Jeder kann tanzen! Ästhetische Körper- und Bewegungserfahrung im Grundschulsport


Examensarbeit, 2020

112 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Grundlagen der ästhetischen Körper- und Bewegungserfahrung
2.1 Bedeutung von Bewegung und motorischen Fertigkeiten im Kindesalter
2.2 Ästhetik und ästhetische Erziehung – ein Begriffsverständnis
2.3 Tanz
2.3.1 Begriffserklärung Tanz
2.3.2 Tanzstile
2.3.3 Improvisation im Tanz
2.4 Tanzerziehung
2.4.1 Bildungsinhalte
2.4.2 Arbeitsweisen in der Tanzpädagogik
2.4.3 Aspekte der Bewegungsausführung
2.5 Definition der ästhetischen Körper- und Bewegungserfahrung

3. Ästhetische Körper- und Bewegungserfahrung in der Schule
3.1 Warum Tanzen? - Ein Einblick in die Forschung zu Transferwirkungen von Tanz
3.2 Das Unterrichtsmedium Musik und Rhythmus
3.3 Kritische Aspekte zum Thema ‚Tanz in Schulen‘
3.4 Dimensionen eines tänzerischen Bildungskonzepts
3.5 Aktuelle Lage in Schulen
3.6 Rolle der Lehrperson

4. Umsetzung der ästhetischen Körper- und Bewegungserfahrung im Grundschulsport
4.1 Sportdidaktisches Konzept: Erziehender Sportunterricht
4.2 Einordnung in den sächsischen Lehrplan
4.3 Lernziele
4.4 Didaktisch-methodische Analyse des Gesamtkonzepts
4.5 Exemplarische methodische Analyse einer Unterrichtsstunde

5. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Onlineverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

Unsere moderne Welt, mit ihren Vorzügen der Digitalisierung und den stetig steigenden technischen Errungenschaften, setzt eine veränderte Lebensführung voraus. Daher ist mittlerweile auch der Begriff der ‚veränderten Kindheit‘ gebräuchlich. Darunter fallen Phänomene wie die Medienkindheit, die Konsumkindheit, die Stadtkindheit oder die Schulkindheit (Schorch, 2007, S. 114 f.). Neben den unzähligen Möglichkeiten, die uns diese Fortschritte bringen, thematisiert Zimmer (1994, S. 25) einen kritischen Punkt: Der Raum zum selbstständigen Handeln, indem unsere Kinder aufwachsen, wird immer mehr eingegrenzt. Durch die enorme Digitalisierung in allen Bereichen ist es den Kindern nur schwer möglich Zusammenhänge im Alltag selbst zu erleben und zu begreifen, da sie ihnen aus zweiter Hand vermittelt werden. Die Welt wird für sie dadurch undurchschaubar und unverständlich. Eigenes Tun ermöglicht es uns die Umwelt zu verstehen, uns in ihr zurechtzufinden und sogar Einfluss auf sie zu nehmen. Weiterhin kritisiert die Autorin die Pädagogisierung im frühen Kindesalter. Durch ständiges Beibringen wollen, werden die Kinder daran gehindert es selbstständig zu entdecken und erforschen (ebd., S. 26 f.). Zimmer (ebd., S. 26) schlussfolgert, dass Kinder eine Welt benötigen, die mit allen Sinnen erfasst und begriffen werden kann und die ganzheitliche Erfahrungen ermöglicht. Dazu notwendig sind geeignete Spiel- und Bewegungsräume die das Explorationsverlangen wecken. Genau diese Spiel- und Bewegungsräume nehmen jedoch, durch unsere Industrienation, immer mehr ab. Eine Alternative kann im Sport gefunden werden. Dieser bietet die Möglichkeit zum selbstständigen Handeln und zum Machen ganzheitlicher Erfahrungen. „Bewegung und Spiel ist die […] angemessene Form, sich mit der personalen und materialen Umwelt auseinanderzusetzen, auf sie einzuwirken, sich auszudrücken, die Welt zu begreifen und für sich jeweils neu zu konstruieren - und dies alles muß [sic!] für Kinder auch im Sport möglich sein!“ (ebd., S. 31). Um eine Sensibilisierung gegenüber der Digitalisierung zu vernehmen und die Wahrnehmung mit digitalen Medien, aber auch der gesamten Umwelt, zu schärfen, benötigt es die Kulturelle Bildung. Diese vertritt die Aufgabe Wahrnehmungs- und Gestaltungsfähigkeit zu entwickeln (Rat für Kulturelle Bildung e. V., 2019, S. 12). Darunter fällt ein für die Grundschule relevanter Themenschwerpunkt: Die ästhetische Bildung. Der sächsische Lehrplan sieht das Ermöglichen ästhetischen Erlebens innerhalb des Schulalltags vor, welches durch ästhetische Fächer, wie z.B. Musik, Theater, Tanz und Kunst, hervorgerufen werden kann. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Thematik der ästhetischen Körper- und Bewegungserfahrung und vereint somit den Aspekt der Bewegung und den des ästhetischen Erlebens - die kulturelle Bildung.

In der Arbeit wird der folgenden Frage nachgegangen:

Inwiefern kann ästhetische Körper- und Bewegungserfahrungen im Grundschulsport umgesetzt werden und wie können insbesondere Lehrer, ohne Erfahrungen in diesem Bereich, den Unterricht gestalten?

Von elementarer Bedeutung ist dabei der Tanz. Mithilfe von tänzerischen Übungen und Methoden, soll die Wahrnehmung auf den eigenen Körper und die Veränderung des Körpergefühls durch bestimmte Bewegungen geschärft werden, um schlussendlich ästhetisches Erleben zu ermöglichen.

Kern der Arbeit ist eine ausführliche Konzeption, über sechs zusammenhängende Unterrichtsstunden, an der aufgezeigt wird, wie ästhetische Körper- und Bewegungserfahrungen im Grundschulsport gestaltet werden können. Ziel ist es, insbesondere Lehrer*Innen als Nichttänzer, einen Einblick in die Thematik zu geben, Vorurteile und Unsicherheiten zu mindern und die Vorbereitungen zur praktischen Umsetzung im Unterricht zu erleichtern.

