Dauerhafte Ungleichheit – zur Kontinuität der Bildungsbenachteiligung


Hausarbeit, 2006

28 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Bildungsexpansion

3 Zusammenhang von Bildungsexpansion und sozialer Platzierung

4 Die PISA-Studien
4.1 Anliegen von PISA
4.2 Die Lesekompetenz
4.2.1 Kompetenzstufen
4.2.2 Allgemeine Befunde zur Lesekompetenz

5 Soziale Herkunft und Bildungsbeteiligung
5.1 Reproduktion schichtspezifischer Ungleichheiten
5.2 Sozialschichtzugehörigkeit und Bildungsbeteiligung
5.3 Sozialschichtzugehörigkeit und Lesekompetenz

6 Empfehlungen für den sukzessiven Abbau herkunftsspezifischer Bildungsbenachteiligung

7 Schlussbemerkungen

8 Anhang

9 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Spätestens seit Veröffentlichung der Ergebnisse der PISA-Studien steht der Bereich Bildung wieder stark im Interesse der Öffentlichkeit und der Politik. Nicht nur das im internationalen Vergleich unterdurchschnittliche Abscheiden der deutschen Schülerschaft ist bemerkenswert, sondern auch der Zusammenhang von Leistungskompetenz und sozialer Herkunft. Zwar sind Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit in der Bundesrepublik Deutschland anerkannte Werte, jedoch zeigt sich in zahlreichen Untersuchungen (u.a. in den PISA-Studien), dass das deutsche Bildungssystem von einem wichtigen Bildungsziel – der Chancengleichheit – noch weit entfernt ist. Die Bildungsbeteiligung und der Erfolg im Bildungssystem stellen einen sehr sensiblen Bereich dar, denn die beruflichen Chancen bestimmen den späteren sozialen und ökonomischen Status sowie die Möglichkeit gesellschaftlicher Einflussnahme.

In der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden, ob ein Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungsbenachteiligung besteht. Ist es wirklich Fakt, dass obere Sozialschichten immer noch bessere Chancen haben, höhere Bildungsabschlüsse zu erreichen; fragt Rolf Becker zu Recht: Bildung als Privileg? Sind Reproduktionsmechanismen vorhanden, die es rechtfertigen würden, von dauerhafter Ungleichheit und Kontinuität von Bildungsbenachteiligung zu sprechen? Um die vorgestellten Fragen zu beantworten wird ein besonderes Augenmerk auf die PISA-Studie 2000 geworfen, da sie eine wichtige Datenbasis zur fundierten Untersuchung der Thematik darstellt.

2 Die Bildungsexpansion

Der aus der Bildungsforschung stammende Begriff Bildungsexpansion bezeichnet einen enormen Ausbau der sekundären und tertiären Bereiche des Bildungswesens. Diese Entwicklung setzte in der Bundesrepublik Deutschland bereits in den 50er Jahren ein. Verstärkt wurde die Bildungsexpansion durch zahlreiche bildungspolitische Debatten aus den frühen 60er Jahren.1 Maßgeblich beteiligt an der Bildungsexpansion waren Bildungsforscher, die in ihren Gutachten Ende der 50er Jahre die Schulen als zentrale Dirigierungsstelle für Sozialchancen herausstellten. Sie wiesen damit auf die herausragende Bedeutung, die dem Bildungswesen in fortgeschrittenen Industriegesellschaften für die sozialen Entfaltungsmöglichkeiten der einzelnen zukommt, hin. Des weiteren äußerten sie Bedenken, ob genug qualifizierte Nachwuchskräfte heranwachsen würden, um die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik sicherzustellen. Damit wurden die Weichen gestellt, eine Verbesserung der Qualifikationsstruktur der Bevölkerung ins Auge zu fassen. Bildung wurde von da an als „Humankapital“, einem volkswirtschaftlich bedeutenden Faktor, verstanden. Die Ausweitung dieses Faktors sollte durch die „[…] Ausschöpfung der Begabungsreserven […]“2 gefördert werden. Die Expansion der Bildungsbeteiligung wurde als gesellschaftliches Ziel etabliert und auch in der Politik als wichtiges Handlungsfeld erkannt.3

