Allein in den Jahren 2015 bis 2018 haben laut dem BAMF 1,63 Millionen Menschen, darunter über 380.000 Kinder unter elf Jahren, Asylanträge gestellt. Die Integration von Migranten, insbesondere Flüchtlingen, ist eine der wesentlichen gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft.
Für einen besseren Überblick werden daher zu Beginn die zentralen Begriffe Migration, Integration und Flüchtlinge geklärt. Das Kapitel Integration arbeitet dabei einflussreiche soziologische Theorien heraus, um diesen komplexen Terminus zu durchdringen. Im weiteren Verlauf wird die derzeitige Situation in Deutschland mit aktuellen Zahlen skizziert und der Zeitgeist unserer Gesellschaft sowie die Lage der Flüchtlingskinder in Deutschland dargestellt. Wie aber kann die Integration, insbesondere die von Flüchtlingskindern, gelingen? Die Sprache gilt hierbei als grundlegende Voraussetzung der gesellschaftlichen Teilhabe und als Schlüssel zur Integration. Dies macht eine qualitativ hochwertige Sprachförderung für Flüchtlingskinder notwendig. Dazu werden im weiteren Verlauf zunächst grundlegende Begriffe im Sprachkontext geklärt und Grundannahmen zum Spracherwerb aufgezeigt. Im Vergleich zu vielen anderen vordergründig durch Oralität geprägten Kulturen ist die deutsche Kultur durch Literalität bestimmt (vgl. Geißler 2017). Aus diesem Grund wird das Stufenmodell des Schriftspracherwerbs nach Valtin vorgestellt und anknüpfend daran die Besonderheiten für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache demonstriert. Da das „Lesen als basale Kulturtechnik [...] die wichtigste Kernkompetenz in der heutigen Lern- und Wissensgesellschaft“ (Günther 2017) ist, wird insbesondere der Bildungsstandard Lesen – mit Texten und Medien umgehen hervorgehoben und genauer untersucht. Dabei haben Kinder „ein Recht auf Lehrkräfte, die ihre Lese- und Schreibfähigkeit erfassen und beurteilen können“ (Valtin 2009). Demzufolge sollen auch die Möglichkeiten der Diagnose und Förderung beleuchtet werden.
Im Fokus dieser Arbeit steht der Deutscherwerb bei Flüchtlingskindern in außerschulischen Einrichtungen. Seit 2011 haben Kinder, unter bestimmten Voraussetzungen, mit dem Bildungs- und Teilhabepaket die Möglichkeit ein staatlich gefördertes außerschulisches Sprachangebot in Anspruch zu nehmen. Diese Arbeit soll die subjektive Wahrnehmung zur Wirksamkeit dieses ergänzenden Angebots untersuchen.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeich
I. Einleitung
II. Theoretischer Rahmen
1. Theoretische Grundlagen zu Migration und Integration
1.1 Migration
1.2 Integration
2. Rechtlicher Rahmen: Flüchtlinge und weitere Schutzformen
3. Aktuelle gesellschaftliche Situation in Deutschland im Migrationskontext
3.1 Fakten und Zahlen
3.2 Der Zeitgeist in der Gesellschaft
3.3 Bildungssegregation
3.4 Lage der Flüchtlingskinder in Deutschland
4. Begriffserklärungen im Sprachkontext
4.1 Muttersprache
4.2 Erstsprache
4.3 Zweitsprache
4.4 Mehrsprachigkeit
4.5 Sprachregister
5. Grundannahmen zum Spracherwerb
5.1 Erstspracherwerb
5.2 Zweitspracherwerb
5.2.1 Theoretische Erklärungsversuche
5.2.2 Einflussfaktoren beim Erwerb der Zweitsprache
6. Überlegungen zum Schriftspracherwerb
6.1 Das Stufenmodell nach Valtin
6.2 Besonderheiten für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache
7. Besondere Berücksichtigung des Lesens
7.1 Lesen und Lesekompetenz
7.2 Das Mehrebenenmodell des Lesens nach Rosebrock & Nix
7.3 Leseförderung
7.4 Lese- und Mediensozialisation - Literacy-Erziehung
7.5 Lesen - mit Texten und Medien umgehen
7.6 Besonderheiten des Lesens in der Zweitsprache
8. Sprachdiagnostik im Zweitsprachenkontext
9. Gedanken zur Förderung
9.1 Orientierungshilfen für Lehrkräfte
9.2 Deutschförderung für Flüchtlingskinder
9.2.1 Organisation
9.2.2 Orientierung
9.2.2.1 Exkurs - Das Konzept der Durchgängigen Sprachbildung
9.2.3 Lebensbedeutsame und handlungsorientierte Sprachförderung
9.2.4 Planungshilfe für die Gestaltung des Unterrichts
10. Außerschulische Sprachförderung
III. Empirischer Teil — Interviews mit Schülern, Eltern und Sprachlehre
1. Methodisches Vorgehen
1.1 Widrigkeiten der empirischen Arbeit
1.2 Stichprobe und Forschungsdesign
1.3 Erhebung der Daten
1.4 Aufbereitung der Daten
1.5 Auswertung der Daten
2. Ergebnisse
2.1 Ergebnisse Sprachlehrkräfte
2.2 Ergebnisse Kinder
2.2.1 Ergebnisse der Befragung
2.2.2 Ergebnisse der Leseaufgaben
2.3 Ergebnisse Eltern
3. Diskussion der Ergebnisse
IV. Schlussbetrachtung
V. Literaturverzeich
VI. Abbildungsverzeichn
VII. Tabellenverzeichni
VIILAnhang
Abkürzungsverzeich
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Standard-Abkürzungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
I. Einleit
Die vorliegende Masterarbeit ist Teil des Forschungsprojekts Der Erwerb des Deutschen bei Schülerinnen und Schülern mit Fluchterfahrungen, welches von Herrn Prof. apl. Dr. phil. habil. Günther geführt wird. Das Forschungsprojekt setzt sich zum Ziel Aufschluss darüber zu geben, wie Flüchtlingskinder in einem für sie fremden Land die neue Sprache in Wort und Schrift erwerben. Allein in den Jahren 2015 bis 2018 haben laut dem BAMF 1,63 Millionen Menschen, darunter über 380.000 Kinder unter elf Jahren, Asylanträge gestellt. Die Integration von Migranten, insbesondere Flüchtlingen, ist eine der wesentlichen gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft. Für einen besseren Überblick werden daher zu Beginn die zentralen Begriffe Migration, Integration und Flüchtlinge geklärt. Das Kapitel Integration arbeitet dabei einflussreiche soziologische Theorien heraus, um diesen komplexen Terminus zu durchdringen. Im weiteren Verlauf wird die derzeitige Situation in Deutschland mit aktuellen Zahlen skizziert und der Zeitgeist unserer Gesellschaft sowie die Lage der Flüchtlingskinder in Deutschland dargestellt. Wie aber kann die Integration, insbesondere die von Flüchtlingskindern, gelingen? Die Sprache gilt hierbei als grundlegende Voraussetzung der gesellschaftlichen Teilhabe und als Schlüssel zur Integration. Dies macht eine qualitativ hochwertige Sprachförderung für Flüchtlingskinder notwendig. Dazu werden im weiteren Verlauf zunächst grundlegende Begriffe im Sprachkontext geklärt und Grundannahmen zum Spracherwerb aufgezeigt. Im Vergleich zu vielen anderen vordergründig durch Oralität geprägten Kulturen ist die deutsche Kultur durch Literalität bestimmt (vgl. Geißler 2017: 1). Aus diesem Grund wird das Stufenmodell des Schriftspracherwerbs nach Valtin vorgestellt und anknüpfend daran die Besonderheiten für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache demonstriert. Da das „Lesen als basale Kulturtechnik [...] die wichtigste Kernkompetenz in der heutigen Lern- und Wissensgesellschaft“ (Günther 2017: 14) ist, wird insbesondere der Bildungsstandard Lesen - mit Texten und Medien umgehen hervorgehoben und genauer untersucht. Dabei haben Kinder „ein Recht auf Lehrkräfte, die ihre Lese- und Schreibfähigkeit erfassen und beurteilen können“ (Valtin 2009: 1). Demzufolge sollen auch die Möglichkeiten der Diagnose und Förderung beleuchtet werden. Eine ganzheitliche Sprachförderung erfolgt gemäß Günther (vgl. o.J.: o.S.) in den folgenden Sektoren:
- im familiären Bereich
- im vorschulischen Bereich (Krippe, Kita)
- im schulischen Bereich
- im außerschulischen Bereich (Sprachförderung am Nachmittag oder in den Ferien)
- im nachschulischen Bereich (Freizeit, berufliche Ausbildung)
Im Fokus dieser Arbeit steht der Deutscherwerb bei Flüchtlingskindern in außerschulischen Einrichtungen. Seit 2011 haben Kinder, unter bestimmten Voraussetzungen, mit dem Bildungs- und Teilhabepaket die Möglichkeit ein staatlich gefördertes außerschulisches Sprachangebot in Anspruch zu nehmen. Diese Arbeit soll die subjektive Wahrnehmung zur Wirksamkeit dieses ergänzenden Angebots untersuchen. Wie ist die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit des aktuell angebotenen außerschulischen Sprachunterrichts und welche Optimierungsmöglichkeiten ergeben sich? Das erkenntnisleitende Interesse konzentriert sich dabei insbesondere auf den Bereich Lesen. Es soll geprüft werden welche Bedeutung dem Lesen im außerschulischen Kontext zuteil wird. Hierbei soll auch die familiäre Lesesozialisation und die Literacy- Erfahrungen der Kinder betrachtet werden. Um diese Forschungsfragen möglichst umfassend zu beantworten wurden im Sinne eines Rundumblicks außerschulische Sprachlehrkräfte, geflüchtete Kinder, die den außerschulischen Sprachkurs besuchen und geflüchtete Eltern befragt.
Der empirische Teil der Arbeit erklärt das methodische Vorgehen hinsichtlich der Datenerhebung und -auswertung. Da die Daten dieser Arbeit ausschließlich im Raum Neunkirchen (Saar) erhoben wurden sind diese nicht repräsentativ. Dennoch sollen erste Einblicke hinsichtlich der subjektiven Betrachtung der entsprechenden Akteure aufgezeigt werden. Hierbei werden die Ergebnisse zunächst deskriptiv dargestellt, im Anschluss diskutiert und mit den Ausarbeitungen des theoretischen Teils verknüpft. Die abschließende Schlussbetrachtung fasst die prägnanten Ergebnisse zusammen und generiert weiterführende Fragen und Forschungsinteressen.
