Im schwedischen Exil, direkt nach Ausbruch des zweiten Weltkrieges, stellte Bertolt Brecht in seinem „Arbeitsjournal“ ein Verzeichnis der wenigen Gegenstände zusammen, die er besaß. Unter den Büchern, die er über die wechselnden Ländergrenzen mitschleppen konnte, befand sich „ME-TI in Leder“. In den Darstellungsformen der alten chinesischen Philosophie, wo Kunst und Wissenschaft noch eine Einheit bilden, erblickte Brecht einen produktiven Ansatz und ein erstrebenswertes Vorbild. Diese Anregung führte zu einer Sammlung kleiner Kapitel, von künstlerisch geformten Notaten, die Brechts gesellschaftliches Anliegen zum Ausdruck bringen. Dieser Sammlung gab er den Titel „Me-ti – Buch der Wendungen“, er nannte sie gelegentlich auch „Buch der Erfahrung“ oder „Büchlein mit Verhaltenslehren“. Die Phasen der Rezeption eines großen Werkes verlaufen langsam. Es wäre zu einfach anzunehmen, Wesentliches erschließe sich auf den ersten Blick. Wenn man das Buch der Wendungen nicht einfach als philosophische Schrift betrachtet, so ergibt sich die Frage, auf welche Weise die künstlerische Formung erfolgt sei. Handelt es sich hier um Aphorismen, Gespräche, Selbstbekenntnisse oder um Texte, die allein durch die Sprachkraft des Autors ästhetische Wirkung auslösen?
Mit der folgenden Untersuchung möchte ich die Intention und Bedeutung des Werkes Me-ti – Buch der Wendungen erschließen.
Zunächst erläutere ich die Entstehungsgeschichte des Werkes, sowie den Buchtitel „Me-ti“, darauf gehe ich auf die chinesischen Vorlagen und die Forschungsstände näher ein. Da Brechts marxistische Studien für „Me-ti“ von großer Bedeutung sind und sich die marxistische Lehre als dessen Thema erweist, stelle ich Brechts Marxismusauffassung dar, indem ich auf das Verhältnis von Brecht und Karl Korsch näher eingehe, um Brechts Schaffensprozess im Zusammenhang mit seiner Bemühung um neue künstlerische Formen für antifaschistische Literatur als Mittel zur Darstellung der Wirklichkeit zu veranschaulichen.
Hat die „Große Methode“ Brecht dazu verholfen, der Entwicklung des "realen Sozialismus" ins Auge zu sehen? Im Bezug auf die Stalinsche Sowjetunion sah er gravierende Fehler. Dass der Sozialismus in eine neue, totalitäre Herrschaft umschlagen könnte - diese Möglichkeit stand Brecht, dem Dialektiker, vor Augen, aber er schreckte vor ihr zurück.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Brechts Me-ti
- 2.1. Einführung
- 2.2. Entstehung
- 2.3. Buchtitel
- 2.4. Vorlagen und Forschungsstand
- 2.5. Verurteilung der Ethiken
- 3. Physik versus Dialektik
- 4. Die große Ordnung
- 5. Brechts Verhältnis zu Korsch
- 6. Schluss
- 7. Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht Bertolt Brechts "Me-ti – Buch der Wendungen", um dessen Intention und Bedeutung zu erschließen. Sie beleuchtet die Entstehungsgeschichte, die chinesischen Vorlagen und den Einfluss des Marxismus auf Brechts Werk. Ein besonderer Fokus liegt auf Brechts Verhältnis zu Karl Korsch und der Frage, wie Brechts Beschäftigung mit der chinesischen Philosophie seine Auseinandersetzung mit dem "realen Sozialismus" und seinen künstlerischen Ausdruck beeinflusste.
- Entstehungsgeschichte und Kontext von Brechts "Me-ti – Buch der Wendungen"
- Der Einfluss chinesischer Philosophie auf Brechts Denken und Schreiben
- Brechts marxistische Überzeugungen und deren Rolle in "Me-ti"
- Die "Große Methode" und ihre Bedeutung für Brechts Werk
- Brechts Auseinandersetzung mit dem "realen Sozialismus" und totalitären Herrschaft
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung führt in das Thema ein und beschreibt Brechts Beschäftigung mit dem "Me-ti – Buch der Wendungen" im Kontext seines schwedischen Exils. Sie stellt die zentrale Forschungsfrage nach der künstlerischen Formung und der Bedeutung des Werkes und skizziert den methodischen Ansatz der Arbeit. Die Einleitung betont die Notwendigkeit einer eingehenden Analyse, um die Bedeutung des Werkes jenseits einer oberflächlichen philosophischen Betrachtung zu verstehen. Der Fokus liegt auf der Klärung der Intention und der Bedeutung des Werkes.
2. Brechts Me-ti: Dieses Kapitel bietet eine umfassende Einführung in Brechts "Me-ti – Buch der Wendungen". Es ordnet das Werk in die Tradition moralphilosophischer Diskurse ein und beleuchtet die "Große Methode" als eine praktische Lehre, die Fragen stellt und Handeln ermöglicht. Das Kapitel analysiert die Einbettung der Texte in die zeitgenössische politische Realität, beispielsweise die Entwicklungen im faschistischen Deutschland, und betont die Funktion der Fragmente als Zeitbuch und Brechts Versuch, zentrale Themen der Zeitgeschichte ästhetisch darzustellen. Die komplexen Interaktionen zwischen Ethik und Strategie in Brechts Werk werden hervorgehoben. Die Einordnung des Werkes in einen größeren Kontext der politischen und philosophischen Debatten der Zeit wird ausführlich diskutiert, wobei die Bedeutung von Brechts Suche nach alternativen Verhaltenslehren im Vergleich zu bürgerlichen Vorstellungen betont wird.
