Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Definition Naturgefahr, Hazardforschung und Vulnerabilität
3 Erklärung des Pressure and Release Modell
4 Anwendung des Modelles auf den Zyklon Nargis 2008
4.2 Grundursachen
4.3 Lebenssicherungssysteme und Vorgehen der Regierung als Druckfaktoren
4.4 Unsichere Lebensbedingungen in Myanmar
5 Fazit und Ausblick
6 Literaturverzeichnis
Anhang
1 Einleitung
Naturgefahren haben trotz gleicher Stärke unterschiedliche Auswirkungen auf die Bevölkerung eines Landes. Die Stärke eines Sturmes wird meist von Opferzahlen, Anzahl der Vermissten und Verletzten oder der finanzielle Summe der Zerstörung verwunden und an deren Größe die mediale Präsenz bestimmt, so auch beim tropischen Zyklon Nargis 2008 in Myanmar1.
Die Beleuchtung des komplexen Ursachensystems, welches medial meist vernachlässigt wird, soll aus diesem Grund Gegenstand dieser Arbeit sein. Dabei soll die Frage: Welche sozialen, ökonomischen und politischen Ursachen gibt es für die hohe Zahl von Toten und Schäden in Folge des Zyklons Nargis von 2008 im Irrawaddy Delta in Myanmar? beantwortet werden.
Es ist wichtig die Faktoren zu verstehen, welche diese Heterogenität bewirkt, um mit der Erkenntnis Vulnerabilität vorzubeugen. Nicht nur für Myanmar, sondern auch im Hinblick auf den anthropogenen Klimawandel ist es deshalb wichtig, die Ursachen von Naturkatastrophen zu analysieren, wodurch sich eine fachliche Relevanz ergibt.
In dieser Arbeit werden dabei die Grundursachen, Druckfaktoren und unsicheren Lebenssicherungssysteme gemäß der Hazardforschung diskutiert. Die Ursachen und Faktoren der Vulnerabilität werden allgemein beschrieben. Dabei wird das Pressure and Release Modell zur Klassifikation dieser Faktoren auf die Gesellschaft Myanmars, bevor der Zyklon Nargis auf die Küste Myanmars traf, angewandt.
Das Pressure and Release Modell wird in Kapitel drei erklärt. Die Begriffe Vulnerabilität, Naturgefahr und Hazardforschung wurde bereits verwenden, obgleich die genaue Bedeutung noch nicht geklärt worden ist. Aus diesem Grund ist es wichtig, diese zuerst zu definieren.
2 Definition Naturgefahr, Hazardforschung und Vulnerabilität
Naturgefahren meinen „extreme natürliche Ereignisse oder Prozesse“ (übersetzt, Wisner et al., 2004, S.11), welche in der Hazardforschung2 erörtert werden. Dabei betrifft die Hazardforschung in der Mensch-Umwelt-Geographie sowohl physisch-geographische und humangeographische Elemente. Bei der humangeographischen Betrachtung der Thematik werden die Auswirkungen der Gefahr auf die Gesellschaft eher beleuchtet, welches konzeptionell mit der Vulnerabilität umgesetzt wird. (vgl. Pohl, 2001)
Unter Vulnerabilität ist die sozialökonomische Verwundbarkeit zu verstehen. Dabei entspringt der Begriff aus dem lateinischen vulnerare, welches „verwunden“ bedeutet. Ursprünglich beschrieb der Begriff die Anfälligkeit bzw. das Risiko eines römischen Soldaten erneut angegriffen zu werden. (vgl. Dietz, 2006, S.13)
Jedoch wandelte sich die römisch-militaristische Bedeutung der Vulnerabilität zu einem Maß der geographischen Entwicklungs- und Risikoforschung. Dabei ist Vulnerabilität als „die Eigenschaft von Personen oder Gruppen und deren Lebenssituation, welche die Fähigkeiten, Naturgefahren vorherzusehen, mit ihnen umzugehen, dagegen standzuhalten und sich von den Auswirkungen zu regenerieren, beeinflussen“ definiert (übersetzt Wisner et al., 2004, S. 11).
Um diese Lebenssituationen und deren Vernetzung genau identifizieren zu können, wird das Pressure and Release Modell nachfolgend genau erklärt.
