Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Wer ist Janusz Korczak? Seine Biografie
3. Ausgangslage der Erziehungspädagogik
4. Korczaks Erziehungsmethode
5. Schlussbetrachtung
6. Literaturverzeichnis
1. „Die Geschichte soll nicht das Gedächtnis beschweren, sondern den Verstand erleuchten“ (Gotthold E. Lessing)
Dieses Zitat wähle ich als Anfang meiner Hausarbeit, da es begreiflich macht, dass eine intensive Auseinandersetzung mit der Geschichte unumgänglich ist, um die heutigen Theorien und Praxen der Sozialen Arbeit zu verstehen. Denn durch sie begreifen wir, dass wir Teil einer Entwicklung sind, die wir in der Zukunft aktiv mitgestalten werden.
Bei der Auseinandersetzung mit den Wurzeln unserer Arbeit treffen wir immer wieder auf Persönlichkeiten, die die Geschichte der Sozialen Arbeit geprägt haben und ihre Entwicklung noch bis heute mit innovativen Ideen formen.
Janusz Korczak ist einer dieser Menschen, die beharrlich versuchten etwas zu bewegen. Dabei stand für ihn die „Sache des Kindes“ im Mittelpunkt.
„Ich habe es gelobt und dabei will ich bleiben: der Sache des Kindes bin ich verpflichtet.“ (Korzcak zit. n. Newerly 1972 XVII)
Es stellt sich nun die Frage, wie sich Janusz Korczaks „Sicht des Kindes“ und seine pädagogischen Konzepte von der seiner Zeit unterscheiden.
Nachdem der Blick dieser Hausarbeit zunächst auf die Person Korczaks gerichtet wird, werden die Erziehungskonzepte seiner Zeit aufgezeigt und anschließend Korczaks „pädagogisches Konzept“ gegenübergestellt.
2. Wer ist Janusz Korczak? Seine Biographie
„Warschau, 5. August 1942. Ein freundlich-warmer Sommertag kündigt sich an. "Raus, alle Juden raus!", schreien SS-Männer und umstellen das jüdische Waisenhaus in der Sliskastraße. Die Kinder, noch schlaftrunken, kommen die Treppe herab und stellen sich in Viererreihen auf (...) Janusz Korczak, ihr vertrauter "alter Doktor", verlässt als Letzter das Haus. Auf dem Arm hat er ein kleines Mädchen. (...) "Schneller", gellt es durch das Ghetto. Die Kinder nehmen sich an der Hand. Korczak geht an der Spitze. Was er denkt, was er fühlt, wird niemand je erfahren. Unwillkürlich weicht die Menge vor "dem König der Kinder" und den hinter ihm gehenden 200 Waisen zurück. Vier Stunden brauchen sie bis ans andere Ende des Ghettos.(...) Schließlich kommen sie auf dem Gemüsemarkt der Slawkistraße an (...). Hier wartet bereits der Todeszug nach Treblinka. Noch am selben Tag fährt der Zug ab. Die Zurückbleibenden packt das schweigende Entsetzen. Mit Korczak und den Kindern stirbt im Warschauer Ghetto die letzte Hoffnung. 120 Kilometer nordöstlich von Warschau müssen sich alle auskleiden und "duschen". (Gabriele Lesser 2007)
Ich beginne meine Hausarbeit mit dieser bewegenden Ausführung von Gabriele Lesser, die ich bei der Suche nach der Antwort auf die Frage „Wer ist eigentlich Janusz Korczak?“ fand. Wer war dieser Mann der so selbstlos mit den Kindern in den Tod ging?
