um einen abstrakten Gefährdungsdelikt. Sexuelle Handlungen an oder mit Kindern sind immer strafbar - auch dann, wenn sich das betroffene Kind angeblich mit den Handlungen einverstanden gezeigt hat. Dies ist allerdings in jedem Fall bedeutungslos, da es kognitiv, psychisch und physisch nicht in der Lage ist, einer solchen Handlung verantwortlich zuzustimmen. Im deutschen Strafrecht zählen Kinder zu den Personen, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und somit auch strafunmündig sind1. Bei sexuellem Missbrauch in der Familie werden folgende Gesetzesausschnitte bedeutsam:
§173 StGB Beischlaf zwischen Verwandten
(1) Wer mit einem leiblichen Abkömmling den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
§174 Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen
Schutzbefohlene sind nach § 225 StGB Personen, die aufgrund ihres Alters von unter 18 Jahren oder wegen Krankheit oder körperlicher Gebrechlichkeit wehrlos sind und deshalb besonders geschützt werden müssen. Der Straftatbestand wird in § 174 in zwei Altersstufen unterteilt. Im ersten Abschnitt unter der 1. Nummer handelt es sich um sexuellen Missbrauch von Personen unter sechszehn Jahren, die in einem besonderen Schutzverhältnis im Rahmen der Erziehung, Lebensführung und Ausbildung stehen2. Unter den Nummern 2 und 3 definiert der Gesetzgeber sexuellen Missbrauch an Personen unter achtzehn Jahren, die in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Erziehungs- und Betreuungsmaßnahmen, Ausbildungs- oder Dienstverhältnissen stehen, sowie sexuelle Handlungen von leiblichen Eltern, Lebenspartnern eines Elternteiles sowie Personen, die mit einem Elternteil in einer ehe- oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft leben3. Der Versuch eines sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen ist ebenfalls strafbar4.
§176 Sexueller Missbrauch an Kindern
In diesem Paragraphen wird zwischen Tathergängen mit und ohne körperlichen Kontakt zum Kind unterschieden. Bei Handlungen ohne körperlichen Kontakt wird in § 176 (4) Nr. 3 verdeutlicht, dass auch das Vorzeigen von pornographischen Abbildungen oder Darstellungen, durch Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhalts oder durch Zugänglichmachen pornographischer Inhalte mittels Informations- und Kommunikationstechnologie strafbar ist und mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren geahndet wird5. Der Versuch einer solchen Straftat ist im Gegensatz zu § 174 nicht strafbar6. Handlungen mit körperlichem Kontakt werden in den Absätzen (1) und (2) des Paragraphen §176 dargelegt. Wer sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich von einem Kind vornehmen lässt, sowie es dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einem Dritten vornimmt oder von einem Dritten vornehmen lässt, wird mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft7.
§176 Schwerer sexueller Missbrauch
Unter schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern werden unter Absatz 2 unterschiedlicheTathergänge definiert:
(2) Nr. 1: Eine Person über achtzehn Jahren, die mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind.
(2) Nr. 2: Eine Tat die von mehreren gemeinschaftlich begangen wird8. Dabei müssen nicht beide Täter aktiv eine sexuelle Handlung vornehmen. Es reicht, wenn einer der handelnden Parteien ein Täter nach § 176 Abs.1 StGB ist. Notwendig ist allein die objektiv erhöhte Schutzlosigkeit des Opfers durch das Zusammenwirken mehrerer Personen.
(2) Nr. 3: Der Täter bringt durch die Tat das Kind in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung9. In solchen Fällen liegt das strafbare Mindestmaß nicht unter zwei Jahren, in minderschweren Fällen zwischen einem und zehn Jahren. Eine erhebliche Schädigung liegt bei einer deutlichen Abweichung von der voraussichtlichen normalen Entwicklung vor.
§ 176b Sexueller Missbrauch von Kindern mit Todesfolge
Verursacht der Täter durch den sexuellen Missbrauch wenigstens leichtfertig den Tod des Kindes, so ist die Strafe lebenslang oder nicht unter zehn Jahren10. Die Gefahr des Todes muss konkret durch den Missbrauch herbeigeführt worden sein. Beispielsweise wenn es dadurch zu schweren Körperverletzungen oder der Gefahr des Suizids kommt.