II. Theoretischer Rah
1. Theoretische Grundlagen zu Migration und Integrat
1.1 Migration
Migration bezeichnet aus etymologischer Sicht [lat. migrare - dt. wandern] vielfältige Wanderungsbewegungen sowohl innerhalb von staatlichen Grenzen als auch darüber hinaus. Zu keinem anderen Zeitpunkt in der Geschichte als heute waren so viele Menschen motiviert, ihren Lebensmittelpunkt über größere räumliche Distanzen zu wechseln, weshalb die britischen Migrationsforscher Castles & Miller (2013) von der Age of Migration sprechen (vgl. Aigner 2017: 3). Daran anknüpfend beschreibt Günther (vgl. 2011: 63) eine aktuelle Migrationsflut von Menschen, die aufgrund von Krisen und Kriegen in ein anderes Land fliehen. Heckmann (vgl. 2015: 28) merkt an, dass es unterschiedliche Formen der Migration zu berücksichtigen gilt. Allgemein unterscheidet er zwischen einer freiwilligen und einer unfreiwilligen Migration. Unter Migration auf freiwilliger Basis fasst man bspw. die Arbeitsmigration und Familienzusammenführungen. Zu den unfreiwilligen Formen zählen Flucht, Asyl und illegale Migrationen. Hierbei handelt es sich um Menschen, die vor Krieg, Katastrophen oder vorhandener bzw. angedrohter politischer, ethnischer und religiöser Verfolgung fliehen und in einem fremden Staat Schutz suchen (vgl. ebd.: 24, 28).
Ende 2018 hat die Anzahl der weltweiten Flüchtlinge mit 70,8 Millionen einen neuen Höchststand erreicht (vgl. UNHCR 2019: 4). Mit 6,7 Millionen Menschen ist Syrien das Herkunftsland mit den meisten Flüchtlingen. Aber auch aus Afghanistan, Sudan und Somalia sind Menschen in großer Anzahl auf der Flucht (vgl. ebd.: 2). Hierbei wird deutlich, dass Migration mit einer wesentlichen Herausforderung, insbesondere für demokratische Gesellschaften einhergeht (vgl. Eigenmann & Geisen & Studer 2016:4).
Miqrationshintergrund Durch den Mikrozensus 2005 wurde der statistische Terminus Menschen mit Migrationshintergrund operationalisiert (vgl. Günther 2011: 10). Aus der Kerndefinition ist abzuleiten, dass darunter alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem nach 1949 zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland (Statistisches Bundesamt 2010: 6). zu fassen sind. In Deutschland leben den Erhebungen des Mikrozensus 2017 zufolge insgesamt 19.3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Damit haben 23.6 % der in deutschen Privathaushalten lebenden Personen einen Migrationshintergrund (vgl. BAMF 2019a: 192). Diese gliedern sich im Einzelnen wie folgt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland 2017 (BAMF 2019a: 194)
1.2 Integration
Migration stellt sowohl die Migranten selbst als auch die entsprechende Aufnahmegesellschaft vor vielfältige Herausforderungen. Hierzu zählt u. a. die Befriedigung von Grundbedürfnissen wie Gesundheit, Wohnraum, Bildung, Arbeit und Einkommen. Durch diese Herausforderungen entsteht ein erster Kontakt zwischen der aufnehmenden Gesellschaft und den Migranten. Hier findet der Anstoß eines Prozesses einer gesellschaftlichen Partizipation statt, welchen man als Integration bezeichnet (vgl. Heckmann 2015: 21).
Für Günther & Trömer (vgl. 2013: 129) ist Integration als Einbindung von Migranten aus anderen Ländern und einer fremden Sprache in das Gesellschaftsgewebe zu verstehen. Damit soll die soziale Teilhabe im Sinne einer Mitgliedschaftswerdung einhergehen (vgl. Heckmann 2015: 21). Integration ist als soziologisches Konstrukt zu verstehen, welches den „Zustand der Gesellschaft, in dem alle ihre Teile fest miteinander verbunden sind und eine nach außen abgegrenzte Einheit bilden“ (Münch 1997: 66) bezeichnet.
Zu diesen verbundenen Teilen zählen u. a. gesellschaftliche Subsysteme, Institutionen sowie individuelle Akteure (vgl. Hans 2016: 25). In Anlehnung an Lockwood (1964) ergibt sich daraus eine Segmentierung des Integrationsbegriffes in die System integration auf der Makroebene und die Sozial integration auf der Mikroebene (vgl. Heckmann 2015: 70).
Systemintegration als gesellschaftlicher Zusammenhalt bezieht sich auf die Relationen zwischen den gesellschaftlichen Teilsystemen, wie z. B. Wirtschaft, Politik, Recht und Bildungswesen im Hinblick auf die Stabilität des Systems (vgl. ebd.: 73). Die Sozial integration nimmt dagegen eine individuelle Perspektive ein und betrachtet die Eingliederung eines Migranten in ein bestehendes soziales System, wie z. B. in eine Bildungseinrichtung. Dies erfolgt durch soziale Kontakte zu Menschen ohne Migrationshintergrund und durch politische Partizipation; Sozialintegration bedeutet also gesellschaftliche Mitgliedschaft zu erlangen (vgl. Heckmann 2015: 70; Esser 2006: 7; Hans 2016: 25f.).
Die folgenden Ausführungen gehen primär auf die Ebene der Sozial integration ein. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es im Zuge der großen Migrationswelle in die USA die ersten theoretischen Erklärungsansätze für die Integration von Migranten (vgl. Fincke 2009: 28). Hierzu zählt v. a. das Race-Relation-Cycles-Konzept von Park & Burgess (1921). Es handelt sich dabei um einen sukzessiven Prozess, der aus den Phasen Wettkampf, Konflikt, Akkomodation und Assimilation besteht (vgl. Fincke 2009: 28). In der ersten Phase kommt es zu einem allgemeinen Wettstreit um Ressourcen, während es in der Konfliktphase bewusst zu Konfrontationen mit dem Zweck der Statusmaximierung kommt. Im Zuge der Akkomodation werden die Konflikte aufgrund der Anpassung an die neue Situation zurückgestellt. Die Assimilation ist abschließend ein unbewusster Vorgang, welcher sich überwiegend auf der persönlichen Ebene abspielt (vgl. ebd.: 28f.). Nach dieser Theorie erfolgt die Integration durch die Assimilation in einem unvermeidlichen Prozess (vgl. Hans 2016: 29, 45). Der Begriff Assimilation beschreibt im Kontext der Migrationsforschung das Verschwimmen von Grenzen zweier unterschiedlicher sozialer Gruppen (vgl. ebd.: 27). Diese Theorie beruht auf der Annahme, dass sich die Unterschiede zwischen der Aufnahme- und Zuwanderungsgesellschaft in einem geradlinigen Prozess generationsübergreifend im Laufe der Zeit auflösen und die ethnische Zugehörigkeit keinen Einfluss mehr auf die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben hat. Demzufolge bestimmen ausschließlich die jeweiligen individuellen Fähigkeiten die gesellschaftliche Stellung der Akteure (vgl. ebd.: 29).
Gordon (1964) erweitert das beschriebene Konzept in seinem Werk Assimilation in American Life um die Segmentierung in sieben verschiedene, nicht zwingend aufeinanderfolgende Teilbereiche der Assimilation (vgl. Hans 2016: 30; Fincke 2009: 30).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab.1: Assimilationsvariablen nach Gordon 1964 (selbst erstellt nach vgl. Aigner 2017: 34)
Nach Gordon stellt die strukturelle Assimilation den entscheidenden Schritt dar, der zur vollständigen Anpassung führt (vgl. Aigner 2017: 34). Seinen Ausführungen folgend ist zwar davon auszugehen, dass mit dem Erwerb der Sprache der Aufnahmegesellschaft zuerst eine kulturelle Angleichung erfolgt, diese die anderen Prozesse jedoch nicht zwangsläufig anstößt. Sobald jedoch die strukturelle Assimilation erreicht ist, werden die anderen Teilprozesse voraussichtlich folgen (vgl. Hans 2016: 31).
Integration ist nach Gordon theoretisch auch in einen Schmelztiegel oder einen kulturellen Pluralismus denkbar. Aus empirischer Sicht gibt es seiner Ansicht nach jedoch nur eine Assimilation in eine core society, welche in der deutschen Debatte als Leitkultur bekannt ist (vgl. Fincke 2009: 30f.).
Das im deutschsprachigen Raum bekannte Rational-Choice-Modell von Hartmut Esser weist eine starke Orientierung an Gordons Konzeption auf (vgl. Windzio & Wingens 2014: 25). Dieser handlungstheoretische Ansatz versteht die Handlungen der Akteure als eine rationale Entscheidung (rational choice), um den jeweiligen Nutzen zu maximieren (vgl. Fincke 2009: 33). Bezogen auf die aufnehmende Gesellschaft agieren Migranten demnach in Abhängigkeit von der individuellen Motivation assimilativ oder nichtassimilativ. Der Integrationserfolg ist somit primär von der Investitionsbereitschaft, also der Kosten-Nutzen-Abwägung, der Migranten abhängig (vgl. Hans 2016: 31). „Eine langfristige Bleibeabsicht der Migranten wird z. B. als typischer Prädiktor für die Investitionsbereitschaft in ihre strukturelle Assimilation in die aufnehmende Gesellschaft“ (Blossfeld 2016: 101) gesehen.
In Abgrenzung zu Gordon unterscheidet er jedoch die Sozialintegration von Einwanderern auf drei sich voneinander abgrenzenden Gesellschaftssysteme (vgl. Esser 2001: 19). Neben der Aufnahmegesellschaft können die Einwanderer auch in die Gesellschaft des Herkunftslandes sowie in die Ethniengemeinschaft des Einwanderungslandes integriert sein (vgl. ebd).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 2: Typen der (Sozial-)lntegration von Migranten (Esser 2001: 19)
Findet eine Sozialintegration weder in die Aufnahme- noch in die Herkunftsgesellschaft bzw. Ethniengesellschaft im Aufnahmeland statt, spricht man von Marginalität. Im Falle einer Sozialintegration ausschließlich in die Herkunftsgesellschaft ist ein Migrant segregiert. Die Mehrfachintegration beschreibt dagegen die Integration in beide Gesellschaftstypen, während bei Migranten, bei denen die Integration ausschließlich in die Aufnahmegesellschaft erfolgt, von Assimilation gesprochen wird (vgl. Esser 2001: 20). Die Assimilation stellt demzufolge eine Sonderform der Integration dar (vgl. Windzio & Wingens 2014: 26). Auch hinsichtlich der Assimilation können ebenfalls vier unterschiedliche Dimensionen betrachtet werden: strukturelle, kulturelle, soziale und identifikative Assimilation1 (vgl. Heckmann 2015: 72; Esser 2006: 8).
