"Stealthing". Strafrechtliche Bewertung in Deutschland nach § 177 Abs. 1 StGB

Reichweite der Zustimmung im Sexualstrafrecht


Seminararbeit, 2020

37 Seiten, Note: 14 Punkte


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

A. Einleitung

B. Zum Phänomen „Stealthing“

C. Stealthing als strafwürdige Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung
I. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung
II. Eingriff in das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung
III. Begründung der Strafwürdigkeit von Stealthing
1. Die Gefährdungsdimension
2. Die Instrumentalisierungsdimension
3. Kommunikationsobliegenheit
IV. Fazit

D. Strafbarkeit von Stealthing als Delikt gegen die sexuelle Selbstbestimmung
I. § 177 Abs. 1 Var. 1 – Sexueller Übergriff
a) „Gegen den Willen“
aa) Mehr als ein fehlendes Einverständnis
bb) Der Wille des Opfers bei Stealthing
cc) Der Gegenwille in der Literatur-Diskussion
dd) Akuter Wille oder Genereller Wille
(1) Argumentative Auseinandersetzung
(2) Relevanz der faktischen Zustimmung
ee) Zwischenfazit
b) Erkennbarkeit des Gegenwillens
aa) Grundlegendes
bb) Zeitpunkt der Kommunikationshandlung
cc) Zwischenfazit
c) Ergebnis
II. § 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 1 Var. 1 – Vergewaltigung
1. Vorüberlegungen
2. Entscheidung des AG Tiergarten / LG Berlin
3. Beurteilung

Literaturverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

A. Einleitung

Mit der Reform des deutschen Sexualstrafrechts durch das 50. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches zur „Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung“ vom November 20161 wurde der entgegenstehende Wille des Opfers in das Zentrum des strafrechtlichen Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung gestellt,2 wodurch der Gesetzgeber in § 177 Abs. 1 StGB n.F. die sogenannte „Nein-heißt-Nein“-Lösung in geltendes Recht umgesetzt hat.3 Während eine strafbare sexuelle Nötigung nach der alten Rechtslage grds. erst vorlag, wenn der Täter ein qualifiziertes Nötigungsmittel einsetzte,4 sanktioniert der neue § 177 Abs. 1* eine sexuelle Handlung bereits dann, wenn sie gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person erfolgt, ohne dass der Grundtatbestand darüber hinaus die Anwendung eines Nötigungsmittels verlangt. Damit ist in der Rechtsanwendung die Beurteilung des Inhalts und der Reichweite dieses Willens für die strafrechtlichen Einordnung sexueller Handlung nach dem reformierten Sexualstrafrecht von zentraler Bedeutung.5 Diese stellt die Strafrechtspraxis jedoch aufgrund der Vielgestaltigkeit denkbarer Fallkonstellationen vor erkennbare Probleme.6 Eine dieser Fallgruppen wird sowohl in den öffentlichen Medien als auch in der Strafrechtswissenschaft unter der Bezeichnung „Stealthing“ mit Nachdruck diskutiert. In Auseinandersetzung mit und beitragend zu dieser Diskussion untersucht diese Arbeit zunächst das Phänomen „Stealthing“ (B.). Sodann folgt eine Auseinandersetzung mit Stealthing unter dem Gesichtspunkt des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung sowie die Begründung der aus der Verletzung dieses Rechts abgeleiteten Strafwürdigkeit (C.). Den Abschluss der Arbeit bildet die Beantwortung der Frage, ob Stealthing nach dem reformierten § 177 strafbar ist (D.).

B. Zum Phänomen „Stealthing“

Für die (fach-)öffentliche Aufmerksamkeit in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand sorgte maßgeblich eine Studie der Juristin Brodsky aus dem Jahr 2017.7 Darin untersucht diese ein Phänomen, für welches sie die heute etablierte Bezeichnung „Stealthing“8 verwendet.

Gemeint ist damit die bewusste nicht einverständliche Entfernung eines Kondoms vor oder während eines im Übrigen konsensualen Geschlechtsverkehrs9 und die anschließende Re-Penetration durch einen Mann10, ohne dass der Sexualpartner11 diese Veränderung (sofort) bemerkt bzw. bemerken soll (englisch: ‚stealth‘ = List; Heimlichkeit).

Bisher lässt sich das Phänomen primär anhand von Berichten der Beteiligten analysieren. Die von Brodsky befragten Opfer12 realisierten die Kondomentfernung teilweise bereits im Moment der Re-Penetration, andere erst im Moment der Ejakulation des Sexualpartners oder erst im Anschluss an sexuelle Handlungen.13 Während die Reaktionen auf ein solches Erlebnis sehr individuell ausfallen, lässt sich aus den Schilderungen ein Erfahrungsmuster14 erkennen: Zunächst beschreiben Betroffene ihre Angst vor einer Infektion mit sexuell übertragbaren Krankheiten15 aufgrund der unterbliebenen Kondombenutzung sowie ihre Besorgnis bzgl. einer ungewollten Schwangerschaft,16 sofern keine sonstigen Kontrazeptiva benutzt wurden. Nicht wenige lassen sich in der Folge auf Krankheiten wie HIV testen oder greifen zu einer Notfall-Kontrazeption („Pille danach“).17 Auf der anderen Seite erleben die Opfer Stealthing als einen schweren Vertrauensbruch des Sexualpartners,18 eine Verletzung der körperlichen Autonomie19 und eine erniedrigende Missachtung der sexuellen Vereinbarung20 sowie ihrer Vorlieben und Wünsche.21

Dagegen geben sich auch Stealther online zu erkennen und äußern ihre Motive: Während einige von einem nicht weiter bestimmten „Drang“22 sprechen, scheint für andere eine gesteigerte physische Befriedigung und Empfindung im Vordergrund zu stehen.23 Manche Stealther versuchen ihr Verhalten damit zu rechtfertigen, dass es ein normaler Instinkt und ein natürliches Recht des Mannes sei, seinen Samen ‚verteilen‘ zu wollen,24 womit zum Teil die frauenfeindliche und entwürdigende Einstellung korrespondiert, Frauen würden es „verdienen, geschwängert zu werden“.25 Vergleichbare Beweggründe26 werden auch von Männern geäußert, die andere Männer stealthen.27 Gemein ist diesen Motiven, dass bei ihrer Umsetzung die erkannten sexuellen Wünsche des Gegenübers während des Geschlechtsverkehrs ignoriert und den eigenen Empfindungen und Trieben unterordnet werden.

Sucht man zum Phänomen Stealthing nach belastbaren empirischen Erkenntnissen insbes. zur Häufigkeit, stößt man auf eine US-amerikanische Studie von Davis28 . Darin untersucht sie die Fallraten, Prädikatoren und Risikoindikatoren von Stealthing im heterosexuellen Kontext von Single-Männern mit inkonsistentem Kondom-Nutzungsverhalten im Alter zwischen 21 und 30 Jahren. Von den 626 befragten Männern gaben 61 (9,8 %) an, seit ihrem 14. Lebensjahr selbst bereits ohne Einverständnis der Sexualpartnerin das Kondom entfernt zu haben.29

Eine weitere Studie von Bonar et al. 30 untersucht primär den Zusammenhang zwischen Stealthing31 -Tätern sowie männlichen und weiblichen Stealthing-Opfern im Alter von 18-25 Jahren und Faktoren wie Trinkverhalten und Drogenkonsum, gewährt aber auch Erkenntnisse zur Häufigkeit: Von den ca. 1336 befragten Männern berichten 6,1 % von eigenem Stealthing-Verhalten und 5 % von sich selbst als Stealthing-Opfer.32 Von den ca. 1200 befragten Frauen geben demgegenüber 18,9 % an, bereits von Stealthing betroffen gewesen zu sein.33

Obwohl die Gruppen der Befragten Davis und Bonar et al. auf junge Erwachsene beschränkt waren und deshalb die Generalisierbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse eingeschränkt ist,34 lässt sich insbes. an den relativen Häufigkeiten erkennen, dass mit dem Begriff „Stealthing“ kein Ausnahmephänomen bezeichnet wird, sondern ein von der Gesellschaft ernstzunehmendes und zu problematisierendes Sexualverhalten, das zurecht ein hohes Maß an kritischer öffentlicher Aufmerksamkeit erfährt.35

Auch in Anbetracht dessen ist es jedoch begrifflich nicht präzise, von einem „(Sex-)Trend“36 zu sprechen37 und damit zu implizieren, dass in einem bestimmten Zeitraum eine (statistisch) erfasste „quantitative Verbreitung“38 zu konstatieren wäre.39 Im Trend war vielmehr die öffentliche Diskussion über das Thema seit April 2017. Dieser sprunghafte Anstieg des öffentlichen Interesses40 lässt sich wohl primär auf die Publikation von Brodsky am 20.04.201741 zurückführen, auf die sich die in dem Zeitraum unmittelbar nach der Veröffentlichung erschienenen Medienberichte42 beziehen.

C. Stealthing als strafwürdige Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung

I. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung

Während Hörnle im Jahre 2015 die sexuelle Selbstbestimmung noch als „erstaunlich untertheoretisierten Begriff“43 bezeichnete, hat das Konzept Ende 2019 von Vavra eine umfassende theoretische Ausformung erfahren.44 Ausgehend vom Prinzip der menschlichen Autonomie45 und damit der grds. Eigenverantwortung des Menschen46 auch im Bereich der Sexualität47 soll das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung „die Freiheit des Menschen auf dem Gebiet der Sexualität schützen.“48 Dabei werden zwei Freiheitsdimensionen unterschieden:49 Einerseits die positive Freiheit, Sexualität nach eigenen Wünschen auszuleben50 und andererseits die negative Freiheit, „nicht den [sexuellen] Handlungen anderer Menschen ausgesetzt zu werden.“51 Die negative Freiheit dient dem Schutz vor „sexueller Fremdbestimmung“52, also vor der Herabwürdigung des Individuums zum bloßen „Objekt fremdbestimmter sexueller Übergriffe“53. Sie ist damit Ausdruck eines „moralische[n] Anrecht[s]“54 der Person auf Respektierung der „eigene[n] Sexualsphäre“55.

Im Kollisionsfall wird die positive durch die negative sexuelle Selbstbestimmung begrenzt.56 Zentral für diese Abgrenzung der Freiheitssphären ist die „Zustimmung des Sexualeigners“57. Handelt der Sexualpartner i.R. einer erteilten wirksamen Zustimmung einer anderen Person, erkennt er damit deren Persönlichkeitsrecht an.58 Wird die Zustimmung hingegen übergangen oder liegt eine solche nicht vor, ist das Verhalten als fremdbestimmt zu bewerten.59 Da die Zustimmung die Moralsphäre mehrerer Personen zueinander ordnet, erfährt sie nur durch einen Kommunikationsakt Wirksamkeit nach außen.60

II. Eingriff in das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung

Für die (straf-)rechtliche Betrachtung zentral ist die negative und gleichzeitig abwehrrechtliche Dimension der Sexualfreiheit,61 welche als „Teilaspekt des Persönlichkeitsrechts“62 durch Art. 2 Abs. 1, Art 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verankert63 und durch Verbotsnormen abgesichert64 ist. Diese finden sich im 13. Abschnitt des StGB65 und schützen in der Fassung seit dem 50. StrÄndG66 die freie (Willens-) Entscheidung über das „Ob“ eines sexuellen Kontakts sowie über die dazugehörigen Modalitäten wie Art, Zeit, Ort und Sexualpartner.67 Ein Eingriff in das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung liegt grds. im Falle einer sexuellen Fremdbestimmung vor, also immer dann, wenn eine sexuelle Handlung ohne (vorherige) wirksame Zustimmung stattfindet.68 Worauf sich die Zustimmung inhaltlich beziehen soll, steht als Konsequenz der Autonomie zur Disposition der zustimmenden Person,69 kann also insbes. „durch Bedingungen oder Befristungen modifizier[t]“70 werden.71

Wird in die Sexualsphäre einer anderen Person eingegriffen, ist dieser Eingriff wegen der engen Verbindung zum höchstpersönlichen Lebensbereich der Intimsphäre und der damit korrelierenden erheblichen Bedeutung für das individuelle Persönlichkeitsrecht prima facie strafwürdig.72 Weil eine solche Rechtsverletzung bereits in der Missachtung des selbstbestimmten Willens der betroffenen Person und der damit einhergehenden „Instrumentalisierung“73 bzw. „Objektifizierung“74 des Opfers liegt, hängt die Einordnung einer Handlung als Verletzung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts und damit als strafwürdiges Verhalten nicht davon ab, ob der Sexualeigner diese wahrnimmt.75 Dagegen gebieten der Gedanke der größtmöglichen Gewährung beiderseitiger Freiheitssphären76 und das Prinzip der Eigenverantwortung77, dass dem Sexualeigner – sofern und soweit zumutbar78 – die Selbstschutzobliegenheit auferlegt wird, einen der sexuellen Handlung entgegenstehenden Willen bzw. die für das Einverständnis subjektiv maßgeblichen Bedingungen erkennbar zu kommunizieren.79

III. Begründung der Strafwürdigkeit von Stealthing

1. Die Gefährdungsdimension

Einen nicht unwesentlichen Teil des Unrechts von Stealthing bildet die „Gefährdungsdimension“80, welche sich im Primärzweck der Verwendung eines Präservativs widerspiegelt: Zum einen erhöht sich das Risiko einer Ansteckung mit sexuell übertragbaren Krankheiten (STI), zum anderen entfällt ggf. die kontrazeptive Wirkung des Kondoms. Beide Aspekte81 spielen für die Opfer eine bedeutende Rolle. Sie gehören isoliert jedoch nicht zu der (durch Strafnormen des 13. Abschnitts) geschützten Sexualsphäre,82 sondern betreffen das Opfer in seiner körperlichen Integrität,83 welche ihrerseits durch Strafnormen abgesichert ist.84

2. Die Instrumentalisierungsdimension

Unter dem Gesichtspunkt der sexuellen Autonomie lässt sich eine Strafwürdigkeit von Stealthing hingegen nur begründen, sofern die nicht konsentierte Kondomentfernung während einer im Übrigen einverständlichen Penetration das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung des Sexualpartners verletzt. Dabei ist zunächst festzustellen, dass, sofern der sexuelle Kontakt mit einer Penetration unter Verwendung eines Präservativs begonnen hat, dieser Teilakt mit Zustimmung des Sexualeigners erfolgt und diesbezüglich auch kein Unrechturteil getroffen werden kann.85 Die Handlungen sind vielmehr Ausdruck der positiven Freiheit sexueller Selbstbestimmung beider Geschlechtspartner.

