Leseprobe
1. Einleitung
2. Gewalt - Eine Definition
3. Allgemeines zur familialen Gewaltart
4. Sensibilisierungsprozess der Gewaltwahrnehmung
5. Auftreten elterlicher Gewalt in Familien
5.1 Datensatz von 1999 - Fuchs et al. 2001
5.2 Datensätze von 1998, 2005 und 2008 - Baier et al. 2009
6. Gründe für Gewalt in der Familie
7. Konsequenzen elterlicher Gewalt und/oder familiärer Umstände
8. Fazit
9. Modulanbindungen
9.1 Pädagogische Beratung und Diagnostik
9.2 Integriertes Semesterpraktikum (ISP)
10. Literatur-/Quellenverzeichnis
1. Einleitung
Gewalt ist ein Bestandteil sozialer Interaktion (vgl. Galtung 1969: 176). Sowohl die Kontexte, in denen sie auftritt, als auch die Gewalttäter und -opfer sind zahlreich und verschieden (Fuchs et al. 2001: 187). Gewalt findet sich bspw. unter Freunden, in Vereinen, beim Sport, sogar in der Pflege von alten und kranken Menschen, in der Schule und nicht zuletzt natürlich in der Familie.
„Gewalt ist soziales Handeln, das situationsspezifisch zur Bewältigung der jeweiligen Lage eingesetzt werden kann und als ein solches ist sie erlernbar" (ebd.). Familie als primäre Sozialisationsinstanz legt den Grundstein für Denkstile, Motivationen und Werthaltungen, Gefühle und vor allem auch Verhaltensweisen (vgl. Gerrig/Zimbardo 2008: 390). Somit ist familiale Gewalt ein wichtiges Moment, um Ursachen für gewalttätiges Verhalten von Heranwachsenden aber auch Erwachsenen zu finden. Unbedingt zu beachten ist, dass Gewalt kein monokausal erklärbares Problem ist, die gewaltfördernden Momente sind vielschichtig. Dieser Aufsatz befasst sich mit der Thematik „Gewalt in der Familie". Zunächst soll Gewalt allgemein definiert und anschließend themenspezifisch differenziert werden. Ferner wird der Wandel der Gesellschaft bezüglich des Empfindens und der Legitimation von Gewalt dargelegt.
Im weiteren Verlauf werden die vorliegenden Datensätze, die dieser Ausarbeitung zugrunde liegen, analysiert. Dabei werden sowohl qualitative als auch quantitative Merkmale von Gewaltauftreten in Familien herausgestellt und zwischen Alter, Geschlecht und sozialem Milieu der Gewaltopfer unterschieden.
Hierauf werden mögliche ursächliche Momente sowie Konsequenzen für elterliche bzw. familiale Gewalt beleuchtet. Abschließend folgt ein Fazit und die Modulanbindungen zur Diagnostik und Förderung im Schulkontext sowie dem Integrierten Semesterpraktikum (ISP).
2. Gewalt-Eine Definition
Um eine möglichst differenzierte Beschreibung familialer Gewalt anführen zu können, soll die allgemeine, oben genannte Definition von Gewalt der dieser Arbeit zugrundeliegenden Literatur als Basis dienen. Fuchs et al. beschreiben Gewalt zunächst als ein soziales Handeln, das je nach Situation Anwendung findet. Dies impliziert, dass Gewalt davon abhängig ist, in welchem Kontext, aber auch welcher sozialen Interaktion sich der Täter befindet. Weiter wird beschrieben, dass dieses Handeln zur Bewältigung bestimmter Probleme in einer Situation mit sozialer Interaktion dient, das bedeutet: Gewalt als ein Instrument zur Problemlösung, weil andere Handlungsressourcen nicht verfügbar sind oder auf Grund der Extreme einer bestimmten Lage nicht mehr eingesetzt werden können (vgl. Fuchs et al. 2001: 189). Schließlich ist Gewalt als eine Art sozialen Handelns nicht zuletzt ein Resultat von Sozialisationsprozessen und wird als Handlungsressource erworben. Lernorte sind unterschiedliche soziale Kontexte (vgl. ebd.: 187). Die Frage danach, was genau Gewalt ist bzw. ab wann eine soziale Handlung als Gewaltakt bezeichnet wird, bleibt stets eine Frage der Wahrnehmung, deren Beantwortung subjektiv ist (vgl. ebd.: 186).