3 Erklärung des Pressure and Release Modell
Das Modell (vgl. Anh.1), mit welchem die Zusammenhänge zwischen Naturkatastrophen, natürlichen Extremereignissen und Vulnerabilität ergründet werden, wurde von Ben Wisner et al. (2004) entwickelt Naturkatastrophen („disasters“) setzen sich demnach aus der Naturgefahr („ hazard“) und der sozialen Verwundbarkeit zusammen. Dabei gilt Vulnerabilität als Entwicklung, deren Ursprung die Grundursachen („root causes“) bilden. Die wichtigsten Grundursachen stellen wirtschaftliche und politische Prozesse dar, welche als politische und wirtschaftliche Systeme unter dem Begriff der Ideologie im Pressure and Release Modell zusammengefasst sind. Daraus folgt, dass die Grundursachen eng mit der Funktion und dem Aufbau des Staates gekoppelt sind. Dies betrifft unter anderem die Machtposition von Person bzw. Personengruppen innerhalb eines Staates und der Gesellschaft, deren Verteilung und ihre zeitliche Verschiebung. Die ungleiche Verteilung von Macht, bspw. in Folge einer stark ausgeprägten Kontrollfunktion und derer zentraler Funktion in der Ideologie des Staates, kann als Grundursache verstanden werden. Außerdem komplettiert der begrenzte Zugang zu Ressourcen die Grundursachen. (vgl. Wisner et al., 2004, S.52)
Die Gesamtheit dieser Quellen für Vulnerabilität steht in einer ständigen Wechselwirkung, sodass sie sich gegenseitig verstärken können. Haben Personen oder Personengruppen bspw. nur Zugang zu unsicheren Existenzgrundlagen („livlihoods“), so sind sie nach diesem Modell stärker verwundbar. Des Weiteren können diese Gruppen ihr Vertrauen in ihre Ressilenz gegenüber Vulnerabilität verlieren, sollten sie politischen und wirtschaftlichen Randgruppen („marginal groups“) angehören. (vgl. ebd., S.53)
Die nächste Entwicklungsstufe der Vulnerabilität bilden die Druckfaktoren („dynamic pressures“). Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie die Grundursachen zu unsicheren Verhältnissen („unsafe condition“) wandeln. Eine Facette der Druckfaktoren stellen die Makrokräfte („macro-forcess“) dar, welche gesellschaftliche Prozesse wie Urbanisierung, demographischer Wandel, Bevölkerungswachstum, mit dem damit einhergehenden Bevölkerungsdruck, Gewaltkonflikten und die ökologische Degradation in einem Faktor zusammengefasst (vgl. ebd., S.54f.). Diese Prozesse bedingen einander, wie Urbanisierung und Bevölkerungsdruck, und nehmen in der Analyse von Vulnerabilität unterschiedliche Bedeutung ein. So kann dem Bevölkerungswachstum, weniger Bedeutung zugesprochen werden als dem demographischen Wandel, da sich die Verwundbarkeit in erstgenannten Prozess bei einem Bevölkerungswachstum aus Gründen der Armut erst als Auswirkung von Armut ergibt und keinen eigenständigen Wert hat. Dagegen ist der demographische Wandel durch die Veränderung der Altersstruktur der Gesellschaft von hohem Wert für die Vulnerabilitätsanalyse, da sowohl ältere als auch zu junge Gesellschaften verwundbarer sind. (vgl. ebd., 2004, S.67f.)
Gewaltkonflikte oder gar Kriege besitzen ebenfalls eine essentielle Bedeutung als Druckfaktor, da die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Einflüsse kriegerischer Handlungen auf die Bevölkerung immer zu unsicheren Lebensbedingungen führen und somit der Definition als Druckfaktor genügen.
Die andere Facette bilden Mängel in den Lebenssicherungssystemen („livelihoods systems“). Dazu gehören Mängel an Humankapital, Sozialkapital und Finanzkapital (vgl. Bohle, 2008, S.105).