Um dies zu erreichen, erfolgt zu allererst die Betrachtung der theoretischen Grundlangen (Kapitel zwei). Begonnen mit der Bedeutung der ästhetischen Erziehung und was unter ästhetischem Erleben zu verstehen ist, wird der Schwerpunkt Tanz immer mehr in den Blick genommen. Relevante Bereiche sind dabei der ‚Kreative Kindertanz‘, der ‚Elementare Tanz‘, Improvisation sowie Grundlagen der Tanzerziehung. Am Ende des Kapitels erfolgt eine ausführliche Definition und Erläuterung des Begriffs ‚ästhetische Körper- und Bewegungserfahrung‘. Der dritte Abschnitt der Arbeit nimmt Bezug auf die Grundschule. Anhand der aktuellen Forschungslage wird die Relevanz und der Einsatz von Tanz im Schulunterricht begründet. Im zweiten Unterkapitel wird die Musik und der in ihr enthaltene Rhythmus in Augenschein genommen und auf seine Qualität als wichtiges Unterrichtmedium geprüft. Im Anschluss werden kritische Aspekte des Themas Tanzen im Grundschulsport aufgezeigt. Zudem erfolgt eine Herausarbeitung von Dimensionen eines, auf die Arbeit angepassten, tänzerischen Bildungskonzepts. Die Betrachtung der aktuellen Lage von Tanzen in Schulen, in der die Relevanz der Umsetzung noch einmal stärker deutlich wird, erfolgt anschließend. Besonders interessant, im Sinne der Forschungsfrage, ist die Rolle der Lehrkraft, weshalb diese am Ende des Kapitels drei ausführlich analysiert wird. Kapitel vier präsentiert den Hauptgegenstand der Arbeit – die Unterrichtskonzeption. Begonnen mit dem sportdidaktischen Konzept wird das Grundgerüst der Unterrichtseinheit gelegt. Anschließend erfolgt die Einordnung des Unterrichtsthemas in den Lehrplan sowie die Vorstellung der Unterrichtsziele. Die didaktisch-methodische Analyse des Gesamtkonzepts findet im vorletzten Kapitel statt. Dabei wird auf Grundlagen und Besonderheiten Bezug genommen. Im darauffolgenden Absatz erfolgt eine exemplarische methodische Analyse einer auserwählten Unterrichtsstunde, um an einem speziellen Beispiel die Unterrichtsidee aufzuzeigen. Abschließend wird ein reflektierender Überblick der behandelten Thematik im Rahmen der Schlussbetrachtung gegeben.

2. Grundlagen der ästhetischen Körper- und Bewegungserfahrung

Das folgende Kapitel dient der Überblicksverschaffung und Klärung von Begrifflichkeiten, um die Grundlagen der ästhetischen Körper- und Bewegungserfahrung darzulegen und zu erörtern. Dabei wird die Thematik der Bewegung, der Ästhetik, des Tanzes im Allgemeinen und die der Tanzerziehung im engeren Sinne behandelt. Abschließend an dieses Kapitel wird ein grundlegendes Begriffsverständnis zur ästhetischen Körper- und Bewegungserfahrung, welches als Basis für die fortlaufende Arbeit gelten soll, angestrebt.

2.1 Bedeutung von Bewegung und motorischen Fertigkeiten im Kindesalter

Da sich dieses Kapitel vorwiegend der motorischen Entwicklung im Kindesalter widmet, kann das umfangreiche Feld der Motorik nicht ausführlich behandelt, sondern nur für die Arbeit relevante Begrifflichkeiten definiert oder erklärt werden.

Unter dem Begriff ‚Motorik‘ versteht man in der Sportwissenschaft weitestgehend die Gesamtheit aller (körperlichen) Steuerungs- und Funktionsprozesse, welche die Haltung und Bewegung eines Menschen gewährleisten (Bös, 2003, S. 105 f.). Darunter fallen auch sensorische, kognitive, perzeptive und motivationale Vorgänge (Singer & Bös, 1994, S. 17). Eine anknüpfende Umschreibung für den Begriff der ‚motorischen Entwicklung‘ geben Singer und Bös (ebd., S. 19), indem sie den Aspekt der Veränderung einbeziehen: „Motorische Entwicklung bezieht sich auf die Lebensalter bezogene Veränderung der Steuerungs- und Funktionsprozesse, die Haltung und Bewegung zugrunde liegen“. Dabei machen sie deutlich, dass nicht das Lebensalter die Ursache für eine Veränderung sei, sondern die zugrundeliegenden Bedingungen und Einflussfaktoren, welche über die gesamte Lebensspanne hinweg variieren. Wird von ‚motorischen Fertigkeiten‘ gesprochen, sind hierbei spezifische Steuerungs- und Funktionsprozesse gemeint, welche Voraussetzung für motorisches Können in der Schule oder im Beruf, im Alltag sowie bei künstlerischen oder sportlichen Betätigungen bilden. Abzugrenzen sind sie von generellen und übergreifenden motorischen Fähigkeiten (Winter & Roth, 1994, S. 217).

Die Autoren Winter und Roth (ebd., S. 222) kommen zu dem Ergebnis, dass sich im Vorschulalter (viertes bis siebtes Lebensjahr) die elementaren motorischen Fertigkeiten qualitativ und quantitativ verändern sowie Verbesserungen in koordinativen und konditionellen Belangen zeigen. Mit dem Eintritt in die Schule beginnt für die Schulanfänger nicht nur ein neuer Lebensabschnitt, auch die motorischen Fertigkeiten reifen nun mehr aus, entwickeln und verbessern sich. Durch den Sportunterricht werden grundlegende Fertigkeiten spielerisch trainiert. Winter und Roth (ebd., S. 225) beziehen sich dabei auf die von Ungerer, Ockhardt und Hirtz charakterisierten grundlegenden motorischen Entwicklungstrends: Verbesserung morphologisch-motorischer Ausführungsmerkmale (z.B. Rhythmus, Tempo usw.), Erwerb neuartiger Techniken sowie die zunehmende Kontrolle von Extremitäten, Fähigkeit zur Verknüpfung motorischer Grundformen (z.B. Laufen, Werfen, Springen) - wobei zunächst nur zwei Fähigkeiten kombinierbar sind und ab dem dritten Schuljahr zunehmend mehrere Elementarbewegungen verbunden werden können - sowie die verbesserte Differenzierung und Kombination elementarer Fertigkeiten. Die Hochphase der motorischen Lernfähigkeit komme jedoch erst im Alter von zehn bis dreizehn Jahren (ebd.).