Die Dimension der strukturellen Assimilation verfolgt das Ziel des Erwerbs der Mitgliedschaft in Bereichen wie dem Bildungssystem, der Wirtschaft, des Arbeits- und Wohnungsmarktes. Dieser Erwerb erfordert, ausgehend von den Migranten, einen Prozess des Lernens und der Sozialisation (vgl. Heckmann 2015: 72). Auch die Dimension der kulturellen Assimilation richtet sich überwiegend an die Migranten selbst, die in eine Art Humankapital investieren müssen. Damit ist die Aneignung von Wissen und ausgewählten Kompetenzen, insbesondere sprachlicher Art, gemeint (vgl. Esser 2001: 8f.). Die Dimension der sozialen Assimilation zielt auf die fortschreitende Eingliederung der Migranten auf privater Ebene, wie bspw. bei freundschaftlichen Beziehungen, Partnerwahlstrukturen und Mitgliedschaften in Vereinen. Das daraus resultierende Zugehörigkeitsgefühl und die Bereitwilligkeit sich mit den „nationalen, ethnischen, regionalen und sozialen Kollektivstrukturen“ (Heckmann 2015: 73) zu identifizieren wird als identifikative Integration beschrieben.
Zwischen den vier dargestellten Dimensionen besteht ein Kausalzusammenhang: Die Identifikation mit der Aufnahmegesellschaft gelingt im Wesentlichen durch soziale Bezüge auf privater Ebene. Wichtige Voraussetzung hierfür sind kulturelle Kompetenzen, v. a. die Sprachhandlungskompetenz (vgl. Esser 2001: 17). Die Beherrschung der Sprache ist neben der Funktion als Kommunikationsmedium eine entscheidende Ressource, um weitere Mittel zu erwerben. Vor diesem Hintergrund ist die sprachliche Assimilation ein zentraler Ausgangspunkt jeder weiteren Sozialintegration der Migranten abseits des ethnischen Kontextes (vgl. Esser 2006:11; Hans 2016: 27).
Multikulturalismus und die Gefahr der ethnischen Schichtung In den 80er Jahren führte v. a. die ethnozentrische Kritik des Assimilationsmodells zu einer Forderung nach alternativen Modellen. Während klassische Assimilationsmodelle fordern, dass ethnische Minderheiten an die implizit als höhenwertig verstandene Kultur der ethnischen Mehrheit angepasst werden müssen, ist die gemeinsame Kernidee aller multikulturellen Modelle geprägt durch eine gleichwertige und schätzende Haltung, Anerkennung und sogar Förderung der unterschiedlichen Kulturen (vgl. Hans 2016: 34; 39; Windzio & Wingens 2014: 32). Eine Politik, die dem Konzept des Multikulturalismus folgt führt demnach zu einem hohen Grad kultureller Vielfalt (vgl. Windzio & Wingens 2014: 32). Löffler (2011: 106) beschreibt den Multikulturalismus normativ als „ein gesellschaftspolitisches Programm, das das Recht der verschiedenen ethnokulturellen Gruppen auf abweichende Lebensweisen artikuliert und darauf besteht, dass alle Kulturen gleichwertig sind“. Dabei wird ein friedvolles Nebeneinander von Menschen mit heterogener Herkunft, Religion und Sprache angestrebt, bei der niemand aufgrund der jeweiligen Zugehörigkeit bevorzugt oder benachteiligt wird (vgl. Schirilla 2013: 21). Als Musterbeispiel für einen gelungenen Multikulturalismus wird in der Literatur vielfach auf Kanada verwiesen. Hier resultiert die Verwurzelung mit der eigenen sozialen Gruppe in einer stärkeren gesamtgesellschaftlichen Stabilität (vgl. Ohlert2015: 19).
Esser (2001: 33) moniert bei dem Konzept des Multikulturalismus jedoch die Nichtbeachtung der „gesellschaftlichen Strukturierung interethnischer Beziehungen - Die ethnische Schichtung“. Unter ethnischer Schichtung versteht man existierende vertikale soziale Ungleichheiten im ethnischen Gruppenvergleich (vgl. ebd.). Hier sind für die soziale Stellung im Schichtungsgewebe nicht mehr ausschließlich ,normale’ Schichtungsdeterminanten wie Bildung, Arbeit und Gehalt verantwortlich, sondern zusätzlich auch die ethnische Zugehörigkeit (vgl. ebd.: 79). Da diese nicht in einem Wettkampf erworben wird, sondern automatisch vorhanden ist, spricht Heckmann (vgl. 2015: 79) von einem „Zuschreibungsprozess, der entgegen den Prinzipien einer „modernen“ Gesellschaft askriptiv erfolgt“. Des Weiteren spricht er dabei auch von einer Parallelgesellschaft und sieht in deren Bestehen einen Hinweis einer gescheiterten Integration. Eine ethnische Differenzierung ohne vertikale soziale Ungleichheiten bezeichnet Esser als multikulturelle Gesellschaft, die seinen Ansätzen folgend praktisch jedoch nicht existiert, da ethnische Differenzierungen auf Dauer immer in ethnischen Schichtungen münden (vgl. Esser 2001: 33, 36). Für ihn ist eine multiethnische Gesellschaft im Sinne des Multikulturalismus „nichts als ein schöner Traum“ (ebd.: 36). Vielmehr betont er die Gefährdung der Systemstabilität durch strukturelle Spannungen zwischen den Gruppen als Resultat von ethnischen geschichteten Sozialstrukturen und deren vertikalen Ungleichheiten (vgl. ebd.: 43). Ethnische Schichtung kann auch in Form von räumlicher Segregation stattfinden. Hierbei handelt es sich um Ballung bestimmter ethnischer Bevölkerungsgruppen in speziellen Stadtbezirken (vgl. ebd.: 39). Gerade für Migrantenkinder ergibt sich daraus in Bezug auf die Schulbildung eine ungünstige Ausgangslage, denn „segregierte Wohnstrukturen führen tendenziell zu segregierten Schulstrukturen“ (Heckmann 2015: 134).
Um eine Parallelgesellschaft zu verhindern postuliert Günther (vgl. 2011: 65f), dass die große soziale Distanz zwischen der Aufnahmegesellschaft und den ehtnischen Minderheiten überbrückt werden müssen, indem die jeweiligen Bevölkerungsgruppen offener miteinander umgehen und den Dialog suchen. Denn nur dadurch können die sozialen Distanzen und Vorurteile verringert werden. Er sieht insbesondere in dem Medium Sprache das Werkzeug, um in den verschiedenen Handlungsfeldern teilhaben und soziale Beziehungen aufbauen zu können. Nur so kann eine Existenz von Parallelgesellschaften vermieden und eine Gesamtgesellschaft angesteuert werden. Insbesondere die Sprache ist demnach ein entscheidender Schlüssel zum Erfolg in allen Lebenslagen, da Integration nur gelingen kann, wenn Menschen das Bedürfnis haben Kontakt aufzunehmen und fähig sind miteinander zu kommunizieren (vgl. Günther 2011: 8, 67). Der Integrationsprozess der Migranten ist demnach über soziale Interaktionen und somit Kommunikation wesentlich beeinflussbar. Die Sprache mediiert den Aufbau dieser zwischenmenschlichen Beziehungen, welche zu einem Wohlbefinden innerhalb der Gesellschaft führen (vgl. ebd. 29). Folglich ist der Begriff der Integration dynamisch, der, insbesondere in Abhängigkeit von der jeweiligen Sprachkompetenz, vom vollständigen Angekommensein bis zur vollständigen Ablehnung reichen kann (vgl. ebd.: 67). Im Hinblick auf die besondere Stellung der Sprachhandlungskompetenz für die Integration soll der Erwerb der deutschen Sprache bei migrierten Kindern ab Kap. 5 näher betrachtet werden.
2. Rechtlicher Rahmen: Flüchtlinge und weitere Schutzformen
In Kap. 1.1 wurde bereits beschrieben, dass Flucht und Asyl zu den Formen unfreiwilliger Migration gehören. In diesem Kapitel sollen nun davon ausgehend verschiedene Schutzformen unter Berücksichtigung des rechtlichen Rahmens erläutert werden.
Die Bezeichnung Flüchtling wird in der alltäglichen Verwendung oft synonym für alle aus ihrer Heimat geflüchteten Personen verwendet. Nach der Definition der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) wird diese Bezeichnung jedoch enger gefasst und umfasst lediglich eine Personengruppe, die aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will (UNHCR 1967: 2 [Art. 1A Nr. 2]).
Neben dem Flüchtlingsstatus gibt es noch drei weitere Schutzformen. Hierzu zählt die Asylberechtigung, welche im Grundgesetz Artikel 16a geregelt ist. Wenn die Personen ihren Asylanspruch aufgrund politischer oder persönlicher Verfolgung, ausgehend vom Heimatstaat, nachweisen können und nicht über einen sicheren Drittstaat über den Landweg eingereist sind, sind sie Asylberechtigte (vgl. BAMF 2019c: 22). Der entscheidende Unterschied zur GFK ist, dass hier eine Verfolgung vom Heimatstaat aus vorliegen muss und die Einreise nicht über den Landweg erfolgen darf. Bei anerkannten Flüchtlingen gemäß der GFK kann die Verfolgung auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen. Trotz der unterschiedlichen Bedingungen für den jeweiligen Status, haben anerkannte Flüchtlinge und Asyl berechtigte die gleichen Rechte und Ansprüche. Beide haben zunächst eine auf drei Jahre befristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Nach deren Ablauf wird der jeweilige Schutzstatus erneut überprüft. Bleibt der Schutzstatus unverändert, bekommt der anerkannte Flüchtling oder Asylberechtigte eine unbefristete Niederlassungserlaubnis (vgl. ebd.: 22f.; 31f.).
Eine weitere Schutzform stellt der Subsidiäre Schutz dar, der für Menschen gilt, denen im Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht und sie den Schutz ihres Herkunftslands nicht in Anspruch nehmen können oder wegen der Bedrohung nicht in Anspruch nehmen wollen. Ein ernsthafter Schaden kann sowohl von staatlichen als auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen. Als ernsthafter Schaden gilt: die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (BAMF 2019c: 24).