Dabei setzt sich das Humankapital unter anderem aus den mentalen Fähigkeiten und physischen Fertigkeiten einer Person bzw. einer Personengruppe und deren Wissen zusammen. Somit gehört auch die Bildung zu diesen Druckfaktoren. Des Weiteren gehört auch die Gesundheit zum Humankapital. Das Sozialkapital beschreibt hier soziale Sicherungssysteme und Netzwerke. Zu dem Finanzkapital zählen unter anderem das Einkommen und die Ersparnisse der Personengruppen. (vgl. Gebhardt et al., 2012, S.808)
Weiterhin bilden auch der Mangel an Institutionen („lack of local institutions“), welcher mit einer ungenügenden Vorbereitung („training“) auf die Naturgefahr einhergeht sowie der Mangel an Pressefreiheit („lack of press freedom“), Facetten der Druckfaktoren. Das dritte Level der Vulnerabilität beschreiben die auf den Druckfaktoren aufbauenden, unsicheren Verhältnisse. Diese interagieren mit der Naturgefahr, wodurch sich die Naturkatastrophe als solche bildet. Dabei setzen sich die unsicheren Verhältnisse aus der physischen Umwelt („physical environment“), der lokalen Wirtschaft („local economy“), sozialen Beziehungen („social relations“) und staatliche Maßnahmen („ public actions“) zusammen. Dabei können eine gefährlichere Lage der Häuser der Bewohner sowie deren unsichere Bauweise ebenso wie risikoreiche Lebensbedingungen und Armut oder mangelhafte Katastrophenvorsorge dazu beitragen, dass Naturgefahren die Bevölkerung verwunden. Bei der Analyse der Vulnerabilität kann nicht ein einzelnes Element die Verantwortung für die Verwundbarkeit der Bevölkerung gegeben werden. (Wisner et al., 2004, S.55f.)
Um zu verstehen, wie solch eine Naturkatastrophe entstehen konnte, müssen einerseits die Naturgefahr beschrieben, andererseits vor allem aber die tiefen Strukturen einer Gesellschaft ergründet werden, weshalb nachfolgend das Pressure and Release Modell auf die Gesellschaft von Myanmar und den Zyklon Nargis angewendet wird
4 Anwendung des Modelles auf den Zyklon Nargis 2008
4.1 Naturgefahr Nargis
Am 02. Mai 2008 traf der tropische Zyklon3 Nargis mit einer vergleichbaren Stärke der Stufe 4 auf der Suffir-Simson-Hurrican-Skala (Anh.2) auf die Küste Myanmars. Dabei erreichte der Sturm Windgeschwindigkeiten von über 210 km h-1. Die Verlaufslinie des Sturms (vgl. Anh.3 und 4) lässt erkennen, dass der Landgang im Einzugsgebiet des Irrawaddy River Deltas stattfand. Aufgrund der entgegen dem Uhrzeigersinn verlaufenden Drehrichtung des Sturmes wurde das Meerwasser in das Delta des Irrawaddy-River hineingedrückt. Begünstigt durch die hohen Windgeschwindigkeiten entstand so eine bis zu 5m hohe Sturmflut. Die Auswirkung dieser wird unter 4.4 thematisiert. Insgesamt forderte der Sturm, welcher der erste der jährlichen Saison war, nach offiziellen Schätzungen 138.000 Tote, mit der Naturgefahr des Zyklones Nargis und dessen Stärke allein, ist diese Zahl nicht zu erklären, sodass deren genaue Ursachen über die Grundursachen, Druckfaktoren und unsicheren Lebensbedingungen analysiert werden. (vgl. Fritz et al., 2009, S. 448)
4.2 Grundursachen
Die Ideologie des Staatsaufbaues Myanmars sowie die Machtverhältnisse sind historisch begründet, sodass die Geschichte in der Argumentation berücksichtigt werden muss. Die Strukturen des politischen Systems gehen zurück auf die Unabhängigkeit des damaligen Birmas von der Kolonialmacht England nach dem 2. Weltkrieg. Sowohl im heutigen Myanmar als auch im damaligen Birma ist die ethnische Zusammensetzung von großer Heterogenität geprägt (vgl. Anh. 5, heutige Zusammensetzung). Die Bildung eines Nationalstaates unter Berücksichtigung aller Minderheiten gestaltete sich aufgrund gebildeter Abneigungen (Ressentiments) und unerfüllter Versprechen nach unabhängigen Staaten als schwierig, gelang in Teilen jedoch mit dem Abkommen von Panglong4. Nach der Ermordung des Anführers der nationalen Bewegung Aung San, destabilisierte sich die politische Situation in einem kämpferischen Konflikt fast aller Minderheiten gegen die birmanische Regierung um die politische Macht. (vgl. Bünte, 2007a, S.34)