Fraglich ist jedoch, wie die der Umstand zu bewerten ist, dass die Penetration ohne Kondom vorgenommen wird, obwohl dessen Verwendung (als Modalität der Penetration) vom Sexualeigner zur notwendigen Bedingung des Einverständnisses gemacht wurde.

Nach Ansicht von Denzel/Kramer da Fonseca Calixto 86 könne die Zustimmung zwar auf bestimmte sexuelle Handlungen beschränkt werden (z.B. nur Einverständnis in vaginale Penetration). Die Modalität der Kondombenutzung betreffe jedoch nicht die konsentierte Penetration als solche, sondern lediglich eine für die sexuelle Selbstbestimmung nicht wesentliche Rahmenbedingung, deren argumentative Abspaltung von der konsentierten sexuellen Handlung „allzu konstruiert“87 sei. In Bezug auf die für sexuelle Selbstbestimmung wesentliche (Penetrations-)Handlung läge indes ein Einverständnis vor. Deshalb sei Stealthing, auch unter dem Gesichtspunkt von Abgrenzungsproblemen bei einem zu weiten Verständnis des „Wie“ der sexuellen Handlung, als nicht strafwürdig anzusehen. Vergleichbar argumentiert Hoven, dass man Stealthing primär wegen der Risikoerhöhung einen Unwert zuschreibe.88

Nach anderer Ansicht 89 sei, ausgehend von der Erkenntnis, dass eine Zustimmung auch im sexuellen Kontext an Bedingungen geknüpft werden kann, auch die Modalität „Kondombenutzung“ relevant. Wird die Zustimmung zu einer Penetration von der Benutzung eines Präservativs abhängig gemacht, werde damit nicht in eine Penetration ohne Kondom konsentiert. Diese konkrete Modalität beziehe sich auch unmittelbar auf die sexuelle Handlung, weil sich bereits der direkte Hautkontakt sensorisch von der Berührung mit einem Kondom unterscheide.90 Ähnlich argumentiert auch das AG Tiergarten, wenn es darauf abstellt, dass es ohne Kondomverwendung zu einem direkten Schleimhautkontakt der Genitalien kommt.91

Der letztgenannten Ansicht ist zuzustimmen. Denzel/Kramer da Fonseca Calixto gehen zwar im Grundsatz von einer zutreffenden Definition des Schutzbereiches des sexuellen Selbstbestimmungsrechts aus,92 fassen dessen Umfang jedoch zu kurz. Zur aus der menschlichen Autonomie abgeleiteten Möglichkeit, ein selbstbestimmtes Einverständnis zu erteilen, gehört auch, diese in ihrer Wirkung durch Modalitäten zu begrenzen.93 Wenngleich die Motivation des Sexualeigners, die Zustimmung von einer Kondombenutzung abhängig zu machen, wohl primär im Bereich der Risikoverminderung94 liegen wird, darf dieser Umstand nicht dazu verleiten, mit Verweis auf den Kernbereich der sexuellen Selbstbestimmung eine Tangierung desselben abzulehnen.95 Denn wenn die Zustimmung zu einer sexuellen Handlung durch Modalitäten beschränkt wird, haben sich diese Motive gleichsam auf Ebene der Willensbildung manifestiert96 und betreffen damit unmittelbar die durch das sexuelle Selbstbestimmungsrecht geschützte Willens entscheidung. Zudem missverstehen Denzel/Kramer da Fonseca Calixto97 die Ansicht Hoffmanns, dass es „allzu konstruiert“98 anmute, die sexuelle Handlung in die Komponenten ‚einverständliche Penetration‘ und ‚Abredewidrigkeit der Kondombedingung‘ aufzuspalten. Hoffmann will damit der Argumentation entgegentreten, dass sich der geäußerte Gegenwille lediglich auf eine Modalität und nicht (wie erforderlich) auf eine sexuelle Handlung beziehe und deshalb nicht (strafrechtlich) relevant sei. Er meint damit nicht, dass diese Unterscheidung bei der Beurteilung der Reichweite der erteilten Zustimmung nicht notwendig wäre, sondern nimmt eben diese Unterscheidung vor.99 Dies ist auch unter zutreffendem Verständnis der Reichweite der sexuellen Selbstbestimmung erforderlich.

Unrechtsverstärkend kann hinzukommen – vorausgesetzt, der Vorgang wird überhaupt wahrgenommen, – dass das Opfer Stealthing währenddessen oder im Anschluss an das Geschehen als Verletzung der eigenen körperlichen Autonomie100 und eine erniedrigende Missachtung der sexuellen Vereinbarung101 sowie seiner Vorlieben und Wünsche102 erlebt. Diese „Demütigungs-[…]dimension“103 ist jedoch keine notwendige Bedingung für die Begründung des Unrechts von Stealthing, da es auf die Wahrnehmung der Rechtsverletzung (im Zeitpunkt der Verletzungshandlung) gerade nicht ankommt.104

3. Kommunikationsobliegenheit

Zudem ist für die Begründung der Strafwürdigkeit von Stealthing zu fordern, dass der Sexualeigner die für die Zustimmung zur Penetration essenzielle Bedingung, dass der Sexualpartner ein Kondom verwendet, und deren Bedeutung erkennbar kommuniziert.105 Wurde dieser Wille geäußert, ist es dem Sexualpartner ohne Weiteres zumutbar, sich an diese Bedingung und damit an die Grenzen der Zustimmung zu halten.106 Dies gilt auch dann, wenn der Sexualeigner die Nichteinhaltung der „Kondom-Bedingung“ nicht bemerkt, die Ablehnung diesbezüglich aber im Vorfeld der sexuellen Handlung kommuniziert hat.107

IV. Fazit

Stealthing verletzt das Recht des Sexualeigners auf sexuelle Selbstbestimmung. Setzt sich der Sexualpartner über die für essenziell erklärte und kommunizierte Bedingung der Zustimmung hinweg, indem er die Penetration ohne Kondom durchführt, liegt darin eine Instrumentalisierung und Objektifizierung des Opfers zur Befriedigung eigener Motive, welche als prima facie strafwürdiger Eingriff in das sexuelle Selbstbestimmungsrecht zu bewerten ist. Dies gilt erst recht auch für eine in diesem Zusammenhang durchgeführte Ejakulation in den Körper des Opfers.108

D. Strafbarkeit von Stealthing als Delikt gegen die sexuelle Selbstbestimmung

Aus der Bewertung von Stealthing als allein wegen der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung straf würdiges Verhalten folgt freilich nicht zwingend eine Einstufung als strafbares Unrecht nach geltendem deutschen Recht.109 Hinzukommen muss dafür, dass der Gesetzgeber dieses durch Stealthing verwirklichte Unrecht auch „tatbestandlich vertypt[…]“110 hat. Während in Deutschland bei der Beurteilung der Strafbarkeit von Stealthing auch die Gefährdungsdimension des Unrechts in normativer Gestalt der Körperverletzungsdelikte von Bedeutung ist,111 konzentriert sich die aktuelle rechtswissenschaftliche Diskussion – und auch diese Arbeit – auf den 13. Abschnitt des StGB und den dort zentralen § 177.

I. § 177 Abs. 1 Var. 1 – Sexueller Übergriff

§ 177 pönalisiert in der ersten Variante des Abs. 1 sexuelle Handlung, die gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person an dieser vorgenommen werden. Als tatbestandsrelevante Handlung kommt bei Stealthing die ohne Präservativ durchgeführte vaginale oder anale Penetration in Betracht. Dabei handelt es sich offensichtlich um eine erhebliche sexuelle Handlung112 an einer anderen Person i.S. der §§ 177 Abs. 1 Alt. 1, 184h Nr. 1.113 Von entscheidender Bedeutung für die strafrechtliche Beurteilung ist damit, ob bei Stealthing die entsprechende Tathandlung gegen den erkennbaren Willen des Opfers i.S. des § 177 Abs. 1 erfolgt. Mit diesem Tatbestandsmerkmal verdeutlicht der Gesetzgeber zum einen die entscheidende Bedeutung der Zustimmung des Sexualeigners bei der (moralischen) Bewertung einer sexuellen Handlung, und zum anderen, dass eine strafwürdige Handlung im Regelfall nur vorliegt, sofern der innere Gegenwille nach außen erkennbar (gemacht) wird.114

Zur Veranschaulichung der mit diesem Tatbestandsmerkmal verbundenen und für die Subsumtion von Stealthing relevanten Auslegungsprobleme unterscheidet die folgende Ausführung drei Fallkonstellationen:

A erklärt unmittelbar vor dem Geschlechtsverkehr gegenüber B ausdrücklich, nur bei Benutzung eines Kondoms einverstanden zu sein. B versteht die Äußerung, dringt aber gleichwohl ungeschützt in A ein.

- Fall 1: A bemerkt das Fehlen des Kondoms nicht und beteiligt sich aktiv am Geschlechtsakt, nimmt dabei jedoch irrtümlich an, dass B noch ein Kondom benutzt, was dieser weiß.
- Fall 2: A bemerkt das Fehlen des Kondoms sofort, gibt aber gegenüber B nicht mehr zu erkennen, dass die nun stattfindenden ungeschützten Penetration nicht gewollt ist.
- Fall 3: A bemerkt das Fehlen des Kondoms sofort und ist nunmehr mit der Penetration insgesamt nicht mehr einverstanden und gibt dies gegenüber B ausdrücklich zu erkennen.

a) „Gegen den Willen“

aa) Mehr als ein fehlendes Einverständnis

Für das Verständnis des Tatbestandsmerkmals „gegen den Willen“ ist zunächst festzustellen, dass es nicht bereits bei Fehlen eines wirksamen (tatbestandsausschließenden) Einverständnisses erfüllt ist.115 Eine Handlung, die „ohne“ Zustimmung einer Person erfolgt, findet nicht notwendigerweise „gegen“ deren Willen statt.116 Wäre allein bei fehlendem Einverständnis der objektive Tatbestand erfüllt, entspräche dies auch der Umsetzung einer „[Nur-]Ja-heißt-Ja“-Lösung,117 die vom Gesetzgeber in Abs. 1 offensichtlich nicht beabsichtigt war.118 Stattdessen fordert der Tatbestand, dass die Handlung gegen den (erkennbaren) Willen der anderen Person stattfindet. Dieser Gegenwille muss also zur Begründung der Strafbarkeit gem. § 177 Abs. 1 objektiv vorliegen.

bb) Der Wille des Opfers bei Stealthing

Eine Kernproblematik ist die Auslegung des Gegenwillens. Da das Tatbestandsmerkmal an einen kognitiven Zustand des Opfers anknüpft, bedarf es einer Konkretisierung mit Blick auf die Frage, welche qualitativen Anforderungen der Tatbestand an diesen Willen stellt.