Seit dem 19. Jahrhundert zeichnet sich das deutsche Schulsystem durch seine Dreigliedrigkeit in Gymnasium, Realschule und Hauptschule (früher Volksschule) aus. Die Verteilung der Schüler und Schülerinnen auf die verschiedenen Schulformen sah 1952 weitaus anders aus als 2002/2003 (Vgl. Abbildung 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Bildungsexpansion – Schulbesuch (7.Klasse) an verschiedenen Schularten 1952 und 2002/20034

In den 50er Jahren besuchten ca. 79% der Schüler und Schülerinnen die Hauptschule (Volksschule), dagegen nur ein Fünftel bzw. 19% mittlere oder höhere Schulen (Gymnasium 13%, Realschule 6%). Vergleicht man diese Werte mit der Verteilung der Schüler und Schülerinnen auf die Schulformen von 2002/2003 so ist festzustellen, dass die Hauptschule, die 1952 noch von ca. 80% der Jugendlichen besucht wurde, heute nur noch von 23% der Schülerschaft besucht wird. Die Gymnasien konnten ihren Anteil mehr als verdoppeln und werden von 33% der Schüler und Schülerinnen besucht. Die prozentuale Veränderung bei den Realschulen ist noch stärker. Hier konnte der Anteil von 6% auf 25% ausgeweitet werden, was eine Vervierfachung bedeutet. Neuere Schulformen, wie die integrierte Haupt- und Realschule5 und die integrierte Gesamtschule, können knapp ein Fünftel (ca. 19%) der Schüler und Schülerinnen von 2002/2003 ihr Eigen nennen.

Die oben stehenden Werte verdeutlichen das Ausmaß der Expansion. Durch den Ausbau des Bildungswesens erreichten immer mehr Schüler und Schülerinnen einen mittleren oder höheren Bildungsabschluss. Seit 1990 ist das Gymnasium mit einem Anteil von 33% der Schülerschaft zur meist besuchten Schulform avanciert.6 Das heißt, die Bildungsexpansion stellte eine kontinuierliche Höherqualifizierung der Bevölkerung dar.7 Durch das Wegsterben der älteren, weniger qualifizierten Menschen und das Nachrücken von jüngeren, besser qualifizierten Jahrgängen änderte sich die Qualifikationsstruktur der Gesellschaft stetig. Allerdings ist die Bildungsexpansion in Deutschland im Laufe der 90er Jahre zum Stillstand gekommen.8

3 Zusammenhang von Bildungsexpansion und sozialer Platzierung

Nachdem die Bildungsexpansion im vorhergehenden Gliederungspunkt erläutert wurde, folgt nun der Blick auf den Zusammenhang zwischen der Bildungsexpansion und der sozialen Platzierung durch das Bildungssystem. Des weiteren soll die Forderung nach Chancengleichheit kurz diskutiert werden.

Die Entwicklungen in der Sozialstruktur sind laut Geißler stark mit den Entwicklungen im Bildungssystem verknüpft.9 Das Bildungssystem übernimmt in unserer Gesellschaft eine Platzierungsfunktion. Das heißt, das Bildungsniveau bestimmt maßgeblich, welchen sozialen Schichten ein Mensch zugehört, welche Privilegien er in Anspruch nehmen kann und wie sich die Bewegung zwischen den sozialen Schichten vollziehen kann. Geißler stellt in Anlehnung an Bourdieu Bildung als „[...] eine zentrale Ressource für Lebenschancen [...]“ dar.10