Subsidiär Schutzbedürftige erhalten eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis von einem Jahr, welche um zwei weitere Jahre verlängert werden kann (vgl. BAMF 2019c: 24). Nach frühestens fünf Jahren kann dies in eine dauerhafte Niderlassungs- erlaubnis übergehen, sofern Voraussetzungen wie die Sicherung des Lebensunterhaltes und ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache gewährleistet sind (vgl. ebd.: 31). Subsidiär Schutzbedürftige haben kein Recht auf einen privilegierten Familiennachzug. Für diese Personen gibt es ein Kontingent von 1.000 Personen pro Monat (vgl. ebd.: 27).
Anerkannte Flüchtlinge oder Asylberechtigte hingegen haben ein Anspruch auf privilegierten Familiennachzug. Dazu zählt der Nachzug des Ehepartners sowie der minderjährigen Kinder (vgl. ebd.).
3. Aktuelle gesellschaftliche Situation in Deutschland im Migrationskont
3.1 Fakten und Zahlen
Seit dem Erlass des Zuwanderungsgesetzes von 2005 betrachtet sich die Bundesrepublik Deutschland als Einwanderungsland. Allein von 2015 bis 2018 gab es über 1,63 Millionen Erst- und Folgeanträge auf Asyl (vgl. Natarajan 2019: 18)
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Abb. 2: Ausschnitt aus der Entwicklung der Asylantragszahlen (BAMF 2019a: 5)
Für das Jahr 2019 gingen beim BAMF von Januar bis August bereits 114.165 Asylanträge ein (vgl. Abb. 2) Folgende Abbildung zeigt dabei die Verteilung der Staatsangehörigkeit für den Zeitraum Januar bis August 2019.
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In der Stadt Neunkirchen (Saar) hat sich der Ausländeranteil seit 2008 auf 17,36 % im Jahr 2019 nahezu verdoppelt. Mit Abschluss des Jahres 2018 hatte jeder dritte Einwohner einen Migrationshintergrund. Insbesondere bei den Gruppen der Bulgaren und Rumänen ist seit 2014 ein deutlicher Zuzug zu verzeichnen. Ebenfalls stark zeigt sich der Zuwachs syrischer Einwohner seit Anfang 2015 von 113 Personen auf 1543 Personen Ende 2018. Die in Kap. 1.2 genannte Wohnsegregation zeigt sich in der Neunkircher Innenstadt mit einem Migrantenanteil von 37 %, was v. a. durch geringere Wohnstandards bewirkt wird (vgl. Emmerich 2019: o. S.).
3.2 Der Zeitgeist in der Gesellschaft
Im Zuge der Flüchtlingswelle 2015 zeigte sich in Deutschland eine Willkommenskultur, welche die Bundeskanzlerin Merkel mit den Worten Wir schaffen das untermauerte (vgl. Widdascheck 2019: 161). Der Sommer 2015 war durch eine Bewegung der Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen geprägt (vgl. Karakayali & Kleist 2016: 3). Nach Blossfeld (vgl. 2016: 92f) darf dieses zivilgesellschaftliche Engagement jedoch nicht über kritische Strömungen hinwegsehen. Laut der Infratest dimap Studie (vgl. 2015: 3-5) geben immerhin 44 % der Befragten an, dass sich die Zuwanderung eher negativ auswirken würde und 50 % äußern sogar Angst vor den hohen Flüchtlingszahlen zu haben. Für Blossfeld (vgl. 2016: 94) können diese Ängste zu Vorurteilen und Ablehnung gegenüber den Einwanderern führen. So hat sich die PEGIDA-Bewegung aus Angst vor einer kulturellen islamisch geprägten Überfremdung herausgebildet (vgl. Foroutan 2016: 234). Widdascheck (vgl. 2019: 158) schreibt sogar, dass die Stimmungslage nach dem großen Flüchtlingsstrom 2015 gekippt ist und sich die anfängliche Willkommenskultur hin zu einem häufigen Misstrauen gegenüber Flüchtlingen gewandelt hat. Faus & Storks (vgl. 2019: 2ff) führen auf Grundlage einer Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung 2018 jedoch an, dass es sich dabei nur um ein Viertel der Befragten handelt. Die Hälfte dagegen zeigt sich überwiegend aufgeschlossen für die Aufnahme von Flüchtlingen, wohl wissend der Herausforderungen, welche damit verbunden sind. Ein weiteres Viertel kann einer weltoffen-pluralistischen Gruppe zugeordnet werden, welche Migration unterstützt. Zick & Küpper & Berghan (vgl. 2019: 7) halten fest, dass es eine Polarisierung der politischen Ränder gibt, welche anwächst und das Land spaltet. Hasserfüllte Taten gegen Flüchtlinge sind keine Seltenheit, wie die 1.400 Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte zeigen (vgl. ebd.: 20). Dennoch gelangt die Befragung des Integrationsbarometers 2018 zu dem Ergebnis, dass die Einstellung gegenüber Flüchtlingen überwiegend zustimmend ist. Das gesellschaftliche Zusammenleben wird mehrheitlich positiv bewertet. Diese Einschätzung, dass sich das gesellschaftliche Zusammenleben günstig auswirkt, ist bei Personen mit Alltagskontakt in Bezug auf kultureller Heterogenität stabil. Im Gegensatz dazu hat sich das Integrationsklima für die Jahre 2016 und 2017 v. a. bei Menschen ohne Migrationshintergurnd, bei denen es keine zwischenmenschlichen Berührungspunkte mit kultureller Vielfalt gab, verschlechtert (vgl. Faus & Storks: 4). Sowohl Menschen ohne als auch mit Migrationshintergrund bewerten den Integrationsprozess als umso erfolgreicher, je höher die Kontaktdichte mit kultureller Vielfalt ist. Diese kann sich im Freundeskreis, der Nachbarschaft oder auch am Arbeitsplatz zeigen (vgl. ebd.: 8).
3.3 Bildungssegregation
Da in Kap. 1 erwähnt wird, dass Wohnsegregation immer auch Bildungssegregation nach sich zieht, wird hier die Situation an deutschen Grundschulen kurz aufgezeigt. Die Daten der IGLU und TIMMS Leistungserhebungen von 2011 zeigen auf, dass Kinder mit und ohne Migrationshintergrund in eine unterschiedliche Lernumgebung eingegliedert sind (vgl. SVR 2013: 7). 41,3 % der Kinder mit Migrationshintergrund besuchen segregierte Schulen - d. h. Schulen, deren Migrationsanteil höher als 50 % ist. Dahingegen umfasst der Anteil von Kindern ohne Migrationshintergrund an segregierten Grundschulen lediglich 7,7 %. Einen weiteren Einfluss auf die Schulsegregation hat auch die entsprechende Struktur der Wohnregion. Während in ländlichen Gegenden eher geringe Segregation besteht, ist sie in urbanen Großregionen besonders ausgeprägt. Es zeigt sich aber auch, dass der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund an segregierten Grundschulen über alle Wohnregeionen hinweg signifikant höher ist, als der der Kinder ohne Migrationshintergrund (vgl. ebd.: 8f.). Für die Bildungssegregation an den deutschen Grundschulen gibt es zwei Erklärungen: Zum einen ist sie primär den jeweiligen Wohnstrukturen aufgrund sozialer Ungleichheiten geschuldet. Und zum anderen wird die Situation durch die elterliche Einflussnahme auf die Schulauswahl verschärft (vgl. ebd.: 13). So beantragen in urbanen Ballungsräumen 10 % der Eltern ohne Migrationshintergrund einen Schulwechsel, da sie an einer Schule mit hohem Migrationsanteil schwächere Leistungen ihrer Kinder befürchten (vgl. ebd.:15; 19).
3.4 Lage der Flüchtlingskinder in Deutschland
Im Zeitraum Januar bis August 2019 wurden 48.870 Asylanträge von Minderjährigen gestellt, was 49,7 % aller Anträge ausmacht (vgl. BAMF 2019b: 8). Die UNICEF sieht in Deutschland Defizite beim Umgang mit Flüchtlingskindern und attestiert in vielen Bereichen, wie z. B. der Bildung, Benachteiligungen gegenüber gleichaltrigen Kindern ohne Migrationshintergrund (vgl. UNICEF 2016: 5f). Daneben kritisiert die UNICEF eine unterschiedliche Behandlung innerhalb der Gruppe der Flüchtlingskinder, abhängig von der Bleibeperspektive (vgl. ebd.: 6). Kinder aus sicheren Herkunftsländern haben eine geringe Bleibeperspektive und werden unzureichend in das Schulsystem eingegliedert, da kaum eine Verteilung auf die Kommunen stattfindet (vgl. ebd.: 7). Der Lagebericht der UNICEF ruft dazu auf, allen Kindern unabhängig von der Herkunft und Bleibeperspektive die gleichen Rechte zu gewährleisten (vgl. ebd..: 22).
Nachteilig wirkt u. a. eine lange Aufenthaltsdauer in der nicht kindgerechten Umgebung einer Erstaufnahmeunterkunft (vgl. ebd.: 5). Teilweise müssen Kinder über sechs Monate in einer solchen Gemeinschaftsunterkunft verharren (vgl. ebd..: 7). Dies hat zur Folge, dass die Kinder je nach Bundesland in dieser Zeit keinen Zugang zum Schulsystem haben, da die Schulpflicht z. B. in Nordrhein-Westfalen erst drei Monate nach einer Zuteilung an eine Kommune wirkt (vgl. ebd.: 11). Doch gerade nach den teilweise traumatischen Erfahrungen einer Flucht könnte ein regulärer Schulbesuch Normalität und Stabilität in den Alltag der Flüchtlingskinder bringen (vgl. ebd: 14, 23). Für das Saarland gilt nach § 1 des Schulpflichtgesetzes, für alle Kinder - auch ausländische Kinder in Besitz einer Aufenthaltsgestattung bzw. Duldung - die allgemeine Schulpflicht. Das heißt Flüchtlingskinder können im Saarland ab dem ersten Tag dieses Recht in Anspruch nehmen (vgl. SAARLAND 2016: 29).
4. Begriffserklärungen im Sprachkont
4.1 Muttersprache
Jung & Günther (vgl. 2016: 57) folgend handelt es sich bei der Muttersprache nach formalen Aspekten um die gesprochene Sprache der Mutter. Die Grundlagen hierfür werden bereits vor der Geburt im Mutterleib gelegt und nach der Geburt in einem natürlichen Prozess erworben (vgl. Günther & Trömer 2013: 184; Jung & Günther 2016: 57). Bei der Muttersprache handelt es sich also um die erste Sprache, welche das Kind spricht (vgl. Jung & Günther 2016: 57).