Diese Frage hat bei der Beurteilung von Stealthing aufgrund der ambivalenten Willenslage des Opfers besondere Relevanz: Zwar hat dieses vor dem Geschlechtsakt die Kondombenutzung als notwendige Bedingung kommuniziert und damit gleichsam erklärt, mit Penetrationshandlungen ohne Präservativ allgemein nicht einverstanden zu sein (genereller Gegenwille). Nimmt es nun aber den Umstand, dass die Penetration ungeschützt stattfindet, sensorisch nicht wahr (Fall 1), bildet es wegen dieses Informationsdefizits keinen Gegenwillen im Moment und bzgl. der ungeschützten Penetration (akuter Gegenwille).119 Die wahrgenommene Penetration wird im Moment ihrer Vornahme vom Opfer „sensorisch gewollt […] [und] als selbstbestimmt erlebt.“120 Durch das heimliche Vorgehen des Stealthers entsteht in diesem Fall eine Diskrepanz zwischen dem generellen und dem akuten Willen des Opfers. Wird hingegen der Umstand des fehlenden Präservativs noch während der ungeschützten Penetration wahrgenommen (Fälle 2, 3), bildet das Opfer in diesem Moment einen darauf bezogenen akuten Gegenwillen, der dann im Verhältnis zum generellen Gegenwillen inhaltlich kongruent ist.

cc) Der Gegenwille in der Literatur-Diskussion

Trotz seiner tatbestandlichen Relevanz wird dem kognitiven Element des Gegenwillens isoliert innerhalb der Kommentarliteratur nur oberflächliche Beachtung geschenkt.121 Fasst man die (wenigen) Gedanken dazu zusammen, wird davon gesprochen, dass ein „natürlicher“122 Gegenwille i.S. einer „bewusste[n] Entscheidung“123 im Tatzeitpunkt124 vorliegen müsse. Vertieft behandelt wird das kognitive Element des Gegenwillens dagegen in der Diskussion darüber, wie Täuschungen im Sexualstrafrecht zu bewerten sind. Dort vertritt die wohl herrschende Ansicht, dass es maßgeblich auf den aktuellen Willen des Sexualpartners zum Tatzeitpunkt und nicht auf den hypothetischen Willen bei zutreffender Informationserfassung ankomme, weshalb durch Täuschungen erwirkte sexuelle Handlung nicht unter den Tatbestand des § 177 Abs. 1 subsumierbar seien.125

Wenngleich die darin vorgebrachten Argumente auch teilweise für Stealthing-Fälle fruchtbar gemacht werden (können), sind sexuelle Täuschungen mit Stealthing i.R. der strafrechtlichen Bewertung nicht generell gleichzusetzen.126 Zwar ist beiden Fallgruppen gemein, dass der Sexualeigner im Zeitpunkt der sexuellen Handlung einer (durch den Sexualpartner verursachten) Fehlvorstellung in Bezug auf Tatsachen unterliegt. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass das Stealthing-Opfer in diesem Moment einen generellen Gegenwillen mit Bezug auf eine eigenständige sexuelle Handlung aufweist, wohingegen die lediglich getäuschte Person mit der sexuellen Handlung auch generell einverstanden ist.

dd) Akuter Wille oder Genereller Wille

Ob dieser Unterschied jedoch auch auf Tatbestandsebene Relevanz entfaltet – und damit zugleich die Beurteilung der Frage, ob bei Stealthing ein tatbestandlich hinreichender Gegenwille vorliegt – hängt maßgeblich davon ab, ob als Gegenwille i.S. des § 177 Abs. 1 bereits ein genereller Gegenwille ausreicht oder ob ein akuter Gegenwille vorliegen muss.

Nach einer Literaturansicht erfordere der Tatbestand, dass das Opfer im Tatzeitpunkt einen akuten Gegenwillen gebildet hat, der sich auf die konkret stattfindende Tathandlung bezieht.127 Dies ergebe sich bereits aus dem systematischen Zusammenhang zu § 177 Abs. 2, welcher im Wesentlichen überflüssig wäre, ließe man bei Abs. 1 einen mutmaßlichen oder sachgedanklichen Gegenwillen genügen.128 Außerdem sei ein Rückgriff auf einen generellen Willen nur in Fällen anerkannt, in denen der Rechtsgutsinhaber keinen akuten Willen bilden kann.129 Dies sei jedoch bei Stealthing gerade nicht der Fall, da hier ein „aktueller Wille“130 des Opfers vorliege, welche den generellen (Gegen-)Willen derogiere.131 Bei der Beurteilung des faktischen Willens könne zudem nur maßgeblich sein, „ob das Opfer […] eine […] innere Einstellung zu einem äußeren […] Lebenssachverhalt aufweist.“132 Als Argument wird zudem angeführt, dass die sexuelle Selbstbestimmung nicht vor Enttäuschungen schütze.133 Nach dieser Ansicht läge bei Stealthing somit in Konstellationen, in denen das Opfer das fehlende Kondom nicht bemerkt (Fall 1134 ), bereits kein Gegenwille i.S. des § 177 Abs. 1 vor.

Nach anderer Ansicht bestünde ein tatbestandsmäßiger Gegenwille auch dann, wenn das Opfer im Tatzeitpunkt nur einen generellen Gegenwillen hat.135 Dieser müsse sich jedoch auf eine eigenständige sexuelle Handlung beziehen.136 Bewertet man also die ungeschützten Penetration zutreffend als eine (gegenüber der geschützten) selbstständige sexuelle Handlung, läge nach dieser Ansicht auch bei jenen Stealthing-Fällen ein Gegenwille i.S. des § 177 Abs. 1 vor, in denen das Opfer das Fehlen des Präservativs während der Penetration nicht bemerkt, mit einer ungeschützten Penetration aber generell nicht einverstanden ist (Fall 1).

(1) Argumentative Auseinandersetzung

Den Vertretern der zweitgenannten Ansicht ist gemein, dass sie für ihre Position im Wesentlichen keine Argumente anführen und auch keine Kritik an der Gegenposition stattfindet. Eine vertiefte argumentative Auseinandersetzung ist deshalb geboten.

Für die tatbestandliche Berücksichtigung des generellen Willens spricht zunächst die Reichweite der negativen Ausprägung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung Da dadurch die freie Willensentscheidung geschützt wird, auch bestimmte Arten einer sexuellen Handlung abzulehnen137 und eine strafwürdige Verletzung dieser Entscheidung unabhängig davon vorliegt, ob diese als solche vom Sexualeigner wahrgenommen wird,138 nimmt der Täter bereits dann eine (sexuelle) Objektifizierung des Opfers vor, wenn er dessen generellen Gegenwillen übergeht. Damit ist in solchen Fällen zugleich das ungeeignete Gegenargument entkräftet, die sexuelle Selbstbestimmung schütze nicht vor Enttäuschungen.139 Dies mag zwar in dieser Generalität zutreffen, aber sehr wohl wird der Sexualeigner vor sexueller Objektifizierung geschützt. Das den generellen Willen berücksichtigende Verständnis entspricht außerdem der Grundidee des Gesetzgebers, den „Wille[n] des Opfers […] in das Zentrum der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung“140 zu stellen.141 Auch der Wortlaut („gegen den […] Willen“) kann in diesem Sinne verstanden werden.142 Für eine solche Auslegung spricht zudem folgender Gedanke: Ließe man den generellen Gegenwillen zur Tatbestandserfüllung nicht genügen, würde man damit dem betroffenen Sexualeigner nur dann strafrechtlichen Schutz zugestehen, wenn dieser sich während des Geschlechtsverkehrs ständig über das (Noch-)Vorliegen der Konsens-Bedingung vergewissert.143 Eine solche Selbstschutzobliegenheit ist jedoch vor allem deswegen unverhältnismäßig, weil es auf der anderen Seite dem Stealther ohne weiteres möglich und zumutbar ist, die Grenzen der als solche erkannten und im Vorfeld des Sexualkontakts kommunizierten Konsens-Bedingung einzuhalten.144

Nicht geeignet als Argument für die Berücksichtigung des generellen Willens ist hingegen die pauschale Bemerkung des AG Tiergarten, dass es auch bei § 123 oder § 242 nicht notwendig sei, dass der Rechtsgutsinhaber „das Vorgehen gegen seinen Willen […] während der Tatbegehung bemerkt“145. Ein solcher Verweis geht bereits deswegen fehl, weil die genannten Tatbestände an unterschiedliche Einverständnis-Kategorien anknüpfen, welche ihrerseits tatbestandsspezifisch zu beurteilen sind.146 Aus dem gleichen Grund trägt auch das (Gegen-)Argument nicht, dass der Rückgriff auf einen generellen Willen nur in Fällen anerkannt sei, in denen der Rechtsgutsinhaber keinen akuten Willen bilden kann.147

Gegen die Berücksichtigung des generellen Willens in Abs. 1 spricht auch nicht das systematische Argument, dass § 177 Abs. 2 dann im Wesentlichen überflüssig wäre.148 Zwar ist es zutreffend, dass Abs. 2 solche Sachverhalte abdeckt, in denen das Opfer in seiner Willensbildungs- bzw. Äußerungsmöglichkeit gehindert ist. Die normative Konsequenz ist jedoch, dass dem Opfer in diesen Fällen keine Kommunikationsobliegenheit auferlegt wird.149 Es sind ohne Weiteres Fälle denkbar, in denen das Opfer auch bei Berücksichtigung des generellen Willen diesen nicht äußern kann.150 Auch das Argument, dass der Gesetzgeber bei der Formulierung des Abs. 1 nur sexuelle Handlungen gegen den akuten Willen des Opfers sanktionieren wollte, weil nur solche Beispiele in der Beschlussempfehlung151 aufgeführten wurden, überzeugt nicht, weil der Gesetzgeber auch nicht bedachte Fälle durch eine offenere Tatbestandsformulierung sanktionieren kann.

Mit Blick auf die behandelten Argumente scheint also prima facie nichts gegen die Auslegung i.S. eines generellen Willens zu sprechen.

(2) Relevanz der faktischen Zustimmung

Ein gewichtiges Argument gegen die Berücksichtigung des generellen Willens i.R. von Stealthing ist jedoch der zentrale Gedanke von Franzke 152, welcher die Bedeutung der subjektiven Empfindung des Opfers im Tatzeitpunkt hervorhebt. Es ist nämlich in der Tat begründungsbedürftig, weshalb der Tatbestand („Wille“), wenn überhaupt, auch dann auf einen generellen Willen abstellen soll, wenn das Opfer im Tatzeitpunkt mit Bezug auf die wahrgenommene Handlung eine faktische Zustimmung empfindet.153 Im Kern geht es dabei um die Frage, in welchem rechtlichen Verhältnis diese Zustimmung zu einem vorhandenen generellen Gegenwillen steht.

Franzke führt dazu zunächst an, dass wegen des Posterioritätsprinzips die jüngere Willensbetätigung vorrangig sei.154 Dabei sei es nicht beachtlich, dass der Sexualeigner sich nicht der Reichweite der (empfundenen) Zustimmung bewusst ist, weil es auf den faktischen Willen ankomme, welcher vom ‚wahren Willen‘ abzugrenzen sei.155 Auch der damit verbundene Willensmangel sei unbeachtlich: Zum einen wegen des „verbreiteten Dogma[s], dass Täuschungen bei Einverständnissen regelmäßig nicht schaden“156, zum anderen wegen des Wortlauts des § 177 Abs. 1, weil man bei einer faktischen Zustimmung nicht von einem ‚erkennbaren Gegenwillen‘ sprechen könne, nur weil diese einem Wissensmangel unterliegt.157 Ein solches Verständnis führe zudem zu „unhaltbaren Ergebnissen“158, was auch nicht durch die Geltungsbeschränkung auf rechtsgutsbezogene Irrtümer einzugrenzen sei, da i.R. des sexuellen Selbstbestimmungsrechts keine klare Abgrenzung möglich sei.159 Es liege demnach bei Stealthing ein wirksames Einverständnis vor, weshalb eine Strafbarkeit nach allen Strafnormen des 13. Abschnittes ausscheide.160

Zuzustimmen ist Franzke zunächst mit Blick auf das Posterioritätsprinzip, denn dies entspricht sowohl dem Gedanken der (sexuellen) Autonomie161 als auch der Idee des Gesetzgebers162. Einer näheren Betrachtung bedarf jedoch die Argumentation für die Unwirksamkeit täuschungsbedingter Willensmängel im Sexualstrafrecht. Dabei ist zunächst anzumerken, dass sich ein einfacher Verweis auf ein „verbreitete[s] Dogma“163 nicht zur Begründung einer These eignet. Auch das Wortlautargument von Franzke trägt nicht: Zwar kann man freilich die Willensmangelbehaftetheit einer Zustimmung nicht unter den Begriff Gegenwillen subsumieren, gleichwohl aber einen (neben dieser) bestehenden generellen Gegenwillen. Zudem ist die Argumentation verkürzt, dass es bei einem rein faktischen Willen ohne Verfügungscharakter an einem „plausiblen [Rechts-]Grund“164 für die Begründung der Unwirksamkeit des Einverständnisses fehle. Diese Frage sollte nicht auf Basis einer pauschalen Kategorisierung165 abgetan werden, sondern bedarf einer tatbestandsspezifischen Untersuchung.166