3. Allgemeines zurfamilialen Gewaltart
Um nun von diesem weiten, allgemeinen Gewaltbegriff eine Definition für familiale Gewalt zu generieren, wird von einer rein körperlichen Gewaltstruktur ausgegangen. Schneider definiert Gewalt im familialen Kontext als eine „Handlung, die darauf abzielt, einen Menschen körperlich zu verletzen oder gesundheitlich zu schädigen, mit dem der Angreifer in einer auf gegenseitige Sorge und Unterstützung angelegten intimen Gemeinschaft zusammenlebt" (Schneider 1990: 508). Durch die geschlossene, geschützte Struktur der Institution Familie bleibt dort auftretende Gewalt von Außenstehenden bzw. der Gesellschaft oft unbemerkt, wird möglicherweise noch als legitim erachtet oder schlicht ignoriert. Demzufolge wird diese Form der Gewalt auch als „unsichtbare Gewalt" (Fuchs et al. 2001: 186) deklariert (vgl. ebd.: 186 f.). Auf Grund dessen ist sie jene Gewaltform, die der geringsten sozialen Kontrolle unterliegt, der ein Mensch ausgesetzt sein kann, und gleichzeitig die am weitesten verbreitete (vgl. Schneider 1995: 41). Nicht selten werden Kinder und Jugendliche mit Gewalttaten sanktioniert, Gewalt also als „Erziehungsmittel" eingesetzt. So wird der Ort Familie, der eigentlich Schutz und Geborgenheit bieten soll, zu einer unfriedlichen Lebenswelt für viele (vgl. Fuchs etal. 2001:187).
4. Sensibilisierungsprozess der Gewaltwahrnehmung
Wie bereits genannt ist die Wahrnehmung über das, was als Gewalt erachtet wird, subjektiv. Jedoch hat diesbezüglich seit den 1980er Jahren ein allgemeiner Paradigmenwechsel stattgefunden. So werden in unserer Gesellschaft heute weit mehr Verhaltensweisen als Gewalt wahrgenommen als noch vor 30 Jahren. Dies gilt insbesondere für das soziale Feld von Partnerschaft und Familie. Durch eine gleichermaßen zunehmend erhöhte Sensibilisierung der politischen Öffentlichkeit gilt die Züchtigung (körperliche Misshandlung) und seelische Misshandlung seit 1998 per Gesetz als illegal und illegitim. Das Gesetz für ein Recht aller Kinder auf gewaltfreie Erziehung erschien am 6. Juni 2000 (vgl. Fuchs et al. 2001: 186). Einen Rückgang repressiver Erziehungsmittel zeigt auch die Deutsche Shell-Studie „Jugend 81" des Jugendwerks (vgl. ebd.: 191).
Nachfolgend werden nun die dieser Ausarbeitung zugrundeliegenden Datensätze beleuchtet, analysiert und letztlich miteinander verglichen.
5. Auftreten elterlicher Gewalt in Familien
5.1 Datensatz von 1999 - Fuchs et al. 2001
Nachfolgend wird der Datensatz von 1999 nach Fuchs et al. (2001: 210) betrachtet. Hierzu wurden Schülerinnen und Schüler befragt. Differenziert wurde nach den personalen Merkmalen (Alter, Geschlecht, Schulart) dieser sowie der erlebten Gewaltform. Die Charakteristika der Gewaltformen wurden untergliedert in: Prügel bei Dummheit, Schläge bei schlechten Noten, Schlägen generell, Ohrfeigen als Disziplinierungsmaßnahme bis hin zu Gewalterfahrungen mit Gegenständen (Stock, Gürtel). Die Skala zur Darstellung der Qualität der Gewaltform reicht von 1 (stimme überhaupt nicht zu) bis 5 (stimme voll zu).
Generell lässt sich festhalten, dass die am häufigsten auftretende Gewaltform die Ohrfeige als Disziplinierungsmaßname ist. Diese weist durchweg den höchsten Skalenwert (1,3 - 2,0) auf, Schläge bei schlechten Noten sind hingegen am seltensten (1,1 -1,3).
Hinsichtlich der Unterscheidung nach Schularten lässt sich feststellen, dass Kinder und Jugendliche, die ein Gymnasium besuchen, am wenigsten unter elterlicher Gewalt leiden. Die Berufs- und Realschule weisen weithin ähnliche, verglichen mit dem Gymnasium mittlere Skalenwerte auf, wobei Kinder und Jugendliche einer Hauptschule am stärksten von familialer Gewalt betroffen sind.