Klein- und Vorschulkinder zeigen in ihrer Bewegung zunehmend mehr Vielseitigkeit, aber auch qualitativ einen Zuwachs. Scheid (1994a, S. 266) erklärt, dass sich insbesondere die Entwicklung der Lokomotion - aufbauend auf den fundamentalen Bewegungsmustern - weiterhin fortsetzt, wozu neben dem Laufen Bewegungen wie Hüpfen, Steigen, Springen und Klettern zählen. Ferner entwickle sich das Werfen und Fangen sowie Zeichnen und Schreibbewegungen auf Grundlage von Greifbewegungen.

Im Schulkindalter kann eine verbesserte motorische Leistungsfähigkeit beobachtet werden, welche durch Änderungen der Körperform sowie der Einstellung zur Welt begründet ist (Scheid, 1994b, S. 277). Ausschlaggebend sei insbesondere der Drang nach Bewegung, Erkundung und Spiel in diesem Alter. Durch die wachsende Leistungsbereitschaft der Kinder erlernen sie sich auf Bewegungsaufgaben zu konzentrieren und sich zielgerichtet und situationsgerecht zu bewegen, wodurch wiederum die Grundlage für den Erwerb sportmotorischer Fertigkeiten gelegt wird. Mit Beginn des neunten Lebensjahres sind Kinder, aufgrund von verbesserten koordinativen und konditionellen Fähigkeiten sowie durch somatische und psychische Veränderungen fähig, neue Bewegungsabläufe zügig aufzunehmen und zu erlernen. Diese Hochphase trägt oftmals den Namen ‚motorisches Lernalter‘ (ebd.).

2.2 Ästhetik und ästhetische Erziehung – ein Begriffsverständnis

Die Etymologie des Wortes Ästhetik lässt sich auf das griechische Wort ‚aisthesis‘, was übersetzt ‚sinnliche Wahrnehmung‘ bedeutet, zurückführen. Die heutige Semantik spricht von einer ‚Wissenschaft des Schönen‘ oder auch der ‚Philosophie der Kunst‘. Das zugehörige Adjektiv ‚ästhetisch‘ wird verwendet, um einen Gegenstand in seiner Art der Wahrnehmung zu beschreiben oder um diesen zu charakterisieren. Dietrich et al. (2013, S. 16) beschreiben ästhetisches Erleben als eine besondere Wahrnehmung: „Im ästhetischen Erleben wird die sinnliche Wahrnehmung von einem Medium, mit dem wir sonst Informationen aufnehmen, für uns zu einem Prozess, der seinem Zweck in sich selbst trägt.“ (ebd.). Eine ähnliche Definition über den besonderen Zugang der ästhetische Gegenstände (Fächer wie Musik, Kunst, Bewegung, Sport und Tanz) gibt Antje Klinge (2010, S. 85): Durch die Betonung der Sinne werden Bewusstwerdungsprozesse tätig. Ungewöhnliches oder Widersprüchliches wird wahrgenommen oder gar erstmalig erfasst. Kurzgefasst wird der gesamte Welt- und Selbstbezug eines Menschen über die Sinne vermittelt. Die Pädagogen Duncker, Maurer und Schäfer sehen das ‚Ästhetische‘ als einen Weg „sich mit [der] Welt vertraut zu machen“ (Duncker et al., 1993, S. 9). Dies impliziert Erfahrungen über die Welt und sich selbst zu erlangen, die Welt zu bewältigen und zu erschließen sowie die aktive Gestaltung der Welt. Eine solche Welt- und Selbsterfahrung scheint nach den Autoren eine für Kinder typische und charakteristische Weise. Der Weg des ‚Ästhetischen‘ ist demnach der über den „das Kind sich mit allen Fasern des Leibes und der Psyche mit seiner Umwelt in Verbindung oder auseinandersetzt, sie sich aneignend gestaltet“ (ebd.).

Diese Arbeit fokussiert insbesondere die ästhetische Bildung sowie Erziehung. Unter Ersterem wird zum einen ein Oberbegriff aller pädagogischen Praxen, mit ihren einzelnen ästhetischen Feldern, wie z.B. Kunst, Theater und Musik, als Gegenstand, verstanden. Zum anderen ist er als Grundbegriff in bildungstheoretischen Diskursen, welche sich mit Fragen zur Persönlichkeitsbildung beschäftigen, zu finden. Es wird ein allgemeiner Aspekt des ästhetischen Ich-Weltverhältnisses thematisiert, bei dem nach der Bedeutung von Sinnlichkeit und Wahrnehmung gefragt wird. Die Autoren führen an, dass ästhetisches Erkunden, Erkennen und Verstehen zentrale Bestandteile von Lernen sind (Dietrich et al., 2013, S. 9). Mit dieser Einsicht gilt es der ästhetischen Bildung ausreichend Beachtung entgegenzubringen. Dietrich et al. äußern überdies den positiven Einfluss und die Notwendigkeit der besonderen Bildung in Bereichen des sozialen und kognitiven Lernens. Sie sprechen jedoch auch von der Problematik, dass Resultate oder Testergebnisse in dieser Hinsicht nur schwer empirisch erfassbar sind, was sich in der aktuellen Forschungslage widerspiegelt. Die pädagogische Aufgabe der ‚Ermöglichung ästhetischer Erfahrung‘ ist anknüpfend an die ästhetische Bildung zu erfüllen (Seubert, 1997, S. 145). In Bezug auf die ästhetische Erziehung wird nach den Autoren Dietrich et al. (2013, S. 27) der Versuch verstanden, Heranwachsenden die Fertigkeiten, Kenntnisse und Haltungen beizubringen, die sie für ästhetisches Erleben sowie eine kompetente Teilhabe am kulturellen Leben benötigen. Eine ähnliche Begriffserklärung gibt Seubert (1997, S. 145), indem er ästhetische Erziehung als eine Ermöglichung, Weckung, Unterstützung und kindliche Vermittlung charakterisiert. Nach Dietrich et al. Verläuft diese Vorbereitung unter Zusammenwirken von vier Teildimensionen, welche jeweils eine Seite zur ästhetischen Erziehung sowie eine zur ästhetischen Bildung aufweisen (ebd., S. 27). Im Folgenden sollen die Teildimensionen, nach Dietrich et al. (ebd., S. 27), kurz vorgestellt werden: Erste Teildimension wird als ‚Fingerfertigkeit‘ bezeichnet. Die Autoren verstehen darunter die Erkundung eines spezifischen Zugangs zu Ausdrucks- und Wahrnehmungsmöglichkeiten über die Sinne. In erster Linie wird davon ausgegangen, dass die ästhetischen Künste, wie z.B. Musik, Tanz, Kunst, etc., eine menschliche sowie zwischenmenschliche Praxis darstellen. Diese Fähigkeit der Gestaltung und Differenzierung des Verhältnisses zur Welt wird bereits in jungen Jahren, durch den alltäglichen Umgang mit Lauten, Farben und Klängen, erworben. Überdies zählen die Autoren zu den praktischen Fähigkeiten: Sehen, aktives Zuhören sowie Begreifen und Mitvollziehen von ästhetischen Objekten. Unter der zweiten Dimension ‚Alphabetisierung‘ ist „[…] [d]ie zunehmende Mündigkeit im eigenen Urteil darüber, was gelungene Beispiele einer ästhetischen Weltbearbeitung sind und was nicht […]“ zu verstehen (ebd., S. 29). Weiterhin beinhaltet die Dimension die Weitergabe des kulturell gesammelten Wissens über die ästhetischen Künste, übermittelt durch Institutionen der Allgemeinbildung. Die ‚Selbstaufmerksamkeit‘ meint eine veränderte Wahrnehmung von sich selbst sowie dem Gegenstand. Es ist die „Wahrnehmung zur Wahrnehmung der eigenen Wahrnehmung“ (ebd.). Aufgabe der Pädagogik ist demzufolge, optimal situative Rahmenbedingungen bereitzustellen und die Konzentration auf die eigene Sinnestätigkeit und das ästhetische Erleben zu legen. Die letzte Dimension umfasst das Gebiet der Kommunikation und nennt sich ‚Sprache‘. Ästhetische Erfahrungen werden artikuliert und ausgedrückt. Dies muss nicht immer wortsprachlich geschehen, sondern kann auch in gestischen Ausdrucksweisen erfolgen. Dietrich et al. nennen Beispiele wie z.B. aufeinander abgestimmte Körperbewegungen im Tanz oder gegenseitige Präsentationen gemalter Bilder (ebd., S. 30).