Bei § 177, welcher dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung dient,167 kann eine solche Begründung auf Basis des geschützten Rechts vorgenommen werden. Die Zustimmung entfaltet als Konsequenz aus der sexuellen Autonomie168 nur dann ihre (moralisch) transformative Wirkung, wenn sie sich tatsächlich als autonom darstellt.169 Dies ist jedoch dann nicht der Fall, wenn die Person nicht all diejenigen Informationen richtig erfasst, die „nach ihrem subjektiven Wertekonzept für ihre Entscheidung, […] [zuzustimmen], kausal sind“170, wenn also der irrtumsbehaftete Umstand eine notwendige Bedingung für die Zustimmung ist.171 Dies ist bei solchen Bedingungen grds. anzunehmen, die sich unmittelbar auf die sexuelle Handlung beziehen,172 also unzweifelhaft auch bei der für Stealthing relevanten Kondom-Bedingung. Unterliegt eine Person demnach der Fehlvorstellung, dass der Sexualpartner ein Kondom verwendet, und ist dies aber notwendige Bedingung für die Zustimmung, ist es auf diesem Wege begründbar, auch auf der Ebene des Strafrechts dem faktischen Einverständnis seine Wirksamkeit abzusprechen. Dies freilich unter dem Vorbehalt, dass die notwendige Bedingung als solche gegenüber dem Sexualpartner kommuniziert worden ist und dieser über deren Vorliegen vorsätzlich täuscht.173 Diese Kommunikationsobliegenheit, welche durch den Begriff „erkennbar“ tatbestandlich umgesetzt ist, dient damit zugleich der Eingrenzung strafbarer Fälle, sodass auch keine „unhaltbaren Ergebnisse[…]“174 zu befürchten sind.

ee) Zwischenfazit

Der Tatbestand des § 177 Abs. 1 erfordert zunächst objektiv einen Gegenwillen, welcher mehr ist als ein fehlendes Einverständnis.175 Bei Stealthing besteht, sofern das Opfer das Fehlen des Kondoms nicht bemerkt, im Zeitpunkt der ungeschützten Penetration eine Diskrepanz zwischen einem generellen Gegenwillen einer faktischen Zustimmung. Nach vorzugswürdiger Ansicht erfüllt auch der generelle Gegenwille das Tatbestandsmerkmal. Auch wenn ein gleichzeitig vorliegender akuter Wille tatbestandlich grds. vorrangig zu berücksichtigen ist, kann dieser vor dem Hintergrund des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung aufgrund eines qualifizierten Willensmangels i.R. des § 177 Abs. 1 unwirksam sein.176 In diesem Fall ist dem generellen Gegenwillen Vorrang einzuräumen, welcher bei Stealthing den Tatbestand erfüllt.

b) Erkennbarkeit des Gegenwillens

aa) Grundlegendes

Voraussetzung des Tatbestandes des § 177 Abs. 1 ist neben dem inneren Gegenwillen, dass dieser erkennbar ist.177 Dabei handelt es sich um ein objektives Tatbestandsmerkmal.178 Bei dessen Bestimmung ist nach der h.M. auf die Perspektive eines objektiven Dritten abzustellen,179 für den der Gegenwille eindeutig sein muss.180 Einschränkend fordert ein Teil der Literatur, dass das Opfer den Gegenwillen gegenüber dem Täter (explizit oder konkludent) kommuniziert,181 was dem Gedanken entspricht, dem Sexualeigner eine Kommunikationsobliegenheit182 aufzuerlegen.183

bb) Zeitpunkt der Kommunikationshandlung

Noch nicht geklärt ist damit aber die auch für Stealthing relevante Frage, wann die für die Erkennbarkeit erforderliche Kommunikationshandlung stattfinden muss. Dies wird in der Literatur unterschiedlich beantwortet.

Die engste Ansicht fordert eine Kommunikation des Gegenwillens durch das Opfer im Zeitpunkt der Vornahme der sexuellen Handlung184 und stützt sich dabei auf die Beschlussempfehlung, wonach es dem Opfer zuzumuten sei, dem Gegenwillen „ zum Tatzeitpunkt eindeutig Ausdruck zu verleihen“185. Nach Schumann/Schefer sei ein weiteres Verständnis, das auf ein Gesamtgeschehen abstellt, zudem „systemwidrig“186, weil § 177 Abs. 1 an einzelne sexuelle Handlungen anknüpfe, was sich im Zusammenspiel mit Abs. 2 Nr. 2 zeige, wo jede einzelne sexuelle Handlung konsentiert werden müsse.187 Die Erkennbarkeit setze demnach einen Kommunikationsakt zum Zeitpunkt jeder einzelnen sexuellen Handlung voraus.188 Nach dieser Ansicht wäre bei Stealthing der Gegenwille nur erkennbar, wenn das Opfer das Fehlen des Kondoms während der Penetration bemerkt und seinen Widerspruch nun unmittelbar erneut gegenüber dem Täter kommuniziert (Fall 3).

Dieser Ansicht ist jedoch aus folgenden Gründen zu widersprechen: Zum einen ist die zitierte Formulierung der Beschlussempfehlung189 insofern zu hinterfragen, als sie mit „Tatzeitpunkt“ tatsächlich den Moment des Versuchsbeginns190 meint. Wahrscheinlicher ist, dass mit dem Begriff untechnisch auch der Zeitraum unmittelbar vor dem Sexualkontakt bezeichnet werden sollte. Naheliegend ist auch, dass die Beschlussempfehlung den Begriff aus dem zitierten Reformgutachten von Hörnle 191 entnommen hat, welche jedoch nur klarstellt, dass die jeweils umzusetzende Konsens-Bedingung (also der Gegenwille) im Tatzeitpunkt vorliegen muss,192 nicht jedoch die Kommunikationshandlung. Ein weiteres Verständnis von „Erkennbarkeit“ ist auch mit der Konzeption des Gesetzes vereinbar und nicht „systemwidrig“193. Richtigerweise muss zwar, weil das Gesetz auf einzelne Tathandlungen abstellt, bei jeder dieser Tathandlungen auch der Gegenwille erkennbar sein. Das ist jedoch auch dann (noch) der Fall, wenn das Opfer den Gegenwillen nur im Vorfeld kommuniziert. Ein Verständnis, nach dem das Opfer im Anschluss an jeden Versuchsbeginn seinen Gegenwillen auch dann erneut kommunizieren muss, wenn es das schon drei Minuten194 oder Sekunden zuvor getan hat, widerspricht nicht nur evident dem Willen des Gesetzgebers,195 sondern würde den strafrechtlichen Schutz der sexuellen Selbstbestimmung nach § 177 Abs. 1 geradezu aushöhlen und auf den einzelfallbezogenen Abs. 2 beschränken.

Eine weitere Ansicht nimmt deshalb explizit196 oder implizit197 eine Gesamtbetrachtung des Tatgeschehens vor, mit der logischen Folge, dass der Gegenwille (nur) i.R. des gesamten Tatgeschehens kommuniziert werden muss. Daraus ergibt sich jedoch das Folgeproblem, dass bei einer solchen Gesamtbetrachtung vollkommen offen bleibt, welchen Zeitraum man dem Blick des objektiven Betrachters unterstellen soll.198 Dies wird deutlich, wenn man den oben genannten Grundfall dergestalt abändert, dass A nicht unmittelbar vor dem Geschlechtsverkehr, sondern eine Stunde oder einen Tag vorher gegenüber B ungeschütztem Verkehr widerspricht. In diesen Fällen lässt sich nicht mehr ohne Weiteres sagen, ob es sich noch um eine der Tathandlung „vorausgegangene […] Verhaltensweise“199 handelt, oder um nicht mehr zu berücksichtigende „frühere […] Gespräche“200.

May möchte deshalb dem objektiven Dritten das gesamte Sonderwissen des Täters zurechnen.201 Diese Lösung sei in einem hohen Maße rechtssicher, mit dem Wortlaut des Gesetzes und dem Reformgedanken in Einklang zu bringen202 und räume zudem den kritisierten Widerspruch in Fallkonstellationen aus, in denen der Gegenwille zwar dem Täter bekannt, aber nicht für den objektiven Dritten erkennbar ist.203

Dieser Lösung ist mit dieser Argumentation beizupflichten. Sie führt jedoch nicht in letzter Konsequenz zu der von May erhofften Rechtssicherheit, weil natürlich auch bei Einbeziehung der Vorkenntnisse des Täters eine normative Abgrenzung vorgenommen werden muss: Je größer der einbezogene Zeitraum der objektiven Betrachtung ist, desto mehr tatsächliche Umstände (längerer Zeitablauf,204 anscheinend gegensätzliches Verhalten205 etc.) können dazu führen, dass der (innerlich noch vorhandene) Gegenwille zumindest nicht mehr „eindeutig“206 im Tatzeitpunkt207 erkennbar ist. Eine differenzierte Abstufung im Lichte des Bestimmtheitsgebots208 kann im begrenzten Rahmen dieser Arbeit nicht vorgenommen werden. Es ist jedoch bei Stealthing zumindest anzunehmen, dass aufgrund der regelmäßig großen Signifikanz der Kondombedingung für das Opfer (insbes. wegen der doppelten Schutzfunktion) auch bei länger als einem Tag zurückliegender Kommunikation noch ein entsprechender Wille objektiv erkennbar ist.

cc) Zwischenfazit

Um Stealthing unter § 177 Abs. 1 subsumieren zu können, muss der entgegenstehende Wille auch im Zeitpunkt der Tathandlung erkennbar sein. Dafür ist es erforderlich, dass das Opfer gegenüber dem Täter eindeutig kommuniziert, mit ungeschütztem Geschlechtsverkehr nicht einverstanden zu sein. Dies kann nach der vorzugswürdigen Ansicht auch im Vorfeld des sexuellen Kontakts geschehen. Wie weit der zu betrachtende Zeitraum zu ziehen ist, hängt davon ab, ob man der objektiven Betrachtung nur das unmittelbare Vorgeschehen unterstellt oder auch das Vorwissen des Täters aus früherer Kommunikation mit dem Opfer miteinbezieht, wobei für zweiteres die besseren Argumente sprechen.

c) Ergebnis

Stealthing lässt sich de lege lata unter den objektiven Tatbestand des § 177 Abs. 1 Var. 1 subsumieren. Auf subjektiver Seite wird der erforderliche Vorsatz des Täters in den meisten Fällen ohne Weiteres zu bejahen sein, sofern er die durch das Opfer getätigte Willensäußerung wahrgenommen hat. Denn Stealthing zeichnet sich gerade dadurch aus, dass der Täter bewusst das Kondom entfernt, auch wenn er dabei den Willen des Opfers und damit dessen sexuelle Autonomie missachtet.

II. § 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 1 Var. 1 – Vergewaltigung

1. Vorüberlegungen

Neben der Subsumtion unter § 177 Abs. 1 Var. 1 ist insbesondere von Bedeutung, ob Stealthing i.R. der Strafzumessung als besonders schwerer Fall gem. § 177 Abs. 6 S. 1 eingeordnet werden kann. Dies scheint prima facie zumindest naheliegend zu sein, weil der Täter, der die (ungeschützte) Penetration durchführt, „mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht“209 und damit das Regelbeispiel „Vergewaltigung“ erfüllt. In einem solchen Fall bestimmt sich die Strafandrohung grds. nach dem erhöhten Strafrahmen,210 würde also bei Stealthing vom Grundstrafrahmen des Abs. 1211 auf mind. zwei Jahre Freiheitsstrafe angehoben. Diese indizielle Wirkung des verwirklichten Regelbeispiels kann jedoch entfallen, wenn besondere mildernde Umstände vorliegen, welche ein solches Gewicht haben, dass die Anwendung des höheren Strafrahmens unangemessen erscheint,212 insbesondere weil das Tatbild von den typischen, erfahrungsgemäß vorkommenden und vom Gesetzgeber zugrunde gelegten Fällen in erheblichem Maße abweicht.213 Ob bei Stealthing i.R. einer Gesamtbetrachtung die Indizwirkung des Regelbeispiels entfällt, ist damit im Grundsatz einzelfallbezogen tatrichterlich zu bewerten.