2.1. Einführung: Dieses Unterkapitel (hier als Teil von Kapitel 2 zusammengefasst) stellt "Me-ti" in den Kontext von Lebens-, Klugheits- und Weisheitslehren und beschreibt die "Große Methode" als eine praxisorientierte Lehre, die das Handeln ermöglicht, anstatt zu indoktrinieren. Es hebt die Betonung des Erfolgsorientierten gegenüber normorientierten Tugenden hervor und verweist auf den Einfluss der Strategie auf die Moralität.
2.2. Entstehung: Dieses Unterkapitel (hier als Teil von Kapitel 2 zusammengefasst) beschreibt die Entstehung des "Me-ti – Buch der Wendungen" in verschiedenen Phasen, beginnend in den 1920er Jahren mit Brechts Auseinandersetzung mit chinesischer Philosophie über die intensivere Arbeit in den 1930er und 1940er Jahren im Exil. Es beleuchtet den Einfluss von Richard Wilhelm und diskutiert unterschiedliche Einschätzungen der Entstehungszeit durch verschiedene Forscher. Es wird anhand von Briefen und dem Arbeitsjournal Brechts die Entwicklung des Werkes nachvollzogen und der Einfluss der „Gesellschaft für materialistische Dialektik“ auf den Entstehungsprozess dargelegt. Die Bedeutung der zeitgeschichtlichen Bedingungen für die Entstehung des Werkes wird deutlich gemacht.
Schlüsselwörter
Bertolt Brecht, Me-ti, Buch der Wendungen, chinesische Philosophie, Marxismus, Karl Korsch, "Große Methode", realer Sozialismus, Ethik, Verhalten, antifaschistische Literatur, ästhetische Darstellung, Zeitgeschichte.
Häufig gestellte Fragen zu Bertolt Brechts "Me-ti – Buch der Wendungen"
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert Bertolt Brechts "Me-ti – Buch der Wendungen", um dessen Intention und Bedeutung zu erschließen. Sie untersucht die Entstehungsgeschichte, die chinesischen Vorlagen und den Einfluss des Marxismus auf Brechts Werk. Ein besonderer Fokus liegt auf Brechts Verhältnis zu Karl Korsch und der Beeinflussung seiner Auseinandersetzung mit dem "realen Sozialismus" durch die chinesische Philosophie.
Welche Themen werden in der Arbeit behandelt?
Die Arbeit behandelt folgende Themenschwerpunkte: Entstehungsgeschichte und Kontext von Brechts "Me-ti", der Einfluss chinesischer Philosophie auf Brechts Denken und Schreiben, Brechts marxistische Überzeugungen und deren Rolle in "Me-ti", die "Große Methode" und ihre Bedeutung, sowie Brechts Auseinandersetzung mit dem "realen Sozialismus" und totalitärer Herrschaft.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit und worum geht es in ihnen?
Die Arbeit gliedert sich in mehrere Kapitel: Die Einleitung führt in das Thema ein und beschreibt den methodischen Ansatz. Kapitel 2 bietet eine umfassende Einführung in Brechts "Me-ti", ordnet es in moralphilosophische Diskurse ein und beleuchtet die "Große Methode". Kapitel 3, 4 und 5 behandeln die Themen Physik versus Dialektik, die große Ordnung und Brechts Verhältnis zu Korsch. Kapitel 6 ist ein Schlusskapitel und Kapitel 7 beinhaltet das Literaturverzeichnis. Kapitel 2 ist weiter unterteilt in Unterkapitel zur Einführung, Entstehung, Buchtitel, Vorlagen und Forschungsstand und der Verurteilung der Ethiken.
Was ist die "Große Methode" und welche Bedeutung hat sie?
Die "Große Methode" wird als eine praxisorientierte Lehre beschrieben, die das Handeln ermöglicht, anstatt zu indoktrinieren. Sie betont den Erfolg gegenüber normorientierten Tugenden und zeigt den Einfluss der Strategie auf die Moralität.
Welche Rolle spielt der Marxismus in Brechts "Me-ti"?
Die Arbeit untersucht den Einfluss marxistischer Überzeugungen auf Brechts Werk "Me-ti" und wie diese sich in der Gestaltung und der Aussage des Textes manifestieren. Die Beziehung zwischen Brechts marxistischen Ansichten und seiner Auseinandersetzung mit chinesischer Philosophie wird analysiert.
Wie wird die Entstehungsgeschichte von "Me-ti" dargestellt?
Die Entstehungsgeschichte wird in verschiedenen Phasen dargestellt, beginnend in den 1920er Jahren mit Brechts Auseinandersetzung mit chinesischer Philosophie bis in die 1940er Jahre im Exil. Der Einfluss von Richard Wilhelm und die "Gesellschaft für materialistische Dialektik" werden beleuchtet.
Welche Schlüsselwörter charakterisieren die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Bertolt Brecht, Me-ti, Buch der Wendungen, chinesische Philosophie, Marxismus, Karl Korsch, "Große Methode", realer Sozialismus, Ethik, Verhalten, antifaschistische Literatur, ästhetische Darstellung, Zeitgeschichte.
Welche Forschungsfrage steht im Mittelpunkt der Arbeit?
Die zentrale Forschungsfrage ist die Klärung der künstlerischen Formung und der Bedeutung des Werkes "Me-ti – Buch der Wendungen" jenseits einer oberflächlichen philosophischen Betrachtung.
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- Julia Trefzer (Author), 2007, Zu: Bertolt Brechts "Me-ti Buch der Wendungen", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92752