Geschlechtsspezifisch lassen sich keine signifikanten Unterschiede erfassen, lediglich die Skalenwerte der Prügel bei Dummheit (Jungen: 1,3; Mädchen: 1,2) und Schläge bei schlechten Noten (Jungen: 1,2; Mädchen: 1,1) zeigen, dass Jungen diese öfter erleben.
Hinsichtlich des Alters der betroffenen Kinder und Jugendlichen zeigt sich, dass Eltern mit zunehmendem Alter ihrer Kinder weniger zu Gewalttaten neigen. Auch hier lässt sich erkennen, dass die Ohrfeige zur Disziplinierung allgemein die am häufigsten angewandte Form ist. Im Alter von zehn bis 13 Jahren erreicht diese Gewaltform einen Skalenwert von 2,0, zwischen 14 und 17 Jahren 1,6 und ab dem 19. Lebensjahr nur noch einen Wert von 1,3.
Weitgehend lässt sich sagen, dass die Gewalterfahrung im Allgemeinen eher gering zu sein scheint, was die niedrigen Skalenwerte erkennen lassen. So liegt der höchste erreichte Wert bei 2,0 (Ohrfeige bei Hauptschülern und Kinder von zehn bis 13 Jahren).
5.2 Datensätze von 1998, 2005 und 2008 - Baier et al. 2009
Für die Erhebung von Baier et al. (2009) wurden über 44.000 Jugendliche der neunten Jahrgangsstufe aus ganz Deutschland mit Hilfe von Fragebögen interviewt (vgl. Baier et al. 2009: 31). Differenziert wurde sowohl nach Quantität und Qualität des Gewaltauftretens als auch - ebenso wie bei Fuchs et al. 1999 - nach Alter der Gewaltopfer, deren Geschlecht und Gebietskategorien/sozialen Milieus.
Für die genauere Analyse der vorliegenden Daten müssen zunächst die Intensitätsmerkmale der Gewalt sowie deren Häufigkeitskriterien geklärt werden. Die Gewaltintensität gliedert sich in leichte Gewalt (eine runterhauen, hart anpacken, stoßen, mit Gegenstand bewerfen), schwere Gewalt (mit Gegenstand schlagen, mit Faust schlagen/treten, prügeln/zusammenschlagen) und Misshandlung (mit Faust schlagen, treten, zusammenschlagen). Die Häufigkeiten werden skaliert nach nie, selten (ein bis zwölfmal insgesamt) und häufig (mehrmals pro Monat oder öfter) (vgl. Baier et al. 2009: 51).
Zunächst werden die Gewalterfahrungen der Jugendlichen nach altersspezifischer Differenzierung dargelegt. Es zeigt sich deutlich, dass die Jugendlichen in den letzten zwölf Monaten hinsichtlich aller Gewaltformen weniger familiale Gewalt erlebten als in ihrer Kindheit. Bei den Formen der leichten Gewalt bis gar keine Gewalt ist diese Entwicklung am stärksten ausgeprägt. So sind es 42,1%, die eine gewaltfreie Kindheit genossen, wohingegen in den letzten zwölf Monaten 73,4% keine Gewalt mehr erlebt haben. Ebenso zeigt sich bei leichter Gewalt ein Rückgang im Jugendalter von 20,3%, wobei zu erwähnen ist, dass von den 40,5%, die im Kindesalter Gewalt erfuhren nur 2,2% diese häufiger erlebten. Im Jugendalter waren es nur noch 0,7% von 20,2%, die häufiger leichte Gewalt erlitten. Auch die schwere Gewalt (von 12,3% auf 4,7%) sowie die Misshandlung (von 7% auf 3,2%) nahmen mit zunehmenden Alter der Kinder ab (vgl. ebd.: 52). AufGrund der retrospektiven Erfassung der Daten des Kindesalters ließe sich vermuten, dass die Wahrnehmung der Gewalterfahrungen mit fortgeschrittener Zeit womöglich nicht mehr so stark ausfällt, weil über die fortgeschrittenen Jahre manches vergessen wurde. Dennoch sind die altersbedingten Unterschiede der Gewalterfahrungen signifikant genug, um festzuhalten, dass Eltern nach wie vor (vgl. Fuchs et al. 2001) zu deutlich weniger Gewalt gegenüber ihren Kindern neigen, wenn diese älter werden.