4.2 Erstsprache
Fälschlicherweise wird die Erstsprache häufig synonym zu der Muttersprache verwendet (vgl. Jung & Günther 2016: 57). Günther & Trömer (vgl. 2013: 85) erklären jedoch, dass es sich bei der Erstsprache eines Kindes in den meisten Fällen um die Muttersprache handelt. Weicht die Umgebungssprache, wie z. B. bei Migranten, von der Muttersprache ab und wird im familiären Kontext verwendet, ist diese die Erstsprache des Kindes. Respektive ist die Erstsprache nicht zwangsläufig die zuerst erworbene Sprache (vgl. Jung & Günther 2016: 56). Die Erstsprache wird vom Kind lediglich am kompetentesten beherrscht (vgl. Günther & Trömer 2013: 85).
4.3 Zweitsprache
Unter der Zweitsprache versteht man „jede Sprache, die nach der Erstsprache erlernt wird“ (Jung & Günther 2016: 57). Für das Kind hat die Zweitsprache die fundamentale Funktion der Kommunikation mit den Mitgliedern der Gesellschaft, in der das Kind lebt (vgl. ebd.).
4.4 Mehrsprachigkeit
Ein Kind wird dann als mehrsprachig beschrieben, wenn es mindestens zwei Sprachen täglich als Kommunikationsmedium verwendet. Voraussetzung ist der reibungslose Wechsel der jeweiligen Sprachen (vgl. Jung & Günther 2016: 59). Im Kontext der Globalisierung und Europäisierung ist die Zahl der mehrsprachigen Menschen in Deutschland wachsend (vgl. ebd.: 63). So sind etwa 20 % der Kinder im Grundschulalter mehrsprachig, da sich die Herkunftssprache von der deutschen Sprache unterscheidet (vgl. ebd.: 86). Esser (vgl. 2006: 15) schreibt, dass die Mehrsprachigkeit auch unabhängig von Migrationskontexten häufiger Verwendung findet, als die reine Einsprachigkeit.
4.5 Sprachregister
„Sprachregister sind Formen des Sprachhandelns, die durch bestimmte Kommunikationssituationen vorgegeben und somit zu erwarten sind“ (Boysen 2015: 58). Die jeweilige Sprachverwendung orientiert sich also an der Funktion und dem jeweiligen Situationskontext (vgl. Gogolin & Lange 2011: 110). Die im folgenden skizzierten Sprachregister werden mit dem Konzept der BICS (Basic Interpersonal Communicative Skills) und CALP (Cognitive Academic Language Profiency) von Cummins (2010) in Beziehung gesetzt.
Unter BICS wird die Basissprache verstanden und damit Sprachfertigkeiten, welche situationsgebunden sind. Die Bedeutung wird dabei über den Kontext, eigene soziale und kulturelle Erfahrungen, Intonation oder nonverbales Verhalten erschlossen.
CALP insistiert eine Erschließung der Bedeutung aus rein sprachlichen Informationen und verlangt demzufolge eine höhere Sprachkompetenz, die auch als Bildungssprache bezeichnet wird (vgl. Rösch 2017: 176).
Familiensprache
Günther & Trömer (vgl. 2013: 90) definieren die Familiensprache als eine Sprache, die im Rahmen der Familie in allen Situationen verwendet wird. Dabei handelt es sich gewöhnlich um die Muttersprache des Kindes, welche bei Kindern mit Migrationshintergrund in der Regel die Herkunftssprache ist. Die Familiensprache ist geprägt durch Intimität und räumliche Nähe (vgl. Oomen-Welke 2017: 398). Im Rahmen des familiären Sprachumfeldes vollzieht sich auch der erste, basale Sprach- erwerb, welcher in etwa dem von Cummins (2010) geprägten Begriff BICS entspricht (vgl. ebd.: 399).
Umgangssprache
Im Umfeld der Kinder mit Migrationshintergrund wird zudem die Umgangssprache - auch Alltagssprache genannt - gesprochen. Hierbei handelt es sich um eine Mischform von sprachlichen Komponenten der Muttersprache und der neuen formal korrekten Standardsprache Deutsch (vgl. Günther 2017: 14).
Bildungssprache
Bei der Verwendung dieses formellen Sprachregisters müssen spezifische formale Aspekte beachtet werden (vgl. Gogolin & Lange 2011: 111). Die Bildungssprache dient als sprachliches Medium von Inhalten, die sich nicht auf die unmittelbare gemeinsame Situation der Kommunizierenden beziehen. Da komplexe Inhalte auch abseits einer bestimmten Interaktionssituation vermittelt werden sollen ist auf eine klar strukturierte und korrekte Sprachverwendung zu achten (vgl. ebd.: 112). Im Gegensatz zur Familiensprache ist für die Bildungssprache eine räumlich-zeitliche Distanz und eine Orientierung an der konzeptionellen Schriftlichkeit charakteristisch (vgl. Rösch 2017: 176; Oomen-Welke 2017: 402). Dieses Sprachregister ist wesentlicher Bestandteil von Sprachhandlungen im schulischen Kontext und entspricht dem von Cummins (2010) geprägten Terminus CALP (vgl. ebd.). Insbesondere für Kinder mit einer nichtdeutschen Familiensprache ist der Erwerb bildungssprachlicher Fähigkeiten zusätzlich mit einem Sprachwechsel verknüpft. Kinder mit Migrationshintergrund müssen simultan basale und elaborierte sprachliche Mittel erlernen und diese entsprechend der jeweiligen Situation einsetzen (vgl. Oomen-Welke 2017: 399f.).
5. Grundannahmen zum Spracherw
5.1 Erstspracherwerb
In der Literatur gibt es zahlreiche theoretische Erklärungsversuche zum Spracherwerb. Im Folgenden werden vier unterschiedliche Theorien dargelegt.
Behaviorismus
Dieser erste globale Ansatz erklärt, dass es sich bei jeder Art des Lernens - also auch beim Sprachen lernen - um ein kleinschrittiges Aneignen von Verhaltensweisen handelt (vgl. Huneke & Steinig 2013: 31). Bei diesem lerntheoretischen Ansatz von Skinner (1957) wird davon ausgegangen, dass Kinder die sprachlichen Äußerungen von Erwachsenen dann imitieren, wenn sie dadurch positiv verstärkt werden - sie werden demnach zu Sprachhandlungen geführt (vgl. Jung & Günther 2016: 89f). Behaviorismus sieht Kinder als inaktive Individuen, deren Aneignung der Sprache über ihre Umwelt erfolgt. Diesem Ansatz folgend ist eine Entwicklung, Unterstützung und Förderung durch Eltern und pädagogische Fachkräfte möglich (vgl. ebd.: 90).
Nativismus
In Abgrenzung zum Behaviorismus betrachtet die nativistische Theorie den Spracherwerb als angeborene Fähigkeit, die einem Reifungsprozess unterliegt (vgl. Jung & Günther 2016: 90). Chomsky (1969) geht davon aus, dass die Fähigkeit von Kindern, sich die grammatischen Normen der jeweiligen Muttersprache in einem Umfeld eines häufig fehlerhaften und unsystematischen Inputs eigenständig zu erschließen, in einem angeborenen sprachspezifischen kognitiven Modul (language acquisition device - LAD) angelegt ist (vgl. Huneke & Steinig 2013: 37). Das Sprachumfeld der Kinder ist in diesem Konzept demnach subordinativ zu betrachten (vgl. Jung & Günther 2016: 90). Schwierigkeiten der behavioristischen Theorie treten u. a. dann auf, wenn es um die Erklärung neuer, kreativer Verhaltensweisen geht, z. B. bei der fehlerfreien Formulierung von neuen Sätzen (vgl. Bickes & Pauli 2009: 34). Bezogen auf dieses kreative Vermögen postuliert Chomsky, dass jedes Individuum zur Produktion unendlich vieler Sätze in der Lage ist (vgl. Jung & Günther 2016: 90). Nur auf Grundlage des angeborenen kognitiven Mechanismus ist es möglich, dass bei allen Kindern nahezu aller Sprachkulturen die Entwicklung des Spracherwerbs ähnlich verläuft und muttersprachliche Kompetenzen erworben werden (vgl. Jung & Günther 2016: 90; Huneke & Steinig 2009: 37).
Kognitivismus
Diese entwicklungspsychologische Theorie nach Piaget (1972) grenzt sich von den Ansätzen des Behaviorismus und Nativismus ab und stellt die Sprachentwicklung als eine mit der allgemeinen kognitiven Entwicklung eng verwobene Komponente in den Vordergrund (vgl. Jung & Günther 2016: 90). Kinder erwerben die Sprache durch eine permanente, v. a. kognitive Beschäftigung mit ihrem Lebensumfeld. Piaget sieht in der sensomotorischen Phase die Grundlage der sprachlichen Entwicklung. Die frühkindlichen Handlungen werden durch Sprache gesteuert und simultan dazu kognitive Strukturen im Kontext des Spracherwerbs auf- und ausgebaut - Sprache und Denken beeinflussen sich also wechselseitig (vgl. ebd.: 91). Dieser Theorie folgend wirkt sich eine Förderung der sensomotorischen Fähigkeiten gemäß dem Konzept Lernen mit allen Sinnen positiv auf die Sprachentwicklung aus (vgl. ebd.).
Interaktionismus
Der Ansatz des Interaktionismus beruht auf der Annahme einer Existenz von sprachlichen Strukturen, Strategien und Regeln. Hierbei nimmt der konkrete Spracherwerb seinen Verlauf über den Austausch und wechselseitige Beziehungen der Kinder mit ihrem sozialen Umfeld. Dieser Prozess wird bereits mit den vorsprachlichen Interaktionen zwischen der Mutter und ihrem Säugling angestoßen, der bereits nach der Geburt in differenzierter Weise auf sich aufmerksam machen kann (vgl. Jung & Günther 2016: 91; Heidler 2013: 37). Nach Bruner (1987) handelt es sich bei verbalen Signalen wie Schreien oder Lautäußerungen sowie Mimik und Gestik um Vorformen des Dialogs und sind somit die Basis der Sprachentwicklung (vgl. Jung & Günther 2016: 91). Das Kind lernt durch seine Mutter, im Sinne einer Sprachlehrerin, die Produktion und Rezeption verbaler Äußerungen unter Berücksichtigung des situativen und sozialen Rahmens. Diesem Verständnis folgend sind beim Spracherwerbsprozess beide Kommunikationspartner integriert, wobei der größere Anteil dieser Aufgabe in der Verantwortung der Eltern liegt. Dabei ist es entscheidend, dass die Eltern ihre sprachlichen Äußerungen entsprechend der Sprachkompetenz ihres Kindes anpassen, um ein Verstehen und somit den Erwerb zu ermöglichen. Für die Spracherwerbsförderung aus pädagogischer Sicht ergibt sich die Forderung, den Kindern gezielt abgestimmte Kontexte für Sprechhandlungen in einem vielfältigen Interaktionsrahmen bereitzustellen (vgl. ebd.: 91 f).