3. Formen von Missbrauch
Bedauerlicherweise ist Gewalt in Familien keine Seltenheit mehr. Immer häufiger wird in den Medien von besonders grausamen Beispielen von Kindesmisshandlungen oder sogar von Kindstötungen berichtet. Bereits in den jüngsten Jahren ihrer Lebensgeschichte mussten sie die schlimmsten Arten von psychischer, physischer und auch sexueller Gewalt über sich ergehen lassen, ohne überhaupt verstehen zu können, warum ihnen so etwas schreckliches wiederfahren muss. Man liest wiederholt von Knochenbrüchen, Verbrennungen oder überschminkten Hämatomen. Diese werden nicht selten verharmlost oder auf einen zufälligen Unfall oder ein dummes Missgeschick des Kindes zurückgeführt und damit begründet. Die unterschiedlichen Misshandlungsarten lassen sich jedoch nur schwer abgrenzen, da sich die Formen von Kindesmisshandlungen meist überschneiden.
3.1 Physische Gewalt
Gewalt in Form von Erziehungsmaßregelungen gibt es schon vielen Jahrhunderten und ist deshalb keine neuartige Begebenheit11. Durch Sanktionen wie Ohrfeigen wurde Macht über die Kinder ausgeübt. In den meisten Fällen führt eine körperliche Misshandlung zu psychischen Belastungen, weshalb diese Verhaltensweisen oft miteinander korrelieren. Die körperliche Tortur, die die Kinder durch ihre Eltern erfahren, beinhaltet diverse Handlungen und Formen, bei denen sie körperliche Schäden zugefügt bekommen. Bei diesen handelt es sich um Schläge, Tritte, Knochenbrüche, Verbrennungen, Vergiftungen, Verätzungen und bedauerlicherweise noch viele mehr. Es werden immer wieder andere Ausprägungen durch Aufdeckung neuer Fälle ergänzt. Es macht den Anschein, als gäbe es keine Grenzen, neue Methoden zu entdecken um die Kinder noch effektiver körperlich misshandeln zu können12. Oftmals liegt die Vermutung nahe, dass Eltern, die in ihrer Kindheit selbst Gewalt erfahren haben, eher zu einer Gewaltbereitschaft gegenüber den eigenen Kindern tendieren13. Soziologische Erklärungsansätze basieren auf den Grundlagen, dass die gesellschaftliche Billigung von Gewalt in der Kindererziehung, überfordernde Lebenslagen von Familien und ein Defizit an sozialen Unterstützungssystemen maßgeblich schuldtragend für die Gewalt gegen Kinder sind14. Vor allem familiäre Belastungen stehen oft in einem kausalen Zusammenhang zu einem erhöhten Misshandlungsrisiko.
3.2 Physische Gewalt
Seelische oder psychische Misshandlungen umfassen inkompetente und rudimentäre Handlungs- und Beziehungsformen, die dem Alter des Kindes meist nicht entsprechen und die Persönlichkeit des Kindes beeinträchtigen und nachhaltig schädigen können15. Es gibt divergente Taxonomien zu den elterlichen Verhaltensweisen, die sich nach emotionaler- und psychischer Misshandlung und Vernachlässigung unterordnen lassen. Zur emotionalen Misshandlung zählen die Ablehnung und Abwertung des Kindes, zur psychischen Misshandlung und Vernachlässigung die mangelnde oder falsche Förderung der Sozialkompetenzen16. Das Kind wird also ignoriert, abgewiesen durch die Zuschreibung negativer Eigenschaften oder auch mit Handlungsformen wie Überforderung, Demütigung, Beängstigung, Terrorisierung, Isolierung, Ausbeutung und Verweigerung emotionaler Zuwendung und Unterstützung gequält. Weil die elterliche Begleitung und die Stimulierung mit emotional vermitteltem Wissen mehr oder weniger fehlt, bekommen die Kinder in ihrem Verhalten und in ihren Affekten kein sicheres Gefühl für "richtig" oder "falsch", auch nicht in bei Regeln und Grenzsetzungen. Die verbale Misshandlung ist die häufigste und destruktivste Form der Gewalt, da die anderen Beschaffenheiten meist zusätzlich einen psychischen Bestandteil haben.