Im nächsten Schritt wird die Rolle des Geschlechts der Jugendlichen und des gewalttätigen Elternteils näher betrachtet. So gaben 19% der Jugendlichen an, in den letzten zwölf Monaten vom Vater Gewalt erfahren zu haben, von Müttern wurden hingegen sogar 19,6% geschlagen. Folglich spielt auch das elterliche Geschlecht bei gewalttätigen Übergriffen eine Rolle und es lässt sich die Vermutung anstellen, dass Mütter häufiger zu Gewaltformen greifen als Väter. Hinsichtlich der Geschlechter der Jugendlichen lässt sich sagen, dass allgemein, sowohl im Kindes- als auch im Jugendalter Jungen mehr von ihren Vätern geschlagen werden als Mädchen. Interessant ist überdies, dass Jungen im Kindesalter generell mehr geschlagen werden als Mädchen. Mit zunehmendem Alter findet dahingehend ein Wandel statt, sodass Mädchen im jugendlichen Alter mehr geschlagen werden als Jungen. Darüber hinaus zeigen die Daten, dass Väter prinzipiell vermehrt zu schwerer Gewalt neigen als Mütter (vgl. Baier et al. 2009:53).
Weiter lassen die Daten erkennen, dass differenziert nach Gebietskategorien/sozialen Milieus, Eltern ihre Kinder im Osten deutlich öfter misshandeln als im restlichen Teil Deutschlands. Am seltensten werden Kinder im nördlichen Teil misshandelt, wohingegen sich bezüglich der Größe der Stadt - differenziert nach Groß-, Mittelstadt und Landkreis - keine deutlichen Unterschiede ergaben. In den letzten zwölf Monaten, also im jugendlichen Alter ähneln sich die Angaben bezüglich der Misshandlungen von Süden, Osten, Westen und Norden, wobei Jugendliche aus Ost und West angaben, geringfügig häufiger misshandelt worden zu sein. Erstaunlich ist ein signifikanter Unterschied bezüglich der Städtegröße. So werden in Großstädten 3,5% der Jugendlichen misshandelt, in Mittelstädten nur 2,7% und Landkreisen 2,8% (vgl. Baier et al. 2009: 56).
Ein Vergleich von zwei Erhebungszeitpunkten -1998 und je nach Gebiet 2005 und 2008 - zeigt deutlich, dass alle Jugendlichen zum Zeitpunkt der ersten Erhebung seltener gewaltfrei erzogen wurden als zum Zeitpunkt der zweiten Befragung. Daraus lässt sich schließen, dass im Allgemeinen ein nicht unerheblicher Rückgang gewaltbehafteter Familien stattgefunden hat. Den größten Rückgang verzeichnet bspw. Leipzig, hier erleben im Vergleich zu 1998 im Jahr 2008 26,9% weniger jugendliche Gewalt zu Hause (vgl. Baier et al. 2009: 101).
6. Gründe für Gewalt in der Familie
Um mögliche Gründe für gewalttätiges Verhalten von Eltern gegenüber ihren Kindern herauszustellen, müssen verschiedene Aspekte beleuchtet werden, da dieses Problem multikausal zu erklären ist. Wie bereits erwähnt, ist die Institution Familie ein von der Öffentlichkeit geschütztes Konstrukt, in das sich nur schwer hineinblicken lässt. So ist schon diese Tatsache, dass Gewalt dort auf Grund der Privatheit unbemerkt passieren kann, eine mögliche Ursache dafür, dass sie überhaupt auftritt. Gewalt kann sich daher nicht nur ungestört entwickeln, sondern auch über einen sehr langen Zeitraum erhalten. Die intime soziale Bindung von Familienmitgliedern und deren langfristig angelegtes Zusammenleben begünstigen das Gewaltauftreten (vgl. Fuchs et al. 2001: 186, 190; Schneider 1993: 27). Doch nicht nur die soziale Struktur innerhalb einer Familie, sondern auch das soziale Umfeld bzw. Milieu können, wenn Gewalt dort ein anerkanntes Handlungsmuster darstellt, förderlich sein (vgl. Fuchs etal. 2001:190).