Nachdem 1962 das Militär die Regierung übernahm, um die nationale Einheit zu erhalten, wandelte sich das Feindesbild im Freiheitskampf der Ethnien zu den Generälen und später der Militärjunta um. Der Einheitsgedanke führte nicht wie erhofft zu einer Befriedung der Auseinandersetzungen, sondern verstärke die Ressentiments der einzelnen ethnischen Minderheiten zueinander. Dennoch gelang es der Militärjunta durch informelle Waffenstillstandsabkommen mit 17 ethnischen Gruppen die kämpferischen Auseinandersetzungen zu reduzieren, sodass sich das Militärregime, welches sich 1997 den Namen „Staatsrat für Frieden und Entwicklung“ gab, bis über das Jahr 2008 in Person von General Than Shwe an der Macht hielt. In den Waffenstillstandsabkommen wurde die Verfügung über die Ressourcen geklärt, welche von beiden gefördert werden konnten. (vgl. Bünte, 2007b, S.3)
Dass dies für beide Seiten von Wichtigkeit geprägt war, wird ersichtlich, weil Myanmar reich an natürlichen Bodenschätzen wie Zink, Silber, Kohle. Eisen und Gold ist (vgl. Anh. 6). Ebenfalls lassen sich wertvolle Mineralien wie Erdgas und -öl finden, wobei sich die Energiemineralien eher in den südlichen Küstengebieten und die Minen im gebirgigen Norden befinden. (vgl. Thein, 2004, S.38)
Somit verfügt das Militär neben der politischen Macht auch Verfügungsrechte für die Ausbeutung der Ressourcen, sodass sich ein starker Machtüberhang des Militärs ergibt, welcher sich in der Streitkraft mit über 500.000 Soldaten niederschlägt (vgl. Bünte, 2008, S.3). Die Vorgehensweise des Militärs gegen die Bevölkerung, um die Macht zu legitimieren und zu stärken, wird in Kapitel 4.3 diskutiert.
Die Macht des Militärs wird durch die Ideologie des Wirtschaftssystems weiter bestärkt. Unmittelbar an die Machtübernahme seitens des Militärs anschließend, wurde im April 1962 „the Burmese Way to Socialism“ postuliert. Dieses Dokument beinhaltete Richtlinien, auf welche Art und Weise die Regierung Einfluss auf die Wirtschaft nehmen sollte. So wurden unter anderem Banken, Schulen, Krankenhäuser und sogar ganze Wirtschaftszweige, wie die Fischerei oder die Forstwirtschaft, verstaatlicht. Die Landwirtschaft blieb von dieser Verstaatlichungswelle unberührt. Dennoch wurden militärnahe Landwirte als Kontrolleure eingesetzt, welche sicherstellen sollten, dass die vom Staat festgelegten Preise eingehalten wurden. (vgl. Thein, 2004, S.52)
In Folge der Verstaatlichungen, des Missmanagements und einer unfähigen Wirtschaftspolitik, welche sich durch eine entschiedene Abschottung des Landes charakterisiert, verschlechterte sich die wirtschaftliche Situation Myanmars drastisch, sodass Exporte zurückgingen und der Schwarzmarkt florierte. Erst mit einer Liberalisierungswelle Anfang der 1990er Jahre konnte sich die wirtschaftliche Situation, durch eine Fokussierung auf die Ertragssteigerung der Landwirtschaft leicht verbessern, jedoch behielt das Militär die Kontrolle über weite Teile der Wirtschaft, sodass eine stärkere Entwicklung ausblieb. (vgl. Thein, 2004, S.240f.)
Die schlechte wirtschaftliche Situation Myanmars ist eine der Ursachen, deren Folge es war, dass die Vereinten Nationen (2009) die Klassifikation Myanmars als Entwicklungsland (Least Developed Countries) bestätigten. (S.47)
Auf diesen Grundursachen aufbauend ergeben sich mit den aus den politischen und wirtschaftlichen System resultierende Lebensbedingungen, der Urbanisierung sowie militärischen Konflikten Druckfaktoren, welche die Verwundbarkeit Myanmars verstärken.