5.2 Zweitspracherw
5.2.1 Theoretische Erklärungsversuche
Unter dem Begriff Zweitspracherwerb subsumiert man sowohl den simultanen Erwerb der Erstsprache als auch den konsekutiven Erwerb als Folge auf diese (vgl. Jung & Günther 2016: 141). Um den Erwerb der Zweitsprache zu erklären gibt es gemäß Klein (1984) zwei sich diametral unterscheidende Typen. Einerseits den ungesteuerten Erwerb in einem natürlichen Rahmen mit alltäglichen Kommunikationssituationen, bei denen der Lernende mehr erfolgsorientiert agiert und weniger auf die formale Korrektheit der Sprachhandlungen achtet. Beim zweiten Erwerbstyp spricht man von einem gesteuerten Prozess. Klein unterscheidet auf der Ebene des gesteuerten Zweitspracherwerbs die Begriffe Fremdsprache und Zweitsprache. Die Zweitsprache dient neben der Erstsprache als sekundäres Kommunikationsmittel mit dem jeweiligen sozialen Umfeld, in dem sie auch gleichzeitig erworben wird. Die Fremdsprache ist dagegen eine Sprache, die nicht alltäglich verwendet wird und in der Regel organisiert in Form eines Unterrichts erlernt wird (vgl. ebd.: 142). Gerade im Hinblick auf Migrantenkinder ist die Segmentierung in einen ungesteuerten und gesteuerten Erwerb bedeutsam, da sich beide Typen oftmals überschneiden. Bei ihnen wird die Zweitsprache einerseits kommunikativ verwendet, andererseits aber auch über die Schule vermittelt (vgl. Schmidt 2014: 15). In der Wissenschaft werden zur Erklärung des Zweitspracherwerbs mehrere Hypothesen erläutert, welche im Folgenden vorgestellt werden.
Identitäts-Hypothese
Charakteristisch für diese Hypothese ist die Annahme, dass die Zweitsprache analog zu den Prozessen der Erstsprache erworben wird. Es wird davon ausgegangen, dass beim Erwerb der Zweitsprache die gleichen Strukturen wie beim Erstspracherwerb abgerufen werden (vgl. Schätz 2017: 52). Die Identitäts-Hypothese lässt sich somit auf die Ansätze des Nativismus und Chomskys Theorie eines angeborenen Spracherwerbsmoduls (LAD) zurückführen (vgl. Schätz 2017: 52; Jung & Günther 2016: 146). Diesem Ansatz folgend sind die sprachlichen Kompetenzen der Zweitsprache von den vorhandenen Fähigkeiten der Erstsprache zum Zeitpunkt des Zweitspracherwerbs abhängig. Dieses Phänomen zeigte sich in einigen Untersuchungen wieder: So hatten Kinder, welche im Einwanderungsland eingeschult wurden mehr Probleme im Sprachgebrauch, als solche, die während ihrer Schullaufbahn migrieren und ihre Schulzeit im Aufnahmeland fortsetzen (vgl. Jung & Günther 2016: 146).
T ransfer-Hypothese
Bei dieser Hypothese werden die Erst- und Zweitsprache vergleichend betrachtet. Der Zweitspracherwerb kann durch identische Muster sowie Normen der Erstsprache positiv beeinflusst werden (vgl. Jung & Günther 2016: 147). Das heißt, je ähnlicher sich beide Sprachsysteme sind, desto leichter fällt der Erwerb der Zweitsprache (vgl. Schätz 2017: 50). Vergleicht man die beiden Sätze < Sie wohnt in Köln > und < She lives in Cologne > erkennt man in beiden Sprachen eine kongruente Wortstellung. Bei solchen Analogien geht man von einem positiven Transfer zwischen den Sprachen aus. Voneinander abweichende Strukturen ziehen dagegen Probleme beim Zweitspracherwerb nach sich. Diese zeigen sich in Form eines negativen Transfers und führen zu Interferenzen. Dabei handelt es sich um ungünstige Einflüsse der bereits beherrschten Sprache auf eine noch zu Erlernende. Diese Problematik kann hinsichtlich der Aussprache, der Grammatik, des Sprachgebrauchs oder des Wortschatzes vorkommen (vgl. Jung & Günther 2016: 147).
Interlanguage-Hyoothese
Diese Hypothese befasst sich mit der Sprache des Lerners als eigenständiges Sprachsystem. Darin sind Spezifika der Erstsprache, Zweitsprache und individuelle Merkmale, welche keinen Bezug zur Erst- und Zweitsprache haben, integriert (vgl. Jung & Günther 2016: 147f). Sie ist somit zwischen den beiden Sprachsystemen anzuordnen und verändert sich permanent (vgl. Huneke & Steinig 2013: 41; Schätz 2017: 53). Das Konzept der Lernersprache durchläuft auf dem Weg hin zur Zielsprache mehrere Entwicklungstadien. Gemäß dieser Theorie bildet der Zweitspracherwerb einen sukzessiven Verlauf von Lernabschnitten ab, bei denen die Zwischensprache das jeweils vorhandene Niveau kennzeichnet (vgl. Jung & Günther 2016: 148).
5.2.2 Einflussfaktoren beim Erwerb der Zweitsprache
Der Zweitspracherwerb im Migrationskontext wird durch mehrere Faktoren beeinflusst, welche in diesem Unterkapitel kurz umrissen werden.
Sozialpsvcholoaische Faktoren
Eine wichtiger Einflussfaktor auf den Zweitspracherwerb ist die individuelle Motivation. Diehl & Preisendörfer (vgl. 2007: 12) halten in diesem Zusammenhang fest, dass die Motivation in den Spracherwerb zu investieren mit einer nachhaltigen Aufenthaltsdauer steigt. Esser schreibt hierzu: „Ein nicht terminierter längerfristiger Aufenthalt ist daher die erste Bedingung für jedes nachhaltige Investitionsverhalten“ (Esser 2001: 27). Des Weiteren verweist er auf mehrere Studien, die über die erhebliche Wirkung der Aufenthaltsdauer berichten und nennt diesen Effekt der Aufenthaltsdauer als einen der am besten erwiesenen Voraussetzungen für den Erwerb der Zweitsprache (vgl. 2006: 23). Die Motivation für den Zweitspracherwerb ist auch maßgeblich von der Notwendigkeit des Gebrauchs der Zweitsprache abhängig. Kinder erwerben eine Sprache vorrangig, um ihre sozialen Handlungsmöglichkeiten zu maximieren. Denn mit einer erweiterten Sprachkompetenz stehen den Kindern auch mehr Mittel zur Verfügung, um persönliche Wünsche zu artikulieren (vgl. Rothweiler & Ruberg 2011: 18). Kinder haben den Wunsch nach Zugehörigkeit und daher einen signifikanten integrativen Anreiz, die entsprechende Zweitsprache zu erwerben (vgl. Niebuhr-Siebert & Baake 2014: 58). Durch eine ausgeprägte Motivation zum Zweitspracherwerb können sogar ungünstige Faktoren, wie ein späterer Erwerbsbeginn, kompensiert werden (vgl. ebd.: 11). Ein weiterer Faktor, der nach Niebuhr-Siebert & Baake (vgl. 2014: 60f.) noch prägnanter als die Motivation ist, stellt ein selbstbewusster Umgang mit der neuen Sprache dar. Kinder mit einem starken Selbstvertrauen haben mehr erfolgreiche Erlebnisse, wohingegen sich ein ängstlicher Umgang negativ auswirkt. Ebenfalls negativ auf den Spracherwerb kann sich eine geringe Bindung gegenüber dem Aufnahmeland auswirken (vgl. Esser 2006: 22).
Alter bei Erwerbsbeginn / Kontaktalter
Ein weiterer bedeutsamer Faktor für einen erfolgreichen Zweitspracherwerb ist das Alter beim Erwerbsbeginn (vgl. Rothweiler & Ruberg 2011: 10). Esser (vgl. 2006: 23) konstatiert, dass die Wirkung des Einreisealters von Migranten einer der am deutlichsten nachgewiesenen Faktoren ist. Man geht davon aus, dass von Geburt an zweisprachig aufwachsende Kinder beide Sprachen sehr erfolgreich erwerben können, da der simultane Erwerb, bei vergleichbarem Input, in beiden Sprachen Charakteristiken des Erstspracherwerbs aufweist. Es wird vermutet, dass Kinder, die im Alter von zwei bis vier Jahren eine Zweitsprache erwerben können, ähnliche Voraussetzungen haben (vgl. Niebuhr-Siebert & Baake 2014:57). Ein erst später einsetzender Erwerb nimmt dagegen verstärkt Eigenschaften eines Erwachsenen- erwerbs an (vgl. Rothweiler & Ruberg 2011: 11). Bis zu einem Alter von zehn Jahren spricht man daher auch von einer Hybridform von kindlichem Erstsprach- und erwachsenem Zweitspracherwerb. Bei einem Erwerbsbeginn nach dem zehnten Lebensjahr kommt es in den meisten Fällen zu einer unvollständig ausgeprägten Sprachaneignung (vgl. ebd.).
Bildung
Esser (vgl. 2006: 23f.) erklärt, dass nahezu alle empirischen Untersuchungen einen starken Einfluss der Bildung auf den Spracherwerb von Migranten festgestellt haben. Er differenziert in diesem Zusammenhang drei Bezüge: der herkunftliche Kontext, der Aufnahmekontext und der elterliche Bildungshintergrund. Hierbei ist jedoch eine stärkere Wirkung der Effekte der aufnahmespezifischen Bildung zu erkennen (vgl. ebd.: 24). Hinsichtlich der Bildung der Eltern haben Kinder einen umfangreicheren Wortschatz je qualifizierter der elterliche Bildungsabschluss ist. Den Eltern ist es in diesem Fall möglich, den Kindern einen breit gefächerten Sprachinput zu offerieren - dies gilt auch dann, wenn sich Familiensprache von der Zweitsprache unterscheidet (vgl. Rothweiler & Ruberg 2011: 20).