Abschließend zu diesem Kapitel lässt sich folgendes zusammenfassen: Die genannten Teildimensionen, welche im Zusammenspiel als ästhetische Erziehung gelten, sind für die Entstehung ästhetischer Erfahrungen grundlegend. Ob ein Mensch die aus der Teilnahme an Angeboten ästhetischer Art entstehenden Erfahrungen wahrnimmt oder an sich vorbeiziehen lässt, kann nicht gesteuert werden - er trägt eine Mitverantwortung und muss seine Erfahrungen machen. Aus den erlebten Erfahrungen können wiederum Bildungsprozesse aktiviert werden, was den Kreis zwischen ästhetischer Erziehung, Erfahrung und Bildung schließt. Schlussendlich wird der Institution Schule die Aufgabe zugeschrieben, passende Rahmenbedingungen herzustellen, um Angebote zum ästhetischen Erleben zu gewährleisten (ebd., S. 31 f.).

2.3 Tanz

Das Kapitel Tanz thematisiert verschiedene Aspekte dieses Phänomens, welche sich für den Gegenstand der Arbeit als wichtig erweisen. Zunächst erfolgt eine Begriffserklärung mit anschließender Vorstellung themenrelevanter Tanzstile. Das Themengebiet der Tanzpädagogik ist im Sinne einer ästhetischen Körper- und Bewegungserfahrung ausschlaggebend und soll intensiv behandelt werden. Abschließend wird anhand der vorangegangenen Theorie eine fundierte Begriffserklärung für die ästhetische Körper- und Bewegungserfahrung formuliert, welche den Gegenstand dieser Arbeit darstellt.

2.3.1 Begriffserklärung Tanz

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Begriffe Tanz und Tanzen im nachfolgenden Text synonym verwendet werden.

Die einschlägigen Literatur lässt auf keine eindeutige Definition des Begriffes ‚Tanz‘ schließen. Durch kulturhistorische und gesellschaftspolitische Entwicklungen haben sich über Jahrhunderte hinweg mannigfache Erscheinungsformen und Verständnisse des Begriffs etabliert. Postuwka (2003, S. 581 f.) formuliert eine sportwissenschaftliche Begriffserklärung in der sie Tanz als ein Phänomen beschreibt, bei dem der Körper auf rhythmische Art - meist zur Musik - bewegt wird, um einer gewissen Intension nachzugehen, z.B. der Ausführung einer kultischen oder religiösen Handlung, der Begegnung anderer Menschen, der Ausdruck eines Gefühls oder einer Idee, dem Erzählen einer Geschichte oder schlichtweg dem Erfreuen an der Bewegung selbst. Der menschliche Körper und dessen Bewegung fungieren dabei sowohl als Instrument wie auch als Medium. Daraus hervorgehend zeigt sich ein symbolisch-expressiver Charakter des Tanzes, welchen die Autorin sowohl als ein zentrales Merkmal sieht als auch als psychophysische Ausdrucksform des Menschen gilt (ebd.).

„Was das Theater mit Worten, die Musik mit Klängen vollbringt, entfaltet der Tanz entlang kinetischer Energieströme.“ (Weickmann, 2012, S. 19). Mit diesem Vergleich versucht Weickmann einen Einblick in den Bereich des Tanzes zu geben. Sie definiert diesen kurzerhand als eine „Bewegung in Raum und Zeit“ (ebd.). Innerhalb dieser Bewegung spielen die dreidimensionale Formgebung, die Körperformation und der Rhythmus eine tragende Rolle.

Rudolf Laban, einer der bedeutendsten Tanztheoretiker des 20. Jahrhunderts, definiert Tanz „als Umsetzung von Eindrücken der Umwelt in [einem] körperlich-seelisch-geistige[n] Spannungsfeld“ (Laban, zitiert nach, Regitz, 1992, S. 15).

Padilla (1990, S. 261) setzt an dieser Definition an und präzisiert sie durch elementare Antriebskräfte wie: rhythmisch dynamische Impulse, gestalterische Phantasie (ausgerichtet auf die Raumgestaltung, die Bewegung selbst und ihre rhythmische Gliederung), Formwille, Musikalität sowie die seelische Disposition, welche alle zusammen das Spannungsfeld für Tanz entstehen lassen.