2. Entscheidung des AG Tiergarten / LG Berlin

Mit Stealthing erstmals befasst war das Amtsgericht Tiergarten214 Ende 2018.215 Dabei hat das Gericht, im Ergebnis übereinstimmend zur hier vertretenen Auffassung, Stealthing unter § 177 Abs. 1 subsumiert. Bei der Strafzumessung führt das Gericht zugunsten des Angeklagten mit besonderer Gewichtung an, dass „der Beischlaf als solcher […] einvernehmlich vollzogen wurde, was eine erhebliche Abweichung von den üblicherweise unter § 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 1 zu subsumierenden Sachverhalten“216 darstelle. Zudem sei begünstigend zu berücksichtigen, dass § 177 Abs. 6 nicht zwischen den (unterschiedlich strafbewährten) Grundtatbeständen differenziere, von denen der verwirklichte Abs. 1 als bloßer Vergehenstatbestand „am wenigsten schwerwiegend[…]“217 sei. Unter zusätzlicher Berücksichtigung fallspezifischer Umstände218 sei deswegen nach Gesamtabwägung des Gerichts die Annahme eines besonderes schweren Falls unangemessen und damit unverhältnismäßig.219 Einen minder schweren Fall (Abs. 9) nimmt das Gericht nicht an, wobei auch erschwerend zu berücksichtigen sei, dass der Angeklagte in die Nebenklägerin ejakulierte, und verurteilt den Angeklagten – ausgehend vom Regelstrafrahmen des Abs. 1 – zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, welche es zur Bewährung aussetzt.220 Die gegen das Urteil gerichtete Berufung wurde auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.221 Das LG Berlin folgt in seinen Ausführungen zum besonders schweren Fall im Wesentlichen denen des AG Tiergarten und lehnt diesen ab,222 ebenso wie den minder schweren Fall.223 Im Ergebnis sei nach Gesamtabwägung der Kammer die Mindeststrafe des Regelstrafrahmens von sechs Monaten tat- und schuldangemessen.224

3. Beurteilung

Ob Stealthing einen besonders schweren Fall in Gestalt des Regelbeispiels der Vergewaltigung darstellt, lässt sich schon deswegen nicht generalisiert beantworten, weil die Entscheidung immer als Ergebnis einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung vom Tatgericht getroffen wird. Gleichwohl können die vom AG Tiergarten und LG Berlin herangezogenen Abwägungsfaktoren, welche bei allen Stealthing-Fällen relevant werden, einer kritischen Betrachtung unterzogen werden.

Zunächst ist zu konstatieren, dass i.R. des noch jungen § 177 Abs. 1 mangels empirischer Daten (noch) nicht ohne Weiteres das typische, erfahrungsgemäß vorkommende Tatbild feststellbar ist, von dem der besonders schwere Fall in erheblichem Maße abweichen225 soll. Auch deswegen ist insbesondere zu besorgen, dass RichterInnen ihre Wertungen nicht frei von tradierten Vorstellungen von Sexualität und sexueller Gewalt (insbes. Vergewaltigungsmythen226 ) treffen werden. Dabei hat der Gesetzgeber bewusst auch solche Grundtatbestände vom besonders schweren Fall erfasst, die hinter diesem tradierten Bild zurückbleiben (insbes. Abs. 1 und 2).227 Deshalb ist die argumentative Heranziehung des Umstands, dass Abs. 1 der Grundtatbestand mit dem niedrigsten Strafrahmen ist und keine Nötigung voraussetzt, bereits methodisch ungeeignet, einen besonders schweren Fall abzulehnen.228

Die für die Gerichte täterbegünstigende Wertung, der Beischlaf „als solcher“ 229 sei konsentiert gewesen, muss zudem in ihrer Maßgeblichkeit kritisiert werden. Da damit nicht die Tathandlung selbst gemeint sein kann,230 bezieht sich die Ausführung wohl darauf, dass der sexuelle Übergriff i.R. eines nicht gänzlich aufgezwungenen Sexualkontakts stattgefunden hat. Dieser Umstand ändert jedoch nichts an der Unrechtsbewertung des ungeschützten Geschlechtsverkehrs,231 und erst recht nichts an der Berücksichtigung der Ejakulation in das Opfer.232

Für die Strafzumessung relevant sein könnte dagegen der Umstand, dass das Opfer den Übergriff im Moment der Vornahme nicht bemerkt. Sucht man nach einem Anhaltspunkt dafür, welche Fälle der Gesetzgeber dem besonders schweren Fall zugrunde gelegt hat, fällt bei Betrachtung der Beschlussempfehlung auf, dass die Ausdehnung des Vergewaltigungsbegriffs primär damit begründet wird, dass Opfer einen sexuellen Übergriff in Gestalt eines Beischlafs auch dann als sexualisierte Gewalt empfinden, wenn keine Nötigung stattgefunden hat.233 Versteht man innerhalb dieser Konzeption den Begriff „empfinden“ als kognitive Verarbeitung des als solchen wahrgenommenen und akut ertragenen Übergriffs, ließe sich Stealthing – wenngleich auf instabilem Fundament – als davon erheblich abweichend bewerten.

Es bleibt deswegen abzuwarten, ob zukünftige Stealthing-Fälle von den Gerichten entgegen der bisherigen Rechtsprechung als Vergewaltigung eingestuft werden. Kritik und Zweifel daran, ob die damit verbundene erhebliche sozialethische Stigmatisierung234 als ‚Vergewaltiger‘ (schuld-)angemessen ist, müssten sich dann jedoch an den Gesetzgeber richten.235

[...]


1 Alle §§ ohne Gesetzesangabe sind solche des StGB. 1 Bundesgesetzblatt 2016 Teil I Nr. 52, S. 2460 ff.

2 BT-Drs. 18/9097, S. 21.

3 BT-Drs. 18/9097, S. 22; El-Ghazi, ZIS 2017, 157 (158); Papathanasiou, KriPoZ 2016 (2), 133 (134 f.).

4 § 177 Abs. 1 a.F.: „Wer eine andere Person mit Gewalt (Nr.1), durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (Nr. 2) oder unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist (Nr. 3), nötigt, sexuelle Handlungen […] zu dulden oder […] vorzunehmen, wird […] bestraft.“.

5 Vgl. El-Ghazi, ZIS 2017, 157 (162).

6 Mitsch, KriPoZ 2018, 334 (334 f.).

7 Brodsky, CJGL 2017, 183-210.

8 Brodsky, CJGL 2017, 183 (184) übernimmt den Begriff aus Online-Foren; In den USA wurde der Begriff auch schon in der wissenschaftlichen Diskussion verwandt, jedoch im Kontext bewusster (non-konsensualer) HIV-Übertragung zwischen männlichen Sexualpartnern, vgl. dazu: Klein, HPS 2014, 54 (56 ff.).

9 Brodsky, CJGL 2017, 183 (183): “Nonconsensual condom removal during sexual intercourse ; Mit dem Begriff “Geschlechtsverkehr“ soll im Folgenden sowohl vaginale als auch anale Penetration bezeichnet werden.

10 Wegen der Notwendigkeit eines möglichen Kondomgebrauchs können ‚Stealther‘ nach dieser Definition nur Personen männlichen biologischen Geschlechts sein. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der passive Sexualpartner – und damit nicht notwendig ein Mann – ebenso heimlich das Kondom des Partners entfernen kann. Jedenfalls die dargestellte Begriffsdefinition umfasst solche Fälle jedoch nicht, was wohl daran liegt, dass solche bisher in der öffentlichen Debatte keine Rolle spielen.

11 Von Stealthing betroffen können sowohl Personen weiblichen, männlichen als auch diversen Geschlechts sein. Während die von Brodsky Befragten ausschließlich (cis) Frauen waren (Brodsky, CJGL 2017, 183 (185 [dort Fn. 7]), berichten auch Männer von derartigen Erlebnissen, so z.B. bei Stanic, Heimlich das Kondom abgezogen: Betroffene erzählen von Stealthing.

12 Der Bearbeiter benutzt aus Gründen einfacherer und geschlechtsneutraler Formulierung in dieser Arbeit den Begriff „Opfer“ für von Stealthing betroffene Personen.

13 Brodsky, CJGL 2017, 183 (185).

14 Vgl. Brodsky, CJGL 2017, 183 (185): “common themes”.

15 So z.B. die Befragte von Schaper, Ungewollt Sex ohne Kondom: Ein Stealthing-Opfer berichtet.

16 Brodsky, CJGL 2017, 183 (185 f.); Eine Betroffene schildert ihre Empfindungen auf Reddit: “[I was] just dreading the inevitable doctor's appointments and thinking about taking Plan B“, https://www.reddit.com/r/TwoXChromosomes/comments/anmyog/im_pretty_sure_i_got_stealthed_and_i_feel/ (letzter Abruf am 03.05.2020).

17 So z.B. die Befragten bei Stanic, Heimlich das Kondom abgezogen: Betroffene erzählen von Stealthing.

18 Brodsky, CJGL 2017, 183 (187): Für eine Befragte bestand die Belastung vor allem im Vertrauensbruch („the harm mostly had to do with trust“).

19 Brodsky, CJGL 2017, 183 (186): “clear violation of their bodily autonomy and […] trust […] in their sexual partner”; Bei Stanic, Heimlich das Kondom abgezogen: Betroffene erzählen von Stealthing:´, schildert eine Befragte, sie habe sich „wie der letzte Dreck gefühlt“.

20 Brodsky, CJGL 2017, 183 (186): “demeaning violation of a sexual agreement”, eine Befragte reflektiert: “[What] really freaked me out … was that it was such a blatant violation of what we’d agreed to”; Maullin, Stealthing isn’t a `sex trend´: Die Betroffene reflektiert: “My feelings of violation [were] caused by […] my perpetrator’s abuse of my boundaries […]”.

21 Brodsky, CJGL 2017, 183 (187): “dismissal of their preferences and desires”.

22 Vgl. eine anonyme „Beichte“ eines Stealthers, 19.01.2019, https://www.beichthaus.com/?h=index&c=00041721 (letzter Abruf am 03.05.2020).

23 Brodsky, CJGL 2017, 183 (188): “increased physical pleasure”; Bei Schaper, Ungewollt Sex ohne Kondom: Ein Stealthing-Opfer berichtet, schildert das Opfer, der Stealther habe im Anschluss gesagt: „Mit Kondom fühle ich nicht so viel. Ich wollte dich intensiver spüren.“; Bei Stanic, Heimlich das Kondom abgezogen: Betroffene erzählen von Stealthing, berichtet eine Betroffene von einem Sexualkontakt, bei welchem der Partner äußerte: „Ich mag keine Kondome, da spür ich nichts.“, wobei es sich nach der Beschreibung bei dieser konkreten Begegnung (wohl) nicht um Stealthing i.S. der oben genannten Definition gehandelt hat.

24 So z.B. in dem von Brodsky, CJGL 2017, 183 (184 [dort. Fn. 5], 188 [dort Fn. 17]) zitierten Online-Beitrag: Experience Project, I Remove The Condom Without Them Knowing During "stealth" Sex, 24.07.2012, (nur noch) abrufbar unter: https://perma.cc/453V-PPQJ (archiviert am 19.01.2017, letzter Abruf am 03.05.2020).

25 Vgl. dazu Brodsky, CJGL 2017, 183 (188) sowie deren Wiedergabe des in Fn. 24 zitierten Beitrags (Experience Project).

26 Wenngleich nicht auf eine mögliche Schwangerschaft gerichtet.

27 Brodsky, CJGL 2017, 183 (189) mit Verweis auf einen Beitrag von Mark Bentson, 25.06.2012, (nur noch) abrufbar unter: https://perma.cc/K79M-2FM2 (archiviert am 19.01.2017, letzter Abruf am 03.05.2020), in welchem dieser „Tips“ für Stealthing gegen Männer teilt. Auch in diesem Beitrag (sowie in den Kommentaren darunter) scheint die Motivlage zu dominieren, dass das (männliche) Interesse, den eigenen „Samen“ („sperm“, „seed“) zu verteilen, es rechtfertige, das Vertrauen des Sexualpartners auf die Benutzung eines Kondoms zu ignorieren: „ This implicit trust is by one party. I have not verbally acknowledged that I will use the condom“.

28 Davis, Health Psychology 2019, 997-1000.

29 Davis, Health Psychology 2019, 997 (998).

30 Bonar et al., JIV 2019, S. 1-16.

31 Anzumerken ist hierbei, dass Partizipierende in dem verwendeten Fragebogen nur danach gefragt wurden, wie oft sie das Kondom während des Geschlechtsverkehrs ohne Wissen des Sexualpartners entfernt haben bzw. wie oft sie von einem solchen Verhalten betroffen waren, vgl. Bonar et al., JIV 2019, 1 (5). Demnach kann nicht ausgeschlossen werden, dass darunter auch Fälle sind, in denen der betroffene Sexualpartner mit der Kondomentfernung generell einverstanden war (mit oder ohne Kenntnis des Stealthers) oder zumindest keinen Gegenwillen geäußert hatte.