Durch die Bildungsexpansion erfuhr die Bildung – als zentrale Ressource für die soziale Platzierung – eine enorme Aufwertung. Positionen, die früher mit niedrigen Bildungsabschlüssen erreicht werden konnten, setzten heute mittlere bzw. hohe Abschlüsse voraus. Ein Beispiel hierfür ist der Beruf des Bankkaufmanns. Seit einigen Jahren wird hier das Abitur als Aufnahmevoraussetzung für eine Ausbildung gefordert. Die Folge ist eine vertikale Verdrängung weniger Qualifizierter durch besser Qualifizierte. Durch diese Verdrängung vom Arbeitsplatz werden natürlich auch die Lebenschancen der Betroffenen negativ berührt. Mit der Platzierungsfunktion gehen ebenfalls die Auslese- und die Selektionsfunktion einher. Obwohl die Bildungssysteme ausschließlich nach Leistung selektieren sollten, ist auch immer – gewollt oder ungewollt – eine soziale Auslese die Folge. So finden soziale Herkunft, ethnische Faktoren, Geschlecht etc. immer Berücksichtigung bei der Beurteilung von Karriere- und Bildungschancen.

Die Beeinflussung der Auslese wird dann zum Problem, wenn man sie unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit sieht. Sobald die soziale oder regionale Herkunft, das Geschlecht etc. mehr oder weniger bedeutende Einflussfaktoren für die Selektion darstellen, kann nicht mehr von Chancengleichheit in Bezug auf die Bildungschancen gesprochen werden. Da das Bildungsniveau – wie bereits erläutert – starken Einfluss u.a. auf die gesellschaftliche Stellung und die Karrierechancen hat, kann in diesem Zusammenhang auch von einer Ungleichheit von Lebenschancen gesprochen werden. Der Effekt wird dadurch verstärkt, dass die Kopplung zwischen formalen Bildungsabschlüssen und der späteren beruflichen Stellung in Deutschland enger ist als in den meisten anderen Ländern.11

Die Ungleichheit der Bildungschancen kann in die Kategorien geschlechtsspezifische, schichtspezifische und ethnische Chancenungleichheiten unterteilt werden. In der vorliegenden Arbeit werden lediglich die schichtspezifischen Chancenungleichheiten einer detaillierten Analyse unterzogen. Da bisher das Hauptaugenmerk lediglich auf der Bildungsbeteiligung der Schüler und Schülerinnen lag, sollen im Folgenden die Fähigkeiten der Schülerschaft (beschränkt auf den Bereich der Lesekompetenz) miteinbezogen werden.

4 Die PISA-Studien

4.1 Anliegen von PISA

Möchte man anhand fundierter Ergebnisse die Problematik der Ungleichheit von Bildungschancen und die Bildungsbenachteiligung im deutschen Bildungssystem diskutieren, kommt man um eine Auseinandersetzung mit den PISA-Studien nicht herum. Sie stellen die aktuellsten Erhebungen zum Thema Bildung in der Bundesrepublik Deutschland dar.

Die PISA-Studien werden von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD12) durchgeführt. Die Abkürzung PISA steht für „Programme for International Student Assessment”. Die Intention der Studien ist, den OECD-Mitgliedsstaaten vergleichende Daten über Nutzung sowie Funktions- und Leistungsfähigkeit der verschiedenen Bildungssysteme zur Verfügung zu stellen. Die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sich an diesem Programm gemäß einer Vereinbarung zwischen dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Kultusministerkonferenz.

Um periodische Entscheidungsgrundlagen zur Verbesserung der nationalen Bildungssysteme zur Verfügung zu stellen, werden die alltagsrelevanten Kenntnisse der 15 jährigen Schülerinnen und Schüler gemessen, da diese Altersgruppe noch der Vollzeitschulpflicht unterliegt. Die PISA-Studie zielt demnach auf die Ermittlung, der bis zum Ende der Pflichtschulzeit erworbenen Kompetenzen für die Lebensbewältigung und die stetige Weiterentwicklung ab. Mit „alltagsrelevanten Kenntnissen“ sind jene Basiskompetenzen gemeint, die in modernen Gesellschaften eine befriedigende Lebensführung ermöglichen und für eine aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben notwendig sind. Die drei Hauptbereiche der Studie sind Lesekompetenz (Reading Literacy), mathematische Grundbildung (Mathematical Literacy) und naturwissenschaftliche Grundbildung (Scientific Literacy). Ergänzt werden sie durch fächerübergreifende Kompetenzen (Cross-Curricular-Competencies), zu denen beispielsweise Merkmale selbstregulierten Lernens und Vertrautheit mit Computern gehören. Die Hauptbereiche werden in drei Erhebungszyklen von PISA erfasst. In jedem Zyklus wird einer der genannten Bereiche detaillierter untersucht als die übrigen. Im Jahr 2000 wurde hauptsächlich die Lesekompetenz untersucht. In 2003 lag das Hauptaugenmerk auf der mathematischen Grundbildung und im Jahr 2006 wird die naturwissenschaftliche Grundbildung näher durchleuchtet.