4.3 Lebenssicherungssysteme und Vorgehen der Regierung als Druckfaktoren
Die politische Situation und die Machtverhältnisse Myanmars wirken durch das Investitionsmanagement der Regierung auf die Lebenssicherungssysteme der Bevölkerung.
So beliefen sich die Ausgaben für das öffentliche Gesundheitswesen 2002 auf 0,4% des BIP und 2004 auf 0,3% des BIP und stagnierten bis zum Sturmereignis 2008 auf diesem Niveau (vgl. Ganesan, 2007, S.181; HRDU, 2008, S.346). Dies hat zur Folge, dass das Gesundheitssystem nicht für ausreichend Schutz der Bevölkerung sorgen kann, welches bei der Betrachtung der Infektionszahlen von Malaria (700.000 Infektionen pro Jahr) und Tuberkulose (130.000 Infektionen pro Jahr) deutlich wird (vgl. HRDU, 2008, S.352). Des Weiteren bereitet die Bekämpfung von HIV den Behörden sehr viele Schwierigkeiten (13.000 Infektionen pro Jahr), welche durch die Hilfseinstellung des Global Fund 2005 für die Bekämpfung all dieser Krankheiten, im Zuge der internationalen Sanktionen gegen die Militärführung, weiter belastet wurden (vgl. HRDU, 2008, S.349; Global Fund, 2018, S.8).
Aufgrund der fehlenden Investitionen ist der Zugang zur medizinischen Versorgung nicht flächendeckend gegeben, so sind 29 Ärzte für die Versorgung von 100.000 Einwohnern verantwortlich, wobei strukturschwache Regionen, unter anderem auch das Irrawaddy Delta, nur unzureichend versorgt werden können. Weiterhin begünstigen die geringen öffentlichen Ausgaben die Bildung eines zweiklassigen Gesundheitssystems, welches sich aus einem öffentlichen und einem privaten Sektor zusammensetzt. Während der private Sektor für die vermögende Elite ein hohes medizinisches Niveau garantiert, kann das öffentliche Gesundheitssystem diesen Standard nicht leisten. Ursache dafür sind Korruption und die schlechte Qualifikation und Bezahlung der Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern. Patienten müssen ärztliche Leistungen wie Medikamente, ärztliche Hausbesuche oder Krankenhausaufenthalte, selbst tragen, welches vor Allem einkommensschwachen Haushalten nicht gelingt. Diese bedienen sich dann plagiierten Medikamenten des Schwarzmarktes, welche billiger aber gleichzeitig auch gefährlicher sind. Es ist ersichtlich, dass dieses System regulär schon äußerster Belastung unterliegt. (vgl. Stöbe, 2005, S.23)
Neben den geringen Ausgaben im Gesundheitswesen, investiert die Regierung Myanmars nur 1,3% des BIP in das Bildungssystem (vgl. HRDU, 2008, S.593). Dies hat zur Folge, dass die Lehrkräfte unterbezahlt und das Lehrmaterial veraltet sind. So verdient ein Grundschullehrer in ländlichen Gebieten circa 7500 Kyat im Monat, was nicht zu einem erfüllten Leben ausreicht. Daraus ergibt sich, dass Lehrkräfte prüfungsrelevanten Unterrichtsstoff in zusätzlichen Privatkursen kostenpflichtig anbieten. Zusätzlich müssen Schuluniformen, Lehr- und Prüfungsmaterial sogar die Anmeldung zur Prüfung bezahlt werden (vgl. Internationale Confederation of Free Trade Union 2002, zit. nach Achilles, 2005, S.32). Daraus folgt, dass sich viele einkommensschwache Haushalte die jährliichen Kosten für einen vollständigen Bildungsweg ihrer Kinder, bestehend aus vierjähriger „primary school“ (2500 Kyat), vierjähriger „middle school“ (3000 Kyat) und zweijähriger „high school“ (3500 Kyat), nicht leisten können (vgl. HRDU, 2008, S. 593). Der Abbruch der Schulausbildung hat zur Folge, dass keine qualifizierten Dienstleitungsberufe erlernt werden. Im Irrawaddy Delta werden so vorwiegend Berufe in der Fischerei oder des Nassreisanbaus gewählt. Zugunsten der Reiswirtschaft wurden Mangrovenwälder abgeholzt, um Anbauflächen für die Landwirtschaft zu generieren. So reduzierte sich die Fläche der Mangrovenwälder seit Mitte des 20. Jahrhunderts bis 2002 um 60% (vgl. Kravtsova, 2008, S.251).