32 Bonar et al., JIV 2019, 1 (6).

33 Bonar et al., JIV 2019, 1 (7).

34 So kritisch auch Davis selbst: Davis, Health Psychology 2019, 997 (999).

35 Insbes. die Art und Weise der Verbreitung in öffentlichen Medien (bis dahin ohne empirische Evidenz) wird jedoch von Thomson, AHR 64/2019 unter dem Gesichtspunkt von „moral panic“ kritisiert.

36 So aber z.B.: Hoven, Irrungen und Wirrungen des neuen Sexualstrafrechts, Teil 2; Rohde, Stealthing: Vorsicht vor diesem Sex-Trend!; Hoffmann, Bettina: „Stealthing“: Ein verstörender „Sex-Trend“; Demgegenüber spricht Brodsky, CJGL 2017, 183 (184) nur davon, dass Stealthing weit verbreitet und bekannt sei und benutzt das Wort „Trend“ nur in Verbindung mit dem weiteren Feld der „ birth control sabotage“ (a.a.O. [dort Fn. 6]).

37 Ebenso kritisch: Franzke, BRJ 2019, 114 (114 f.); Maullin, Stealthing isn’t a `sex trend´; Sagmeister, juridikum 2017, 296 (296).

38 Franzke, BRJ 2019, 114 (114).

39 Vgl. dazu den Duden-Eintrag zur Bedeutung von „Trend“, https://www.duden.de/rechtschreibung/Trend#bedeutung (letzter Abruf am 03.05.2020). Eine solche Entwicklung der Fallzahlen lässt sich den zitierten Studien nicht entnehmen.

40 Siehe dazu den Verlauf der Google-Suchanfragen zum Begriff „Stealthing“ im Zeitraum seit Januar 2017, abrufbar unter: https://trends.google.de/trends/explore?date=2017-01-01%202020-01-05&q=Stealthing (letzter Abruf am 03.05.2020).

41 Vgl. zum Online-Publikationsdatum: https://ssrn.com/abstract=2954726 (letzter Abruf am 03.05.2020).

42 So z.B.: Günther, Stealthing – Heimlich das Kondom abziehen; Hoffmann, Bettina: „Stealthing“: Ein verstörender „Sex-Trend“; Windmüller, Dieser sogenannte „Sex-Trend“ ist in Wahrheit Missbrauch; Maullin, Stealthing isn’t a `sex trend´.

43 Hörnle, ZStW 2015, 851 (851), welche dort schon selbst wegweisende Überlegungen anstellt; Vgl. auch schon: Hörnle, in: LK-StGBBd. 6, Vor § 174 Rn. 27 ff.

44 Vavra, 3. und 4. Teil.

45 Vgl. Vavra, S. 109-112; Hörnle, ZStW 2015, 851 (854-859).

46 Hörnle, ZStW 2015, 851 (858).

47 Vavra, S. 112 f.; Vgl. zur sexuellen Autonomie im Kontext gesellschaftlicher Strukturen: Holzleithner, in: Regulierungen des Intimen, S. 36 ff.

48 Vavra, S. 113.

49 Hörnle, ZStW 2015, 851 (859 f.); Vavra, S. 115 ff.

50 Hörnle, ZStW 2015, 851 (859).

51 Hörnle, ZStW 2015, 851 (859).

52 Vavra, S. 116.

53 Renzikowski, in: MüKo-StGBIII, Vorb. zu § 174 Rn. 8 mit Verweis auf den kantischen Imperativ.

54 Vavra, S. 117, 147.

55 Vavra, S. 117.

56 Vavra, S. 116 f.

57 Vavra, S. 120.

58 Vavra, S. 122.

59 Vavra, S. 122.

60 Vavra, S. 129 f.

61 Vavra, S. 156; Hörnle, ZStW 2015, 851 (859); Renzikowski, in: MüKo-StGBIII, Vorb. zu § 174 Rn. 8.

62 Eschelbach, in: Matt/Renzikowski, StGB § 177 Rn. 11.

63 Renzikowski, in: MüKo-StGBIII, Vorb. zu § 174 Rn. 8.

64 Vavra, S. 157.

65 Vgl. dazu die amtliche Abschnittsüberschrift: „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“.

66 Vgl. zu der dynamischen Reformgeschichte umfassend: Hörnle, in LK-StGBBd. 6, Vor § 174 Rn. 1-26; Vgl. dazu auch: Kempe, S. 49-61.

67 OLG Hamm, Urt. v. 09.04.2019 – 3 RVs 10/19, juris Rn. 25; AG Tiergarten, Urt. v. 11.12.2018 – (278 Ls) 284 Js 118/18 (14/18), juris Rn. 37; Renzikowski, in: MüKo-StGBIII, Vorb. zu § 174 Rn. 8; Eschelbach, in: Matt/Renzikowski, StGB § 177 Rn. 11 f.; Fischer, StGB § 177 Rn. 2; Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB § 177 Rn. 6; Vavra, S. 161; El-Ghazi, ZIS 2017, 157 (159); Hoven/Weigend, JZ 2017, 182 (184).

68 Vavra, S. 162 f.

69 Vavra, S. 165.

70 Rönnau, in: LK-StGBBd. 2­­, Vor § 32 Rn. 170 mit Bezug auf die Einwilligung.

71 Vavra, S. 165 überträgt dieses Prinzip auf die Zustimmung im Sexualstrafrecht.

72 Vavra, S. 186, 191, welche diese Position überzeugend gegen Kritiker verteidigt (vgl. S. 186-197); So bereits: Hörnle, ZStW 2015, 851 (862).

73 Vavra, S. 201, 275.

74 Vavra, S. 275.

75 Vavra, S. 201 f., 380 f.; Anders: Denzel/Kramer da Fonseca Calixto, KriPoZ 2019, 347 (351).

76 Vavra, S. 229.

77 Vavra, S. 231.

78 Vgl. zu diesem Kriterium: Vavra, S. 229 f.

79 Vavra, ZIS 2018, 611 (616); Vavra, S.248; Vgl. zu Selbstschutzobliegenheiten umfassend: Vavra, S. 228 ff., 236 ff.

80 Herzog, in: FS-Fischer, S. 353.

81 Der Aspekt der Empfängnisverhütung freilich nur bei vaginalem Geschlechtsverkehr zwischen biologisch weiblichen und männlichen Geschlechtspartnern.

82 Wolters/Noltenius, in: SK-StGBIV, § 177 Rn. 8.

83 Schumann/Schefer, in: FS-Kindhäuser, S. 814 weisen zurecht darauf hin, dass insbes. Gesundheitsrisiken entscheidenden Einfluss auf die Willensentscheidung bzgl. des „Ob“ eines Sexualkontakts haben können (a.a.O., S. 815 f.); Herzog, in: FS-Fischer, S. 354 formuliert treffend, dass bei alleiniger Betrachtung des erhöhten Ansteckungs- und Schwangerschaftsrisikos „das Spezifikum der Sexualdelikte, die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung, in den Hintergrund tritt.“; Hoven/Weigend, KriPoZ 2018, 156 (161) sehen beim Verschweigen einer Sexualkrankheit durch den Sexualpartner das Unrecht vorrangig „in der Gefährdung der körperlichen Integrität des Sexualpartners“.

84 Insbes. durch den 17. Abschnitt des StGB; Franzke, BRJ 2019, 114 (120 ff.) sieht nicht nur (selbstverständlich) in der Ansteckung mit STI einen dem Stealther zurechenbaren Körperverletzungserfolg des Opfers, sondern auch bei Schmerzen i.R. einer Schwangerschaft und begründet damit bei entsprechendem Vorsatz eine umfassende (Versuchs-)Strafbarkeit; Ebenso mit Blick auf STI: Herzog, in: FS-Fischer, S. 353.

85 Begriff nach Herzog, in: FS-Fischer, S. 353.

86 Denzel/Kramer da Fonseca Calixto, KriPoZ 2019, 347 (353 f.).

87 Denzel/Kramer da Fonseca Calixto, KriPoZ 2019, 347 (354) mit Verweis auf Hoffmann, NStZ 2019, 16 (17), der jedoch, wie gleich gezeigt wird, missverstanden wird.

88 Hoven, Irrungen und Wirrungen des neuen Sexualstrafrechts, Teil 2.

89 AG Tiergarten, Urt. v. 11.12.2018 – (278 Ls) 284 Js 118/18 (14/18), juris Rn. 37; Brodsky, CJGL 2017, 183 (190 f.); Darauf bezugnehmend: Vavra, S. 331 f.; Schumann/Schefer, in: FS-Kindhäuser, S. 815 f.

90 Vavra, S. 332 folgt damit der Argumentation von Brodsky, CJGL 2017, 183 (190 f.); Ebenso: Schumann/Schefer, in: FS-Kindhäuser, S. 815 f.; Sagmeister, juridikum 2017, 296 (298 f.).

91 AG Tiergarten, Urt. v. 11.12.2018 – (278 Ls) 284 Js 118/18 (14/18), juris Rn. 37.

92 Denzel/Kramer da Fonseca Calixto, KriPoZ 2019, 347 (352).

93 Vavra, S. 165 mit Verweis auf Rönnau, in: LK-StGBBd. 2­­, Vor § 32 Rn. 170.

94 STI- und ggf. Schwangerschaftsrisiko.

95 So aber: Denzel/Kramer da Fonseca Calixto, KriPoZ 2019, 347 (353).

96 Schumann/Schefer, in: FS-Kindhäuser, S. 815 f.

97 Denzel/Kramer da Fonseca Calixto, KriPoZ 2019, 347 (354).

98 Hoffmann, NStZ 2019, 16 (17).

99 Hoffmann, NStZ 2019, 16 (17): “Die tatbestandsmäßige sexuelle Handlung ist der Geschlechtsverkehr ohne Kondom. […] Wer den Schutz durch ein Präservativ für unverzichtbar erklärt, macht seine Forderung zum integralen Element der nur so […] gebilligten Sexualbeziehung.“.

100 Brodsky, CJGL 2017, 183 (186): “clear violation of their bodily autonomy and […] trust […] in their sexual partner”.

101 Brodsky, CJGL 2017, 183 (186): “demeaning violation of a sexual agreement”.

102 Brodsky, CJGL 2017, 183 (187): “dismissal of their preferences and desires”.

103 Herzog, in: FS-Fischer, S. 353.

104 Deshalb ist es für die Begründung des strafwürdigen Unrechts von Stealthing nicht erforderlich, umständlich einen Fall zu konstruieren, in dem die Kondombenutzung für das Opfer über den Risiko-Schutzzweck hinaus eine „mentale […] Barriere vor zu enger Intimität“ bildet, so aber Herzog, in: FS-Fischer, S. 353 f., der jedoch im Ergebnis zutreffend Strafwürdigkeit annimmt. Gleichwohl eignet sich diese Herausarbeitung dazu, geschützten und ungeschützten Geschlechtsverkehr im Bezug zum Sexuellen unterschiedlich zu bewerten, so auch: Schumann/Schefer, in: FS-Kindhäuser, S. 816.

105 Vavra, S. 334 f.

106 Vavra, S. 335.

107 Vavra, S. 335; Die Frage, wie weit dieser „frühere“ (a.a.O.) Zeitraum zu fassen ist, wird noch problematisiert.

108 So auch: AG Tiergarten, Urt. v. 11.12.2018 – (278 Ls) 284 Js 118/18 (14/18), juris Rn. 37.

109 Herzog, in: FS-Fischer, S. 355.

110 Schumann/Schefer, in: FS-Kindhäuser, S. 817.

111 Vgl. Franzke, BRJ 2019, 114 (120 ff.); Herzog, in: FS-Fischer, S. 353.

112 Vgl. zu dem Begriff: Hörnle, in: MüKo-StGBIII, StGB § 184h Rn. 9 ff., 18 ff.

113 Das ist insoweit unstreitig – davon zu trennen ist die (umstrittene) Frage, welche Wirkung die Bedingung des Einverständnisses/Gegenwillens hat.

114 BT-Drs. 18/9097, S. 23: „[…] [E]s ist dem Opfer zuzumuten, dem entgegenstehenden Willen […] eindeutig Ausdruck zu verleihen.“.

115 El-Ghazi, ZIS 2017, 157 (162): „Das Merkmal ‚gegen den Willen‘ ist […] mehr als das bloße Fehlen eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses“.

116 El-Ghazi, ZIS 2017, 157 (162); Zustimmend: May, JR 2019, 130 (133).

117 El-Ghazi, ZIS 2017, 157 (162).

118 BT-Drs. 18/9097, S. 21, 22; Vgl. demgegenüber die Ausführungen zu Abs. 2 Nr. 2 (a.a.O. S. 24 f.).

119 Vgl. die Darstellung von El-Ghazi, SJZ 2019, 673 (676), der von „listige[m] Vorgehen“ des Stealthers spricht, weshalb es diesem möglich sei, auf Zwang zu verzichten.