4.2 Die Lesekompetenz

Aus Platzgründen wird in der vorliegenden Arbeit nur der erste Erhebungszyklus der PISA-Studien – die PISA-Studie 2000 – als Datenbasis genutzt. Hier lag das Hauptaugenmerk auf der Untersuchung der Lesekompetenz. Grund für die intensive Untersuchung ist die Tatsache, dass die Lesekompetenz als zentrale Fähigkeit angesehen wird, die für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben unentbehrlich ist.

Die Lesekompetenz wird als elementare Kulturtechnik verstanden und repräsentiert als sprachliche Kompetenz eine grundlegende Form des kommunikativen Umgangs mit der Umwelt.13 Das heißt, der Begriff Lesekompetenz (Reading Literacy) verbirgt mehr als das bloße Lesen. Es geht vielmehr um die Fähigkeit, geschriebene Texte unterschiedlicher Art in ihren Aussagen, Absichten und formalen Strukturen zu verstehen und in einen Gesamtzusammenhang einordnen zu können. Des weiteren geht es darum die Texte für verschiedene Zwecke sachgerecht zu nutzen, das eigene Wissen und Potential zu erweitern und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.14

Um dem Anspruch gerecht zu werden die aktive Auseinandersetzung mit Texten – bestehend aus Interpretation, Reflexion, Bewertung etc. – zu messen und vergleichbar zu machen, bedient sich die PISA-Studie verschiedener Textarten.

Zu den ausgewählten Textarten gehören:15

- kontinuierliche Texte (Erzählungen, Darlegungen, Beschreibungen, Argumentationen und Anweisungen) und
- nicht kontinuierliche Texte (Diagramme, Graphen, Tabellen, schematische Zeichnungen, Karten, Formulare und Anzeigen)

Die Vielfalt der Texte soll dazu beitragen möglichst viele, unterschiedliche Anwendungssituationen bzw. Leseanlässe abzubilden. Die Bedeutung der Lesekompetenz lässt sich beispielsweise dadurch verdeutlichen, dass Erwachsene, die über ein hohes Kompetenzniveau im Lesen verfügen, tendenziell ein höheres Einkommen realisieren können und seltener von Arbeitslosigkeit betroffen sind als weniger gute Leser.

[...]


1 Vgl. Geißler, R. (2004) S. 334f

2 Below von, S. (2002) S. 60

3 Vgl. Below von, S. (2002) S. 60f.

4 Geißler, R. (2002) S. 46

5 Eine Schulform, die hauptsächlich in Thüringen und Sachsen vorzufinden ist.

6 Vgl. Geißler, R. (2002) S. 46f

7 Vgl. Geißler, R. (2004) S. 339

8 Vgl. Hradil, S. (2004) S. 141

9 Vgl. Geißler, R. (2004) S. 333f

10 Geißler, R. (2004) S. 333

11 Vgl. Hradil, S. (2004) S. 149

12 Organisation for Economic Cooperation and Development

13 Vgl. PISA-Konsortium (Hrsg.) (2002) S. 56

14 Vgl. PISA-Konsortium (Hrsg.) (2002) S. 58

15 ebenda

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Dauerhafte Ungleichheit – zur Kontinuität der Bildungsbenachteiligung
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
28
Katalognummer
V92191
ISBN (eBook)
9783640135608
ISBN (Buch)
9783640781126
Dateigröße
866 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dauerhafte, Ungleichheit, Kontinuität, Bildungsbenachteiligung
Arbeit zitieren
Bjoern Cebulla (Autor:in), 2006, Dauerhafte Ungleichheit – zur Kontinuität der Bildungsbenachteiligung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92191

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