Sprach- und Sprechangebot
Die Quantität des sprachlichen Inputs hat eine wesentliche Wirkung auf die Aneignung der Zweitsprache. Viele Kinder haben nur wenige außerschulische Kontaktsituationen mit der deutschen Sprache, da in der Familie und mit Freunden oft in der Erstsprache kommuniziert wird. Freundschaften mit deutschsprachigen Kindern wirken sich positiv aus, da es in diesem Zusammenhang zu kommunikativen Interaktionen in der deutschen Sprache kommt. Bei diesen Kommunikationssituationen bekommen die Kinder einerseits einen sprachlichen Input, sind andererseits aber auch dazu aufgefordert in der deutschen Sprache zu sprechen. Über die eigenen zweitsprachlichen Handlungen können die Kinder Hypothesen über Regeln testen und durch die korrigierende Rückmeldung des Gesprächspartners lernen. Die Kommunikation mit einer deutschsprachigen Peergroup hat also eine bedeutende Funktion - sowohl für den sprachlichen Input als auch für den Output (vgl. Niebuhr- Siebert & Baake 2014: 56). In diesem Zusammenhang ist auch die Qualität des sprachlichen Angebots eine wesentliche Komponente. Ein qualitativ hochwertiger Input begünstigt den Ausbau des Wortschatzes und eines Regelsystems in der
Zweitsprache (vgl. Rothweiler & Ruberg 2011: 17). Eltern, die erst im Erwachsenenalter nach Deutschland migriert sind, erreichen in der Regel keine umfassende Zweitsprachkompetenz. Der Sprachgebrauch des Deutschen dieser Eltern ist fehlerbehaftet und daher kein geeigneter Input für die Kinder. Vor diesem Hintergrund stehen Rothweiler & Ruberg (vgl. 2011: 19) bei solchen Eltern dem Gebrauch der deutschen Sprache im familiären Setting kritisch gegenüber.
6. Überlegungen zum Schriftspracherwerb
Das Wissen um Schrift und Schriftlichkeit und dessen Gebrauch ergibt ein entscheidendes kulturelles Werkzeug, welches die Partizipation an der in Deutschland literal geprägten Kultur ermöglicht (vgl. Schulte-Bunert 2015: 135; Schmölzer-Eibinger 2018: 3).
Ebenso wie einsprachig deutsche Kinder werden mehrsprachige Kinder im deutschsprachigen Raum zum Schuleintritt mit der deutschen Schriftsprache konfrontiert. Der Schriftspracherwerb bringt nicht nur die Fähigkeit mit sich, in einem neuen Medium zu kommunizieren, vielmehr eignen sich die Kinder auch wesentliche Grundlagen der (Schrift-)Kultur und der schulischen Bildung über die deutsche Sprache an (Jeuk 2018: 49).
Die PISA-Studie von 2001 hat erstmals aufgedeckt, dass ein erheblicher Teil der Schüler2 aus Zuwandererfamilien die Schriftsprache nur ungenügend erworben hat (vgl. Schulte-Bunert 2015: 129). Dies wird insbesondere in der Lesekompetenz der Jugendlichen mit Deutsch als Zweitsprache sichtbar, wonach 50 % nicht über die Stufe einer grundlegenden Lesekompetenz hinauskommen, obwohl mehr als 70 % von ihnen in Deutschland regulär zu Schulbeginn eingeschult wurden. Sofern die Eltern beide migriert sind, erhöht sich der Anteil der Leser, die über diese elementare Stufe nicht hinauskommen, auf 70 % (vgl. ebd.). Eine erfolgreiche Ausbildung der Lesekompetenz ist allerdings eine entscheidende Basis für die weitere Bildungskarriere der Schüler (vgl. ebd.: 130). Aus diesem Grund soll der Schriftspracherwerb unter den besonderen Voraussetzungen mit Deutsch als Zweitsprache betrachtet werden. Zur grundlegenden Vermittlung des Schriftspracherwerbs wird zu Beginn das für den deutschsprachigen Raum bekannte Stufenmodell von Valtin (2010) vorgestellt. Dieser modellhafte Erwerbsverlauf bezieht sich zunächst sowohl auf einsprachige Lerner als auch Lerner mit Deutsch als Zweitsprache, da sich beide Verläufe im Kern ähneln (vgl. Niebuhr-Siebert & Baake 2014: 100). Im weiteren Verlauf des Kapitels werden dann die Besonderheiten für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache skizziert.
6.1 Das Stufenmodell nach Valtin
Das Stufenmodell nach Valtin skizziert die Fähigkeiten auf der rezeptiven und produktiven Ebene parallel (vgl. Niebuhr-Siebert & Baake 2014: 101).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: Stufenmodell nach Valtin (überarbeitet) (Valtin & Sasse 2018:14)
Die figurative Strategie wird bereits von Vorschulkindern angewendet. Dies zeigt sich v. a. auf der ersten Stufe, durch die Nachahmung äußerlich sichtbarer Verhaltensweisen von gelernten Lesern und Schreibern. Charakteristisch für die figurative Strategie ist die fehlende Kenntnis über die Beziehung von geschriebener und lautlicher Sprache, welche mit Verwendung der phonetischen Strategie überwunden wird (vgl. Valtin & Sasse 2018: 13). Der Übergang von der figurativen zur phonetischen Strategie geht mit einer bewussten Lenkung der Aufmerksamkeit auf die formalen Eigenschaften der gesprochenen Sprache einher. Die Fähigkeit Laute analysieren und synthetisieren zu können ist der zentrale Ausgangspunkt für das Verständnis des alphabetischen Prinzips unserer Schrift.
Auf der dritten Stufe bahnt sich das Verständnis für die Laut-Buchstaben-Beziehung an. Im Hinblick auf die Leseentwicklung werden die Wörter häufig in Abhängigkeit des Anfangsbuchstaben erraten (vgl. ebd.: 13ff.).
Durch die vierte Stufe wird die phonetische Strategie gefestigt, sodass die Kinder die Wörter nun buchstabenweise erlesen und phonetisch verschriften. Besonders die Fähigkeit der Lautanalyse und -Synthese ist für die vierte Stufe des Entwicklungsmodells von großer Bedeutung (vgl. ebd.: 14).
Die orthographische Strategie, beginnend mit der fünften Stufe, ist geprägt durch die steigenden Kompetenzen von sprachstrukturellen Komponenten (vgl. ebd.: 2018: 13). Beim Lesen erfassen die Kinder auf der fünften Stufe nun größere Einheiten. Für den Übergang zur sechsten Stufe soll der Grundwortschatz auf orthographischer Ebene gesichert werden. Auf dieser abschließenden Aneignungsstufe findet eine Automatisierung von Teilprozessen statt. Wörter werden nun automatisch erkannt und die orthographischen Kenntnisse entfalten sich zu einer entwickelnden Rechtschreibfähigkeit (vgl. Valtin & Sasse 2018: 14f.; Valtin 1997: 81).
Jeuk & Schäfer (2017: 81) verweisen darauf, das Modell nicht strikt als Stufenleiter zu verstehen. Einige Kinder durchlaufen gegebenenfalls einzelne Stufen nur kurz oder überspringen diese sogar, andere wiederum verweilen über einen längeren Zeitraum oder komplett auf einer Stufe (vgl. ebd.). Durch das Raster des Entwicklungsmodells kann eine solche dynamische Entwicklung der Kinder nachvollzogen werden (vgl. Kichhock 2004: 44).
6.2 Besonderheiten für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache
Ein allgemeines Problem für viele neu zugewanderte Kinder ist einerseits die häufig unzureichende Schriftsozialisation in ihrer Erstsprache, welche den Erwartungen einer literal geprägten Kultur nicht entspricht (vgl. Schulte-Bunert 2015: 135). Ursächlich dafür können ungenügende Bildungsmöglichkeiten im Herkunftsland, ein schriftarmes familiäres Umfeld oder eine aufgrund der Flucht abgebrochene Schulbiographie sein (vgl. Schmölzer-Eibinger 2018: 4, 9). Auf der anderen Seite wächst die Quote der migrierten Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen der gesprochenen Sprache auf regionaler Ebene in erheblichem Maß an. Sprache und Sprechen sind jedoch fundamentale Bedingungen für einen gelingenden Erwerb der Schriftsprache. Zu Schulbeginn stehen diese Kinder somit vor einer großen Hürde, weil die Schriftsprache auf dem Fundament der Lautsprache aufbaut und immer wieder darauf rekurriert (vgl. Jung & Günther 2016: 150, 203). Jeuk (vgl. 2018: 49) hält fest, dass die Schriftsprache in Abgrenzung zu monolingualen Lernern auf einer ungleichen Grundlage oraler Fähigkeiten in der deutschen Sprache erworben wird. In der Forschung herrscht Konsens über die Auffassung, dass der Schriftspracherwerb einer nicht ausreichend beherrschten gesprochenen Sprache mit signifikanten kognitiven Herausforderungen verbunden ist (vgl. Schulte-Bunert 2015: 135). Bei Kindern mit einer anderen und sich vom deutschen Lautinventar unterscheidenden Erstsprache muss besonders auf die phonologische Bewusstheit, als eine der entscheidenden Vorläuferfertigkeiten des Schriftspracherwerbs, geachtet werden. Entscheidend ist, dass die Kinder auch diejenigen deutschen Laute analysieren und synthetisieren können, welche in ihrer Erstsprache nicht vorhanden sind (vgl. Schulte-Bunert 2015: 144). Diese Fähigkeit entspricht der phonetischen Strategie, welche in Kap.
6.1 beschrieben wird.
Im Speziellen gilt es nach Jeuk (vgl. 2018: 50) zu beachten, dass die Gruppe mehrsprachiger Kinder mit eigener Migrationserfahrung heterogen zusammengesetzt ist und sich vor dem Hintergrund der Schriftsprache in weitere Untergruppen segmentieren lässt:
1. Kinder, die in ihrem Herkunftsland keine schulische Einrichtung besucht haben und zu Beginn der Schulzeit migrieren
2. Seiteneinsteiger, die während der Schulzeit migrieren und in ihrem Herkunftsland die Schule - mit entsprechendem Schriftkontakt in der Erstsprache - besucht haben.
3. Kinder, die während der Schulzeit migrieren und in ihrem Herkunftsland auf Grund von Flucht keine Schule besucht haben.