3.3 Sexuelle Gewalt
Der Terminus der sexuellen Gewalt gegen Kinder beinhaltet alle sexuellen Handlungen die deren altersgerechte Bedingungen und Auffassungsmöglichkeiten missachten17. Bei einem sexuellen Missbrauch werden gegen den Willen des Kindes sexuelle Handlungen an oder vor ihm durchgeführt, um die eigenen sexuellen Bedürfnisse oder Wünsche des Täters zu befriedigen. Der Täter oder die Täterin nutzt die Überlegenheit der Autoritätsund Machtposition schamlos aus18. Indem die Kinder danach unter massiven Druck gesetzt und bedroht werden, werden sie zur Sprach- und Hilflosigkeit verurteilt. Durch sexuelle Misshandlungen werden die körperliche und seelische Entwicklung, die Integrität und Autonomie und die sexuelle Selbstbestimmung bedroht oder beeinträchtigt. Die Intensitätsgrade des Missbrauchs werden in Fachliteraturen und Sozialwissenschaftlichen Untersuchungen oftmals kategorisiert19. Hier wird zwischen leichten, wenig intensiven und intensiven Missbrauchsarten unterschieden, die sich der rechtlichen Definition von sexueller Gewalt anpassen. Bei einem leichten oder schwachen Missbrauch kommt es, wie in § 176 (4) Nr. 3 benannt, zu keinem Körperkontakt zwischen dem Täter und dem Opfer. Das Kind wird dennoch gegen seinen Willen gezwungen, sexuelle Ton- oder Bildaufnahmen aktiv wahrzunehmen, muss sich anzügliche Bemerkungen anhören oder wird selbst beim Anziehen gezielt beobachtet wobei der Täter ein Verlangen verspürt. Bei einem wenig intensiven Missbrauchshandlungen kommt es zu den ersten körperlichen Annährungen zwischen Täter und Opfer, indem versucht wird, das Kind an Genitalien zu berühren oder es gezwungen wird, die Geschlechtsorgane des Täters anzufassen. Die schlimmste Art der sexuellen Misshandlung ist die intensive Form, bei der versucht oder vollführt wird, das Kind oral, anal oder vaginal zu vergewaltigen. Dieser Straftatbestand ist niedergelegt in § 176 (2) des Strafgesetzbuches. Die Missbrauchshandlungen werden von den Tätern meist über einen längeren Zeitraum geplant und es bleibt selten bei einem Einzelfall. Die sexuelle Gewalt dient oftmals nicht nur der Befriedigung von sexuellen Wünschen und Bedürfnissen, sondern auch der Satisfaktion von Anerkennung und Macht. Strategisch wird versucht, das Vertrauen des Kindes zu gewinnen, eine Beziehung herzustellen und ein Abhängigkeitsverhältnis zu schaffen20. In den seltensten Fällen werden Kinder spontan missbraucht. Viele Triebtäter bauen über Wochen hinweg die Nähe zu ihren Opfern auf. Unter dem Begriff sexuelle Handlungen lassen sich noch weitere Bezeichnungen hinzufügen, die Kinder gegen ihren Willen über sich ergehen lassen müssen. Unter sexueller Ausbeute wird beispielsweise das Drängen in die Kinderprostitution und Kinderpornographie verstanden, wobei die ausgeübte Macht und Unterdrückung des Täters auf die Kinder nochmals verdeutlicht wird. Auch hier handelt es sich um ein Abhängigkeitsverhältnis, bei dem aufgrund der Machtverhältnisse in der Beziehung kein gegenseitiges Einvernehmen über die Art der Beziehungsgestaltung besteht, weshalb man auch von einer Ausbeutung spricht.