Zuzüglich zu der Investitionspolitik bilden die Folgen der Repressionspolitik der Regierung weitere Druckfaktoren. Das Vorgehen der Regierung gegen die eigene Bevölkerung ist von Unterdrückung und Kontrollzwang geprägt. Dies wird einerseits an der Annullierung der Wahlen von 1990 und der damit einhergehenden Erstickung der Demokratiebewegung, vor Allem aber im Vorgehen gegen die Demonstrationen der Safran-Revolution 2007 bezüglich der Erhöhung der Preise für Lebensmittel, Benzin und Erdgas deutlich. So wurde die Opposition blutig niedergeschlagen und tausende Demonstranten verhaftet. (vgl. Bünte, 2008, S.5)
Weiterhin kontrolliert die Militärregierung Medien, wie Tageszeitungen, Radio, Fernsehen und Internet, indem sie nur militärtreue Zeitungen und Sender zulässt, Kritik vorzensiert und somit die Pressefreiheit einschränkt (vgl. Nordahl, 2009, S.19ff.).
Ein weiterer Druckfaktor, welcher sich aus dem Verhalten der Militärregierung ergibt, ist die Zentralität von Institutionen. Die administrativen und finanziellen Kompetenzen obliegen allein der Militärregierung, sodass keine vertikale hierarchische Aufgabenverteilung stattfindet. Besonders deutlich wird dies in der Verwaltung. Die ausbleibende Verlagerung von Aufgaben führt zu einer geringen Kapazität der Bürokratie sowie deren schnelle Überlastung. (vgl. Croissan, 2016, S.316)
Das angespannte Verhältnis und die gespaltene Gesellschaft kennzeichnet sich über das Jahr 2008 hinaus in noch andauernden Gewaltkonflikten, welches durch den fehlenden Zusammenhalt zu einem erhöhten Verwundbarkeitspotential führt.
Diese dargestellten Druckfaktoren wirken konstant zusammen und resultieren in unsicheren Lebensbedingungen.
4.4 Unsichere Lebensbedingungen in Myanmar
Das komplexe Ursachensystem erreicht mit den unsicheren Lebensbedingungen die mit der Naturgefahr interagierende finale soziale Verwundbarkeit einer Bevölkerung.
Die Wohnsituation der im Irrawaddy-Delta lebenden Bevölkerung ergibt sich als Konstrukt, deren Basis die schlechte wirtschaftliche Situation Myanmars und der Mangel an Ressourcen im Flussdelta ist. Darauf aufbauend führen ein geringes Bildungsniveau und daraus folgende mangelnde Einkünfte aus Fischerei oder Nassreisanbau zu einer Wohnstruktur, welche im ländlichen Raum an traditionelle Bauweisen anknüpft und somit nur geringe Kosten geleistet werden müssen. Die Gebäude (vgl. Anh.7) sind dabei nach indigenem Vorbild meist aus einfachen natürlichen Materialien gebaut. So wird meist Holz für den Unterbau, Bambus für die Wände und Stroh für das Dach verwendet. Neben den geringen Kosten der Baustoffe, sind sie an die feuchtwarmen Klimate, aufgrund der Luftdurchlässigkeit, angepasst (vgl. Oo et al., 2003, S.168). Jedoch erweisen sich die Baumaterialien für den Schutz vor extremen Witterungsbedingungen, wie Starkwind oder Hochwasser, als ungeeignet, sodass sich in der Wohnsituation ein Risiko für Verwundbarkeit ergibt. Weiterhin bewirkt das flache Relief in Kombination mit dem zumeist sumpfigen Untergrund zusätzliche Ungunstfaktoren für den Bau stabiler Gebäude und dem damit besseren Schutz vor Extremwetterereignissen, sodass Sturmfluten nicht nur weit in das Hinterland des Irrawaddy vordringen können, sondern auch auf ihrem Weg verheerende Verwüstung bewirken. Weiterhin bildet die Ambivalenz des Irrawaddy Flusses einen Aspekt der unsicheren physischen Umwelt, da der Fluss einerseits den wichtigsten Transportweg darstellt, anderseits jedoch durch sein weitschweifendes Flussarmsystem befestigte Transportwege über Land verhindert.