Janusz Korczak wurde am 22. Juli 1878 als Henryk Goldszmit in Warschau geboren. Er war Sohn einer wohlhabenden jüdischen Familie und entdeckte früh sein soziales Interesse. Seiner Großmutter vertraut er schon als Kind seinen Plan an die Armut abzuschaffen, damit es keine verwahrlosten Kinder mehr gäbe (vgl. Pelz 1997,S. 9). Sein Vater verspielt das Vermögen der Familie und stirbt bald darauf (1896) in einer Nervenheilanstalt. Aus Angst, die Geistesstörung seines Vaters könnte vererbbar sein, beschließt er keine eigene Familie zu gründen, sondern ein „Wohltäter der Menschheit“ zu werden. (vgl. Pelz 1997, S. 14)
Bald darauf muss Henryk die Familie mit Nachhilfeunterricht finanzieren. Mit 21 Jahren beginnt er sein Medizinstudium. Er schreibt nebenbei für Zeitschriften, arbeitet als Hauslehrer und unterrichtet Kinder aus dem Warschauer Elendsviertel kostenlos. Bei einem Literaturwettbewerb schreibt er unter dem Pseudonym „Janusz Korczak“ welches er sein Leben lang beibehält.
1904 promoviert er und wird kurz danach zum Kriegsdienst herangezogen. Er arbeitet dort im russisch-japanischen Krieg als Lazarettarzt und in seinem Urlaub in Sommerkolonien, die Kindern aus Armenvierteln Erholung und ein wenig Unbeschwertheit bieten. Hier entwickelt er sein pädagogisches Grundverständnis: „Hier begegnete ich zum ersten Male einer Kinderschar und lernte in selbstständiger Arbeit das ABC der pädagogischen Praxis“ (Korczak 1967, 234) Er behandelt kaum Wohlhabende und nimmt von den Patienten im Warschauer Elendsviertel nur einen symbolischen Betrag.
1911 errichtet er nach seinem Konzept das jüdische Waisenhaus Dom Sierot (Haus der Waisen) , für das er seine gutlaufende Arztpraxis aufgibt. Parallel zur Leitung des Dom Sierot arbeitet er im polnischen Waisenhaus Nasz Dom (Unser Haus).
Von 1914 bis 1916 schreibt er wieder im Kriegsdienst sein Werk „Wie man ein Kind lieben soll“ welches 1918 veröffentlicht wird.
1923 wird sei berühmtestes Kinderbuch „König Hanschen“ veröffentlicht.
1926 wird die Zeitung kleine Rundschau gegründet, in der Kinder ihre Beiträge veröffentlichen können. Von 1934-1936 ist Janusz Korczak im polnischen Rundfunk zu hören, oft auch im Gespräch mit Kindern. Nach der deutschen Besetzung Polens, wurde das Waisenhaus Dom Sierot ins Warschauer Ghetto übersiedelt. Im August 1942 werden Korczak und „seine“ Kinder und andere Erzieher nach Treblinka ins Vernichtungslager abtransportiert. 30 Jahre nach seinem Tod (1972) wird ihm der Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen.
(vgl. Kunz 1994, 13ff / Pelz 1997)
. Ausgangslage der Erziehungspädagogik
Die neuzeitliche Pädagogik begann sich im 17ten Jahrhundert herauszubilden. Es entstand ein neues Erziehungsideal, welches auf den Staat und die Gesellschaft ausgerichtet war. Gleichermaßen sollte individuelles Fortkommen und gesellschaftlicher Nutzen bewirkt werden. „Veränderung der Gesellschaft durch Erziehung“ stand hier als Leitidee im Mittelpunkt. „Pädagogisch“ wurde hier verstanden als „methodisch kontrollierbar“. Der Erzieher kann nach dieser Sicht die Wirkung hervorbringen, die er beabsichtigt.
Die Pädagogik des 18ten Jahrhunderts, auch „Pädagogik der Aufklärung“ genannt, greift diesen Gedanken auf. „Das Kind wird durch Erziehung zum Mensch“ ist einer der Grundgedanken, der von Immanuel Kant formuliert wurde. Dieser Grundgedanke impliziert, dass das Kind, wenn es zur Welt kommt, noch kein Mensch ist.