Für den Anthropologen und Erziehungswissenschaftler Christoph Wulf (2014, S. 31 f.) sind Tänze die bedeutendste Darstellungs- und Ausdrucksform des Menschen. In seiner Erklärung zu Tanz führt er Beschreibungen auf wie: kulturelle Identität, Darstellung des Selbst- und Weltverständnisses vom Menschen, praktisch überliefertes Kulturerbe der Menschheit. Formen und Figuren von Tänzen entstehen, nach seinem Verständnis, aus Körperbewegungen sowie Rhythmen und unterliegen somit dem Gesetz von Raum und Zeit: „Aus […] Tanzbewegungen, die sich im Raum vollziehen und sich im Verlauf der Zeit konstituieren, erwachsen spezifische Tanzfigurationen“ (ebd., S. 32). Unter Betrachtung der Tänze als zentrales Element des immateriellen kulturellen Erben, skizziert Wulf (ebd., S. 37-40) nachfolgende Strukturmerkmale, welche für eine ausführliche Definition von Tanz als wichtig erscheinen: Wie bereits definiert, sind Tänze und die Entstehung ihrer Figurationen abhängig von der Räumlichkeit ebenso wie der Zeitlichkeit des menschlichen Körpers und deren Verbindung durch Bewegungen, welche ebenfalls in einer zeitlichen Sequenzierung im Raum stattfinden. ‚ Raum und Zeit‘ ist somit ein erstes wichtiges strukturelles Merkmal.

‚Tanz und Bewegung‘ werden vom Autor als zweites aufgeführt und folgendermaßen begründet: „Die Bewegungen des Tanzes formen den Körper, der sie hervorbringt“ (ebd., S. 37). Sie lassen ihn Erfahrungen mit sich, der Musik und seiner Umwelt machen, wodurch er sich formt und zu einem Instrument ohne funktionalen Gebrauch wird. Überdies zeigt sich in Bewegungen eine gewisse Regelmäßigkeit und Ordnung.

‚Tanz und Gemeinschaft‘ gehören zweifellos zusammen. Wulf erklärt, dass Tänze Gemeinschaften symbolisch, performativ und emotional erzeugen. In diesen Gemeinschaften wird symbolisches Wissen kollektiv, durch entsprechende Interaktionsformen, geteilt.

Tanz als interaktives Handlungsmuster zeigt eine spezifische Ordnung und Regelhaftigkeit, weshalb Wulf ‚Tanz und Ordnung‘ als viertes Strukturmerkmal aufführt. Ferner äußert er folgende Erklärung: „Im Tanz vollzieht sich eine rhythmische Dynamisierung von Bewegungen und ein ludischer Umgang mit der Hervorbringung, Veränderung und Auflösung von Ordnung.“ (ebd., S. 38).

‚Tanz und Identifikation‘ stellt ein weiteres relevantes Strukturmerkmal dar. Durch Beobachtung und Nachahmung findet eine Identifikation mit den Tanzenden, den Tänzen und demzufolge auch mit den implizierten Körperbewegungen und Körperbildern, ihren Gefühlen sowie den beiwohnenden Werten und Normen statt. Die angeeigneten Rollen, Bewegungen und Gefühle werden später im eigenen Tanz repräsentiert. Folglich sind mit der Identifikation, im oder durch den Tanz, Prozesse der Inklusion und Exklusion aktiv.

Der Tanz ermöglicht es dem Tanzenden ‚Erinnerungen‘ zu schaffen. Mit den Rhythmen, den Klängen und den Bewegungen heften sich synästhetische Erinnerungen, welche mehrere Sinne implizieren. Dabei können sie von kollektiv bis individuell ganz unterschiedlich ausfallen.

Beim Tanzen in Gruppen werden bestehende Unterschiede zwischen Menschen in den Hintergrund gestellt. Nur in Zusammenarbeit können die tänzerischen Figurationen gelingen. So erzeugen die rhythmischen Bewegungen gemeinschaftliche Gefühle und bewirken Zusammengehörigkeit. Wulf (ebd., S. 39) benennt dieses Merkmal als ‚ Differenzbearbeitung‘.

‚Tanz und Transzendenz‘ zählt der Autor als nächstes Strukturmerkmal auf. In vielen Kulturen versuchen die Menschen über den Tanz Kontakt zur kosmischen Ordnung, zu Göttern oder zu Übernatürlichem aufzunehmen.

„Im Tanzen entwickelt sich eine weit über den Tanz hinaus reichende, auch für andere Lebenszusammenhänge wichtige körperliche Kompetenz.“ (ebd., S. 40). Nach Wulf bildet sich durch Tanzen ein praktisches, körperbasiertes Wissen, welches auf andere alltägliche Situationen übertragbar ist. Er nennt dieses Merkmal ‚Tanz und praktisches Wissen‘ (ebd.).

‚Tanz und Ästhetik‘ stellt das letzte strukturelle Merkmal dar. Die ästhetische Dimension von Tanz zeigt, dass er eine menschliche Darstellungs- und Ausdrucksform ist und demzufolge zum kulturellen Erbe des Menschen zählt. Die Vielfalt an Tänzen weisen ebenso unterschiedliche ästhetische Ausführungen auf, wie sie ästhetische Gemeinsamkeiten haben (ebd.).

Die vielseitigen Erläuterungen unterschiedlicher Autoren gelten als Versuch, das Phänomen Tanz greifbar und verständlich zu machen und eine umfassende Begriffserklärung zu geben.

2.3.2 Tanzstile

Menschen tanzen schon seit Anbeginn der Zeit. Dennoch hat sich seit dem zwölften Jahrhundert, begonnen mit dem Volks- und Gesellschaftstanz, bis heute eine Vielzahl unterschiedlicher Stilrichtungen entwickelt (Girke, 1982, S. 9). Aufgrund der unüberschaubaren Anzahl ist eine Beschränkung auf die für diese Arbeit relevanten Tanzstile notwendig.

Der ‚Klassische Tanz‘ bildete sich im 16. Jahrhundert aus den Grundlagen des höfischen Tanzes und ist dieser Tage auch unter den Begriffen Ballett oder Bühnentanz wiederzufinden. „Auswärts gedrehte Beine, aufrechte Körperhaltung, leichtes, graziöses Bewegen“ führt Rosenberg (1993, S. 19) als typische Merkmale auf. Die im Ballett gelernte Technik, Ästhetik und Körperhaltung hat großen Einfluss auf tänzerische Ausführungen anderer Tanzstile und wird deshalb oft als Grundausbildung im Tanz - speziell im professionellen Bereich - gesehen. Da die auszuführenden Bewegungsformen stilisiert sowie genormt sind und kaum Möglichkeiten zur Entfaltung der eigenen Phantasie bieten, ist der Einsatz von Ballett in der tänzerischen Arbeit mit Grundschulkindern nur in geringem Maße sinnvoll (Girke, 1982, S. 14; Haselbach, 1988, S. 13; Rosenberg, 1993, S. 19).