4. Erklärungsansätze von Pädophilie und intrafamiliärem Missbrauch
Pädophilie wird als Störung der sexuellen Präferenz in den internationalen Klassifikationssystemen ICD-10 erfasst und ist im Kapitel Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen zu finden. Ausschlaggebend sind die primären sexuellen Interessen und gedanklichen Vorlieben von vorpubertären oder in einem frühen Stadium der Pubertät befindlichen Kindern. Es erfüllen jedoch nicht alle Täter und Täterinnen die Kriterien der Pädophilie21. In den Fachliteraturen gibt es viele unterschiedliche Ansätze und Methoden, die versuchen die Täter zu kategorisieren, in Hinblick auch auf die Rückfälligkeit und die Fixiertheit auf Kinder22. Ein Teil der Missbrauchsfälle lässt sich auf die Sexualpräferenz der Pädophilie zurückführen. Ursächlich für die pädophile Perversion können auch Ängste vor erwachsener Sexualität sein. Dieser begegnet der Täter mit Ekel und Abneigung, gegensätzlich zu einer kindlichen Physis. Signifikant ist zudem die Identifizierung und Rekonstruktion einer kindlichen Situation, oftmals basierend auf einer instabilen Mutter-Kind-Beziehung23. Dennoch werden die Interessen und Bedürfnisse der Kinder ignoriert und die kindliche Neugier und das Bedürfnis nach Nähe, Akzeptanz und Vertrauen wird missverstanden und missbraucht. Worauf allerdings die abweichende sexuelle Neigung zurückzuführen ist, haben auch viele Studien in verschiedenen Fachgebieten wie Psychologie, Medizin und Soziologie nicht zweifelsfrei erklären können. Bei Suche nach den Beweggründen der Täter benötigt man für mehrdimensionale Erklärungsansätze die Synergie von biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren24. Das integrative und soziokulturelle Modell von Finkelhor vereint biologische, verhaltenstheoretische und psychodynamische Theorien und benennt vier Faktoren die für den Täter notwendig sind um ein Kind zu missbrauchen25:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Integratives Modell von Fikelhor (1984)
Der intrafamililäre Missbrauch wird meist als Inzest bezeichnet und findet in häufigster Form zwischen Vätern beziehungsweise Stiefvätern und Töchtern beziehungsweise Stieftöchtern statt. Zweitrangig kommt es allerdings auch zu Übergriffen gegenüber Söhnen oder Stiefsöhnen26. Inzest kann zudem auch als sexueller Kontakt zwischen Verwandten, unabhängig vom Verwandtschaftsgrad, verstanden werden. Im Vergleich zu Männern gehen Frauen oder Mütter sehr selten inzestuöse Beziehungen zu Kindern ein. Bei sexuellem Missbrauch durch Bezugspersonen sind die Betroffenen nicht nur mit einer Handlung konfrontiert, welche persönlichste Erfahrungen verletzt, sondern auch mit einem Bruch des Vertrauensverhältnisses, was oft massive Ambivalenzkonflikte nach sich zieht27. Bei einem intrafamiliären sexuellen Missbrauch wird ein dysfunktionales Familiensystem meist als ursächlich angesehen. Hierbei sind die Beziehungen zwischen allen oder einzelnen Familienmitgliedern durch emotionale Konflikte oder Defizite instabil, welche allerdings nicht kommuniziert oder gelöst werden, da man die Ursachen nicht versteht oder die Schuld bei anderen gesucht wird. Dysfunktionale Familien zeichnen sich durch ein starkes Machtgefälle aus, bei denen ein Elternteil, meist der Vater, die autoritäre und dominante Rolle des Familienoberhauptes einnimmt. Vor dem sexuellen Missbrauch kommt es häufig erst zu einem emotionalen Missbrauch, da die Eltern nicht fähig sind, sich emotional zu regulieren und die angestaute Frustration an den Kindern ausgelebt wird. Innerfamiliärer Missbrauch ist der eindeutige, offene und symptomatische Terminus von gravierenden gestörten Familienverhältnissen, denen in jedem Fall ein geringes oder umfängliches Maß an emotionaler Vernachlässigung oder Falschbehandlung vorausgeht. Dies geschieht in Form von Liebesentzug oder auch Prügel. Bereits hier werden die ersten Grenzen überschritten. Den betroffenen Kindern merkt man häufig zuerst nicht an, was sie zu Hause wirklich erleben, da nach außen hin alles harmonisch wirkt. Da es sich in innerfamilären Kontexten um Familienmitglieder handelt, haben die Täter einen leichten Zugang zu ihren Opfern. Die Strategien basieren hierbei auch vermehrt über den Aufbau von Vertrauen über Geschenke, Zuneigung aber auch Einschüchterung. Nicht selten wird das System Familie nach außen hin abgeschottet und somit entsteht ein zusätzlicher Schutz für den Täter.28 Die ausgeführten Punkte zum familienorientierten Ansatz erscheinen dennoch nicht ausreichend, um das Phänomen der sexuellen Gewalt an Kindern erklären zu können. Um weitere Charakteristika zu identifizieren, lassen sich nach Larson und Maddock vier unterschiedliche Typen von Inzestfamilien unterscheiden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Larson und Maddock (1986) Vier Typen von Inzestfamilien
[...]