Jedoch fehlt es nicht nur an einem hinreichenden Transportwegesystem, sondern auch an Kommunikationsinfrastruktur. Internet und Fernsehen sind in Myanmar Luxusdienstleistungen, welche sich nur Personen in urbanen Gebieten leisten können bzw. überhaupt Zugang haben.2007 waren bspw. 40.000 Haushalte an das Internetnetz des Landes angeschlossen. Einzig das Radio erreicht die Mehrheit der Bevölkerung, obgleich nicht jede Hütte im Irrawaddy Delta über solch ein Gerät verfügt. (vgl. Nordahl, 2009, S.19f.) Dies hat zur Folge, dass Informationswege nicht bis in alle ländlichen Gebiete vordringen und so Vorwarnungen nicht effizient funktionieren. Demzufolge können Vorbereitungen und Schutzmaßnahmen nicht oder nur unzureichend getroffen werden, sodass das Katastrophenmanagement nur ungenügend funktioniert. Zuzüglich bewirken Mängel im Gesundheitswesen, welche in Folge der ausbleibenden öffentlichen Investitionen entstanden, und der Mangel an einer vertikalen Kompetenzverteilung in den Institutionen eine Verstärkung der Verwundbarkeit. Anzumerken ist, dass der essentiellste Missstand jedoch das Ausbleiben einer Warnung, aufgrund von Fehleinschätzung seitens der Regierung, an die im Irrawaddy Delta ansässige Bevölkerung vor dem Sturm Nargis ist, sodass selbstständige Vorkehrungen nicht getroffen werden konnten (vgl. McPhaden et al., 2009, S.53). Des Weiteren führt der Mangel an lokalen Institutionen und die Zentrierung der Macht auf das Militär in der Verwaltung zu einer Verlangsamung in Bürokratie und Kapazitätsmangel, welcher im Ausbleiben von Veränderungsprozessen resultiert. Somit sind positive Änderungen im Finanzkapital, wie bspw. Einkünfte, Sozialkapital, wie bspw. Versicherungen oder Humankapital, wie Verbesserung im Bildungswesen, nicht möglich, sodass die Armut in Myanmar nicht bekämpft werden kann. Nach Schätzungen des UNDP von 2004 und 2005 leben 32% der Bevölkerung in Armut und sogar 10% in extremer Armut (vgl. Sovacool, 2013, S.308). Durch die Armut der Bevölkerung ist eine Resilienz gegenüber Naturgefahren nicht gegeben, sodass sich die Verwundbarkeit der Bevölkerung weiter verstärkt. Um Veränderungen anzustrengen bedarf es Kritik, welche jedoch durch die Begrenzung von Pressefreiheit ausbleibt. Aufgrund der mit Hilfe des Pressure and Release Modell diskutierten Verwundbarkeitsmerkmale der Gesellschaft, kann eine Antwort auf die Forschungsfrage gegeben werden.
[...]
1 Die Bezeichnung Myanmar entstammt der Staatsumbenennung 1989 durch die Militärregierung. Diese wird jedoch von Minderheiten, aufgrund der mit dem Begriff vermittelten Bevorzugung der Birmanen („Myanma“), abgelehnt. (vgl. Mahnkopf, 2016, S.26) In dieser Arbeit wird die Bezeichnung Myanmar für die Epoche nach 1990 und Birma für die vor 1990 verwendet, ohne dabei eine politische Aussage zu vermitteln.
2 (natural) hazard eng. (Natur-) gefahr
3 Ein Zyklon ist ein tropischer Wirbelsturm, welcher bei einer Wassertemperatur von mehr als 26 °C und bei labil geschichteter Atmosphäre mit hoher relativer Luftfeuchte im indischen Ozean entsteht (DWD)
4 Das Abkommen wurde 1947 unterzeichnet und sah die Bildung einer „föderal organisierten Union von Birma“ vor (Bünte, 2007a, S. 34). Damit konnten die unterschiedlichen ethnischen Minderheiten Machtfunktionen über ihre Departments behalten, jedoch gleichzeitig ein gemeinsamer Staat, Birma, realisiert werden (vgl. ebda.).