Eine Weiterentwicklung zum Ballett entstand mit dem ‚Modern Dance‘ . Dieser hatte das Ziel den Klassischen Tanz, Anfang des 20. Jahrhunderts, zu reformieren und dessen starren, strengen Charakter zu durchbrechen. Die Inhalte und Formen des Modern Dance erlauben es festgelegte Positionen zu variieren, wodurch sie mehr Raum für Improvisation und dem Darstellen von Gefühlen lassen (ebd.). Demzufolge ist diese Tanzrichtung für den Schulunterricht besser geeignet als der Klassische Tanz.

Eine ähnlich kreative und freie Ausführung zeigt sich im ‚Jazz Dance‘. Bei diesem afroamerikanischen Tanz werden zwei Rhythmus- und Bewegungszentren unabhängig voneinander kreiert, welches eine hohe Konzentration des Tanzenden erfordert. Wegweisende Persönlichkeiten für den freien Tanz waren insbesondere Rudolf Laban, Isadora Duncan, Mary Wigman und Gret Palucca (Schneider, 2006, S. 88 f.) Heutzutage ist eine Unterscheidung der drei zuletzt genannten Ausdrucksarten kaum mehr möglich, da sie ineinander verschmelzen und zeitgleich mit ihnen gearbeitet wird (Rosenberg, 1993, S. 19 f.). Überdies existieren weitere tänzerische Formen, welche dem Modern Dance zuzuordnen sind oder in dessen Stilbereich fallen. Eine Art Überbegriff dieser Diffusion unterschiedlicher Tanzstile kann mit dem Begriff des ‚Zeitgenössischen Tanzes‘ (engl. Contemporary) oder auch dem ‚Ausdruckstanz‘ gegeben werden (Reiners & Knauth, 1995, S. 22; Rosenberg, 1993, S. 19). Es ist kaum möglichen den zeitgenössischen Tanz des 21. Jahrhunderts zu kategorisieren oder historisch einzuordnen: „Er äußert vielmehr eine Haltung zur Bewegung, die den kontinuierlichen Wandel von Form und Denken als sein eigentliches Wesen begreift. Aus dieser Haltung resultiert ein äußerst hybrides und sich beständig veränderndes Erscheinungsbild des zeitgenössischen Tanzes.“ (Dahms, 2001, S. 181).

Ein eher seltener für die vorliegende Arbeit jedoch relevanter Tanzstil ist die ‚Kontaktimprovisation‘ (engl. Contact Improvisation). Dieser Stil kann dem Modern Dance untergeordnet werden und zählt demnach zur Kategorie der zeitgenössischen Tänze. Alarcón (2011, S. 67) bezeichnet ihn als eine spezifische Art von Improvisation, bei der zum einen die Berührung und zum anderen die Spontanität der im Hier und Jetzt entstandenen Bewegung im Vordergrund steht. Zwei Körper haben einen ständigen Kontaktpunkt miteinander, der sich durch die Bewegung zwar verändern kann, aber nie vollständig löst. So wird sich gegeneinander gelehnt, das Gewicht des anderen getragen oder übereinander gerollt, miteinander gedreht, gestützt usw. Durch diesen Tanzstil entwickelt sich ein Körperbild, welches sich als antwortender Körper zeigt (Alarcón, 2011, S. 67; Schneider, 2006, S. 123).

Grundlegend für das Konzept dieser Arbeit ist ebenso der ‚Elementare Tanz‘. Es handelt sich um zweckfreie Bewegungskünste, abgeleitet aus den natürlichsten Elementen des Tanzes, welche sich schon im Kindesalter spielerisch herausbilden. Das natürliche Bedürfnis des Menschen nach Rhythmus ist dabei der Ursprung des Elementaren Tanzes und wird in einem rhythmisch-dynamischen Spiel, in Kombination mit der Bewegung, sichtbar, so die Autorin Padilla (1990, S. 258). Es existiert keine bildhafte Vorstellung - zentrale Bedeutung ist „die Bewegung um ihrer selbst willen“ (ebd.). Die Autorin spricht dem Elementaren Tanz körperliche, geistige und seelische Kräfte zu. Eine beabsichtigte Wirkung gibt es nicht, vielmehr lenkt die Geisteshaltung die gestalterische Kraft. Anhand der Beschreibung der Autorin wird sichtbar, dass Elementarer Tanz von Freiheit und Grenzenlosigkeit geprägt ist und äußerst schwer bildlich zu beschreiben ist: „Sein Spektrum reicht vom kindlich rhythmischen Schritt bis hin zum künstlerisch durchgeformten Werk.“ (ebd.). Ziel ist es bei den Schüler*Innen eine „rhythmisch-dynamische Erlebnis- und Äußerungsfähigkeit“ (ebd., S. 259) zu wecken, sie zu fördern und letzten Endes zu entfalten. Ebenso grundlegend wie auch bei anderen Tanzarten, sind die Elemente Raum, Dynamik, Rhythmus und Form und stellen damit die Basis für eine Erziehung zum Elementaren Tanz dar. Folgende Erziehungsschwerpunkte zählt Padilla auf:

- „der rhythmisch-dynamische Aspekt, der der Bewegung immer neue zeitlich und vitale Impulse verleiht
- der raumdynamische Aspekt, der der binnenkörperlichen Bewegung zur räumlichen Expansion verhilft
- der formdynamische Aspekt, der sich auf das Wissen um die Funktion und ihre formbildenden Qualitäten stützt.“ (ebd.).

Charakteristisch für den Elementaren Tanz ist die Ausgewogenheit der körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte der Lernenden, um eine ungehinderte tänzerische Entfaltung zu ermöglichen. Dieser Zustand wird erreicht durch:

- eine aufbauende Körperbildung (welche die Selbstkontrolle und Kritikfähigkeit des Tanzenden ermöglicht)
- eine rhythmische Bewegungsbildung (welche die Vielfalt der Bewegungsgrundformen wie Laufen, Federn, Gehen, Springen, Drehen, Schwingen usw. steuert, diese variiert, abwandelt und rhythmisiert)
- die Bewegungsgestaltung (bei der es gilt, in Form von Komposition und Improvisation, ein Bewegungsthema frei und individuell zu lösen).