120 Denzel/Kramer da Fonseca Calixto, KriPoZ 2019, 347 (351) mit Bezug auf Täuschungsfälle.

121 Vgl.: Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB § 177 Rn. 19; Heger, in: Lackner/Kühl, StGB § 177 Rn. 5; Wolters, in: SSW-StGB, § 177 Rn. 11-13; Ziegler, in: BeckOK-StGB, § 177 Rn. 9-10.

122 Eschelbach, in Matt/Renzikowski, StGB § 177 Rn. 26; Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB § 177 Rn. 19 f.

123 Fischer, § 177 Rn. 10.

124 Insoweit auch das Koinzidenzprinzip beachtend: Ziegler, in: BeckOK-StGB, § 177 Rn. 9; Eschelbach, in Matt/Renzikowski, StGB § 177 Rn. 26: „in der konkreten Situation“.

125 Denzel/Kramer da Fonseca Calixto, KriPoZ 2019, 347 (351); El-Ghazi, ZIS 2017, 157 (163 f.); Hoven/Weigend, KriPoZ 2018, 156 (158); Fischer, § 177 Rn. 9b; Den Täuschungsgedanken aufgreifend: AG Tiergarten, Urt. v. 11.12.2018 – (278 Ls) 284 Js 118/18 (14/18), juris Rn. 36; A.A.: Vavra, ZIS 2018, 611 (618), jedoch nur bei notwendigen Bedingungen, die erkennbar kommuniziert wurden (a.a.O., 616).

126 So aber: Hoven, Irrungen und Wirrungen des Sexualstrafrechts, Teil 2.

127 El-Ghazi, ZIS 2017, 157 (163 f.); Franzke, BRJ 2019, 114 (117 ff.); Tendenziell: Mitsch, KriPoZ 2018, 334 (335); Mit Bezug auf Täuschungen: Denzel/Kramer da Fonseca Calixto, KriPoZ 2019, 347 (349, 353); Hoven/Weigend, KriPoZ 2018, 156 (158).

128 El-Ghazi, ZIS 2017, 157 (163); Denzel/Kramer da Fonseca Calixto, KriPoZ 2019, 347 (351); Franzke, BRJ 2019, 114 (119); Hoven, NK 2018, 392 (402 f.).

129 Franzke, BRJ 2019, 114 (117).

130 Franzke, BRJ 2019, 114 (118), welcher den akuten Willen meint.

131 Franzke, BRJ 2019, 114 (117 f.).

132 Franzke, BRJ 2019, 114 (118).

133 Jeweils mit Bezug auf Täuschungen: Hoven/Weigend, KriPoZ 2018, 156 (160); Denzel/Kramer da Fonseca Calixto, KriPoZ 2019, 347 (351).

134 Wird der Vorgang hingegen bemerkt (Fälle 2, 3), wäre hiernach das Tatbestandsmerkmal erfüllt.

135 Schumann/Schefer, in: FS-Kindhäuser, S. 819; AG Tiergarten, Urt. v. 11.12.2018 – (278 Ls) 284 Js 118/18 (14/18), juris Rn. 35, 39 mit diesbezüglich zustimmender Anmerkung Linoh, jurisPR-StrafR 11/2019 Anm. 5; Die Urteilsgründe des AG Tiergarten sind inzwischen Rechtskräftig, vgl. LG Berlin, Urt. v. 27.11.2019 – (570) 284 Js 118/18 Ls Ns (50/19); Nicht ausdrücklich, aber als logische Konsequenz: Vavra, S. 424; Herzog, in: FS-Fischer, S. 357; Hoffmann, NStZ 2019, 16 (17); Uneindeutig, ob auf kognitive Seite oder Erkennbarkeit des Gegenwillens bezogen: Wolters, in: SSW-StGB, § 177 Rn. 12 f.

136 Hoffmann, NStZ 2019, 16 (17); Das wird bei Stealthing generell unterschiedlich bewertet: Eine eigenständige (tatbestandsmäßige) sexuelle Handlung nehmen an: Herzog, in: FS-Fischer, S. 356; Hoffmann, NStZ 2019, 16 (17); Schumann/Schefer, in: FS-Kindhäuser, S. 815 f.; A.A.: Fischer, § 177 Rn. 9b; Heger, in: Lackner/Kühl, StGB § 177 Rn. 5; Denzel/Kramer da Fonseca Calixto, KriPoZ 2019, 347 (354).

137 OLG Hamm, Urt. v. 09.04.2019 – 3 RVs 10/19, juris Rn. 25; AG Tiergarten, Urt. v. 11.12.2018 – (278 Ls) 284 Js 118/18 (14/18), juris Rn. 37; Renzikowski, in: MüKo-StGBIII, Vorb. zu § 174 Rn. 8; Eschelbach, in: Matt/Renzikowski, StGB § 177 Rn. 11 f.; Fischer, StGB § 177 Rn. 2; Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB § 177 Rn. 6; Vavra, S. 161; El-Ghazi, ZIS 2017, 157 (159); Hoven/Weigend, JZ 2017, 182 (184).

138 Vavra, S. 201 f., 380 f.

139 Jeweils mit Bezug auf sexuelle Täuschungen: Hoven/Weigend, KriPoZ 2018, 156 (160); Denzel/Kramer da Fonseca Calixto, KriPoZ 2019, 347 (351).

140 BT-Drs. 18/9097, S. 21.

141 Deutlich wird dieser Gedanke auch in dem Satz: „Im Grundsatz muss ein ‚Nein‘ des Opfers ausreichen und akzeptiert werden.“ (BT-Drs. 18/9097, S. 21).

142 Vgl. dazu den Duden-Eintrag zu „Wille“: https://www.duden.de/rechtschreibung/Wille#bedeutung (letzter Abruf am 03.05.2020), wonach eine Bedeutung des Begriffes ist, „sich bewusst für oder gegen etwas zu entscheiden“. Eine solche Entscheidung kann nach diesem Begriffsverständnis auch generell erfolgen.

143 So auch anschaulich: Herzog, in: FS-Fischer, S. 356 f.

144 Insoweit den Gedanken aufgreifend von Vavra, S. 335.

145 AG Tiergarten, Urt. v. 11.12.2018 – (278 Ls) 284 Js 118/18 (14/18), juris Rn. 35.

146 Vgl. dazu: Franzke, BRJ 2019, 114 (116) m.w.N.; Hier wäre vonseiten des Gerichtes eine eigenständige Begründung wünschenswert gewesen, welche jedoch aufgr. der Berufungsbeschränkung auf die Rechtsfolgen auch vom Berufungsgericht nicht ergänzt wurde, vgl. LG Berlin, Urt. v. 27.11.2019 – (570) 284 Js 118/18 Ls Ns (50/19).

147 Vgl. Franzke, BRJ 2019, 114 (117).

148 Vgl. El-Ghazi, ZIS 2017, 157 (163); Denzel/Kramer da Fonseca Calixto, KriPoZ 2019, 347 (351); Franzke, BRJ 2019, 114 (119); Mit Bezug auf Täuschungen: Hoven, NK 2018, 392 (402 f.).

149 Hörnle, NStZ 2017, 13 (16); Vavra, S. 428; Abs. 2 soll also in erster Linie über das Erkennbarkeitserfordernis hinweghelfen. So eindeutig ist auch die Beschlussempfehlung, wonach Abs. 2 einschlägig sei, soweit dem Opfer aufgr. bestimmter Umstände die Äußerung des Gegenwillens nicht zumutbar oder möglich ist, vgl. BT-Drs. 18/9097, S. 23.

150 In Fällen wie Schlaf, Vollnarkose, KO-Tropfen, schwere geistige Behinderung etc. (nach Hörnle, NStZ 2017, 13 16) liegt offensichtlich auch kein erkennbarer genereller Gegenwille vor.

151 BT-Drs. 18/9097, S. 23: Ausdrückliche Erklärung, Weinen, Abwehren im Tatzeitpunkt.

152 Franzke, BRJ 2019, 114 (117 ff.).

153 Franzke, BRJ 2019, 114 (118 f.) beschreibt diesen Umstand wie folgt: „Weil dem Opfer bestimmte Umstände der sexuellen Handlungen verborgen bleiben, hat es im Moment des Stealthings den faktischen Willen, dass der Täter mit der Penetration fortfahren möge.“.

154 Franzke, BRJ 2019, 114 (118).

155 Franzke, BRJ 2019, 114 (118).

156 Franzke, BRJ 2019, 114 (119).

157 Franzke, BRJ 2019, 114 (119).

158 Franzke, BRJ 2019, 114 (119).

159 Franzke, BRJ 2019, 114 (120).

160 Franzke, BRJ 2019, 114 (120), freilich nur mit Bezug auf solche Stealthing-Fälle, bei denen das Opfer auch noch während der ungeschützten Penetration eine innere Zustimmung empfindet.

161 Es versteht sich von selbst, dass eine Person sich nicht an einer eigenen früheren Entscheidung festhalten lassen muss.

162 BT-Drs. 18/9097, S. 23: „Geschützt ist die Freiheit des Opfers, jederzeit seinen Willen zu ändern, unabhängig von einer zuvor erteilten Zustimmung.“.

163 Franzke, BRJ 2019, 114 (119).

164 Franzke, BRJ 2019, 114 (119).

165 Vgl. Franzke, BRJ 2019, 114 (116).

166 Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine geäußerte Ablehnung durch anschließendes Verhalten aufgehoben werden kann, wird im Moment z.B. i.R. des § 177 Abs. 1 Var. 2 kontrovers diskutiert, vgl. dazu: Hörnle, NStZ 2019, 439 ff.; Fischer, NStZ 2019, 580 ff.; Schönauer, JR 2020, 30 ff.

167 Vgl. BT-Drs. 18/9097, S. 21.

168 Vavra, S. 124.

169 Vavra, S. 124 f.

170 Vavra, S. 126.

171 Vavra, S. 369; Vavra, ZIS 2018, 611 (613).

172 Vavra, S. 371.

173 Vgl. Vavra, S. 383 f.

174 Franzke, BRJ 2019, 114 (119).

175 Vgl. El-Ghazi, ZIS 2017, 157 (162).

176 Vgl. dazu: Vavra, S. 315 f.

177 Der entgegenstehende (innere) Wille allein ist damit nur eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung für die Verwirklichung des Abs. 1, vgl. El-Ghazi, ZIS 2017, 157 (162).

178 Dazu eingehend: El-Ghazi, ZIS 2017, 157 (165 f.).

179 Insoweit mit der Beschlussempfehlung (BT-Drs. 18/9097, S. 22) übereinstimmend: BGH, Beschluss vom 21.11.2018 – 1 StR 290/18 = NStZ 2019, 717 (718); Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB § 177 Rn. 19; Eschelbach, in: Matt/Renzikowski, StGB § 177 Rn. 26; Fischer, § 177 Rn. 11; Heger, in: Lackner/Kühl, StGB § 177 Rn. 5; Ziegler, in: BeckOK-StGB, § 177 Rn. 9; El-Ghazi, ZIS 2017, 157 (166); Papathanasiou, KriPoZ 2016, 133 (135); Kempe, S. 272; Eisele, RPsych 2017, 7 (12 f.); Zu den sich aus dieser Objektifizierung ergebenden Wertungswidersprüchen: Hoven/Weigend, JZ 2017, 182 (186 f.); Mitsch, KriPoZ 2018, 334 (335); May, JR 2019, 130 (137) möchte deshalb dem objektiven Dritten das Vorwissen des Täters zurechnen.

180 Hörnle, NStZ 2017, 13 (15); El-Ghazi, ZIS 2017, 157 (166); May, JR 2019, 130 (134); Fischer, § 177 Rn. 13; Nach der Beschlussempfehlung sei es dem Opfer zuzumuten, dem Gegenwillen „ eindeutig Ausdruck zu verleihen“ (BT-Drs. 18/9097, S. 23).

181 Bisher unwidersprochen; Grundlegend: Hörnle, NStZ 2017, 13 (15); Vavra, S. 416 ff.; Ebenso: Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB § 177 Rn. 19; Eschelbach, in: Matt/Renzikowski, StGB § 177 Rn. 26; Fischer, § 177 Rn. 11; Ob der BGH (Beschluss vom 21.11.2018 – 1 StR 290/18 = NStZ 2019, 717 [718, Rn. 18]) sich dieser Auffassung angeschlossen hat, oder nur die Beschlussempfehlung wiedergibt, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit bestimmen.