Für die zweite Gruppe können sich insbesondere die Vorerfahrungen günstig auf den Schriftspracherwerb auswirken, da Kinder neben der Kenntnis über die Funktion der Schrift und ihrer Zeichen auch über eine metasprachliche Bewusstheit verfügen (vgl. Schulte-Bunert 2015: 137f.). Kinder, die den Schrifterwerb bspw. in arabischer Sprache gelernt haben, wissen um die Relation von Schriftzeichen und Lauten. Dennoch müssen diese Kinder einige Besonderheiten lernen: Im Unterschied zum deutschen Alphabet werden im Arabischen ausschließlich Konsonanten verschriftet. Die fehlenden Vokale werden im Rahmen des Lesevorgangs ergänzt. Hinzu kommt eine neue Schriftrichtung - statt von rechts nach links wird nun in umgekehrter Richtung gelesen und geschrieben (vgl. Geißler 2017: 59; Schulte-Bunert 2015: 140). Für die dritte Gruppe gestaltet sich der Schriftspracherwerb am komplexesten, da diese Kinder weder Deutschkenntnisse noch schriftsprachliche Erfahrungen besitzen (vgl. Berkemeier 2018: 283; Jeuk2018: 50).
Für die zu ergreifenden didaktischen Maßnahmen gilt es, diese verschiedenen Voraussetzungen zu berücksichtigen (vgl. Jeuk 2018: 50).
7. Besondere Berücksichtigung des Lesens
„Lesen als Fähigkeit, erst einfache und später komplexe Informationen zu entschlüsseln und zu verarbeiten, liegt allem Lernen zugrunde“ (Stiftung Lesen 2017). Lesen ist somit Schlüsselqualifikation für die Weiterentwicklung eigenen Wissens, Bewältigung schulischer und beruflicher Anforderungen und nicht zuletzt für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (vgl. Wildemann & Vach 2018: 53). In der Grundschule wird deshalb der Bildungsstandard Lesen - mit Texten und Medien umgehen formuliert. Dabei wird erwartet, dass diese Kompetenz nach der Primarstufe von allen Schülern beherrscht wird (vgl. Günther 2017: 14).
Im letzten Jahrzehnt zeigten Schulleistungsstudien unterdurchschnittliche Ergebnisse deutscher Schüler im Lesen. Insbesondere Schüler mit Migrationshintergrund zählen dabei zur Risikogruppe. Die Ergebnisse der IGLU 2016 bspw. zeigen große Disparitäten zwischen Viertklässlern, deren Eltern beide in Deutschland bzw. beide im Ausland geboren wurden. So sind die Viertklässler mit Elternteilen, die beide im Ausland geboren wurden, auf den rudimentären Kompetenzstufen über- und auf der höchsten Kompetenzstufe (vgl. Kap. 7.2) signifikant unterrepräsentiert (vgl. Wendt & Schwippert 2017: 220).
Um einen besseren Überblick zu ermöglichen, soll zunächst der Begriff des Lesens bzw. der Lesekompetenz definiert werden. Zudem werden Maßnahmen zur Leseförderung herausgearbeitet und die Besonderheiten im Kontext der Migration in den Blick genommen.
7.1 Lesen und Lesekompetenz
Lesen ist keinesfalls nur als passiver Prozess einer Sinngehaltsentnahme zu verstehen, sondern stellt darüber hinaus eine „aktive Konstruktionsleistung des Individuums dar“ (BMBF 2005: 11). Leseprozess beinhaltet immer die Lesefertigkeit, im Sinne des Rückübersetzens (Rekodieren) von Buchstaben in Laute und das Verschleifen dieser zu Silben und Wörter, und die Lesefähigkeit als Sinnentnahme, das Verstehen dessen, was gelesen wird (Dekodieren) (vgl. Altenburg 1991: 7ff.).
Demnach handelt es sich bei der Lesekompetenz um ein komplexes Fähigkeitskonstrukt, „das aus mehreren miteinander interagierenden Teilfähigkeiten besteht und multifaktoriell bedingt wird“ (Pfost & Dörfler & Artelt o. J.: 2). Zwei Hauptpositionen kennzeichnen dabei in der lesedidaktischen Forschungsdebatte den Begriff der Lesekompetenz - die kognitionstheoretische Auffassung und das kultursoziologische Konzept (vgl. Wildemann & Vach 2018: 53).
Vertreter des kognitionstheoretischen Ansatzes verstehen darunter die Kompetenz, Anforderungen von Texten zu bewältigen, was insbesondere das Ermitteln von Informationen, die Interpretation, die Reflexion und die Bewertung des Gelesenen umfasst. Der Erwerb von Lesekompetenz nach dem kultursoziologischen Konzept meint einen Sozialisationsprozess, wonach Lesen bedeutsam für die ästhetische und sprachliche Sensibilität, für die Moralentwicklung und Empathiefähigkeit ist und damit vielmehr die konstruktive Leistung des Lesers betont (vgl. ebd.: 54f.).
Nach Rosebrock & Nix (2012) ist diese Kontraststellung jedoch ineffizient, sodass sie in ihrem Mehrebenenmodell des Lesens einen integrativen Ansatz beider Positionen realisiert haben.
7.2 Das Mehrebenenmodell des Lesens nach Rosebrock & Nix
Eine Konzeption von Lesekompetenz, die den gesellschaftlichen und personalen Dimensionen kompetenten Umgangs mit Schriftlichkeit gerecht werden will, muss (...) die kognitiven und kulturellen Aspekte ihres Gegenstandes differenziert berücksichtigen, sie aber auch aufeinander beziehen und sinnvoll miteinander verbinden (Wildemann & Vach 2018: 56).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Mit ihrem Mehrebenenmodell des Lesens visualisieren Rosebrock & Nix nicht nur kognitive Fähigkeiten beim Lesen, sondern darüber hinaus auch die individuelle und soziale Umgebung des Lesers. Die die Lesekompetenz beeinflussenden Faktoren werden hierbei auf den drei Ebenen Prozessebene, Subjektebene und soziale Ebene angesiedelt (LPM 2015: 13).
Der Außen kreis visualisiert die soziale Ebene der Lesekompetenz. Hier ist das Kind in besonderem Maße auf die soziale Anschlusskommunikation über das Gelesene angewiesen. Die Familie, Schule aber auch Freunde sind für den literarischen Austausch die wichtigsten Instanzen (vgl. Rosebrock 2012: 6).
Im Mittelkreis auf der Subjektebene sind das allgemeine Weltwissen, die innere Beteiligung, Motivation und die Reflexion des Gelesenen entscheidende Komponenten. Unter der inneren Beteiligung versteht man z. B. die Fähigkeit sich in die Gefühlslage von literarischen Charakteren einfühlen zu können, um deren Motive nachvollziehen zu können (vgl. ebd.: 5). Die Motivation ist für die Investitionsbereitschaft des Lesers in Bezug auf Aufmerksamkeit und kognitive Anstrengungen bedeutsam (vgl. Ehlers 2017: 282).
Die kognitiven Leistungen auf der Prozessebene im Innenkreis, die in fünf Dimensionen unterteilt werden können, müssen während des Leseaktes simultan ablaufend erbracht werden (vgl. Rosebrock 2012: 4; Hochstadt & Krafft & Olsen 2015: 120). Die basale Identifikation auf der Wort- und Satzebene, sowie die lokale Kohärenzbildung auf der Textebene gehören zu den hierarchieniedrigen Teilprozessen (vgl. Kalkavan-Aydin & Winter 2019: 443). Die Dimensionen der globalen Kohärenzbildung, das Erkennen von Superstrukturen und die Identifikation von Darstellungsstrategien werden den hierarchiehöheren Prozessen zugeordnet (vgl. ebd.: 444). Das Konzept der Leseflüssigkeit umfasst die basalen Lesefertigkeiten auf der Wort-, Satz- und lokalen Textebene. Leseflüssigkeit bezeichnet eine „genaue, automatisierte, schnelle, sinnkonstituierende Fähigkeit zur leisen und lauten Textlektüre [...], die es der Leserin bzw. dem Leser ermöglicht, die Bedeutung eines Textabschnittes mental zu konstruieren“ (Rosebrock & Nix 2006: 93). Dabei wird nach den Dimensionen Dekodiergenauigkeit von Wörtern, Automatisierung der Dekodierprozesse, Lesegeschwindigkeit und sinngemäße Prosodie unterschieden (vgl. Kalkavan-Aydin & Winter 2019: 443). Die Dekodiergenauigkeit beschreibt die Fähigkeit Wörter fehlerlos zu lesen. Die Automatisierung ist die Fähigkeit Wörter nicht mehr buchstabenweise zu dekodieren, sondern Wortbestandteile oder ganze Wörter zu erkennen. Diese Automatisierung führt in der Folge zu einer erhöhten Lesegeschwindigkeit. Dies ist besonders wichtig, da durch eine ausreichende Lesegeschwindigkeit die Konzentration über mehrere Sätze gehalten werden kann. Diese hierarchieniedrigen Prozesse sind die fundamentale Voraussetzung zur Bewältigung hierarchiehöherer Prozesse (vgl. ebd.). Zu den komplexeren Lesefähigkeiten gehört die globalen Kohärenzbildung, bei der der Leser eine Vorstellung über den Gesamtzusammenhang des Textes entwickelt. Beim Lesen werden zusätzlich je nach Textform (Buch, Zeitschrift, Gedicht, usw.) inhaltliche Vorstellungen an den Text aufgebaut. Der kompetente Leser setzt also sein Wissen über die verschiedenen Textsorten ein und erkennt sogenannte Superstrukturen. Wenn der Leser nun je nach Textsorte auch die Darstellungsstrategien nachvollziehen kann werden Anforderungen der fünften und anspruchsvollsten Dimension erfüllt (vgl. Rosebrock 2012: 5).
Die hier skizzierten fünf Dimensionen der Prozessebene stimmen mit dem IGLUKompetenzstufenmodell, welches dem Bildungsstandard Lesen - mit Texten und Meiden umgehen zugrunde liegt, überein (vgl. LISUM 2012: 10).
[...]
1 Heckmann spricht aufgrund der negativen Konnotation des Begriffs Assimilation durchgehend von Integration. Zur besseren Übersicht wird jedoch in dieser Masterarbeit der Begriff Assimilation verwendet.
2 Zur besseren Lesbarkeit und der Einfachheit halber wird Schülerinnen und Schüler durch die männliche Form ersetzt.
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