Die freie und selbstständige Erarbeitung der offen gestellten Aufgaben, verhilft den Lernenden zu einem Erlebnis eigener Bewegungserfahrung – was gleichermaßen als ästhetisches Erleben gedeutet werden kann und ein maßgebliches Ziel der ästhetischen Erziehung darstellt. Durch diese Freiheit können sie die erlebte Bewegung greifen, fixieren und verändern (ebd., S. 260). Folglich ist die Improvisation ein bedeutender Begriff für den Elementaren Tanz. Die Elementare Tanzerziehung endet mit der Komposition als choreographische Aufgabe. So kooperiert die intuitiv erlebte Bewegung mit der bewussten Aufnahme und Festlegung dieser (ebd., S. 262).

Abschließend wird der ‚Kreative Kindertanz‘ vorgestellt, welcher ebenfalls ein wichtiger Anhaltspunkt für die Gestaltung der Unterrichtseinheiten der Arbeit ist. Nach Schneider führt die Tanz Form „spielerisch an die Grundformen des modernen künstlerischen Tanzes heran.“ (Schneider, 2006, S. 113). Sie beinhaltet somit Strukturen und Merkmale des Zeitgenössischen Tanzes. Kinder erlernen verschiedene Bewegungsmöglichkeiten für sich verfügbar zu machen, indem sie ihren Körper durch altersgerechtes Training kennen und erfahren lernen. Im Fokus des Kreativen Kindertanz stehen intensive Bewegungserlebnisse sowie Improvisationen, die sowohl allein als auch in Gruppen durchgeführt werden. Der Prozessgedanke steht dabei deutlich im Vordergrund. Neben der Ermöglichung individueller Bewegungserfahrungen und einem damit einhergehenden verbesserten Körpergefühl, hat dieser Tanzstil die Förderung der Kreativität, der Phantasie sowie des sozialen Miteinanders als oberstes Ziel (ebd.).

2.3.3 Improvisation im Tanz

„Improvisation findet überall im täglichen Leben statt. Wer improvisieren kann, wird mit unvorhergesehenen Situationen besser fertig“ (Neubauer, 2008, S. 155). Nach dem Zitat von Neubauer scheint die Fähigkeit improvisieren zu können, im alltäglichen Leben unverzichtbar. Fällt das Ergebnis gut aus, werden der Person positive Eigenschaften zugeschrieben. Ist die Improvisation eher misslungen, fällt die Bewertung negativ aus. So ergibt sich scheinbar eine Etikettierung des Begriffs, welche Gadelha (2012, S. 25) folgendermaßen beschreibt: „Was gut ist, kann nicht improvisiert sein, von Improvisation sollten wir nur nicht zu viel erwarten.“. Insbesondere im Tanz ist der Improvisationsbegriff geläufig. Der Elementare, Kreative Tanz und Zeitgenössische Tanz sind geprägt durch Aufgaben der Improvisation. Doch welche Konsequenzen folgen daraus? Rosenberg (1993, S. 85) definiert den Begriff als ein spontanes Bewegen zu einem Thema oder einer Musik, ohne dass die Bewegung festzuhalten oder wiederholbar zu machen ist, folglich gibt es kein richtig oder falsch. Eine weitere Definition gibt Haselbach (1989, S. 5). Sie versteht unter ‚improvisieren‘ etwas nicht Vorgeplantes unter bestimmten Bedingungen zu tun, sich an vorherrschende Umstände anzupassen und diese zum Ausgangspunkt individueller Gestaltung oder Veränderung zu machen. Improvisation ist „primär kreative Aktivität“ (ebd. 6). Dabei gibt die Autorin eine Differenzierung der Improvisation in zwei Richtungen: Improvisation als Erfahrung und Improvisation als Gestaltung. Im Vordergrund der ersten Richtung steht das Kennenlernen vielfältiger Bewegungsfunktionen und das Erlangen eines differenzierten Körperbewusstseins. Durch Wahrnehmung und Bewusstwerdung werden äußere Umwelteinflüsse zur eigenen Innenwelt geführt, wodurch eine individuelle Auseinandersetzung mit diesen erfolgt. Gegensätzlich verhält es sich bei der Improvisation als Gestaltung. Ausgehend von inneren Eindrücken, Emotionen und Gedanken wird ein spontaner Ausdruck nach außen getragen. Die Außenwelt wird somit vom Individuum in deren Inhalt, Form und Ausdruck neugestaltet. Aus der neu geformten Außenwelt können wiederum neue Erfahrungen und Eindrücke aufgegriffen werden, sodass sich ein Kreislauf ergibt. Ferner betont Haselbach die wechselseitige Beeinflussung beider Richtungen in der Realität (ebd., 5 f.).

Rosenberg (1987, S. 20) unterscheidet des Weiteren die Begriffe ‚Bewegungsgestaltung‘ und ‚Improvisation‘. Unter ersterem versteht sie: „[d]ie Verbindung und Strukturierung einzelner Bewegungselemente unter Ausnutzung räumlichen und rhythmischer Variationsmöglichkeiten“ (ebd.). Improvisation meint jedoch einen Prozess indem Bewegungen gefunden und variiert werden. Auf eine Festlegung spezieller Formen wird dabei komplett verzichtet. Werden die Formen nach und nach fixiert und wiederholbar gemacht, wird dieses Endprodukt als ‚Komposition‘ bezeichnet (ebd.).

Rosenberg (1993, S. 85) führt weiterhin einen kritisch zu betrachtenden Aspekt an: Nicht selten zeigen sich beim anfänglichen Improvisieren Hemmungen der Teilnehmer. Vergleiche mit anderen Gruppenmitgliedern, eigene Ansprüche oder Vorstellungen können dabei die Ursache sein. Hierbei sei es wichtig den Schüler*Innen die Frage ‚Wie sehe ich aus, wenn ich tanze?‘ durch die Frage ‚Was erlebe ich, wenn ich tanze?‘ zu ersetzen. Vorführungssituationen sollten, laut der Autorin, zu Beginn unbedingt vermieden werden. Erst wenn ein sicherer Umgang im kreativen Tanzen besteht, ist es sinnvoll Situationen, in denen Kinder sich gegenseitig beobachten, zu ermöglichen, um Ideen zu sammeln und Anreize zu schaffen. Beim Beobachten der Improvisation anderer werden „[…] Bewegungsmotive festgehalten und wiederholbar gemacht.“ (ebd., S. 86). Wird eine Bewegung mehrmals wiederholt und zunehmend spezifischer festgelegt, kann sich daraus eine Abfolge oder gar Choreografie entwickeln. Zweierlei Einsatzmöglichkeiten ergeben sich durch die Improvisation: Als Einführung einer Bewegungstechnik, bei der man zunächst ausprobiert, dient sie dem Schaffen von Bewegungsvoraussetzungen. Am Ende einer Unterrichtsstunde können eben gelernte Techniken oder Übungen angewandt werden, sodass die Improvisation in diesem Sinne als Stundenziel dient (ebd.).