182 Vgl. dazu eingehend: Vavra, S. 127 ff, 228 ff., 382 ff.

183 Diesen Gedanken scheint auch die Beschlussempfehlung aufzugreifen, wonach der Gegenwille erkennbar sei, wenn ihn das Opfer „entweder ausdrücklich (verbal) erklärt oder konkludent (zum Beispiel durch Weinen oder Abwehren […]) zum Ausdruck bringt“ (BT-Drs. 18/9097, S. 22 f.), was diesem auch „zuzumuten“ sei (a.a.O. S. 23).

184 Schumann/Schefer, in: FS-Kindhäuser, S. 820 ff.; Nicht explizit, aber indirekt: Hoven/Weigend, JZ 2017, 182 (186 [dort] Fn. 45); Ebenfalls nicht explizit: Fischer, § 177 Rn. 11 f.

185 BT-Drs. 18/9097, S. 23 (Hervorhebung nicht im Original).

186 Schumann/Schefer, in: FS-Kindhäuser, S. 820.

187 Schumann/Schefer, in: FS-Kindhäuser, S. 820.

188 Schumann/Schefer, in: FS-Kindhäuser, S. 821 mit unrichtiger Zitierung von Hörnle, NStZ 2017, 13 (15), welche selbst ausdrücklich eine Gesamtbetrachtung anstrengt: „Anzuwenden ist § 177 Abs. 1, wenn das Gesamtverhalten eindeutig und konsistent Ablehnung signalisiert.“.

189 BT-Drs. 18/9097, S. 23: „Es ist dem Opfer zuzumuten, dem Gegenwillen zum Tatzeitpunkt eindeutig Ausdruck zu verleihen“ (Hervorhebung nicht im Original).

190 § 8 S. 1, § 22.

191 Hörnle, Menschenrechtliche Verpflichtungen aus der Istanbul-Konvention.

192 Hörnle, Menschenrechtliche Verpflichtungen aus der Istanbul-Konvention, S. 13.

193 Schumann/Schefer, in: FS-Kindhäuser, S. 820.

194 Beispiel nach May, JR 2019, 130 (136).

195 Dieser wollte den (Gegen-)Willen gerade „ins Zentrum der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung“ stellen (BT-Drs. 18/9097, S. 21); So argumentiert auch May, JR 2019, 130 (136); Die Absurdität des engen Verständnisses bringen Hoven/Weigend, JZ 2017, 182 (186, [dort] Fn. 45) auf den Punkt: „Wenn sich der Täter über den ihm bekannten Willen […] hinwegsetzt, kann […] seine Strafbarkeit nicht davon abhängen, dass das Opfer ein zuvor mehrfach geäußertes ‚Nein‘ bei jedem weiteren Versuch des Täters wiederholt.“.

196 El-Ghazi, jurisPR-StrafR 18/2019 Anm. 2: „[D]er Kenntnishorizont des objektiven Betrachters muss auf das objektive Geschehen (Vorgeschichte, Hauptgeschehen) beschränkt werden.“; Ziegler, in: BeckOK-StGB, § 177 Rn. 9; Dagegen möchte Wolters, in: SSW-StGB, § 177 Rn. 12 f. eine vorherige kommunikative Ablehnung nur dann miteinbeziehen, wenn diese „auf ein konkretes Geschehen gerichtet ist“, wenn z.B. mit dieser die (Zustimmungs-)Grenzen eines einverständlichen Sexualkontakts erkennbar gemacht wurden; Der BGH (Beschluss vom 21.11.2018 – 1 StR 290/18 = NStZ 2019, 717 [718, Rn. 19]) betrachtet ausdrücklich die „Gesamtumstände“, jedoch i.R. der zweiten Variante des Abs. 1.

197 Vavra, S. 423 f.; Heger, in: Lackner/Kühl, StGB § 177 Rn. 5; Hörnle, NStZ 2017, 13 (15); Hoffmann, NStZ 2019, 16 (17); Herzog, in: FS-Fischer, S. 357; Lederer, AnwBl 2017, 514 (516).

198 May, JR 2019, 130 (136 f.).

199 Ziegler, in: BeckOK-StGB, § 177 Rn. 9.

200 Hoven/Weigend, JZ 2017, 182 (186).

201 May, JR 2019, 130 (137).

202 May, JR 2019, 130 (137).

203 May, JR 2019, 130 (140).

204 Auf diesen Faktor weist auch May, JR 2019, 130 (137) selbst hin, jedoch ohne dabei die damit verbundenen Probleme zu vertiefen.

205 Insbes. eigenes Aktivwerden des Opfers, vgl. dazu May, JR 2019, 130 (137 f.); Vgl. zur kontroversen Debatte zu § 177 Abs. 1 Var. 2: Hörnle, NStZ 2019, 439 ff.; Fischer, NStZ 2019, 580 ff.; Schönauer, JR 2020, 30 ff.

206 BT-Drs. 18/9097, S. 23.

207 El-Ghazi, jurisPR-StrafR 18/2019 Anm. 2.

208 Art. 103 Abs. 2 GG.

209 § 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 1.

210 Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 46 Rn. 19.

211 Sechs Monate bis fünf Jahre.

212 BGH, Urt. v. 31.03.2004 – 2 StR 482/03 = NJW 2004, 2394 (2395); BGH, Beschluss vom 02.02.1999 – 4 StR 626-98 = NStZ 1999, 244 (245); Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 46 Rn. 19.

213 BGH, Beschluss vom 20.04.1989 – 4 StR 161/89 = StV 1989, 432 (433); BGH, Urt. v. 30.06.1981 – 1 StR 266/81 = NStZ 1981, 391; BGH, Urt. v. 28.02.1979 – 3 StR 24/79 = BGHSt 28, 318 = NJW 1979, 1666; Bußmann, in: Matt/Renzikowski, StGB § 46 Rn. 6.

214 AG Tiergarten, Urt. v. 11.12.2018 – (278 Ls) 284 Js 118/18 (14/18).

215 Nach Überzeugung des Gerichts kam es zwischen dem angeklagten Bundespolizisten und der 20-jährigen Nebenklägerin, nachdem sie sich über eine Dating-Plattform verabredet hatten, zu einvernehmlichem geschützten Geschlechtsverkehr, wobei die Nebenklägerin in Anbahnung des Sexualkontakts mehrfach und nachdrücklich äußerte, auf keinen Fall Geschlechtsverkehr ohne Kondom haben zu wollen. Im Anschluss an einen Stellungswechsel entfernte der Angeklagte das Präservativ und gelangte infolge der in dieser Form weitergeführter Penetration in der Nebenklägerin zum Samenerguss. Beides bemerkte diese erst, nachdem sich der Angeklagte aus ihr zurückgezogen hatte.

216 AG Tiergarten, a.a.O., juris Rn. 41.

217 AG Tiergarten, a.a.O., juris Rn. 41.

218 Zugunsten des Angeklagten: Entschuldigung bei der Nebenklägerin kurz nach der Tat, laufendes Disziplinarverfahren, Sachverhalt teilweise eingeräumt und eingesehen, sich nicht korrekt verhalten zu haben (AG Tiergarten, a.a.O., juris Rn. 41); Zulasten des Angeklagten: Erhebliche psychische Folgen der Tat für die Nebenklägerin wie Schlafstörungen, Angst vor STI und Schwangerschaft oder nachhaltige Verhaltensanpassung (AG Tiergarten, a.a.O., juris Rn. 40).

219 AG Tiergarten, a.a.O., juris Rn. 42.

220 AG Tiergarten, a.a.O., juris Rn. 42-46.

221 LG Berlin, Urt. v. 27.11.2019 – (570) 284 Js 118/18 Ls Ns (50/19), juris Rn. 1.

222 LG Berlin, a.a.O., juris Rn. 7.

223 LG Berlin, a.a.O., juris Rn. 8.

224 LG Berlin, a.a.O., juris Rn. 9; Für die Herabsetzung sei ausschlaggebend gewesen, dass der Angeklagte durch die Berufungsbeschränkung der Geschädigten eine erneute Zeugenanhörung erspart hat.

225 BGH, Beschluss vom 20.04.1989 – 4 StR 161/89 = StV 1989, 432 (433); BGH, Urt. v. 30.06.1981 – 1 StR 266/81 = NStZ 1981, 391; BGH, Urt. v. 28.02.1979 – 3 StR 24/79 = BGHSt 28, 318 = NJW 1979, 1666; Bußmann, in: Matt/Renzikowski, StGB § 46 Rn. 6.

226 Vgl. dazu ausführlich: Vavra, S. 80 ff.

227 Vgl. BT-Drs. 18/9097, S. 21: „Der Begriff der Vergewaltigung soll deutlich ausgeweitet werden, indem auch Tathandlungen erfasst werden, die nicht mit einer Nötigung des Opfers einhergehen.“; BT-Drs. 18/9097, S. 28: [Es] wird dem Umstand Rechnung getragen, dass ein sexueller Übergriff, der mit einem Beischlaf […] verbunden ist, vom Opfer als eine Form sexualisierter Gewalt empfunden wird und zwar unabhängig davon, ob ‚Gewalt‘ im strafrechtlichen Sinne ausgeübt wurde.“; Kritisch: Deckers, StV 2017, 410 (411 f.).

228 So aber berücksichtigt vom AG Tiergarten, a.a.O., juris Rn. 41 mit diesbezüglich kritischer Anmerkung Linoh, jurisPR-StrafR 11/2019 Anm. 5; Allgemein kritisch: Bezjak, KJ 2016, 557 (566): „Die Gerichte haben diese neue Wertung des Gesetzgebers zu berücksichtigen, so dass sie das Vorliegen eines besonders schweren Falles nicht einfach verneinen können.“.

229 AG Tiergarten, a.a.O., juris Rn. 41; LG Berlin, a.a.O., juris Rn. 7.

230 Diese halten beide Gerichte gerade für tatbestandsmäßig, weshalb ein solches Verständnis des AGs inkonsistent wäre, vgl. dazu: Linoh, jurisPR-StrafR 11/2019 Anm. 5.

231 Anders anscheinend: Linoh, jurisPR-StrafR 11/2019 Anm. 5; Wolters/Noltenius, in: SK-StGBIV, § 177 Rn. 89 sehen beim Übergang von einvernehmlichem zu (erkennbar) non-konsensualem Geschlechtsverkehr das Regelbeispiel nur erfüllt, wenn der Täter die Fortsetzung des Beischlafs durch qualifizierte Nötigungsmittel erzwingt, was aufgrund der Neufassung des Gesetzes nicht überzeugt.

232 Welche das AG ohne ersichtlichen Grund nur i.R. des minder schweren Falls und nicht bei der Beurteilung des besonders schweren Falls berücksichtigt hat: AG Tiergarten, a.a.O., juris Rn. 43 mit diesbezüglich kritischer Anmerkung Linoh, jurisPR-StrafR 11/2019 Anm. 5.

233 BT-Drs. 18/9097, S. 21, 28.

234 Vgl. zur Kritik: Bezjak, KJ 2016, 557 (566); Verfassungswidrigkeit nimmt an: Löffelmann, StV 2017, 413 (416); Allgemeine Zweifel äußert: Eisele, RPsych 2017, 7 (22); Im Wesentlichen die gesetzgeberische Entscheidung verteidigend, jedoch kritisch hinsichtlich des undifferenzierten Strafrahmens: Hörnle, NStZ 2017, 13 (19 f.); Ebenso kritisch: Lederer, AnwBl 2017, 514 (519).

235 Selbst die im Vorfeld der Reformbestrebungen eingesetzte Reformkommission empfiehlt in ihrem Abschlussbericht, die innerhalb des § 177 zusammengefassten Übergriffs- und Nötigungstatbestände in getrennten Vorschriften zu regeln, um durch einen angepassten Qualifikations-Strafrahmen den unterschiedlichen Unrechtsgehalten der Grundtatbestände Rechnung zu tragen: BMJV, Abschlussbericht, S. 301 f.; Zustimmend: Renzikowski/Schmidt, KriPoZ 2018, 325 (326).

Ende der Leseprobe aus 37 Seiten

Details

Titel
"Stealthing". Strafrechtliche Bewertung in Deutschland nach § 177 Abs. 1 StGB
Untertitel
Reichweite der Zustimmung im Sexualstrafrecht
Hochschule
Universität Leipzig  (Juristenfakultät)
Veranstaltung
Seminar "Geschlecht und Strafrecht"
Note
14 Punkte
Autor
Jahr
2020
Seiten
37
Katalognummer
V922585
ISBN (eBook)
9783346245496
ISBN (Buch)
9783346245502
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Stealthing, Sexualstrafrecht, Strafrecht, Kondom, sexuelle Selbstbestimmung, Selbstbestimmung
Arbeit zitieren
Felix Lingath (Autor:in), 2020, "Stealthing". Strafrechtliche Bewertung in Deutschland nach § 177 Abs. 1 StGB, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/922585

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