(vgl. Busch, 2004, S.18ff)
„...das Kind sei noch nichts, sondern werde erst etwas, es wisse noch nichts, sondern es werde erst etwas wissen, es könne noch nichts, sondern werde etwas können.“ (Korczak 1967, S. 44 zit. n. Busch 2005, S. 20)
Auch der Entwicklungspsychologe Sigmund Freud (1856-1939) unterstreicht diesen Ansatz, denn er sagt, dass der Mensch erst durch Sozialisation zu einem zivilisierten Menschen wird (vgl. Joas 2007 S.143).
In der zweiten Hälfte des 18ten Jahrhunderts lieferte Jacques Rousseau (1712-1778) in seinem Erziehungsroman „Emile“ (1762) einen neuen Ansatz: Das Kind sei von Geburt an gut, erst die Gesellschaft „verdirbt“ seine Natur, darum müsse man ihm genug Raum geben, um dem Kind eine eigene Entwicklung zu ermöglichen.
Die Einsicht, dass die Kindheit eine eigenständige Phase im Lebenslauf ist, die ganz eigenen von der Natur angelegten Entwicklungsgesetzen folgt und Kinder nicht nur kleine Erwachsene sind, die möglichst schnell an die Gewohnheiten der Erwachsenen angepasst werden müssen, wird in der Regel auf Rousseau zurückgeführt. Erziehung hat fortan die Aufgabe, die Entfaltung der Vernunftnatur des Menschen zu fördern. Denn der Mensch sei in der Lage durch Interaktion mit seinem Umfeld eigenständig vernünftige Urteile zu fällen. Doch der Mensch sei auch ein erziehungsbedürftiges Wesen, welches ohne Hilfe weder überleben noch vollständig Mensch werden könne. (vgl. Kemper 1990, S.14-15)
Obwohl die „gute“ Natur des Kindes benannt wird, beinhaltet dieser Ansatz also wieder den Gedanken das Kind sei noch kein vollständiger Mensch.
Rousseau verlangt eine indirekte, aber streng und manipulierenden Führung des Kindes. Er war der Ansicht, dass man dem Kind das „Übel“ (der Gesellschaft) vorenthalten muss, um so besser seine Zukunft pädagogisch gestalten zu können. Denn man wisse ja nicht, ob die „gegenwärtigen Übel zur Erleichterung der künftigen dienen.“ (aus Emile S.66ff zit. n. Oelkers 1982, S. 46)
Seine Erziehungsregeln sind auf den Erzieher ausgerichtet, nicht auf das Kind. Oelkers beschreibt diesen Ansatz als „Festlegung der Zukunft“, durch eine gezielte Erziehung des Menschen um ihn zu „perfektionieren“. So wird die Gesellschaft verändert, natürlich laut Rousseau im Interesse des Kindes. Die Emanzipationsbewegungen des 18. Jahrhunderts zielte darauf ab, die feudale Ständegesellschaft durch Erziehung zu verändern. Damals entwickelte die wirtschaftlich und sozial aufstrebende bürgerliche Schicht politische Ansichten, welche die Macht- und Sozialstruktur des Staates in Frage stellten. Die Forderung nach Gleichberechtigung für alle Bürger und die Möglichkeit der Teilhabe ohne ständische Begrenzungen der Freiheit beinhaltete, dass der Platz, den man durch Geburt in der Gesellschaft einnahm, von nun an durch individuelle Leistung für das Gemeinwohl erreicht würde. (vgl. Kemper 1990, S. 14ff)
Laut Kemper sah das aufstrebende Bürgertum in der neuentdeckten Phase der Kindheit die entscheidenden Ansatzpunkte für die Veränderung der Gesellschaft. Auch Andreas Flitner sagt, die Reformpädagogik der klassischen Zeit sei überfrachtet mit der Projektion, eigener Wünsche und Hoffnungen auf eine bessere Gesellschaft der Erwachsenen, auf die Kinder (vgl. Oelkers 1982, 45ff).
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