Die Tanzpädagogin Gadelha (2012, S. 25 f.) berichtet über den oft fehlerhaften oder gar deplatzierten Einsatz der Improvisation im Tanzunterricht, wenn die Lehrkraft nicht mehr weiterweiß und ihre Schüler*Innen ‚einfach machen lässt‘. Laut der Autorin, stelle sich, nach einer gewissen Zeit der Begeisterung über die Freiheit, eine Langeweile, Chaos und Beliebigkeit bei den Kindern ein, welche wiederum hemmend auf die Entstehung von Kreativität und Qualität wirken. Gadelha plädiert für ein Setzen von Grenzen: „Freiheit durch Klarheit und Bewältigbarkeit“ (ebd., S. 26). Durch das Stellen einer Aufgabe, eines Impulses oder einer Formulierung eines Problems, ergeben sich innerhalb der Lösungssuche zahlreiche Möglichkeiten und Varianten die den Lerner tatsächliche Freiheit geben. Es gibt keine festgelegten Lösungen - der Improvisationsprozess ist unberechenbar. Bei der Arbeit mit jüngeren Kindern eigne es sich in diesem Sinne, Tanzideen bzw. -impulse spielerisch einzuführen. Anregungen wie Bilder, Geschichten oder Themen können den Grundschulkindern helfen ein Bild oder eine Idee im Kopf entstehen zu lassen, sie zu spüren und sich daraufhin zu bewegen. Ohne diesen Impuls und der Förderung, werden die Schüler*Innen immer dasselbe machen und letztendlich stagnieren. Die Improvisation stellt somit eine wertvolle Methode dar, um der Bewegungsfreude von Kindern Raum zu geben und sie wachsen zu lassen (ebd., S. 28 f.). Nähere Erläuterungen zur Umsetzung erfolgen im vierten Kapitel der Arbeit anhand einer ausführlichen Unterrichtskonzeption.

2.4 Tanzerziehung

Unter dem Begriff Erziehung versteht sich die intentionale und zielgerichtete Beeinflussung von Menschen mit der Absicht, diese zu einer selbstständigen Lebensführung und der Bewältigung von Lebenssituationen zu befähigen. So ergeben sich zwei Aspekte welche miteinander verbunden sind: Der Erziehungsauftrag zur Sozialisation - von Bäcker (2008, S. 161 f.) auch als Ausbildung bezeichnet - bei dem es darum geht den zu Erziehenden in die gesellschaftlich-kulturelle Realität hineinzuführen und ihm die Übernahme von Formen, Figuren, Fühlen und Handeln sowie Mustern des Denkens zu ermöglichen. Zweiter Aspekt ist der Auftrag zur Personalisation - von Bäcker auch Bildung genannt - welcher die Entfaltung der individuellen Persönlichkeit fordert und sich demzufolge auf Subjekte und individuelle Menschen mit relativ zeitunabhängigen Bedürfnissen, Wünschen und Potentialen richtet. Im Gegensatz zur Ausbildung der Sozialisation, welche eher fremdbestimmt ist, wird der Prozess der Personalisation hauptsächlich vom Subjekt selbst geleistet und gilt daher als Selbstfindung. Es wird deutlich, dass eine Sache allein nicht ausreicht um Bildung zu ermöglichen. Demnach sind Lehrende gefordert stimmige Ausgangslagen und Zusammenhänge herzustellen (ebd.). Diesem Verständnis von Erziehung geht auch die Tanzerziehung nach. Ihr Aufgabenfeld gliedert sich ebenfalls in zwei Bereiche: Zum einen gilt es die Tanzkultur zu erschließen (Sozialisation). Darunter versteht Bäcker „eine aktive Teilhabe an der kulturellen Wirklichkeit von Tanz“ (ebd., S. 163). Schulkinder sollen die Tanzkunst kennenlernen, den Wirkungsprozess reflektieren, selbstgestalterisch tätig werden und die kulturelle Vielfalt von Tanz erfahren. Zum anderen ist die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung durch Tanzen eine elementare Aufgabe (Personalisation). Durch tänzerische Übungen sollen die Lernenden in ihren sozialen, emotionalen, motorischen und kognitiven Kompetenzen sowie im Erwerb dieser unterstützt werden. Ferner gilt hier, dass beide Aufgaben gleichermaßen erfüllt werden müssen und niemals voneinander getrennt gesehen werden sollen.

2.4.1 Bildungsinhalte

Die Tanzerziehung fällt unter den Bereich der ästhetischen Erziehung. Sie hat die Intension die physischen, intellektuellen und affektiven Fähigkeiten des Kindes durch Bewegung zum Vorschein zu bringen und weiter zu entfalten (Haselbach, 1988, S. 27). Die dabei erworbenen Erfahrungen haben Auswirkungen auf die allgemeine Entwicklung des Kindes und werden in ihrer weiteren Ausprägung zu fachspezifischen Bildungsinhalten. Nachfolgend werden die von Haselbach beschriebenen Bildungsinhalte der Tanzerziehung vorgestellt (ebd., S. 27-34).

[...]

Ende der Leseprobe aus 112 Seiten

Details

Titel
Jeder kann tanzen! Ästhetische Körper- und Bewegungserfahrung im Grundschulsport
Hochschule
Technische Universität Chemnitz  (Zentrum für Lehrerbildung)
Note
1,5
Autor
Jahr
2020
Seiten
112
Katalognummer
V925126
ISBN (eBook)
9783346245953
ISBN (Buch)
9783346245960
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Grundschulsport, Tanzen, Ästhetik, Körper, Bewegung, Unterrichtsplanung, Nichttänzer
Arbeit zitieren
Nina Zschätzsch (Autor:in), 2020, Jeder kann tanzen! Ästhetische Körper- und Bewegungserfahrung im Grundschulsport, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/925126

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