1 § 19 StGBund§2JGG
2 § 174(1) Nr.lStGB
3 §174(l)Nr.2und§StGB
4 §174 (4) StGB
5 §176 (4)Nr. 3-4 StGB
6 §176(6) StGB
7 §176(l)und (2)StGB
8 § 176a (2) Nr.l und 2
9 § 176a (2) Nr. 3
10 § 176b StGB
11 vgl. Mertens, Birgit; Pankofer, Sabine: Kindesmisshandlung. Ferdinand Schöningh. Paderborn. S. 15 ff
12 ebd. S. 32-33
13 vgl. Egle, Ulrich; Hoffmann, Sven; Joraschky Peter: Sexueller Missbrauch, Misshandlung. Schattauer. Stuttgart. S. 7 ff
14 Ebd. S. 8-9
15 vgl. Mertens, Birgit; Pankofer, Sabine: Kindesmisshandlung. Ferdinand Schöningh. Paderborn. S. 32-33
16 vgl. Egle, Ulrich; Hoffmann, Sven; Joraschky Peter: Sexueller Missbrauch, Misshandlung. Schattauer. Stuttgart. S. 7 ff
17 vgl. Helfer, Mary; Kempe, Ruth, Krugmann, Richard: Das mißhandelte Kind. Suhrkamp. Frankfurt am Main. S. 130 ff
18 vgl. Egle, Ulrich; Hoffmann, Sven; Joraschky Peter: Sexueller Missbrauch, Misshandlung. Schattauer. Stuttgart. S. 12
19 vgl. Egle, Ulrich; Hoffmann, Sven; Joraschky Peter: Sexueller Missbrauch, Misshandlung. Schattauer. Stuttgart. S. 12
20 vgl. Heusohn, Lothar; Klemm, Ulrich: Sexuelle Gewalt gegen Kinder. Klemm & Oelschläger. Ulm. S. 24 ff
21 vgl. Schanda, Hans; Stompe Thomas: Sexueller Missbrauch und Pädophilie. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft. Berlin. S. 6-7
22 ebd. S. 9
23 vgl. Bruder, Klaus-Jürgen; Richter-Unger, Sigrid: Monster oder liebe Eltern? Sexueller Missbrauch in der Familie. Aufbau. Berlin und Weimar. S.26 ff
24 vgl. Fegert, Jörg; Rassenhofer, Miriam; Schneider, Thekla; Seitz, Alexander; Spröber, Nina: Sexueller Kindesmissbrauch - Zeugnisse, Botschaften, Konsequenzen. Beltz Juventa. Weinheim und Base. S. 39
25 Ebd. S. 40 ff
26 vgl. Helfer, Mary; Kempe, Ruth, Krugmann, Richard: Das mißhandelte Kind. Suhrkamp. Frankfurt am Main. S. 132-135
27 vgl. Fegert, Jörg; Hoffmann, Ulrike; König, Elisa; Niehues Johanna; Liebhardt, Hubert: Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Springer. Berlin Heidelberg. S. 40 ff
28 vgl. Schanda, Hans; Stompe Thomas: Sexueller Missbrauch und Pädophilie. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft. Berlin. S. 109-112