Überdies ist makrostruktureller Wandel (Globalisierung, Modernisierung, Individualisierung) ein wichtiges Element zur Erklärung gewalttätigen Verhaltens von Eltern (vgl. ebd.: 187; Schneider 1994: 71). So hat bspw. die Arbeitslosigkeit eines (oder gar beider) Elternteile einen erheblichen und vor allem negativen Einfluss auf die innerfamiliale Atmosphäre (vgl. Fuchs et al. 2001:188). Hier findet sich eine Verbindung zur sozialstrukturell definierten Anomietheorie von Robert K. Merton (1938). Diese besagt, dass das Ungleichgewicht zwischen den in einer Gesellschaft als legitim anerkannten kulturellen Zielen (bspw. Konsum von Statussymbolen) und den dafür vorhandenen Mitteln, diese zu erwerben bzw. zu erreichen (bspw. Geld), zu delinquentem Verhalten führt (vgl. Merton 1968: 292).
Die Arbeitslosigkeit und damit unmittelbar verbundene finanzielle Probleme, die entsprechend zur Nichterreichung dieser gesellschaftlichen Ziele führen, wirken nachteilig auf das Klima einer Partnerschaft. Gewalttätige Übergriffe unter den Partnern bzw. Eltern können eine Folge dessen sein. Gewaltbereitschaft unter diesen korreliert wiederum mit der ElternKind-Gewalt (vgl. Pfeiffer et al. 1999; Wetzels 1997; Fuchs et al. 1996; Fuchs et al. 2001: 190). Konflikte in der Familie sind hinsichtlich ihrer Charakteristika einzigartig, was schon Simmel (1908: 292) als die „Streitform sui generis" bezeichnete. Keine soziale Bindung ist so eng und intim wie die der Familie. Damit schafft sie einen sozialen Ort, an dem Gefühle - negative wie positive - ausgelebt werden (vgl. Fuchs et al. 2001:189).
Überdies bergen auch die veränderten Rollenmuster ein großes Risiko, weil sie zu Orientierungslosigkeit und damit zu Hilflosigkeit führen. Ein Mangel an anderen Handlungskompetenzen kann dann zum Rückgriff auf die „Jedermann-Ressource" (ebd.) Gewalt führen. Besonders junge Eltern, die mit wirtschaftlich und sozial schwierigen Situationen konfrontiert sind, können häufig nicht angemessen reagieren. So vermehrt sich das Misshandlungsrisiko von Kindern (Säuglinge und Kleinkinder eingeschlossen) erheblich durch eine schlichte Überforderung (vgl. ebd.: 189 f.; Schneider 1995: 50).
7. Konsequenzen elterlicher Gewalt und/oder familiärer Umstände
Die Folgen elterlicher Gewalt bzw. schwieriger familialer Umstände und Konflikte sind eng mit den Ursachen für diese verbunden, und für die dort Heranwachsenden weitreichend und vielschichtig. Die bereits genannte Problematik der Arbeitslosigkeit und daraus resultierenden begrenzten Mittel zur Erreichung anerkannter gesellschaftlicher Normen führt auch unter Kindern und Jugendlichen zu Ausgrenzung und Gehänselt werden, Verlust von Freunden sowie schlechteren Schulleistungen. Das hat für Kinder und Jugendliche eine soziale und/oder emotionale Beeinträchtigung zur Folge. Sie leiden an einem geringen Selbstwertgefühl und neigen somit wiederum eher zu Normübertretungen. So lässt sich auch an dieser Stelle ein Bezugzu MertonsAnomietheorie herstellen (vgl. Luetge 1998: 236f.; Merton 1968: 292).
Durch die wiederholte Gewaltanwendung in der Kindheit werden überdies bestimmte Hirnregionen beeinträchtigt und es kommt zu Schädigungen in der sozio-emotionalen Entwicklung (vgl. Teicher 2002). Wilmers et al. (2002) zeigten am Beispiel der Empathiefähigkeit und Konfliktlösekompetenz, dass unterschiedliche Persönlichkeitsfaktoren durch Gewalterfahrungen bei Kindern und Jugendlichen negativ beeinflusst werden (vgl. Baier etal. 2009:51).
Darüber hinaus bildet die Familie als Kontext von Sozialisationsprozessen wie eingangs erwähnt eine wichtige Grundlage für das Erlernen von Handlungsmustern bzw. -kompetenzen. Kinder lernen am elterlichen - vor allem väterlichen - Verhaltensmodell. So nehmen sie Gewalt als eine legitime Konfliktlösemöglichkeit, aber auch als Mittel zur Stressbewältigung und Durchsetzung eigener Vorstellungen war und verinnerlichen diese (vgl. Fuchs et al. 2001: 188 f.; Baier et al. 2009: 51).
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